Handbuch Ius Publicum Europaeum

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2. Die Mitwirkung von Ausschüssen

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Häufig wird die Entscheidung über die Wahl oder die Ernennung eines Richters nicht von dem in der Verfassung vorgesehenen Organ selbst oder alleine getroffen, sondern findet eine Mitwirkung von Ausschüssen statt. Die Qualität dieser Ausschüsse und ihr Verhältnis zum vorschlagsberechtigten Organ ist ebenso verschieden wie der Einfluss dieser Ausschüsse.

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Soweit Parlamente ein Vorschlagsrecht haben, ist es üblich, dass Ausschüsse der jeweiligen Kammer des Parlaments die Entscheidung des Plenums vorbereiten, zumal dann, wenn die Kammer eine gewisse Größe überschreitet. So besteht im deutschen Bundestag ein eigener Wahlausschuss, der nach den Regeln der Verhältniswahl aus zwölf Mitgliedern des Bundestages zusammengesetzt ist.[36] Dieser Wahlausschuss beschließt einen Wahlvorschlag mit mindestens acht Stimmen seiner Mitglieder.[37] Erst nach Erstellung des Wahlvorschlages erfolgt die Wahl durch den Bundestag mit qualifizierter Mehrheit.[38] Demgegenüber ist bei den vom Bundesrat zu wählenden Verfassungsrichtern kein vorgeschaltetes Auswahlgremium vorgesehen.[39] Ein dem deutschen Wahlausschuss ähnliches Modell findet sich in Ungarn, wo die Kandidaten von einem Nominierungskomitee vorgeschlagen werden.[40] In Frankreich ist für die Vorschläge des Präsidenten der Republik, der Nationalversammlung und des Senates eine Art Vetorecht der beiden permanenten legislativen Ausschüsse von Nationalversammlung und Senat vorgesehen, indem ein negatives Votum von wenigstens drei Fünfteln der Mitglieder im jeweiligen Ausschusses (im Falle der Vorschläge des Präsidenten der Republik beider Ausschüsse) die Ernennung verhindert.[41]

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Diese Ausschüsse sind in aller Regel auf bestimmte Zuständigkeiten spezialisierte Ausschüsse, entweder für Wahlen oder für bestimmte andere Aufgaben, wie etwa Verfassungsangelegenheiten.[42] Merkmal dieser Ausschüsse ist, dass sie sich ausschließlich aus Mitgliedern des Parlaments zusammensetzen.

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Daneben wirken in einigen Staaten auch Ausschüsse mit, die sich wenigstens zum Teil auch aus sachverständigen Mitgliedern zusammensetzen, die gerade nicht aus dem Kreis der Parlamentarier stammen. Auf europäischer Ebene setzen sich die beratenden Ausschüsse, die an der Wahl der Richter des EGMR und des EuGH mitwirken, ausschließlich aus Sachverständigen, überwiegend ehemalige Richter der europäischen Gerichtshöfe und (aktive oder ehemalige) Verfassungs- und Höchstrichter in den Mitgliedstaaten zusammen. Der Ausschuss der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, der die Anhörungen der Kandidaten für den EGMR durchführt, besteht hingegen ausschließlich aus Parlamentariern.

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Im Vereinigten Königreich trifft ein spezielles Fachgremium die Auswahl der Supreme Court-Richter: Die Supreme Court Selection Commission setzt sich zusammen aus dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten des Supreme Court, dem Mitglied der gerichtlichen Auswahlkommission für England und Wales, dem Mitglied des gerichtlichen Auswahlgremiums für Schottland sowie dem Mitglied der gerichtlichen Auswahlkommission für Nordirland.[43] Eines der Mitglieder aus den zuletzt genannten gerichtlichen Auswahlkommissionen bzw. dem Auswahlgremium darf kein Jurist sein.[44] Es besteht eine starke Bindung des vorschlagsberechtigten Lord Chancellor an den Vorschlag des Fachgremiums.[45]

3. Anhörungen

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Zum Teil sehen die einschlägigen Regelungen vor, dass sich die Kandidaten für das Amt eines Verfassungsrichters einer Anhörung stellen müssen, die zumeist vor einem Parlamentsausschuss stattfindet. Die Anhörung hat den Zweck, die Qualifikation des Kandidaten vor der eigentlichen Wahl einer Überprüfung zu unterziehen.

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Dieser Verfahrensschritt hat in historischer Perspektive eine besondere Ausprägung im Rahmen der Bestellung der Richter des US Supreme Court erlangt. Im Rahmen des Bestätigungsverfahrens („Confirmation proceedings“) im Senat findet seit den 1940er Jahren eine Anhörung der Kandidaten vor dem Senate Judiciary Committee statt. Wie in keinem europäischen Land wird hier die Person des (einzigen) vom Präsidenten nominierten Kandidaten einer Prüfung unterzogen.[46] Im Vorfeld der eigentlichen Anhörung hat der Nominierte eine Reihe von Fragebögen auszufüllen, die Mitglieder des Ausschusses erhalten Einsicht in FBI-Akten und können gegebenenfalls auch von sich aus Untersuchungen anstellen. Dabei geht es bereits in diesem Stadium zum einen um die juristische Qualifikation, zum anderen um Einstellungen zu bestimmten gesellschaftspolitischen Fragen. Die eigentlichen Anhörungen waren zunächst nicht öffentlich und werden nach einer schrittweisen Öffnung seit der Nominierung von Justice Sandra Day O’Connor sogar im Fernsehen übertragen, wobei man im Gegenzug seit 1992 auch eine nicht-öffentliche Anhörung zu vertraulichen Angelegenheiten durchführt.[47] Der Ablauf und die Reihenfolge der Fragen stellenden Senatoren sind genau festgelegt. Im Mittelpunkt der Hearings stehen (insbesondere bei Professoren) Veröffentlichungen sowie die bisherigen Urteile der Richter, im Allgemeinen aber auch die Tätigkeit in bisherigen Berufen und Ämtern, im Einzelfall auch das Privatleben. In den letzten Jahrzehnten rückten, ausgehend von Befragungen zu bestimmten Entscheidungen des Supreme Court, die politischen Einstellungen der Nominierten in den Mittelpunkt der Anhörungen.[48] Am Ende steht eine Abstimmung verbunden mit einer Empfehlung, die für das Plenum formal nicht bindend ist, der aber regelmäßig in der letztlich entscheidenden Abstimmung gefolgt wird.

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In Europa finden Anhörungen der Kandidaten für künftige Verfassungsrichter in Österreich, in Spanien und in Ungarn sowie für die Richter des EGMR und des EuGH statt.

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In Spanien müssen jene Richter, die vom Parlament zu wählen sind, vor dem zuständigen Ausschuss erscheinen, dort werden sie nach den Regeln der Geschäftsordnung befragt.[49] In Ungarn ist eine Anhörung durch den Ausschuss für Verfassungsangelegenheiten vorgesehen.[50]

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In Österreich werden alle Bewerber für Richterstellen, für die die Wahl den beiden Kammern des Parlaments obliegt, zu einer Anhörung („Hearing“) eingeladen. Die vom National- oder Bundesrat zu wählenden Richter[51] haben sich seit Ende der 1990er Jahre einem Hearing zu unterziehen. Im Nationalrat findet die Anhörung seit 1998 vor einem ad hoc aus Vertretern aller im Nationalrat vertretenen Parteien gebildeten Gremium statt, in dem der Obmann des Verfassungsausschusses den Vorsitz führt. Das Gremium beschließt aber weder einen verbindlichen Wahlvorschlag noch eine Empfehlung.[52] Im Falle des Bundesrates finden die Hearings seit 1997 im Rahmen von parlamentarischen Enqueten[53] unter dem Vorsitz des Präsidenten des Bundesrates statt. Die Hearings sind nicht öffentlich, beim Bundesrat wird jedoch die Niederschrift über die parlamentarische Enquete zur Verfassungsrichterwahl veröffentlicht.

4. Öffentlichkeit des Bestellungsvorgangs

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Im Zusammenhang mit der Durchführung von Anhörungen steht die öffentliche und mediale Aufmerksamkeit für die Wahl insgesamt. Während die Auswahl von künftigen Richtern des US Supreme Courts wochen- und monatelang Gegenstand der Medienberichterstattung und ihre Anhörung von Fernsehübertragungen begleitet ist, findet eine breitere Diskussion von Richterkandidaten in den Medien europäischer Staaten nicht statt, bzw. nur dann, wenn sie mit irgendwelchen Besonderheiten oder einer Ablehnung einhergeht. Die Kür von Richtern der europäischen Gerichtshöfe geschieht überhaupt unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit. Allenfalls findet man in einigen Qualitätstageszeitungen eine Kurznotiz.

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Diese Stufung in der Öffentlichkeit ist nicht ausschließlich der Bedeutung des Amtes geschuldet. Vielmehr ist der Bestellungsvorgang von vorneherein weniger auf die Öffentlichkeit ausgelegt. Anhörungen sind nach wie vor im Rechtsvergleich die Ausnahme. Der Zeitraum zwischen der Bekanntgabe eines Kandidaten und der tatsächlichen Wahl ist häufig kurz. Auf diese Weise gibt es auch ein geringeres Maß an wahrnehmbaren Vorgängen im Bestellungsverfahren. Eine ausführliche Diskussion der Person des Kandidaten und seiner bisherigen beruflichen Erfahrungen, seiner politischen Einstellungen oder gar privater Belange[54] unterbleibt meist.

5. Mehrheitserfordernisse

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Für die Wahl eines Verfassungsrichters ist in nahezu allen Fällen, in denen das Parlament zuständig ist, eine qualifizierte Mehrheit gefordert. In aller Regel bedarf es zur Wahl eines Verfassungsrichters einer Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen in der jeweils zuständigen Kammer des Parlaments. Dies ist die Rechtslage in Belgien,[55] in Deutschland,[56] in Italien,[57] in Portugal[58] und in Ungarn.[59] In Spanien ist für die vom Parlament zu wählenden Richter bloß eine Dreifünftel-Mehrheit gefordert,[60] dasselbe Mehrheitserfordernis gilt in Italien, wenn in den ersten beiden Wahlgängen keine Zweidrittelmehrheit erreicht werden konnte.[61] In der Schweiz[62] und in Österreich[63] reichen jeweils die einfache Mehrheit in der Bundesversammlung bzw. im National- oder Bundesrat aus.[64] In Deutschland besteht insoweit eine Besonderheit, als bei den vom Bundestag zu wählenden Richtern sowohl im zunächst zuständigen vorschlagsberechtigten Wahlausschuss als auch im Plenum des Bundestags bei der eigentlichen Wahl eine Zweidrittelmehrheit gefordert wird.[65] Schließlich wird in Portugal auch für jene drei Mitglieder, die von den vom Parlament gewählten Richtern kooptiert werden, eine qualifizierte Mehrheit von 70 % des Richterkollegiums gefordert.[66]

 

6. Sonderformen der Bestellung (Kooptierung, ex lege-Mitgliedschaften)

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In einzelnen Staaten finden sich Sonderformen der Bestellung jenseits der Wahl durch die Parlamente oder des Vorschlags durch die Regierung. In Portugal dürfen jene zehn Richter, die vom Parlament gewählt werden, die übrigen drei Richter im Wege einer Kooptierung nominieren.[67]

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Einen Sonderfall bildet hier der französische Conseil Constitutionnel. Ihm gehören neben den neun vom Präsidenten und dem Parlament bestellten Richtern ex constitutione die ehemaligen Staatspräsidenten an. In der Praxis sind Staatspräsidenten nur selten zu den Sitzungen erschienen. Regelmäßig führt vor allem die Unvereinbarkeit mit einem Wahlamt dazu, dass Staatspräsidenten nicht an den Sitzungen teilnehmen. Aus diesem Grund konnte Giscard d’Estaing bis zum Jahr 2004 nicht an Sitzungen teilnehmen. Die Teilnahme von Nicholas Sarkozy in den Jahren 2012/13 führte zu einer Debatte über eine Abschaffung dieser Art von Mitgliedschaft zum Conseil Constitutionnel.

7. Faktische Entscheidungsmacht jenseits der Organzuständigkeiten

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Die Zusammensetzung der Gerichte wird nicht nur von den formalen Zuständigkeiten zur Wahl oder Bestellung bestimmt, sondern auch von Übungen und politischen Usancen, die nicht in den Regelungen der Verfassungen abgebildet sind. In Bundesstaaten ist häufig ein Regionalproporz anzutreffen. Im Fall von Belgien ist er ausdrücklich angeordnet, in Deutschland – und deutlich abgeschwächt – in Österreich ergibt er sich nur im Ausgangspunkt aus der Zuständigkeit des Bundesrats zur Wahl eines Teils der Richter, im Übrigen aber aus politischen Absprachen.

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Die Nähe zu bestimmten Parteien oder die beratende Tätigkeit für bestimmte Organe begünstigt die Wahl in das Verfassungsgericht. In Deutschland wurden in der Vergangenheit immer wieder ehemalige Regierungsmitglieder, insbesondere aus Landesregierungen, zu Richtern gewählt. Der Einfluss der Länder manifestiert sich darin, dass bei Regierungskoalitionen auf Landesebene, die von jener auf Bundesebene abweichen, die nicht in der Bundesregierung vertretenen Parteien Einfluss auf die Wahl eines Verfassungsrichters haben.

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In Österreich sind die der Politik nächsten Richter jene, die zuvor in Kabinetten von Bundesministern gearbeitet haben. Für Parlamentarier schließt die Bundesverfassung einen unmittelbaren Wechsel insofern aus, als Personen, die bei der letzten Wahl für eine bestimmte Gesetzgebungs- oder Funktionsperiode gewählt wurden, für die Dauer der Wahlperiode nicht zum Verfassungsrichter bestellt werden dürfen, und zwar selbst dann, wenn sie vorzeitig auf ihr Mandat verzichtet haben. In Bezug auf das Amt des Präsidenten und jenes des Vizepräsidenten ist darüber hinaus eine fünfjährige „Abkühlfrist“ nach Beendigung der Tätigkeit (nicht der Wahlperiode), und zwar auch für ehemalige Mitglieder einer Bundesregierung vorgesehen. Die Wahl eines Ministers zum einfachen Richter des Verfassungsgerichts ist dagegen ohne weiteres möglich, ein solcher Fall hat jedoch in der jüngeren Geschichte nur einmal stattgefunden. In Deutschland sind dagegen einige ehemalige Mitglieder von Landesregierungen Richter des Bundesverfassungsgerichts, zuletzt wurde ein Mitglied des Bundestags zum Vizepräsidenten des Gerichts gewählt.

8. Regelungen im Fall von Konflikten und Verzögerungen

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Einzelne Mitgliedstaaten treffen Vorkehrungen für den Fall, dass die Bestellung eines Nachfolgers nicht rechtzeitig erfolgen kann. Dieser Fall tritt regelmäßig dann ein, wenn ein Richter durch Tod oder durch überraschenden bzw. kurzfristigen Rücktritt aus dem Amt scheidet. In solchen Fällen wird die Funktion des Gerichts meist deshalb nicht beeinträchtigt, weil die Verfassungen und die Organisations- und Verfahrensgesetze regelmäßig vorsehen, dass die Gerichte auch mit einer geringeren Präsenz handlungsfähig sind. In Österreich sind überdies sechs Ersatzmitglieder vorhanden. In Deutschland ist vorgesehen, dass ein Richter solange im Amt bleibt, bis sein Nachfolger gewählt ist.[68] Gleiches gilt für den EGMR.[69]

III. Materielle Voraussetzungen für das Amt

1. Staatsangehörigkeit

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Eine grundlegende und vielleicht deshalb nicht durchgehend ausdrücklich normierte Voraussetzung für die Bestellung zum Richter eines nationalen Verfassungsgerichts ist, dass dieser Staatsbürger des jeweiligen Landes ist. Dennoch findet sich dieses Erfordernis zum Teil explizit in jenen Rechtsvorschriften, die sich mit der Richterbestellung befassen: So machen beispielsweise das portugiesische, das spanische sowie das ungarische Gesetz über das Verfassungsgericht die jeweilige Staatsbürgerschaft zur Voraussetzung, um als Verfassungsrichter bestellt zu werden.[70] Mitunter ergibt sich das Staatsangehörigkeitserfordernis auch indirekt aus einer anderen Bestellungsvoraussetzung: Dies trifft auf die Schweiz zu, wo zum Bundesrichter nur gewählt werden kann, wer stimmberechtigt (und nicht entmündigt) ist, woraus sich ergibt, dass nur Schweizer Staatsbürger in Frage kommen.[71] Teilweise muss auf allgemeine Regelungen für Staatsbedienstete zurückgegriffen werden, um das Staatsbürgerschaftserfordernis zu begründen: Dieses bleibt beispielweise in Österreich in jenen die Bestellung der Richter des Verfassungsgerichtshofes regelnden Vorschriften[72] unerwähnt, weswegen auf Art. 3 des Staatsgrundgesetzes von 1867[73] zurückgegriffen werden muss, um die österreichische Staatsbürgerschaft als Bestellungsvoraussetzung zu begründen.[74] Dass Ausnahmen die Regel bestätigen, zeigt das Beispiel Liechtenstein: Der Staatsgerichtshof hat lediglich mehrheitlich aus Richtern zu bestehen, welche das liechtensteinische Landesbürgerrecht besitzen.[75] Diese Regelung ist wohl auf die geringe Größe des Landes zurückzuführen, wobei auch hier darauf Bedacht genommen wurde, dass die Nicht-Staatsbürger in der Minderheit bleiben.

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Insgesamt wird deutlich, dass die Staatsbürgerschaft eine selbstverständliche und daher teilweise nicht ausdrücklich normierte Voraussetzung für die Wahl zum Richter eines nationalen Verfassungsgerichts ist. Die unionsrechtlich gewährleistete Freizügigkeit der Arbeitskräfte steht diesem Inländervorbehalt schon aufgrund des hier zweifellos anwendbaren Art. 45 Abs. 4 AEUV nicht entgegen.

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Eine mit der Staatsangehörigkeit in Verbindung stehende, den persönlichen Status betreffende Voraussetzung ist die regionale Herkunft eines Verfassungsrichters. Diesbezüglich trifft die österreichische Bundesverfassung Regelungen, dass bestimmte bzw. ein bestimmter Anteil der Verfassungsrichter seinen Wohnort außerhalb der Bundeshauptstadt hat: Drei Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder müssen ihren ständigen Wohnsitz außerhalb von Wien haben.[76] Tatsächlich besteht eine deutliche Zentralisierungstendenz, nur mehr ein kleiner Teil der Richter wohnt überwiegend außerhalb der Bundeshauptstadt, dem Sitz des Gerichts.[77] In Staaten, in denen der Sitz des Gerichts nicht in der Hauptstadt ist,[78] ist diese Tendenz von vorneherein schwächer.

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Jenseits dessen gibt es aber insbesondere in Bundesstaaten einen informellen Regionalproporz, demzufolge bestimmte Stellen mit Richtern aus einer Region, einem Land oder einem Kanton besetzt oder wenigstens auf Vorschlag von Entscheidungsträgern aus diesen regionalen Einheiten besetzt werden. Solche informellen Absprachen gibt es etwa in Deutschland oder in Österreich, wobei der Regionalproporz mitunter durch einen von parteipolitischen Gesichtspunkten beeinflussten Proporz überlagert wird.[79]

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In Belgien ist mittelbar ein regionaler Proporz dadurch rechtlich verankert, dass auf die Sprache der Richters in differenzierter Weise abgestellt wird: Die Richter müssen je zur Hälfte französisch- bzw. niederländischsprachig sein.[80] Für jene sechs Richter, die aus dem Kreis der Juristen ernannt werden, wird auf die Sprache ihres Diploms abgestellt, für die „Politiker“-Richter[81] wird auf die Lage des Wahlkreises abgestellt.[82]

2. Mindestalter

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Ein gewisses Mindestalter für die Bestellung zum Richter eines nationalen Verfassungsgerichts ist regelmäßig de jure oder de facto festgelegt. Dabei finden sich einerseits Vorschriften, die ein nach Lebensjahren festgelegtes Mindestalter festsetzen: Zu dieser Gruppe gehören beispielsweise Belgien, Deutschland (jeweils Vollendung des 40. Lebensjahres) sowie Ungarn (Vollendung des 45. Lebensjahres). Häufiger ergibt sich aus der unter 4. näher dargestellten Mindestdauer einer bestimmten juristischen Tätigkeit faktisch ein gewisses Mindestalter, um als Verfassungsrichter bestellt zu werden. Hier ist das österreichische Beispiel illustrativ, wonach die Erfordernisse eines Abschlusses des juristischen Studiums sowie zehnjähriger juristischer Berufserfahrung[83] es ausschließen, dass Personen unter 30 Lebensjahren als Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes bestellt werden können. Ähnliches gilt beispielsweise für Italien, wo ein nicht unbeträchtliches Mindestalter der Richter des Corte costituzionale faktisch dadurch erreicht wird, dass diese entweder hohe richterliche Positionen ausgeübt haben müssen oder als Rechtsanwälte eine mindestens zwanzigjährige Berufserfahrung aufweisen müssen.[84] Nicht unerwähnt bleiben sollen jedoch auch jene Staaten, die – wie beispielsweise Frankreich oder die Schweiz – lediglich die Innehabung der politischen Rechte als Voraussetzung vorsehen und daher theoretisch auch 18-Jährige als Mitglieder der jeweiligen Gerichte bestellt werden könnten. Ein Blick in die Liste beispielsweise der Bundesrichter in der Schweiz zeigt jedoch, dass alle hauptamtlichen Richter das 40. Lebensjahr vollendet haben.[85]

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Insgesamt zeigt sich, dass für die Mehrzahl der nationalen Verfassungsgerichte de jure oder de facto ein bestimmtes Mindestalter verlangt wird. Selbst dort, wo dies nicht ausdrücklich normiert wird, werden regelmäßig Personen zu Richtern bestellt, die zumindest das 40. Lebensjahr vollendet haben, wobei auch hier Ausnahmen die Regel bestätigen. Die Festlegung jedenfalls eines nach Lebensjahren bestimmten Mindestalters ist für Staatsämter insgesamt eher unüblich und ansonsten regelmäßig nur bei republikanischen Staatsoberhäuptern anzutreffen.[86]