Delicious 2 - Catch me | Erotischer Roman

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***

Am nächsten Morgen musste ich wegen meiner Schicht sehr früh raus. Gott sei Dank nur eine Woche lang. Um halb vier klingelte der Wecker, folglich stand ich um halb fünf auf, machte mich im Eilverfahren fertig und hechtete los. Ich holte mir am Bahnhof einen Kaffee, schaffte erstaunlicherweise zeitig meine Bahn, ohne auf den letzten Metern noch einen Sprint hinlegen zu müssen, und konnte noch etwas die Augen schließen. Meinen Anschlussbus würde ich ohne Probleme erwischen. Ich trank meinen Kaffee aus und lehnte mich entspannt an der Fensterscheibe an. Wir hatten eine Mörderwoche vor uns. Mitte Juni. Eine große Taufgesellschaft und eine Firmenfeier standen fürs Wochenende an. Unter der Woche würde es nicht weniger anstrengend werden. Geburtstagsfeiern, volles Reservierungsbuch und die Oldtimer-Ausstellung standen bevor. Aber das kam mir sehr gelegen. Ich mag es lieber, wenn man fast in Arbeit ertrinkt, als dass man sich aus Langeweile die Beine in den Bauch steht.

Ich stieg an der Bushaltestelle am Kirchplatz aus und wanderte über den dicht bewucherten Schleichweg zum Gutshof. Der Tau lag noch auf den Gräsern und benetzte die Spitzen meiner Turnschuhe dezent mit Feuchtigkeit. Die Luft war klar und eine angenehm beruhigende Geräuschlosigkeit umgab mich. Nur meine leisen, schlurfenden Schritte durchbrachen die Stille. Die Wetterfee schien heute in Spendierlaune zu sein. Es war der erste Tag in diesem Jahr, an dem ich bereits morgens keine Jacke mehr brauchte und mir die schon leicht erwärmte Brise um die Nase wehte. Auch wenn ich um diese Uhrzeit nur schwerlich aus dem Bett kam, waren dies die wenigen Momente, die ich an der Frühschicht schätzte. Diese Ruhe und Gelassenheit, bei der man sich fühlte, als wäre man vollkommen allein auf der Welt.

Als ich den Frühstücksraum betrat, waren die Reinigungskräfte noch fleißig dabei, den dunkelrot gefliesten Fußboden zu wischen. Ich grüßte sie kurz, ging mich dann gemächlich umziehen und schaute nach, wie die Vorbereitungen liefen. Carsten war bereits da und räumte den Servierwagen mit Geschirrstapeln voll, um ihn zum Büfett zu schieben.

»Guten Morgen, Carsten«, sagte ich höflich.

»Herr Allrich. Immer noch.« Richtig. Er will ja gesiezt werden.

»Natürlich, Herr Allrich, entschuldigen Sie. Ist ungewohnt.« Ich schaute beiläufig auf den Dienstplan, während Carsten weiter den Wagen belud. Wir waren heute früh nur zu zweit. Ich seufzte leise und versuchte, ein Gespräch zu beginnen. »Wie war Ihr freier Tag?«, fragte ich und öffnete die Schränke unter der Kasse, um die Tischdecken fürs Büfett hervorzuholen.

»Sehr erholsam, vielen Dank«, antwortete er steif und ging wieder ans Werk. Er war mir noch kein Stück sympathischer geworden. Während wir gemeinsam das Büfett aufbauten, sprachen wir kein einziges Wort. Das war mehr als befremdlich. Ich unterhielt mich eigentlich gern mit den Kollegen. Nun ja, Carsten, Verzeihung, Herr Allrich scheint lieber in stiller Konzentration vor sich hin zu arbeiten. Also ließ ich ihn.

Ich war erleichtert, als Christian zwei Stunden später zum Dienst erschien und ich endlich wieder den Mund aufmachen konnte.

»Gott sei Dank bist du da. Das ist echt unheimlich mit Carsten allein. Der gibt keinen einzigen Laut von sich.«

»Du hältst nicht viel von Stille, was?« Christian drückte mich zur Begrüßung und kam kurze Zeit später in Arbeitsmontur zurück. Der Spruch Kleider machen Leute traf auf Christian definitiv zu. Nicht, dass er in Alltagskleidung unansehnlich wäre, aber in schwarzen Hosen mit weißem Hemd und Krawatte machte er ordentlich was her. Ich fand, dass ihm unsere Uniform wirklich ausgezeichnet stand.

»Also, was liegt für heute an? Lass mal sehen. Wow, voller geht es ja kaum.« Christian stand vor der Infotafel neben der Kasse und fuhr mit dem Zeigefinger über den Kalender. Wir waren heute fast ausgebucht. Sowohl mittags als auch abends waren nahezu alle Tische reserviert worden.

»Also schön, wo fangen wir denn an?« Christian studierte den Dienstplan und nahm beiläufig alte Notizzettel sowie abgelaufene Flyer ab.

»Mal sehen, Kai hat frei, Sören ist in der Berufsschule, Freddy, Sebastian und Collin haben Spätschicht. Okay, also sind wir bis heute Nachmittag nur zu dritt.« Er klatschte tatkräftig in die Hände und wir stürzten uns in den Alltagswahnsinn. Frühstück abdecken, den Festsaal eindecken und den Geschenkewagen präparieren, fürs Mittagsgeschäft vorbereiten und Massen an Gläser polieren.

***

»Komm, wir gehen schnell eine rauchen, bevor der Trubel weitergeht.« Es war kurz vor elf. Frank war schon fleißig am Vorbereiten und heizte seinen Unterstellten in der Küche gehörig ein. Aber das war ja nichts Neues. Die erste Reservierung war für halb zwölf angemeldet, also nutzten wir die kleine Pause und huschten noch mal schnell in den Innenhof. Nach wie vor zugestellt und wenig einladend empfing er uns. Auch das schöne Wetter hatte niemanden dazu inspiriert, etwas Ordnung zu schaffen. Mich natürlich auch nicht.

»Also, wie war dein Wochenende noch so?« Er hob erwartungsvoll die Augenbrauen, während ich versuchte eine angenehme Sitzposition zu finden. Das vergilbte Kissen auf dem Klappstuhl war so durchgesessen, das man es auch hätte weglassen können, ohne einen Unterschied zu spüren.

»Schön«, sagte ich knapp.

»Und?«, hakte er neugierig nach. Also fasste ich meinen Sonntag stichpunktartig zusammen und brachte ihn auf den neuesten Stand.

»Hendrik also. Ich hätte ja auf Marlon getippt.« Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Nur dieser eine Satz reichte, um meine Entscheidung kurzzeitig in Zweifel zu ziehen. Aber wirklich nur ganz kurz. Ich rutschte etwas unruhig auf meinem Stuhl herum, was meine Haut reizte und die wunde Stelle an meinem Hinterteil stechen ließ. Doch es war nicht so schmerzhaft. Eigentlich erregte es mich sogar ein wenig. Bei jedem Ziehen und Stechen erinnerte ich mich daran, wie es entstanden war. Es war verdammt heiß gewesen, wortwörtlich und auch im übertragenen Sinne.

»Na, was grinst du so?« Offenbar hatte ich mehr als eindeutige Gedanken, die sich auf meinem Gesicht abgezeichnet hatten. Reflexartig strich ich mir über die Arschbacke, während ich mich kurz nach vorn beugte.

»Sex-Flashback?«

»Könnte man so sagen. Hendrik ist … der Wahnsinn.« Christian hob die Hand in die Luft und suggerierte mir damit, ihm ein High Five zu geben. Eigentlich bescheuert, aber seine Aufregung darüber, wie spannend es bei mir gewesen war, steckte mich an. Ich klatschte sie ab und fühlte mich in dem Moment erneut wie ein notgeiler Teenager.

»Also, auf in die Schlacht.« Christian warf einen Blick auf die Uhr, drückte seine Zigarette in den Aschenbecher und stand auf. Er reichte mir die Hand und zog mich ruckartig vom Stuhl.

***

Das Mittagsgeschäft neigte sich allmählich dem Ende. Ich stand gerade an der Kasse zum Abrechnen. Das heißblütig ineinander verliebte Pärchen an meinem Tisch, welches sich unaufhörlich gegenseitig auffraß, war mehr als spendabel gewesen. Ich steckte das Trinkgeld in unseren Sparfrosch und stellte das leere Tablett auf dem Tresen der Bar ab. Christian zurrte sich seine Schürze wieder fest, die ihm ständig von den Hüften rutschte, und strich sich einige Haarsträhnen, die sich aus seinem Zopf gelöst hatten, zurück. Er schaute über die Theke, als wollte er sichergehen, dass uns niemand hörte, beugte sich zu mir herunter und flüsterte mir ins Ohr.

»Nur damit ich das richtig verstehe, du hast jetzt heißen, versauten Sex mit Hendrik und Marlon ist vom Tisch, oder?« Autsch.

»Ja«, sagte ich etwas wehmütig.

»Also kein Dreier mehr in Sicht?« Noch mal autsch. Ja, der Dreier war wohl oder übel vorerst gestrichen. Ungeachtet dessen, dass sich meine Fantasien in den letzten Wochen vorrangig um Hendrik und Marlon gemeinsam gedreht hatten, war mein Wunsch von einem Dreier im Allgemeinen noch immer da. Vorzugsweise mit den beiden. Hendrik wollte das nicht. Noch nicht. Vielleicht bekomme ich ihn ja doch noch überredet. Wobei, nein, unwahrscheinlich. Fuck. Da sind die Bilder wieder. Diese heißen, eindringlichen Bilder von mir und vier Händen auf meiner Haut. Scheiße.

»Alex? Noch da?«

»Wie? Nein, der Dreier ist gestrichen. Bedauerlicherweise.« Ich verschränkte die Arme und ließ mich etwas beleidigt an den Schrank hinter mir sinken. »Monogam zu sein, macht überhaupt keinen Spaß.« Christian lachte herzlich.

»Monogam? Ehrlich jetzt, wie lang bist du schon mit Hendrik monogam?« Er setzte das Wort monogam mehr als auffällig in Gänsefüßchen.

»Ja, schon gut.«

»Ich glaube kaum, dass du dir nach einem Tag Pseudomonogamie ein Urteil erlauben kannst. Geschweige denn, es verteufeln kannst, wo es noch gar nicht richtig angefangen hat. Und letztendlich ist eine Fantasie nur eine Fantasie. Mit der Realität haben doch die wenigsten etwas zu tun, oder nicht? Also, lehn dich zurück und lass es erst mal wirken, bevor du dir selbst alles madig redest. Davon wird man nur schlecht gelaunt und zynisch. Ich denke nicht, dass dir das stehen würde.« Ich schwieg, lächelte aber dezent. Er traf mal wieder ins Schwarze. Ich hatte schon immer dazu geneigt, mir alles zu vermiesen, wenn ich unsicher war oder meine Entscheidungen infrage stellte. Das war wieder typisch ich. Pessimismus als Vermeidungsstrategie. Sehr effizient. Aber an dieser Stelle wirklich überflüssig.

»Du hast ja recht«, gab ich seufzend zu und meinte es auch so. Christian hatte wirklich ein Talent dafür, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Er schaffte es gleichermaßen, sich mit mir zu freuen und mitzufiebern oder aber mir einen Spiegel vorzuhalten und in meine manchmal etwas wirren Gedanken Klarheit zu bringen. Wirklich angenehm, so jemanden in seiner Nähe zu wissen.

 

2

Ich stand gerade im Bad und schaute in mein zerknautschtes Gesicht, als es an der Haustür klingelte. Ich klatschte mir kaltes Wasser auf die Wangen, was mich kurz aufschrecken ließ, und ging etwas irritiert zur Tür. Wer klingelt denn bitte schön morgens um halb fünf?

»Bea, hi. Oh Gott, sag nicht, mein Wecker hat dich wachgerüttelt.« Bea stand mit kleinen verschlafenen Augen vor mir und hielt sich gähnend die Hand vor den Mund. Dann schüttelte sie den Kopf.

»Hast du heißes Wasser?« Ich ging sofort zurück ins Bad, um nachzusehen, konnte aber kein Problem feststellen. »Na toll, dann muss ich diesen gruseligen Hausmeister schon wieder anrufen.«

»Wieder?«

»Vor zwei Wochen ist die Dusche bereits ausgefallen, da kam dann gar kein Wasser mehr. Zum Kotzen, ausgerechnet heute. Unser neuer Dirigent hat mich ohnehin schon auf dem Kieker.« Ich bot ihr an, bei mir zu duschen, wenn ich fertig sei.

Zehn Minuten später saß sie mit ihrem Kulturbeutel in den Händen an meinem Küchentisch, während ich durch die Wohnung stromerte und dabei versuchte, gefühlt fünf Dinge gleichzeitig zu erledigen. Kaffee trinken, Augenränder kaschieren, Haare bändigen …

»Und, wie ist seine Hoheit so?« Bea machte ein Würgegeräusch und schnaubte verächtlich.

»So jemand Aufgeblasenes habe ich noch nie erlebt. Der ist gerade mal seit vier Wochen bei uns und tut so, als würde ihm der Laden gehören. Ich meine, wir sind wirklich nur ein kleines Theater mit winzigem Budget und überschaubaren Mitarbeitern. Aber dieser Herr von und zu Heinemann spielt sich auf, als würden wir im Wiener Opernhaus auftreten.« Das klang echt übel. Bea bekam ganz rote Wangen, so sehr redete sie sich in Rage.

»Und warum bist du heute schon so früh auf?« Bea stöhnte und legte ihren Kopf erschöpft auf der Tischplatte ab.

»Training. Meine Technik wäre schlampig und mein Ausdruck bestenfalls drittklassig, daher hat seine Hoheit sich dazu entschlossen, mir gnädigerweise Einzelstunden zu erteilen.«

»Training? Um fünf Uhr morgens?«

»Na, ich wusste doch, dass du Frühschicht hast. Ich hatte die Wahl. Zwei Stunden länger schlafen und müffelnd ins Theater fahren oder zu dieser unchristlichen Zeit aufstehen.« Ich nickte und fing an, meine Siebensachen zusammenzusuchen. Ich probierte, Bea irgendwie vom Negativen abzulenken und ihren Fokus auf das Positive zu richten. Ja, ich weiß, bei andern kann ich das super.

»Sieh es doch so, du bekommst Einzelcoaching, dafür müssen andere verdammt viel Geld ausgeben«, begann ich zögerlich, während mein Schlüsselbund geräuschvoll den Weg in meine Tasche fand. Beas Mimik veränderte sich kaum.

»Ich hab Unterricht, seit ich dreizehn bin, Alex. Ich weiß, dass ich gut bin. Sonst hätte ich das Engagement nicht bekommen. Ich kenne meinen Preis. Aber dieser Herr von und zu Heinemann versucht, den grade auf ein Minimum zu drücken. Und das sehe ich nicht ein.« Mann, Bea hatte echt Power, wenn sie es wollte. Jetzt musste sie es nur noch diesem Möchtegerndirigenten verkaufen.

»Und genauso wirst du es diesem Arsch nachher auch sagen«, forderte ich sie auf und zog meine Schuhe an.

»Das wäre super, wenn das einfach so ginge. Aber ich befürchte, ich bin in seinen Augen ohnehin das unreife Küken. Ich will ihm mit meiner Beschwerde nicht noch in die Karten spielen. Ich mag meinen Job und habe nicht vor, ihn seinetwegen zu verlieren. Jetzt erst recht nicht.« Ich nickte und zog einen imaginären Hut.

»Wirklich sehr erwachsen, Bea, und alles andere als kükenartig.«

»Danke. Jetzt geht’s mir besser. Ich musste wohl nur Dampf ablassen. Bist du heute Mittag zu Hause? Ich fühle mich echt unwohl mit dem Hausmeister allein. Wie heißt der noch gleich? Herr Parrogi-irgendwas?« Ich grinste. Unser Hausmeister war polnischer Abstammung und hatte einen unaussprechlichen Nachnamen.

»Nenn ihn einfach Herr P. Mach ich auch so. Keine Ahnung, wie man ihn richtig ausspricht.« Sie nickte. Herr P schien ein Name zu sein, den sie sich merken konnte. »Sorry, aber vor fünf bin ich nicht hier.« Bea verzog das Gesicht. »Er ist eigentlich ganz nett. Nur etwas seltsam. Aber vollkommen harmlos.«

»Na schön, dein Wort in Gottes Ohr.« Bea erhob sich ächzend, richtete sich mühevoll auf und folgte mir schwerfällig in den Flur. Die Uhrzeit saß ihr offensichtlich in den Knochen. Mir auch, aber ich war es ja nicht anders gewohnt. »Wir müssen unbedingt mal wieder ausgehen. Ich hab das Gefühl, wir treffen uns immer nur zwischen Tür und Angel.«

»Ich schau mal, wie der Dienstplan in den nächsten Wochen aussieht. Da wird sich sicher was für uns finden. Okay, ich muss los. Zieh die Tür nachher einfach hinter dir zu, wenn du fertig bist.« Bea nickte, gähnte noch einmal laut und schlurfte dann gleichermaßen elanlos ins Bad, wie sie zuvor meine Wohnung betreten hatte. Ich griff nach meiner Jacke an der Garderobe, schwang meine Tasche über die Schulter und ging.

***

Mein Tag verlief genauso hektisch, wie erwartet. Eine ungehobelte Gruppe ausfallender Herren mittleren Alters ließ sich auf der Terrasse die Mittagssonne auf den Pelz scheinen, während sie mit anzüglichen Bemerkungen um sich warfen. Ich verspürte den Drang, sie mit dem Wasserschlauch abzuspritzen und dann zum Teufel zu jagen, würden sie noch mal junges Dingelchen zu mir sagen und lüstern meine Brüste begaffen. Als ich gerade erneut die Fäuste hinterm Rücken ballte, trat Marlon an den Tisch heran. Mein Herz schlug augenblicklich schneller. Das ärgerte mich. Ich wünschte mir, dass seine Anwesenheit mich kaltlassen würde. Tat sie leider nicht. Ich hatte ihn seit Tagen kaum zu Gesicht bekommen. Jetzt, wo er so dastand, mit hellem Hemd und Jackett, fein zurechtgeputzt, hätte ich dahinschmelzen können.

»Herr Behrens!«, donnerte einer der schmierigen Herren, dessen Glatze so sehr in der Sonne glänzte, dass man ein Spiegelei darauf hätte braten können.

»Werden die Herren auch gut versorgt?« Marlon legte dem Glatzkopf eine Hand auf die Schulter und zwinkerte mir unauffällig zu. Ihm war diese Runde bestens bekannt. Freunde vom Gutsherren, mit denen Marlon sich seit Wochen treffen musste, um über ganz dringliche sowie geheime Angelegenheiten zu sprechen. Bisher hatte ich diese ominöse Gesellschaft noch nicht antreffen müssen. Es hatte nur Gerüchte gegeben, die in der Küche die Runde gemacht hatten. Versnobte Herren mit Sonderwünschen und einem ungehobelten Benehmen, die dem Adel kaum mehr Ehre machen könnten. Nach allem, was diese Tischrunde in der letzten halben Stunde an den Tag gelegt hatte, konnte ich dem nur zustimmen.

»Oh, wir sind ganz entzückt von dem hübschen Dingelchen hier. Die ist gebucht«, antwortete ein schnauzbärtiger Lüstling und strich sich über die dicke Plauze. Ich hob fragend die Augenbrauen und schaute zu Marlon. Doch der zuckte nur mit den Schultern. Ich griff wortlos nach den leeren Gläsern, ohne zu übersehen, wie die geiernden Blicke meinem Ausschnitt folgten, und brachte das volle Tablett in die Spülküche. Ich stellte die Biergläser in die Spülmaschine und rettete mich hinter den Tresen zu Christian.

»Gehen wir nachher was trinken? Nach dem Tag brauche ich das. Gott, sind Männer widerlich.« Christian grinste und polierte weiter in aller Ruhe die Weingläser, als hätte er sonst nichts zu tun. Das Restaurant war gut gefüllt. Die Terrasse ebenfalls. Doch war die Gaff- und Geierrunde der einzige Tisch, dem ich am liebsten aus dem Weg gehen wollte. Drinnen lief alles vollkommen entspannt. Collin und Kai servierten das Mittagessen und Christian hatte Bardienst. Heute hätte ich gern getauscht, doch wollte sich niemand zur Verfügung stellen. Ich hätte vielleicht zuerst fragen und dann motzen sollen. Nun war jeder gewarnt und grinste hämisch, da ich den schwarzen Peter gezogen hatte.

»Oles Eltern kommen heute Abend vorbei«, sagte Christian, stellte das letzte Glas in die Vitrine und kritzelte dann irgendwas auf seinen Notizblock. Aus der Küche hörte man das Scheppern der Töpfe und das Geschimpfe von Frank. Er schien wie immer bester Laune zu sein. Den sollte ich mal an den Tisch schicken. Das wäre ein Spaß.

»Schade. Na, dann ein anderes Mal.«

»Du könntest ja mit mir gehen«, ertönte es von der Eingangstür. Marlon war gerade hineingekommen und steuerte direkt auf uns zu. Ich hatte sein Kommen gar nicht bemerkt. Selbst die Türglocke war mir entgangen. Herrje.

»Hast du nicht Spätschicht?«, entgegnete ich nahezu vorwurfsvoll, in der Hoffnung, dass er Ja sagen würde. Mein Puls stieg schon wieder.

»Ich hab bereits Feierabend.« Mist. »Ich bin seit halb sechs hier, hab Lieferscheine sortiert, Aktenordner gewälzt und mich um unsere liebreizende Herrenrunde gekümmert.«

»Was für eine illustre Gesellschaft. Und wofür bin ich gebucht? Um auf dem Tisch zu tanzen?«, sagte ich bissig, um darüber hinwegzutäuschen, dass seine Anwesenheit mich eigentlich nervös machte. Ich fühlte mich nach wie vor zu ihm hingezogen, was ich in diesem Moment schmerzlich feststellen musste. Ich hatte gehofft, dass sich dies einfach verflüchtigen würde.

»Ach, nichts Wichtiges. Die Herren wissen gar nicht, was sie wollen. Nur jede Menge Halbgares.« Ich nickte, obwohl ich nicht wirklich zugehört hatte. »Also, Alex? Lust auf ’ne Runde Cocktails?« Doppelter Mist. Ich schaute fragend zu Christian, während ich mich von Marlon abwandte und schwer beschäftigt tat. Ich wollte mit ihm weggehen, sonst würde es mir nicht so schwerfallen, Nein zu sagen. Als Marlon für einen Augenblick in der Küche verschwand, huschte ich dicht an Christian heran.

»Was soll ich tun?«, flüsterte ich. Christian zuckte mit den Schultern. Collin kam an den Tresen und legte ihm einen neuen Bon mit Getränkebestellungen hin. Aus den Augenwinkeln sah ich Kai, der einem Seniorenpaar gerade ausführlich die Speisekarte erklärte.

»Es ist nur ein Drink, oder Alex?« Ich nickte nachdenklich. Collin verschwand wieder an einen seiner Tische und Christian nutzte die Gelegenheit, um ganz deutlich zu werden. »Willst du ihn immer noch ficken?«, fragte er mit gedämpfter Stimme.

»Ja«, hauchte ich fiebrig.

»Dann tu es nicht.« Werde ich nicht. Das wäre eine wirklich dumme Idee. Wobei, ich könnte es ja als eine Art Schaufensterbummel betrachten. Gucken wird ja wohl noch erlaubt sein. Nein. Das geht nicht. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Mist!

»Okay, besser ist das wohl.«

»Also, Püppi?« Verdammt! Erneut tauchte Marlon unbemerkt neben mir auf und ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen. Die Klingel am Pass ertönte und rettete mich aus dem unbehaglichen Moment. Meine Bestellung für die charmante Tischrunde auf der Terrasse war fertig. Ich ließ Marlon ohne Antwort stehen, holte die ersten Teller und ging nach draußen. Die Herren der Schöpfung begrüßten mich und die Speisen mit schallender Begeisterung. Ich blieb höflich, aber auf Abstand. So gut es zwischen den engen Plätzen am Tisch eben ging. Ich nahm noch eine weitere Getränkebestellung auf und versprach, dass die restlichen Gerichte nicht mehr lang auf sich warten lassen würden. Ich hoffte inständig, dass sie es doch tun würden, um den Kerlen so lang wie möglich fernbleiben zu können. Zügig entfernte ich mich vom Tisch und steuerte die Eingangstür an. Doch bevor ich sie öffnen konnte, kam Marlon mir bereits zuvor. Er baute sich erwartungsvoll vor mir auf und lächelte sein schönstes Lächeln, was mir beinah die Knie weich werden ließ.

»Also, wie schaut’s aus?« Ich zögerte. Doch dann fasste ich mir ein Herz und sagte ihm genau das, was ich dachte.

»Ich glaube, das ist keine gute Idee.«

»Warum nicht?«

»Du weißt, warum.« Seinem Gesicht nach zu urteilen, wusste er genau, wovon ich sprach. Dennoch tat er vollkommen unschuldig.

»Tja, musst du wissen. Ich wollte einfach bloß etwas mit dir trinken gehen, Püppi.« Da war wieder dieses Püppi. Dieser Kosename, der so gegensätzlich zu meinem Charakter stand und doch so eine unglaubliche Wirkung auf mich hatte. »Es ist dir also ernst mit Hendrik«, stellte er fest.

»Ist es.«

»Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass mir das gefällt. Aber nun denn, wenn es dein Wille ist. Kehren wir zurück zur Normalität, Frau Gralke.« Hatte er mich gerade gesiezt?

»So normal nun auch wieder nicht.« Er trat einen Schritt an mich heran. Ich stand noch immer unbewegt vor der Eingangstür und warf einen flüchtigen Blick durch die Glasscheibe. Noch schien niemand verzweifelt nach mir zu winken.

»Sind wir Freunde?«, fragte er. Ich nickte. Er kam noch näher. Das war nicht gut. Ganz und gar nicht gut. Doch ich konnte mich auch nicht bewegen. »Freunde umarmen sich, oder?« Ich bejahte seine Frage erneut. Er legte seine Hand auf meine Wange und schaute mir tief in die Augen. Mir wurde heiß, unerträglich heiß. »Und küssen sich Freunde auch hin und wieder?« Ich wollte Ja sagen.

 

»Nein«, gab ich stattdessen zurück.

»Schade. Solche Freundschaften hab ich besonders gern.« Marlon beugte sich zu mir heran. Doch bevor er mir zu nah kommen konnte, schob ich ihn von mir weg.

»Siehst du, genau darum können wir nichts trinken gehen.«

»Es ist nur ein Drink, Alex«, sagte er mit vollkommener Unschuldsmiene. Ich atmete ganz tief ein und legte ihm eine Hand auf die Brust. Meine Finger begannen augenblicklich zu kribbeln. Als würde sich ein riesiges Ameisengeschwader unter meiner Handfläche sammeln.

»Wir wissen doch beide, dass es nicht nur das wäre. Wir würden unweigerlich in eine Situation geraten, aus der es kein Zurück gäbe. Das hast du doch gerade eben bewiesen.« Seine Mimik verhärtete sich.

»So ernst kann es dir mit Hendrik ja nicht sein, wenn du dir da so sicher bist.« Du Arsch! Ich nahm erschrocken die Hand von ihm weg und trat einen Schritt zurück. Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Ein derartiges Verhalten hätte ich ihm nicht zugetraut. Aber vielleicht war das auch genau das Richtige, um Abstand zueinander zu bekommen.

»Ich werde mal so tun, als hättest du das gerade nicht gesagt, Freund.« Ohne ein weiteres Wort griff ich nach der Türklinke, zog die schwere Eisentür auf und verschwand angefressen im Speisesaal. Die Klingel am Pass ertönte erneut und ich konzentrierte mich wieder darauf, die anzüglichen Annäherungsversuche der Geier abzuwehren.

***

Wie verabredet, holte Hendrik mich am Donnerstag spätnachmittags an der Bushaltestelle ab. Marlon hatte sich die letzten Tage rargemacht, aber das war mir nur recht. Ich empfand sein Verhalten mehr als unangebracht und hatte keine sonderliche Lust, mir mein Hochgefühl mit Hendrik vermiesen zu lassen. Nicht von ihm.

Mit den Öffentlichen hatte ich eine halbe Ewigkeit bis zu Hendriks Arbeitsstelle gebraucht. Mit dem Auto wären es bloß zwanzig Minuten gewesen. Nun, nach über einer Stunde, war ich erleichtert, aus dem stickigen Bus aussteigen zu können, und fiel Hendrik um den Hals. Die Klimaanlage war außer Betrieb gewesen und der Stoff meines Kleids klebte mir am Körper.

»Was für eine Fahrt.« Doch diese geriet augenblicklich in Vergessenheit, als Hendrik seine Hand in meinen Nacken legte und mich küsste. Ein kribbeliger und wunderbar anregender Kuss, so flüchtig und doch so verheißungsvoll.

Wir schlenderten Hand in Hand die wenigen Meter bis zur Einfahrt des landwirtschaftlichen Betriebs am Ortsausgang. Als hätten wir noch nie etwas anderes getan. Händchenhalten, an der Bushaltestelle knutschen und sich vom Arbeitstag erzählen. Alltägliche und vollkommen normale Dinge, über die ich mich für gewöhnlich lustig machte oder als unnötig abtat. Doch in diesem Moment machte ich nichts dergleichen. Unsere Handflächen lagen ineinander, als gehörten sie genau dorthin, unser Gespräch verlief locker-flockig und vollkommen entspannt. Natürlich schwamm die freudige Erwartung auf das nächste Nacktabenteuer unterschwellig mit. Doch ich verspürte in diesem Augenblick keine Eile, das plüschige Pärchen-Zeug zu überspringen und meiner körperlichen Lust nachzugeben. Jedenfalls nicht in den nächsten zehn Minuten.

Hendrik schien es ebenfalls nicht eilig zu haben. Nachdem wir die Einfahrt erreicht hatten, führte er mich erst mal auf dem Gelände herum. Er zeigte mir die Räumlichkeiten für die Lagerung der Maschinen, den kleinen Hofladen, in dem die selbst angebauten Obst- und Gemüsesorten verkauft wurden, das Gewächshaus und die Büro- sowie Geschäftsräume. Er schwärmte von seiner Arbeit und ratterte sämtliche Berufszweige herunter, die sich hier gemeinschaftlich zusammengeschlossen hatten. Ich hingegen sah in jedem Raum, in jeder Ecke potentielle Nischen für ein schnelles Stelldichein. Doch nicht heute. Da wir an jedem Ort, den ich gedanklich als bespielbar notierte, auf fleißige Mitarbeiter trafen. Aushilfen im Gartenbau, Forstwirt-Azubis und Jägerkollegen. Fast die gesamte Palette an grünen Berufen wurde abgedeckt. Auch wenn ich ihm nicht wirklich folgen konnte und sich mein Interesse für die Land- und Forstwirtschaft in Grenzen hielt, fand ich es dennoch bemerkenswert, wie leidenschaftlich er seinen Job anpries.

Und auch seine Arbeitskleidung stand ihm ausgezeichnet. Ich würde die Kellner-Uniform zwar bevorzugen, musste aber doch zugeben, dass ihn dieses Olivgrün wirklich kleidete. Praktische Hightech-Klamotten mit einem Hauch Tradition. Ach ja, der altbekannte Reiz der Uniformen. Auf seine traf dies wirklich zu. Ich bekam große Lust, ihm die leuchtende Warnweste von den Schultern zu reißen und mich an dem derben Stoff zu schaffen zu machen. Zumal Hendrik ja mit einer schönen Aussicht geworben hatte, die ich mir definitiv noch anschauen wollte. Gerade, als ich nach dem Hochsitz und dem unterschwellig ausgesprochenen Versprechen nach einer schnellen Nummer in luftiger Höhe fragen wollte, kam eine junge Dame mit naturroten Haaren in Waldmontur auf uns zu. Dicht gefolgt von Herman, der sich in ihrer Gegenwart deutlich wohler zu fühlen schien als bei unserem letzten Aufeinandertreffen. Aufgeregt sprang und hopste er an ihren Beinen herum, mit einem kleinen Zweig fest zwischen den Zähnen haltend. Die junge Frau lächelte, griff nach dem Stöckchen und warf es in die Ferne.

»Na, hat er sich ausgetobt?«

»Er war kaum zu bremsen«, entgegnete sie und reichte mir die Hand.

»Olivia, hi«, stellte sie sich vor.

»Das ist Alex, meine Freundin«, kam Hendrik mir zuvor. Das war das erste Mal, dass er das Wort Freundin in den Mund genommen hatte. Es fühlte sich ungewohnt an, so bezeichnet zu werden. Doch ich ließ ihn. Ist ja bloß ein Titel. Wir tauschten dezente Höflichkeiten aus, während Herman immer wieder sein Stöckchen zu uns brachte. Mich ignorierte er gekonnt. War mir auch sehr recht.

»Ich muss noch mal raus, hab meine Tasche liegen lassen. Wollt ihr mit?«, fragte sie einige Minuten später. Ich schaute vielsagend zu Hendrik. Eigentlich hatte ich andere Pläne gehabt, als mit ihm und Olivia durch den Wald zu spazieren. Doch ich kam nicht dazu, Hendrik zu sagen, dass ich ihn jetzt gern ficken wollte. Er hatte meinen Blick ignoriert, möglicherweise auch falsch interpretiert, und nickte Olivia höflich zu. So setzten wir unseren Rundgang nun zu dritt fort. Plus Herman, der nach wie vor um Olivia herumstromerte und sie zum Stöckchenwerfen animierte.

»Ihr habt euch also bei der Arbeit kennengelernt? Ich hätte ja nicht gedacht, dass Hendrik kellnern kann. Ungeahnte Fähigkeiten hat dieser Mann.« Sie bekam ganz rosige Bäckchen, während sie redete. Mich beschlich das Gefühl, dass sie eine leichte Schwäche für ihn hegte. Immer wieder suchte ihr Blick nach seinem, während wir über Stock und Stein stetig im Unterholz verschwanden. Wie niedlich. Mich störte das kein bisschen. Olivia war süß, aber ungefährlich. Nicht, dass ich zu besonders ausgeprägter Eifersucht neigen würde, doch schien sie mir zu jung, um als Spielgefährtin für Hendrik wahrgenommen zu werden. Sie hatte gerade ihr erstes Ausbildungsjahr hinter sich gebracht und war kürzlich volljährig geworden. Abgesehen davon, hatte Hendrik schon nach wenigen Metern demonstrativ nach meiner Hand gegriffen. Ich fand ihre Schwärmerei daher eher amüsant als unangebracht.

»Ich hatte bei einem Besuch im Wald eigentlich an etwas anderes gedacht«, flüsterte ich Hendrik in einem unbeobachteten Moment ins Ohr und drückte seine Finger.