Empirische Methoden der Kommunikationswissenschaft

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2.1 Allgemeine Anforderungen und Gütekriterien

Auch mithilfe qualitativer Methoden sollen gesellschaftlich relevante wissenschaftliche Fragestellungen beantwortet werden; insofern wird an sie ebenfalls der Anspruch gestellt, gültige Aussagen über Fragen zur sozialen Realität zu machen und dabei wissenschaftlich und systematisch vorzugehen, um belastbare Antworten zu finden (vgl. Kap. 1.1). Allerdings zielt qualitative Forschung auf ein anderes Erkenntnisinteresse: Mithilfe qualitativer Verfahren soll nicht statistisch überprüft oder getestet, sondern entdeckt werden. Qualitative Methoden finden z. B. auf Gebieten Anwendung, über die noch nicht viel geforscht wurde (Exploration), und helfen dabei, komplexe Zusammenhänge überhaupt erst zu erkennen (die man anschließend auch mithilfe standardisierter Untersuchungen statistisch testen kann). Qualitative Forschungstechniken sind aber keineswegs nur vorstudien- oder nachfassungstauglich. Richtig gesampelt ermöglichen qualitative Untersuchungen ebenfalls »Aussagen, die über das konkrete Untersuchungsobjekt hinausweisen und deshalb verallgemeinerbar sind« (Meyen et al. 2011, S. 12; vgl. Kap. 2.3). Da qualitative Forschung entdecken will, müssen ihre Instrumente flexibel auf den Untersuchungsgegenstand reagieren können (also un- oder maximal teilstandardisiert konzipiert sein). Das bedeutet aber nicht, dass qualitative Forschung beliebig und hoch subjektiv abläuft und es keinen Diskurs darüber gibt, was gute qualitative Forschung ausmacht. Auch hier können allgemeine Regeln formuliert werden, um die Güte von Forschungsprojekten und ihrer Befunde zu identifizieren (vgl. z. B. Steinke 2007). In der einschlägigen Literatur finden sich verschiedene Kataloge mit Prinzipien qualitativer Forschung, aus denen sich solche Gütekriterien ergeben (vgl. zusammenfassend Meyen et al. 2011, S. 30ff); wir wollen uns hier v. a. auf die für die Kommunikationswissenschaft entwickelten Kriterien beziehen. Meyen et al. (2011) z. B. formulieren folgende zwei Postulate (aus denen sich die unten genannten Gütekriterien ableiten lassen):

Kein Wissen ohne Subjekt: Es gibt keine objektive Erkenntnis, vielmehr werden »Denkinhalte« (Wissen) immer durch die Person und Biografie des »Denkenden« (Meyen et al. 2011, S. 33) beeinflusst (der wiederum nicht unabhängig von der Gesellschaft und dem herrschenden Zeitgeist existiert). Da Wissen einen Gegenstand, auf den es bezogen ist, nicht einfach reflektiert, sondern ihn erst konstruiert, wird klarer, warum der Forscher nicht aus dem Erkenntnisgewinnungsprozess ausblendbar ist (wie dies im quantitativen Paradigma postuliert wird). Vielmehr ist der Forschende in der Erkenntnistheorie des qualitativen Paradigmas an dessen Konstruktion aktiv beteiligt (z. B. durch die Interaktion mit Interviewten oder Beobachteten bei der Datenerhebung).

Kein Wissen ohne Theorie: Kontextfreies Wissen gibt es nicht; um Informationen zu verstehen, müssen wir sie in einen Kontext (Vorwissen) einbetten können. Zugleich hängt vom Vorwissen (z. B. einer Theorie) ab, »wie sich die Wirklichkeit präsentiert« (ebd.). Theorien, die Forschung anleiten, entscheiden dann wiederum, wie die Forschenden den Untersuchungsgegenstand strukturieren und damit auch, welche Daten sie sammeln und zu welchen Ergebnissen sie kommen.

Während das erste Postulat unter qualitativen Forschern wohl relativ unstrittig ist, wurde das zweite – die Frage nach der Rolle theoretischer Vorannahmen – lange diskutiert. Steht theoriegeleitetes Vorgehen der Anforderung entgegen, dem Untersuchungsgegenstand ›offen‹ gegenüber zu treten? Barney Glaser und Anselm Strauss z. B. forderten von qualitativ Forschenden, am besten ohne die Aufarbeitung von (theoretischen oder empirischen) Vorarbeiten an einen Untersuchungsgegenstand heranzutreten, um Theorien zu diesem Gegenstand überhaupt erst unvoreingenommen entwickeln zu können (vgl. Glaser/Strauss 1967). Folgt man dem oben aufgestellten Postulat, dass es kein Wissen ohne Theorie geben kann, so ist diese Forderung zum einen nicht umsetzbar – schließlich verfügen wir immer über alltägliches Vorwissen, sonst wären wir recht orientierungslos. Zum anderen ist sie auch nicht logisch, da Vorwissen für die Interpretation einer Situation immer notwendig ist (vgl. Meinefeld 2007). Viele qualitativ arbeitende Sozialforscher orientieren sich deshalb an theoretischen Vorarbeiten, die ihnen helfen, ›ihren‹ Gegenstand zu dimensionieren (Meyen et al. (2011, S. 35) nennen das auch »kategoriengeleitetes Vorgehen«); zugleich versuchen sie aber auch immer dafür bereit zu sein, sich während des Forschungsprozesses von der empirischen Welt in ihren Vorannahmen ›irritieren‹ zu lassen, um neue Aspekte zu entdecken (vgl. Steinke 2007, S. 327).

Aus den beiden oben explizierten Postulaten lassen sich Gütekriterien ableiten, die zum einen Forschende bei der Konzeption und Verwirklichung eigener Projekte anleiten sollen, und zum anderen den Lesern bei der Beurteilung helfen können, ob die präsentierten Ergebnisse auch belastbar sind (Meyen et al. 2011, S. 47):

»Zuverlässigkeit: intersubjektive Nachvollziehbarkeit;

Gültigkeit: Stimmigkeit von Fragestellung, Theorie, Methode und Ergebnissen;

Übertragbarkeit: Generalisierbarkeit;

Werturteilsfreiheit: keine normative Beurteilung.« Wird eine Beurteilung der Erkenntnisse vorgenommen, so muss sie immer getrennt von der Beschreibung und Interpretation des Gegenstands erfolgen.

Meyen et al. (2011, S. 47f) schlagen fünf Strategien vor, um den vier genannten Gütekriterien Rechnung zu tragen:

Nähe zum Gegenstand (bedient die Kriterien der Zuverlässigkeit und Gültigkeit): Erhebungs- und Auswertungsmethoden sind dem Gegenstand angemessen. Verhalten wird also am besten beobachtet, Meinungen werden durch Selbstauskünfte erfasst und Aussagen über Medienberichterstattung inhaltsanalytisch erhoben. Nähe heißt aber auch: Der Forscher soll sich bemühen, in den Kontext (z. B. in die Lebenswelt eines Beobachteten) einzutauchen, allerdings die nötige Distanz zu wahren, um zu einer eigenen Deutung der Resultate gelangen zu können.

Dokumentation des Forschungsprozesses (zielt auf Zuverlässigkeit): Gerade weil Instrumente nicht standardisiert, sondern auf den Gegenstand ›maßgeschneidert‹ sein müssen, ist darauf zu achten, beim Abfassen des Forschungsberichts so gut wie nur möglich Transparenz über das konkrete Vorgehen herzustellen. Der gesamte Forschungsprozess wird offengelegt, um intersubjektive Nachvollziehbarkeit herzustellen. Das erfolgt v. a. durch das Beschreiben und Begründen jeder einzelnen Entscheidung (Methodenwahl, Sampling, Auswertungsverfahren etc.).

Selbstreflexion (zielt auf Zuverlässigkeit, Gültigkeit, Werturteilsfreiheit): Der Forscher macht sich bewusst, welche Vorannahmen (Alltags- bzw. wissenschaftliche Theorien) ihn anleiten, und welche Grenzen der Erkenntnis sich hieraus ergeben. Er versucht sich darüber klar zu werden, wie er zum Untersuchungsgegenstand steht. Im Forschungsbericht wird diese (theoretische, methodische) Selbstreflexion offengelegt.

Reflexion der Entstehungsbedingungen (zielt auf Gültigkeit, Übertragbarkeit): Auch hier geht es darum, Limitationen (im Projektbericht) aufzuzeigen – und zwar jene, die durch die Entstehungsbedingungen auftreten und der Erkenntnis ebenfalls Grenzen setzen: Welche Ressourcen sind verfügbar? In welchem Umfeld entsteht die Studie (Zeitgeist)? Gibt es bestimmte Interessen(-skonflikte) (z. B. Auftraggeber, Untersuchungspersonen)? Wie wurden die Informationen erhoben?

Interpretation in Gruppen (zielt auf Gültigkeit, Zuverlässigkeit): Kollaboratives Arbeiten schützt vor zu viel Subjektivität – Projektpartner sind kritische Korrektive, dieselbe Funktion kann auch ein Kandidatenseminar für Studierende oder die Fachgesellschaft für Forschende übernehmen (z. B. auf Tagungen).

2.2 Der Forschungsablauf im Überblick

Der Ablauf auch qualitativer sozialwissenschaftlicher Forschung entspricht zu Beginn dem in Kapitel 1.2 vorgestellten Vorgehen: Ein gesellschaftlich relevantes Problem wird in eine wissenschaftliche Fragestellung überführt (Stufe 1 und 2), relevante Begriffe werden definiert und mithilfe einer »dimensionalen Analyse« (Wegener/ Mikos 2005, S. 172) in das vorhandene theoretische Wissen eingeordnet (Stufe 3 und 4). Da in der Praxis häufig mit dem Forschungsgegenstand schon klar ist, ob ihm qualitative oder quantitative Methoden am ehesten gerecht werden, verzichtet man bei qualitativem Vorgehen üblicherweise schon bei der Bearbeitung der Theorie(n) und des Forschungsstands auf die Formulierung von Hypothesen zugunsten offener Forschungsfragen. Grund dafür ist die Annahme, dass die Formulierung von Hypothesen das Denken bei explorativer Forschung von vornherein zu stark einschränken könnte (vgl. Lamnek 2010, S. 19f). Hypothesen können vielmehr Ergebnis qualitativen Arbeitens sein. Fällt die Entscheidung also auf eine qualitative Methode oder eine Kombination qualitativer Methoden (Stufe 5), gestaltet sich der Forschungsprozess nun etwas anders als der des quantitativen Paradigmas.

Das Forschungsproblem und die sich daraus ergebende(n) Forschungsfrage(n) bestimmen zwar zunächst auch hier die Entwicklung der Erhebungsinstrumente (Stufe 6) und das Auswahlverfahren der Teilnehmer (bei Befragung, Beobachtung) oder der Inhalte (bei Inhaltsanalysen). In der qualitativen Forschung wird jedoch zumeist anders gesampelt, nämlich durch eine theoretische Auswahl während der Erhebungsphase (vgl. Kap. 2.3). Da hierbei das Sample idealerweise während der Analyse noch ergänzt wird, verläuft der Forschungsprozess nicht geradlinig, sondern spiralförmig (vgl. Meyen et al. 2011, S. 54). Die Stufen 7 bis 9 werden immer wieder nacheinander durchlaufen, bis die sog. theoretische Sättigung als erreicht gelten kann (vgl. Kap. 2.3). Ebenso können sich die Erhebungsinstrumente während des Samplings verändern (was einen Pretest – vgl. Kap. 3 – aber nicht überflüssig macht!). So kann z. B. von einem Interviewten ein Aspekt immer wieder angesprochen werden, den man als Forscher zu Beginn der Untersuchung nicht bedacht hat (oder umgekehrt auch Aspekte nicht zur Sprache kommen, die man zunächst als relevant erachtet hat). Qualitative Forscher lassen sich immer vom Feld, das ergründet werden soll, ›irritieren‹ – sei es hinsichtlich der theoretischen Vorannahmen oder hinsichtlich der erstellten Instrumente (vgl. Steinke 2007, S. 327). Weil qualitative Forschung nicht zählen, sondern entdecken und verstehen will, geht es um das Aufdecken aller oder der typischen Merkmale, und nicht um die numerische Häufigkeit ihres Vorkommens.

 

2.3 Auswahlverfahren

Da qualitative Forschung zum einen vielfach Anwendung findet, wenn ein Gegenstand exploriert werden soll, und qualitative Forschungsprojekte zum anderen durchaus zum Anspruch haben, auch verallgemeinerbare Erkenntnisse zu produzieren, sampeln Forschende zumeist nach dem Verfahren der theoretischen Auswahl (vgl. Meyen et al. 2011, S. 68–71). Es bietet sich hierbei an, Kriterien aus der Theorie und dem Forschungsstand abzuleiten, denen ein Einfluss auf den zu ergründenden Untersuchungsgegenstand unterstellt werden kann. Diese Kriterien leiten dann die Suche nach Teilnehmern (Befragungen, Beobachtungen) oder Medienangeboten (Inhaltsanalysen) an (Meyen et al. 2011, S. 68). Der Kriterienkatalog kann im Prinzip aussehen wie ein Quotenplan, wie er bereits in Kapitel 1.3 besprochen wurde (vgl. auch Meyen et al. 2011, S. 69). In diesem Fall steht das Sample oft schon zu Beginn der Untersuchung fest.

Der Kriterienkatalog kann aber auch während der Erhebung im Feld sukzessive erweitert und modifiziert werden, um auf den Untersuchungsgegenstand (also auf die bereits gewonnenen Erkenntnisse aus Interviews, Inhaltsanalysen oder Beobachtungen) zu reagieren. Die Kriterien sollten in ihren Ausprägungen entweder maximal variantenreich durch die zu untersuchenden Texte oder Personen im Sample repräsentiert werden (Prinzip der maximalen Kontrastierung), damit zum Ende der Analyse der Gegenstand in all seinen Facetten abgebildet wurde. Oder es sollten möglichst ähnliche Texte, Situationen etc. analysiert werden, um das ihnen (möglicherweise) zugrundeliegende gemeinsame Muster zu erkennen und zu vervollständigen (Prinzip der minimalen Kontrastierung; vgl. Keller 2010, S. 222). Die erhobenen Informationen werden so lange durch das Hinzunehmen neuer Teilnehmer oder Inhalte ergänzt, bis schließlich keine neuen Informationen durch weitere Datenerhebung (Interviews, Beobachtungen, Inhaltsanalysen) hinzukommen. In diesem Fall tritt theoretische Sättigung ein und der Forscher kann das Sampling beenden (vgl. Merkens 2007; Meyen et al. 2011, S. 53ff).

2.4 Forschungsinteresse und Methodenwahl

Qualitative Methoden eigenen sich besonders für solche Forschungsprobleme, die auf ›inhaltliche Tiefe‹ abzielen, die in standardisierten Untersuchungen zugunsten der Vergleichbarkeit und Handhabbarkeit der Daten reduziert werden muss. Qualitative Verfahren sind aus diesem Grund immer un- oder maximal teilstandardisiert und produzieren üblicherweise eine große Menge an Daten bzw. Text (schließlich müssen auch hier Interviews in ein Textdokument überführt, d. h. transkribiert werden, um sie adäquat auswerten zu können). Erhebung und Management qualitativer Daten erfordern daher gutes Training z. B. durch Methodenübungen im Studium (vgl. Meyen et al. 2011, S. 12ff).

Ganz konkret können qualitative Methoden gut auf Fragestellungen angewandt werden, die mit einem warum/wieso, wie oder welche eingeleitet werden: Wie sehen Journalisten ihre Berufsrolle (Kommunikatorforschung – Befragung); wie berichten Medien über Menschen mit Migrationshintergrund (Medieninhaltsforschung – Inhaltsanalyse); wieso/warum nutzen Menschen bestimmte Medien (Mediennutzungsforschung – Befragung, kombiniert mit Beobachtung); wie verarbeitet das Publikum von Onlinenachrichtenangeboten in Nutzerkommentaren Deutungsrahmen (also Frames bzw. Framebestandteile), die durch die Berichterstattung transportiert werden (Rezeptionsforschung – Inhaltsanalyse) – um nur einige Beispiele für die einzelnen Forschungsfelder des Fachs zu nennen (vgl. Abb. 2 ). Auch für qualitative Forschung gilt, dass die Fragestellung die Methode bereits nahelegt. Wie schon in Kapitel 1.4 anhand von Beispielen gezeigt, werden Inhaltsanalysen – auch qualitative – eingesetzt, um Texte zu bearbeiten, und mittels (un- oder teilstandardisierten) Beobachtungen menschliche Verhaltensweisen erfasst. Im qualitativen Paradigma steht v. a. der Begriff (wissenschaftliches) ›Interview‹ für die Datenerhebungstechnik, die Einschätzung und Meinungen von Menschen erhebt. Interviews werden auch teilweise mit zwei oder mehreren Personen geführt (vgl. Meyen et al. 2011, S. 85). Im ersten Fall spricht man vom ›Paarinterview‹, im zweiten Fall wird dieses Interview v. a. als (Gruppen-)Diskussion eingesetzt (dabei tritt die Interaktion zwischen Interviewten und Interviewer zurück, um Interaktionen zwischen den einzelnen Interviewten Raum zu geben) (vgl. dazu Kap. 3.1.3).

Qualitative Datenerhebungs- und Auswertungsstrategien entstanden und entstehen, wie bereits erwähnt, immer in Bezug auf einen konkreten Untersuchungsgegenstand. Daher empfiehlt es sich für den Forscher oder Studierenden, bereits vorliegende konkrete Studien danach zu sichten, wie dort die entsprechenden Forschungstechniken entwickelt oder angepasst und eingesetzt wurden. In den folgenden Kapiteln können aus Platzgründen nur die gängigsten qualitativen Verfahren beschrieben werden: Lehrbücher oder Dokumentationen von Forschungsprojekten (idealerweise Dissertationen, die das methodische Vorgehen sehr genau offenlegen, da sie der Qualifikation dienen) stellen die Verfahren oft weit differenzierter dar. Folgende Erhebungsinstrumente entsprechen den bereits für quantitative Forschung dargestellten:


für die Befragungein Leitfaden/ eine erzählgenerierende Fragestellung
für die Inhaltsanalyseein Kategoriensystem
für die klassische Beobachtungein Beobachtungsschema bzw. ein Protokollbogen (ergänzt durch ein Beobachtungstagebuch)

3 Techniken empirischer Sozialforschung

Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen sind jene empirischen Forschungstechniken, wie sie auch in der empirisch arbeitenden Kommunikationswissenschaft Anwendung finden: die Befragung, die Inhaltsanalyse und die Beobachtung. Abschließend kommt auch das Experiment zur Sprache, das keine Methode im klassischen Sinn, sondern eine Untersuchungsanordnung darstellt. Befragung, Beobachtung und Inhaltsanalyse werden mit Blick auf quantitative (= standardisierte) wie qualitative (= teil- bzw. unstandardisierte) Vorgehen erörtert.

3.1 Die Befragung

Von allen wissenschaftlichen Methoden und Forschungsstrategien ist die Befragung, auch wissenschaftliches Interview genannt, die gebräuchlichste und bekannteste. Wer kennt nicht die »Hitlisten« zur Beliebtheit von Politikern, die auf repräsentativen Bevölkerungsumfragen beruhen oder ist nicht selbst schon einmal am Telefon, per Briefpost oder online zu einem (wissenschaftlichen) Interview gebeten worden? Kaum eine andere Methode der empirischen Sozialforschung ist im Laufe ihrer Anwendung weiter entwickelt worden als die Befragung. So weiß man z. B., dass die Reihenfolge der Fragen im Fragebogen einen Einfluss auf das Antwortverhalten der Interviewten haben kann; oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, dass die Befragungssituation zwischen Interviewer und Befragtem die Art der (im qualitativen Interview) erhobenen Informationen mitbestimmt bzw. (bei der standardisierten Befragung) das Ergebnis »verzerren« kann. Insbesondere hier – also in der Beurteilung der sozialen Situation des Interviews – unterscheiden sich die beiden Paradigmen: Während zur Erhebung quantitativer Daten in Interviews auch die Interviewsituation standardisiert sein muss, um Vergleichbarkeit der Daten zu gewährleisten, nimmt das qualitative Paradigma an, dass es immer eine individuelle soziale Situation zwischen Forscher und Interviewtem geben wird, die bestenfalls die Generierung von Informationen unterstützt – z. B. indem durch ein anregendes Gespräch Wissen beim Befragten aktualisiert wird, das durch die Beschäftigung mit einem Kontext erst wieder an die Oberfläche tritt (vgl. Lamnek 2010, S. 20f; Gläser/Laudel 2009, S. 146f). Auch hier zeigt sich wieder: beide Verfahren verfolgen unterschiedliche Ziele. Quantitative Verfahren reduzieren Informationen, um zu vergleichen und dadurch zu erklären, qualitative Verfahren sollen zusätzliche Informationen generieren, um zu verstehen. Im Folgenden wird die Forschungstechnik der Befragung bzw. des wissenschaftlichen Interviews vorgestellt, die Entwicklung eines Fragebogens bzw. Leitfadens erörtert, es werden die verschiedenen Befragungsarten dargestellt sowie einige Fallstricke dieser Methode aufgezeigt.

3.1.1 Allgemeines zur Befragung

Befragungen werden im Rahmen der Kommunikationswissenschaft insbesondere in der Kommunikator-, der Medienstruktur- und der Rezipientenforschung (Mediennutzungs-, Rezeptions- und Wirkungsforschung) angewandt. Mithilfe dieser Forschungsmethode kann man z. B. folgende Fragestellungen beantworten, wie sie aus Abbildung 3 ersichtlich sind.

Abb. 3: Typische Einsatzgebiete der Befragung


Ganz allgemein lässt sich die Befragung als eine Forschungsmethode beschreiben, mit welcher unter der Maßgabe einer wissenschaftlichen Zielsetzung und einer systematischen Vorgehensweise Wissen, Kenntnisse, Einstellungen, Meinungen (sowie sozioökonomische Daten) von Befragten (in standardisierten Untersuchungsdesigns: nach einem festgelegten Schema) schriftlich oder mündlich erhoben werden (vgl. Noelle-Neumann/Petersen 2005).

Diese Beschreibung umfasst explizit die folgenden wesentlichen Kriterien:

• Die Befragung gründet auf einer wissenschaftlichen Zielsetzung bzw. Fragestellung.

• Darauf aufbauend wird ein Forschungsplan entwickelt, der systematisch, d. h. Schritt für Schritt und für jedermann nachvollziehbar, erarbeitet und abgearbeitet werden muss (vgl. Abb. 1 ). Für qualitative Forschungsprojekte verläuft dieser Prozess mit dem Eintritt in die Feldphase meist spiralförmig (vgl. Kap. 2.2).

• Will das Forschungsprojekt repräsentative Aussagen (z. B. über den Medienkonsum) machen, so wird der Fragebogen vollständig standardisiert sein und nach einem festgelegten Schema abgearbeitet werden (allerdings kann er natürlich auch vereinzelt offene Fragen für unstrukturierte Antworten der Befragten enthalten). Man spricht dann auch von einem vollständig standardisierten Interview. In der qualitativen Sozialforschung bedient man sich hingegen teil- bis unstandardisierter Interviews, bei denen entweder nur eine einzige erzählgenerierende Frage festgelegt ist (z. B. bei narrativen Interviews) oder ein Leitfaden eingesetzt wird. Hier geht es darum, den Befragten frei zum Thema des Interviews sprechen zu lassen und eine natürliche Gesprächsführung zu praktizieren.

 

• Mittels eines wissenschaftlichen Interviews erhält man verbale Daten (Informationen) von Befragten, die (auch bei mündlichen Interviews) in schriftlicher Form niedergelegt und weiterverarbeitet werden.

• Mittels Befragung erhält der Forscher in aller Regel Informationen über Einstellungen und Meinungen, nicht jedoch unmittelbar über das (tatsächliche) Verhalten der Befragten.

Gerade dieser letzte Punkt bedarf näherer Betrachtung: Die Befragung ist die Methode der Wahl, wenn es um die Erhebungen von Meinungen und Einstellungen geht. Häufig werden Befragungen aber auch dazu eingesetzt, Verhalten zu erheben (z. B. die Abfrage von Mediennutzungsverhalten in der Mediaforschung; vgl. Springer et al. 2014). Das ist gängige Praxis, weil Beobachtungen, die Verhalten am genauesten erfassen, langwierig und aufwendig sind – sowohl für den Forscher wie auch für die Untersuchungsteilnehmer. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass die Erhebung von Verhalten mittels Befragung ungenauer ist, weil das Verhalten von den Befragten erinnert werden muss. Zudem antworten Menschen dabei – bewusst oder unbewusst – nicht immer ehrlich, weil manches Verhalten (z. B. der Konsum von Boulevardblättern oder -formaten) stigmatisiert ist. Verzerrende Effekte wie das hier beschriebene sozial erwünschte Antwortverhalten sollen im Folgenden detaillierter beschrieben werden.

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