Der unschickliche Antrag

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Geschriebenes zwei

POLIZEIDIENSTSTELLE VON VIGÀTA

An den

Herrn Polizeipräsidenten

von

Montelusa

Vigàta, am 25. Oktober 1891

Betreff: Spitznamen

Bezüglich des Berichtes, den Sie über den Genuardi Filippo aus Vigàta von mir angefordert haben und der Ihnen postwendend zugesandt wurde, machen Sie mich darauf aufmerksam, daß ich mich wohl gerne mit Überflüssigem beschäftige. Und Sie verweisen dabei auf die jeweils genaue Übertragung eines jeden von mir zitierten Namens. Dafür bitte ich Sie um Nachsicht und versichere Ihnen, daß ich mich von nun an streng an Ihre Anweisungen halten werde.

Allerdings drängt es mich, Ihnen den Sinn für mein Thun zu erläutern.

Der größte Theil der beim Einwohnermeldeamt mit ihrem Tauf- und Familiennamen rechtmäßig eingetragenen Sizilianer werden in Wirklichkeit von Geburt an mit einem anderen Namen gerufen.

So wird, beispielsweise, ein Filippo Nuara von allen, angefangen bei den Eltern und Verwandten, Nicola Nuara genannt. Aus diesem herkömmlichen Namen wiederum wird die Verkleinerungsform Cola Nuara abgeleitet.

Von da an beginnen zwei unterschiedliche Personen zu koexistieren. Die eine, Filippo Nuara, lebt ausschließlich auf offiziellen Dokumenten; die andere, Cola Nuara, führt demgegenüber eine absolut reale Existenz. Gemeinsam ist den beiden lediglich der Familienname.

Cola Nuara wird jedoch schon bald mit dem versehen, was Sie als Spitznamen bezeichnen, wir aber Injuria nennen, ohne daß wir darin etwas Abfälliges oder Beleidigendes erblicken. Wenn, nehmen wir an, unser Cola Nuara leicht humpelt, so wird er mit Sicherheit »Cola der Hinkefuß« oder »Cola Tacktack« oder auch »Cola Meer voraus« und so weiter genannt, eben so, wie es der Phantasie gerade einkommt.

An diesem Punkt nun wird ein Gerichtsdiener des Gerichtes von Montelusa, der das nicht weiß, große Schwierigkeiten haben, »Cola Nuara den Hinkefuß« mit Filippo Nuara in Verbindung zu bringen, wenn er ihm einen Bescheid zustellen soll.

Mir sind an die zehn Leute bekannt, die in Abwesenheit verurtheilt wurden, jedoch gar nicht abwesend waren: lediglich ihre Identifikation war schwierig, wenn nicht gar unmöglich.

So erfuhr der Schullehrer Pasqualino Zorbo erst auf dem Sterbebette (im Alter von dreiundneunzig Jahren) zu seinem allergrößten Erstaunen, daß er eigentlich Annibale hieß.

Mein Kollege Antonino Cutrera, dessen wir uns alle wegen seiner scharfen Intelligenz rühmen und den ich die Ehre habe, meinen Freund zu nennen, wagte eines Tages, als wir miteinander darüber sprachen, eine Erklärung für einen so weit verbreiteten Brauch auf unserer Insel.

Die Verwendung eines anderen als des geburtsregisterlich korrekten Namens mit der Anfügung eines Spitznamens (Injuria), der nur innerhalb der Grenzen einer lokalen Gemeinschaft bekannt ist, folgt zwei gegensätzlichen Bedürfnissen.

Das erste besteht in der Verschleierung für den Fall einer Gefahr: ein doppelter (oder dreifacher) Name begünstigt die Verwechslung von Personen, man stiftet Verwirrung, die dem zugute kommt, der Objekt einer wie auch immer gearteten Nachforschung ist. Das zweite Bedürfnis besteht demgegenüber darin, sich nothfalls genau zu erkennen zu geben, um die Verwechslung zu verhindern.

Ich bitte um Entschuldigung dafür, daß ich mich nun doch so ausführlich geäußert habe.

Immer zu Ihren Diensten

Der Leiter der Polizeidienststelle von Vigàta

(Antonio Spinoso)

KOMMANDO DER KÖNIGLICHEN CARABINIERI VON VIGÀTA

An Seine Exzellenz

den Präfekten

von Montelusa

Vigàta, am 2. November 1891

Betreff: Genuardi Filippo

Ihrer Bitte folgend, beehrt sich das Kommando der Kgl. Carabinieri in Vigàta, folgendes hinsichtlich des im Betreff Genannten mitzuteilen:

Genuardi Filippo, Sohn des verschiedenen Giacomo und der ebenfalls verschiedenen Posacane Edelmira, geboren in Vigàta am 3. September 1860 und daselbst wohnhaft in der Via Cavour 20, von Beruf Holzhändler, gilt in jeder Hinsicht als nicht vorbestraft.

Gleichwohl wird darauf hingewiesen, daß der Genuardi seit langem unter aufmerksamer Beobachtung dieses Kommandos steht.

Nach Jahren eines ungeregelten und ausschweifenden Lebens ist der Genuardi, nach allgemeiner Ansicht, in sich gegangen und führt ein geregeltes Leben, das keinen Anlaß für Skandale oder Gerüchte liefert.

Allerdings hegt dieses Kommando den Verdacht, daß dieses In-sich-gehen lediglich dem Augenschein nach stattgefunden hat, mit dem Ziele, unterirdische Winkelzüge zu kaschieren.

Genuardi nämlich ist ein Mann von maßlosem Ehrgeize, zu allem bereit, wenn er damit nur seine Ziele erreicht. Außerdem liebt er es, sich hervorzuthun. Ein Beweis dafür ist u. a. die Thatsache, daß er sich ein sündhaft teures, von einem Motor angetriebenes Vierrad aus Frankreich hat kommen lassen, das die Firma Panhard-Levassor, Herstellerin desselben, »Phaeton« genannt hat. Das nämliche Vierrad hat eine Leistung von 2 DPS (Dampfpferdestärken); Riemenantrieb; Acetylenlampen. Sein benzingetriebener Motor kann eine Geschwindigkeit von 30 Kilometern in der Stunde erreichen.

Wie diesem Kommando bekannt ist, gibt es nur drei Gefährte dieser Art in ganz Italien.

Nicht genug damit, hat sich der Genuardi ebenfalls aus Frankreich eine sprechende und singende Maschine kommen lassen, die, auf französisch, »Phonograph Edison« heißt.

Der Genuardi braucht mithin für seinen Lebensstil sehr viel Geld, das der Handel mit Holz ganz sicher nicht abwirft. Dieses verschafft er sich, allerdings nur zum Theil, indem er sich des öfteren an die Großherzigkeit seines Schwiegervaters, Emanuele Schilirò, wendet, eines reichen und angesehenen Geschäftsmannes.

Abgesehen von den o. g. Gründen, hat dieses Kommando wesentlich gewichtigeren Anlaß, die Beobachtung der im Betreff genannten Person fortzusetzen.

Es gilt nämlich als unbestreitbar, daß er in seiner Wohnung in der Via Cavour 20 schon zweimal (und zwar am 20. Januar und 14. März des laufenden Jahres) Zusammenkünfte mit den bekannten politischen Agitatoren und Aufwieglern Rosario Garibaldi Bosco, Sizilianer, von Beruf Buchhalter, Carlo Dell’Avalle und Alfredo Casati, die beiden letzteren aus Mailand, von Beruf Arbeiter, gehabt hat.

Dieses Kommando hielt es seinerzeit nicht für angebracht, die Verhaftung durchzuführen, da es an genauen diesbezüglichen Vorschriften fehlte.

Hochachtungsvoll

ergebenst

Der Kommandant des Kommandos der Kgl.Carabinieri

(Tenente Gesualdo Lanza-Turò)

MINISTERIUM FÜR DAS POST-UND TELEGRAPHENWESEN

Regionalverwaltung – Via Ruggero Settimo 32 – Palermo

An den

Geehrten Herrn

Filippo Genuardi

Via Cavour Nr. 20

Vigàta

Palermo, am 2. November 1891

Geehrter Herr Genuardi,

Ihr Name ist mir von dem theueren Freunde Advokat Orazio Rusotto genannt worden, der seinerseits Beziehungen zu Commendatore Calogero Longhitano in Vigàta unterhält, Beziehungen, die man, würde man sie brüderlich nennen, nur unzureichend beschriebe.

Indessen beeile ich mich, Ihnen das Nachfolgende mitzutheilen.

Das Verfahren für die regierungsseitliche Genehmigung eines Telephonanschlusses zum privaten Gebrauche, das heißt: zu nicht kommerziellem Gebrauche, ist im allgemeinen langwierig und aufwendig, da eine ganze Reihe von Vorabinformationen und Erhebungen notwendig sind.

Nachdem diese unerläßlichen Ergebnisse zusammengetragen worden sind, kann man den weiteren Gang der Dinge in die Wege leiten, dies jedoch nur, sofern kein abschlägiger Bescheid vorliegt. Im Rahmen der mir in meiner Eigenschaft als Direktor dieser Behörde übertragenen Ermessensmöglichkeiten werde ich versuchen, das Verfahren abzukürzen.

Einstweilen müssen Sie – auf Papier mit Steuermarke – die folgenden Bescheinigungen einholen (ich weise Sie darauf hin, daß das Fehlen einer einzigen derselben jedes in Gang gesetzte Verfahren aufhebt):

1.Geburtsurkunde

2.Familienstandsbescheinigung

3.Auszug aus dem Strafregister

4.Erklärung der Steuereinnahmestelle Ihrer Gemeinde (oder des Finanzamtes von Montelusa), aus welcher hervorgeht, daß Sie regelmäßig Ihre Steuern bezahlt haben

5.Leumundszeugnis durch die örtliche Polizeidienststelle

6.Italienischer Staatsangehörigkeits-Nachweis

7.Vom Kommandanten des Militärdistriktes beglaubigte Abschrift des Matrikelblattes, aus welchem Ihre Stellung hinsichtlich Ihrer Militärpflicht hervorgeht

8.Schriftliche Bescheinigung des Katasteramtes, welche bestätigt, daß die Wohnung (oder das Geschäft oder das Bureau) für eine chem) Sie das Telephon anzuschließen beabsichtigen, Ihr persönliches Eigentum ist oder, sofern ein Mietverhältnis besteht: Beglaubigte Erklärung des Vermieters, aus welcher hervorgeht, daß die Wohnung (oder das Geschäft oder das Bureau) für eine Laufzeit von nicht unter fünf (5) Jahren an Sie vermietet wurde

 

9.Annahmeerklärung (mit notariell beglaubigter Unterschrift) seitens dessen (oder deren), in dessen (oder deren) Wohnung (oder Geschäft oder Bureau) der Empfangsapparat installiert werden soll

Diese Behörde liefert Telephonapparate der Firma Ader-Bell; die Apparate für den privaten Gebrauch verfügen über keine Umschaltvorrichtung, will sagen, daß der Empfänger- (und seinerseits Sender-)apparat nur mittels eines Anrufs des Sender- (und seinerseits Empfänger-) apparates aktiviert werden kann. Mithin sind Anrufe auf anderen Telephonleitungen nicht möglich.

Die Geräteanlage erfordert einen freien Wandraum von mindestens 1,50 Meter Breite und 2,30 Metern Höhe und funktioniert mittels zweier Batterien. Die eine dient zur Aktivierung des Schaltkreises, welcher nothwendig ist, um die Klingel zum Klingeln zu bringen; die andere dient zur Speisung des in dem Apparat fließenden Stromes vom Sender zum Empfänger.

Sofern das Ergebnis nach unseren Vergewisserungen zu einer positiven Entscheidung führen sollte, müssen Sie, nach Erfüllung einiger anderer Auflagen, über die ich Sie zu gegebener Zeit und an gegebenem Orte in Kenntnis setzen werde, einen Antrag an S. E. den Herrn Minister richten.

Sobald wir die erforderlichen Unterlagen erhalten haben, wird einer unserer Landvermesser nach Vigàta kommen, um die üblichen Schätzungen und Vermessungen durchzuführen. Die Reise, Verpflegung und Unterbringung unseres Landvermessers gehen samt und sonders zu Ihren Lasten. Derselbe ist aber angehalten, Ihnen eine offizielle Quittung auszustellen.

Ganz persönlich erlaube ich mir hinzuzufügen, wie sehr ich die Überzeugung hege, daß es unserem Landvermesser während seiner Dienstreise keineswegs schlecht ergehen wird: Wie mir berichtet wurde, müssen Sie in Vigàta Langusten haben, wie sie sonst nur auf der himmlischen Tafel unseres Herrgottes selbst zu finden sind!

Bitte, grüßen Sie mir sehr herzlich unseren Commendatore Longhitano.

Ergebenst Ihr

VERWALTUNG FÜR DAS POST- UND TELEGRAPHENWESEN

Der Direktor des Amtes von Palermo

(Ignazio Caltabiano)

(Vertraulich)

An den

Hohen Offizier

Arrigo Monterchi

Königlicher Polizeipräsident

Montelusa

Montelusa, am 5. November 1891

Hochwerthester Kollege und Freund!

Indem ich absolute Aufrichtigkeit zu meiner Lebensnorm gemacht habe, kann ich nicht umhin, Euch meine Überraschung und Beklemmung zum Ausdruck zu bringen, die mich beim Lesen der Abschrift der Euch vom Leiter der Polizeidienststelle in Vigàta zugesandten und mir von Euch liebenswürdigerweise weitergeleiteten Erklärung überkommt.

Ich bin ernsthaft der Meinung, daß eine Verschwörung gegen mich im Gange ist. Diese wird von dem bereits bekannten Genuardi Filippo gemeinschaftlich mit dem Dienststellenleiter Antonio Spinoso (ein Name, den ich mir von jetzt an gut einprägen werde) angezettelt.

Es fällt mir schwer, es zu sagen, aber in diese Verschwörung werdet auch Ihr verwickelt werden, sofern Ihr mit Eurer Autorität der Euch vorgelegten verlogenen Mittheilung Glauben schenkt und dieselbe bestätigt.

66 – 6 – 43!

Genau so ist die Lage!

Ich füge Ihnen in Abschrift den Bericht bei, den mir, ebenfalls aus Vigàta, der Kommandant des Kommandos der Kgl. Carabinieri, Tenente Gesualdo Lanza-Turò, hat zukommen lassen, ein Offizier von vorbildlicher Loyalität, Sproß einer aristokratischen Familie, die dem Vaterlande Märtyrer und Helden geschenkt hat.

Aus diesem Berichte der Carabinieri wird deutlich, was ich längst geahnt hatte, nämlich daß der Genuardi ein gefährliches Mitglied dieser Sekte von

gottlosen

vaterlandslosen

familienlosen

würdelosen

anstandslosen

ehrlosen

gewissenlosen

nichtskönnerischen

Gesellen ist, die sich dem Atheismus und dem Materialismus verschrieben haben.

Es gilt daher, daß man ein Auge auf sein zukünftiges Verhalten haben muß.

56 – 50 – 43!

Vittorio Marascianno

Präfekt von Montelusa

Montelusa, am 5. November 1891

Theuerster Commendatore Parrinello,

auf dem Wege einer überaus vertrauenswürdigen Person lasse ich Ihnen diese kurze Mittheilung zukommen.

Heute morgen habe ich einen schlicht und einfach als verrückt zu bezeichnenden Brief erhalten, in welchem der Bewußte, Sie wissen schon, es sogar wagt, dunkle Drohungen hinsichtlich meiner Person auszusprechen.

Würden Sie wohl das gewisse Buch zu Rathe ziehen, von dem Sie mir erzählt haben, und mir die Bedeutung dieser beiden Zahlengruppen erläutern?

66/6/43

56/50/43

Antworten Sie mir auf dieser Mitteilung. Je weniger Papier wir herumreichen, um so besser ist es. Wollen wir uns übermorgen sehen?

Ich danke Ihnen. Ihr

Arrigo Monterchi

Hochzuverehrender Herr Polizeipräsident,

ich beeile mich, Ihnen die Bedeutung der Zahlen zu enthüllen

Erste Gruppe:

66 = Verschwörung

6 = geheim

43 = Sozialist

Zweite Gruppe:

56 = Krieg

50 = feindlich

43 = Sozialist

Zu Ihrer Verfügung für übermorgen.

Ihr

Corrado Parrinello

An den

Hochverehrten Dottore

Ignazio Caltabiano

Direktor der Post- und Telegraphenverwaltung

Via Ruggero Settimo 32

Palermo

Vigàta, am 6. November 1891

Hochverehrter Herr Direktor,

ich nehme die Gelegenheit einer Reise eines Freundes nach Palermo wahr, um Ihnen diese kleine Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Bitte, mißverstehen Sie diese nicht, sie soll Sie lediglich in die gleiche Lage versetzen wie den Landvermesser, der hierherkommen wird. In die gleiche Lage, versteht sich, nur hinsichtlich der allerfrischesten Langusten, die Sie, so hoffe ich, auf mein Wohl genießen werden.

Zutiefst dankbar für die Freundlichkeit und Eilfertigkeit, die Sie mir gegenüber bewiesen haben, wollen Sie bitte meine gebührende Hochachtung entgegennehmen.

Sobald ich den Commendatore Longhitano sehe, werde ich ihm Ihre Grüße ausrichten. Danken Sie bitte meinerseits Advokat Rusotto, den zu kennen ich leider nicht das Vergnügen habe, für seine freundliche Verwendung.

Ihr

Filippo Genuardi

KÖNIGLICHE PRÄFEKTUR VON MONTELUSA

DER PRÄFEKT

An den

Hochwerthesten Cavaliere

Artidoro Conigliaro

Unterpräfekt von

Bivona

Montelusa, am 6. November 1891

Hochwerthester Cavaliere,

ich habe Kenntnis von einer breit angelegten und weit verzweigten Verschwörung erhalten, welche, höchste Repräsentanten des Staates in dieser Provinz einbeziehend, die Existenz des Vaterlandes selbst in Gefahr bringt!

Wie Sie sehr wohl wissen, hat alles vor ungefähr zwanzig Jahren mit der unseligen, von Franchetti und Sonnino auf Sizilien angeregten Ermittlung begonnen, einer Ermittlung, welche der aufgeklärte Geist Rosario Conti als »ein fürchterliches Attentat auf die Einheit und Unabhängigkeit Italiens« definiert hat und welche die palermitanische Tageszeitung »Il Precursore« sich nicht scheute, als »höchst gefährliches Werk« zu brandmarken, »weil sie die soziale Frage in den Vordergrund gestellt und damit den Bürgerkrieg und den sozialen Krieg geschürt hat«.

Seit damals kommen diese beiden Kriege mit großen Schritten erbarmungslos auf uns zu. Wir sitzen auf einem Pulverfaß, theurer, hochverehrter Freund! Aber zurück zur Verschwörung. Mir ist die Anwesenheit von Anhängern der sozialistischen Sekte in unserer Provinz gemeldet worden, welche, mit geheimnisvollen Mixturen und übelriechenden Salben versehen, unsere arbeitsame Bevölkerung infizieren. Mit winzig kleinen und äußerst zerbrechlichen Ampullen ausgestattet, haben dieselben in Favara bereits eine starke und weit verbreitete Grippe ausgelöst, die durch Kopfschmerzen, Erbrechen und Durchfall noch verschlimmert wird.

Gestern erreichte mich das Gerücht, daß zwei dieser unseligen Gestalten, Experten in Chemie, getarnt in Bauerngewändern, sich auf Bivona zubewegen, um an der dortigen »Königlichen Chemisch-Landwirtschaftlichen Versuchsanstalt« thätig zu werden, und zwar mittels der Verbreitung von Keimen, die eine Mundschwamm-Epidemie auslösen können.

Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß diese Keime überaus leicht erkennbar sind: Sie sind von leuchtend roter Farbe, jeder von ihnen besitzt 2.402 Füßchen. Für ihre Vernichtung muß Sorge getragen werden, weil sie sich außerordentlich schnell vermehren.

In der Gewißheit, daß Sie sich der Gefahr bewußt sind und alle Maßnahmen für ein Einschreiten treffen, fordere ich Sie auf: Gehen Sie ans Werk!

S.E. der Präfekt

(Vittorio Marascianno)

POLIZEIDIENSTSTELLE VON VIGÀTA

An den

Signor Polizeipräsidenten

von

Montelusa

Vigàta, am 7. November 1891

Unter Beifügung der Abschrift des vom Tenente der Kgl. Carabinieri Gesualdo Lanza-Turò an Seine Exzellenz den Präfekten von Montelusa gesandten Berichts fragen Sie mich, ob ich im Besitze von Erkenntnissen über die geheime Verbindung des Genuardi Filippo mit bekannten politischen Agitatoren sei und warum ich, sofern ich dies bejahen könne, es nicht für angebracht erachtet hätte, Ihnen diesen Umstand anzuzeigen. Ich war sehr wohl in Kenntnis darüber, daß die Aufrührer Rosario Garibaldi Bosco, Carlo Dell’Avalle und Alfredo Casati sich am 20. Januar und am 14. März diesen Jahres in eine Wohnung in der Via Cavour Nr. 20 in Vigàta begeben hatten.

Wie Sie sich gewiß erinnern werden, haben weder die zurückgetretene Regierung Crispi noch die derzeitige Regierung Di Rudinì jemals Vorschriften für die unverzügliche Festnahme politischer Agitatoren erlassen, die sich darauf beschränken, ihre Ansichten zum Ausdruck zu bringen. Sie sind, wie jeder andere Bürger auch, nur dann zu verfolgen, wenn sie Strafthaten begehen, die vom Strafgesetzbuche geahndet werden. Infolgedessen hat sich diese Dienststelle lediglich darauf beschränkt, die Bewegungen dieser drei Personen im Auge zu behalten und darüber dem seiner zeitigen Polizeipräsidenten, Commendatore Bàrberi-Squarotti, Bericht zu erstatten. Die Datumsangaben für die beiden Besuche der vorgenannten Revolutionäre in der Via Cavour Nr. 20 sind, wie von Tenente Lanza-Turò angegeben, völlig zutreffend.

Da es sich so verhält, muß allerdings auch gleich festgestellt werden, daß sowohl im Januar als auch im März der Genuardi Filippo noch nicht in die Via Cavour Nr. 20 umgezogen war, sondern vielmehr in der Via dell’Unità d’Italia Nr. 73 in einer Mietwohnung wohnte.

Thatsächlich war die Wohnung in der Via Cavour Nr. 20 bis zum 1. August diesen Jahres von der Mutter des Genuardi, Posacane Edelmira, verheiratete Genuardi, bewohnt worden.

Nach dem Tod dieser Frau hat sich der Sohn, mit absoluter Taktlosigkeit, gleich am Tage nach dem Begräbnis der Mutter, mit seiner Frau in der Wohnung eingenistet.

An diesem Punkte drängt es mich, Ihnen zur Kenntnis zu bringen, daß das Haus in der Via Cavour Nr. 20 aus zwei übereinanderliegenden Wohnungen besteht. Die im Erdgeschoß wird auch jetzt noch von Signora Verderame Antonietta bewohnt, die vor nunmehr dreiundneunzig Jahren in Catania geboren wurde. Die darüberliegende ist die derzeitige Wohnung des Genuardi Filippo. Signora Verderame Antonietta ist die Tante mütterlicherseits des Aufrührers Rosario Garibaldi Bosco, der ihr gegenüber zärtlichste Zuneigung empfindet. Da er sich an den Tagen des 20. Januars und des 14. März diesen Jahres in Vigàta befand, mochte er es sich nicht versagen, sie beide Male zu besuchen, doch erst, nachdem er in der hiesigen Pâtisserie Castiglione ein Dutzend mit Ricotta gefüllte Cannoli gekauft hatte, die Signora Verderame, trotz ihres ehrwürdig hohen Alters, ungeheuer gerne ißt. Der Genauigkeit halber füge ich hinzu, daß die Herren Dell’Avalle und Casati beim zweiten Besuch diese Wohnung nicht betreten haben, sondern sich damit begnügten, im Hauseingang auf ihren Gefährten zu warten (was wir aus den dort vorgefundenen Zigarrenstummeln schließen).

 

Daher muß ich hier noch einmal bekräftigen, was ich bereits in meinem ersten Bericht erklärt habe: Genuardi Filippo hat keinerlei politische Ansichten und noch viel weniger Kontakte zu jedweder Art von Intriganten.

Ihr allerergebenster

Der Polizeidienststellenleiter von Vigàta

(Antonio Spinoso)

Just in diesem Augenblick erfahre ich, daß der Genuardi Filippo auf ausdrücklichen Befehl S.E.des Präfekten durch Tenente Lanza-Turò inhaftiert worden ist.

Um Himmels willen, schreiten Sie ein!

Die Gründe für diese Inhaftierung scheinen politischer Natur zu sein. Wenn es so ist, handelt es sich um völlig aus der Luft gegriffene Anschuldigungen.

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