Handbuch Bio-Gemüse

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Dünger & Pflanzenstärkungsmittel aus dem eigenen Garten

Im Bio-Garten bewähren sich seit vielen Jahren verschiedene Pflanzen, die zur Stärkung der Widerstandskraft der Kulturpflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie zur Düngung der Pflanzen eingesetzt werden können. Während Jauchen als Dünger verwendet und auf den Boden aufgebracht werden (außer im jungen Stadium, siehe unten), werden Tees direkt auf die Pflanzen aufgesprüht. Jauchen dürfen nur auf den feuchten Boden aufgebracht werden, damit sie die Wurzeln nicht verätzen.

Welche Pflanzen kann man zu Pflanzenjauchen verarbeiten?

Die ideale Pflanze ist die Brennnessel – sie hat sowohl eine starke Düngerwirkung wie auch eine schädlingsvertreibende Wirkung. Beinwell wirkt etwas langsamer, kann aber aus diesem Grund sehr gut mit Brennnessel gemischt werden. Ebenso können die Blätter von Löwenzahn, Schafgarbe, Kohlarten, aber auch andere Wildkräuter untergemischt werden.

Wie setzt man eine Pflanzenjauche an?

Man benötigt ein Gefäß aus Holz oder Plastik, füllt es halbvoll mit Kräutern und füllt es mit Wasser auf. Am besten eignet sich dazu Regenwasser, aber Brunnenwasser oder Leitungswasser ist auch möglich. Die Gefäße maximal bis 10 cm unter den Gefäßrand füllen. Die Kräuter vergären nun – und zwar abhängig von der Temperatur. Der Gärprozess setzt nach 1–2 Tagen ein und ist nach 10–20 Tagen abgeschlossen. Im Hochsommer ist eine Pflanzenjauche schneller fertig als im Frühjahr. Zuerst trübt sich die Flüssigkeit, allmählich nimmt sie eine dunkelbraune Farbe an und im letzten Stadium ist sie eine dunkle Brühe mit schon vergehender Pflanzensubstanz. Wenn die Jauche nicht mehr schäumt, ist dies das Zeichen, dass sie fertig vergoren und reif für die Ausbringung ist. Im Verlauf der Gärung entwickelt die Pflanzenjauche einen starken Geruch. Wen dieser Geruch stört, der bindet ihn mit einer Hand voll Steinmehl oder Kompost. Die Jauche riecht allerdings nur dann, wenn sie bewegt oder ausgebracht wird. Der Geruch ist nur schwer von den Händen abzuwaschen. Am besten daher beim Ausbringen Handschuhe tragen.

Brennnessel – die ideale Bio-Düngerpflanze


Im Biogarten reift der selbstgemachte biologische Flüssigdünger – Pflanzenjauchen – in Fässern.

Grundrezept Pflanzenjauche: Zur Bereitung einer Jauche werden die Pflanzen immer in kaltes Wasser eingeweicht. Faustregel: 1 kg frische oder 150 g getrocknete Pflanzen auf 10 l Wasser. 2–3 Wochen stehen lassen und gelegentlich umrühren.


Kräuter und Blumen im Garten ziehen Nützlinge magisch an.

Wie verwendet man Pflanzenjauchen?

Die noch junge Pflanzenjauche kann man zum Stärken der Jungpflanzen verwenden: Die Jungpflanzen vor dem Auspflanzen kurz in die Jauche einstellen. In diesem frühen Stadium kann man die Pflanzenjauche auch zur Abwehr von Blattläusen verwenden und die Jauche auf Pflanzen ausbringen. Je weiter die Pflanzenjauche vergoren ist, desto stärker muss man sie für diesen Zweck mit Wasser verdünnen. Wenn die Kräuter schließlich vollständig verjaucht sind (also die Brühe dunkelbraun ist), darf sie nicht mehr über Pflanzen gegossen werden, sie würde die Blätter verätzen. Dann dient sie als Dünger, der auf den Boden aufgebracht wird.

Ackerschachtelhalmjauche ist das bewährteste Mittel zur Stärkung der Pflanzen gegen alle Pilzkrankheiten. Ackerschachtelhalm zeichnet sich durch einen extrem hohen Kieselsäuregehalt (bis zu 10 %) aus. Kieselsäure festigt das Gewebe der Pflanzen und erhöht dadurch ihre Widerstandskraft gegen Pilzinfektionen (Mehltau, Rost, Blattfleckenkrankheiten, Schorf, Kraut- und Knollenfäule, Monilia sowie Spinnmilbe und Lauchmotte). Wer Ackerschachtelhalm im Garten oder in der Umgebung nicht wild sammeln kann, bekommt ihn auch in der Apotheke. Sobald Jungpflanzen im Garten gesetzt sind, alle zwei Wochen jeweils drei Tage hintereinander Schachtelhalmjauche 1:10 verdünnt in den frühen Morgenstunden auf die Pflanzen aufbringen – am besten auf die Blattunterseite spritzen, wo die Flüssigkeit über die Spaltöffnungen besonders gut ins Blatt eindringen kann. Gespritzt wird bei bedecktem Wetter – bei Sonnenschein kann die Brühe Brandschäden auf den Blättern verursachen und bei Regen ist sie wirkungslos, da der Regen die Brühe sofort abwäscht. Manche Bio-Gärtnerinnen spritzen auch Jauchen mit folgenden Pflanzen vorbeugend gegen Pilzkrankheiten: Knoblauch und Kren (Meerrettich), Bärlauch, Zwiebel, Schnittlauch – hier wirken Schwefelverbindungen und Senfölglykoside.

Pflanzentees

Im Gegensatz zur Jauche wird die Brühe immer durch Abkochen hergestellt. Um die Wirkstoffe besser auszunutzen, werden die Pflanzen – am einfachsten mit einer Gartenschere – zerkleinert. Auch hier: 1 kg frische oder 150 g getrocknete Pflanzen in 10 l Wasser 24 Stunden einweichen und mindestens 30 Minuten köcheln lassen. Anschließend lässt man den Tee abkühlen, wobei der Topf stets bedeckt sein soll. Danach wird abgesiebt und der Tee ist gebrauchsfertig. Die Kräuterreste finden als Mulchmaterial Verwendung. Zum Ausbringen 1:5 verdünnen. Pflanzentees werden entweder mit einer Rückenspritze oder in kleineren Gärten mit Spritzflaschen auf die Pflanzen aufgesprüht.

Beispiele für Tees und Einsatzmöglichkeiten

(ausführliche Rezepte siehe Schnitzer 2006)

Kamille: Grauschimmel bei Erdbeeren, als Saatgutbeize

Rainfarn/Ackerschachtelhalm: Feuerwanzen

Baldrian: Blattdüngung für blüten- und fruchtbringende Gemüse, Blumen und Beeren

Rund um die Gemüsebeete

Ein guter Platz für einen Gemüsegarten ist umgeben von einem belebten Garten, aus dem rasch Nützlinge einwandern können, sobald Schadinsekten an den Gemüsepflanzen nagen. Hier kann eine Hecke gute Dienste leisten. Für viele Nützlinge ist sie Brut- und Nistplatz, aber auch Nahrungsquelle und Schutz vor Feinden. Und: Sie bremst den Wind und schafft ein günstigeres Kleinklima. Ebenso günstig sind Staudenbeete rund um den Gemüsegarten mit vielen blühenden Pflanzen. Besonders viele Nützlinge ziehen Korbblütler, Lippenblütler und Doldenblütler an (z.B. Kugeldistel, Astern, Ysop, Salbei, Rosmarin, Gewürzfenchel). Ein blühender Garten ist auch wichtig, um Insekten anzuziehen, die die Pflanzen bestäuben können – viele Fruchtgemüse bilden keine schönen Früchte, wenn sie nicht gut bestäubt sind.

Weiterführende Literatur:

• Velimirov, Alberta/Werner Müller 2003: Die Qualität biologisch erzeugter Lebensmittel. Ergebnisse einer umfassenden Literaturrecherche, Wien (www.ernte.at)

• Fortmann, Manfred 2007: Das große Buch der Nützlinge, Stuttgart

• Schnitzer, Arthur 2006: Gärtnern ohne Gift. Ein praktischer Ratgeber, Wien

• Natur im Garten 2000: Grundlagen naturnahen Gärtnerns. Teil 1: Gemüsebau im Hausgarten, St. Pölten (www.naturimgarten.at)

• FIBL 2000: Bio fördert Bodenfruchtbarkeit und Artenvielfalt. Erkenntnisse aus 21 Jahren DOK-Versuch, Frick (www.fibl.at)

Über die Vielfalt

Mit diesem Buch möchten wir einen Einblick in die Vielfalt samenfester Sorten bieten. Für viele Nicht-GärtnerInnen stellt sich an dieser Stelle vielleicht die Frage, was samenfeste Sorten sind. Kurz gesagt ist es jene Form der Pflanzenzüchtung, welche die Vielfalt der Kulturpflanzen hervorgebracht hat. Die ermöglicht hat, dass Samen mit Menschen wandern und sich an neue Orte anpassen. Jene Form der Züchtung, die Kulturpflanzen wandel- und veränderbar hält. Denn samenfeste Sorten geben ihre Eigenschaften in einem kontinuierlichen Erbstrom an ihre Nachkommen weiter. Die Pflanzen, die wir aus samenfesten Samenkörnen ziehen, ähneln jenen Pflanzen, an denen die Samen gereift sind, den Mutterpflanzen. Doch genetisch sind sie nicht 100 % ident mit ihren Mutterpflanzen, stets bleiben samenfeste Sorten leicht variabel. Stets setzen sich jene Pflanzen aus einem Bestand durch, die unter den Umwelt- und Kulturbedingungen am besten gedeihen. Das können in einem Jahr jene Pflanzen sein, die mit der herrschenden Frühjahrstrockenheit am besten zurechtgekommen sind. Im nächsten Jahr jene, die sich gut gegen die Pilzkrankheit zur Wehr setzen konnten, welche sich im feuchten Sommer ausgebreitet hatte. Und in einem dritten Jahr jene Pflanzen, deren Früchte zur Abreife gelangten, obwohl die ersten Fröste im Herbst besonders früh eingebrochen waren. Solchermaßen kommuniziert eine Sorte mit der sie umgebenden Welt oder umgekehrt die Umwelt mit der Sorte. Dazu zählen auch die vom Menschen geschaffenen Kulturbedingungen – ob und in welcher Form Äcker oder Beete mit Düngemittel versorgt sind, wie belebt die Böden sind, in welcher Form bewässert wird. Solchermaßen können auch wir Gärtnerinnen und Gärtner mit samenfesten Sorten kommunizieren und sie an unsere Geschmäcker und Ansprüche anpassen, jene Formen anbauen, welche die für uns günstigsten Nutzungseigenschaften haben. Und während der eine gerne säuerliche Paradeiser isst, bevorzugt die andere milde Früchte mit wenig Säure. Während die eine feste, knackige Salatblätter schätzt, mag der andere ausschließlich buttrig weiche Blätter. Auch diese unterschiedlichen Geschmäcker sind Quellen der Vielfalt – sowohl individuelle Vorlieben, wie auch jene, die gemeinschaftlich geprägt sind. So sind auch die kulturellen und sozialen Aneignungsprozesse spannend und vielfältig. Viele Kulturpflanzen wurden zu „typischen“ oder „traditionellen“ Ingredienzien von Nationalspeisen und lokal typischen Gerichten – sei es der steirische Ölkürbis oder die Erdäpfel, die in den vergangenen 200–300 Jahren großflächig Einzug gehalten haben. Und was wäre die italienische Küche ohne Saucenparadeiser, die sich so gut zu Sugos einkochen lassen?

 

Auch gegenwärtig gibt es immer wieder Pflanzen, die neu in unsere Gärten gelangen. Einige Beispiele: Seit wenigen Jahren wird Kiwi in Österreich erwerbsmäßig angebaut – und seit langem schon in Hausgärten. Auch die Gruppe der Asia-Salate (Pak Choi, Senfkohl, Mizuna und andere, die wir in diesem Buch beschreiben) ist relativ neu bei uns. Der Chinakohl, auch ein Asia-Salat, wird hingegen durch den Jahrzehnte langen Anbau in der Steiermark schon als „heimisches“ Gemüse empfunden. Migrantinnen und Migranten brachten und bringen Kulturpflanzen und -sorten aus aller Welt zu uns mit. Durch Gastarbeiter aus Bulgarien kam übrigens auch der Paprika ins Burgenland und die Expertise der bulgarischen Gärtner im Gemüsebau wurde von den österreichischen Erwerbs-Gemüsebauern lange Zeit hoch geschätzt. Der Gemüsebau im Seewinkel, eines der in Österreich gegenwärtig bedeutendsten Gemüseanbaugebiete, geht maßgeblich auf bulgarische Gärtner zurück, die sich ab den 1950er Jahren in der Region ansiedelten.

Ein Beispiel gärtnerischer Vielfalt

Ein Beispiel, das die Zunahme der Formenvielfalt durch gärtnerische Pflanzenzüchtung eindrucksvoll vor Augen führt, ist die Kohlart Brassica oleracea: Weißkraut, Rotkraut, Kohlrabi, Brokkoli, Karfiol, Kohlsprossen und Grünkohl gehören alle zur selben botanischen Art. Durch die unterschiedliche Nutzung und Auslese verschiedener Teile der Pflanze – Blatt, Stamm, Knospenanlage – entstanden diese verschiedenen Gemüse zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten, stets im Kontext einer bäuerlichen/gärtnerischen Kulturpflanzenzüchtung. Die Formen mit losem Blattwerk zählen zu den ältesten Kulturformen – Formen wie der Palmkohl waren bereits römischen Gärtnern und Gärtnerinnen bekannt. Die typischen Kopfkohlformen entstanden im frühen Mittelalter in Mitteleuropa, Kohlrabi ist seit dem 16. Jahrhundert bekannt, Karfiol erst seit Beginn der Neuzeit und Kohlsprossen sind die jüngste Kinder der Brassica-oleracea-Gruppe und kamen erst im Jahr 1785 in Belgien erstmals auf den Markt.


Paradeiser zeigen eindrücklich, was Vielfalt heißen kann.

Anbauen und Züchten

In dieser bäuerlichen und gärtnerischen Pflanzenzüchtung sind Züchten und Anbauen nicht zwei voneinander getrennte Tätigkeiten, sie sind eng miteinander verzahnt und beeinflussen sich wechselseitig: In diesem Verständnis züchtet jeder Mensch, der Pflanzen kultiviert und ihre Früchte und Samen erntet. Das Selbstverständnis, dass Bäuerinnen und Bauern Kulturpflanzen züchten, findet sich in vielen Dialekten und bäuerlichen Alltagssprachen wieder – z.B. in Südtirol im Wort „Zîgeln“. Der Hinweis: „Sie züchtet in ihrem Garten Zucchini“, meint nicht, dass eine Gärtnerin professionelle Pflanzenzüchterin ist, sondern dass sie in ihrem Garten Zucchini anbaut. In einem Zeitraum von etwa 30 Jahren kann sich eine Sorte an einem neuen Standort soweit verändert haben, dass eine „neue“ Lokalsorte entstanden ist. Doch auch in viel kürzeren Zeiträumen können Züchterinnen und Züchter Sorten durch starke Auslese verändern und neue Eigenschaften ausprägen. Ein bedeutender Aspekt der bäuerlichen Pflanzenzüchtung ist, dass Pflanzen, wenn sie an einem Standort angebaut und vermehrt werden, sich auch den an diesem konkreten Standort auftretenden Krankheiten und Schädlingen anpassen können. Der Forschungszweig der „Bio-Kommunikation“, der chemischen Ökologie, ist noch ein sehr junger. Doch man weiß mittlerweile, dass Pflanzen bestimmte Abwehrmechanismen gegen Schädlinge entwickeln können oder z.B. Nützlinge durch Duftsignale aktiv gegen einen Schädlingsbefall zu Hilfe holen können – und diese Eigenschaften kann man durch die Auslese solcher robusterer Pflanzen für den Samenbau fördern.


Der US-amerikanische „Amateurzüchter“ Tom Wagner züchtete in den 1970er Jahren die samenfeste Sorte ‚Green Zebra‘. Bis heute schwört er auf samenfeste Sorten, reist durch die Welt, hält Züchtungsvorträge und meint: „My seeds are your seeds!“

Der Getreidezüchter Peter Kunz bezeichnet diese Mechanismen, die Pflanzen entwickeln können, als „Nachhaltige Resistenzen“, die auf dem Prinzip des „Lebens und Leben-Lassens“ basieren. Bei dieser Art von Resistenz findet z.B. ein Schadpilz zwar eine gewisse Verbreitung, die Pflanzen sind jedoch so robust, dass der Pilz nicht oder kaum ertragsmindernd wirken kann. In der „modernen“ professionellen Pflanzenzüchtung hat diese Form der Co-Evolution von Pflanze und Krankheit kaum einen Platz, da hier die meisten Züchtungsschritte der Resistenz-Züchtung im Labor stattfinden. Eine Co-Evolution von Pflanzen und Schädlingen hingegen braucht den Anbau der Pflanzen auf den Äckern und kann nicht ins Labor verlagert werden. Der Pflanzenzüchter Raoul A. Robinson propagiert die Züchtung von Kulturpflanzen in gemeinschaftlicher Zusammenarbeit von PflanzenzüchterInnen und BäuerInnen in Form von „plant breeding clubs“.

Pflanzen passen sich auch der Art und Weise, wie sie mit Dünger und Wasser versorgt werden, an. Wird z.B. eine Pflanze ausschließlich mit leicht wasserlöslichen, chemisch-synthetischen Düngern gedüngt und mit intensiver Bewässerung versorgt, besteht für die Pflanzen kein Anreiz, ein starkes Wurzelsystem auszubilden – und so kann auch keine Auslese in diese Richtung erfolgen. Sorten, die auf eher kargen Böden wachsen, bilden über Generationen ein stärkeres Wurzelsystem aus, denn jene Individuen gedeihen am besten, die gut aktiv Nährstoffe und Wasser aus dem Boden erschließen können.

Vielfalt wurde kleiner

In den letzten 100 Jahren sind viele Sorten der bäuerlichen und gärtnerischen Züchtung verloren gegangen. Laut Schätzung der UN-Welternährungsorganisation FAO sind weltweit seit Beginn des 20. Jahrhunderts 75 % der Kulturpflanzenvielfalt unwiederbringlich verschwunden. Die Gründe dafür waren – wenn wir die Landwirtschaft weltweit betrachten – mehrschichtig:

• die Industrialisierung und Spezialisierung der Landwirtschaft

• die Einführung von Hochleistungssorten, viele davon Hybridsorten

• die Abnahme der landwirtschaftlichen Betriebe insgesamt und die Veränderung „traditionell” wirtschaftender Betriebe, der starke Rückgang der Selbstversorgungswirtschaft

• die Verwendung von Sorten aus professioneller Züchtung statt eigenen Lokalsorten

• die Umwidmung und Zerstörung landwirtschaftlicher Flächen

• Kriege und Hungersnöte

Vielfalt in unseren Gärten

Wenn man in die mitteleuropäischen Gemüsegärten blickt, nimmt man in den letzten Jahrzehnten eine andere Entwicklung wahr: Während die Anzahl der unterschiedlichen Kulturarten auf den Äckern vielerorts abgenommen hat, ist die Anzahl der verschiedenen Kulturarten in den Gärten gestiegen. Kulturpflanzen sind neu hinzugekommen: Paradeiser und Paprika, Zucchini, Melanzani und Andenbeeren sind hierfür genauso Beispiele wie Speisekürbisse oder die Klettenwurzel.

Ein Beispiel für neue Vielfalt – Paradeiser

Tomaten oder Paradeiser sind in Österreich, der Schweiz, aber auch in Südtirol noch „junge“ Kulturpflanzen. Erst im Laufe der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts wurden sie nach und nach bekannt. So erinnern sich viele ältere Menschen in Südtirol, dass sie die Früchte anfangs nicht gerne aßen. Der Gaumen musste sich wohl erst an den damals fremden und ungewöhnlichen Geschmack gewöhnen. Die ersten Sorten, die verbreitet waren, waren nach ihren Erzählungen Sorten mit runden, roten Früchten. Der bekannteste Sortenname war in Südtirol ‚Bozener Markt‘, die als Lokalsorte mit großen, glatten und runden, roten Früchten beschrieben wird. Eine andere Sorte, an die sich viele ältere BäuerInnen erinnern, ist der geschmackvolle Fleischparadeiser ‚Ochsenherz‘. Cocktailparadeiser, Buschparadeiser, Pelati-Paradeiser und andere Sortentypen kamen erst viel später in Umlauf. Seit einigen Jahren wird vielerorts eine große Sortenfülle angeboten und so lernen viele erstmals weißfleischige, orange oder violette Paradeiserfrüchte kennen. Ein Paradeiserzüchter, der die Vielfalt in den letzten Jahren stark geprägt hat, ist der US-Amerikaner Tom Wagner. Er selbst blieb relativ unbekannt, doch seine Züchtungen sind mittlerweile von New York bis Amsterdam, Wien und Hannover bekannt: Etwa die grüngelb gestreifte ‚Green Zebra‘, die Tom Wagner Anfang der 1970er Jahre züchtete, die gelbe ‚Banana Legs‘ oder die dunkle ‚Schimmeig Creg‘. Alle diese Sorten entstanden durch gezielte Kreuzungen zwischen verschiedenen samenfesten Sorten und anschließender Auslese. Tom Wagner hat übrigens nie einen Sortenschutz oder Patente auf die von ihm gezüchteten Sorten beansprucht. „My seeds are your seeds“, mit dieser Botschaft hat er sich 2009 auf eine Vortragsreise durch Europa gemacht und seine Züchtungen allen Interessierten zur Verfügung gestellt.

„Neue“ und „alte“ Kulturpflanzen in unseren Gärten: Zucchini und Andenbeere, Paradeiser und Tomatillo

Hybridsaatgut

Hybridsorten sind „Einmalsorten“. Sie können im Hausgarten nicht sinnvoll weiter vermehrt werden und müssen jährlich neu gekauft werden. Wird eine Hybridsorte weiter vermehrt, spaltet sie in verschiedene Formen auf; die Sorte als solche ist nicht beständig. Darin liegt ein Vorteil für die Firmen. Die Hybridtechnik kann als eingebautes „copyright“ einer Sorte bezeichnet werden. Rechtliche Sortenschutz-Systeme sind auf gesetzliche Verankerung und auf deren Überprüfung angewiesen, der „biologische Sortenschutz“ hingegen nicht.

Zurzeit werden viele samenfeste Sorten von den Sortenlisten gestrichen, der Anteil der gelisteten Hybridsorten steigt rasant. Z.B. waren im Jahr 1985 204 hybride Karottensorten im gemeinsamen EG-Sortenkatalog gelistet (das sind 43 % aller Karottensorten), im Jahr 1999 lag der Anteil bereits bei 366 Sorten und 73 %. Bei Paradeiser, Paprika oder Chinakohl liegen die Anteile mittlerweile bei ca. 80 %.

Hybridsaatgut steht am Ende eines mehrere Schritte umfassenden Vermehrungszyklus. Am Beginn steht das Erstellen von Inzuchtlinien. Einzelne Pflanzenindividuen werden mit sich selbst gekreuzt, um reinerbige (homozygote) Linien zu erhalten. Da die meisten Gemüse-Kulturarten Fremdbefruchter sind, muss die Pflanze für diese „erzwungene Selbstbefruchtung“ überlistet werden. Dies geschieht bei manchen Kulturarten mittels Einsatz biotechnologischer Methoden in den Labors der Züchtungsfirmen.

Hybridsorten bieten keine Grundlage für eine weitere Entwicklung der Kulturpflanzen und der Sortenvielfalt. Durch die Hybridzüchtung wird die Spezialisierung und damit auch die Abhängigkeit zwischen Züchtung und landwirtschaftlicher Produktion fortgeschrieben. Und schließlich kann der großflächige Anbau der sehr homogenen Hybridsorten auch ökologische Probleme mit sich bringen (Schädlingsdruck, Krankheitsdruck).