Waypoint FiftyNine

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»Mein letzter Auftrag war furchtbar. Wirklich furchtbar. Ich meine, ich werde oft zu fragwürdigen Aktionen angestellt, ich bin einiges gewohnt. Du willst gar nicht wissen, wie oft ich tote Mädchen für Männer … ach, lassen wir das, ich schweife ab.« Wenn ihr Auge nur nicht so sehr schmerzen würde. Wieso wurde das immer schlimmer? Die Sicht in diese Welt und hinter den Schleier wechselte laufend, als stände sie mitten auf einem Feld voller Toter. Aber sie war doch nur in dieser abgeranzten Kneipe. Was ging hier vor sich? Kay kniff das Auge zusammen, um den flackernden Bildern zu entkommen, die sich immer mehr mit der Bar vermischten. »Was ich erzählen wollte: Ich wurde von einem Ultrareichen auf einen der Exoplaneten gerufen.«

Mehr konkrete Daten durfte sie nicht nennen, aber wenn Cornelius nicht ganz abgeschottet vom Weltgeschehen lebte, dürfte er mitbekommen haben, dass auf den bitterarmen Exoplaneten wertvolle Rohstoffe lagen, die mit dreckigem Blut geborgen wurden.

»Ich habe ein Meer aus Toten wiederbelebt. Man sagte mir, um Rohstoffe abzubauen. Billige Arbeiter, du verstehst schon. Tatsächlich …« Kay holte tief Luft. Die folgenden Worte auszusprechen, fiel ihr schwer: »… tatsächlich missbrauchte der Ultrareiche meine Fähigkeiten auf schändliche Weise. Nachdem ich ihm die Gewalt über die Toten übertragen hatte, befahl er ihnen, dass sie jeden Überlebenden ihres Volkes, der sich noch irgendwo versteckte, aufspüren und töten sollte. Jeden Zeugen. Also all ihre eigenen Kinder, ihre Verwandten, ihre Liebsten. Sie wussten natürlich genau, wo sie sich verbargen. Und sie gingen los und taten, was man ihnen befahl. Ich stand hilflos daneben. Ich konnte nichts tun.«

»Hm. Das ist schlecht«, sagte Cornelius unsensibel. Mehr nicht.

»So kann man es auch bezeichnen«, brummte Kay.

In diesem Moment las der Barkeeper etwas auf dem Display, das an seiner Seite der Theke angebracht war. Er runzelte die Stirn und blickte zu einer fast zwei Meter großen Asiatin, die am Billardtisch beschäftigt war und so wirkte, als sollte man sie lieber nicht nerven.

»He, Nova!«, rief er lautstark hinüber. »Security-Jack meldet Probleme. Irgendwas ist bei den Docks im Argen. Die Meldung ist nicht eindeutig.«

Nova blickte auf, nickte und verließ eilig die Bar.

Eine der beiden haarigen Bedienungen, die exakt gleich aussahen, kam an den Tresen und stellte ungefähr zwölf Bierkrüge auf einmal ab, die an ihrem Fell festgesaugt gewesen waren. »Wenn die Meldung nicht eindeutig ist, bedeutet das immer die Sorte Probleme, die Überstunden verursacht.«

»Mach dir keine Sorgen, Mora«, sagte Virginio.

»Spar dir deine blöden Sprüche«, knurrte die Bedienung und schubste einen schwebenden Bierbrunnen vor sich her, während sie eine neue Ladung Bierkrüge mit sich nahm.

»Oh, oh! Probleme im Hangar«, brabbelte Cornelius wenig eloquent vor sich hin.

Am Tresen trat Schweigen ein. Kay wusste nicht, was sie erwartet hatte, wie ein völlig Fremder auf ihre Geschichte, die ihr den Schlaf raubte, reagieren würde. Aber wie gleichgültig Cornelius reagierte, brachte sie stark aus der Fassung. Vielleicht lag das Problem wirklich bei ihr, wenn sie sich das so zu Herzen nahm. Ganz offensichtlich würde jemand anderes keine zwei Gedanken an den Vorfall verschwenden und einfach weitermachen. Oder …

Cornelius fiel die Wollsocke aus dem Mantel und er versuchte sie wieder vom Boden aufzuklauben, ohne dabei den Barhocker zu verlassen, was sehr ulkig aussah.

… oder Cornelius war einfach zu besoffen, um eine tiefsinnige Reaktion zu haben. Vermutlich hatte er ihre Geschichte schon wieder vergessen und …

Roter Schmerz zuckte durch ihren Kopf. Kay stöhnte auf und presste sich die Hand auf’s Auge. Wieso bei allen Welten passierte ihr das hier und jetzt in einer Raumstation, weitab von Leichenhallen und Ausgrabungsstätten?

»Ha, ich hab sie!«, verkündete Cornelius neben ihr. Mit ihrem normalen Auge sah sie, wie er sich triumphal aufrichtete, um dann zu stutzen. »Geht es Euch nicht gut, Euer Gnaden?«

»Nein. Irgendetwas … stimmt nicht …« Kay hielt sich an der Kante des Tresens fest, um nicht vom Hocker zu kippen.

Ihr Nekromantenauge pochte und die Sicht auf diesem Auge zog sie immer weiter hinter den Schleier. Ihre Kräfte regten sich, ohne dass sie sie bewusst gerufen hatte.

»Ich verstehe nicht …«

Das Licht ging aus. Dann wieder an und ein Alarmläuten setzte ein.

Sämtliche Besucher der Kneipe hielten inne und sahen sich verdutzt an.

»Oh, oh! Das ist nicht gut«, sagte Cornelius sehr hilfreich.

»Ist das ein Feueralarm?«, fragte jemand.

»Nein«, sagte Virginio und trocknete sich die Hände ab. »Den Alarm hab ich noch nie gehört.«

Die beiden Bedienungen kamen angerauscht.

»Was machen wir jetzt?«

»Müssen wir evakuieren?«

Virginio tippte auf seinem Display herum. »Security-Jack reagiert nicht auf Anfragen!«

Ein Zischen, dann flog das Schott auf und eine Handvoll geleckter Typen in teuren Anzügen kam hereingestolpert.

»Hilfe!«, schrien sie. »HILFE!«

Cornelius sprang vom Barhocker auf. »Alfredo!«

»Aggressive Besucher im Ringkorridor«, teilte Security-Jack gelassen durch einen Lautsprecher in der Kneipe mit. Das trug nicht gerade zur Beruhigung der Gäste bei. Plötzlich redeten alle durcheinander.

Der Alarm setzte sich derweil fort und wurde nun durch ein Uuuuhweeehhh-Uuuuuhhhweeeeh ergänzt.

»Er will meine Maden!«, schrie Cornelius.

»Tote!«, schrie einer der Typen zurück. »Lebende Tote! Im Korridor!«

»Tote?« Ein alter Terraner mit beeindruckendem Schnauzbart blickte von seinem Bierkrug auf. »Doch nicht etwa meine toten Gulgolianer?« Das musste der Bestatter sein, der vor ihr gelandet war. Er kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Nee, nee, die sind völlig hinüber«, beantwortete er sich selbst mit schwerer Zunge seine Frage. »Das kann nicht sein. Geht mich bestimmt nix an.« Er wandte sich wieder seinem Bierkrug zu.

Niemand außer Kay achtete auf ihn. Alles drang wie durch Watte zu ihr durch.

Tote. Lebende Tote.

Das konnten nicht die Leichen des Bestatters sein, völlig ausgeschlossen. Außer sie hatte gerade eben … ohne es zu wollen …

Oh Scheiße.

Endlich fiel die Schockstarre von ihr ab und sie sprang von ihrem Barhocker. »Hier muss etwas sein. Etwas, das meine Kräfte aktiviert und verstärkt.«

Niemand achtete auf sie, außer dem Bestatter, der schützend seinen Bierkrug umarmte.

»Alfredo will meine verdammten Maden klauen!«, kreischte Cornelius panisch, der auch nicht zuhörte. Zur Selbstverteidigung riss er seinen Barhocker hoch und hielt ihn wie eine Waffe vor sich, die langen Stuhlbeine auf den blonden Typen gerichtet, der quer durch die Kneipe sprintete und nur »TOTEEE! LEBENDE TOOOOOTEEEE!«, brüllte. »Tut doch was!«

Falls dieser Alfredo wirklich wegen Cornelius’ Maden hier war, schien er nun andere Probleme zu haben.

Aus dem Korridor drang Gepolter und Novas Stimme. Sie fluchte lautstark.

»Aggressive Besucher im Ringkorridor«, erklärte Security-Jack weiterhin mit aller Seelenruhe durch den Lautsprecher. »Aggressive Besucher im Ringkorridor.«

Langsam brach doch Panik bei den Besuchern aus, die offensichtlich nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen waren.

»Aaaaaah!« Cornelius ging mit dem Stuhl auf Alfredo los. Dieser ging unvorbereitet mit einem kläglichen Japsen zu Boden.

Welcher persönliche Racheakt für Cornelius hier gerade auch im Gange war, Kay hatte keine Zeit, ihn zu verfolgen. Sie sah das alles durch einen wabernden Schleier roten Nebels. Ihr Kopf schmerzte, als würde er gleich implodieren. Ihre Kräfte entzogen sich völlig ihrer Kontrolle und strömten auf Cornelius zu, der wie wild mit dem Barhocker auf Alfredo einprügelte.

»Das ist für Heidi-Katharina!«

In seinem Mantel glühte etwas, das sie nur durch den Schleier sehen konnte. Vier kleine Kugeln, in die ihre Macht strömten und sie belebten.

Kleine Kugeln? Was hatte er in seinem Mantel gehabt, das sie wiederbeleben könnte? Da waren doch nur Knochen gewesen und …

Maden!

Cornelius schrie auf und stolperte rückwärts. Hektisch schälte er sich aus seinem Mantel und schmiss ihn zu Boden. »Hexerei!«, quiekte er.

Das Schott ging auf und ein zerfetzter Gulgolianer wankte herein.

»Virginio, schwing endlich deinen hübschen Hintern hier rüber und verriegele das Schott! Ich mache das bestimmt nicht alles alleine!«, rief Mora vom Eingang her, drosch mit einem Wischmopp nach dem Gulgolianer und beförderte ihn mit einem gekonnten Schubser zurück in den Korridor.

Virginio hechtete zur Wand und schlug auf einen Notfallknopf. Sofort schloss sich das Schott. Nun pochte es von außen dagegen. Natürlich. Die Toten versuchten, zu Kay zu gelangen, denn Kay war ihre Meisterin. Sie strömten deshalb in ihre Nähe.

Konzentrier dich!

Weder die Maden noch die lebenden Toten im Korridor waren der Selbstauslöser für Kays amoklaufenden Nekromantenkräfte, sie waren lediglich das Ergebnis. Was sie finden musste, war die Ursache.

Kay krabbelte auf ihren Barhocker und richtete sich auf. »ETWAS MUSS HIER SEIN!«, brüllte sie und fuchtelte mit den Armen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Endlich sah man zu ihr, endlich bemerkte man sie. »In diesem Raum! Hier muss etwas sein, etwas Altes, etwas MÄCHTIGES, was nekromantische Kräfte eskalieren lässt! Wir müssen es finden!«

Dong! Dong! Dong!, pochte es gegen das Schott.

»Führt jemand so etwas bei sich?«, fragte Kay mit erhobener Stimme.

 

Es gab keine eindeutige Reaktion auf ihre Anfrage. Eher panisches Gemurmel, weil ihr Nekromantenauge inzwischen für jeden sichtbar glühte.

»Oh Scheiße«, grunzte Alfredo vom Boden.

Cornelius stupste derweil mit einem abgebrochenen Stuhlbein seinen Mantel an.

Prompt leuchteten ungefähr vier kleine Lichtbälle darunter neongrün auf und stoben aus dem Mantel wie ein Schwarm Motten. Scherben glitzerten auf dem Boden, rund um den zerknitterten Stoff. Die Maden waren frei.

»DIE MADEN!«, kreischte Cornelius.

Nun schrien alle durcheinander und warfen sich zu Boden.

Dong! Dong! Dong!, rumste es immer wieder am Eingang.

»Aggressive Besucher im Ringkorridor«, warnte weiterhin der geduldige Security-Jack durch den Lautsprecher.

»Leute, ich könnte Hilfe gebrauchen!«, meldete sich Nova aus einem Lautsprecher hinter dem Tresen. »Die wollen mich beißen.«

Kay konnte nicht sehen, wo der Lautsprecher angebracht war, vermutlich hinter einer der Flaschen oder zwischen den Artefakten, die die Wände verschönerten, damit es hier drin nicht ganz so abgeranzt …

Moment!

Die Artefakte an der Wand.

Kay stieg vom Barhocker auf den Tresen, um besser sehen zu können.

Während alle von dem Schott zurückgewichen waren, raste Cornelius nun wie von Sinnen darauf zu. »Lasst mich raus! Lasst mich raus! Lasst mich raus!«

»Spinnt der?«, fragte Virginio, der hinter dem Tresen kauerte und dort gerade eine kleine Elektroschockpistole aus einer Schublade zog, was Kay von ihrem neuen Aussichtposten sehr gut sehen konnte. »Und was machen Sie da oben? Runter. Da fliegen Maden durch die Luft! Glühende Maden!«

»Ich weiß, die reagieren auf mich. Halb so wild. Die sind nur wiederbelebt, keine große Sache«, erklärte Kay ruhig. »Also eigentlich sind sie tot. Das ist zwar irgendwie eklig, aber ungefährlich.« Jedenfalls hoffte sie das.

Ihr Blick blieb am verglasten Schleimautogramm des berühmten Space-Tentakel-Rockstars Eddie Poe hängen, das in einem Rahmen zwischen den anderen Artefakten deutlich herausstach.

Es muss hier sein!

Sie hüpfte vom Tresen und rannte zur Wand. Doch sie war zu klein, deshalb krabbelte sie auf den nächsten Tisch und sprang von Tischplatte zu Tischplatte, stieß dabei Bierkrüge und Whiskeygläser zu Boden und schlitterte durch Wodkapfützen. Hier an den Wänden musste etwas hängen, ein Artefakt, ein Gegenstand, ein unscheinbares Etwas, von dem nie jemand bemerkt hatte, dass es magische Fähigkeiten besaß, weil in so einer Spelunke normalerweise keine Nekromanten verkehrten. Nur was war es? Wo war es, verdammt nochmal?

»Die Maden … sie sind verseucht!«, grunzte Alfredo. Dieser hatte sich endlich wieder aufgerappelt und schlug nun mit den Resten des zertrümmerten Barhockers nach einer schwirrenden Made.

»Das ist alles deine Schuld!«, brüllte Cornelius irgendwo hinter Kay Alfredo an. »Crandall ist nicht aufgetaucht! Und jetzt sterben wir wegen ein paar pestverseuchten Maden!«

»Pestverseucht?«, keuchte Virginio und riss die Augen auf.

Jetzt schrien alle und rannten in die Ecken der Kneipe, bewaffnet mit allem, was sie fanden. Der Bestatter zermatschte mit seinem Bierkrug eine Made auf dem Tresen und kicherte.

Und da sah Kay sie. Die Maske.

Sie war aus Holz, echtem Holz, wie es nur vor langer Zeit auf der Erde gewachsen war. Klein, nicht größer als ein Kindergesicht. Zwei Augenschlitze, faseriges Holz, bröckelig. Mit schwarzer Farbe waren Zeichen auf das Holz geschmiert. Verblichen. Schlicht. Unauffällig.

Eine Nekromantenmaske.

Kay riss sie von der Wand, schmiss sie zu Boden und sprang noch zusätzlich vom Tisch direkt auf die Holztrümmer.

Das Holz knackte und splitterte zu allen Seiten. Eine magische Druckwelle zischte durch den Raum.

Die Maden fielen zu Boden, ihr Glühen erstarb.

Das Pochen an der Tür verstummte.

Ihr Kopf implodierte. Der rote Schmerz rollte über Kay hinweg und riss sie mit sich.

Ihre Knie gaben nach und der Boden kippte ihr entgegen.

»Hör auf, mich mit diesem blöden Thema zu nerven! Ich kenne keine Erotik-Androiden, Susi!« Cornelius. Direkt neben ihr.

Kay schnappte nach Luft und öffnete die Augen.

Virginio grinste sie breit an. »Na also, da ist sie wieder.« Er verschwand aus ihrem Blickfeld.

Mit rasendem Herzschlag setzte sie sich auf.

In der Bar war es ruhig. In der Ecke spielten drei Trolle mit dem rauchenden Einhorn Billard, ein Bierbrunnen zockelte vorbei. Die meisten Tische waren besetzt. Mora kehrte mit trägen Bewegungen den Boden und gähnte, während ihr Zwilling an einem Tisch Gläser abräumte.

»Endlich aufgewacht?« Cornelius beugte sich zu ihr. Er klang erstaunlich nüchtern.

»Die Maden … die Toten … Alfredo … was ist passiert?« Als sie umgekippt war, war die Situation hier noch weniger friedlich gewesen.

»Die Toten sind wieder gestorben, als du bewusstlos geworden bist«, erklärte Cornelius. »Und die Lady da drüben hat Alfredo und seine Leute rausgeschmissen.« Er deutete zu Nova hinüber, die mürrisch an ihrem Flachmann nippte. »Die Maden sind leider zu Asche zerbröselt, als sich der Zauber gelegt hatte, was bedeutet, dass ich sie nicht mehr verkaufen kann.«

Das war normal. Gewebe zerfiel nach einem nekromantischen Akt. Die Gulgolianer hatten sicherlich eine ziemliche staubige Sauerei im Korridor hinterlassen. Sie fragte besser gar nicht danach.

»Das, äh, also … ich würde ja sagen, das tut mir leid, aber da die Viecher anscheinend verseucht waren, tut es mir gar nicht leid«, murmelte Kay und versuchte, sich zu ordnen. Sie saß auf dem Boden, ihr Körper tat weh, weil sie blöd gefallen war und … ihr Kopf war wunderbar leicht. Keine Schmerzen. Nur ein leichter Hauch von Schleier war durch ihr Nekromantenauge zu sehen.

Kay rappelte sich auf und klopfte sich den Schmutz von den Kleidern. »Wieso bei allen Sternen der Galaxis hing hier eine antike Nekromantenholzmaske?«

Virginio, der nun hinter dem Tresen Scherben zusammenfegte, zuckte mit den Schultern. »Ach, das Zeug an den Wänden bringen Stammkunden mit, da kommt halt was zusammen über die Zeit.«

»Und die Maske, wo kam die her?«

»Keine Ahnung, die hing da schon, als ich hier angefangen habe.«

»Schien von der Erde und schon ziemlich alt zu sein.« Cornelius zuckte mit den Schultern. So nüchtern wirkte er richtig seriös, auch wenn er immer noch abgerissen aussah. »Solches Holz gibt es schon nicht mehr seit mindestens vier- oder fünfhundert Jahren.«

»Das heißt, hier hing unbemerkt all die Jahre ein wahnsinnig altes, nekromantisches Artefakt von ungeahnter Macht?«, fragte Kay ungläubig. »Die Maske muss unfassbar wertvoll gewesen sein.«

Virginio leerte die zusammengekehrten Scherben mit Schwung von der Kehrschaufel in den Mülleimer. »Hier hat sich jedenfalls nie eine Sau dafür interessiert.«

»Beim richtigen Käufer hätte das ein Vermögen eingebracht«, seufzte Cornelius.

Kay fühlte sich schwach auf den Beinen und ließ sich wieder auf ihren Barhocker plumpsen. »Na ja, die hab ich zertrümmert, da ist nichts mehr zu machen.« Sie fühlte sich nahezu euphorisch, nun, da die Gefahr überstanden war.

»Das habe ich inzwischen auch begriffen.« Cornelius ließ sich wieder neben ihr nieder.

Kay war eine erfahrene Nekromantin, aber wenn selbst sie die Kontrolle über ihre Kräfte in der Nähe dieser Maske verlor, was wäre erst geschehen, wenn dieses Artefakt in die völlig falschen Hände geraten wäre? Nein, es war gut so. Allerdings sagte sie das besser nicht laut, denn Cornelius schien beim Ausnüchtern in ein dunkles Loch gefallen zu sein.

»Und wieder ein miserabler Arbeitstag«, murmelte er gerade deprimiert.

»So übel war er doch gar nicht. Diesem Alfredo hast du es echt gegeben«, merkte Kay an und gestikulierte Virginio, dass sie gerne nochmal einen Cocktail hätte. Diesmal würde sie ihn auch austrinken und nicht nur auf den Boden kicken.

»Leider bin ich dafür aber nicht bezahlt worden«, merkte Cornelius an.

»Du brauchst eindeutig bessere Auftraggeber und Geschäftspartner.« Kay nickte mitfühlend. Nicht dass es ihr in naher Zukunft sonderlich besser ergehen würde als Cornelius. Noch hatte sie Geld, aber nicht mehr lange. »Der Markt ist echt unbarmherzig, wenn man allein ist.«

»Wem sagst du das?« Cornelius rieb sich die Augen. »Mein einziger Gesprächspartner ist meine KI, und die ist fürchterlich schnell beleidigt.«

»Ich hab seit Wochen mit niemand anderem als meiner KI geredet, also … ich kann’s verstehen«, gab Kay zögerlich zu.

»Ist deine auch immer gleich sauer?«

»Nein, aber Benedict bemuttert mich inzwischen. Wir wissen alle, was das heißt: Wir sind erbärmlich.«

»Das stimmt wohl.«

Virginio stellte ihr den Cocktail hin.

»Ihr solltet euch zusammentun«, meinte er und griff sich die Schnapsflasche, während er zu Nova hinüberging.

Kay lachte über seinen Witz und griff nach ihrem Glas. Dann hörte sie auf zu lachen und sah Cornelius an. »Warum eigentlich nicht?«

Cornelius nickte nachdenklich. »Eine Nekromantin und ein Archäologe? Könnte funktionieren.«

Das eröffnete ganz neue Möglichkeiten.

»Virginio, wir brauchen noch einen Drink. Aber keinen FiftyNiner.« Kay wartete, bis Cornelius das Glas zwischen den Fingern hatte und hob dann ihren Cocktail. »Auf uns, Geschäftspartner. Auf ganz neue Zeiten.« Sie stieß mit ihm an und wollte gerade trinken, als sie nochmal innehielt. »Aber in Zukunft ohne Maden.«

Sie tranken. Das darauf eintretende Schweigen war diesmal ganz und gar nicht unangenehm.

»Sag mal«, sagte Kay nach einer Weile, während sich ein wohliges Gefühl von Zugehörigkeit in ihr ausbreitete. »Was ich mich schon immer gefragt habe: Wie lange muss etwas tot sein, damit der Fund als Archäologie und nicht als Grabräuberei durchgeht?«

Venus

(Ein Intermezzo von Günther Kienle)

Eine Explosion in einer Bar hatte ich auch noch nie erlebt. Seit Minuten klingelten mir die Ohren. Ich hatte mich an Mora und Sora vorbeigeschlängelt, die versuchten die Ordnung wiederherzustellen, und war Nova gefolgt, die eine Gruppe Männer hinausgedrängt hatte. Wenn der Kurze nicht in der Bar auftauchte, fand ich ihn vielleicht irgendwo auf der Station.

Hier, in der Nähe der Dimensionsschleusen, steckte er schon mal nicht. So langsam ging er mir auf den Sack – wieder einmal.

Einer der Waffenchecks öffnete sich und ein Schwebetransporter kam mir entgegen. Er trug eine gewaltige Pappschachtel, auf der zahlreiche Warnhinweise in mehreren Sprachen klebten. Dahinter erschien eine der heißesten Frauen, die mir je begegnet waren. Ihre Haare schillerten in allen Regenbogenfarben, umschmeichelten die wohlproportionierten, ausgesprochen weiblichen Rundungen. Und wie sie lief, nein schwebte …

»Keine Nutten, hatte ich gesagt«, keifte ein Männchen. Es kam den Korridor entlang geschossen und reichte mir geradeso an die Brustwarze. Unwillkürlich musste ich an den Kurzen denken.

Die lebendig gewordene Venus von Milo sah ihn despektierlich an. Erstaunlich sanft erwiderte sie: »Zunächst erscheint mir der Singular angebracht. Oder siehst du außer mir noch jemanden?«

Der Mann schüttelte den Kopf. Ich schien für sie Luft zu sein. Andererseits erweckte ich sicher nicht den Eindruck, ich sei gewerblich unterwegs.

»Obendrein finde ich dein Frauenbild verstörend. Und drittens steht in meinem Arbeitsvertrag der Terminus Stripperin. Es mag Schnittmengen beider Professionen geben – was in meinem Fall allerdings nicht zutrifft.«

Das Männchen stand mit offenem Mund da, die Arme baumelten hilflos an den Seiten.

»Unseligerweise enthält genannter Vertrag einen Passus, der mich bei Personalengpässen zu sogenannten niederqualifizierten Aufgaben verpflichtet.«

Der Mann hob eine Augenbraue. »Also doch eine Nutte.«

»Au contraire. Ich liefere die Torte, aus der ich bei der Feier spri…«

»Pscht!«, rief der Mann. Er warf mir einen misstrauischen Blick zu.

Ich fühlte mich peinlich berührt, aber bevor ich ihn fragen konnte, ob er meinen kongenialen Schreibpartner getroffen hätte, fuhr die heiße Stripperin fort.

»Und danach bringe ich noch ein paar der speziell angeforderten … Getränke.« Sie sah kurz zu mir und wandte sich dann wieder an das Männchen. »Wenn ich das jetzt sagen darf.«

 

Aus einem der Waffenchecks trat die abgerissenste Gestalt, die mir je begegnet war. Dunkle Ringe zogen sich um die Augen des Mannes und sein rotes Oberteil starrte vor Schmutz und Löchern. Waren das Brandflecken? Unbekümmert zwinkerte er der Frau neben dem Schweberoboter zu.

»Na Süße, du brauchst doch sicher kein so schweres Gerät, um Männer abzuschleppen, oder?«

»Noch so einer, mit einem antiquierten Frauenbild«, rief die Stripperin. Sie bedachte ihn mit einer Reihe eloquenter Beleidigungen und zerzauste ihm die Haare.

Bevor ich das nächste Ziel der Dame werden konnte, schlich ich mich davon. Aussichtslos, hier länger auf den Kurzen zu warten.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?