Magie am Hof der Herzöge von Burgund

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1.1.1.3. Gedruckte Quellen

Forschungen über die französische und burgundische Geschichte werden durch mehrere größere Editionen und laufende Editionsprojekte erleichtert, die für diese Arbeit herangezogen werden konnten. Für die Ereignisse um den angeblichen Zaubereianschlag des Grafen von Étampes unmittelbar wichtig sind die Editionen der Protokollbücher des Ordens vom Goldenen Vlies, die von Sonja Dünnebeil bearbeitet werden und seit 2002 in der Instrumenta-Reihe des Deutschen Historischen Instituts Paris erscheinen.16 Von Relevanz ist hier insbesondere das zweite Protokollbuch, in dem die Kapitelsitzung in Brügge aus dem Jahre 1468 und damit der Ausschluss des Grafen von Étampes aus dem Orden vom Goldenen Vlies dokumentiert ist.

Zu den älteren Editionen gehören diejenigen der Briefbestände französischer und burgundischer Adeliger. Verwendung konnten davon die Lettres de Louis XI. finden, in denen allerdings nur die durch Ludwig geschriebenen, nicht die von ihm empfangenen Briefe ediert sind.17 Die edierten Briefe Karls des Kühnen verzeichnen hingegen sowohl solche, die er selbst verfasst hat, als auch Briefe, die er empfangen hat.18 Die Anzahl der Schriftstücke insgesamt ist allerdings geringer als die des französischen Königs. Auch für die Geschichte der burgundischen Niederlande oder das Wirken der Herzöge in diesem Gebiet wurden ausführliche Editionen historischer Werke oder kleinere Quellenbestände bereits seit dem 19. Jahrhundert herausgegeben und konnten für diese Arbeit herangezogen werden.19

Eine zentrale Quelle der geschichtswissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Aufstieg und Fall des burgundischen Herzogtums im 14. und 15. Jahrhundert ist seit jeher die zeitgenössische Chronistik gewesen. Das betrifft durchaus auch französische Blicke auf das Herzogtum, etwa von Froissart oder den Chroniques de France, in erster Linie wird aber die ungewöhnlich reiche Geschichtsschreibung, die im Umfeld der burgundischen Herzöge selbst entstanden ist, herangezogen.20 Die Erscheinungsformen, Schreibanlässe und auch die Tendenzen der burgundischen Geschichtsschreibung sind ausgesprochen vielfältig; ebenso sind es die Selbstbezeichnungen. Neben den Begriffen mémoires oder chroniques findet sich oft auch der Ausdruck récueil. Trotz dieser unterschiedlichen Bezeichnungen lassen sich aber auch gewisse Parallelen herausarbeiten.21 Gemeinsam ist allen Werken zunächst die volkssprachige Abfassung; lateinische Historiographie in Prosaform entsteht am burgundischen Hofe nicht mehr. Gemeinsam ist den Chronisten auch die thematische Nähe zum burgundischen Hof, nehmen dessen Herzöge und ihre Taten doch großen Raum in den burgundischen Chroniken ein; ein Umstand, den die Herzöge auch durchaus für sich zu nutzen wussten. So urteilt Jean Devaux: »jamais, jusque-là, aucune maison princière n’avait bénéficié d’une production aussi soutenue qui fût à même de transmettre à la postérité les glorieux faits d’armes accomplis sous son égide.«22 Die Chronisten bemühten sich nach eigenen Aussagen um eine möglichst neutrale, wahrheitsgetreue Berichterstattung, auch wenn sich bei einigen Autoren zumindest gewisse Sympathien oder Antipathien für die Protagonisten ihrer Erzählungen, wenn nicht offene Parteilichkeit erkennen lassen.23 Die Verpflichtung, nur die tatsächlichen Ereignisse aufschreiben zu wollen, hatte auch Einfluss auf die Belegpraxis der Chronisten. Während im 13. und 14. Jahrhundert Augenzeugenberichte einen hohen Stellenwert zu haben schienen, tauchten im 15. Jahrhundert vermehrt Verweise auf namhafte Werke auf, wie es schon in der antiken Geschichtsschreibung gängige Praxis war.24 Oft handelte es sich hierbei um Chronisten früherer Jahre. Weiterhin wurden Ereignisse aber auch mit dem Verweis auf – namentlich genannte oder anonyme – Augenzeugen oder mit der Kennzeichnung als eigene Erlebnisse belegt.25

Zu den burgundischen Chronisten, die in dem genannten Zeitraum gelebt und gewirkt haben, gehören Enguerrand de Monstrelet (ca. 1390 – 1453), Jean le Fèvre de Saint-Remy (ca. 1395/96 – 1468), Jean de Wavrin (ca. 1400 – nach 1471), Mathieu d’Escouchy (ca. 1420 – nach 1482), Jacques du Clercq (1420 – 1501), Jean de Haynin (1423 – 1495), Georges Chastelain (um 1405 – 1475), Jean Molinet (1435 – 1507) und Olivier de la Mache (um 1425 – 1502). Eine Einschränkung für ihre Auswertung in der vorliegenden Arbeit ergibt sich aber aus der Lebenszeit und der erzählten Zeit der Chronisten, sodass sich eine Beschränkung auf die Chronisten Jean de Wavrin, Jacques du Clercq und Georges Chastelain ergibt, bei denen die Ereignisse um das Jahr 1463, also die Aufdeckung des Komplotts, oder der Ausschluss des Grafen aus dem Orden vom Goldenen Vlies 1468 erwähnt werden. Für die Darstellung anderer Ereignisse wiederum kann auf die Werke der anderen genannten Autoren zurückgegriffen werden.

Von den genannten drei Autoren, die als besonders aussagekräftig für die vorliegende Studie gelten dürfen, ist der indiciaire Georges Chastelain der bekannteste, was sich sowohl in der älteren als auch in der aktuellen Forschung niederschlägt.26 Er war als Historiograph in den Diensten zunächst Herzog Philipps des Guten, später auch bei Karl dem Kühnen tätig; er hat aber auch – vielleicht kann man sogar sagen: vor allem – als Dichter großen Ruhm erworben. Chastelains Chronique, die nur fragmentarisch überliefert ist,27 hat nicht nur unter Zeitgenossen, sondern auch in späteren Generationen interessierte Leser gefunden. Graeme Small hat dies in einem sehr illustrativen Beitrag aufgearbeitet, der den sich wandelnden Interessen an dem Chroniktext nachgeht.28 Die zeitgenössische Beliebtheit seiner Chronique, die sicher auch aus Chastelains dichterischer Prominenz heraus erklärlich wird, mag noch dadurch verstärkt worden sein, dass er selbst immer wieder die besondere Verantwortung seines Amts betonte.29 Er stellte bei allem Bemühen um Objektivität doch merklich sich und sein Werk in den politischen Dienst des Herzogs und der Führungseliten. Seine besondere Favorisierung des burgundischen Adels hat sogar die Frage aufgeworfen, ob Chastelain nicht selbst zum Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies geschlagen wurde.30

Jacques du Clercq und Jean de Wavrin haben erst in den letzten Jahrzehnten wieder verstärkt das Interesse der historiographiegeschichtlichen Forschung auf sich gezogen – ohne freilich, dass dieses Interesse je gänzlich abgebrochen war. Beide sind, wie bereits 1946 Jean Stengers herausgearbeitet hat, in ihren Arbeiten von der Chronik des selbsterklärten Froissart-Fortsetzers Enguerrand de Monstrelet abhängig.31 Über Jacques du Clercq ist als Person erstaunlich wenig bekannt; alle wesentlichen Details entstammen seinen Mémoires selbst.32 In der burgundischen Chronistik nimmt der Sohn eines Rats Philipps des Guten aus Lille eine Sonderstellung ein, weil er sein Werk offenbar selbstständig, jedenfalls ohne Referenz an einen fürstlichen Auftraggeber oder Adressaten verfasste – er schreibt à distance, wie Franck Mercier feststellte,33 was sich nicht nur auf die Darstellung, sondern unter Umständen auch auf den Grad der Informiertheit ausgewirkt haben könnte. Dem steht entgegen, dass du Clercq bei der Abfassung seiner Arbeit durchaus auch auf amtliche Schriftstücke zurückgegriffen hat.34 Ferner wird ein didaktischer Anspruch und eine Nähe zum Adel deutlich, die ihm möglicherweise seine Leserschaft am burgundischen Hof bescherten.35 »Er stand also«, folgert Klaus Oschema wohl zu Recht, »der Adels- und Hofkultur seiner Zeit vermutlich näher, als es die wenigen konkreten Details seiner Biographie, die wir kennen, zu zeigen vermögen.«36

Gelesen wurde du Clercq jedenfalls am burgundischen Hofe, denn Jean de Wavrin greift bei der Abfassung seines Werkes auf ihn zurück.37 Aus einer angesehenen flandrischen Familie stammend, aber unehelich geboren nahm dieser seiner Herkunft nach zunächst eine ambivalente Rolle in der burgundischen Hofgesellschaft ein, scheint dann aber eine steile Karriere am Hof gemacht zu haben.38 Mehrfach war er im Auftrag Philipps des Guten in Frankreich, England und Italien;39 auch unter Karl dem Kühnen war er beschäftigt. Bedeutsam ist ferner seine große Sammlung von Büchern gewesen, die Antoinette Naber näher untersucht hat.40 Wavrins Receuil des croniques et anchiennes istories de la Grant Bretaigne, a présent nommé Engleterre wurden und werden verstärkt von der britischen Forschung beachtet;41 seine besondere persönliche Stellung als Chronist zwischen England und Burgund hat vor einigen Jahren noch Alain Marchandisse beleuchtet.42

 

1.1.2. Vorbemerkungen zur Forschungsliteratur

Aufgrund der besonderen Überlieferungssituation des Aktenmaterials, das im Mittelpunkt dieser Studie steht, liegt auf der Hand, dass Forschungsliteratur dazu bislang nicht existierte. Der Prozess selbst ist der Forschung zumindest seiner Existenz nach freilich über die Erwähnungen durch burgundische Chronisten bekannt gewesen und wird hier und da auch en passant erwähnt.43 Dass er nie ausführlicher thematisiert worden ist, liegt an den allzu kurzen Erwähnungen, die sich bei den Chronisten finden lassen. Erst das nun zugängliche Prozessmaterial erlaubt es überhaupt, Licht auf die Sache zu werfen.

Bevor das Material aber einer näheren Untersuchung unterzogen wird, gilt es, einen ersten Blick auf die bisher existierenden Grundlagen zu werfen, auf denen diese Arbeit aufbauen kann. Diese Vorbemerkungen sollen allerdings nur die Aufgabe eines allgemeinen Überblicks erfüllen; Detailforschungen werden in den jeweiligen Einzelkapiteln zu diskutieren sein.

Insgesamt gesehen hat das rund hundertjährige ›Phänomen Burgund‹ – der bemerkenswerte Aufstieg eines vergleichsweise kleinen Herzogtums innerhalb weniger Generationen zu einem der zentralen Spieler auf dem Feld westeuropäischer Politik und dessen nicht minder rasches Verschwinden nach dem Tod Karls des Kühnen – die Forschung schon immer fasziniert. Eines der nicht nur in dieser Hinsicht Epoche machenden Werke ist sicherlich Johan Huizingas Herbst des Mittelalters (1919), das aber nicht am Anfang, sondern auf dem Gipfel einer Beschäftigung mit der burgundischen Geschichte während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts steht.44 Huizinga greift in großem Maße auf die burgundischen Chronisten zurück, um sein Bild eines zutiefst zerrissenen Zeitalters zu zeichnen.

Kaum mehr überschaubar ist die Literaturlage der Burgundforschung vor allem in Frankreich und den BeNeLux-Ländern, als den ehemaligen Herrschaftsgebieten der burgundischen Herzöge geworden.45 Hervorzuheben sind dabei insbesondere die Tätigkeiten des Centre européen d’études bourguignonnes, das durch die von ihm veranstalteten Konferenzen und den daraus hervorgehenden Publikationen große Strahlkraft besitzt. Unverzichtbar und daher für die Geschichte Burgunds, die westeuropäische Geschichte und die Erforschung höfischer Strukturen zu erwähnen, sind zudem die Annales de Bourgogne, die Revue du Nord sowie die Reihe Residenzenforschung. In der Schweiz sind – historisch nicht weiter verwunderlich – vor allem Arbeiten zu den eidgenössischburgundischen Beziehungen, vor allem also zu den Burgunderkriegen, entstanden.46 Dieses Interesse ist ungebrochen und hat sich noch 2008 in der großen Landesausstellung »Karl der Kühne« niedergeschlagen, die zunächst in Bern, in den Jahren 2009 und 2010 dann auch in Brügge und Wien zu sehen war.47 Vor allem in den 1990er und 2000er Jahren hat sich auch die deutsche historische Forschung wieder stark für das burgundische Spätmittelalter interessiert, wobei das Deutsche Historische Institut Paris unter der damaligen Leitung von Werner Paravicini sicher als ein zentraler Motor dieser Beschäftigung gelten darf. Auch im Umfeld seines Kieler Lehrstuhls sind eine Reihe von Qualifikationsarbeiten und andere Schriften entstanden; gleiches gilt für den Frankfurter Lehrstuhl von Heribert Müller und den Münsteraner Lehrstuhl von Martin Kintzinger. Aber auch jenseits dieser ›Zentralorte‹ der deutschen Burgundforschung hat man in den letzten Jahrzehnten starkes Interesse am burgundischen Spätmittelalter feststellen können.

Besonderes Forschungsinteresse galt in den letzten Jahren zudem wieder der starken Position der niederländischen Städte, die häufig in Opposition zu den Herzögen von Burgund standen und deren Rebellionen nicht selten durch französische Fürsten unterstützt wurden.48 Dies hat schon 1964 Christa Dericum in ihrer Heidelberger Dissertation interessiert und ist seitdem immer wieder aufgegriffen worden.49 Der Erforschung dieser und anderer stadtgeschichtlicher Aspekte widmet sich insbesondere die Reihe Urban History, aber auch zahlreiche weitere Sammelbände und Einzelpublikationen stützen dieses Forschungsinteresse. Ungebrochen ist schließlich auch die Motivation der Burgundforschung, sich mit dem Übergang des burgundischen zum habsburgischen Reich zu beschäftigen.50

Im Mittelpunkt der internationalen Burgundforschung stand und steht aber wohl die Erforschung der burgundischen Hofkultur,51 die geradezu eine Vorbildfunktion im spätmittelalter-frühneuzeitlichen Europa erfüllt habe.52 Das betrifft insbesondere Formen der künstlerischen Repräsentation – zumal auch von Politik.53 Kaum zu trennen von der Prachtentfaltung des burgundischen Hofes sind aber auch dessen politische Verflechtungen, die immer wieder das Interesse der Forschung auf sich gezogen haben: etwa das Verhältnis zum Reich54 und zu Frankreich,55 in geringerem Maße auch zu England.56 Martin Kintzinger hat versucht, diese Verbindungen in einen umfassenden Kontext europäischer West(ver)bindung(en) einzubetten.57 In den letzten Jahren schließlich ist in auffälliger Dichte die Rolle der Frauen am burgundischen Hof auf das Tableau der Forschung gerückt.58

1.2. Historische Hinführung
1.2.1. Zur burgundischen Geschichte im 15. Jahrhundert

Der in der Forschung vorherrschende Begriff des burgundischen Staates59 bezeichnet ein ungewöhnliches politisches Gebilde im ausgehenden Mittelalter.60 Es entstand im 14. Jahrhundert mit der Vergabe des Herzogtums Burgund durch den französischen König Johann II. (1350 – 1364) an seinen jüngsten Sohn Philipp (1363 – 1404), als eine Seitenlinie des Königshauses Valois. Dieser Herzog wurde später als Philipp der Kühne bekannt. Das zunächst vergleichsweise kleine Herzogtum schaffte es innerhalb weniger Jahrzehnte, zu einem der Zentren des westeuropäischen Machtgeschehens zu werden. Diese Entwicklung vollzog sich durch die schrittweise, aber beständige Ausweitung des burgundischen Besitzes durch Erwerb, Erbe, Heirat und Krieg, die aber durch einen steten Bezug zum französischen Königtum geprägt blieb. Das dadurch entstandene Gebiet, der état bourguignon, umfasste neben dem Herzogtum und der Freigrafschaft Burgund auch Herrschaften im heutigen Belgien, den Niederlanden und Luxemburg. Die Herzöge von Burgund waren dadurch nicht nur von Frankreich, sondern auch vom Reich her lehnsabhängig. Daneben war das Herzogtum, insbesondere während der Zeit des Hundertjährigen Krieges, auch durch Verbindungen zum englischen Königshaus geprägt.61

Die vorliegende Studie beschäftigt sich speziell mit Ereignissen in den letzten Regierungsjahren Herzog Philipps des Guten (1419 – 1467) zu Zeiten sich verschärfender Konflikte mit seinem Sohn, dem späteren Karl den Kühnen (1467 – 1477). Daher soll im Folgenden in einigen groben Zügen die historische Situation um die Mitte des 15. Jahrhunderts, in die sich die Fallstudie des Processus contra dominum de Stampis einfügt, umrissen werden.

Die Herrschaft Herzog Philipps des Guten begann mit einem Mord, der das Verhältnis zwischen Frankreich und Burgund nachhaltig beeinflussen sollte. In der Spätphase des Hundertjährigen Krieges kam es durch Konflikte zwischen den Burgundern und den Armagnacen auch zu starken innerfranzösischen Auseinandersetzungen.62 Im Zuge dessen waren Annäherungen zwischen Karl VI. (1380 – 1422), dem Dauphin und den Burgundern notwendig geworden.63 Eines der anvisierten Treffen zwischen dem zweiten Herzog von Burgund, Johann Ohnefurcht (1404 – 1419), und dem Dauphin endete jedoch am 10. September 1419 in Montereau-fault-Yonne mit der Ermordung Johanns Ohnefurcht.64 Der Mord an seinem Vater führte dazu, dass sich der neue Herzog von Burgund, Philipp der Gute, verstärkt England zuwandte, wenngleich der französisch-burgundische Kontakt nicht vollkommen abriss. Zu einer ernsthaften diplomatischen Annäherung und einem Friedensschluss zwischen Frankreich und dem Haus Burgund kam es im Jahr 1435 mit dem Vertrag von Arras.65 Dies bedeutete zunächst vor allem das vorläufige Ende der anglo-burgundischen Beziehungen; das burgundisch-französische Verhältnis blieb jedoch trotz des Friedensschlusses angespannt und wurde insbesondere durch den Konflikt Karls VII. (1422 – 1461) mit seinem Sohn Ludwig und der Flucht des Dauphins an den burgundischen Hof 1456 noch verschärft.66 Philipp gewährte dem jungen Ludwig seine Gastfreundschaft, die dieser bis zum Tode des Vaters 1461 annahm. Bereits zu dieser Zeit soll der Dauphin eine Abneigung gegen Prunk und Gepränge gehegt haben; eine Abneigung, die sich in der Nähe der burgundischen Macht- und Prachtentfaltung vergrößert haben mag.67 Bei der Krönung Ludwigs XI. (1461 – 1483) zum französischen König ist das Haus Valois-Burgund aber als angesehener Gast vertreten. Diese Vorgeschichte mag Philipp den Guten dazu veranlasst haben, auf ein gutes Verhältnis zu Frankreich und auf einen gewissen Einfluss auf dessen neuen Regenten zu hoffen. Seine Erwartungen wurden indes durch das ambitionierte machtpolitische Agieren des Königs enttäuscht. Ludwig XI. versuchte vielmehr seit Beginn seiner Regentschaft, den Einfluss Burgunds einzudämmen.68

Dieses Vorgehen war aus französischer Sicht nur zu verständlich, zählte Philipp der Gute doch durch die glänzende Entwicklung seines Herzogtums zu den mächtigsten Fürsten in Westeuropa. So hatte sich der Herzog zunächst in einem mehrere Jahre dauernden, durchaus auch kriegerischen Ringen mit seiner Cousine Jacqueline die Grafschaften Hennegau, Holland und Zeeland gesichert.69 In anderen Fällen verlief der Gebietszuwachs friedlicher. So konnte er die Grafschaft Nemours käuflich erwerben, während das Herzogtum Brabant als Erbschaft an ihn fiel.70 Hinzu kam der Erwerb des Herzogtums Luxemburg und der kleineren Herrschaften Mâcon und Auxerre.71 1461 befand sich Philipp zudem in der Position, mehrere Revolten von Städten seiner nördlichen Territorien niedergeschlagen zu haben, unter denen besonders der lange währende Krieg gegen Gent hervorzuheben ist.72

Die selbstbewusste französische Politik Ludwigs XI. führte zu weiteren Spannungen im burgundisch-französischen Verhältnis, da auch der Graf von Charolais als zukünftiger burgundischer Herzog ihr in Sorge um sein Erbe äußerst kritisch gegenüber stand. Insbesondere der Rückkauf der Somme-Städte im Jahr 1464 verschärfte die Abneigung Karls gegen den französischen König und erhöhte zugleich die Spannungen zwischen Herzog Philipp und seinem Sohn.73 Die königliche Politik rief allerdings nicht nur in Burgund Ablehnung hervor, sondern führte zu der Formierung einer Opposition französischer Fürsten, der Ligue du Bien Public. Die Unzufriedenheit mündete in die sogenannten Guerre du Bien Public, einen Krieg mehrerer französischer Fürsten gegen Ludwig XI., in dem Karl von Burgund faktisch die Führung gegen den König übernahm. Die berühmte Schlacht von Montlhéry am 16. Juli 1465 brachte aber keine Entscheidung. Ludwig musste nach Paris flüchten, wo er mehrere Monate von seinen Gegnern belagert wurde.74 Erst mit dem Vertrag von Conflans im Oktober 1465 konnten die Konflikte für einige Zeit unterdrückt werden. Die Auseinandersetzungen zwischen Karl und Ludwig brachen allerdings nach dem Tod Philipps des Guten wieder aus und führten zu weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen, die erst mit dem Vertrag von Péronne 1468 beigelegt wurden.75

 

Die herausragende Stellung, die die Herzöge von Burgund unter den französischen Fürsten einnahmen, führte nicht nur zu Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen mit Frankreich und den mit dem Königtum verbündeten Fürsten. Es ergaben sich zudem, insbesondere aus dem Bestreben, die burgundische Erbschaftsfolge zu sichern, zahlreiche inner-burgundische Konflikte, auf die an späterer Stelle noch einzugehen sein wird.76 Diese Konfliktsituationen bilden gleichsam den Rahmen für die vorliegende Studie.

Der Graf von Étampes nun war nicht nur als Familienmitglied dem Haus Burgund eng verbunden. Er stand Philipp dem Guten auch bei dessen militärischen Unternehmungen zur Seite. Jedoch wurden dem Grafen seitens des burgundischen Erben Karl schwere Vorwürfe gemacht, ein Komplott gegen ihn geplant zu haben. Diese Vorwürfe reichten dabei bis zu der Anschuldigung, der Graf von Étampes habe ihm, damals noch Graf von Charolais, mittels Wachsfigurenmagie schaden wollen. Der Fall Étampes reiht sich damit in die zahlreichen Prozesse des späten Mittelalters ein, die wegen Verrats, Illoyalität oder eines Anschlagsversuchs auf den König oder einen Fürsten geführt wurden. Unabhängig davon, ob solche Vorwürfe nun gerechtfertigt waren oder nicht, wurden diese Prozesse häufig dazu genutzt, um unliebsame Gegner aus dem Weg zu räumen.