Transkulturelle Kommunikation

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Auch hat der Prism-Skandal – d. h. die Aufdeckung der breiten Überwachung der Internetkommunikation durch die US-amerikanische National Security Agency (NSA) in Kooperation mit verschiedenen anderen Ländern, allen voran Großbritannien – deutlich gemacht, dass die Kommerzialisierung der Internet-Infrastruktur ebenfalls nicht bedeutet, der Staat hätte keinen Zugriff mehr auf entsprechende Daten. Im Gegenteil: Gerade die Kommerzialisierung des Internets ermöglichte es dem amerikanischen Geheimdienst, länderübergreifend auf Daten von Menschen unterschiedlichster kultureller Herkunft zuzugreifen. Die Datenzentren von Unternehmen wie FACEBOOK oder GOOGLE gestatten es der amerikanischen Regierung, selbst an sensible Daten von Privatpersonen zu gelangen. Hier zeichnen sich gänzlich neue Möglichkeiten einer transkulturellen Überwachung von Kommunikation ab.

Die in diesem Teilkapitel entwickelten Überlegungen können wie folgt zusammengefasst werden: Grundlegend lässt sich argumentieren, dass die fortschreitende globale Kommerzialisierung der Medien kein von selbst stattfindender Vorgang ist. Er wurde von verschiedenen staatlichen Akteuren und deren Politiken vorangetrieben – insbesondere den USA, die auf einen »free trade of communication« zielten. Wichtige Instrumente, um dies durchzusetzen, waren die WTO und ihre Vertragswerke. Aber bereits in der kommunikativen Figuration ihrer Verhandlung zeichnen sich gegenläufige Interessen ab, wonach Medien auch als kulturelle Produkte anzusehen und entsprechend zu schützen sind. Allerdings zeigt eine Betrachtung der Fallbeispiele von China und Russland, dass selbst in diesen (ehemals) sozialistischen Ländern eine fortschreitende Kommerzialisierung der Medien an der Tagesordnung ist. Diese verläuft dort gleichwohl nach anderen Mustern als beispielsweise in Westeuropa oder den USA. Dennoch lässt sich insgesamt festhalten: Der Aufbau einer breiten Infrastruktur transkultureller Kommunikationsmöglichkeiten geht einher mit einem widersprüchlichen Prozess der Kommerzialisierung.


Staatliche Regulation

Wie wir im letzten Abschnitt gesehen haben, bleibt der Staat auch bei der globalen Kommerzialisierung der Medien ein wichtiger Akteur. Doch wie lässt sich dieser im Hinblick auf grundlegende Prinzipien der Regulation im globalen Vergleich erfassen? Wirft man diese Frage auf, tritt man in das Zentrum einer Diskussion, die in den letzten Jahren bezogen auf die Möglichkeiten einer vergleichenden Betrachtung von Mediensystemen geführt worden ist (siehe überblickend Hardy 2008 und Davis [62]2010: 1–17). Wichtiger Referenzpunkt dieser Diskussion ist eine umfassende, von Daniel Hallin und Paolo Mancini vorgelegte synoptische Studie mit dem Titel »Comparing Media Systems. Three Models of Media and Politics«. Beide Autoren sind Experten im Bereich der politischen Kommunikation. Sie stellen ihre Argumentation kritisch in »das Erbe der ›Four Theories of the Press‹« (Hallin/Mancini 2004: 7), einem von Fred Siebert, Theodore Peterson und Wilbur Schramm (1956) verfassten Klassiker der vergleichenden Betrachtung von Mediensystemen (zu dessen kritischer Diskussion siehe Nordenstreng 1997 und Nerone 2004). Allerdings grenzen sich Hallin und Mancini insbesondere von dem normativen Charakter der »Four Theories of the Press« ab, die das (amerikanische) liberale Modell zur Bewertungsrichtlinie anderer Mediensysteme erhoben hatten.

Ausgehend von dieser Kritik setzen sich Hallin und Mancini auf Basis bisheriger, zum Teil eigener Studien mit den Mediensystemen von 18 Ländern des »Westens« und deren Bezug zum jeweiligen politischen System auseinander. Die Idealtypologie, die sie konstruieren, geht von drei Modellen von Mediensystemen aus: erstens dem »polarisiert-pluralistischen Modell« (»polarized pluralist model«), zweitens dem »demokratisch-körperschaftlichen Modell« (»democratic corporatist model«) und drittens dem »liberalen Modell« (»liberal model«). Bei allen drei Typen wird eine enge Beziehung von politischem System und Mediensystem unterstellt.

Der Begriff des Systems ist dabei deskriptiv angelegt und fasst letztlich die Gesamtheit der auf öffentliche Belange bezogenen Strukturen und Institutionen in einem Staat. Hallin und Mancini begreifen diese drei »Modelle« als Idealtypen, die sie anhand der Analyse der Staaten Westeuropas und Nordamerikas entwickelt haben. Ein solcher Rückbezug zu ihrem empirischen Feld wird darin deutlich, wie sie die Mediensysteme verschiedener Staaten diesen einzelnen Typen zuordnen.

Im Kern entspricht das polarisiert-pluralistische Modell Staaten des südlichen Europas (Frankreich, Griechenland, Italien, Portugal, Spanien). In diesen haben sich eine kleine, auf Eliten orientierte Presse und eine Zentralisierung der elektronischen Medien entwickelt. Die Regierungen haben traditionell starken Einfluss auf die Medien und versuchen, sie bis in die Gegenwart zu instrumentalisieren. Dies geht so weit, dass der Staat teilweise die Rolle des Besitzes von Medienorganisationen innehat. Gleichzeitig sind staatliche Medienregulationen mitunter sehr ineffektiv. Prozesse der sich auch in diesen Ländern abzeichnenden »Deregulation« laufen entsprechend hin und wieder unkontrolliert ab. Hallin und Mancini machen hier einen »politischen Parallelismus« aus, womit sie umfassende Beziehungen zwischen Medieninstitutionen einerseits und politischen Parteien bzw. organisierten sozialen Gruppen andererseits bezeichnen.

Dem demokratisch-körperschaftlichen Modell lassen sich insbesondere die Länder Mittel- und Nordeuropas zuordnen (Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweden, Schweiz). Hier wurde früh Pressefreiheit erkämpft, und Zeitungen haben bis heute eine vergleichsweise breite Leserschaft. [63]Im Bereich des Rundfunks dominiert ein Nebeneinander von öffentlichen und privaten Rundfunkanstalten, wobei historisch der Rundfunk staatlich oder öffentlich gewesen ist. In die öffentlichen Rundfunkorganisationen sind die zentralen politischen Interessensvertretungen der jeweiligen Staaten einbezogen. Trotz staatlicher Regulationen besteht ein klares Bekenntnis zur Pressefreiheit und ein hoher Professionalisierungsgrad.

Das liberale Modell schließlich ist in der nord-/transatlantischen Region zu finden (Großbritannien, Irland, Kanada, USA). Es ist gekennzeichnet durch eine frühe Massenpresse mit kommerzieller Orientierung, wobei diese das Mediensystem generell ausmacht: Grenzen der Pressefreiheit bestehen eher in wirtschaftlichen Zwängen denn in staatlichen Eingriffen. Sowohl öffentlicher Rundfunk als auch staatliche Medienregulation sind durch das Prinzip der (kommerziell orientierten) Professionalität geleitet, weniger der politisch-inhaltlichen Einflussnahme.

Geht man davon aus, dass die Fähigkeit zur Regulation immer auch auf das Vorhandensein von Macht hindeutet, so lassen sich die drei Modelle als Systematisierung von verschiedenen Formen politischer Macht der Regulation verstehen (vgl. Hallin/Mancini 2004: 83–85). Um dies anschaulich zu machen, greifen die beiden Autoren die Unterscheidung von instrumenteller und struktureller Macht auf. Als instrumentell werden solche Formen der Machtausübung bezeichnet, die auf die direkte Einflussnahme einzelner benennbarer Akteure bzw. Akteursgruppen zurückgeführt werden können (bspw. einer Partei oder einer Person). Strukturell sind solche Formen der Machtausübung, die über bestimmte, akteursübergreifende »Logiken« (Klassengegensätze, Besitzverhältnisse, Gender-Diskurse etc.) erfolgen. Diese Unterscheidung lässt sich auf die verschiedenen Typen von Mediensystemen und die in ihnen erfolgende Regulation beziehen: Während im polarisiert-pluralistischen Modell Formen instrumenteller Machtausübung dominieren (direkte Einflussnahmen einzelner Personen oder Parteien), ist die Machtausübung in dem demokratisch-körperschaftlichen und liberalen Modell eher struktureller Natur. Auch wenn im liberalen Modell die Presse »freier« erscheint als im polarisiert-pluralistischen, ist sie durch kommerzielle Strukturen in Machtzusammenhänge eingebunden, welche den Journalistinnen und Journalisten in ihrer Berufspraxis deutliche Grenzen setzen. Und im demokratisch-körperschaftlichen Modell sind Machtverhältnisse in erheblichem Maße durch Kontrollstrukturen einzelner Eliten vermittelt.

Zwar haben Hallin und Mancini diese drei »Modelle« für die betrachteten Länder entwickelt. Jedoch legen sie selbst nahe, damit ein generelles Beschreibungsinstrument entwickelt zu haben. So sprechen sie auf der einen Seite davon, dass mit der fortschreitenden Kommerzialisierung und Professionalisierung in den betrachteten Ländern eine zunehmende »Konvergenz« (Hallin/Mancini 2004: 295) in Richtung des »liberalen Modells« auszumachen sei. Auf der anderen Seite argumentieren sie, dass es jenseits dieser Länder »vielleicht das polarisiert-pluralistische Modell ist […], das am weitesten anwendbar ist« (Hallin/Mancini 2004: 306). Sie zählen hierbei nicht nur Osteuropa und die frühere UdSSR auf, sondern auch Lateinamerika, den Nahen Osten, die Mittelmeerregion und Asien, deren Mediensysteme alle dem pluralistischen Modell entsprächen. Liegt also mit diesen drei Modellen eine Grundlage dafür vor, auf globaler Ebene Staaten als regulative Akteure in Prozessen transkultureller Kommunikation zu fassen?

[64]Abbildung 6: Westliche Mediensysteme im Schema von Hallin und Mancini


Quelle: Hallin/Mancini 2004: 70, erweitert nach Dobek-Ostrowska 2012: 50

Spitzt man die Frage in dieser Form zu, ist trotz der großen Leistung, die die Systematisierung von Hallin und Mancini bedeutet, einige Vorsicht geboten. Eine solche Vorsicht ist doppelt begründet, einerseits in der Form der vorgelegten Theoriebildung, andererseits im Hinblick auf empirische Evidenzen.

 

Bezogen auf die Form der Theoriebildung ist zu sagen, dass die Art und Weise der Bildung der Idealtypen als zu vereinheitlichend erscheint (Couldry 2012: 157–158). So werden beispielsweise dem »demokratisch-körperschaftlichen Modell« sehr unterschiedliche Mediensysteme zugesprochen. Aber auch die politische Regulation in den USA, Kanada, Irland und Großbritannien – die alle dem »liberalen Modell« entsprechen sollen – ist sehr different. Ebenso erscheint die These einer Konvergenz hin zum »liberalen Modell« viel zu allgemein (siehe Hardy 2008: 19; Nord 2008: 108 f.). Hinzu kommt, dass Hallin und Mancini in ihren Darlegungen nur bestimmte Ausschnitte[65] von Medienkommunikation berücksichtigen (Hardy 2008: 20). So setzen sie sich primär mit produzierter politischer Medienkommunikation auseinander und berücksichtigen andere Bereiche von Medienkommunikation nicht. Es muss also zumindest als offen gelten, ob die für die Beschreibung des Mediensystems herangezogenen Kategorien – Entwicklung des Medienmarktes, politischer Parallelismus, Professionalisierung und Rolle des Staates – für alle Bereiche von Medienkommunikation und deren Regulierung zentral sind. Insbesondere kann argumentiert werden, dass ihr In-Eins-Setzen von Staat, Mediensystem und Medienkultur, wie es als unhinterfragtes Paradigma im Rahmen der transkulturellen Kommunikationsforschung kritisiert wird (siehe Kap. 2.3), letztlich darin begründet ist, dass sie primär politische Kommunikation betrachten.

Eine Skepsis gegenüber dieser Systematisierung wird weiter gesteigert, wenn wir den Blickwinkel über die von den beiden Autoren betrachteten 18 westlichen Staaten hinaus ausweiten. Es geht dann um die empirischen Evidenzen einer möglichen Übertragbarkeit der drei Modelle auf andere Weltregionen. Diesbezüglich ist die Diskussion von Interesse, die der Entwurf von Hallin und Mancini selbst ausgelöst hat. Hierunter finden sich zum einen Arbeiten, die darauf abzielen, die Lücke ihrer Betrachtung bezogen auf die »westliche Welt« zu schließen, nämlich über Osteuropa. Das dabei bereits bei Hallin und Mancini anklingende Argument ist, dass die Mediensysteme in osteuropäischen Ländern viel mit dem »polarisiert-pluralistischen Modell« teilen, gleichzeitig aber auch Abweichungen auszumachen sind (Jakubowicz 2008: 47; Wyka 2008: 66). Letztere bestehen in der zum Teil weit fortgeschrittenen Kommerzialisierung, durch die die Mediensysteme der osteuropäischen Länder näher an das »liberale Modell« rücken. Vor dem Hintergrund solcher Analysen geht Boguslawa Dobek-Ostrowska (2012) so weit zu argumentieren, dass sich das polnische Mediensystem als Hybrid des »polarisiert-pluralistischen Modells« und »liberalen Modells« mit einigen Momenten des »demokratisch-körperschaftlichen Modells« in die Systematisierung von Hallin und Mancini einfügen lässt: Das dortige System sei gekennzeichnet durch eine geringe Zirkulation der Tagespresse und eine zentrale Position der elektronischen Medien. Die Medien fokussierten stark das politische Leben, und ein externer Pluralismus wie auch die Tradition des kommentierenden Journalismus seien wichtig. Gleichzeitig fällt die Instrumentalisierung des öffentlichen Rundfunks durch die Regierung und Parteien auf, die journalistische Professionalität ist eher gering, und die Beziehung zwischen Medien und politischen Eliten ist durch Konflikte über die Autonomie des Journalismus gekennzeichnet. In einem solchen Blickwinkel fällt das polnische Mediensystem in den leeren Bereich zwischen dem »polarisiert-pluralistischen« und »liberalen Modell« innerhalb des Beschreibungsdreiecks von Hallin und Mancini (siehe Abbildung 6, S. 64).

Unabhängig davon, dass mit einer solchen Erweiterungsargumentation die oben beschriebenen konzeptionellen Probleme der Modelle nicht aus der Welt geräumt sind, lässt sie sich nicht einfach auf andere osteuropäische Länder übertragen. Differenziert[66] hat dies Natalia Roudakova (2012) für den Fall Russlands gezeigt. Gerade vor dem Hintergrund des auch im letzten Abschnitt angesprochenen historischen Wandels von Medienregulation in Russland weist Roudakova darauf hin, dass es ihr sinnvoller erscheint, die Prozesse der Regulation statt der (mehr oder weniger als statisch gedachten) Mediensysteme miteinander zu vergleichen. Hierbei sollten zumindest zwei Prozesse berücksichtigt werden, nämlich erstens der des »Aufrechterhaltens von Ordnung« (Roudakova 2012: 249) und zweitens der der »situativen Anpassung« (Moore 1978: 50; Roudakova 2012: 249). Wichtig bei einer solchen Prozessbetrachtung ist es, Medienorganisationen nicht einfach als Einheiten zu sehen, die dem Staat gegenübergestellt sind, d. h., die dieser zu regulieren habe. Sie sind als Akteure ebenfalls in das Hervorbringen von Staatlichkeit eingebunden. Bezogen auf Russland nennt Roudakova hier das Beispiel der bereits erwähnten »Medienkriege«, also der Auseinandersetzungen von verschiedenen Machtgruppierungen und ihrer Medienkonglomerate im Russland der Nach-Jelzin-Zeit. Dies macht deutlich, inwieweit einzelne Medienkonglomerate selbst Teil des Prozesses der Herstellung staatlicher Macht sind bzw. inwieweit umgekehrt »das Wiedererlangen von staatlicher Kontrolle über die Medienressourcen der Oligarchen« (Roudakova 2012: 261) geschehen ist. Roudakova verallgemeinert dies dahingehend, dass Medienunternehmen insbesondere in »seit kurzem postkolonialen, postsozialistischen, postdiktatorischen und postkriegerischen Kontexten« (Roudakova 2012: 271) umfassend in den Prozess der Herstellung von Staatlichkeit eingebunden sind. Eine einfache Dichotomie – hier (regulierende) staatliche Akteure und dort die Akteure der Medien – funktioniert also nicht.

In solche Überlegungen zur Prozesshaftigkeit von Staatlichkeit und Regulation fügen sich weitere Arbeiten, die die Systematik von Hallin und Mancini aus der Sicht postkolonialer Staaten kritisch diskutieren. Afonso de Albuquerque (2012) hat als Lateinamerika-Experte mit Bezug auf Brasilien darauf aufmerksam gemacht, dass Hallin und Mancinis breiter Gebrauch des »polarisiert-pluralistischen Modells« zur Beschreibung der Mediensysteme verschiedenster südlicher Länder unscharf bleibt. Gerade bei postkolonialen Ländern sollte man zusätzlich Prozesse der Adaption von Mediensystemen im Blick haben. So sind nämlich die Modelle von Hallin und Mancini nicht nur als Instrumente der Beschreibung von empirischen Mediensystemen anzusehen (»model from«, Albuquerque 2012: 72), sondern sie haben im Prozess der Transformation von Mediensystemen auch einen normativ-orientierenden Charakter (als »model to«, Albuquerque 2012: 72; siehe auch Zhao 2012: 146). Es gibt demnach so etwas wie »zentrale Mediensysteme« (Albuquerque 2012: 87), die als Orientierungsmodelle »peripherer Mediensysteme« (Albuquerque 2012: 87) gedient haben und dienen. Eine solche Orientierung kann allerdings nicht mit der Beziehung von (ehemaligen) Kolonialstaaten und (ehemaligen) Kolonien gleichgesetzt werden, da es auch in diesen Gruppen untereinander Orientierungsbeziehungen gibt. Rückt man solche Orientierungen in Prozessen der Regulation in den Blick, wird es wichtig, [67]Abweichungen zwischen »zentralen« und »peripheren« Mediensystemen nicht einfach als Misadaption anzusehen. Vielmehr geht es hierbei auch um Entwicklungen von eigenständigen »politischen Kulturen« (Albuquerque 2012: 89).

Wir haben es in dem Prozess der Regulation also auch mit Transkulturation zu tun, die als (ggf. wechselseitige) Orientierung greifbar wird. Eine Beziehung zwischen Staat und Medienunternehmen kann dabei in Ländern wie Brasilien kaum als europäischer »politischer Parallelismus« beschrieben werden. Spezifisch für Brasilien sieht Albuquerque an, dass dort »starke, politisch aktive Medien bestehen« (Albuquerque 2012: 93), die »Parteigrenzen« aber nicht wie beim polarisierten Modell »klar«, sondern »unscharf« sind – der Übergang zwischen Parteien und Medienunternehmen also fließend ist. Dies hängt damit zusammen, dass den Medienunternehmen selbst im politischen Prozess eine »moderierende Rolle« zukommt, die Albuquerque im Zusammenhang mit dem Präsidialsystem Brasiliens und der damit einhergehenden schwachen Stellung von politischen Parteien überhaupt sieht.

In ähnlicher Hinsicht, aber mit anderen Argumenten problematisiert Duncan McCargo (2012) eine Übertragung des »politischen Parallelismus« auf asiatische Länder. Auch er weist auf kulturelle Differenzen hin. Zuerst einmal verdeutlicht er, dass sich europäische Konzepte von Medienbesitz nicht so einfach auf Medien beispielsweise in Thailand übertragen lassen, wo informelle Anteile am Besitz von Medienunternehmen bestehen, Eigentumsverhältnisse an bestimmten Zeitungskolumnen und ein »Vorrang der Vetternwirtschaft vor Professionalisierung« (McCargo 2012: 211) auszumachen ist. Das investigative »Sammeln« politischer Nachrichten ist deshalb nicht ein Teil einer professionellen Arbeitskultur, sondern es dominieren »traditionale« Aktivitäten des »Austauschs« von Informationen. Dabei argumentiert McCargo, dass das »thailändische Modell« vielleicht eher auf aktuelle Prozesse der Nachrichtenproduktion in der (auch westlichen) Blogosphäre verweist als auf die normativen Implikationen von Professionalisierung, die Hallin und Mancini bei ihrem »liberalen Modell« im Blick haben (McCargo 2012: 215–217).

Andere kulturelle Besonderheiten sieht Adrian Hadland für Afrika. Er argumentiert, dass sich für die Staaten in Subsahara-Afrika spezifische Zusammenhänge der Beziehungen zwischen Medien und Staat herausgebildet haben. So lassen sich im Sinne von Mahmood Mamdani (1996) zumindest Ansätze eines »postkolonialen afrikanischen Modells« (Hadland 2012: 115) ausmachen. Hierzu zählt er historisch den »doppelten Charakter« (»bifurcated nature«, Hadland 2012: 114) afrikanischer Staatlichkeit. Dieser besteht darin, dass der Staat auf der einen Seite in städtischen Gebieten über Bürgerrechte Macht ausübt. Auf der anderen Seite geschieht die Machtausübung in ländlichen Gebieten mittels Gewohnheitsrechten. Entsprechend groß ist die Kluft zwischen urbanen und ländlichen Gebieten, was ganz eigene »Modelle« von Mediensystemen zur Folge hat. Zur Beschreibung dieser Mediensysteme sich wandelnder postkolonialer Staaten Afrikas bieten die Modelle von Hallin und Mancini keinen hinreichenden Anhaltspunkt, indem sie beispielsweise Fragen von Religion, [68]Sprachenvielfalt, Ethnizität, Pluri-Nationalismus oder hohen migrantischen Bevölkerungsanteilen nicht berücksichtigen (siehe Hadland 2012: 116).

Noch vielschichtiger werden die Argumente, wenn man die Vorstellung des nationalen Territorialstaats als alleinigem regulativen Akteur bei Hallin und Mancini hinterfragt. In eine solche Richtung argumentiert Marwan Kraidy. Bezogen auf den panarabischen Kommunikationsraum macht er das Entstehen eines »transnationalen Mediensystems« (Kraidy 2012a: 177) aus. Hintergrund ist, dass sich die panarabische Satellitenkommunikation und deren Regulation nicht aus Sicht eines einzelnen Staates fassen lässt, sondern nur, wenn man das komplementäre Verhältnis von Saudi-Arabien und dem Libanon im Blick hat: Libanesische Medien, die im Libanon kein hinreichendes Publikum hätten, »stellen eine Plattform für ›reformistische‹ Prinzen und ›liberale‹ Aktivisten zur Verfügung, um saudische Publika zu erreichen« (Kraidy 2012a: 198). Regulation wird damit zu einer transnationalen Angelegenheit. Dabei kann die Kommerzialisierung der arabischen Medienindustrie (und dort bestehende Momente der Regulation) nicht mittels des »liberalen Modells« von Hallin und Mancini gefasst werden, da im arabischen Raum »eine zunehmende Kommerzialisierung Hand in Hand geht mit autokratischen politischen Praktiken« (Kraidy/Khalil 2009: 2).

Auch für Europa lässt sich argumentieren, dass die EU ein wichtiger Akteur der Medienregulation ist, von dem man die Mediensysteme der EU-Staaten nicht losgelöst betrachten kann (Sarikakis 2007). So sind die nationalen Regulationen im Bereich von Medien und Kommunikation in den verschiedenen europäischen Staaten im Kontext der EU-Leitlinien beispielsweise zum Umbau nationaler Telekommunikationsmonopole hin zu (auch für andere Akteure als den ehemals nationalstaatlichen Telekommunikationsunternehmen zugänglichen) Telekommunikationsmärkten zu sehen. Ähnlich wurden Vorstellungen eines europäischen Rundfunkmarktes – der sich als solcher global besser als nationale Märkte positionieren kann – in Richtlinien wie der des »Television without Frontiers« (Rat der Europäischen Union 1989) formuliert und dann jeweils national umgesetzt. Hinzu kommt, dass die regulative Instanz der EU nicht nur für die EU-Staaten selbst zu berücksichtigen ist. Wie wir bereits gesehen haben, ist die EU auch nach außen ein zentraler Akteur. Beispielsweise wäre die (von den europäischen Nationalstaaten weitgehend geteilte) Vorstellung, dass Medienprodukte neben Wirtschafts- auch Kulturgüter sind und entsprechend eines besonderen Schutzes bedürfen, in den GATT- bzw. GATS-Verhandlungen ohne die EU so nicht durchsetzbar gewesen (Sarikakis 2008: 97). Und die ACTA-Verhandlungen 2008–2012 wurden für die EU-Staaten ebenfalls von der EU-Kommission geführt und das Abkommen dann 2012 vom europäischen Parlament abgelehnt.

 

Was lässt sich nun insgesamt aus solchen Studien folgern? Zuerst einmal sollte offensichtlich geworden sein, dass wir mit der Beschreibung von staatlicher Regulation entlang einer feststehenden Systematik von Mediensystemen vorsichtig sein müssen. So ist die von Hallin und Mancini vorlegte Typologie allenfalls zur Beschreibung der Systeme derjenigen westlichen Staaten hinreichend, auf deren Basis sie entwickelt[69] wurde. Aber auch für diese Staaten erscheint die Modellierung doch sehr statisch: Sie ist wenig prozessorientiert und berücksichtigt kaum, dass gerade in Europa mit der EU ein supranationaler Akteur besteht, ohne dessen Einbezug staatliche Regulation nicht angemessen gefasst werden kann. Argumentiert man hier in transkultureller Perspektive weiter und hat auch die verschiedenen postkolonialen und postsozialistischen Staaten im Blick, fällt zusätzlich die globale Vielfalt von Staatlichkeit auf, die diese Typologie nicht ansatzweise berücksichtigt. Will man die unterschiedlichen Prozesse von Regulation durch Staaten bzw. die Einflussnahmen von medienbezogenen Akteuren auf den Staat in transkultureller Perspektive fassen, ist es kaum angemessen, solche Analysen von vornherein durch das Korsett einzelner »Modelle« einzuschränken. Vielmehr gilt es, je kontextuell spezifisch diese Prozesse in ihrem Wandel zu beschreiben und hierfür je angemessene Beschreibungskategorien zu entwickeln. Dabei können die Begrifflichkeiten von Hallin und Mancini Anregungen sein. Als feststehendes Schema sind sie aber, wie wir gesehen haben, nicht hinreichend.

Bei einer transkulturellen Betrachtung staatlicher Regulation ist es demnach wichtig, im Blick zu haben, dass das, was als Staatlichkeit gilt, selbst in komplexen kommunikativen Figurationen konstruiert wird. Der Staat ist also nicht etwas, das als regulativer Akteur einfach gegeben ist. Vielmehr wird dieser Akteur selbst in komplexen kommunikativen Figurationen geschaffen. Medien sind dabei immer auch Instanzen der Vermittlung, was Staat ist und was nicht (bis hin zu deren Einbezug in staatliche bzw. staatstragende Institutionen). Hierbei sind Fragen von Kultur in zumindest doppelter Hinsicht von Relevanz. Einerseits bestehen kulturelle Differenzen bei den Mustern solcher kommunikativen Figurationen der Produktion regulierender Staatlichkeit. Dies wurde in den bisherigen Betrachtungen greifbar, wenn beispielsweise auf die »brasilianische politische Kultur« (Albuquerque 2012: 89), den »einzigartigen Charakter der russischen Gesellschaft und Kultur« (Vartanova 2012: 140) oder die »Wichtigkeit der kulturellen Tradition« (Zhao 2012: 151) in China verwiesen wurde. In einem solchen Sinne hat auch Staatlichkeit eine kulturelle Dimension. Andererseits zeichnen sich bezogen auf Regulation vielfältige Prozesse der Transkulturation ab. Beispiele, die genannt wurden, sind Hybridisierungen von Formen der Medienregulation der Kolonialmächte mit traditionellen Formen von Regulation in ehemaligen Kolonien oder transkulturelle Orientierungen an Modellen von Regulation. Transkulturationen kennzeichnen die Regulation in einzelnen Ländern aber auch dann, wenn beispielsweise ein sich über verschiedene Kulturen verbreitender Diskurs des Neoliberalismus (zustimmend, kritisch oder auch ablehnend) im eigenen Regulationsdiskurs aufgegriffen wird.

Entsprechend kann es hilfreich sein, auf globaler Ebene ein Argument aufzugreifen, das Andrew Chadwick (2013) kürzlich formuliert hat, nämlich dass alle Mediensysteme als »hybrid« zu verstehen sind. Chadwick hatte insbesondere Technologien und Infrastrukturen im Blick, als er mit Bezug auf das britische und amerikanische Mediensystem schrieb: »hybride Mediensysteme basieren auf Konflikt und Konkurrenz[70] zwischen alten und neuen Medienlogiken und sind durch bemerkenswerte Interdependenzen zwischen diesen Logiken gekennzeichnet« (Chadwick 2013: 207). Diese Überlegung im Blick habend können wir hinzufügen: Die Transkulturation von Regulation führt einen weiteren Moment der Hybridität hinzu, nämlich die kulturelle Hybridität. In diesem Sinne ist ein »hybrides Mediensystem« auch ein transkulturelles.


Vom freien Kommunikationsfluss zur Regulation der Globalisierung

Jenseits von einzelnen Staaten ist über Jahrzehnte vor allem ein supranationaler Akteur von Relevanz gewesen für die Diskussion um eine Regulation transkultureller Kommunikationsprozesse, nämlich die UN bzw. eine ihrer Sonderorganisationen, die UNESCO (»United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation«). Letztere ist – wie es Hans Kleinsteuber als langjähriger Forscher zu Fragen der Medienpolitik formuliert – in den 1970er- und 1980er-Jahren »zum Ort spektakulärer Auseinandersetzungen um die Prinzipien globaler Medienpolitik« (Kleinsteuber 2005: 96) geworden. Entsprechend war die UNESCO ein »heißes Thema in der internationalen Kommunikation wie auch der internationalen Politik« (Leye 2009: 939), so Veva Leye, eine andere Expertin in diesem Feld. Wie wir noch sehen werden, haben sich die Auseinandersetzungen seit dieser Zeit verändert und sind in ihrer Außenwirkung nicht mehr so spektakulär, wie sie es in dem angesprochenen Zeitraum waren. Weniger wichtig sind sie damit aber nicht. Der Kernpunkt, um den es mir in diesem Teilkapitel geht, ist, dass sich anhand der UNESCO eine Veränderung der kommunikativen Figuration der Regulation transkultureller Kommunikation festmachen lässt, die bereits in den letzten Teilkapiteln angesprochen wurde. Im Kern handelt es sich dabei um die Verschiebung von einer rein auf wenige staatliche Akteure bezogenen kommunikativen Figuration der Verhandlung von Regulation hin zu einer eine breitere Anzahl unterschiedlicher Akteure einbeziehenden kommunikativen Figuration. Dies lässt sich an den drei Phasen der medienpolitischen Regulationsdiskussion in der UNESCO festmachen: von der Phase des freien Kommunikationsflusses über die Suche nach einer Weltinformations- und Kommunikationsordnung hin zur Regulation der kulturellen Vielfalt. Wir können an der UNSECO als transnationaler Organisation damit eine veränderte globale Umgangsweise mit transkultureller Kommunikation insgesamt beschreiben.

Die ersten Jahrzehnte einer Medien- und Kommunikationspolitik der UNESCO kann man als Phase des »freien Kommunikationsflusses« (1945–1978) charakterisieren. Diese Phase ist dabei in enger Beziehung zu sehen zu den GATT-Vereinbarungen und dem Aufbau eines entsprechenden Welthandels. Rückblickend erscheinen dabei die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs wie auch die mit ihm verbundenen Propagandakriege[71] als wichtige Faktoren (Hamelink 2012: 29). So wurde die Sicherung des »free flow of communication« in der UNESCO-Charta von 1945 als eine ihrer Aufgaben festgeschrieben. Getragen war dies von der Vorstellung, damit einer Behinderung des Zugangs zu Informationen entgegenzutreten, wie er mit der Propaganda während des Zweiten Weltkriegs verbunden war (vgl. UNESCO-Charta, Art. I, 2a).

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