Tierisch gute Gespräche

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Kapitel 1:
Das widerwillige Medium

In seiner seltsamen, nicht ganz menschlichen Art erinnert mich Adam immer wieder daran, dass der wahre Zauber nicht durch eine perfekte Erscheinung zu erreichen ist. Er ist nicht in Aschenputtel auf dem Ball zu finden, mit ihren beiden Glaspantöffelchen und der umwerfenden Frisur. Der wahre Zauber ist im Kürbis, in den Mäusen, im Mondschein; nicht jenseits des alltäglichen Lebens, sondern in ihm... Er ist die Aufmerksamkeit, die man dem normalen Leben zollt, die so liebevoll und innig ist, dass sie fast Anbetung ist.

Martha Beck, Expecting Adam

Rodney spricht

Ich war ziemlich skeptisch, als ich meinen Kater Rodney eines Morgens vor vierzehn Jahren in den Katzenkorb steckte, um ihn zu der holistischen Tierklinik zu bringen, wo sich ein Medium die Tiere anschaute, und so wäre es wohl jedem vernünftigen Menschen ergangen. Ich hatte etliche Probleme mit Rodney, bei denen mein Tierarzt nicht helfen konnte, und so wollte ich es bei dem Medium versuchen. Es war irgendwie verrückt, und ich kam mir ein bisschen albern vor, aber was hatte ich schon zu verlieren? Egal, sicherlich gab es etwas zu lachen.

Ich dachte damals – und einige von euch denken sicherlich genauso - dass das Geschäft mit dem Übersinnlichen entweder der reinste Mumpitz war oder aber eine feierliche, mystische Angelegenheit, bei der Zigeunerinnen Räucherwerk verbrannten und seltsame Hexen in Kristallkugeln blickten. Mir sollten die Augen geöffnet werden!

Gladys, das Medium, hatte keinen dicken Eyeliner aufgetragen, keine goldenen Reifenohrringe oder rasselnde Zauberarmbänder. Sie glich weniger einer wahrsagenden Zigeunerin als einer Großmutter aus dem mittleren Westen. Auf ihrer Bluse hatte sie Ketchup-Flecke. Ich war verblüfft.

Als ich Rodney aus dem Korb zog und ihn auf den kalten Metalltisch vor ihr setzte, heulte er nicht etwa los wie eine Autosirene. Er sprang auch nicht vom Tisch, wie er das beim Tierarzt normalerweise tat. Statt dessen saß er bewegungslos und musterte Gladys ruhig. Er schien überrascht zu sein, sie zu sehen. Sie erwiderte seinen Blick.

„Was tust du?“ flüsterte ich ihr zu.

„Ich spreche mit ihm“, antwortete sie rundweg.

„Das kann doch nicht dein Ernst sein!“ wollte ich brüllen. Keine Beschwörungen? Keine ausladenden Armbewegungen? Kein Sprechen in Zungen? Meine Neugier besiegte meine Skepsis.

„Was sagt er?“ flüsterte ich.

„Ich fragte ihn, was er am liebsten frisst, und er sagt Huhn.“

Gut geraten, dachte ich. Rodney verschlang tatsächlich ziemlich viel frisches Huhn, aber welche Katze mag schon kein Huhn? Darauf hätte wirklich jeder kommen können.

„Jetzt frage ich ihn nach seinem Lieblingsplatz im Haus“, sagte sie. Wieder sah Gladys den kleinen Kater nur an, und er erwiderte verblüfft ihren Blick.

Die Antwort musste ihr zugeflogen sein: „Er sagt, er liebt es, auf dem Rücken eines orangefarbenen Stuhles zu sitzen, von dem er einen Blick auf ein Fenster hat. Ein Stuhl in einer Nische.“ „Das ist völlig richtig!“ Ich konnte es nicht fassen. Wenn Rodney im Haus war, machte er es sich auf dem Rücken des pfirsichfarbenen Sessels in der Nische bequem.

„Vom Fenster in der Nische blickt man in den Garten mit dem kleinen weißen Hund“, sagte Gladys.

„Welcher Hund“? fragte ich.

„Auf der anderen Straßenseite ist ein kleiner Hund hinter einem Zaun. Rodney geht gern hinüber, um ihn zu necken. Er stolziert vor dem Zaun auf und ab, um den Hund zum Bellen zu bringen.“

Ich warf ihm einen kalten Fischblick zu. Es gab tatsächlich einen kleinen weißen Terrier hinter einem Zaun über der Straße, aber ich hätte mir niemals träumen lassen, dass Rodney hinüber ging. „Du quälst den Hund, nicht wahr?“ knurrte ich ihn an. „Er ist sehr von sich überzeugt“, fuhr sie fort. „Er sagt, dass Frauen immer Bemerkungen über die hübsche gelbe Zeichnung auf seinem Kopf machen. Er liebt Frauen. Sie sagen ihm, dass er attraktiv ist.“ Mein Kiefer klappte so weit nach unten, dass er mit einem unangenehmen Geräusch auf dem Linoleumfußboden aufschlug. Die Sekretärin meines Freundes hatte uns erst letztes Wochenende in unserer Wohnung besucht und ein riesiges Getue um Rodney gemacht. Sie hatte die drei kleinen Streifen auf seinem Kopf gepriesen und das Wort attraktiv benutzt.

Ich holte tief Atem und schlug zurück: „So, und warum rennt er dann miauend von Tür zu Tür?“

„Er heult nur vor den Fenstern, wo es andere Katzen gibt. Er glaubt, dass sie herauskommen, wenn er ruft, und mit ihm spielen. Er ist einsam.“

Die Antwort war so einleuchtend, dass ich mir ziemlich dumm vorkam. Hätte ich es mir nicht denken können, dass er nicht wegen der Nachbarn miaute, sondern wegen der Katzen der Nachbarn.

„Aber... wie kann ich ihn davon abbringen, bevor wir aus unserer Wohnung geworfen werden? Ich bringe es nicht über mich, ihn drinnen einzusperren, und wenn ich ihn herauslasse, schreit er“, jammerte ich.

„Hol dir noch eine Katze. Er ist einsam. Er will nicht die einzige Katze sein“, schnauzte sie zurück. Sie konnte eigentlich gar nicht wissen, dass Rodney die einzige Katze zu Hause war; trotzdem war ich nicht besonders begeistert über ihre Empfehlung. Schon eine einzige Katze machte mehr Ärger, als ich mir je hätte träumen lassen. Das kleine kuschelige Etwas mit der durchdringenden Stimme hatte uns bereits unser letztes Zuhause gekostet, und jetzt drohte der Hauseigentümer-Verband mir und meinem knirpsigen Pavarotti schon wieder mit Kündigung... An eine zweite Katze war gar nicht zu denken. „Wusstest du, dass deine Nachbarn ihn füttern?“ fuhr sie fort. „Was? Welche Nachbarn?“ „Die Nachbarn mit den zwei kleinen Mädchen. Er geht in ihre Wohnung. Mehrere Nachbarn lassen ihn in ihre Wohnung und füttern ihn.“ Ich kannte die Familie mit den zwei kleinen Mädchen, aber ich hatte keine Ahnung, dass sie meinen Kater zum Abendessen einluden.

„Deshalb ist er neuerdings nicht besonders hungrig.“

Ich warf einen vorsichtigen Blick in Rodneys Richtung. Er hatte es sich auf dem kalten Tisch bequem gemacht. Er war ruhig, er war selbstgefällig, und der Ausdruck seines kleinen pelzigen Gesichts war unmissverständlich: Er lächelte. Er bekam endlich mein Bestes, das ihm seiner Meinung nach immer zustand.

Das Seltsame an der Kommunikation hatte sich jetzt verloren, und ich hatte keine Scheu mehr, Fragen zu stellen. Ich fühlte mich wie ein ausländischer Botschafter mit einem sehr effizienten Dolmetscher:

„Frag ihn, warum er auf meine Kleidungsstücke pinkelt“, sagte ich.

„Er will nicht, dass du fortgehst und ihn allein lässt. Auf deine Kleider zu pinkeln ist die einzige Möglichkeit für ihn, seinen Zorn auszudrücken.“ Das durfte einfach nicht wahr sein. Ich hatte einen Werbejob als Model, für den ich manchmal an Wochenenden abwesend war und bei dem ich eine bestimmte Uniform tragen musste. Wenn ich Sonntag nachts nach Hause kam, leerte ich meinen Koffer und warf meine Uniform mit der restlichen Schmutzwäsche auf einen Haufen auf dem Fußboden. Dann wurde ich oft von anderen Hausarbeiten abgelenkt. Später fand ich meine Kleidung über den ganzen Fußboden verstreut. Rodney hatte sich meine Uniform aus dem Haufen herausgesucht und gezielt auf sie gepinkelt. Als ich schließlich dazu überging, meine Wäsche nicht mehr auf dem Fußboden liegen zu lassen, pinkelte er direkt in meinen frisch gepackten Koffer. Erst als ich meine Tasche in Palm-Springs auspackte, entdeckte ich, dass alles völlig durchnässt war und die Uniform zum Himmel stank.

„Er scheint die Uniform zu kennen, die ich trage, wenn ich fortgehe. Wie kann er denn wissen, welche Kleidungsstücke ich bei der Arbeit trage?“ fragte ich.

„Er weiß es eben“, antwortete sie. „Warum flippt er jedes Mal aus, wenn ich fortgehe? Er scheint sogar Angst vor der Dunkelheit zu haben. Bitte frag ihn, warum er um drei Uhr morgens Schreikrämpfe bekommt. Frage ihn, woher er stammt“, drängte ich.

„Er sagt, dass er in einem Industriegebiet von Van Nuys lebte, wo es viele streunende Katzen gab. Die Männer fütterten die Katzen auf dem Fabrikgelände. Es gab dort Kartonstapel und Maschinenteile und viel Fett auf dem Boden. Er wurde nachts im eiskalten Lagerhaus eingeschlossen und war sehr hungrig. Nur weil er so laut heulte, konnte er gefüttert werden. „Hat er wirklich Angst vor der Dunkelheit? Und hat er Klaustrophobie?“ fragte ich.

„Nur nachts“, sagt er.

„Armer, kleiner Kerl", girrte ich und tätschelte seinen Kopf. Ich sah jetzt unser altes Dilemma in einem ganz neuen Licht. Alles wurde plötzlich klar. Ich hatte Rodney im Tierheim in Nord Hollywood im Pennerviertel gefunden. Als ich den Raum betrat, brachte mir das Kätzchen mit der Pose eines Opernsängers ein Ständchen, und als ich in seinen Käfig spähte, streckte es mir die Nase so aufdringlich entgegen, dass ich meinte, in den Lauf einer Schrotflinte zu blicken. Rodney war nicht mein Typ. Ich suchte einen vierbeinigen Marlon Brando, keinen Woody Allen. Aber als ich ihn hochhob, geschah etwas Unerhörtes. Er schlang seine winzigen Pfoten um meinen Hals, als wären es zwei besessene Pfeifenreiniger. Dann streckte er mir sein kleines Gesicht entgegen und hatte mich auch schon auf die Lippen geküsst. Es war der berechnendste Kuss, den ich jemals in meinem Leben empfangen habe. Damit hatte mich der kleine orangefarbene Geschäftsmann gewonnen. Er war im Grunde nur ein vorlauter, spitznasiger Rotschopf, ein Standardmodell unter den Katzen, aber er hatte ganz sicherlich das gewisse Etwas.

„Was denkt er über mich?“ fragte ich.

„Er liebt dich. Er sagt, dass er sein Frauchen liebt.“

 

In letzter Zeit benahm er sich meinem Freund gegenüber ziemlich aggressiv. Jedes Mal, wenn Benjamin mich vor ihm berührte, griff Rodney ihn wie ein Rasender an und verschwand danach aus dem Zimmer. So musste ich fragen: „Was denkt er über meinen Freund?“

Die Antwort war: „Er ist sehr eifersüchtig. Er will dich ganz allein für sich haben. Manchmal wünscht er sich, dass dein Freund einfach geht.“ Oh, dachte ich, mir geht es manchmal genauso. Nachdem ich dem Medium die $35 bezahlt hatte – ein läppischer Betrag, wenn man bedenkt, dass meine Welt soeben auf den Kopf gestellt wurde -, ergriff ich den kleinen Kater und setzte ihn in seinen Korb. Ich merkte, dass sich meine Beziehung zu ihm schon verändert hatte. Ich ging sorgfältiger mit ihm um als gewöhnlich. Er war nicht mehr nur ein kleines lärmendes Haustier. Er war ein intelligentes Geschöpf mit eigenen Gedanken und Gefühlen, ein Geschöpf, das beobachten und nach seinen Beobachtungen handeln konnte, ein Geschöpf, das logisch denken konnte.

Während der Fahrt nach Hause war dicke Luft zwischen uns. Ich hatte Rodney niemals so selbstgefällig und zufrieden gesehen. Zum ersten Mal strahlte er wirklich Ruhe aus. Endlich hatte er seinen Teil sagen können, und mir war das Wunderbarste in meinem Leben widerfahren – ich hatte einen Menschen gefunden, der mit einem Kater reden konnte. Es war ein starkes Stück! Was für eine Welt! Alles, was ich bisher geglaubt hatte, war in einem einzigen Augenblick verändert worden.

Gladys hatte mir beim Abschied ein Flugblatt für einen Workshop über die Kommunikation mit Tieren in die Hand gedrückt, den sie jenes Wochenende anbot. Die erste Hälfte des Kurses bestand aus einem Vortrag über die Kommunikation zwischen den Spezies; während der zweiten Hälfte konnten wir üben, mit den Tieren der anderen Teilnehmer zu sprechen, und die Informationen sollten dann überprüft werden.

Der Kurs, der mein Leben veränderte

Wir trafen uns in einem sonnigen Hinterhof, in dem Picknicktische aufgestellt waren. Obwohl es an diesem Frühlingstag in Los Angeles recht windig war, schwitzte ich die ersten zwei Stunden und kämpfte mit dem Chor von Neinsagern in meinem Kopf. Auch als ich Gladys zuhörte, ritten mich die Dämonen des Zweifels. Sie tobten wie eine Schar von Aasgeiern auf dem Hinterteil eines Rhinozeros. An diesem Tag hatte ich ihnen viel Gesprächsstoff gegeben: Was, wenn ich die einzige bin, der es nicht gelingt? Ich werde einen schönen Narren aus mir machen. Das Ganze ist sowieso völlig unmöglich! Warum sitze ich hier und höre mir diesen Unsinn an? Selbst wenn Gladys es tatsächlich kann, werde ich es niemals erlernen.

Ich nahm es mit meinen Dämonen auf: Dann mache ich eben einen Narren aus mir, na und? Es wäre nicht das erste Mal. Ich werde wahrscheinlich niemand von diesen Leuten wiedersehen. Ich könnte es ebenso gut versuchen.

Während ich nur noch ein Nervenbündel war, blieb Rodney ruhig und sammelte sich. Mir fiel sehr schnell auf, dass ich die einzige war, die eine Katze mitgebracht hatte. Die anderen sechs Frauen hatten Hunde dabei. Rodney wartete ruhig in seinem Käfig zu meinen Füßen unter einem Picknicktisch.

Der erste Freiwillige war eine Art großer Chow-Chow. Die Übung ging etwa so: Die Lehrerin gab uns eine Reihe von Fragen vor. Diese sollten wir mental dem Hund stellen und dann die erste Antwort aufschreiben, die uns in den Sinn kam.

Der Vortrag am Morgen hatte Telepathie behandelt, das Senden und Empfangen mentaler Bilder. Ich hatte versucht, die Idee aufzunehmen, aber alles kam mir so abstrakt vor. Ich hätte den ganzen Tag zuhören können, aber was konnte ich tun? Ich war angespannt.

Die Testfragen waren ziemlich rudimentär; die erste lautete „Was frisst du am liebsten?“ Gladys sagte, wir sollten uns in den Hund hineinversetzen und uns vorstellen, dass eine leere Futterschüssel vor uns steht. Dann sollten wir uns mit unserem geistigen Auge vorstellen, womit wir die Schüssel gefüllt haben wollten.

Die Antwort traf mich wie ein Hammerschlag. In meinem Kopf hörte ich die Worte: Spaghetti und Fleischklopse! Ich versuchte krampfhaft, mir ein mentales Bild von dem Hundefressnapf zu machen, sah aber nichts als einen Teller, in dem sich ein riesiger Berg Spaghetti mit Fleischbällchen türmte. Es folgten ein paar Momente der Stille, bevor Gladys die Studenten fragte, was wir „empfangen“ hatten.

Alle hatten praktische Antworten parat, zum Beispiel Rindfleisch oder Huhn. Die Dämonen des Zweifels fingen an, mich auseinander zu nehmen: Ich hatte mir das sicherlich nur eingebildet. Es konnte einfach nicht wahr sein. Warum hatten alle anderen etwas Vernünftiges vorzubringen, nur meine Antwort war völlig lächerlich? Ich versank tiefer in meinem Sitz. Schließlich fragte Gladys mich, was ich „empfangen“ hatte. Ich murmelte hilflos: „Spaghetti und Fleischklopse.“

Die Hundebesitzerin kreischte. „Stimmt! Spaghetti und Fleischklopse sind ihr Lieblingsfutter! Gestern Abend hat sie einen ganzen Teller davon gefressen!

Das war nichts, ereiferten sich meine Dämonen, du hast es zufällig erraten.

Die nächste Frage lautete „Womit spielst du am liebsten?“ Ich hörte die Stimme wieder in meinem Kopf – nicht die der Kursleiterin, nicht die der Dämonen. Es war eine neue Stimme, die sich in meinem Gehirn einstellte, aber ich hörte sie deutlich. Es war die Stimme einer Frau, die sagte: Ich trage gern meinen rot-weiß-gestreiften Hut. Und da sah ich auch schon vor meinem geistigen Auge eine bonbonfarbene gestreifte Schirmmütze. Ich notierte es.

Die nächste Frage lautete „Hast du eine Aufgabe?“ Gladys hatte gesagt, dass viele Hunde – Blindenhunde zum Beispiel - über ihre Aufgaben reden können. Die weibliche Stimme sagte, Ja, seit Frauchen und Herrchen geschieden sind, soll ich Frauchen und ihr Haus beschützen. Ich kritzelte es hin, bekümmert und zweifelnd. Auf die nächste Frage, „Warst du schon einmal verliebt?“ antwortete die weibliche Stimme gefühlvoll: Ja, aber ich musste ihn verlassen, als wir wegzogen.

Als Gladys eine kurze Pause einlegte, erlaubte ich mir, meine eigenen Fragen zu stellen. „Wo hast du gewohnt?“ fragte ich sie mental. Sofort sah ich vor meinem geistigen Auge die Momentaufnahme eines Wohnwagens mit einer riesigen Kiefer davor. Kiefernzapfen erschienen nur wenige Zentimeter von meinen Augen entfernt auf dem Boden, als wären sie von einer Kamera ins Visier genommen worden. In meiner Nase prickelte der frische Duft der Kiefernnadeln. Dabei hörte ich die erklärende Stimme: Er lebte nebenan.

„Zeig ihn mir“, bat ich. Sofort blitzte das Bild eines großen schwarzen Dobermanns auf. Traurigkeit traf mich wie ein Stich in der Brust. „Vermisst du ihn?“ fragte ich. Ja, sagte sie. Die Kursleiterin unterbrach unser Interview mit einer neuen Anweisung. „Fragt sie, ob sie schon einmal Junge hatte.“ Ich brauchte es nicht zu tun, denn der Hund beantwortete die Frage, bevor ich sie stellte. Nein, ich hatte keine. Frauchen ließ mich sterilisieren. In meinem Geist sah ich die Narbe auf ihrem Unterleib aus ihrem eigenen Blickwinkel, als würde ich auf meinen Bauch hinabsehen. Ich fühlte einen scharfen Schmerz im Becken und dann anhaltende schreckliche Schmerzen. Die Stimme sprach weiter: Ich hätte gern Junge mit meinem Freund gehabt. Wieder zeigte sie mir den schwarzen Dobermann von nebenan. Jetzt kümmere ich mich um die Katzen in der Nachbarschaft. Noch während ich das aufschrieb und mir das Absonderliche dieses Gespräches zu schaffen machte, verstärkte sich in mir das Gefühl der Trauer.

Obwohl meine Dämonen wieder angriffen (Du machst dir etwas vor. Das passiert nur in deiner Einbildung!), verschlang mich die Traurigkeit. Mein Unterleib schmerzte, meine Augen füllten sich mit Tränen, und meine linke Hand kritzelte wie verrückt. Mein stilles Verhör hatte einen Strom von Antworten ausgelöst, so dass ich mit dem Schreiben kaum nachkam. Ich übersprang ganze Wörter und Satzteile, während ich Seite um Seite bekritzelte und mit Tränen benetzte. Mit einer Hand trocknete ich mir die Augen, mit der anderen schrieb ich. Gleichzeitig vergewisserte ich mich mit Blicken, was die anderen Kursteilnehmer machten. Als erstes bemerkte ich, dass außer mir niemand in Tränen ausgebrochen war. Dann sah ich, dass die anderen Frauen allenfalls ein oder zwei Wörter niederschrieben. Als Gladys uns bat, aufzuhören, schrieb ich immer noch rasend schnell nach dem Diktat der Stimme und kämpfte gleichzeitig darum, den peinlichen Kloß in meinem Hals hinunter zu schlucken.

Vielleicht hätte ich das Gespräch rationalisieren können; vielleicht hätte ich meinen Dämonen gestattet, alles meiner blühenden Fantasie zuzuschreiben, doch auf den körperlichen Schmerz war ich nicht vorbereitet, und noch viel weniger auf die Gemütserschütterungen. Das Gefühl von Einsamkeit und Kummer wurde fast unerträglich.

Ich ließ allen anderen Frauen den Vortritt und sparte meine Beobachtungen bis zuletzt auf. Als ich anfing, der Besitzerin des Hundes meine Notizen vorzulesen, war ich immer noch davon überzeugt, dass ich mich unsterblich blamieren würde. Mein Herz hämmerte so wild, dass ich kaum meine Stimme erheben konnte, aber als ich sprach, bestätigte sie alles, was ich sagte: „Ja sie trägt eine rot-weiße Schirmmütze. Ja, es gab eine Kiefer vor dem Wohnwagen. Ja, der Nachbarhund war ein großer schwarzer Dobermann. Ja, er war ihr bester Freund. Ja, ich musste ihn wegen der Scheidung zurücklassen.“

Es konnte einfach nicht wahr sein! Es war zu einfach! Es war zu gut, um wahr zu sein! Ich brachte meine Dämonen zum Schweigen und fuhr fort, meine Anmerkungen laut vorzulesen. Als ich sagte, dass die Hündin sich Junge vom Dobermann wünschte, trübten sich die Augen ihrer Besitzerin. Sie fühlte den Schmerz ihres Hundes. „Sag ihr, es tut mir leid. Es tut mir leid, dass ich sie ihrem Freund wegnehmen musste“, drängte sie.

Als ich versuchte, dem Hund alles zu sagen, erlebte ich zum ersten Mal die Frustration, die ich später noch tausend und abertausend Mal spüren sollte. Ich versuchte, einem unschuldigen Tier die Gründe menschlichen Handelns zu erklären.

Das Unmögliche des Gespräches verflog sich. Ich begriff, dass ich nun Verantwortung übernehmen musste - Verantwortung für die Fähigkeit, mit Tieren sprechen zu können. Ich war da einfach hineingeschlittert. Es gab kein Zurück mehr.

Mit dem nächsten Hund ließ es sich genau so leicht kommunizieren wie mit dem ersten - anders, aber genauso leicht. Jeder der Hunde hatte eine unverwechselbare Persönlichkeit. Sie glichen einander genauso wenig wie zwei Frauen, mit denen man sich im Supermarkt an der Kasse unterhält. Ich konnte ihre Stimmen mit gleicher Intensität hören, aber in Aussprache und Akzent unterschieden sie sich von einander. Ihr Humor war unterschiedlich ausgeprägt, und das gleiche galt für den Grad an Zutraulichkeit, den sie an den Tag legten. Ich war in heller Aufregung. Ich konnte nicht glauben, dass das möglich war! Es war fantastisch, einfach wunderbar!

Mit jedem Hund machten die Kursteilnehmerinnen Fortschritte. Anfangs hatten wir auf die gleichen Fragen unterschiedliche Antworten erhalten, darunter auch einige Treffer. (Manche Hunde mochten vielleicht sowohl Huhn als auch Rindfleisch!) Später fielen die Antworten einheitlicher aus. Wir hatten es geschafft. Die Antworten wurden bestätigt, das ließ sich nicht leugnen.

Trotzdem fürchtete ich, diese märchenhafte Fähigkeit würde sich genauso geheimnisvoll verflüchtigen, wie sie sich eingestellt hatte, sobald ich zu Hause war. Dann war Rodney an der Reihe. Ich öffnete seinen Korb und hielt ihn in meinen Armen, damit alle ihn sehen konnten. Ich bemerkte, dass sein Verhalten sich veränderte, als die Leute mit ihm kommunizierten. Er versuchte nicht, sich meinen Armen zu entwinden und auf den Boden zu springen. Selbstbewusst und erwartungsvoll blickte er ins Publikum - wie ein Komiker auf einer Bühne in Las Vegas, der jeden Abend die gleiche Schau abzieht und weiß, dass seine Witze zum Totlachen sind.

Er hatte Recht. Sobald der Kurs Kontakt aufnahm, fingen alle an zu lachen. „Er ist so überzeugt von sich!“ „Was für ein Ego!“ riefen die Frauen aus. „Er ist ein totaler Egomane! Er sagt, er sei der schönste Kater auf Erden!“ gluckste eine Frau. „Er sagt, dass man ihm immer sagt, wie schön sein Fell gezeichnet ist!“ rief eine andere aus. Au wei, dachte ich, jetzt haben wir‘s. Sie stellen sich auf den richtigen Kater ein.

Eine Schülerin rief: „Er sagt, dass er der einzig orange-gestreifte Kater der Welt ist!“ Er war der einzige orangefarbene Kater im Gebäude und angeblich in der ganzen Nachbarschaft. Wenn er niemals eine andere orangene Katze gesehen hatte, dann konnte ich verstehen, wie er zu jenem Schluss kommen konnte. Eine Fahrt zu einer abessinischen Katzenschau hätte seine Eitelkeitsblase sicherlich zum Platzen gebracht.

 

Ich schlug der Gruppe vor, Rodney zu fragen, was er von meinem Freund hielt. Die Antwort war fast einstimmig: „Er ist sehr eifersüchtig. Er möchte sein Frauchen nicht teilen. Er will, dass dein Freund auszieht. Er wünscht sich, dass dein Freund verschwindet.“ Wieder tauchten jene Worte auf: Geh fort. Das rüttelte mich wirklich auf. Nach unserem langen, lebhaften Gespräch mit Rodney entließ Gladys die Klasse. Rodney war der Ausklang gewesen. Wir stolperten alle in Richtung unserer Autos, benommen und in Ehrfurcht davor, wie dramatisch sich unsere Vorstellung von Realität verändert hatte.

Als ich nach Hause fuhr, war ich völlig durcheinander. Wenn man mit Tieren sprechen kann, wenn ich mit Tieren sprechen kann, wenn Tiere sprechen können – die Konsequenzen waren gar nicht abzusehen. Wenn Tiere sprechen können, kann ich zum Zoo gehen und - mir schauderte. Wenn Tiere sprechen können, dann sind die Kühe in den Schlachthäusern – mir brach der Angstschweiß aus.

Will ich diese Verantwortung überhaupt auf mich nehmen? Sie können es mir sagen, wenn sie krank sind. Diese Idee gefällt mir. Aber, wenn alle Tiere denken und Schmerz fühlen können, ich meine alle Tiere, die in Käfigen – meine Augen schwammen in Tränen.

Der Horror der Tierexperimente brach auf mich herein, und die Welt verlor ihren Zauber. Auf einmal schien das Leben auf dieser Welt unerträglich geworden zu sein. Mit der unglaublichsten Freude, die ich jemals in meinem Leben gefühlt hatte, kam die unerträglichste Qual. Ich konnte mit Tieren kommunizieren, aber ich würde mich nie mehr dem entsetzlichen Leid entziehen können, das sie durch menschliche Hände erleiden.

Ich würde alles fühlen, was sie fühlen, und denken, was sie denken. Ich würde mit ihnen ihr Leid durchleben – ihre Verwirrung, die Erfahrung, verraten zu werden, ihre Wut und ihre Hilflosigkeit angesichts unserer unfassbaren Grausamkeit.

Jede Gabe hat ihren Preis. Je größer die Gabe, desto höher der Preis. Für die herrlichste aller Gaben forderte Gott, dass ich meinen kostbarsten Besitz eintauschte: meine Unschuld.