Praxis des Bußgeldverfahrens im Kapitalmarktrecht

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

V. Vorwerfbarkeit, insbesondere Verbotsirrtum

324

Die Ordnungswidrigkeit setzt gem. § 1 Abs. 1 OWiG eine vorwerfbare Handlung voraus. Die Vorwerfbarkeit im Ordnungswidrigkeitenrecht entspricht der Schuld im Strafrecht.[87] Eine Handlung ist vorwerfbar, wenn der Betroffene für sie die Verantwortung trägt.[88] Das ist nicht der Fall, wenn Gründe vorliegen, welche die Vorwerfbarkeit entfallen lassen (z.B. wegen fehlender Altersreife oder psychischer Beeinträchtigung, vgl. § 12 OWiG).

325

Zu den vorwerfbarkeitsausschließenden Gründen gehört der in § 11 Abs. 2 OWiG geregelte Verbotsirrtum. Danach handelt der Täter nicht vorwerfbar, wenn ihm bei Begehung der Handlung die Einsicht fehlt, etwas Unerlaubtes zu tun, namentlich, weil er das Bestehen oder die Anwendbarkeit einer Rechtsvorschrift nicht kennt, und er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte.

1. Abgrenzung von Tatumstands- und Verbotsirrtum

326

Der Verbotsirrtum ist vom Tatumstandsirrtum abzugrenzen. Dies kann speziell bei stark normativ geprägten Tatbestandsmerkmalen wie der Insiderinformation (Art. 7 MAR) schwierig sein. Ob der Betroffene, der verkennt, dass ein bestimmtes Ereignis eine Insiderinformation darstellt, sich hinsichtlich eines Umstandes irrt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört (dann Tatumstandsirrtum, § 11 Abs. 1 OWiG), oder bei vollständiger Sachverhaltskenntnis nur die Verbotenheit seines Handelns nicht erkannt hat (dann Verbotsirrtum als Subsumtionsirrtum, § 11 Abs. 2 OWiG), ist in der Rechtsprechung bislang nicht entschieden worden.

327

In der (wirtschaftsstrafrechtlichen) Rechtsprechung des BGH lässt sich die Tendenz feststellen, normativ geprägte Tatbestandsmerkmale im vorsatzrechtlichen Zusammenhang als normative Tatbestandsmerkmale einzuordnen. So sollen der Irrtum des Täters, bezogen auf die Arbeitgebereigenschaft und die damit korrespondierende sozialversicherungsrechtliche Abführungspflicht gem. § 266a StGB[89] (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt), oder der Irrtum über die Pflichtwidrigkeit gem. § 266 StGB[90] (Untreue) jeweils Tatumstandsirrtum sein. Der Normappell des Tatbestandsvorsatzes wird vom BGH bei diesen Tatbestandsmerkmalen erst bei Bedeutungskenntnis, also erst dann als erzeugt angesehen, wenn der Täter zusätzlich zu den erkannten Sachverhaltsumständen auch deren rechtliche Bewertung nachvollzogen hat. Auf dieser Linie läge es, auch die Fehlvorstellung, bezogen auf die zutreffende Einordnung eines Ereignisses als „Insiderinformation“, als Tatumstandsirrtum gem. § 11 Abs. 1 OWiG einzuordnen.

328

Blickt man tiefer, wird dem Rechtsanwender die Abgrenzung von Tatumstands- und Verbotsirrtum dadurch erschwert, dass es darauf ankommen soll, ob das jeweils fragliche Tatbestandsmerkmal als normatives Tatbestandsmerkmal oder als Blankettmerkmal bzw. (gesamt-)tatbewertendes Merkmal einzuordnen ist.[91]

329

Hintergrund

Vorsatzrechtlich wird bei normativen Tatbestandsmerkmalen Bedeutungskenntnis, bei Blankettmerkmalen und (gesamt-)tatbewertenden Merkmale Umstandskenntnis verlangt.[92] Bei Bedeutungskenntnis muss der Täter, um vorsätzlich zu handeln,[93] eine laienhafte – dem Gesetz entsprechende – Wertung des dem Tatbestandsmerkmal zugrundeliegenden Sachverhaltes nachvollzogen haben (Parallelwertung in der Laiensphäre)[94]. Er muss den rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalt des Tatumstandes richtig erfasst haben.[95] Umstandskenntnis umschreibt demgegenüber die Kenntnis des Täters lediglich der Umstände, die die rechtliche Einordnung (beispielsweise eines Ereignisses als Insiderinformation) begründen, ohne dass der Täter die rechtliche Wertung („Insiderinformation“) nachvollzogen haben müsste.

330

Wegen der Schwierigkeit, die Begriffe in praxistauglicher Weise zu unterscheiden, ist es nicht sinnvoll, den Vorsatzgegenstand anhand der jeweiligen Begriffskategorie zu ermitteln.[96] Zielführender ist es, von Beginn an die Frage in den Mittelpunkt zu rücken, ob aus Sicht eines mit dem Kapitalmarkt- und Wertpapierhandelsrecht vertrauten Normadressaten (sog. Expertensicht[97]) der notwendige Unrechtsappell des Tatbestandsvorsatzes des vom betroffenen Tatbestandsmerkmal erfassten Sachverhalts schon bei Umstandskenntnis oder erst bei Bedeutungskenntnis erzeugt wird.[98] Die Antwort darauf ist ein Akt der Wertung. Bei der insoweit erforderlichen Auslegung ist speziell bei dem Tatbestandsmerkmal der „Insiderinformation“ zu berücksichtigen, dass die gesetzlichen Definitionsmerkmale ihrerseits stark normativ geprägt sind (siehe nur „verständiger Anleger“ gem. Art. 7 Abs. 4 MAR). Entgegen der oben skizzierten Tendenz in der Rechtsprechung ist es überzeugender, beim Tatbestandsmerkmal der „Insiderinformation“ bloße Umstandskenntnis für vorsätzliches Handeln ausreichen zu lassen.[99]

331

Beispiel

Der Vorstand kennt das die Ad-hoc-Pflicht auslösende Ereignis (z.B. bevorstehender Vorstandswechsel, Gewinneinbruch) und ordnet es irrtümlich nicht als Insiderinformation ein, sodass er keine Ad-hoc-Mitteilung veranlasst. Ein mit dem Kapitalmarkt- und Wertpapierhandelsrecht vertrauter Normadressat („Experte“) hätte sich bereits bei Kenntnis des jeweiligen Ereignisses an die Ad-hoc Veröffentlichungspflicht „erinnert“.[100] Insoweit ist also generell Umstandskenntnis ausreichend, um den notwendigen Normappell des Tatbestandsvorsatzes zu erzeugen. Der Vorstand handelte folglich vorsätzlich; sein Irrtum über die korrekte Einordnung ist als Subsumtionsirrtum nach § 11 Abs. 2 OWiG (Verbotsirrtum) zu behandeln. Wer demgegenüber – getreu der Tendenz in der Rechtsprechung – Bedeutungskenntnis verlangt, wird hier einen Tatumstandsirrtum annehmen können; es wäre sodann der Leichtfertigkeitsvorwurf zu prüfen.[101]

2. Vorliegen eines Verbotsirrtums in tatsächlicher Hinsicht

332

Hat der Betroffene vorsätzlich gehandelt, fehlte ihm bei Begehung der Tat hingegen die Einsicht, Verbotenes zu tun, ist ein Verbotsirrtum gem. § 11 Abs. 2 OWiG einschlägig.

333

Nach den allgemeinen Regeln der Beweiswürdigung muss zunächst in tatsächlicher Hinsicht festgestellt werden, dass der Betroffene bei Begehung der Tat einem Verbotsirrtum unterlag. In der Gerichtspraxis zeigen sich an dieser Stelle bisweilen Darstellungsmängel, die in der Revision zur Aufhebung des (freisprechenden) Urteils führen können.

334

Beispiel (OLG Frankfurt NJW 2009, 1520, 1521 – DaimlerChrysler AG/Schrempp-Rücktritt)

Die BaFin hatte gegen die DaimlerChrysler AG eine Geldbuße wegen leichtfertigen Verstoßes gegen die Veröffentlichungspflicht von Insiderinformationen verhängt. Nach Einspruch gegen den Bußgeldbescheid hatte das AG Frankfurt a. M. das Unternehmen wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums freigesprochen. Das OLG Frankfurt hat das Urteil in der Revision aufgehoben. Das AG habe den Freispruch im Ergebnis mit Hinweis auf die „ungeklärte Rechtslage” mit einem unvermeidbaren Verbotsirrtum begründet, ohne ausreichend eigene Feststellungen zu treffen. Insbesondere habe es an der Darstellung gefehlt, ob das vertretungsberechtigte Organ des Unternehmens überhaupt einem Verbotsirrtum unterlegen war.

335

Beruft sich der Betroffene auf einen (unvermeidbaren) Verbotsirrtum, darf die Verfolgungsbehörde nicht vorschnell zugunsten des Betroffenen von einem Verbotsirrtum ausgehen.[102] Um Schutzbehauptungen auszuschließen, ist zu prüfen, ob die Einschlägigkeit eines Verbotsirrtums glaubhaft ist. Es ist zu fragen, auf welcher Vertrauensgrundlage in tatsächlicher Hinsicht der Betroffene zu der irrigen Annahme kam, sein Tun oder Unterlassen sei nicht verboten. Dabei kann es von Bedeutung sein, auf welchen konkreten Auskünften der Irrtum beruht.[103] So werden die Leitungspersonen von Unternehmen häufig bei dem Anteilserwerb, der Kapitalerhöhung oder dem Ad-hoc relevanten Ereignis rechtlich beraten worden sein. Beruft sich der Betroffene nach einem bußgeldrechtlichen Verstoß sodann darauf, wegen der erfolgten Rechtsberatung darauf vertraut zu haben, vollständig rechtmäßig gehandelt zu haben, wird zu ermitteln sein, was konkret Gegenstand der Rechtsberatung gewesen ist. War die Rechtsberatung zum Tatzeitpunkt darauf beschränkt, das Unternehmen z.B. hinsichtlich der Pflichten nach dem AktG zu beraten, fehlt dem Vertrauen des Betroffenen auf die Einhaltung der bußgeldrelevanten Handlungspflichten nach WpHG von vornherein die notwendige Tatsachengrundlage. Die Behauptung des Betroffenen, dennoch einem Gebotsirrtum unterlegen zu sein, wäre im Ergebnis kritisch zu hinterfragen.

336

In keinem Verbotsirrtum befindet sich, wer er die Vorstellung hat, seine Verhaltensweise verstoße möglicherweise gegen gesetzliche Vorschriften (bedingtes Unrechtsbewusstsein).[104] Nimmt der Betroffene diese Möglichkeit in sein Vorstellungsbild auf, kann er sich nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht auf einen Verbotsirrtum berufen.[105]

3. Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums

337

Der Verbotsirrtum ist dem Täter gem. § 11 Abs. 2 OWiG nicht vorzuwerfen, wenn der Irrtum unvermeidbar war. Im Kapitalmarktordnungswidrigkeitenrecht sind hierbei die Grundsätze anzuwenden, die zum strafrechtlichen Verbotsirrtum entwickelt wurden.[106]

 

338

Auf einen Verbotsirrtum können sich sowohl natürliche Personen als auch Unternehmen[107] berufen.[108] Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind strenge Maßstäbe an die Unvermeidbarkeit anzulegen:

„(Der Verbotsirrtum ist) unüberwindlich, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seinem Lebens- und Berufskreis zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte … Das setzt voraus, dass er alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa auftauchende Zweifel durch Nachdenken und erforderlichenfalls durch Einholung von Rat beseitigt hat … Hätte der Täter bei gehöriger Anspannung seines Gewissens das Unrechtmäßige seines Tuns erkennen können, so ist sein Verbotsirrtum verschuldet.“[109]

Bei den in der Bußgeldpraxis der BaFin so bedeutsamen echten Unterlassungsdelikten legt die Rechtsprechung prima facie einen weniger strengen Maßstab an. Danach ist der Irrtum des Täters über seine Handlungspflicht, der als Gebotsirrtum bezeichnet und nach § 11 Abs. 2 OWiG behandelt wird, gegenüber dem Verbotsirrtum bei einer Begehungstat allgemein eher entschuldbar.[110]

a) Anlass zur Überprüfung

339

Vorwerfbar ist der Verbotsirrtum, wenn der Täter tatbestandlich handelt, obwohl er zuvor Anlass zur Überprüfung seines rechtswidrigen Handelns hatte. Der Anlass ist grundsätzlich schon dann gegeben, wenn der Täter Kenntnis der Umstände hat, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören (sog. Appellfunktion des Tatbestandsvorsatzes).[111]

340

Bei den vielfach als „farblos“ gerügten Normbefehlen des Nebenstraf- und Ordnungswidrigkeitenrechts mag dieses Postulat nicht selbstverständlich sein. Allerdings richten sich diese Normbefehle – jedenfalls im Regelungsumfeld des Kapitalmarktrechts – häufig nur an bestimmte Normadressaten (Vorstände von Emittenten, Organe von WpDUs etc.), die sich in einem spezial-gesetzlichen Regelungsumfeld bewegen. Der Gesetzgeber bürdet den Normadressaten auf, sich laufend über die Rechtslage zu informieren.[112] In Zweifelsfällen müssen sie sich durch Nachdenken und Erkundigung[113] die notwendige Rechtskenntnis verschaffen.[114]

341

In der Praxis ist es fernliegend, dass ein Vorstand im Bußgeldverfahren mit der Behauptung durchgreifend gehört wird, er habe trotz vollständiger Sachverhaltskenntnis nicht einmal den Anlass gesehen, sein Tun oder Unterlassen auf die Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.[115] Ausnahmefälle können sich dort ergeben, wo der Betroffene eher zufällig in die Rolle eines Normadressaten gerückt ist. Als Beispiel mag der mit dem Kapitalmarktrecht gänzlich unvertraute Erbe dienen, der nach dem plötzlichen Tod der Erblasserin ein großes Aktienvermögen erwirbt und keine (fristgerechte) Veranlassung zur Prüfung der Pflichten nach dem WpHG erkannt hat.[116]

b) Rechtserkundigungsobliegenheit

342

Mehr Raum für unvermeidbare Verbotsirrtümer wird in der Praxis dort verbleiben, wo der Vorstand seiner Rechtserkundigungsobliegenheit nachgekommen ist und auf den nach Erkundigung eingeholten – unrichtigen – Rechtsrat vertraut hat. Voraussetzungen für die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums gem. § 11 Abs. 2 OWiG ist, dass die Rechtsauskunft vertrauenswürdig war.[117] Dies setzt voraus, dass die Auskunftsstelle zur Erteilung von Rechtsauskünften kompetent war.

aa) Kompetente Auskunftsstelle

343

Zu den kompetenten Auskunftsstellen gehört auf dem Gebiet des Kapitalmarktrechts bzw. des Wertpapierhandels die BaFin als zuständige Verwaltungs- und Bußgeldbehörde. Den Auskünften der Fachreferate der BaFin kann ein hohes Maß an Vertrauenswürdigkeit entnommen werden. War die Information unrichtig, etwa, weil die Auskunft des Fachbereichs „dahingesagt“ wurde und einer späteren Prüfung durch den Fachbereich nicht standhielt, dürfte sich der Betroffene im Bußgeldverfahren durchgreifend auf die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums gem. § 11 Abs. 2 OWiG berufen können. Das gilt auch im Fall der mittelbaren Auskunftserteilung. Vertraut der Betroffene auf die Auskunft seines stets zuverlässigen Rechtsanwalts, wonach dieser mit einem Sachbearbeiter der BaFin gesprochen habe, der keine kapitalmarktrechtlichen Bedenken habe, wird dies ebenfalls für die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums sprechen.[118]

344

Besondere Bedeutung wird in der Praxis dem Umstand zukommen, ob die BaFin tatsächlich eine Rechtsauskunft erteilen wollte bzw. aus Sicht eines verständigen Dritten erteilt hat oder ob sie erkennbar „vorbehaltlich näherer Prüfung“ erfolgt ist. In den letztgenannten Fällen dürfte ein unvermeidbarer Verbotsirrtum regelmäßig ausscheiden, weil keine hinreichend gesicherte Vertrauensgrundlage bestünde.

bb) Anwaltliche Rechtsauskunft

345

Das Vertrauen des Betroffenen auf die unrichtige Rechtsauskunft eines Rechtsanwalts kann ebenfalls die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums begründen. Umstritten ist dies bei Hausjuristen bzw. Syndikusanwälten, deren Rechtsauskunft – mit Blick auf ihre nicht zweifelsfreie Unabhängigkeit – kritischer Würdigung unterliegen wird.[119]

346

Die Vertrauenswürdigkeit der Rechtsauskunft eines Rechtsanwalts ist stets einer Einzelfallprüfung zu unterziehen. Generell gilt, dass die anwaltliche Rechtsauskunft objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgt sein muss.[120] Rechtsgutachten oder Rechtsauskünften mit Gefälligkeitscharakter fehlt von vornherein die notwendige Vertrauenswürdigkeit.[121]

347

Eine Auswahl an Aspekten, die bei der Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit der Rechtsauskunft bedeutsam sein können:[122]


-
-
-
-
- der Rechtsauskunft liegt eine vollständige und zutreffende Tatsachenschilderung zugrunde.

348

Hat der Betroffene keinen Rechtsrat eingeholt und sich glaubhaft auf einen Verbotsirrtum im Zeitpunkt der Tat berufen, kann sich die BaFin richtigerweise nicht damit begnügen, allein deshalb die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums zu bejahen, weil der Betroffene trotz Anlasses hierzu seiner Rechtserkundigungsobliegenheit nicht nachkam. Vielmehr muss sie den Nachweis führen, dass der Täter, hätte er sich um eine Rechtsauskunft bemüht, eine richtige Rechtsauskunft erhalten hätte (hypothetische Kausalität).[127]

D. Aufsichtspflichtverletzung, § 130 OWiG

349

Ist dem Vorstand oder anderen Leitungsorganen kein Direktverstoß gegen kapitalmarktrechtliche Bußgeldvorschriften vorzuwerfen, bleibt zu prüfen, ob eine Verletzung seiner Aufsichtspflicht besteht, die – insoweit subsidiär – nach § 130 OWiG bebußt werden kann (sog. „Auffangtatbestand“[128]). Die Bußgeldvorschrift des § 130 OWiG hat vor allem im Kontext der Verstöße gegen die Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten Bedeutung in der Bußgeldpraxis der BaFin.[129]

I. Sanktionsvoraussetzungen

350

§ 130 OWiG sanktioniert das vorsätzliche oder fahrlässige Unterlassen der erforderlichen Aufsichtsmaßnahme („Verletzung der Aufsichtspflicht“) des Betriebsinhabers, die bezweckt, im Unternehmen u.a. Ordnungswidrigkeiten nach WpHG zu verhindern. § 130 OWiG ist damit echtes Unterlassungsdelikt.[130] Grund der Sanktionierung ist nicht die Verursachung einer Rechtsgutsverletzung bzw. -gefährdung, sondern das Unterlassen von Vorkehrungen, um Rechtsgutsbeeinträchtigungen zu verhindern.[131] Der Vorstand oder andere Leitungsorgane werden daher im Bußgeldverfahren der BaFin nicht für das „Unrecht“ der Bezugstat, sondern für das Verwaltungsunrecht der Aufsichtspflichtverletzung selbst sanktioniert.[132]

1. Tatbestand

a) Täterkreis

351

Täter i.S.d. § 130 OWiG kann nur der Betriebs- bzw. Unternehmensinhaber sein (echtes Sonderdelikt).

352

Betriebsinhaber ist derjenige, der für die Erfüllung der das Unternehmen treffenden Pflichten verantwortlich ist.[133] Die Vorschrift schließt die Lücke zwischen der Verantwortung des Betriebsinhabers und dem Verhalten eines Mitarbeiters, die ohne § 130 OWiG Raum für sanktionslose Sachverhalte ließe, soweit die den bußgeldrelevanten Verstoß unmittelbar begehende Person nicht zum Personenkreis des § 9 OWiG zählt.[134] Rechtspolitisch soll über § 130 OWiG derjenige sanktioniert werden, der aufgrund von im Wirtschaftsleben notwendiger Delegation und Arbeitsteilung nicht mehr selbst zur unmittelbaren Pflichterfüllung berufen ist, andererseits aber der eigentliche Normadressat und zugleich häufig derjenige ist, dem die „Vorteile der Tat“ zufallen.[135] Dem Betriebsinhaber verbleibt die Pflicht zur Oberaufsicht.[136] Die Delegation erweitert lediglich den Täterkreis des § 130 OWiG, die „Flucht“ aus der Aufsichtspflicht ist nicht möglich.[137]

353

Die persönliche Eigenschaft der Betriebs- bzw. Unternehmensinhaberschaft wird als besonderes persönliches Merkmal unter den Voraussetzungen des § 9 OWiG auf Vertreter oder Beauftragte der Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Emittenten übertragen.[138] Besteht das verantwortliche Leitungsorgan (z.B. der Vorstand) – wie nicht selten in der Praxis – aus mehreren Personen, trifft alle die Pflicht aus § 130 OWiG. Anderes kann im Fall horizontaler Pflichtendelegation gelten, wenn die interne Geschäftsverteilung die Verantwortlichkeiten für einzelne Geschäftsbereiche konkret regelt.[139] Häufig werden der Vorstandsvorsitzende (CEO) oder der Finanzvorstand (CFO) des Unternehmens, bezogen auf kapitalmarktrechtliche Verpflichtungen, in der Verantwortung stehen. Drängt sich auf, dass das zuständige Mitglied des Leitungsgremiums seiner Aufsichtspflicht nicht nachkommt, sind wiederum alle Mitglieder des Gremiums verantwortlich.[140] Sollte innerhalb des Leitungsorgans auf eine konkrete Aufgabenverteilung verzichtet werden, stehen alle Beteiligten für die Verletzung der Aufsichtspflicht ein.[141]

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?