Transkulturelle Kommunikation

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Der Begriff der Figuration ist in den Sozialwissenschaften durchaus etabliert, häufig allerdings ohne weitere begriffliche Ausarbeitung. So spricht beispielsweise die Soziologin Saskia Sassen (2008: 29) in ihrer breit angelegten Untersuchung zur politischen »Etablierung« und »Demontage« des Nationalstaates davon, dass hierzu die Analyse »bestimmter historischer Konfigurationen« notwendig wäre. Hiermit betont sie, dass es nicht um die Betrachtung von Einzelphänomenen geht, sondern um deren Interaktionsgefüge. Der Wissens- und Techniksoziologe Bruno Latour spricht von der »Figuration« (Latour 2007: 93 f.) im Sinne einer konkreten sozialen Gestalt, die Bezugspunkt sozialwissenschaftlicher Erklärungen sein sollte. Es finden sich aber auch Verwendungsweisen des Konzepts der Figuration in der Kommunikations- und Medienforschung. Ein Beispiel hierfür wären die »Figurationen des Klatsches« (Leach 1997), in denen sich feministischer Gegendiskurs konkretisiere. Allgemein wird daneben von »kommunikativen Figurationen« gesprochen, die es historisch kontextualisierend zu erfassen gilt (Burkhardt/Werkstetter 2005: 430). Trotz ihrer je unterschiedlichen Akzentsetzungen treffen sich solche verschiedenen Verwendungsweisen des Ausdrucks »Figuration« darin, dass sie die Notwendigkeit der Analyse von Gesamtkonstellationen betonen: Beschreibung, Erklärung und Kritik soziokultureller Phänomene werden dann möglich, wenn man diese in dem ihnen jeweils spezifischen Gesamtzusammenhang erfasst.

Über eine solche allgemeine Verwendungsweise hinaus wurde der Begriff Figuration insbesondere vom Soziologen Norbert Elias theoretisiert (siehe Textbox 2). Dessen Begriff der Figuration durchschreitet die häufig statischen Analyseebenen von Mikro, Meso und Makro, indem man ihn »auf relativ kleine Gruppen ebenso wie auf Gesellschaften« (Elias 1993: 143) beziehen kann. Folgt man der Argumentation von Elias, sind Figurationen »Netzwerke von Individuen« (Elias 1993: 12), die in wechselseitiger Interaktion – wie beispielsweise im gemeinsamen Spiel oder gemeinsamen Tanz – ein größeres soziales Gebilde konstituieren. Dieses kann die Familie sein, die [39]Gruppe, der Staat oder die Gesellschaft: In all diesen Fällen lassen sich solche sozialen Gebilde als unterschiedlich komplexe Netzwerke von Individuen beschreiben. Mit diesem Zugang möchte Elias die Vorstellung vermeiden, »dass die ›Gesellschaft‹ aus Gebilden außerhalb des »Ichs«, des einzelnen Individuums bestehe und dass das einzelne Individuum zugleich von der Gesellschaft umgeben und von ihr durch eine unsichtbare Wand getrennt« (Elias 1993: 11 f.) sei. Für Elias gehören »Individuum« und »Gesellschaft« eng zusammen und können nicht voneinander separiert werden. Sie fassen eher zwei Aspekte eines Gesamts, das er mit dem Begriff der Figuration zu bezeichnen sucht. Figuration ist damit »ein einfaches begriffliches Werkzeug« (Elias 1993: 141), um soziokulturelle Phänomene in einem »Verflechtungsmodell« (Elias 1993: 141) interdependenter Handlungen zu fassen. Es geht – wenn man das Spiel als Beispiel für eine Figuration nimmt – darum, »das sich wandelnde Muster, das die Spieler als Ganzes miteinander bilden« (Elias 1993: 142), insgesamt zu beschreiben. Hierbei ist der Begriff der Figuration skalierbar, d. h., auf sehr unterschiedlichen Ebenen operationalisierbar. Der Begriff der Figuration zielt demnach darauf ab, soziale Entitäten als prozesshafte Verflechtungszusammenhänge einer empirischen Analyse zugänglich zu machen. Dabei geht es auch darum, zu klären, »was Menschen eigentlich in Figurationen zusammenbindet« (Elias 1993: 144).

Textbox 2: Norbert Elias zum Konzept der Figuration

»Der Begriff der ›Figuration‹ dient dazu, ein einfaches begriffliches Werkzeug zu schaffen, mit dessen Hilfe man den gesellschaftlichen Zwang, so zu sprechen und zu denken, als ob ›Individuum‹ und ›Gesellschaft‹ zwei verschiedene und überdies auch noch antagonistische Figuren seien, zu lockern. […] Man kann ihn auf relativ kleine Gruppen ebenso wie auf Gesellschaften, die Tausende oder Millionen interdependenter Menschen miteinander bilden, beziehen. Lehrer und Schüler in einer Klasse, Arzt und Patienten in einer therapeutischen Gruppe, Wirtshausgäste am Stammtisch, Kinder im Kindergarten, sie alle bilden relativ überschaubare Figurationen miteinander, aber Figurationen bilden auch Bewohner eines Dorfes, einer Großstadt oder einer Nation, obgleich in diesem Fall die Figuration deswegen nicht direkt wahrnehmbar ist, weil die Interdependenzketten, die die Menschen hier aneinander binden, sehr viel länger und differenzierter sind. Man versucht dann, die Eigentümlichkeiten solcher komplexer Figurationen indirekt, durch die Analyse der Interdependenzketten, dem eigenen Verständnis näherzubringen.« (Elias 1993: 141; 143)

Auf Grundlage solcher Überlegungen sind kommunikative Figurationen musterhafte (transmediale) Interdependenzgeflechte von Kommunikation. Um einige Beispiele zu nennen: Familien bilden auch eine kommunikative Figuration, für die – gerade in ihrer translokalen Zerstreuung – Kommunikation mittels (Mobil-)Telefon ebenso[40] zentral ist wie das Social Web, (digitale) Fotoalben, Briefe, Postkarten oder das gemeinsame Fernsehen. Begreift man (nationale oder transnationale) Öffentlichkeiten als normativ spezifisch aufgeladene kommunikative Figurationen, so bestehen diese ebenfalls über unterschiedliche Medien, deren Produktion und Aneignung hinweg. Dies betrifft nicht nur klassische Medien der Massenkommunikation, sondern mit WIKILEAKS, TWITTER und Blogs ebenso Medien des Social Webs. Wir haben es aber auch mit kommunikativen Figurationen von global agierenden sozialen Bewegungen zu tun, die sich über das Internet und Mobiltelefon organisieren und gleichzeitig traditionelle Massenmedien zu nutzen wissen, um zum Beispiel ihre politischen Ziele als Teil globaler Medienevents zu inszenieren.

Mit fortschreitender Globalisierung der Medienkommunikation sind gegenwärtige kommunikative Figurationen in hohem Maße vielfältig. Manche – wie beispielsweise die kommunikativen Figurationen, die eine nationale Medienöffentlichkeit ausmachen – sind territorial bezogen. Sie bewegen sich nicht einfach nur (weitgehend) in den Grenzen von Nationalstaaten, sondern artikulieren diese mit. Andere kommunikative Figurationen wiederum sind konstitutiv für Phänomene, die gerade nicht in einem solchen Rahmen fassbar sind: kommunikative Figurationen der bereits erwähnten Diasporas, populärkulturellen Vergemeinschaftungen, sozialen Bewegungen usw. Zu denken ist in diesem Zusammenhang aber auch an die kommunikativen Figurationen, die für einzelne Orte kennzeichnend sind wie beispielsweise den der globalisierten Stadt. Hier werden weitere kulturelle Bezüglichkeiten geschaffen, wie auch kulturelle Hybridisierungen entstehen, die empirisch durch zum Teil sehr eigene Spezifika gekennzeichnet sind.

Solche Beispiele machen deutlich, dass sich das Konzept der kommunikativen Figuration in hohem Maße eignet, die in diesem Aufsatz für die betrachteten drei Diskursfelder umrissenen Forschungsfoki und -agenden der transkulturellen Kommunikation in eine praktische Kommunikations- und Medienforschung umzusetzen. Bezogen auf die in Tabelle 1 (S. 37) dargestellten Punkte lässt sich dies wie folgt zuspitzen:

 Transkulturelle Konnektivität und Kommunikationsbeziehungen: Das Konzept der kommunikativen Figuration bezieht sich nicht auf Fragen einzelner Medien, sondern setzt seinen Akzent auf die (medienvermittelte) kommunikative Artikulation verschiedener soziokultureller Entitäten. Hierdurch eignet es sich in hohem Maße zum Erfassen vielschichtiger kulturspezifischer wie transkultureller Konnektivitäten bzw. Kommunikationsbeziehungen sowie von deren Relevanz für die kommunikative Konstruktion von Wirklichkeit.

 Transkulturalisierung und Hybridisierungsprozesse: Das Konzept der kommunikativen Figuration eignet sich dazu, Hybridisierungsprozesse auf handhabbarer Ebene zu erfassen. Auch »dritte Räume« und »Kontaktzonen« konstituieren sich in bestimmbaren kommunikativen Figurationen, ebenso wie Prozesse der »Transkulturation« in kommunikativen Figurationen greifbar werden.

 [41]Transkulturelle Vergleiche und Mehrebenen-Untersuchungen: Das Konzept der kommunikativen Figuration ist skalierbar, d. h., auf Phänomene sehr unterschiedlicher Ebenen beziehbar, und liegt damit jenseits eines in der transkulturellen Medienund Kommunikationsforschung immer wieder kritisierten impliziten Ansatzpunkts national-territorialer Vergleiche und Bezugsgrößen. Hierdurch eignet es sich auch für komplexe vergleichende Mehrebenen-Untersuchungen.

Durch eine Betrachtung von kommunikativen Figurationen erreicht man also eine weitere empirische Konkretisierung des Ansatzes der transkulturellen Kommunikation, nämlich im Hinblick auf die Analyse der Gesamtheit von für die kommunikative Artikulation einer Entität (Familie, Diaspora, Öffentlichkeit usw.) relevanten Muster von Kommunikation, die es in einer vergleichenden Analyse zu erfassen gilt. In der Erhebungs- und Auswertungsmethode kann eine Analyse kommunikativer Figurationen sehr unterschiedlich angelegt sein, je nachdem, um welche Art von Entität es sich handelt. Um hier nochmals die genannten Beispiele zu verwenden: Für die Analyse der kommunikativen Figuration einer Öffentlichkeit bietet sich beispielsweise die Kombination von Inhaltsanalysen, Befragungen von Medienschaffenden und Rezipierenden an, für die Analyse der kommunikativen Beziehungen einer Diaspora bieten sich Kommunikationsnetzwerkanalysen an oder für die Auseinandersetzung mit den kommunikativen Figurationen von Familien (virtuelle) Ethnografie und teilnehmende Beobachtung. Der Kernpunkt einer Figurationsanalyse ist also nicht das Erhebungs- und Auswertungsinstrument, sondern die Erschließung der grundlegenden Muster dieser kommunikativen Artikulation in ihrer Gesamtheit. Zu einer transkulturellen Medien- und Kommunikationsforschung wird eine solche Figurationsanalyse dann, wenn sie die Dialektik der kulturellen Grenzüberschreitungen und Grenzziehungen auf spezifische Weise erfassbar macht.

 

An dieser Stelle ist es gleichwohl wichtig, im Blick zu haben, dass kulturelle Phänomene Mehrebenen-Phänomene sind. Eindrücklich zeigt sich dies in Kreislaufvorstellungen von Kultur, wie sie sich mit den Cultural Studies in der kulturanalytischen Medien- und Kommunikationsforschung verbreitet haben. Wichtig war hierbei das Encoding/Decoding-Modell von Stuart Hall (1980; 1994b; 1999), mit dem dieser – u. a. angeregt durch den Kreislauf des Warenkapitals von Karl Marx – das Phänomen des Fernsehens im Spannungsverhältnis von Encoding und Decoding verortet. Weiter ausdifferenziert wurde eine solche Perspektive dann durch Richard Johnson (1986), der den Kreislauf der Kultur durch vier Instanzen vermittelt sah: erstens die Produktion einzelner Kulturprodukte, zweitens diese selbst als Texte betrachtet, drittens deren Interpretation und viertens schließlich die Kultur als Lebensweise. In ganz ähnlichem Sinne haben auch Paul du Gay et al. (1997: 3) Kultur im Rahmen eines Kreislaufs beschrieben. Als zentrale kulturelle Prozesse dieses Kreislaufs haben sie die Repräsentation, die Identität, die Produktion, den Konsum und die Regulation von Kultur begriffen.

[42]Abbildung 3: Kreislauf der Medienkultur


Quelle: eigene Darstellung

Solche Überlegungen aufgreifend können wir sagen, dass sich in einem Kreislaufzusammenhang Artikulationsebenen von Medienkultur ausmachen lassen. Dies ist erstens die der Produktion, die die Strukturen, Praktiken und Prozesse der »Hervorbringung« von Kulturprodukten beschreibt. Zweitens ist dies die der Repräsentation, d. h. der »Darstellung« von Kultur in Kulturprodukten. Eine dritte Artikulationsebene ist die der Aneignung, also des Prozesses des aktiven »Sich-Zu-Eigen-Machens« von Kultur als Lokalisierung im Alltag. Diese drei Ebenen bilden insofern den Kern von Medienkultur, als es sich hierbei um diejenigen handelt, die in einem klassischen Verständnis den Kommunikationsprozess als solchen ausmachen. Daneben erscheint es aber noch wichtig, zumindest zwei weitere Ebenen im Blick zu haben, nämlich die der Identifikation und Regulation. Bei der Identifikation handelt es sich um die Artikulationsebene von Kultur, die den (fortlaufenden) Prozess der Artikulation von Identität auf Basis vermittelter kultureller Muster und Diskurse beschreibt. Regulation hingegen bezeichnet die Einflussnahme nichtproduzierender Institutionen und Formationen (bspw. Politik) auf Kultur.

Bezieht man solche Überlegungen zurück auf den Begriff der kommunikativen Figuration, geht es darum, entlang dieser Artikulationsebenen und der sich in ihnen konkretisierenden Machtverhältnisse die kommunikativen Figurationen transkultureller Kommunikation zu erfassen. Gemäß unserer bisherigen Argumente heißt dies für die Beschäftigung mit transkultureller Kommunikation zweierlei: Einerseits interessiert entlang der unterschiedenen Artikulationsebenen die kommunikative Beziehung[43] zwischen den verschiedenen Medienkulturen. Welche kommunikativen Figurationen der Produktion aber auch Regulation bestehen zwischen verschiedenen Medienkulturen? Inwiefern schaffen verschiedene Medienprodukte oder herausgehobene Medienereignisse eine transkulturelle Beziehung zwischen ihnen? Welche alltagsweltlichen Kulturbeziehungen werden in den kommunikativen Figurationen der Medienaneignung geschaffen?

Haben wir aber im Blick, dass eine Beschäftigung mit transkultureller Kommunikation auch bedeutet, sich mit dem Prozess der Transkulturation innerhalb von nur scheinbar stabilen Kulturen auseinanderzusetzen, geht es auch um eine Auseinandersetzung mit kommunikativen Figurationen in den verschiedenen Medienkulturen. Hier mögen dann andere Fragen interessieren: Inwieweit wird Transkulturation in den Praktiken der Medienproduktion greifbar? Wie ist in der kommunikativen Figuration von scheinbar nationalen medialen Repräsentationen Transkulturalität eingeschrieben? Was zeichnet die kommunikative Figuration einer Diaspora bezogen auf Transkulturalitäts-Erfahrungen aus?

Solche Fragen verdeutlichen, dass die Figurationen transkultureller Kommunikation hochgradig komplexe und auch widersprüchliche Zusammenhänge sind. Eine Hilfe ist es deshalb, diese kommunikativen Figurationen entlang der unterschiedlichen Artikulationsebenen des Kreislaufs der Medienkultur zu betrachten, wie es in den folgenden Kapiteln dieses Buchs geschehen soll. Auf diese Weise wird es möglich, Anregungen zu geben, was wir im Blick haben müssen, wenn wir die kommunikativen Figurationen unserer heutigen mediatisierten Welten in ihrer Transkulturalität erfassen wollen.


[44][45]3Regulation transkultureller Kommunikation

Wie bereits im letzten Kapitel angedeutet, findet transkulturelle Kommunikation nicht in einem luftleeren Raum statt: Sie wird als Medienkommunikation gestützt durch eine entsprechende kommunikative Infrastruktur, deren Aufbau wiederum (auch) ein politisches Projekt gewesen ist. Wir sind also bei einer Beschäftigung mit den kommunikativen Figurationen transkultureller Kommunikation zwangsläufig mit Fragen der politischen Regulation konfrontiert. Deutlich vor Augen geführt haben dies die Kommunikations- und Medienwissenschaftlerinnen Paula Chakravartty und Yuezhi Zhao (2008) bei ihrem bereits erwähnten Entwurf einer »transkulturellen politischen Ökonomie der globalen Kommunikation«. Dieser zielt darauf, »institutionelle und kulturelle Analysen zu integrieren und dabei drängende Fragen zu stellen in Bezug auf die globale Kommunikation im Kontext der ökonomischen Integration, der Bildung von Imperien und der Spannungen, die mit der Adaption neuer privatisierter Technologien, neoliberalisierter und globalisierter institutioneller Strukturen und hybrider kultureller Formen und Praktiken verbunden sind« (Chakravartty/Zhao 2008: 10). Nun ist es naheliegend, dass ein einzelnes Kapitel wie das Folgende nicht eine solch umfassende Darstellung bieten kann. Jedoch geht es mir darum, den Grundgedanken von Paula Chakravartty und Yuezhi Zhao aufzugreifen und nachzuzeichnen, wie die gegenwärtigen kommunikativen Figurationen transkultureller Kommunikation auf spezifische Prozesse politischer Regulation verweisen. Durch diese konnten letztendlich erst die heutigen kommunikativen Infrastrukturen entstehen, die eine solche kulturüberschreitende Kommunikation medienvermittelt ermöglichen.

Hierbei gilt es, den Begriff der Regulation nicht auf einfache Weise dem der Deregulation gegenüberzustellen. Gerne wird unter Deregulation oder Deregulierung alltagssprachlich der Verzicht auf Maßnahmen verstanden, mit denen der Staat versucht, Marktversagen zu korrigieren bzw. politische Zielsetzungen im und gegen den Markt durchzusetzen. Insbesondere im Neoliberalismus wird Deregulation in der Tendenz damit gleichgesetzt, der Staat ziehe sich zurück und es fände keine Regulation mehr statt. Wie es Stuart Hall (1997a: 229) formelhaft gefasst hat: Staat = Regulation, Markt = Freiheit.

Diesen (neoliberalen) Diskurs von Deregulation als Freiheit und Fehlen von Regulation aufgreifend, weist Hall darauf hin, dass solche Überlegungen zu kurz greifen. Dafür führt er zwei Argumente an. Erstens operieren Märkte nicht von alleine, sondern müssen vorbereitet, kontrolliert und geschützt werden. Sie sind abhängig von kulturellen und sozialen Existenzbedingungen, die sie selbst nicht sicherstellen können. Man denke daran, dass heutige Märkte einer Besitz- und Einkommenssicherheit bedürfen (Märkte funktionieren nur, wenn auch über sie erworbener Besitz als solcher anerkannt wird und unstrittig ist), aber auch einer allgemeinen Akzeptanz gegenüber kapitalistischen Werten und Orientierungen als solchen. Diese Existenzbedingungen[46] werden wiederum von (staatlicher) Politik sichergestellt. Zweitens sind Märkte selbst Instanzen der Regulation. Sie teilen bestimmte Ressourcen zu, belohnen Effizienz und Innovation, schaffen Gewinner und Verlierer bzw. erfordern bestimmte Management- und Organisationskulturen. Ausgehend von diesen Überlegungen argumentiert Stuart Hall, dass es entsprechend nicht um eine Dichotomie von Regulation vs. Deregulation in dem Sinne gehen kann, dass in dem einen Fall reguliert wird, im anderen nicht. Vielmehr sollte das Wie von Regulation im Vordergrund der Betrachtung stehen. Relevant werden damit die »unterschiedliche[n] Modi der Regulation, von denen jeder eine Kombination von Freiheiten und Zwängen darstellt. […] Es kommt im sozialen Leben nur sehr selten, wenn überhaupt, ein Zustand ›jenseits von Regulation‹ vor.« (Hall 1997a: 230; Herv. i. O.)

Letztlich kennzeichnet dieser Blickwinkel auf Regulation auch die Argumentation auf den folgenden Seiten. Regulation wird als nicht hintergehbar in dem Sinne begriffen, dass komplexere kommunikative Figurationen stets wie auch immer regulierte Phänomene sind. Entscheidend ist folglich eine Analyse, auf welche Weise diese Regulation stattfindet. Hierbei operiert man unweigerlich mit einem weiten Begriff von Regulation. Folgt man an dieser Stelle den Überlegungen von Peter Lunt und Sonia Livingstone, fasst der Ausdruck »Regulation« dann »die Beziehungen zwischen Macht und der Ordnung sozialen Verhaltens auf allen Ebenen der Gesellschaft, vom Nationalstaat hoch zur transnationalen Organisation und herunter zur subnationalen Organisation oder Gemeinschaft und selbst dem Individuum« (Lunt/Livingstone 2012: 5). Diese Definition von Lunt und Livingstone ist insofern zielführend, als sie zweierlei verdeutlicht: Einerseits gilt der Staat seit der Neuzeit als der Hauptakteur von (Medien-)Regulation, weswegen er zu Recht im Zentrum dieser Definition steht. Andererseits hat sich die regulative Rolle des Staates aber in den letzten Jahrzehnten nachhaltig gewandelt, weswegen weitere regulative Instanzen unter- wie oberhalb des Staates zu berücksichtigen sind. Gegenstand von Regulation sind dabei nicht nur die Medienmärkte, sondern auch die Organisationsformen von Medienunternehmen bzw. -institutionen sowie Medieninhalte und der Zugang zu diesen.

Dies ist die Stelle, an der der Begriff des Politischen an Bedeutung gewinnt. Die Diskussion um den Charakter dessen, was das Politische ausmacht, ist vielfältig. Deshalb brauchen wir zumindest einen für die weitere Analyse praktikablen Begriff des Politischen. Tendenziell wird in der Forschung zu internationaler Kommunikation »politisch« für staatliche Formen der Politik verwendet. Im Weiteren ist allerdings ein breiterer Begriff von Politik notwendig. Wird im Folgenden von Medien- und Kommunikationspolitik gesprochen, so ist dasjenige politisch motivierte Handeln gemeint, das sich auf die Organisation, Funktion, Ausgestaltung und Ausstattung der Medien bezieht (vgl. Kleinsteuber 2005: 102). Die begriffliche Erweiterung von Medien- hin zur Kommunikationspolitik macht insofern Sinn, als die klassischerweise nur auf Fragen der produzierten Medienkommunikation bzw. Massenmedien bezogene Medienpolitik mit fortschreitender Digitalisierung in eine auch die wechselseitige [47]Medienkommunikation (beispielsweise Internet, Telefon) einbeziehende, allgemeine Kommunikationspolitik übergeht. Hierbei sollten, gerade bei einer Betrachtung von transkultureller Kommunikation, auch zivilgesellschaftliche Akteure einbezogen werden. So hat Ulrich Beck (1993) bei seiner Auseinandersetzung mit dem Politischen im Kontext einer voranschreitenden Globalisierung darauf hingewiesen, dass es verkürzend sei, diesen Begriff zu eng an staatliche Akteure zu binden: Wir haben es ebenso mit vielfältigen Formen des alltagsweltlichen politischen Handelns zu tun, die sich nicht unbedingt auf den Staat beziehen, aber viel zum politischen Wandel beitragen. Beck spricht hier von der »Subpolitik«, zu der neben zivilgesellschaftlichem Engagement die politische Dimension alltäglichen Handelns zählt. Dies ist beispielsweise der kommunikativ abgestimmte Boykott bestimmter Unternehmen und ihrer Angebote, um deren Handlungsänderung zu erzwingen. Dass dieses subpolitische Handeln auch im Bereich von Medienkommunikation von nachhaltiger Bedeutung ist, zeigen öffentliche Boykott-Aufrufe gegenüber der Firma APPLE im Jahr 2012 wegen menschenunwürdiger Produktionsweisen in China.

 

Solche Überlegungen decken sich mit dem Argument Manuel Castells (2002: 75), der in »sozialen Bewegungen gegen die neue globale Ordnung« ein großes Veränderungspotenzial in einer globalisierten Netzwerkgesellschaft sieht (siehe dazu detaillierter Kap. 6.4). Auch er argumentiert, Fragen der Kommunikationsmacht – und damit ebenfalls: der Regulation von Kommunikation – sollten nicht auf staatliche Macht reduziert werden, sondern die komplexen Machtnetzwerke heutiger Gesellschaften im Blick haben (Castells 2009: 11–19). Diese sind nicht nur in hohem Maße vielfältig, sondern schließen auch verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure mit ein. Umgekehrt heißt dies aber nicht, der Staat wäre als regulativer Akteur unwichtig geworden (siehe hierzu für das Internet beispielsweise Mueller 2010). Wir werden auf diesen komplexen Zusammenhang mehrfach zu sprechen kommen.

Deswegen gilt es, bei einer Betrachtung der Regulation transkultureller Kommunikationsmöglichkeiten zumindest drei Arten von regulativen Akteuren zu berücksichtigen. Dies sind zum einen gouvernementale Akteure, eine Gruppe, zu der Staaten, Staatenbünde und Internationale Gouvernementale Organisationen (IGOs) zählen. Zum anderen sind nichtgouvernementale Akteure zu nennen, worunter (Internationale) Nicht-Gouvernemantale Organisationen ([I]NGOs) zu fassen sind, aber auch losere Netzwerke sozialer Bewegungen. Drittens sind privatwirtschaftliche Akteure zu nennen, also (Medien-)Unternehmen, die einerseits diejenigen sind, deren Handeln reguliert werden soll, die andererseits aber – wie wir sehen werden – selbst versuchen, auf Prozesse der Regulation Einfluss zu nehmen bzw. in neuere Konzepte von Regulation als Akteure einbezogen zu werden.

Geht es um die politische Regulation transkultureller Kommunikationsmöglichkeiten, ist diese häufig nicht nur weniger auf einzelne Inhalte oder das Urheberrecht ausgerichtet, sondern ebenso auf die zugrunde liegenden Infrastrukturen: zum Beispiel Satelliten- und Kabelnetzwerke, Übertragungs- und Adressierungsstandards. Gerade[48] für eine kritische Betrachtung der Möglichkeiten und Grenzen von transkultureller Kommunikation erscheint es zielführend, diese Infrastrukturen nicht aus dem Blick zu verlieren. Der Hintergrund hierfür ist, dass, sobald solche Infrastrukturen aufgebaut sind, diese die Möglichkeiten und Grenzen von Kommunikation dauerhaft mitprägen (siehe Hepp 2013a: 49–62). Einmal geschaffene Kabelnetzwerke, Satellitenverbindungen und Übertragungsstandards sind nicht mehr so schnell zu ändern. Der Begriff der Infrastruktur, wie er hier gebraucht werden soll, ist entsprechend breit. Als Infrastruktur wird im ursprünglichen Sinne des lateinischen Begriffs die technische Materialität bezeichnet, die transkulturelle Kommunikation erst ermöglicht und auf die sich vielfältige weitere Institutionalisierungen von transkultureller Kommunikation beziehen. Es handelt sich bei dem, was wir Infrastruktur nennen, um einen wichtigen Aspekt der »Verdinglichung« von Medien, die mit dem Einschreiben von Macht verbunden ist (Latour 2007: 142–149). Mit dem Aufbau einer Infrastruktur – beispielsweise eines Satelliten- oder Kabelnetzwerks – werden Machtbeziehungen materialisiert, die nicht mehr so einfach veränderbar sind.

Solche Zusammenhänge sollen auf den folgenden Seiten dieses Kapitels näher betrachtet werden. Hierzu wird in einem ersten Teilkapitel die Beziehung zwischen der fortschreitenden Kommerzialisierung der Medien und dem Aufbau von kommunikativen Infrastrukturen näher beleuchtet. Das zweite Teilkapitel kontextualisiert in diesem Ganzen die Regulation verschiedener Staaten im Vergleich. Ein drittes Teilkapitel befasst sich mit der medien- und kommunikationspolitischen Diskussion der UNESCO, in der bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren die Möglichkeiten grenzüberschreitender Medienkommunikation diskutiert wurden. Im vierten Teilkapitel geht es dann darum zu fragen, inwieweit eine Global Governance der Medien eine angemessene Regulation transkultureller Kommunikation sein kann. Bei all diesen Analysen rückt ein ganz bestimmter Blickwinkel auf transkulturelle Kommunikation in den Vordergrund: Wir können die Regulation transkultureller Kommunikationsmöglichkeiten selbst als etwas begreifen, das auf bestimmten kommunikativen Figurationen des politischen Verhandelns und Aushandelns beruht – wobei sich diese Figurationen über die letzten Jahrzehnte nachhaltig verändert haben.


Globale Kommerzialisierung und kommunikative Infrastrukturen

Man kann davon sprechen, dass sich der Globalisierungsprozess u. a. in einer globalen Kommerzialisierung manifestiert, die die Medien einschließt. Dass diese globale Kommerzialisierung der Medien ihre eigene Dynamik hat, haben in den letzten Jahren eine Reihe von Fusionen und die Expansion verschiedener Unternehmen hin zu global agierenden Medienkonzernen gezeigt. Dabei sind mit der Digitalisierung erhebliche Umbrüche auszumachen (siehe dazu Kap. 4). So war der SONY-Konzern,[49] der sich von einem japanischen Elektronikhersteller durch Übernahmen zu einem weltweiten Multimedia-Unternehmen entwickelte, vor wenigen Jahren noch einer der zentralen Akteure, ist dann aber mit dem Durchsetzen einer digitalen Musik- und Filmdistribution bzw. von digitalen mobilen Endgeräten in die Krise geraten. Für ähnliche Umbrüche steht auch CNN, das sich zum globalen Nachrichtenanbieter entwickelte und mit der Fusion von TIME WARNER und später AOL in dem Content-Anbieter AOL TIME WARNER aufging, wobei sich TIME WARNER zuerst wieder vom Namen AOL und 2009 dann von AOL selbst trennte, nachdem die mit dieser Fusion erhofften Synergien nicht aufgingen. Dem entspricht, dass momentan andere Unternehmen als die dominanten Akteure im Bereich des Internets und seiner Inhalte zählen, beispielsweise APPLE oder GOOGLE. Beide nutzen ihre Stellung als Computer-, Software- und Dienstleitungsanbieter, um sich bei Medieninhalten, zumindest, was deren digitale Distribution betrifft, zu positionieren.

Wir können also nicht davon ausgehen, dass ein einzelnes global agierendes Unternehmen unangefochten und dauerhaft eine bestimmte Positionierung innehat. Gleichzeitig verweisen die genannten Beispiele auf eine globale Kommerzialisierung der Medien, die durch eine gewisse Dynamik hin zur Oligopolbildung gekennzeichnet ist. Kevin Robins (1997: 22) hat hier von einer aufkommenden »globalen Informations-Ökonomie« gesprochen. Hiermit fasst er zwei von Martin Carnoy, Stephen Cohen, Manuel Castells und Fernando Henrique Cardoso herausgearbeitete Prozesse, nämlich zum einen das Entstehen der globalen Echtzeit-Ökonomie und zum anderen die Entwicklung weg von einer primär auf industrielle Produkte orientierten Ökonomie hin zu einer Ökonomie der Information, Medien und kulturellen Bedeutungen (vgl. Carnoy et al. 1993; Castells 1994).

Es ist diese Entwicklung, die im Weiteren als globale Medienkommerzialisierung bezeichnet werden soll. In Abgrenzung zum Begriff der globalen Informationsökonomie soll dieser Ausdruck verdeutlichen, dass wir trotz aller Globalisierung nicht mit einer weltweit homogenen Ökonomie konfrontiert sind. Die Sachlage ist wesentlich komplexer: Einerseits können wir ausmachen, dass global in dem Sinne eine Kommerzialisierung der Medien stattgefunden hat, dass diese in verschiedensten Kontexten (auch) als ökonomische Ware gelten. Entsprechend lässt sich von einem Prozess der Kommerzialisierung sprechen, der sich langfristig global durchzusetzen scheint. Damit verbunden ist aber anderseits nicht die Etablierung eines einheitlichen globalen Kapitalismus, wenn man darunter ein homogenes System versteht, das auf der Basis (neo)liberaler Werte der »Selbstregulation der Märkte« basiert und sich überall auf identische Weise durchsetzen würde. Die Gegenbeispiele sind vielfältig; exemplarisch kann die Kommerzialisierung der Medien in Ländern wie China oder Russland genannt werden. Bemerkenswert ist jedoch, dass es auch in diesen Ländern um eine Kommerzialisierung der Medien in dem Sinne geht, dass deren Charakter als Kulturwaren in den Vordergrund rückt.