Heliosphere 2265 - Der komplette Fraktal-Zyklus

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IL HYPERION, Im Interlink-Flug, 3. Februar 2266, 07:55 Uhr



Tag 2





Lieutenant Commander Tess Kensington rieb sich müde die Augen. Sie bereute längst, dass sie es gestern so spät hatte werden lassen. Nach den Ereignissen auf der NOVA-Station hatte sie die Ablenkung einfach benötigt, was sich nun rächte. Akoskin hatte irgendwo eine Flasche Wodka aufgetrieben und so feierten sie ihre Beförderung im kleinen Kreis. Eine Feier, die sie im Nachhinein gerne weniger feuchtfröhlich und kürzer gehalten hätte.



Drei Stunden Schlaf waren nicht genug. Sie spürte schon jetzt den missbilligenden Blick von Commander Ishida auf sich, wenn sie im Minutentakt gähnen musste. Und das so kurz nach der Beförderung.



Sie betrachtete sich ein letztes Mal im Spiegel. Die Uniform saß perfekt, die neuen Rangabzeichen standen ihr gut. Tess grinste. Der Rang des Lieutenant Commanders fühlte sich noch immer seltsam an – und unverdient. Ihre Kollegen nahmen es ihr scheinbar nicht übel, hatten sich sogar für sie gefreut. Nach der Schlacht um NOVA war sie zu so etwas wie einer Heldin geworden, zumindest an Bord der HYPERION und der Schiffe im Pearl-System. Die Presse richtete ihr Augenmerk Gott sei Dank auf Captain Cross, worum sie ihn nicht im Geringsten beneidete. Sobald sie das Heimatsystem erreichten, würde sich die Pressemeute auf ihn stürzen, während der Rest der Crew seinen Landurlaub genießen würde.



Tess hatte einen Blick in den Plan geworfen. Die HYPERION war im Kampf so stark beschädigt worden, dass sie förmlich in Richtung Erde torkelte. Erst dort würde das Schiff wieder instand gesetzt werden, wofür mehrere Wochen veranschlagt waren. In dieser Zeit blieb nur eine Rumpf-Crew an Bord. Sie hatte beschlossen, gemeinsam mit Sarah einen Ausflug in den australischen Sektor zu unternehmen. Nach dem ganzen Horror brauchte sie dringend Erholung; Sonne, Strand und Meer waren genau das Richtige.



Sie schob ihre Vorfreude beiseite. Erst einmal stand ein stressiger Tag an. Wie alle anderen Offiziere ging auch sie der Reparaturcrew zur Hand, wo sie nur konnte. Es gab niemanden an Bord, der sich nicht die Hände schmutzig machte.



Gerade als sie sich umwandte, um ihr Quartier zu verlassen, glitt das Schott zur Seite. Ein Kordon aus fünf Sicherheitskräften stürmte herein und umzingelte sie.



»Was soll das?!«



Hinter seinen Leuten betrat Alpha 365 den Raum. Den Kopf leicht schief gelegt, blickte der Sicherheitschef sie an. »Commander Tess Kensington, ich verhafte Sie wegen Konspiration gegen die Solare Union.«



Tess erwiderte den Blick des Alphas mit gerunzelter Stirn. »Sie machen Scherze.« Er hat es herausgefunden, begriff Tess. Er hat mich nur in Sicherheit wiegen wollen.



»Führt sie ab.«



Tess realisierte, dass sie verloren hatte.





*





»Was soll das heißen: Tess Kensington wurde verhaftet?« Commander Noriko Ishida runzelte die Stirn. »Und wieso weiß ich nichts davon?«



»Es geschah vor wenigen Minuten.«



»Aber warum?« Noriko entsperrte ihren Hand-Com. Wie alle Offiziere trug sie die hauchdünne Klebefolie auf ihrem Handrücken. Über das Touch-Display konnte sie auf verschiedene Funktionen zugreifen, die Elektronik war in der dünnen Schicht untergebracht. »Ich habe keine Informationen darüber in meinem persönlichen Speicher!«



»Frag mich nicht.« Lieutenant Commander Giulia Lorencia, die L.I. des Schiffes, zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur, dass sie verhaftet wurde, nicht warum. Die Erklärung wollte ich eigentlich von dir.«



Sie saßen in der Kantine, um wie jeden Morgen ein gemeinsames Frühstück einzunehmen. Mitten im Gespräch hatte sich Giulias Hand-Com mit einem Signal gemeldet. Eine ihrer gut unterrichteten Quellen hatte über die Verhaftung von Tess Kensington geplaudert.



»Tut mir leid, aber wir müssen unser Essen verschieben.« Noriko schupste den Teller zur Seite, auf dem sich ein angebissenes Sandwich befand. »Ich muss mit dem Captain über diese Sache sprechen.«



»Natürlich. Halte mich bitte auf dem Laufenden.«



»Mach ich.« Noriko erhob sich und verließ die Kantine. Ihr Tablett ließ sie stehen.



Der multidirektionale Lift brachte sie zur Brücke, wo Lieutenant Commander Akoskin gerade das Kommando innehatte.



»Ist der Captain in seinem Bereitschaftsraum?«



»Das ist er, Ma’am«, bestätigte der Taktik- und Waffenoffizier. »Er und Alpha 365.«



Perfekt. »Danke.«



Sie trat auf das Schott zu und betätigte den Signalgeber. Eine Stimme erklang aus dem Lautsprecher. »Herein.«



Die Durchgangstür glitt zur Seite.



»Ah, Commander«, sagte Captain Cross. »Sie haben eine Minute und zweiundzwanzig Sekunden länger gebraucht, als von unserem Sicherheitschef vermutet.«



»Das ist bedauerlich, Sir.« Noriko gesellte sich zu den beiden Offizieren. »Aber ich nehme an, dass Sie meine nächste Frage ebenfalls vorausahnen können.«



Der Captain bejahte. »Wir mussten Commander Kensington verhaften. Setzen Sie sich. Die Erklärung wird etwas Zeit in Anspruch nehmen. Und ich fürchte, sie wird Ihnen nicht gefallen.«





*





Dreadnought TORCH, SOL-System, 8. Februar 2266, 15:00 Uhr



Tag 7





Admiral Santana Pendergast musste sich zusammenreißen, so schwer es ihr auch fiel. Nachdem die Präsidentin alle Schiffe ins Äußere des Systems verlegt hatte, flogen sie dort dauerhaft Patrouille. Noch immer konnte sie es kaum fassen, dass fast all ihre Admiral-Kollegen tot waren. Einfach so, ausgelöscht von einer Sekunde zur nächsten. Und warum? Weil dieser dämliche Hund von Michalew – wie zahlreiche Beweise, die der Geheimdienst mittlerweile zusammengetragen hatte, belegten – einen Coup d'Etat durchziehen wollte.



Isa Jansen dürfte relativ sicher sein, immerhin befindet sie sich im Dunstkreis der Präsidentin, überlegte sie. Aber was ist mit Björn Sjöberg? Dass es keine Spur von ihm gibt, lässt Schlimmes vermuten.



Während das Innenministerium Schritte eingeleitet hatte, um Michalew in die Finger zu bekommen, und Jansen direkt am Geschehen beteiligt war, konnte Santana nichts tun außer warten.



Sie sah zur Seite, wo der Captain ihres Flaggschiffes gebannt einen Nachrichtenkanal auf seiner Konsole verfolgte. »Gibt es etwas Neues?«



Er schüttelte den Kopf. Auf seiner Glatze spiegelten sich die Deckenleuchten. »Neu kann man das nicht nennen. Seit dieser ferngesteuerte Flugwagen in den Senat gesaust ist, gibt es ja kaum noch Anschlagsziele.« Er deaktivierte den Kanal. »Wer tut so etwas?«



»Wie wir mittlerweile wissen, ist Michalew verantwortlich.« Santana fiel es trotz allem schwer zu glauben, dass Juri tatsächlich so weit gegangen war, doch die Fakten ließen keinen anderen Schluss zu. »Gott sei Dank konnte er außer Trevor Holden niemanden von der Regierung erwischen. Und solange ich auf diesem Flaggschiff sitze, wird er auch die Heimatflotte nicht kriegen.«



»Der militärische Geheimdienst veranlasst gerade einen Background-Check aller Offiziere.«



»Ich weiß. Die Herren haben mir zuallererst einen Besuch abgestattet. Es wäre ja auch übel, wenn die Heimatflotte gegen die Erde losschlägt.« Sie gab ein wütendes Knurren von sich. »Ich hab‘ denen klargemacht, dass ich jedes Schiff abschießen werde, das sich auf einen Vektor ins Innere des Systems aufmacht.«



»Und augenscheinlich haben die Ihnen geglaubt«, sagte er. »Bei mir waren sie auch bereits.«



Das wunderte Santana nicht. Captain Holden war ein herausragender Offizier und sie hätte jederzeit ihre Hand für ihn ins Feuer gelegt. Andererseits machte sich aufgrund der Ermittlungen und Anschläge zunehmende Paranoia bemerkbar. Wenn diese Hexenjagd so weiterging, bespitzelte bald jeder jeden und misstraute den eigenen Kameraden. Das war Gift für die Moral.



»Ma’am«, meldete sich Tasha Yost. Die Kommunikationsoffizierin mit den schulterlangen schwarzen Haaren wirkte beunruhigt. Mit gerunzelter Stirn sah sie auf ihre Konsole und nahm Eingaben vor. »Irgendetwas stimmt hier nicht.«



»Bitte präzisieren Sie Ihre Meldung!«, forderte Captain Holden energisch. »Was genau 'stimmt nicht'?«



»Entschuldigung, Sir!« Sie nickte in Santanas Richtung. »Ma’am.« Yost ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, dafür war sie zu sehr Profi. »Ich habe den Kontakt zur Phasenfunk-Relaiskette verloren. Unsere Kommunikation ist damit auf das Sol-System beschränkt. Alle Schiffe, Systeme oder Stationen außerhalb sind nicht mehr erreichbar.«



Santana checkte beunruhigt ihre Konsole. »Liegt es an unserem Phasenfunk-Aggregat?«



»Der Fehler liegt nicht bei uns«, erklärte Yost. »Die Verbindung zu den übrigen Schiffen der Flotte funktioniert tadellos. Ich fürchte, die Relais-Kette hat sich deaktiviert.«



Santanas Gedanken rasten. Es war nicht schwer zu erraten, wer dafür verantwortlich war. Ihr wurde ganz schlecht, als sie an die Folgen dachte. Was ohne eine koordinierende zentrale Instanz alles geschehen mochte, war nicht abzusehen.



»Benachrichtigen Sie SOL-22 und Admiral Jansen im Präsidentenpalast«, befahl Santana. Sie wandte sich an Marietta Singh, die Sensoroffizierin mit den raspelkurzen braunen Haaren. »Wie sieht es bei den anderen Schiffen aus?«



»Sie behalten ihre Formation bei, Ma’am.«



Irgendetwas stimmt nicht. Ihre Hände waren schweißnass, eine innere Stimme warnte sie vor Gefahr. Doch aus welcher Richtung wollte Michalew zuschlagen? Besaß er womöglich eigene Schiffe?



»Ma’am, ich habe eben eine Routineanfrage zum Maschinenraum gesendet«, sagte Yost. »Ich erhalte keine Antwort.«

 



Bevor Santana etwas erwiderten konnte, griff ihr I.O. in das Seitenfach seines Sitzes und holte einen Pulser hervor. Gleichzeitig sprang Lieutenant Singh auf. Auch sie war bewaffnet.



Ihr I.O. fletschte die Zähne, auf seinem Gesicht lag ein diabolisches Grinsen. »Ich fürchte, Admiral, die Space Navy verliert heute noch ein paar Offiziere mehr.« Mit diesen Worten drückte er ab.





*




»Es wird alles gut. Du musst keine Angst haben, mein Schatz«, flüsterte Ivy immer wieder. Als könnte sie ihren Sohn so vor jeder Gefahr beschützen, presste sie Tim an sich.



Collin O’Sullivan atmete auf, als sie endlich das sichere Gebäude erreichten. Als Verteidigungsminister gehörte er zu den wahrscheinlichsten Anschlagszielen von Michalews Leuten. Ein Team aus Sicherheitsoffizieren brachte ihn, Ivy und Tim aus der Schusslinie.



Euch wird nichts passieren, schwor er sich lautlos.



Die Sicherheitskräfte bildeten ein Kordon um sie herum, geleiteten sie so zum Haus. Die Tür war aus gehärtetem Titan, wie auch der Rest des Gebäudes. Ein Phasenfunkmodul, ein Schutzschild und ein Raketenabwehrsystem machten aus dem Haus eine Festung.



Gemeinsam mit ihnen traten die Wachen ein. Sie führten einen kurzen, aber gründlichen Check durch.



»Alles sauber«, kam die Klarmeldung.



Collin atmete auf. Die Sicherheitskräfte verteilten sich um das Haus herum, die Tür schloss sich.



»Es tut mir leid«, sagte er zu seiner Frau. »Ich wünschte, ich müsste euch das alles hier nicht zumuten.«



»Red‘ keinen Unsinn.« Ivy hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. »Nicht du bist dafür verantwortlich. Ich bringe Tim ins Bett.«



»Mach das.«



Während sie nach oben ging, wo sich das Kinderzimmer befand, fuhr er mit dem Lift in das unterirdische Geschoss. Hier lag Collins Ersatzbüro, mit einem direkten Zugriff auf die wichtigsten Datenbanken und Server. Er überprüfte den Standort der Heimatflotte. Sie befand sich noch immer im Außenbereich des Sonnensystems. Die Raketenabwehrforts waren scharf geschaltet und bildeten einen Verteidigungsperimeter. Sollte eines der Schiffe sich auf den Weg in Systeminnere machen, ohne den direkten Befehl von der Präsidentin erhalten zu haben, würde er es aus dem All blasen müssen.



Viel mehr, als die Schiffe zu überwachen, konnte er nicht tun. Für die innere Sicherheit war ein anderer zuständig.



»Er schläft.«



Collin zuckte zusammen. »Erschreck mich doch nicht so.«



»Tut mir leid.« Ivy trat hinter ihn und begann mit einer Nackenmassage.



»Schon gut, ich bin nur ein wenig schreckhaft. Das alles ist so unfassbar. Bis vor wenigen Wochen dachte ich noch, dass die Solare Union von nichts und niemandem derartig erschüttert werden kann.«



»Und heute stehen wir in den Trümmern.« Sie seufzte. »Ich weiß. Aber wir haben die Feinde dort draußen gesucht, nicht mitten unter uns.«



»Es wundert mich, dass er die Schiffe der Heimatflotte bisher nicht angerührt hat. Einige seiner Mitverschwörer müssen einfach dort sein.«



»Das sind sie«, sagte Ivy. Ihre Hände schlossen sich wie Stahlklammern um seinen Hals. »Seine Leute sind überall, auch hier.«



»Was tust du?« Er bekam keine Luft, versuchte, ihre Finger zu lösen – vergebens.



»Als wir vor zehn Jahren heirateten, warst du nur ein Auftrag«, sprach sie weiter, ohne auf seine Frage einzugehen. »Nach so langer Zeit dachte ich wirklich, dass dieser Tag niemals kommt. Aber nun ist er da. Pflicht ist Pflicht, das weißt du.«



»Du …?«, presste er fassungslos hervor. Tränen rannen über seine Wangen. Ihre Hände glichen Stahlklauen, er konnte sie nicht lösen. »Aber … wir haben einen Sohn!«



»Ja, das ist bedauerlich.« Sie beugte sich tiefer, flüsterte in sein Ohr: »Wir hatten einen Sohn. Wenn es dich beruhigt, sein Tod war schmerzlos.«



Collin hatte gerade noch genug Zeit, die grausame Wahrheit zu begreifen, da bewegte Ivy – oder wer immer sie auch war – ihre Hände ruckartig. Sein Genick brach. Die Welt versank in Schwärze.





*




Von überall her kamen Klarmeldungen. Admiral Juri Michalew lächelte. Die vergangenen Tage waren erfolgreich gewesen. Der Senat: fast vollständig ausgelöscht. Die Regierung: größtenteils erledigt. Die öffentliche Ordnung fiel ins Chaos und die Phasenfunk-Relaiskette war außer Kraft gesetzt. Alles verlief nach Plan, sah man von Isa Jansen ab, die sich noch immer in der Nähe der Präsidentin aufhielt.



Dann kommt sie eben auch zum Schluss.



Er wartete noch auf die Meldung von Captain Gus Holden, der sich um Admiral Santana Pendergast und die TORCH kümmern sollte. Bisher hatte er sich nicht gemeldet. Dabei spielte die Heimatflotte eine wichtige Rolle in seinem Plan.



Auf seinem Display färbten sich die Icons einiger Schiffe grün. Die Übernahme der Kommandogewalt durch seine Männer und Frauen hatte geklappt. Die TORCH gehörte leider noch nicht dazu. Er lehnte sich zurück und wartete.





*





IL HYPERION, Im Interlink-Flug, 8. Februar 2266, 10:15 Uhr



Tag 7





Captain Jayden Cross nippte vorsichtig an seinem ViKo-Drink, sog scharf die Luft ein, als er sich die Lippen verbrannte, und schob die Tasse wütend zur Seite. »Uns läuft die Zeit davon.«



»Das ist mir bewusst, Sir.« Alpha 365 saß auf dem Besucherstuhl des Bereitschaftsraums des Captains, die Beine übereinandergeschlagen. »Bisher schöpft die Crew noch keinen Verdacht, was unseren Plan angeht. Durch die Zerstörungen, die wir bei der Schlacht um NOVA davongetragen haben, wurde der Energiespeicherring beschädigt und wir können nicht mit voller Interlink-Geschwindigkeit reisen.«



»Nichtsdestotrotz erreichen wir bald die Erde. Ich kann unsere Ankunft nicht noch länger verzögern, die Admiralität erwartet uns. Wir müssen den Verräter vorher enttarnen, andernfalls steht uns eine hässliche Zeit bevor. Sie waren es doch, der mich davon überzeugt hat, dass seine Flucht kurz bevorsteht.«



»Das vermute ich noch immer. Natürlich bin ich trotz meines überlegenen Intellekts nicht perfekt.«



»Eine meiner besten Offizierinnen sitzt seit mehreren Tagen in der Arrestzelle, obwohl sie gar nicht der Verräter sein kann. Ich hoffe sehr, dass der echte Übeltäter bald erneut zuschlägt, sobald er sich ausreichend in Sicherheit wiegt. Es gelingt Ihnen dann hoffentlich, ihn zu fassen. Die Dokumente sind lanciert?«



»Ich habe die Dokumente so gespeichert, dass sie zweifellos seine Aufmerksamkeit erregen werden. In ihnen wird von einer umfassenden Untersuchung gesprochen, die nach unserer Rückkehr durchgeführt wird. Er muss also in irgendeiner Form handeln.



Bitte bedenken Sie jedoch, Sir, dass es keine hundertprozentige Garantie gibt. Wenn der Verräter einen Virus oder eine K.I. benutzt, muss er nicht selbst anwesend sein, um das System zu manipulieren. In diesem Fall können wir niemanden vollständig ausschließen. Nur wenn wir davon ausgehen, dass sich die gesuchte Person bei allen Manipulationen an Bord befand und diese selbst durchgeführt hat, können wir einzelne Offiziere von der Verdächtigenliste streichen.«



Jayden führte seine Tasse zum Mund und nippte erneut vorsichtig an dem Getränk. Der künstliche Schokoduft stieg ihm in die Nase, was sofort eine beruhigende Wirkung auf ihn hatte. »Das ist mir bewusst. Wenn unser gesuchter Freund technische Hilfsmittel einsetzt, befindet er sich vielleicht gar nicht mehr an Bord. Es könnte ein Werftarbeiter gewesen sein oder ein Admiral, der Zugriff auf das System hatte.«



Alpha 365 nickte. »Da wir jedoch irgendwo anfangen müssen, habe ich unter der Prämisse, dass der oder die Gesuchte an Bord war, als die Manipulationen erfolgten, mehrere Personen ausgeschlossen. Wie Sie wissen, gehört Commander Kensington dazu. Sie befand sich auf NOVA, als die HYPERION gegen das feindliche Schiff kämpfte und das Signal an einen der Angreifer gesendet wurde.«



Jayden bejahte. »Damit sind Sie selbst ebenfalls von jedem Verdacht befreit, da Sie sich zu diesem Zeitpunkt bei Lieutenant Walker und später auf der Kommandobrücke aufhielten. Doktor Petrova und Doktor Tauser befanden sich auf Pearl und haben nur durch ein Wunder überlebt. Die beiden schließe ich ebenfalls aus.«



»Ebenso kann ich Sie ausschließen, Sir, da Sie sich nicht an Bord befanden, als wir das rentalianische Schiff im Kartas-System angriffen.«



»Das beruhigt mich«, sagte Jayden trocken. »Leider bleibt noch eine Menge Offiziere übrig. Selbst wenn wir die Verdächtigen, wie von Ihnen vorgeschlagen, auf die Crew des Maschinenraums und der Brücke begrenzen.«



»In der Tat. Ich konnte bereits zahlreiche Sekundäroffiziere aufgrund der Personalrotation, ihres Hintergrunds oder ihrer Abwesenheit in bestimmten Situationen ausschließen. Der Kreis wird kleiner.«



»Genau wie unser Zeitfenster. Ich will hier nicht den Pessimisten spielen, aber ich möchte es vermeiden, diese Sache dem Militärischen Abschirmdienst zu übergeben. Die durchleuchten jeden Einzelnen von uns, und das über Monate hinweg.«



»Dem stimme ich zu, Sir. Auch ich würde diese Situation gerne vermeiden. Doch meine Vermutung, dass der Verräter etwas plant, beruht auf logischen Fakten. Im Verlauf meiner Recherche bin ich mehrmals auf deutliche Hinweise gestoßen, dass Commander Kensington hinter alldem steckt. Diese 'Beweise' wurden sehr geschickt in die von mir analysierten Daten eingebettet.«



»Jemand wollte also entweder Commander Kensington aus dem Weg haben oder Ihre Recherchen unterbinden?«



»Ich vermute Letzteres. Sobald der oder die Unbekannte den nächsten Schritt gemacht hat, können wir Miss Kensington aus der Arrestzelle holen. Ich empfehle dringend, dies nicht zu übereilen.«



»Schon klar.« Jayden sah gedankenverloren auf den dünner werdenden Dampf, der aus seiner Tasse stieg. »Kümmern Sie sich weiter um diese Sache und halten Sie mich auf dem Laufenden.«



Alpha 365 erhob sich. »Das werde ich tun, Sir.«



»Ishida an Captain Cross«, erklang die Stimme seiner I.O. aus dem Interkom.



»Cross hier. Was gibt es, Commander?«



»Sir, bitte kommen Sie umgehend auf die Kommandobrücke. Wir haben ein Problem.«



»Wann haben wir mal keines? Ich bin unterwegs.«



Da der Bereitschaftsraum direkt an die Brücke grenzte, hatte Jayden es nicht weit. Seine I.O. stand auf dem leicht erhöhten Kommandopodest, auf dem die Konturensessel des Captains und des ersten Offiziers aufragten. Angespannt starrte sie in den Holotank, der sich im Zentrum des Raumes erhob.



Die Primärkonsolen waren rund um den Holotank angeordnet, die entsprechenden Offiziere saßen dahinter; sie starrten nicht minder verwundert auf die Anzeige als er.



»Was gibt es?« Jayden ließ sich in seinem Sessel nieder, loggte sich in seinen Kommandoaccount ein und besah sich nebenbei die Anzeige. »Was ist das für ein Sonnensystem?«



Seine I.O. sank neben ihm in ihren Konturensessel. »Das, Sir, ist eine gute Frage. Lieutenant Nurakow überprüft das gerade.« Sie deutete auf den Vertreter von Tess Kensington, der hinter der Ortungskonsole saß. »Aber wir sind definitiv nicht einmal in der Nähe des Sol-Systems. Hätten wir keinen Zwischenstopp einlegen müssen, um den Energiespeicherring erneut aufzuladen, wären wir fröhlich weiter in die falsche Richtung geflogen.«



Jayden warf dem Navigationsoffizier einen scharfen Blick zu. »Lieutenant Task, können Sie mir das erklären?«



»Tut mir leid, Sir. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie es zu so etwas kommen konnte.« Task wirkte verwirrt, während er auf seine Konsole starrte. »Der Kurs wurde korrekt eingegeben und vom Computer akzeptiert. Wir dürften gar nicht hier sein.«



Mit zusammengebissenen Zähnen zischte Jayden seiner I.O. leise zu: »Ich habe die Schnauze endgültig voll!« Er warf dem Alpha, der am Eingangsschott Position bezogen hatte, einen Blick zu. »Legen Sie los.«



Der Sicherheitschef nickte und verließ die Kommandobrücke. Natürlich hatten er und der Alpha vermutet, dass der Verräter wieder zuschlug, doch Jayden hatte auf einen Funkspruch oder ein ausgesandtes Bergungssignal gehofft, nicht auf etwas Derartiges.



»Ich habe Commander Lorencia bereits damit beauftragt herauszufinden, was vor sich geht. Ein so umfangreicher Eingriff muss im System seine Spuren hinterlassen haben. Wenn wir das Schlupfloch finden, das dafür benutzt wurde, können wir es auch schließen.«

 



»Das will ich hoffen. Kommen wir in der Zwischenzeit hier weg?«



Ishida schüttelte den Kopf. »Wir mussten den Interlink-Flug unterbrechen, weil wir keine Energie zum Weiterflug mehr besitzen. Vor einem erneuten Flug muss der Speicherring aufgeladen werden.«



Jayden atmete schwer aus. »Lieutenant Nurakow, schleusen Sie Sensorplattformen aus, die uns rechtzeitig vor unliebsamen Gästen warnen. Commander Akoskin, führen Sie eine Taktikberechnung durch und bereiten Sie sich auf einen Kampf vor.«



»Sir«, sagte seine I.O. leise. »Die HYPERION ist momentan ein fliegender Trümmerhaufen. Wir haben kaum noch Torpedos, der Laser funktioniert nur mit gutem Zureden und die Schilde … ich will gar nicht weiterreden. Wenn wir angegriffen werden, sind wir chancenlos. Wir können nicht einmal improvisieren.«



»Ich weiß. Aber das auszusprechen wird der Moral nicht gerade zuträglich sein. Ich will …« Ein rot blinkendes Signal erschien auf seiner Konsole und machte ihn auf eine eingegangene Nachricht aufmerksam.



Jayden öffnete sie. Beunruhigt überflog er die Zeilen.



»Sir?« Seine I.O. sah ihn von der Seite an. »Stimmt etwas nicht?«



»Ich habe eine Nachricht von der nächstgelegenen Phasenfunk-Station erhalten. Die K.I. hat unser Signal aufgefangen und eine automatische Statusmeldung generiert. Das Relais-Netz ist deaktiviert. Anscheinend wurde es flächendeckend abgeschaltet.«



Ishida riss die Augen auf. »Aber wieso? Was ist da passiert?«



»Ich weiß es nicht«, sagte Jayden, während er versuchte, seinen rasenden Puls zu beruhigen. »Diese Nachrichten werden im Ernstfall automatisch generiert. Da wir im Verlauf unseres Fluges wegen der verdammten Beschädigungen keinen Kontakt zum Phasenfunk-Netz hatten, bekamen wir automatisiert die notwendigsten Informationen mitgeteilt. Den anderen Schiffen wird es ähnlich ergehen.«



»Hängen Befehle mit an?«



»Position halten, falls keine anderslautenden Ordern vorliegen. In unserem Fall hat Admiral Sjöberg aber anders entschieden, wie Sie wissen. Wir begeben uns schnellstmöglich zurück zur Erde.«



»Als er diese Befehle gab, wusste er noch nicht, … nun … was auch immer geschehen ist.«



»Nein, aber das spielt keine Rolle.« Jayden ließ die Nachricht von seinem Display verschwinden. »Wir kehren gemäß der erhaltenen Order zurück, dann sehen wir weiter.«



»Was auch immer vor sich geht: Ich fürchte, die Space Navy muss noch eine ganze Weile ohne uns auskommen, Sir. Wir werden so schnell nirgendwohin fliegen.«





*




Alpha 365 berührte das Icon für die Zellenversiegelung. Geschmeidig fuhr das transparente Schott zur Seite.



»Sie können gehen, Commander«, sagte er.



Tess erhob sich, trat auf den Sicherheitschef zu und fragte: »Es hat also funktioniert?«



»In der Tat.«



Tess nickte. Ihr anfängliches Entsetzen über die Verhaftung war aus der Angst entstanden, dass der Sicherheitschef die wahre Identität von Zev Buckshaw aufgedeckt haben könnte, der immerhin unter falschem Namen in der Space Navy diente. Sollte das der Admiralität zu Ohren kommen, würde sie sich vor einem Militärgericht wiederfinden. Der Alpha hatte ihr erklärt, dass es einen Saboteur an Bord gab, er und der Captain sie aber aus dem Kreis der Verdächtigen ausschlossen. Man hatte sie in diese Zelle geworfen, um den wahren Schuldigen aus seinem Versteck zu locken. Im Nachhinein hatte es sich als Glücksfall erwiesen, dass sie sich zum Zeitpunkt der Schlacht um die NOVA-Station auf dieser befunden hatte. Sie war damit von jedem Verdacht befreit.



Sie trat durch das geöffnete Schott. »Was ist passiert?«



»Das Schiff ist mitten im Nirgendwo aus dem Interlink gekommen«, sagte der Alpha gelassen. »Da wir aktuell keine Energie mehr besitzen, um weiterzufliegen, sitzen wir vorerst hier fest.«



In derartigen Situationen beneidete Tess den Sicherheitschef um das Fehlen jeglicher Gefühle. Das Schiff hatte gerade eine Schlacht hinter sich und konnte eine zweite nicht überstehen. Auf die damit einhergehende Angst hätte sie gerne verzichtet.



Reiß dich zusammen, Lieutenant Commander Kensington, befahl sie sich selbst. »Also gut, wer ist es? Wer ist verantwortlich für diesen ganzen Mist?«



»Das konnten wir bisher noch nicht eruieren«, gab der Alpha zu. »Einmal mehr führen die Spuren ins Nirgendwo. Doch eine derartig gravierende Manipulation

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