Ordnungsbehördengesetz Nordrhein-Westfalen – Kommentar

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III. Weitergabe von Eingaben und Anzeigen etc.

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Von der Kompetenz in der Sache ist die interne Verpflichtung zur Weitergabe von Eingaben, Anzeigen etc. von Bürgern an die zuständige Behörde zu unterscheiden. Hier wird man eine interne Verpflichtung der unzuständig angesprochenen Behörde annehmen müssen, den Vorgang möglichst rasch an die zuständige Behörde abzugeben, insbesondere aus dem Gesichtspunkt der organisatorischen Einheit des Staates, einschließlich der Gemeinden. Eine gleichartige Verpflichtung stellt sich im Verhältnis der allgemeinen Ordnungsbehörden zu den Sonderordnungsbehörden (§ 12). Alle beteiligten Behörden haben sich gegenseitig zu unterrichten.

IV. Pflicht der Polizei zur Vollzugshilfe

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Die Polizei ist den Ordnungsbehörden zur Vollzugshilfe verpflichtet. Diese gesetzliche Verpflichtung ergibt sich auch aus §§ 47 ff. PolG. Unter dem Begriff der Vollzugshilfe ist die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch die Polizei zu verstehen, auf Ersuchen der Ordnungsbehörde und zur Durchsetzung der von dieser verfügten Maßnahme[299].

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Der Sinn dieser Regelung ist eindeutig: Schusswaffentragend soll grundsätzlich nur die Polizei sein. Die Durchführung der den Ordnungsbehörden obliegenden Aufgaben mit eigenen Dienstkräften (§ 13 Satz 1) soll vom Grundsatz her auf die Schreibtischarbeit beschränkt sein – wozu auch die Verwaltungsvollstreckung gehört, nicht zwangsläufig aber auch die Durchsetzung unmittelbaren Zwangs. Die Ordnungsbehörden sollen nicht die Aufgaben wahrnehmen, welche zum Zuständigkeitsbereich der schusswaffentragenden Polizei gehören – insoweit muss die Polizei vielmehr Vollzugshilfe leisten. Die Polizei hat aufgrund des Ersuchens der Ordnungsbehörde tätig zu werden, sie hat kein Ermessen, in eigener Zuständigkeit originär darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie Maßnahmen der Gefahrenabwehr durchführen will[300]. Hinsichtlich des Verfahrens bestimmt der Polizeigesetzgeber in § 48 PolG, dass Vollzugshilfeersuchen schriftlich zu stellen sind und Grund und Rechtsgrundlage der Maßnahme anzugeben ist.

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Der Polizeigesetzgeber hat in § 47 Abs. 1 PolG den Anwendungsfall der Vollzugshilfe umschrieben:

„Die Polizei leistet anderen Behörden auf Ersuchen Vollzugshilfe, wenn unmittelbarer Zwang anzuwenden ist und die anderen Behörden nicht über die hierzu erforderlichen Dienstkräfte verfügen oder ihre Maßnahmen nicht auf andere Weise durchsetzen können.“

Es soll sich also

–erstens (nur) um die Anwendung unmittelbaren Zwangs handeln, und

–zweitens darf die ersuchende Behörde nicht über eigenes Personal verfügen (Variante 1) oder es muss die Situation gegeben sein, dass sie ihre Maßnahme (trotz eigenen Personals, § 13) nicht auf andere Weise durchsetzen kann (Variante 2).

Im Zusammenspiel von § 2, § 13 und § 47 PolG ergibt sich, dass die Ordnungsbehörden im Rahmen ihrer Verpflichtung zur sachgerechten Organisation und Personalausstattung zunächst einmal das Möglichste zu tun haben, um auch die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch eigene Kräfte durchzuführen; erfüllen sie diese Verpflichtung nicht, muss die Polizei Vollzugshilfe leisten (dies wird dann aber mit dem Träger der Ordnungsbehörde erörtert werden müssen). Schließlich ist Vollzugshilfe zu leisten, wenn die Ordnungsbehörde trotz ausreichenden Personals mit der Anwendung unmittelbaren Zwangs überfordert ist, dies also vielmehr Sache der schusswaffentragenden Polizei ist. Dies wird bei einem „hartnäckigen Störer vorkommen“, der sich „erst dem polizeilichen Zugriff beugt“[301], einem „rabiaten“ Vermieter, der sich der Einweisung widersetzt[302], etc.

V. Ordnungspartnerschaft

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Als moderne Form der Vollzugshilfe wird die Ordnungspartnerschaft praktiziert: Beschäftigte der Polizei- und Ordnungsbehörden gehen gemeinsam Streife, die (mit Schusswaffen bewaffnete) Polizei leistet der (nicht bewaffneten) Ordnungsbehörde auf Anforderung ad hoc Vollzugshilfe. Es ist nicht unbedingt einzusehen, warum im Schrifttum behauptet wird, dies sei ein Grenzfall zulässiger Vollzugshilfe[303]. Die Sichtbarkeit von Polizei und Ordnungsverwaltung im öffentlichen Raum ist zu stärken. Ordnungspartnerschaften erhöhen nach den Berichten aus der Praxis das Sicherheitsgefühl der Bürger, etwa bei Kirchfesten und anderen Großveranstaltungen, und jenes der Bediensteten der Ordnungsbehörden (§ 13). Nach Schilderungen aus der ordnungsbehördlichen Praxis empfinden die üblichen Randalierer- und Störergruppen (betrunkene Jugendliche etc.) die mit Schusswaffen bewaffnete Polizei als nachdrückliche Ermahnung zu einem rechtskonformen Verhalten ohne Pöbeleien, Schlägereien etc. Dies stärkt die – vom Staat zu garantierende – friedliche Rechtsordnung.

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Die Ordnungspartnerschaften sind insbesondere einer von manchen Kommunalpolitikern – vorschnell, aber immer wieder – geforderten „Bewaffnung“ der Ordnungskräfte, für die zu Recht ein Schusswaffenverbot gilt[304], vorzuziehen. Gesellschaftliche Probleme werden nicht gelöst, indem man neben ca. 48.000 Angehörigen der Polizei auch noch die Ordnungskräfte bewaffnet. Vielmehr ist es originäre Aufgabe der Polizei, den Ordnungsbehörden gerade auch in gefährlichen Situationen beizustehen, um das Recht durchzusetzen. Es besteht grundsätzlich ein hohes staatliches Interesse, die Zahl der Schusswaffenträger in der Bevölkerung möglichst gering zu halten, weil von Schusswaffen generell große Gefahren ausgehen[305].

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Es besteht schließlich allgemein kein Interesse daran, dass Ordnungsbehörden zunehmend polizeivollzugsrechtliche Befugnisse an sich ziehen und die Grenzen zwischen Polizei und Ordnungsbehörden verwischt werden. Deshalb hat das OVG zu Recht entschieden, dass eine grundsätzliche Blaulichtberechtigung für den kommunalen Ordnungsdienst – Außendienst nicht anzuerkennen ist, es vielmehr, wenn überhaupt, auf das Vorliegen bestimmter Ausnahmesituationen ankommt[306].

VI. Verhältnis Vollzugshilfe – Amtshilfe

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Die allgemeine Rechtspflicht zur Leistung von Amtshilfe (soweit die Voraussetzungen erfüllt sind, Art. 35 GG, §§ 4 ff. VwVfG) besteht neben der in § 2 gesetzlich verfügten Pflicht zur Vollzugshilfe. Sind die Voraussetzungen zur Leistung von Amtshilfe erfüllt, hat die Polizei diese also unabhängig von § 2 zu leisten. Nach richtiger dogmatischer Ansicht (welche der Gesetzgeber in § 4 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG übernommen hat) kommt eine Amtshilfe begrifflich nicht in Frage, wenn die Hilfeleistung der ersuchten Behörde in der Vornahme einer Amtshandlung liegt, die ihr als eigene Aufgabe obliegt[307]. Die in § 2 geregelte Vollzugshilfe ist daher kein „Spezialfall der Amtshilfe“[308], was der Polizeigesetzgeber offenbar auch in § 47 Abs. 2 Satz 1 und 2 PolG anordnen wollte, indem er dort eigens zum Ausdruck brachte: „Die Polizei ist nur für die Art und Weise der Durchführung verantwortlich. Im Übrigen gelten die Grundsätze der Amtshilfe entsprechend.“[309]

Schönenbroicher

§ 3 Aufbau

(1) Die Aufgaben der örtlichen Ordnungsbehörden nehmen die Gemeinden, die Aufgaben der Kreisordnungsbehörden die Kreise und kreisfreien Städte als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung (§ 9) wahr; dies gilt auch für die ihnen als Sonderordnungsbehörden übertragenen Aufgaben.

(2) Landesordnungsbehörden sind die Bezirksregierungen.

I. Allgemeines

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§ 3 mit seiner überaus komplizierten Unterscheidung von allgemeinen „verwaltungsmäßigen Gefahrenabwehrbehörden“[310] und „Sonderordnungsbehörden“ (§ 12)[311] ist gewissermaßen der Schlussstein in dem in den 1950er-Jahren äußerst kompliziert errichteten Gebäude der Landes- und Kommunalverwaltung[312]. Dass der Gesetzgeber ausdrücklich „die Ordnungsbehörde“ (statt, wie üblich, die Körperschaft, also etwa Gemeinden, kreisfreie Städten und Kreise)[313] anspricht, sie in Pflicht nimmt (§ 1) und die ihr zugewiesenen Aufgaben von der Gebietskörperschaft „wahrgenommen“ (§ 3) werden sollen, ist rechtstechnisch erstaunlich, und daraus leiten sich zahlreiche weitere Auslegungsfragen ab[314]. Richtigerweise müsste die Regelung umgekehrt zu §§ 1 und 3 erfolgen: Die Körperschaft (Gemeinde) wird für zuständig (Verbandskompetenz) erklärt, die Aufgaben werden von der Verwaltung erfüllt, welche von dem Hauptverwaltungsbeamten (Ordnungsbehörde) geleitet wird, der dazu eine eigene Untergliederung einrichtet (Ordnungsamt sowie weitere Ämter, die für Gefahrenabwehr zuständig sind).

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Spezielle Regelungen finden sich in § 48.

II. Begriff der örtlichen Ordnungsbehörden

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Mit der Bezeichnung „Ordnungsbehörde“, dem zentralen Begriff und „Ansprechpartner“ des Gesetzgebers in § 1[315], sollte die Funktion der Gebietskörperschaft im Hinblick auf die ihr zur Gefahrenbekämpfung übertragenen Aufgaben zum Ausdruck gebracht werden[316].

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Allerdings dürfte der Gesetzgeber spätestens in § 3 ein wenig den Überblick verloren haben, was die Begriffe Gebietskörperschaft und Behörde angeht. Mit der Bezeichnung „Ordnungsbehörden“ im Sinne des OBG gemeint sind die örtlich zuständigen Gebietskörperschaften[317], nicht dagegen der Hauptverwaltungsbeamte oder Ämter von Gebietskörperschaften wie etwa das Ordnungsamt. Richtigerweise handelt in NRW der Hauptverwaltungsbeamte (mit „seiner“ Verwaltung) für die Gebietskörperschaft nach außen (§§ 41, 62 f. GO), er ist aber nicht die Gebietskörperschaft, die wiederum vom Gesetzgeber Zuständigkeiten zugewiesen erhält: Die Gemeinden haben Behörden, durch die sie im Rahmen der vollziehenden Gewalt handeln. Es geht hier auch nicht um Fälle der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben im Wege der Organleihe etwa durch den Landrat als Kreispolizeibehörde („Ein-Mann-Behörde“). Die Frage der richtigen Bezeichnung der Ordnungsbehörde darf ferner nicht mit der Frage verwechselt werden, ob und inwieweit der Rat (als Selbstverwaltungselement in der Administration) nach dem OBG in den Pflichtenkreis der Ordnungsbehörden einbezogen ist bzw. werden darf; dies spielt bei § 9 Abs. 4 eine besondere Rolle[318].

 

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Örtliche Ordnungsbehörden sind die Gemeinden, zu denen auch die kreisfreien Städte zählen. Die kreisfreien Städte nehmen zusätzlich auf ihrem jeweiligen Gebiet die Zuständigkeiten wahr, welche sonst die Kreise wahrnehmen, etwa die Ausländerverwaltung. Die Kreise (und insoweit auch die kreisfreien Städte) haben Zuständigkeiten nur, insoweit diese ihnen durch oder aufgrund eines Gesetzes zugewiesen sind. Die sog. Städteregion Aachen[319], eine eigenartige, wenn auch nicht verfassungswidrige Mischform (Zusammenfassung einer kreisfreien Stadt mit einem Kreis)[320], hat die Rechtsstellung eines Kreises[321].

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Was die Frage der Bestimmung der Organkompetenz innerhalb der kommunalen Gebietskörperschaft angeht, so besteht nach Kommunalverfassungsrecht eine Zuständigkeit der Verwaltung für Verwaltungsangelegenheiten des Verwaltungsvollzugs, also eine Organkompetenz des Hauptverwaltungsbeamten. Die Anwendung des gesetzlich vorgegebenen Normprogramms und die Ausübung von rechtlich gebundenem Verwaltungsermessen im Einzelfall erscheinen als genuine Angelegenheit der Verwaltung, nicht als Sache vom Rat zu treffender politischer Entscheidung. Das freie, originäre politische Ermessen des Rates steht vielmehr in einem Widerspruch zu dem rechtlich gebundenen Verwaltungsermessen im Einzelverwaltungsvollzug[322]. Im Regelfall wird daher von laufenden Geschäften der Verwaltung auszugehen sein (§ 41 Abs. 3 GO)[323], mit denen sich der Rat nicht zu beschäftigen hat und sich auch nicht beschäftigen sollte[324]. Insofern erscheint eine Regelung wie § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SOG Hessen sinnvoll, wonach der Bürgermeister in alleiniger Verantwortung die Aufgaben der Ordnungsbehörde wahrnimmt[325]. Der Rat sollte indes dann eingreifen, wenn im Bauordnungsrecht z. B. Belange der Bauleitplanung (§ 10 BauGB) betroffen sind, die eine eigene politische Entscheidung erfordern bzw. bei denen grundlegende, in Ortsrecht umgesetzte politische Entscheidungen zu wahren oder durchzusetzen sind.

III. Offene Aufgabenzuschreibung

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Was mit den „Aufgaben“ gemeint ist, richtet sich nach § 1. Die Aufgabenzuschreibung ist insoweit „offen“, als der Gesetzgeber des OBG keinen Katalog der Gesetze vorlegt, welche zum Aufgabenbestand der Ordnungsbehörden gehören sollen. Das Regelungskonzept des Gesetzgebers ist insoweit ein offenes, als er die (untechnisch und schief mitunter sogenannten) „Fach“-Gesetzgeber in NRW in die Pflicht nimmt, der von ihm eingeführten Dogmatik und Kategorisierung zu folgen und die Gesetzgebung im Bereich der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr danach auszurichten. Freilich konnte der OBG-Gesetzgeber allenfalls politisch den (ihm nachfolgenden) Landesgesetzgeber in die Pflicht nehmen, nicht den Bundesgesetzgeber.

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Landesrecht: Neben dem OBG sind dies die Landesgesetze, die vom Landesgesetzgeber selbst jeweils ausdrücklich als solche zur Gefahrenabwehr bezeichnet werden bzw. welche von den jeweils zuständigen Behörden „als Ordnungsbehörden“ ausgeführt werden. In § 60 Abs. 1 BauO ist z. B. ausdrücklich bestimmt, dass die Bauordnungsbehörden „als Ordnungsbehörden“ tätig werden[326]. Da die Fachgesetzgeber die allgemeinen Ordnungsbehörden mit Aufgaben der nichtpolizeilichen spezialgesetzlichen Gefahrenabwehr betrauen können, erscheint es verfehlt, wenn in § 12 Abs. 1 (zusätzlich) die Möglichkeit eröffnet bzw. angesprochen ist, allgemeine Ordnungsbehörden zu Sonderordnungsbehörden zu bestimmen[327].

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Bundesrecht: Vom Bundesgesetzgeber kann man nicht erwarten, dass er der komplizierten NRW-Regelungssystematik bei der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr folgt. Regelmäßig muss im Einzelfall durch Auslegung ermittelt werden, ob Aufgaben der Ordnungsbehörden betroffen sind (Gefahrenabwehr) und ob es sich um Auftragsangelegenheiten nach Bundesrecht handelt[328].

IV. Begriff der „Sonderordnungsbehörde“

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Der zweite Halbsatz des § 3 Abs. 1 ordnet an, dass die Ordnungsbehörden „auch für die ihnen als Sonderordnungsbehörden übertragenen Aufgaben“ die Aufgaben als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung wahrnehmen. Richtigerweise müsste man zu Letzterem ergänzen: Soweit fachgesetzlich durch den Bundes- oder Landesgesetzgeber nichts anderes bestimmt ist. Aus dem großen Kreis der Pflichtaufgaben sind im Rahmen des OBG a limine nur diejenigen relevant, die zum Rechtsbereich der Gefahrenabwehr gehören. Auf der anderen Seite gibt es, um die Dinge noch komplizierter zu machen, Zuständigkeiten gefahrenabwehrrechtlicher Art, die zu den Pflichtaufgaben gehören, hinsichtlich derer aber das OBG nicht anwendbar ist[329]. Gesetzgebungstechnisch nicht besonders elegant wird der in § 3 Abs. 1 verwendete Begriff der „Sonderordnungsbehörden“ erst in § 12 Abs. 1 näher bestimmt bzw. es wird der Versuch einer näheren Definition unternommen[330]. Beide Vorschriften (§§ 3 und 12) gehen auf § 8 PVG zurück, stiften eine nicht unbeträchtliche Verwirrung und sind in erster Linie historisch zu erklären[331].

V. Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung

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Der Gesetzgeber hat mehrfach bestimmt, dass den Gemeinden, kreisfreien Städten und Kreisen Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung übertragen werden können, so auch in § 3 Abs. 2 GO und § 2 Abs. 2 KrO. Die Zuweisung als Pflichtaufgaben an die kommunalen Körperschaften war in den 1950er-Jahren wesentlicher Programmpunkt bei der „Entstaatlichung“ der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr[332].

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Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung sind unstreitig keine Selbstverwaltungsaufgaben im Sinne der Art. 28 Abs. 2 GG, §§ 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO und 85 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGG[333]. Richtiger Ansicht nach weisen die Pflichtaufgaben eine doppelte rechtliche Struktur auf, sodass die jahrzehntelangen dogmatischen Grundsatzstreitigkeiten zu dieser Frage auf sich beruhen bleiben können[334].

Heute ist unstreitig, dass Aufsichtsmaßnahmen nach §§ 119 ff. GO von der betroffenen Kommune zur verwaltungsgerichtlichen Überprüfung gestellt werden können, unabhängig von der Verwaltungsaktqualität solcher Maßnahmen im Einzelfall und unabhängig von der verfassungsrechtlichen Einordnung in die Kategorie der (echten) Selbstverwaltungsaufgaben (im grundgesetzlichen Sinne)[335].

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Die Zuweisung der Aufgaben als Pflichtaufgaben bedeutet vor allem, dass die §§ 11 ff. LOG über die Fachaufsicht von § 9 verdrängt werden. Nach § 9 gilt ein deutlich milderes, differenziertes Rechtsregime der Fachaufsicht (Sonderaufsicht). Dagegen bedeutet die Bezeichnung einer Aufgabe als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nicht automatisch, dass es sich um eine Aufgabe der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr handelt und das OBG anwendbar ist; es kommen auch Pflichtaufgaben im Bereich der Leistungsverwaltung in Betracht (etwa Schwerbehindertenrecht[336]).

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Die gefahrenabwehrrechtliche Fachaufsicht ist wiederum zu trennen von der Kommunalaufsicht, der Rechts- und der Dienstaufsicht[337].

VI. Auftragsangelegenheiten nach Bundes- bzw. Landesrecht

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Auftragsangelegenheiten nach Bundesrecht sind (nur) solche, die im Grundgesetz als solche ausdrücklich bezeichnet sind. Bundesauftragsangelegenheiten sind eine Erscheinungsform der Landesverwaltung, die allerdings mit verschiedenen Ingerenzen des Bundes konfrontiert ist[338]: Es handelt sich um Landesverwaltung nach Weisung[339]. Nach Art. 83 bis 85 GG ist der Vollzugstypus der Auftragsverwaltung nur zulässig, wenn er für eine bestimmte Materie ausdrücklich vorgeschrieben ist (Art. 90 Abs. 2, 104a Abs. 3 Satz 2 und 108 Abs. 3 Satz 1, sog. obligatorische Bundesauftragsverwaltung) oder durch Bundesgesetz eingeführt werden kann (Art. 87b Abs. 2, 87c, 87d Abs. 2, 89 Abs. 2 Satz 3 und 4 und 120a Abs. 1: fakultative B.)[340]. In der Staatspraxis sehr bedeutsam, wenn auch weniger auf dem Feld der Gefahrenabwehr (wenngleich auch hier), ist die (mitunter gleichsam „verdeckte“) Bundesauftragsverwaltung qua überwiegender Bundesfinanzierung gemäß Art. 104a Abs. 3 Satz 2 GG. Das bedeutet: Im Falle überwiegender Bundesfinanzierung dürfen Aufgaben an kommunale Körperschaften nicht als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung übertragen werden, sondern nur als staatliche Auftragsangelegenheiten (nach Landesrecht). Nach § 29 Abs. 2 Satz 2 Maßregelvollzugsgesetz NRW und § 3 Satz 1 Zuständigkeitsverordnung Therapieunterbringungsgesetz z. B. ist der Direktor des Landschaftsverbandes als staatliche Verwaltungsbehörde zuständig für bestimmte Verwaltungstätigkeiten. Bei Auftragsangelegenheiten gilt die volle Fachaufsicht nach LOG, die Zurücknahme des Fachweisungsrechts nach § 9 OBG gilt auf diesen Rechtsfeldern nicht.

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Es gibt ferner nach wie vor Landesauftragsangelegenheiten (vgl. § 132 GO). So unterliegen in Wahlsachen Bürgermeister und Gemeindeverwaltungen umfassenden Weisungen, vgl. §§ 1 ff. LWahlO. Soweit solche Vorschriften die Gefahrenabwehr betreffen, ist das Fachaufsichtsrecht nach LOG anwendbar, nicht § 9. Dies gilt auch und insbesondere für die Aufsichtszuständigkeiten des Landrats als untere staatliche Verwaltungsbehörde nach § 7 Abs. 1.

VII. Abgrenzung der Zuständigkeiten der Ordnungsbehörden zu anderen Zuständigkeiten bei sog. Großveranstaltungen

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Die Frage der Abgrenzung der Verantwortungsräume von öffentlichen Stellen (allgemeine Ordnungsbehörde, Feuerwehr, Bauaufsicht, sonstige Sonderordnungsbehörden, Polizei) und privatem Veranstalter hat bei der sog. Loveparade-Katastrophe am 24. Juli 2010 in Duisburg eine entscheidende Rolle gespielt[341]. Die rechtliche Verantwortung für die Sicherheit einer Veranstaltung trägt in erster Linie der Betreiber bzw. Veranstalter. Man muss ferner unterscheiden zwischen genehmigungspflichtigen und genehmigungsfreien Veranstaltungen. Dass eine Veranstaltung unter einer förmlichen Eröffnungskontrolle ergeht, dürfte eher die Ausnahme sein. Am ehesten kommt dies bei einer baurechtlichen Anzeige- oder Genehmigungspflicht in Betracht (§ 63 BauO), etwa bei Sonderbauten nach § 54 BauO[342]. Die Bauaufsichtsbehörden genehmigen (nur) bauliche Anlagen, nicht die Veranstaltungen, die in baulichen Anlagen stattfinden; freilich darf die bauliche Anlage nicht genehmigt werden, wenn sie ungeeignet ist für die Durchführung der beabsichtigten Veranstaltung. Für bestimmte Veranstaltungen in geschlossenen Räumen und im Freien (es kommt auf die Zahl der Besucher an) gilt die auf der Grundlage der §§ 54 und 85 BauO erlassene Sonderbauverordnung. Sie enthält in §§ 38 ff. Vorgaben für den Veranstalter, etwa zur Aufstellung eines Sicherheitskonzeptes[343]. Nach § 38 Abs. 1 ist der Betreiber einer Versammlungsstätte für die Sicherheit der Veranstaltung und die Einhaltung der Vorschriften verantwortlich. Veranstaltungen, die im Freien außerhalb von baulichen Anlagen stattfinden, fallen nicht unter das Rechtsregime der Bauordnung und der darauf gestützten Sonderbauverordnung. Hier wird es aber z. B. um Sondernutzungserlaubnisse und andere straßen- und wegerechtliche Eröffnungskontrollen gehen, soweit eine öffentliche Straße in Anspruch genommen werden soll. Insofern ist für eine Vorabkontrolle gesorgt.

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Nach der Grundregel des § 1 OBG ist es Aufgabe der beteiligten Ordnungs- und Sonderordnungsbehörden (insbesondere der federführenden Stelle), in dem Fall, dass eine Genehmigung für eine Großveranstaltung erforderlich ist, im Wege der Genehmigungserteilung in der möglichsten Weise (Prognoseentscheidung) sicherzustellen, dass aus der Veranstaltung keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erwachsen. Betreiber bzw. Veranstalter sollten im Hinblick auf die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen beraten werden; (potentiellem) Veranstalter und Betreiber obliegt es, sich lange vor einer (auch anzeige- oder genehmigungsfreien) größeren Veranstaltung mit der örtlichen Ordnungsbehörde ins Benehmen zu setzen. Dabei kommt es oft und gerade auf gefahrenabwehrrechtliche Aspekte an (Zu- und Fluchtwege, Aufnahmefähigkeit bestimmter Örtlichkeiten, Brandschutzgesichtspunkte nach der BauO etc.).

 

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Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vor bzw. kann eine günstige gefahrenabwehrrechtliche Prognose zum voraussichtlichen Verlauf nicht gestellt werden (auch nicht durch Auflagen), ist der Antrag abzulehnen und die Genehmigung zu verweigern. Keinesfalls darf eine Genehmigung bei „offener“ gefahrenabwehrrechtlicher Beurteilung (aus „politischen Gründen“) erteilt und das komplette Risiko des gefahrlosen Verlaufs einer Großveranstaltung auf den Veranstalter, dessen privaten Sicherheitsdienst und letztlich die Besucher abgewälzt werden[344]. Auf diese Weise verlören das hoheitliche Genehmigungswesen und die staatliche Schutzpflicht in Bezug auf Leben und Gesundheit der Bürger ihren Sinn. Es ist also jeder Sonderordnungsbehörde und jeder Ordnungsbehörde dringend zu raten, etwaigem „politischen“ Druck keinesfalls nachzugeben und – wie immer – streng nach Gesetz und Recht vorzugehen, ggf. ist zu remonstrieren bzw. die fachlich nächsthöhere Behörde anzurufen.

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Weder OBG noch PolG enthalten eigene Genehmigungstatbestände bezüglich Veranstaltungen. Eine allgemeine gefahrenabwehrrechtliche Genehmigungs- oder auch nur Anzeigepflicht gibt es nicht. Aus § 14 OBG kann eine Anzeige- oder Genehmigungspflicht nicht hergeleitet werden. Das bloße beabsichtigte „Zusammenlaufen“ von Menschen bei Veranstaltungen (aller Art) ist noch kein gefahrenabwehrrechtlich relevanter Gefahrentatbestand, aus dem eine positive Rechtspflicht zur Anzeige konstruiert werden könnte. Wenn dagegen im OBG oder im Sonderordnungsrecht eine Anzeigepflicht vorgesehen wäre, könnte die zuständige Behörde auf der Grundlage des § 14 für deren Durchsetzung sorgen. In Bayern sind bestimmte öffentliche Vergnügungsveranstaltungen einem Anzeigevorbehalt unterworfen, andere einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Ob die Einführung einer solchen Vorschrift für Nordrhein-Westfalen sinnvoll sein könnte, wird man frühestens nach rechtskräftigem Abschluss der Loveparade-Strafverfahren etc. sagen können. Sollte die Rechtswidrigkeit der bau- und/oder straßenrechtlichen Genehmigung festgestellt werden, würde dies nicht unbedingt für die Einführung einer neuen Rechtsvorschrift sprechen. Überhaupt ist mit der überhasteten Einführung neuer Rechtsvorschriften nach Skandalen, Unglücken und dergleichen oft ein gewisser Ablenkungseffekt hinsichtlich der eigentlichen Mängel und Missstände verbunden – ob beabsichtigt oder nicht. Viel wichtiger wäre die sachgerechte und akribische Aufarbeitung des Verwaltungshandelns auf der Basis des vorliegenden Rechtsbestands.

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Bei Erreichen der polizeigesetzlichen Eingriffsschwelle kann die Polizei eine ad hoc-Pflicht zum Einschreiten zur Gefahrenabwehr treffen. Welche Maßnahmen dabei zu treffen sind (Absperren und Abbruch der Veranstaltung, Platzverweis für bestimmte Störer, ggf. unmittelbarer Zwang), kann nur im Einzelfall beurteilt werden. Festzuhalten bleibt indes eine subsidiäre staatliche Einstandspflicht für die Sicherheit von Großveranstaltungen, welche aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 33 GG) weder privatisiert noch im Wege der umfassenden Delegation auf Private abgewälzt werden darf[345]. Der Staat ist verfassungsrechtlich (Schutzpflicht) nicht berechtigt, Leben und Gesundheit seiner Bürger abschließend in den Rechtskreis der Fähigkeit oder Unfähigkeit eines Privaten zu legen. Die polizeilichen Maßnahmen müssen sachgerecht und zielführend sein. Sie unterliegen ggf. der straf- und disziplinarrechtlichen Überprüfung.