Alvine Hoheloh

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Im nächsten Moment nahm Herr Sais ihr das Glas weg und führte sie energisch auf die Tanzfläche. Er wirbelte sie herum und glotzte dabei stolz in die Menge. Mehrmals und völlig überflüssigerweise drehte er sie, als wolle er sie präsentieren. Ihr wurde gewahr: Genau das beabsichtigte er! Er, vierzig Jahre älter, hatte einen fetten Fang gemacht. Obwohl ihre Eltern ihr monatelang erklärt hatten, dass sie schließlich bereits dreiundzwanzig sei und Herr Sais ihre letzte Chance wäre, noch dazu eine gute Partie. Er war es, der das bessere Geschäft abgeschlossen hatte! Bald schon nannte er ein blutjunges Ding sein Eigen, das er mit Juwelen behängen und präsentieren konnte wie ein Ausstellungsstück, wie eine Puppe. Alle alten Säcke im Raum reckten die Hälse nach dem neckischen Mädchen, das Berthold Sais sich geangelt hatte. Emmi wurde schlecht. Von ihrer Erkenntnis, von ihrem Verlobten und von der ganzen Dreherei. Sehr deutlich musste sie sich von ihm lossagen, knicksen und sich einen Moment für die Waschräume erbitten.

»Ich geleite Sie dorthin, Wilhelmine, Liebchen.« Es würde ihr wohl niemals möglich sein, ihn abzuschütteln!

Er führte sie am Empfang vorbei. Neben den Garderoben befanden sich die Toiletten. Noch immer tummelte sich eine lange Schlange von Leuten vor den Gastgeber*innen. Doch diese verstummte plötzlich. Daraufhin hielt auch Herr Sais inne und blickte interessiert zu dem Geschehen: Die Menge teilte sich und ein hochherrschaftliches Paar passierte den hohen Türbogen: »Großunternehmerin Alvine Fürstenberg nebst Ehemann Theodor Fürstenberg!«

Vermutlich war Emmis liebe Freundin die Einzige auf der Liste, die vor ihrem Gatten und mit Berufsbezeichnung genannt wurde. Emmi hielt den Atem an. Alvine schritt in einem blutroten, hochmodischen Ballkleid, das ihre schlanke Linie betonte, und mit einer Miene, die keine Schwäche zuließ, neben ihrem Liebsten, der viel breiter gebaut war, als es Emmis Erinnerung hergab. Theodor trug einen asphaltgrauen Frack mit einer Weste im gleichen Rot wie ihr Kleid darunter. Alvines wallende Lockenpracht wurde geschmückt durch rot glitzernde Röschenspangen. Strahlend begrüßten das Paar die Gastgeber*innen und wurde sogleich von den nächsten Gesprächspartner*innen aufgehalten.

»Wollten Sie sich nicht frisch machen, Liebchen?«, unterbrach Herr Sais Emmis Konzentration auf das sich ihr bietende Bild.

»Gewiss, nur erst möchte ich ein Wort an Frau Fürstenberg richten.«

»Bitte? Frau Fürstenberg hat doch anderes zu tun, als sich um Sie zu kümmern, mein Liebes.«

»Wir waren … wir sind befreundet.«

»Du kleines Plappermaul. Deine Eltern sagten mir schon, dass du noch allzu verspielt bist. Aber hüte dich, Fantasien dieser Art …«

»Sie duzen mich?«

»Wilhelmine, wie kannst du mich unterbrechen? Und natürlich, denn sobald wir verheiratet sind …«

Emmi wollte so gerne fliehen, doch Herr Sais hielt ihre Hand unter seinem Arm fest, wie in einem Schraubstock. Flehentlich sah sie sich zu Alvine um und versuchte, sie auf telepathischem Wege zu erreichen.

»Winnie, bitte sieh her«, formten ihre Lippen mit stetem Blick hinüber.

Und tatsächlich: Just in dem Moment schreckte die viel umworbene Frau auf und drehte sich zu Emmi um. Ein leuchtendes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, sie unterbrach gar das aktuelle Gespräch knicksend und zog Theodor sanft in Emmis Richtung. Je näher sie kamen, desto mehr entglitten ihre Gesichtszüge in Hinblick auf den Mann, der Emmis Hand festhielt und ihr offenbar einen Vortrag hielt. Und noch mehr sorgte sie wohl das kranke Aussehen ihrer Schulfreundin. Als Herr Sais merkte, dass die Eheleute Fürstenberg sich schnurstracks auf ihn und »seinen kleinen Spinner« zubewegten, blieb ihm das letzte Wort mit einem aberwitzigen Pfeifen im Halse stecken.

»Guten Abend, Emmi«, sagte Alvine schüchtern.

Die Angesprochene bekam kaum einen Ton heraus. Sie dachte, eine Berühmtheit vor sich zu haben – hatte sie auch! »Winnie …«, hauchte sie nur verliebt.

Für eine Sekunde schwiegen sie alle, dann rief Theodor: »Guten Abend, das ist meine Gattin und ich bin Theodor Fürstenberg. Habe die Ehre.«

Er bot Herrn Sais seine Hand dar, der geistesabwesend einschlug. Schließlich berappelte er sich offenbar und erklärte: »Meine Verlobte teilte mir soeben mit, dass die Damen befreundet seien. Sais mein Name, stets zu Diensten.«

Alvine und Emmi sahen sich immer noch entgeistert an. Ihre Blicke sprachen Bände. Wieder spürte Emmi, wie eng das vermaledeite Kleid und wie hungrig sie war. Ihr wurde bewusst, dass sie sehr bald die Frau von einem über Gebühr ermüdenden Gockel wäre. Ihre beste Freundin hatte es auf so lächerliche Weise erfahren. Jene, der sie vorgeworfen hatte, ihre Ideale zu verraten, weil sie einen hübschen Mann heiraten wollte, den sie liebte, und nun tat sie selbst etwas viel Schlimmeres! Wenn nicht zuvor schon, spätestens jetzt musste Alvine sie hassen. Emmi schämte sich, am liebsten wäre sie an Ort und Stelle im Boden versunken. Doch das Universum zeigte sich gnädig und schickte ihr eine Ohnmacht. Kraftlos sank sie zusammen, Alvine war die Erste, die ihr hinterherstürzte und ihren Kopf auffing, ehe er auf den Marmor zu ihren Füßen knallen konnte.

°°°

Emmi erwachte in ihrem Bett. Verwirrt blickte sie sich um. Sie trug eine frische Chemise, ein Unterkleid.

»Fräulein Emmi …«

Rupprecht saß auf einem Schemel neben ihrem Bett und sah müde aus. War er die ganze Zeit bei ihr gewesen?

»Wo ist Winnie?«, fragte sie als Erstes.

Ihr Diener lächelte mild und reichte ihr einen Zettel. In Alvines geschwungener Schrift stand darauf:

Es war mir eine Freude, dich wiederzusehen, und ich wünsche gute Besserung. Glückwunsch des Weiteren zur Verlobung – wenn ich irgendetwas für dich tun kann, lass es mich bitte wissen.

Deine Winnie

Nur zu gut wusste Emmi, was ihre Freundin mit dem letzten Teil meinte. Sofort brach sie in Tränen aus, rollte sich zusammen und umfasste ihre Knie.

»Fräulein …«, hauchte Rupprecht traurig.

Er hatte die Nachricht ebenso gelesen und gewusst, worauf Alvine hinaus wollte. Nur die Eltern Wändler und der maßgeblich unsympathische Knochen von Verlobten, hatten sie nicht durchschaut. Doch was könnte die Freundin auch tun?

Er wusste, Emmi konnte Alvine niemals mit ihrer Not belasten. Nachdem sie von ihren Eltern endlich weichgeklopft worden war, hatte sie der Verlobung schriftlich zugestimmt. Würde sie sich nun wieder weigern, ginge die Qual von Neuem los. Herr Sais war offenbar wild entschlossen, sie zu ehelichen und somit sicherlich bereit, noch einmal fünf Monate zu warten, in denen die Eltern Emmi einsperrten und von allen Seiten unter Druck setzten. Eine Flucht war unmöglich, Rupprecht hatte es im Kopf oft durchgespielt. Wohin sollte sie denn auch gehen? Das Fräulein verfügte über keinerlei Sicherheiten.

Er hasste sich einmal mehr dafür, dass er sie nicht retten konnte. Dass er nicht in der Lage war, sie zu ernähren. Letztlich war er zudem viel zu feige, sich seinem Herrn zu widersetzen. So haarte er neben ihr aus, mit hängenden Schultern und trauerndem Herzen.

»Ich werde heiraten, nicht wahr?«, fragte Emmi schließlich irgendwann.

»Es sieht ganz so aus.«

»Rupprecht, kannst du etwas für mich tun?«

»Ich würde so gerne, Fräulein. Sie glauben nicht, wie gerne ich Sie fortschaffen würde.«

»Das weiß ich, mein Lieber. Aber du kannst nicht, stimmt es? Du kannst deine Position nicht vergessen, handelst aus Dankbarkeit meinen Eltern gegenüber.« Sie raffte sich auf und lächelte ihn traurig an.

»Verzeihen Sie mir.«

»Schon gut, darauf wollte ich auch nicht hinaus.«

»Fräulein Emmi?«

Sie sah ihm tief in die Augen, sein Herz galoppierte.

»Ich heirate diesen Mann. Aber meine Jungfernschaft soll er nicht haben.«

Rupprecht verstand und schoss hoch: »Ich verabschiede mich hiermit, Fräulein.«

»Lass das! Ich weiß, du magst mich«, rief sie ihm nach.

Er hielt inne und drehte sich langsam zu ihr um.

»Denkst du, ich bin blödsinnig, Rupprecht? Ich weiß es längst. Wie du mich ansiehst, wie du mich umsorgst. Weil du mich lieb hast, nicht wahr?«

»Fräulein Emmi, was reden Sie nur?«

»Leugnest du es also immer noch?«, fragte sie und lächelte schüchtern. »Nun gut, dann tu’ es aus alter Freundschaft.«

Sie zog ihr Nachthemd über den Kopf und kniete sich hin.

Rupprecht hätte gehen müssen. Seine Moral schrie ihn an, er solle den Blick senken, sich verbeugen und verschwinden. Aber seine Augen hafteten an dem Anblick, der endlich nur für ihn bestimmt war.

Emmi sah, wie Rupprecht sich rückwärts entfernte, und erst dachte sie, er wolle tatsächlich nicht darauf eingehen. Allerdings zückte er den Zimmerschlüssel, verriegelte die Tür von innen und ließ ihn stecken. Dann kam er auf sie zu und beugte sich über sie. Sie lächelte erleichtert und legte sich hin.

»Zuvor muss ich etwas wissen«, flüsterte er, »magst du mich denn auch? Zumindest ein wenig?«

»Ein bisschen«, antwortete sie.

Rupprecht nickte und küsste sie zärtlich. Seine Haut war so fest und seine Lippen so warm, wie Emmi es sich stets vorgestellt hatte. Behutsam widmete er sich ihrem Hals, ihrem Dekolleté, massierte ihren vollen Busen. Emmi hatte gedacht, dass es sich hierbei um etwas Unangenehmes handeln würde, stellte allerdings schnell fest, dass es ihr gefiel. Nicht nur die Empfindungen, auch genoss sie den Anblick: den Gegensatz seiner schwarzen Haut auf ihrer kalkweißen. Und ihr gefiel, dass er offenbar wusste, wo er ihren Bauch küssen, welches Spiel seine Finger streichen mussten, um in ihrem Schoß prickelnde Reize zu wecken.

 

»Wo hast du das gelernt?«, hauchte sie.

»Man kommt so rum«, gab er nur zurück und streichelte sachte den Punkt zwischen ihren Leisten. Emmi schoss das Blut in den Kopf. Teils war es Eifersucht, da er offensichtlich mit anderen Frauen zusammen gewesen war, doch weit mehr trieben sie die körperlichen Empfindungen. Er war viel besser dazu in der Lage, ihrem Innersten liebliche Strömungen zu entlocken als sie selbst! Offenbar war sie stets zu harsch vorgegangen. Emmis Orgasmus ließ sie erbeben und Rupprecht hielt ihr den Mund zu, weil sie ihr Treiben sonst verraten hätte. Seufzend lag sie unter ihm, zitterte. Er öffnete beiläufig seine Hose und entblößte sein steifes Glied. Ehe sie einen genaueren Blick darauf werfen konnte, verbarg er sich – anscheinend aus Scham. Behutsam spreizte er ihre Beine und sah ihr tief in die Augen. Sie nickte lächelnd.

»Ich habe nichts zur Verhütung dabei«, sagte er, »ich werde aufpassen, so gut ich kann.«

Emmi verbannte den Gedanken daran, dass ihre Periode in Folge der Gefangenschaft ausgeblieben und sie so ohnehin nicht ausmachen konnte, wann ein gefährlicher Tag war, selbst wenn sie wüsste, wie genau sie so etwas ausrechnen sollte. Sie wollte darüber nicht nachdenken. Nicht an morgen, nicht an übermorgen. Sie war hier mit ihm. Dem einzigen Menschen, der sie wohl wirklich lieb hatte. Statt ihm zu antworten, schmiegte sie sich enger an ihn.

Sachte und liebevoll drang er in sie ein. Sie verspürte ein kurzes Piksen, dann nur Wärme, die mit seinen Bewegungen zu Hitze verschmolz. Emmi merkte erst, dass sie wonnevoll stöhnte, als er ihr wieder vorsichtig den Mund zuhielt. Von ihm war nur ein schweres Atmen zu vernehmen, die ganze Zeit sah er ihr ins Gesicht. Sein kommender Höhepunkt ließ ihn heiße Luft durch die gefletschten Zähne ausatmen. Sogleich zog er sich aus ihr zurück und ergoss sich auf dem Laken. Schleunigst schloss er seine Hose, Emmi setzte sich auf und sah ihren Schoß an. Sein Samen vermischte sich mit ihren Säften, die aus ihrer Vagina getropft waren. »Nanu?«

Er erriet ihre Gedanken: »Nicht alle Mädchen bluten beim ersten Mal.« Er nahm schon wieder Haltung an, als sei nichts zwischen ihnen passiert.

»Du kennst dich also bestens aus!«, spottete sie.

»Nun ja, da es dazu diente, Ihnen auch etwas Genuss zu bescheren, Frau Emmi, bin ich zufrieden.«

»Was denn, willst du ein Dankeschön von mir?«

»Gewiss nicht. Mir liegt nur Ihr Wohl am Herzen.«

»Rupprecht, lass das endlich. Wir haben gerade Liebe gemacht. Also komm gefälligst wieder her und lieg noch etwas bei mir. Das geht doch so, oder?«

Daraufhin lächelte er und bettete sich neben sie. Sie verknoteten ihre Finger, Emmi legte den Kopf auf seine Schulter. »Rupprecht …«, sagte sie irgendwann, »ich danke dir, das war wirklich schön. Ich bin froh, dass es mit dir war.«

»Emmi, meine Liebe. Ich möchte noch etwas sagen …«

Sie unterbrach ihn und küsste ihn vorsichtig auf die Lippen. »Tu es nicht, guter Freund. Lass es einfach so.«

»Wie du willst.«

Und so hielt er sie nur für einige stille Minuten.

Streit

Alvine folgte den beiden Kellnern, die ihre ohnmächtige Freundin in ein Separee trugen. Ein auf der Feier anwesender Arzt untersuchte Emmi dann und verbürgte, dass sie unverletzt war und nur schlief. So konnte sie schließlich behutsam in ein Fahrzeug gebettet und heimgefahren werden. Alvine war bei ihr geblieben, bis sie dort auf dem Rücksitz lag und blickte dem Wagen nach, als er vom Hof fuhr.

In der Zwischenzeit traf Theodor auf seinen Kameraden Bader, der gerne wortkarg blieb. Doch an diesem Abend schien der junge Mann wie ausgewechselt. Er trug seine asphaltgraue Uniform mit schmucken Schulterstücken und Troddeln daran. Zudem begleitete ihn eine Gruppe Gleichaltriger, die die anwesenden Damen fleißig betanzten. »Wir sind auf Brautschau«, erklärte Bader augenzwinkernd.

»Sieh an! Und auf welche hast du ein Auge geworfen?«

»Diese dort würde mir zusagen«, er deutete auf eine rundliche Blondine, »die könnte mir gewiss eine ganze Bande arischer Buben gebären.«

Theodor schnappte nach Luft, doch ehe er einen Ton herausbekam, tauchte Wester hinter ihm auf. Auch ihn schmückte die Galaversion seiner offiziellen Uniform und er fragte sogleich, wo sich denn die Fürstenbergerin aufhielt.

»Ich erwarte sie jede Minute zurück, sie kümmert sich um eine Freundin«, erklärte der Gefragte abwesend.

»Weißt du, was mir da gerade einfällt«, lenkte Bader ab, »du solltest dich uns anschließen. Was meinst du, Kamerad Wester? Wäre Fürstenberg nicht wie geschaffen für unsere Partei?«

Als Theodor die anderen Herren in der Runde betrachtete, erkannte er sie als jene, die er von Arbeitswegen her mied. »Was genau hätte ich in eurem Verein verloren?«

»Sieh dich doch an: Wärst wie geschaffen als Blickfang«, lachte Bader.

Offenbar hatte ihm der Wein zugesetzt. Bis vorhin hatte Theodor ihn noch gut leiden gemocht, aber dann hatte er seinen Wahnwitz bewiesen. Da er mit ihm und Wester zwangsläufig weiterhin zu tun haben würde, bemühte sich Theodor um Diplomatie: »Bedaure, das liegt nicht in meinem Interesse.«

Wester hatte die Szene aufmerksam verfolgt und als dieser Fürstenberg es wagte, das Angebot auszuschlagen, dampfte er ab. Bestürzt hatte er festgestellt, dass dieser Schönling von Fürstenberg tatsächlich ein noch besseres Aushängeschild für seine Partei wäre, als er mit seinen Hamsterbacken und den schiefen Zähnen. Der Abend wurde für Wester immer schlimmer: Keine der Damen hatte seine Aufforderung zum Tanz bejaht und nun das. Getroffen widmete er sich dem Buffet.

»Na der hatte es ja eilig«, meinte Bader nachdenklich.

»Entschuldige mich. Ich werde nach meiner Frau sehen«, erwiderte Theodor, und zum Glück sah er sie auch aus dem Separee kommen.

Ehe sie sich wahrhaftig auf diese Truppe hätte zubewegen können, schlug Theodor vor seinem Kameraden zum Abschied die Hacken zusammen und steuerte auf Alvine zu.

»Was ist denn los?«, fragte diese flüsternd auf das Gebaren ihres Liebsten eingehend.

»Komm einfach weg von hier. Mit denen willst du nichts zu tun haben.«

»Ist er ein Freund von dir?«

»Ich werde solche Antisemiten niemals zu meinen Freunden zählen, Alvine.«

Erst als sie im Landaulet saßen, den Dorothea ihnen für diesen Abend nebst Fahrer geliehen hatte, konnte sie genauer fragen: »Er trug so eine Uniform wie du – ist er aus deinem Korps?«

»Bedauerlicherweise ja. Doch was für ein jämmerlicher Narr er ist, habe ich erst vorhin gemerkt. Während der Übungen erschien er mir eher kameradschaftlich und sympathisch.«

»Nun ja, offenbar schließt die Gesinnung nicht die Begabung aus.«

»Aber den Verstand!«

»Sei es drum. Solange er kein Kriegstreiber ist, soll er doch denken, was er will. Die Menschen werden schon noch erleuchtet.«

»Deinen Optimismus in Gottes Ohr, in welcher Realität, der auch immer stecken mag.«

»Nanu, wurde dir der Glaube ausgetrieben?«, fragte sie lächelnd.

Zu ihrer Überraschung antwortete er: »Sag mir, was ich denn glauben soll, Alvine. Seit jeher erschien mir das Konzept der Kirche fragwürdig. Und gerade du, die aufgrund ihres Geschlechts systematisch unterdrückt wird, sollte zweifeln.«

Sie betrachtete sein Profil, bis er sich zu ihr umsah. »Theodor, was muss ich da hören? Weißt du nicht mehr, was ich dir vor einigen Jahren erzählt habe? Dass ich zwar evangelisch gesegnet bin, aber deswegen noch lange nicht nur dem christlichen Glauben folge.«

»Gewiss erinnere ich mich. Mir ist dennoch unerklärlich, wie du allein bei den aktuellen Ereignissen auf einen wohlwollenden Lenker vertrauen kannst. Wenn es einen Gott gibt, so meint er es nicht gut mit uns. Sonst würde er nicht zulassen, dass unser Kontinent in einen Krieg getrieben wird.«

Sie starrte ihn an, ehe sie stotterte: »Es ist dahingehend … nichts entschieden.«

»Doch Alvine. Es ist nicht die Frage ob, sondern wann es zum Kampf kommt! Dass unser immerfort aufstrebendes Reich weltpolitisches Gebaren von sich zu geben wagt, stößt den anderen sauer auf. Wir sind zu gleichen Teilen wie sie verpflichtet, aber nicht berechtigt. Dass wir nun nach Höherem streben, wird unterbunden – notfalls gewalttätig. Sollen wir uns diese Ungerechtigkeit gefallen lassen?«

»Wie kannst du so etwas sagen?«, ihre Stimme war brüchig, »Verstehen tut die große Politik kaum mehr einer. Verheddert haben sich die Staaten in ihrem System von Bündnissen und Interessenkoalitionen. Bei so vielen Handlungszentren – alles hängt mit allem zusammen – was soll das für ein Krieg werden? Jeder gegen jeden?«

Oh wie naiv sie doch ist, dachte er, lächelte beschwichtigend und zog sie an sich. »Meine Süße, mach dir keine Sorgen. Es wird für uns glimpflich verlaufen – die Veränderung wird durch den baldigen Kampf vorangetrieben.«

Sie stieß ihn weg: »Du spinnst! Genau wie die anderen Scharlatane. Wie nur kommst du auf die Idee, dass es etwas Gutes ist, Menschen zu töten?«

»Das ist der Kreislauf, Weib! Das Gesetz des Stärkeren. Wieso sollen wir uns kleinhalten lassen wie ein dummer Michel?«, brummte er, »Und unsere Gelegenheit endlich an den Platz zu gelangen, der uns gebührt?«

»Uns?«

»Unserem Reich, unserer Geschichte! Es ist unsere Prädestination, Alvine!«

In diesem Moment hielt der Wagen vor ihrem Heim und wie angestochen sprang Alvine hinaus und rannte ins Haus.

Theodor bedankte sich noch beim Fahrer, gab ihm ein Trinkgeld und folgte ihr in stoischer Ruhe. Im Schlafzimmer erwartete ihn seine wunderschöne, wütende Frau, deren Augen erbost blitzten. Tapfer, nahezu euphorisch nahm er ihren Schwall an Beschimpfungen hin, den Alvine für ihn bereithielt. Er fand sie allzu bezaubernd, da er wusste, dass sie sich nur um ihn sorgte und als sie sich heiser gebrüllt hatte, erklärte er: »Ich bin dort gewesen, Alvine. Habe gesehen, welche Kampfkraft uns zur Verfügung steht. Und ich bin Teil davon. Elite, Stolz und Krieger für mein Reich und alle, die darin leben.«

»Krieger? Ein Teufel bist du. Söldner! Ein Mörder willst du sein!«

»Nein, Geliebte, das will ich nicht. Aber wenn es um das geht, was ich liebe, dann bringe ich die Opfer, die es braucht. Ich lasse mein Vaterland in der Stunde der Gefahr nicht im Stich.«

Seine Stimme bebte vor Unbeugsamkeit und Ehre, sodass ihr die Knie weich wurden. Sie verfluchte sich dafür, dass sein Selbstbewusstsein ihr imponierte und sie nicht fähig war, ihn für den Gesang einer Kriegssinfonie zu hassen. Als er sie an sich riss, gelang es ihr nicht, ihn wegzuschieben. Erzürnt trommelte sie gegen seine breite Brust, es machte ihm kaum etwas aus. In seinen Augen leuchtete Begierde und nun beugte er sich hinab, um sie zu küssen.

Sie wich aus und fauchte: »Oh, wage es nicht! Denkst du, ich setzte ein Kind von einem Delinquenten in eine Welt, die brennen wird?«

»Für unsere Kinder tue ich all das doch, Alvine. Sie sollen in einem Land aufwachsen, das erhaben ist, das ihnen Sicherheit gewährt und eine famose Zukunft. Und auch für dich! Es wird mir eine Ehre sein, für dich in den Krieg zu ziehen.«

»Was nutzt mir das, als Witwe?«

»Sag das nicht. Ich werde zu dir zurückkommen. Und nun still – höre auf, dich zu sorgen.« Er schmiegte sich wieder an sie. »Du bist wunderschön, wenn du wütend bist. Aber weißt du: Lüstern bist du noch hübscher.«

»Das wirst du lange nicht sehen. Ich gehe mit keinem Kriegstreiber ins Bett!«

»Ich bin keiner. Nur rational. Und sobald es zum Kampf kommt, werde ich vorbereitet sein.«

Theodor küsste ihre gefurchte Stirn, dann ließ er sie los. Wie ein Reh entsprang sie ihm und lief auf die andere Seite des Raumes. Spöttisch zog er die Augenbrauen hoch und lächelte, als er fragte: »Willst du, dass ich heute auswärts schlafe, Liebste?«

Alvine quälte die Wut. Sie wusste nicht, wie sie diese neue Seite an ihrem Gatten beurteilen sollte. Trotzdem sie gruselte, was er sagte, klang ihre Liebe zu ihm keinen Deut ab. Und dass er nun wegging, wollte sie schon gar nicht. Ihr Stolz verbot ihr allerdings, ihm das zu gestehen. Also entschwand sie und sperrte sich im Badezimmer ein.

 

Während sie sich bettfertig machte, wollte sie die Wut erhalten, aber stattdessen flammte Sorge um ihn auf. Was, wenn er recht hatte? Was, wenn die hohe Macht doch nicht gütig war und die Fehde nicht zu verhindern gedachte? Immerhin hatte Gott dafür gesorgt, dass Emmi auf einen Kerl hereinfiel, der zu alt und gewiss nicht gut genug für sie war. Und nun war aus ihrem besonnenen und einst so empfindsamen Theodor ein eiskalter Freischärler für den Krieg geworden. Welche Prüfung bürdete das Universum ihr damit auf? Gewiss, Gott gab und nahm – aber warum ihren Mann? Gerade jetzt, da sie sich so wundervoll verstanden?

Alvine strich über ihren Bauch. Nein, ein Kind wollte sie jetzt noch nicht von ihm. Nicht, solange ihre Welt aus den Angeln geraten war. Seit ein paar Monaten versuchten sie, schwanger zu werden. Dass es bisher nicht geklappt hatte, obwohl sie fleißig dabei gewesen waren und beide gesund schienen, schob Alvine nun darauf, dass der Zeitpunkt nicht der richtige war, dass das Universum ihr das Kind versagte, solange die Welt um sie herum so unsicher blieb.

Sie zog ihr Nachthemd an und betrat das Schlafzimmer. Theodor stand mit dem Rücken zu ihr am Fenster. Er trug nur seine Schlafanzughose, die Arme verschränkt über seinen gestählten Oberkörper und lächelte sie liebevoll an. Alvine schenkte ihm einen Todesblick, wies ihn aber nicht vor die Tür, sondern legte sich ins Bett. Als er ihr folgte, rutschte sie demonstrativ von ihm ab und er ließ sie in Ruhe.

Sie umschlichen sich tagelang und sprachen kein Wort miteinander, obwohl sie nach wie vor das eheliche Lager teilten.

Irgendwann gab er nach und nahm sie in den Arm. Sie wehrte sich nicht.

»Liebste, ich weiß, du hast Angst. Aber eines musst du wirklich begreifen: Der Sieg ist gewiss. Es wird alles gut gehen. Wenn schon dein Gott nicht gütig sein kann, so sind es doch die meisten Menschen. Und ich wiederhole: Natürlich bin ich für den Frieden. Aber sollte der keine Option sein, so sehe ich mich gezwungen, mein Land zu beschützen. Krieg wäre ein legitimes, wenn auch nicht wünschenswertes Mittel, unsere außenpolitische Lage zu verbessern, da stimme ich mit unseren Entscheidungsträgern überein …«

»Sei still, Theodor! Ich bin keine, die du mit deinen Phrasen überzeugen musst.«

»Wie du möchtest.«

»Versprich mir nur eines: Sei vorsichtig!«

»Gewiss.«

Ihr jüngster Zwist rumorte eine ganze Weile in Alvine, sodass sie lange nicht bereit war, sich ihrem Mann hinzugeben. Aber die Zeit, die sie gemeinsam verbrachten, war wie immer knapp. Tagsüber schaffte sie in der Fabrik, stritt mit Lieferant*innen, gesellschaftete mit Kund*innen, schmierte Geschäftspartner*innen Honig ums Maul, denen am breiten Eichentisch ein reiches Mittagessen kredenzt wurde. Zwischendurch verunsicherte sie der Kriegstaumel ihrer Mitmenschen. Theodor musste nach wie vor alle paar Wochen zum Übungsdienst. Und obwohl seine Abwesenheit nur tageweise war, vermisste Alvine ihn schmerzlich. Die restliche Zeit arbeitete er das dadurch verpasste Studienmaterial auf und ging immer noch seiner Tätigkeit bei den Sozialdemokrat*innen nach. Wenn sie beide nach Hause kamen, herrschte von ihr aus Eiseskälte, obwohl ihr seine Nähe fehlte. Ihr Stolz war allerdings stärker, sodass sie nur stückchenweise zuließ, dass er sie berührte.

Sie spürte, dass es Theodor rasend und zusehends verrückter nach ihr machte.

Vor einigen Monaten war sein Vorbild verstorben und trotzdem ihm ebendiese Zustimmung fehlte, wähnte er sich, ob des Lobes das er vom Major erhielt, in einer euphorischen Lebhaftigkeit. Immerhin hatte sich der Protektor aus seiner Partei bereits vor Jahren zunehmend zurückgezogen und dementsprechend am Ende wenig Beachtung für ihn übrig gehabt.

Anfangs hatte Theodor daran arg zu knabbern gehabt, mittlerweile überraschte es ihn eher, wie wenig es ihn störte. Zweifelsohne bedrückte ihn der Verlust des großen Mannes, der über sie alle, einem Schutzpatron gleich, gestrahlt hatte. Sein Dahinsiechen war seinerzeit für die meisten aber so schleichend gekommen, dass die Gewöhnung griff und ein weit kleineres Stück aus ihren Herzen gerissen wurde, als sie befürchtet hatten. Theodor leuchtete innerlich vor Stolz, dass er auf die Zuwendung dieses Menschen nicht mehr angewiesen war. Immerhin, das erkannte er jetzt, hatte sein Bedürfnis nach der Anerkennung der Parteispitze einer Sucht geglichen.

Einzig Alvine sah, dass er aus seinem Kriegsdienst und der damit verbundenen Anerkennung die gleiche Genugtuung zog, wie einst von der Würdigung, die ihm sein Patron hatte zukommen lassen.

Doch ihr Gatte belächelte ihre Auslegung: »Ich bin von niemandes Lob abhängig, Weib!«

Diese Bezeichnung nutzte er neuerdings halb scherzhaft, halb ausdrücklich dafür, dass keine Diskussion erwünscht war. Das regte sie furchtbar auf. Vor allem, dass sie ihm daraufhin zumeist Folge leistete. Jedoch rief er sie nie vor Dritten so und schon gar nicht vor ihren Arbeiter*innen. Innerhalb der Fabrik sowie auf Abendveranstaltungen und auch zu Hause, gönnte er ihr mit Freuden das Rampenlicht. Niemals untergrub er ihre Würde oder käme auf die Idee, sie vor anderen bloßzustellen. »Weib« nannte er sie nur in ihrer Zweisamkeit, in der er mittlerweile die Führung genoss.

Alvine erschreckte es, wie sehr es sie erleichterte, nicht immerzu alles leiten zu müssen. Im Schlafzimmer mit ihrem Mann erlaubte sie es sich, sich gehen zu lassen. Sobald Theodor sie nahm, gelang es ihr, ihre Sorgen zu vergessen, den Kopf auszuschalten und endlich ihre Beherrschung zu verlieren. Wenn seine Penetrierung besonders heftig war, schrie sie völlig von Sinnen seinen Namen. Diese Art der Ekstase hätte sie sich früher nie gestattet. Sie liebte es, dass er die Kontrolle über sie hatte – wenn ihre Schirmherrin das wüsste!

Wenn sie wüsste, dass Theodor seine Ehefrau wenige Wochen nach diesem heftigen Streit wieder mit Pellkartoffeln und Butter füttern gedurft hatte, während sie auf dem Sofa kuschelten und sie dann innig küsste. Natürlich hatte Alvine sich zunächst gesträubt.

»Bist du immer noch bockig, Liebste?«

»Das hat nichts mit einer Laune zu tun. Ich bin schockiert, wie sehr du dich verändert hast.«

»Aber ich bin zufrieden – zählt das gar nichts?«

»Warst du es vorher nicht?«

»Fangfrage!«

»Eine Berechtigte!«

Er antwortete nicht, sondern küsste Alvine. Die machte Anstalten zu entwischen, doch er hielt sie auf und sagte: »Nun reicht es, Weib. Ich vermisse dich fürchterlich. Lass uns ins Bett gehen.«

Sie ließ es zu und genoss die Zuwendung, die er ihr schenkte. Nach der sie sich weit mehr verzehrt haben dürfte als er, da es für sie die einzige Möglichkeit war, ihren alltäglichen Stress abzubauen.

Die Krämpfe ihrer Monatsblutung begannen, als Alvine Theodor bereits vereinnahmt hatte. Und wie immer, wenn sie sich während ihrer Periode liebten, schüttelten sie die Wellen aus Schmerz und Orgasmen bis in die Fingerspitzen. Sie atmete heftig und völlig unrhythmisch zu seinen Bewegungen, alles schien sie zu überrollen. Ihre Angst um ihn, ihre Wut, ihre Liebe, die Krämpfe und die leidenschaftliche Energie.

Mit jedem Tag wurden ihre Gefühle für Theodor vielfältiger, wurde sie abhängiger von dem, was er ihr gab. Sie wollte sich dafür verachten, wusste aber, dass es längst zu spät war. Alvine liebte ihn mehr als ihr Leben und wie sollte sie das überleben, wenn sie nicht lernte, damit umzugehen?

Sie war in all den Monaten nicht schwanger geworden. Und nun wollte sie es erst einmal nicht mehr versuchen, hatte Alvine gesagt. Theodor fragte sich, ob etwas mit ihm nicht stimmte und woran es lag, dass andere junge Paare so bald Eltern wurden. Er konnte die Erklärung, dass es für sie beide einfach noch nicht so weit war, nicht für sich hinnehmen. Viel eher wäre doch eine*r von ihnen einfach nicht … er vergaß seine Gedanken, als sie ihn an seiner empfindlichsten Stelle küsste.

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