Transkulturelle Kommunikation

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Mit diesem früh von dem Sozialanthropologen Bronislaw Malinowski (1970) gewürdigten Konzept der Transkulturation entwickelt Fernando Ortiz einen zuvor in dieser Form nicht ausformulierten Blick auf kulturelle Prozesse in Lateinamerika. Aus seiner Sicht ist die »wirkliche Geschichte Kubas die Geschichte von miteinander verzahnten Transkulturationen« (Ortiz 1970: 98): Bereits mit der Kolonialisierung war es nicht so, dass eine (nationale) spanische Kultur in Kuba Fuß fasste. Kulturen von Menschen unterschiedlicher romanischer Länder Europas fanden ihren Weg dorthin. Sie traten von Beginn an in Kontakt mit indigenen Kulturen, was zu einem »neuen Synkretismus von Kulturen« (Ortiz 1970: 98) führte. Vielfältige weitere Prozesse der Transkulturation schlossen sich an, u. a. durch den Sklavenhandel. Hier betont Ortiz Jahrzehnte vor den Arbeiten des Kulturanalytikers Paul Gilroy (1993) den Status der Überfahrt in Sklavenschiffen: Afrikaner sehr unterschiedlicher Kulturen wurden »wahllos in die Sklavenschiffe geworfen und durch das System der Sklaverei sozial gleichgemacht« (Ortiz 1970: 101). Dieser selbst schon transkulturelle Sklavenhandel stieß in Kuba dann weitere Prozesse der [28]Transkulturalisierung an. Transkulturation fasst demnach einerseits, dass koloniale Macht- und Produktionsverhältnisse nicht das Durchsetzen einer Kultur bedeuten (siehe Hermann 2007: 257 f.; Koch 2008: 12). Andererseits verdeutlicht der Begriff in seiner Prozesshaftigkeit, dass es hierbei um einen fortlaufenden Vorgang des Entstehens neuer synkreter – oder, wie man heute sagen würde: hybrider – Formen von Kultur geht.

Teils in explizitem Verweis auf Ortiz, später ohne Referenz auf ihn, fand der Begriff der »Transkulturation« Verbreitung in der postkolonialen Forschung. Detailliert wurde dies von Diana Taylor (1991) nachgezeichnet. Sie verweist insbesondere auf die Arbeiten des peruanischen Ethnografen und Literaten José María Arguedas (1982). Aus seiner Sicht ist die indigene Kultur, wie wir sie kennen, das Produkt von Transkulturationen – des langjährigen Kontakts zwischen früheren peruanischen Kulturen und denen der Kolonialisierenden. Entsprechend gibt es für ihn keine »reine« indigene oder spanische Kultur unter den Einwohnern Perus, sondern nur vielfältige »Mestizo«-Kulturen. Eurozentrische Konzeptionalisierungen von Kultur erscheinen ihm nicht hinreichend, um den hybriden Charakter der Kulturen Lateinamerikas zu fassen.

Die hierauf aufbauende Diskussion gewann an Breite (siehe beispielsweise die Beiträge in Bekers et al. 2009; Davis et al. 2002; Kalogeras et al. 2006). Spätere Arbeiten lateinamerikanischer Kultur- und Kommunikationswissenschaftler wie beispielsweise die des bereits zitierten Néstor García Canclini, die den unweigerlich hybriden Charakter lateinamerikanischer Kulturen betonen, müssen in der direkten Folge dieser Beschäftigung mit Transkulturalität gesehen werden (siehe García Canclini 1995; Hepp 2009b; Lull 1998). Dabei fasst der Ausdruck der Transkulturalisierung generell das Entstehen neuer Kulturformen aus ehemals differenten kulturellen Kontexten in einem Prozess der durchaus machtgeprägten Hybridisierung. Hybridität bezeichnet – ähnlich wie der von Ortiz verwendete Ausdruck des Synkretismus – die Vermischung von Ressourcen unterschiedlicher kultureller Kontexte, deren Verbindung, Fusion und Melange (Hepp 2010: 216; 274). Ein solcher Prozess wird in diesem Diskursfeld vor allem in Bezug auf die »subalterne« Aneignung des Kolonialismus analysiert, wobei insbesondere die Kontaktzonen einer solchen Hybridisierung von unten interessieren. So konstatiert Mary Louise Pratt (1992) in ihrer Studie zum kolonialen Reisejournalismus, dass Transkulturation sich in bestimmten Kontaktzonen ergibt, die sie wie folgt beschreibt:

»Kontaktzonen [sind] soziale Räume, in denen sich disparate Kulturen treffen, aufeinander stoßen und miteinander auseinandersetzen, oftmals in hochgradig asymmetrischen Beziehungen der Über- und Unterordnung – wie Kolonialismus, Sklaverei oder deren Nachwirkungen, die heutzutage über den Globus hinweg gelebt werden.« (Pratt 1992: 4).

Wie dieses Zitat deutlich macht, rückt damit der Begriff der Transkulturation in eine große Nähe zu dem des »dritten Raums«. Als »third space« hat Homi Bhabha [29](1994: 55) – einer der zentralen Theoretiker des Postkolonialismus – kulturelle Zwischenräume der Begegnung charakterisiert. In diesen haben »die Bedeutungen und Symbole der Kultur keine ursprüngliche Einheit oder Beständigkeit« (Bhabha 1994: 55). Entsprechend können Prozesse der Übersetzung und Rehistorisierung stattfinden, wobei Bhabha neben dem Ort der Literatur an konkrete Lokalitäten wie beispielsweise das Treppenhaus als Ort der Begegnung (kulturell) sehr unterschiedlicher Menschen denkt. Der Begriff der Transkulturalität fügt sich damit umfassend als »Schlüsselkonzept« (Ashcroft et al. 2009) in die analytischen Konzepte des Postkolonialismus ein. Diesen geht es darum, »ein kritisches Potential zur Beschreibung komplexer historischer Verhältnisse sowie ein utopisches Potential für die Durchführung des unabgeschlossenen Projekts der mentalen Dekolonisierung« (Mackenthun 2011: 123) zu entwickeln.

Eine auf das Diskursfeld des Postkolonialismus ausgerichtete Beschäftigung mit transkultureller Kommunikation reicht von theoretischen Reflexionen der eigenen Arbeit durch Medienpraktiker (MacDougall 1998), über wissenschaftliche Studien zu Filmen als transkulturelle Begegnungsräume (Kramer 2006) bis hin zur Erforschung von Prozessen medienvermittelter Transkulturation in Zeiten der Globalisierung von Medienkommunikation (Kraidy 2005; Lull 2002). Letztlich geht es in solchen Analysen darum, gegenwärtige Transkulturationen zu erfassen, die sich in grenzüberschreitender und grenzziehender Medienkommunikation konkretisieren. Hiermit werden die Problematiken und Phänomene der Transkulturation, die ursprünglich einmal als Ausdruck postkolonialer Situationen gegolten haben, als ein generelles Phänomen der gegenwärtigen Medienkommunikation angesehen. Transkulturelle Begegnungen spielen sich nicht mehr nur an (post-)kolonialen Begegnungsorten ab, sondern sind zum Normalfall grenzüberschreitender Medienkommunikation geworden, so die Überlegung. Wie es James Lull zugespitzt formuliert: »Prozesse der Transkulturation synthetisieren neue kulturelle Genres, während sie traditionelle kulturelle Kategorien einreißen« (Lull 2000: 242).

Die bisher differenzierteste kommunikations- und medienwissenschaftliche Theorieentwicklung in einem solchen Rahmen hat Marwan M. Kraidy (2005) vorgelegt (siehe zu seinem Verständnis der transkulturellen Kommunikation Textbox 1). Sein Ansatz eines »kritischen Transkulturalismus« betont den konstruierten und gleichzeitig machtgeprägten Charakter von Kultur und rückt eine (zunehmende) globale Transkulturalität in den Blick. Es geht darum, nicht von einer Determination transkultureller Kommunikationsbeziehungen durch die bestehenden Strukturen einer politischen Ökonomie der Medien auszugehen, sondern Transkulturationen als sich in bestimmten Ökonomien konkretisierende Interaktionsbeziehungen zu analysieren. Zentral ist dabei die Betonung einer »translokalen Perspektive« (Kraidy 2005: 155). Diese zielt darauf, die vielfältigen Kommunikationsbeziehungen zwischen sehr unterschiedlichen Orten und auf sehr verschiedenen Ebenen in den Blick zu rücken und solche Beziehungen nicht vorschnell in nationalen Totalitäten aufgehen zu lassen. [30]Zusammenfassend charakterisiert Kraidy den von ihm umrissenen Ansatz mit folgenden Worten: »Kritischer Transkulturalismus […] verweigert das, was der Anthropologe George Marcus die ›Fiktion des Ganzen‹ genannt hat, betont aber zur gleichen Zeit, dass interkulturelle Beziehungen ungleich sind« (Kraidy 2005: 153).

Letztlich zielt eine solche Forschung darauf, auf kritische Weise die Hybriditäten zu erfassen, die durch kommunikative Praxis translokal und verschiedene kulturelle Kontexte übergreifend geschaffen werden. An dieser Stelle rekurriert Marwan M. Kraidy (2005: 152) auf den Begriff der Hybridität bei Mikhail Bakhtin (1981), der zwischen organischer und intentionaler Hybridität unterscheidet. Organische Hybridität bezeichnet das Ergebnis der von Ortiz konstatierten Prozesse der Transkulturation als einen unbewussten Vorgang: »Unbewusste Hybride […] gehen schwanger mit potenziellen neuen Weltsichten, mit neuen ›internen Formen‹ der Wahrnehmung der Welt in Worten« (Bakhtin 1981: 360). Die intentionale Hybridität hingegen ist eine bewusste Konstruktion durch die gezielte Kombination unterschiedlicher kultureller Elemente. Kraidy weist darauf hin, dass die Hybriditäten transkultureller Kommunikation zumindest in Teilen gezielt hergestellt sind, weswegen man Fragen der Macht im Blick haben muss:

»Intentionale Hybridität ist entsprechend primär ein kommunikatives Phänomen. […] Kommunikation ist zentral für die Formierung von Hybriditäten, weil sie die Handlungsfähigkeit derjenigen stärkt, die die Mittel zur Übersetzung und Benennung der Welt haben, während die Handlungsfähigkeit anderer Teilnehmer geschwächt wird. Mit anderen Worten ist es primär ein kommunikativer Prozess, ob Hybridität eine Selbstbeschreibung oder eine Zuschreibung durch andere ist. Das Mittel und die Fähigkeit zu kommunizieren sind entsprechend eine wichtige Determinante der Handlungsfähigkeit in interkulturellen Beziehungen, die den Schmelztiegel der Hybridität bilden.« (Kraidy 2005: 152)

In der Zugangsweise dieses kritischen Transkulturalismus’ ist Hybridität also keine per se positive Eigenschaft, sondern die »kulturelle Logik« der Globalisierung, die es kritisch zu analysieren gilt. Exemplarisch macht dies Kraidy am »unternehmerischen Transkulturalismus« der Gegenwart fest. Dieser versucht, Hybridisierung zu nutzen, um Unternehmen profitabler und Kunden zufriedener zu machen (Kraidy 2005: 95). Hier liegt eine strategische Instrumentalisierung von Hybridität vor, die den Reichtum Einzelner fördert – und die weit entfernt ist von emanzipatorischen Vorstellungen des »dritten Raums«. Dies heißt auch, dass man sich – wie Annabelle Sreberny und Gholam Khiabany (Sreberny/Khiabany 2011: 31) zu Recht anmahnen – davor hüten muss, »die Dichotomie von Tradition und Moderne einfach umzukehren, indem wir alles ›Traditionelle‹ überbewerten und den kommerziellen, entwurzelten, banalen und fertig abgepackten ›westlichen‹ Produkten die ›authentischen‹, ›organisch gewachsenen‹ und ›tief verwurzelten Kulturen‹ […] gegenüberstellen«.

 

[31]Insgesamt wird in dem Diskursfeld der postkolonialen Kritik so ein weiterer Aspekt von transkultureller Kommunikation greifbar: Es geht nicht nur darum, transkulturelle Kommunikation empirisch gesehen als eine mit der Globalisierung an Relevanz gewinnende Form von (Medien-)Kommunikation zu begreifen. Viel grundlegender hebt der Begriff auf Prozesse der Transkulturation ab, die als kennzeichnend für den kulturellen Wandel in Zeiten des Kolonialismus und den sich anschließenden verschiedenen Modernen gesehen wurden. Diese Transkulturation wird als ein kommunikativer Prozess verstanden, der nicht nur für einzelne Orte kultureller Begegnung und Melange kennzeichnend ist. Mit der Zunahme von (weltweiten) Kommunikationsbeziehungen ist Transkulturation zu einem Alltagsphänomen geworden, das es in seiner Widersprüchlichkeit kritisch zu analysieren gilt.


Methodologische Reflexion

Ein drittes Diskursfeld um transkulturelle Kommunikation ist methodologisch ausgerichtet. In diesem werden zwar Überlegungen der zuvor behandelten beiden Diskursstränge aufgegriffen, weswegen man dieses als nachgelagert begreifen kann. Dabei gilt es – so die Argumentation –, grundlegend die methodischen Herausforderungen zu behandeln, die mit zunehmender Globalisierung der Medienkommunikation bzw. kommunikativer Transkulturation bestehen. Hiermit hat dieses Diskursfeld eine sehr große Nähe zu der Kritik an einem methodologischen Nationalismus, weswegen es diese zuerst zu rekonstruieren gilt.

Der Begriff des methodologischen Nationalismus geht insbesondere auf den Nationalismusforscher Anthony D. Smith (1979) zurück. Im Kern wird damit die Annahme gefasst, dass sich nationale Gesellschaften und der Territorialstaat eins zu eins entsprächen. Weiter ausformuliert hat die Kritik an einer solchen Annahme der Soziologe Ulrich Beck, indem er generell die »Axiomatik einer nationalstaatlich eingestellten Soziologie« (Beck 1997: 51) problematisiert. Dieser wirft er vor, methodologisch mit einer »Container-Theorie der Gesellschaft« (Beck 1997: 49) zu operieren, die Gesellschaften (National-)Staaten definitorisch unterordnet. Die Folge ist, dass Gesellschaften als Staatsgesellschaften begriffen werden und Gesellschaftsordnung so viel meint wie Staatsordnung.

Mit einer solchen Container-Theorie der Gesellschaft haben die Sozialwissenschaften die historische Verknüpfung von entstehender Soziologie und politisch gewolltem Aufbau von (europäischen) Nationalstaaten im 19. Jahrhundert mehr oder weniger unreflektiert als Grundmodell der Beschreibung des Sozialen übernommen. Das hierbei bestehende Problem ist, dass die mit Globalisierung an Relevanz gewinnenden Sozialformen wie beispielsweise Diasporas, soziale Bewegungen, supranationale Organisationen usw. in ihrer Spezifik nicht hinreichend erfasst werden. Vor diesem Hintergrund fordert Beck einen methodologischen Kosmopolitismus ein. Letzterer[32] grenzt sich sowohl in der Raum- als auch der Zeitdimension vom methodologischen Nationalismus ab. Räumlich treten »an die Stelle von national-nationalen Beziehungen trans-lokale, lokal-globale, trans-nationale, national-globale und global-globale Beziehungsmuster« (Beck 2004: 118). In der Zeitdimension geht es darum, einerseits die global geteilte Vergangenheit beispielsweise des Kolonialismus analytisch zu berücksichtigen, andererseits die gegenwärtig global erfahrenen Zukunftsbedrohungen beispielsweise im Bereich der Umweltverschmutzung (Beck 2004: 121). Im Kern zielt der methodologische Kosmopolitismus also darauf, dem Paradigma des Containerstaats als Bezugsgröße von Forschung das der räumlichen und zeitlichen Komplexität von translokalen Beziehungsmustern gegenüberzustellen.

Eine solche Diskussion um die Kritik an einem methodologischen Nationalismus prägte umfassend die sozialwissenschaftliche Diskussion der letzten beiden Jahrzehnte. So unterscheiden beispielsweise die Migrationsforscher Andreas Wimmer und Nina Glick Schiller (Wimmer/Glick Schiller 2002: 302–308) drei Modi des methodologischen Nationalismus: Der erste Modus ist bereits durch die von Beck erwähnten Klassiker der Soziologie benannt. Er zeichnet sich dadurch aus, dass Nation zwar eine implizite Zentralität für die entwickelten Konzepte des Sozialen hat (»die Gesellschaft des Nationalstaats«), dies gleichzeitig aber nicht reflektiert wird und so ein »blinder Fleck« der eigenen Betrachtung entsteht. Der zweite Modus ist der der »Naturalisierung des Nationalstaats«. Bei diesem wird der Nationalstaat nicht weiter problematisiert und zum Bezugspunkt jeglicher Forschung gemacht. Ein dritter Modus des methodologischen Nationalismus ist der des generellen »Fokus auf die Grenzen des Nationalstaats«. Bei sozialwissenschaftlichen Analysen geht es dann um die Beschreibung von nationalstaatlichen Prozessen »innerhalb« von Nationalstaaten in Abgrenzung zu Phänomenen »außerhalb«. Folgt man Wimmer und Glick Schiller, gehen diese drei Modi im Diskurs des methodologischen Nationalismus ineinander über und kennzeichnen ihn so insgesamt.

Im Diskursfeld um transkulturelle Kommunikation als methodologische Reflexion finden sich vielfache Bezüge auf die Kritik des methodologischen Nationalismus. Dass dabei allerdings nicht von Transnationalismus sondern von Transkulturalismus gesprochen wird, verweist darauf, dass das Konzept des Nationalen selbst aus kulturanalytischer Perspektive problematisiert wird. Ein wichtiger Bezugsautor ist hierbei der Kulturgeograf und Kommunikationswissenschaftler Kevin Robins. Dieser hat seine Überlegungen zu Transkulturalität und transkultureller Kommunikation im Rahmen seiner empirischen Forschung zu Medien und Migration entwickelt. Dabei weist Robins darauf hin, dass ein Transnationalismus, der Diasporas mit den identischen Konzepten beschreibt wie Nationen bzw. Nationalstaaten, dieser Sozialform nicht hinreichend gerecht wird (vgl. Robins 2003).

Der von Kevin Robins umrissene Zugang postuliert jedoch nicht das Ende des Nationalstaats. Vielmehr geht es ihm darum, das Wechselverhältnis von nationalen und transnationalen Dynamiken in einem weitergehenden transkulturellen Rahmen[33] zu fassen. An dieser Stelle führt er den Begriff der »transkulturellen Vielfalt« (Robins 2006a: 31; siehe auch Robins 2006b: 276) ein, um die Kritik des methodologischen Nationalismus um eine Kritik an Vorstellungen von Kultur als homogener Nationalkultur (im Sinne der eingangs erwähnten territorialen Kulturvorstellung) zu erweitern. Er weist darauf hin, dass gerade Debatten um Vielfalt in Europa letztlich im nationalen Rahmen erfolgen, indem Kultur mit Nationalkultur gleichgesetzt wird und Vielfalt in Europa entsprechend die Vielfalt unterschiedlicher Nationalkulturen bedeutet. Problematisch dabei ist jedoch nicht nur die Nationalisierung von Kultur, sondern darüber hinaus der damit verbundene Kulturbegriff als solcher:

»Letzten Endes ist die Konzeption von Kultur problematisch, wie sie in einer solchen Agenda mobilisiert wird, in der sich der scheinbar neutrale Ausdruck ›Kultur‹ tatsächlich als Kultur in einer nationalen Vorstellung herausstellt. Folglich wird eine Kultur als eine einheitliche und umgrenzte Entität angesehen, als der Besitz einer bestimmten ethnischen oder nationalen Gruppe, als unterschiedlich von den Kulturen anderer Gruppen und als über die Zeit hinweg festgelegt und konstant.« (Robins 2006a: 31)

Betrachtet man jedoch Europa mit seinen vielfältigen Kommunikationsbeziehungen genauer, ist es – wie andere Regionen der Welt – sowohl historisch als auch gegenwärtig durch umfassende transkulturelle (Kommunikations-)Prozesse gekennzeichnet, die es vergleichend in einem komplexeren methodischen Rahmen zu analysieren gilt. Für die Gegenwart lässt sich auf die vielfältigen (Trans-)Migrantinnen und Migranten verweisen, die jenseits der »umgrenzten« Vielfalt nationaler Kulturen in Europa transkulturelle Kommunikation eröffnen. Ein transkultureller Blickwinkel bricht also methodologisch insofern mit Fragen des Nationalen und Transnationalen, als er die Möglichkeit der Verfasstheit von Kultur jenseits von Nationalität untersucht: »Transkulturalismus […] war ursprünglich vor-national und entsprechend vor-transnational« (Robins 2006a: 31).

In diesem Sinne können wir die mit dem Ansatz der transkulturellen Kommunikation verbundene methodologische Reflexion als Zuspitzung der Kritik des empirischen Nationalismus verstehen: Es geht nicht nur darum, die unhinterfragte Anwendung national-territorialer Konstruktionen von Gesellschaft auf jegliche soziale Phänomene zu problematisieren. Diese Kritik des methodologischen Nationalismus wird gesteigert, indem sein impliziter Kulturbegriff in Frage gestellt wird, um die Möglichkeit überhaupt (wieder) zu eröffnen, Kultur jenseits implizit nationaler Konzeptionalisierungen empirisch zu erforschen.

Für einen solchen Zugang stehen neben Kevin Robins auch andere Kommunikations- und Medienwissenschaftlerinnen bzw. -wissenschaftler. Neben den bereits Genannten wie beispielsweise James Lull oder Marwan Kraidy lässt sich auf Ulrike Hanna Meinhof und Anna Triandafyllidou (2006) verweisen. Diese argumentieren,[34] dass traditionelle Ansätze der Beschreibung von Kulturpolitik, die beim Nationalstaat ansetzen, nicht hinreichend sind, um aktuelle Kulturpolitiken in Europa zu erfassen. Notwendig sei vielmehr ein methodisches Ansetzen aus einer »urbanen und metropolen Perspektive« (Meinhof/Triandafyllidou 2006: 6). Ein solcher Zugang zu einem »transkulturellen Europa« eröffnet eine Möglichkeit der Analyse bestehender kultureller Prozesse, die weder auf die Perspektive einer europäischen Kultur im Sinne des kleinsten gemeinsamen Nenners aller Nationalkulturen verkürzt noch auf die Perspektive von Europa als Ansammlung von Nationalkulturen. Joseph Chan und Eric Ma (2002) schlagen einen transkulturellen Ansatz der Medienforschung vor, der einfache Dichotomien wie Mikro vs. Makro oder (in Bezug auf Asien) Staat/Partei vs. Markt/Leute überwindet und komplexere Modelle der (vergleichenden) Medienkulturanalyse entwickelt. Paula Chakravartty und Yuezhi Zhao (2008) fordern eine transkulturelle politische Ökonomie der Medien ein, die jenseits der einfachen Dichotomien (nationalkultureller) politischer Systeme und einem darüber gelagerten supranationalen System operiert, um die globale Verbreitung eines Medienkapitalismus angemessen beschreiben zu können.

Im Kern verweisen solche Argumentationen darauf, in einer komparativen Medienund Kommunikationsforschung einfache Vergleichsmodelle zugunsten komplexerer Ansätze zu überwinden (vgl. zum Folgenden ausführlich Couldry/Hepp 2012; Hepp/Couldry 2009). Methodologisch steht die Zugangsweise der transkulturellen Kommunikation dann für eine bestimmte Vergleichssemantik.

Die internationale und interkulturelle Vergleichssemantik ist dadurch gekennzeichnet, dass der (National-)Staat als ein territorialer Container begriffen wird und als einziger Referenzpunkt von Vergleich fungiert. Konkret heißt dies, dass Mediensysteme, Medienmärkte und Medienkulturen unhintergfragt in Bezug auf (National-) Staaten konstruiert werden und der Staat so von vornherein als Bezugsrahmen einer Auseinandersetzung mit Prozessen der grenzüberschreitenden und grenzziehenden Kommunikation genommen wird. Man kann von einer in ihrer Grundstruktur binären Vergleichssemantik sprechen, weil sie zumindest zwei (National-)Staaten komparativ gegenüberstellt. Dabei kann diese Semantik des Vergleichs auch mit einer größeren Zahl von Staaten weiter gedacht werden. Vor dem Hintergrund der bisherigen Argumentation sollte deutlich geworden sein, dass eine solche Form des Vergleichs auf nicht unerhebliche Probleme stößt. Diese können vor allem an drei Punkten festgemacht werden:

Abbildung 1: Internationale und interkulturelle Vergleichssemantik


Quelle: eigene Darstellung

 

 [35]Erstens wird eine solche Vergleichssemantik nicht der bestehenden Komplexität der kommunikativen Konnektivitäten gerecht, wie sie mit der Globalisierung der Medienkommunikation in heutigen mediatisierten Welten besteht. Deren Kommunikationsbeziehungen sind durch die Etablierung von Satellitentechnologien und dem Internet bzw. digitalen Medien wesentlich vielfältiger und nicht einfach in Bezug auf Staatsgrenzen konstruierbar.

 Zweitens geht eine solche Vergleichssemantik von einer Abgeschlossenheit von Kultur aus. Diese wird in aktuellen kulturanalytischen Studien in Frage gestellt, weil sie nicht angemessen erscheint, gegenwärtige kulturelle Komplexitäten zu erfassen.

 Und drittens schließlich erlaubt es eine solche Vergleichssemantik nicht, neu entstehende kulturelle Phänomene bzw. den Wandel von Kultur zu beschreiben. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich diese nicht in einen nationalen Funktionalismus fügen.

Abbildung 2: Transkulturelle Vergleichssemantik


Quelle: eigene Darstellung

[36]Solche Probleme versucht eine transkulturelle Vergleichssemantik zu vermeiden. In ihr wird eine globale Kommerzialisierung der Medien als Gesamtrahmen von gegenwärtigen, (staatliche) Grenzen überschreitenden kommunikativen Konnektivitäten betrachtet (siehe dazu im Detail Kap. 3.1). Diese globale Kommerzialisierung bildet – wie in der oben stehenden Abbildung 2 visualisiert – den Rahmen, in dem es Nationalstaaten und deren Mediensysteme wie auch die verschiedenen (medien-)kulturellen Verdichtungen zu sehen gilt. Gemeint ist damit nicht, dass die Art und Weise der Produktion von Medien überall identisch wäre. Der Begriff der globalen Medienkommerzialisierung hebt an dieser Stelle vielmehr darauf ab, dass in verschiedensten Regionen der Welt Medienkommunikation zunehmend als Austausch ökonomischer Waren angesehen wird. Dies betrifft nicht nur die sogenannte westliche Welt (Herman/McChesney 1997; Hesmondhalgh 2007), sondern ebenfalls andere Weltregionen (siehe für China beispielsweise Ma 2000 und Zhao 2009). Und auch in Bezug auf das Internet kann gesagt werden, dass dessen rasante Verbreitung in den 1990er-Jahren mit einer Kommerzialisierung Hand in Hand ging (Castells 2005: 19–44). Nichtsdestotrotz muss man im Blick haben, dass diese globale Medienkommerzialisierung nicht zu einer weltweiten Standardisierung der Bedeutung von Medienprodukten führt. Dies hängt u.a. mit der »Unbestimmtheit« (Ang 1996: 172) des globalen Medienkapitalismus zusammen, dem es gerade um das Finden neuer, vermarktbarer (kultureller) Unterschiede geht. Sehr oft scheint damit der globale Medienkapitalismus eher eine Quelle fortschreitender kultureller Fragmentierungen, Auseinandersetzungen und Missverständnisse zu sein – nicht nur zwischen Nationalkulturen, sondern auch quer durch diese hindurch.

Innerhalb dieser globalen Medienkommerzialisierung sind politische Mediensysteme aufgrund ihrer Staatsbezogenheit die bis heute am umfassendsten territorial bezogenen Gegenstandsbereiche (Hepp/Wessler 2009). Rücken jedoch stärker Fragen von (Medien-)Kultur ins Zentrum der Betrachtung, fällt auf, dass einzelne kulturelle Verdichtungen nach wie vor staatsbezogen sind (bspw. nationale politische Diskurskulturen), andere – und für Zeiten der Globalisierung von Medienkommunikation besonders Charakteristische – jedoch über Staatsgrenzen hinweg erkennbar werden. Beispiele für solche kulturellen Verdichtungen sind Diasporagemeinschaften, populärkulturelle Gemeinschaften wie beispielsweise Jugend- und Freizeitkulturen, politische Vergemeinschaftungen von sozialen Bewegungen oder Religionsgemeinschaften. Die Artikulation solcher Vergemeinschaftungen verweist letztlich auf deterritorial bestehende, transmediale kommunikative Räume (siehe dazu im Detail die Darstellung in Kap. 6.3).

Auf komparativer Ebene versucht eine transkulturelle Perspektive damit, eine einfache Inter-Vergleichssemantik zu überwinden, ohne den Staat bzw. die Nationalkultur als eine mögliche Referenzgröße auszuschließen. Konkret bedeutet dies, dass eine transkulturelle Vergleichssemantik nicht mit der Vorstellung von in Bezug auf Staaten abgeschlossenen Medienkulturen, Medienmärkten und Mediensystemen operiert, sondern mit der Vorstellung der Verdichtung solcher Phänomene im Rahmen übergreifender[37] kommunikativer Konnektivitäten. Eine solche Vergleichssemantik versucht, die Spezifik dieser Verdichtungen ebenso zu berücksichtigen wie die vielschichtigen Beziehungen zwischen ihnen. Letztlich zielt in einem solchen methodologischen Blickwinkel das vorliegende Buch also darauf, einen konzeptionellen Rahmen für ein vielschichtiges vergleichendes Vorgehen zu entwickeln.


Integrative Analysen

Ausgangspunkt dieses Kapitels war die Überlegung, dass sich im Ansatz der transkulturellen Kommunikation drei sich überlappende, gleichwohl sinnvoll zu unterscheidende Diskursfelder treffen: Erstens das der Auseinandersetzung mit transkultureller Kommunikation als Folge der Globalisierung, zweitens das der Betrachtung transkultureller Kommunikation als Teilaspekt der postkolonialen Kritik und drittens eine Konzeptionalisierung von transkultureller Kommunikation als methodologischer Reflexion. Betrachtet man diese drei Diskursfelder zusammenfassend, stellt man fest, dass diese – auch wenn ihre Referenzautoren jeweils unterschiedlich verortet sind – argumentativ in einer Beziehung zueinander stehen: So wird aus der Zunahme von kulturübergreifenden Kommunikationsbeziehungen mit fortschreitender Globalisierung der Medienkommunikation gefolgert, dass transkulturelle Kommunikationsprozesse auf alltagsweltlicher Ebene zunehmen (können), und dabei unterstellt, dass damit verschiedene Hybridisierungsprozesse ein Alltagsphänomen geworden sind. Gerade vor diesem Hintergrund erscheinen Inter-Vergleichssemantiken nicht hinreichend, und man benötigt für eine komparative Forschung komplexere Designs. Diese sollten Nationalstaaten und Nationalkulturen als Referenzgrößen nicht ausschließen, aber vermeiden, Letztere unproblematisiert zum containerhaften Ausgangspunkt von Forschung zu machen. Entsprechend kann man die unterschiedenen Diskursfelder wie folgt systematisieren:

Tabelle 1: Diskursfelder transkultureller Kommunikation


DiskursfeldForschungsfokusForschungsagenda
Folgen der Globalisierungtranskulturelle KonnektivitätKommunikationsbeziehungen
Postkoloniale KritikTranskulturalisierungHybridisierungsprozesse
methodologische Reflexiontranskultureller VergleichMehrebenen-Untersuchungen

Quelle: eigene Darstellung

Sieht man eine transkulturelle Kommunikationsforschung in einem solchen Gesamtrahmen, wird deutlich, dass es sich hier um einen Ansatz handelt, der die Analyse der [38]Komplexität von Kommunikationsbeziehungen, ihrer Grenzüberschreitungen und Grenzziehungen in einer globalisierten Welt einfordert. Doch wie ist ein solches Unterfangen praktisch zu realisieren?

Geht man von den Kernpunkten der bisherigen Argumentation aus, sollte eine Antwort auf diese Frage eine Systematisierung der in der obenstehenden Tabelle gefassten drei Forschungsfoki und -agenden leisten: Sie sollte eine Vorgehensweise umreißen, die in der Lage ist, die Komplexität von Kommunikationsbeziehungen in durch die Globalisierung gekennzeichneten, mediatisierten Welten zu fassen. Gleichzeitig sollte diese Vorgehensweise die hiermit einhergehende Hybridisierung verschiedenster Phänomene kritisch beschreiben können. Und sie sollte dies in vielschichtigen Mehrebenen-Untersuchungen realisieren. Genau dies leistet das Konzept der »kommunikativen Figuration« (Hepp 2013a: 84–90; Hepp/Hasebrink 2014), wie es im Weiteren als heuristischer Ansatzpunkt für eine transkulturelle Medien- und Kommunikationsforschung beschrieben werden soll.