River & Matt

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Auf Messers Schneide

„Wieso steht’n dein Streifenwagen vorm Haus?“, fragte Matt, als sie sich ihrem Zuhause näherten.

„Der steht in der Garage“, widersprach River und riss sich von seinen Tagträumen los. Er blinzelte, als er den Wagen vorm Haus sah.

„Kollegen von dir, die dir frohe Weihnachten wünschen wollen?“

„Möglich. Wenn auch eher unwahrscheinlich.“ Er setzte sich aufrechter hin und runzelte die Stirn.

Als sie in der Einfahrt parkten, öffneten sich beide Türen des Streifenwagens.

River warf Matt einen verwirrten Blick zu. „Kenn ich nicht“, murmelte er.

„Officer McKenzie?“

„Der bin ich“, gab er sich zu erkennen und ging mit Matt auf die beiden Cops zu.

„Ich bin Officer Moore, das ist mein Kollege Officer Baker“, stellten sie sich vor. „Wir suchen Matthew Buck, der soll zurzeit bei Ihnen wohnen.“

„Ich bin Matthew Buck. Was ist los?“

River kämpfte den Impuls nieder, sich schützend vor Matt zu stellen. Hat diese Schlampe ihn nun wirklich angezeigt? An Weihnachten?

„Können Sie bitte mit uns kommen? Es eilt.“

„Wieso?“, platzte es aus River heraus, doch Matt fragte unisono das Gleiche.

„Joey Donald ist Ihr Sohn, richtig?“

„Ja.“

Rivers Nackenhaare sträubten sich. Diese mistige …

„Kommen Sie! Er droht, sich etwas anzutun, und will unbedingt seinen Vater sprechen. Er hat sich im Haus verschanzt. Wir suchen Sie seit Stunden.“

„Was?“ River starrte Matt an, der wie versteinert dastand.

„Oh mein Gott“, murmelte Matt und trat vor.

„Fahr zu, ich komm mit meinem Streifenwagen nach!“ River gab Matt einen Schubs.

River fuhr den voll beladenen Pickup in die Garage, stieg in den Streifenwagen um und fuhr dann dem mit Blaulicht und Sirene davonrasenden Wagen hinterher. Sein Herz hämmerte wie wild.

Nach wenigen Minuten sah er bereits mehrere Polizeiwagen vor einem Haus stehen und hielt darauf zu. Er parkte und sprang aus dem Wagen. Sein Blick irrte umher, auf der Suche nach der Mutter. Er musste damit rechnen, dass sie ihn vor all den Kollegen anging, doch er konnte sie nirgends erblicken.

Matt war mit den beiden Beamten nur Sekunden vor ihm eingetroffen und wurde noch über die momentane Lage informiert.

„Wo ist die Mutter?“, zischte River.

„Im Streifenwagen dort drüben. Einer unserer Psychologen ist vorm Haus, gleich neben der offenen Haustür. Der Junge hält sich ein riesiges Fleischermesser an die Kehle. Da er behauptet hat, seine Mutter hätte ihn mehrfach verprügelt, haben wir sie im Streifenwagen festgesetzt. Sie hat eine riesige Szene gemacht und die Kollegen beschimpft, sie sollen verschwinden. Sie trägt Handschellen.“

Matt war kreidebleich und fuhr sich fassungslos über den Mund.

River fragte sich, ob das mit dem Verprügeln stimmte. Falls ja, würde das Matt wunderbar in die Hände spielen, das Sorgerecht einzuklagen. Aber erst mussten sie Joey hier heil rausbekommen. Kein Wunder, dass der Junge durchdrehte! Himmel noch mal, es ist Weihnachten!

Ein weiterer Mann in Zivil trat auf sie zu und sprach Matt mit sanfter Stimme an. Ein Psychologe, schoss es River durch den Kopf.

„Ich bin Dr. Quinn. Mein Kollege hier hat Ihnen schon alles erklärt?“

Matt nickte.

„Sind Sie in der Lage, mitzukommen und zu versuchen, zu Joey durchzudringen? Er will Sie unbedingt sehen. Wir wissen, dass die Mutter es ihnen untersagt hat, aber es liegt nichts gegen Sie vor. Daher: Bitte helfen Sie uns, dass das hier unblutig zu Ende geht!“

„Ja, natürlich. Was soll ich tun?“

„Kommen Sie! Am besten Sie gehen zu meinem Kollegen an die Tür, da kann Joey Sie sehen. Rufen Sie ihn. Reden Sie mit ihm!“

Matt starrte zu River, dann zu den Cops. „Verhaften Sie Joey, wenn das hier durch ist?“

Die Beamten schüttelten den Kopf und Officer Moore sagte: „Er sollte durchgecheckt werden. Sanitäter werden ihn ins Krankenhaus bringen und er wird mit einem Psychologen reden müssen. Alles andere müssen Sie zivilrechtlich klären, ich meine, wenn Sie das Sorgerecht beantragen wollen. Aber erst müssen wir ihn davon abhalten, sich was anzutun.“

„Okay. Ich bin bereit.“

„Kommen Sie“, sagte der Psychologe und Matt folgte dem Mann durch den Vorgarten. „Rufen Sie ihn“, hörte River den Mann Matt auffordern.

„Joey? Joey, ich bin hier, hörst du? Dad is’ hier. Komm an die Tür und schau!“

River beobachtete die Szene mit einem Kloß im Hals. Ihm gefror das Blut in den Adern, als die Tür weiter aufgezogen wurde und er Joey sah, der mit weit aufgerissenen Augen und einem schweißüberströmten Gesicht hinausstarrte und sich dabei ein Messer an die Kehle hielt, das eine dreißig Zentimeter lange Klinge hatte.

River fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht und starrte über seine Finger über den Rasen. Bitte, lieber Gott!

„Dad?“ Joeys Stimme zitterte.

„Joey, lass das Messer fallen! Ich flehe dich an!“

River wusste, dass Matt Tränen in den Augen hatte, obwohl er ihn gerade nur von hinten sah. Auch ihm ging es ähnlich.

„Ich will hier raus, Dad! Wie du! Ich ertrage es nicht mehr!“

„Alles gut, alles gut. Es wird alles gut, Joey.“

„Sie schlägt mich, Daddy! Sie hat mich hier eingesperrt. Ich durfte nur zweimal am Tag aufs Klo!“

„Warum? Hat sie dir wenigstens gesagt, warum sie dich einsperrt?“

„Weil sie Angst hat, ich lauf zu dir. Sie will das nicht. Ich hasse sie!“

„Schon gut. Lass bitte das Messer fallen, Joey! Bitte!“

„Weinst du, Daddy?“

„Ich hab ’ne Scheißangst um dich!“

Joey ließ das Messer etwas sinken.

„Bitte wirf es weg und komm her.“

Und dann ging alles ganz schnell. Joey ließ das Messer fallen und rannte durch die Tür auf seinen Vater zu. Im nächsten Moment lagen sich Vater und Sohn in den Armen und weinten.

River schloss die Augen und hörte ein allgemeines Aufatmen unter seinen Kollegen.

„Halleluja“, murmelte Officer Moore neben ihm. „Das war fünf vor zwölf.“

Sanitäter kamen näher und gingen neben Matt und Joey in die Hocke, die dort immer noch vor der Haustür knieten.

River zog sein Handy aus der Hosentasche und schaltete es ein. In der Wüste hatten er es ausgehabt, um Akku zu sparen, da es dort eh keinen Empfang gab. Während er die eingehenden Nachrichten und Weihnachtswünsche ignorierte, suchte er nach einer Nummer. Dann rief er eine gute Freundin an, die Anwältin für Familienrecht war. Sie wohnte eine Viertelstunde entfernt. Nachdem er sich für die Störung an Weihnachten entschuldigt hatte, erklärte er ihr die brisante Situation.

„Ich komme. Bin in zwanzig Minuten da.“

„Du bist unglaublich, Sarah. Danke! Bis gleich.“

Er ließ das Handy wieder verschwinden und sah, dass Joey gerade tränenüberströmt von den Sanitätern in den Krankenwagen verladen wurde, während Matt von draußen auf ihn einredete.

„Was is’ los?“

„Er muss ins Krankenhaus.“

„Sarah is’ unterwegs. Sie ist Anwältin für Familienrecht. Sie hilft dir.“

„An Weihnachten?“

„Ja, an Weihnachten. Sie ist eine sehr gute Freundin. Hol den Vaterschaftstest. Beantrage das Sorgerecht im Eilverfahren. Ich kümmer mich um Joey und fahre mit ins Krankenhaus, wenn sie mich lassen.“

„Onkel River? Bist du das?“

„Ja, Joey. Ich fahr euch hinterher, is’ das okay?“

„Und Daddy?“

„Der kommt nach. Ich erklär dir alles. Okay?“

„Okay.“

„Kommen Sie, Sir. Wir müssen los.“

Zum ersten Mal war River überglücklich, dass Joey ihn Onkel nannte, denn die Sanitäter hinterfragten es nicht.

„Ich hab dich ganz doll lieb, Großer. Wir sehen uns gleich, okay?“, rief Matt.

„Ich dich auch, Daddy. Onkel River passt auf mich auf. Er macht die Polizeieskorte!“

„Das ist gut.“

Der Sanitäter nannte River das Krankenhaus und er nickte.

„Sarah müsste gleich hier sein. Warte auf sie!“

„Mach ich. Ich muss eh noch mit deinen Kollegen hier reden.“

River nickte, dann knallten die Sanitäter die Türen zu und er stieg in seinen Streifenwagen.

Einige Stunden später klopfte es an Joeys Zimmertür und Matt erschien. Er wirkte erschöpft, aber glücklich.

„Daddy!“

„Hi, Großer.“ Er lächelte und Joey umarmte ihn. „Sorry, dass das so lange gedauert hat.“

„Vorsicht, er hängt am Tropf“, warnte ihn River.

Matt löste sich von ihm und runzelte die Stirn. „Wieso das denn?“

„Sie hat ihm wohl seit Tagen nichts zu essen gegeben. Er hat nur Wasser getrunken, wenn sie ihn aufs Klo gelassen hat.“

„Das hat gestimmt, was du gesagt hast? Sie hat dich allen Ernstes eingesperrt?“ Matt starrte Joey mit einem fassungslosen Blick an.

Joey nickte. „Und da die Fenster unten diese Ziergitter haben, konnte ich auch nicht rausklettern. Ich hasse sie, Dad. Ich will sie nicht mehr sehen.“

„Musst du auch nicht.“

„Es kommt noch schlimmer“, sagte River und zeigte auf Joeys blutverkrusteten Mundwinkel. „Das war er nicht selber mit dem Messer.“ Er konnte hören, wie Matt mit den Zähnen knirschte. „Lehn dich mal nach vorne, Joey.“ River stand auf und zog das T-Shirt hoch.

Matt starrte auf Joeys Rücken, der mehrere Hämatome aufwies, und ihm entfuhr ein entsetzter Laut. „Wie ist das passiert?“

„Schürhaken“, murmelte Joey. „Sie ist völlig ausgerastet, weil ich dich letzthin auf der Straße gesehen hab und dir zugerufen hab, dass ich dich liebe. Als wir wieder daheim waren, hat sie mich damit verprügelt und dann ins Zimmer gesperrt.“

 

„Das ist fünf Tage her!“

Joey nickte und biss sich auf die Lippe. „Heute konnte ich nicht mehr und hab mir das Messer geschnappt, als ich nach’m Klo kurz in der Küche war. Irgend so ’n Typ war grad an der Tür, daher hat sie es nicht bemerkt. Ich hab geschrien, sie soll mit dem Typ vor die Tür gehen, oder ich, ich …“ Joey schluckte. „… tu mir was an. Daddy, ich hätte das nie wirklich gemacht, glaubst du mir?“

Matt nickte.

„Aber ich hatte Angst, wenn ich einfach weglaufe, dann erwischt sie mich vielleicht vorher, und so. Der Mann hat sie rausgezogen und dann auch die Polizei gerufen. Die waren in Nullkommanix da.“

„Die Klinik hat das Jugendamt informiert und ich hab ihnen auch Sarahs Nummer gegeben“, erklärte ihm River.

„Deshalb ging das wohl so schnell“, murmelte Matt.

„Es ist alles geregelt?“

„Vorläufig. Ja. Es wurde eine Übergangsregelung von dreißig Tagen getroffen. Bis dahin sollte alles in trockenen Tüchern sein. Sie haben seine Mutter verhaftet. Sie wird angeklagt.“

Geschieht ihr recht!, dachte River, sprach es aber vor Joey nicht laut aus.

„Muss ich jetzt ins Heim?“, fragte Joey und riss ihn aus seinen Gedanken.

„Was? Nein, wo denkst du hin! Ab jetzt gibt’s nur noch dich und mich. Ich hab das Sorgerecht für dich beantragt.“

„JAAAA!“ Joey fiel ihm wieder um den Hals und drückte ihn so fest, dass Matt fast die Luft wegzubleiben schien.

„Wie schaffst du das nur, dachte, du hast nix gegessen?“

„Hatte noch ein bisschen Schokolade“, gestand er. „Musste sie mir aber gut einteilen, so wie du mir das immer erklärt hast, wenn man sich in der Wildnis verirrt.“

„Gut gemacht.“

River stand auf. „Übrigens: Wenn die Infusion durch ist und du dein Einverständnis gibst, kannst du ihn nachher mitnehmen. Es gibt keinen Grund, ihn über Nacht hierzubehalten, hat der Doc gesagt. Die blauen Flecken verheilen hier auch nicht schneller“, erklärte er. „Der Polizeipsychologe hat auch schon mit Joey gesprochen. Das ist alles.“

Matt stand ebenfalls auf. „Ich will kurz mit dem Doc reden, können wir dich grad mal alleine lassen?“

„Mhmm.“

Matt nickte zur Tür und River folgte ihm.

Draußen fuhr er sich mit beiden Händen durchs Gesicht und River sah, dass sie zitterten. „Ich fasse es nicht, dass sie ihm sowas antun konnte“, murmelte er und River war klar, dass er sich im Zimmer maßlos am Riemen gerissen hatte, als er ihm Joeys Hämatome gezeigt hatte.

„Das sollte sie für eine Weile aus dem Verkehr ziehen. Kindesmisshandlung und Freiheitsentzug ist kein Pappenstiel.“

Matt fuhr sich durch die Haare. „Oh, Mann.“

„Geh wieder zu ihm. Ich fahr derweilen nach Hause. Er braucht dich jetzt. Der Doc meinte, die Infusion könnte noch ’ne Weile dauern.“

„Okay. Wir sehen uns dann.“

Als River seinen Streifenwagen in der Garage parkte und ausstieg, blieb sein Blick am immer noch vollbepackten Pickup-Truck hängen.

Er stützte sich am Rahmen der offenen Ladefläche ab und ließ den Kopf hängen.

War’s das jetzt schon wieder?

Was passiert jetzt?

Will Matt immer noch mit mir zusammen sein? Natürlich ist Joey allererste Priorität, das würde mir nicht anders gehen. Aber wie geht es jetzt weiter?

Seine Gedanken begannen, Achterbahn zu fahren.

Auf der ganzen Heimfahrt von Yucca Valley hatte er an nichts anderes denken können, als nach Hause zu kommen und mit Matt zu duschen. Nicht mehr, nicht weniger. Er hätte ihn natürlich nicht unter der Dusche vernascht.

Was sich in der Wüste angebahnt hatte, empfand er fast als etwas Heiliges. Er wollte es richtig machen, langsam machen. Matt um Gottes willen nicht überfordern.

Zwangsläufig musste er an seine letzte wilde Nacht mit Darron denken, als der ihn vier Mal zum Orgasmus gevögelt hatte. Aber wirklich etwas empfunden hatte er dabei nicht. Es war nur Druckablassen gewesen.

Letzte Nacht hingegen war er nur beim Küssen gekommen. Beim Küssen! Weil es das Erotischste war, das er je erlebt hatte. Matt dabei im Arm zu halten, ihn von Kopf bis Fuß zu spüren, ihm in die Augen zu sehen. Das war der Hammer gewesen.

Leise stöhnend fuhr er sich mit beiden Händen durchs Gesicht und als er aufsah, stellte er fest, dass der Truck leer war. Er sah sich verwirrt um.

Anscheinend hatte er ihn tief in Gedanken fast mechanisch abgeladen.

Stirnrunzelnd schloss er die Garage und ging ins Haus. Tatsächlich.

Er seufzte, trug Matts Rucksack und andere Dinge in sein Zimmer und räumte seine ebenfalls auf.

Dann duschte er lange und wieder dachte er dabei an Matt, aber er war zu verwirrt und besorgt, um dabei erotische Gefühle zu haben. Schließlich trocknete er sich ab, zog sich an und machte sich einen Kaffee. Danach bezog er das zweite Bett in Matts Zimmer für Joey.

Er überlegte, ob er Matt eine Nachricht schicken sollte, doch dann sah er sein Handy auf dem Nachttisch liegen.

Seufzend nahm er seinen Kaffeebecher und setzte sich vor den Fernseher. Allerdings bekam er überhaupt nichts davon mit, was dort auf der Mattscheibe passierte.

Schließlich hörte er die Haustür und Stimmen. Erleichtert schaltete er aus, stand auf und ging den beiden entgegen.

Joey war bleich, wirkte aber glücklich. Wenigstens hat er den Jungen mitbekommen!, schoss es ihm durch den Kopf.

„Joey wollte unbedingt Pizza, also haben wir welche mitgebracht. Hast du schon was gegessen?“, fragte Matt.

Jetzt sah er auch den riesigen Familienkarton, den Matt schon auf den Esstisch gelegt hatte. In diesem Moment knurrte Rivers Magen so sehr, dass es fast wehtat. „Ihr seid meine Rettung!“

Kurz darauf aßen sie zum ersten Mal zu dritt an Weihnachten zu Abend.

„Ich wollte immer schon mal Pizza als Weihnachtsessen“, sagte Joey. „Endlich wird der Wunsch mal wahr.“

„Ich hab dir das andere Bett bei deinem Dad im Zimmer hergerichtet.“

„Klasse! Ich bin auch ehrlich gesagt todmüde.“

River nickte. „Man sieht es dir an.“

Joey sah mit einem sehnsüchtigen Blick auf die restliche Pizza. „Oh Mann, ich wünschte, ich könnte alles aufessen.“

„Hey, Großer, morgen is’ auch noch ein Tag und sollten River und ich den Rest aufessen, kaufen wir ’ne neue, hm? Ich werd dich garantiert nicht hungern lassen.“

Joey nickte und ein Schatten flog über sein hübsches Gesicht mit den Grübchen. River wusste, er dachte vermutlich an die letzten Tage. Es war gut, dass er das zweite Bett bei Matt und nicht ein anderes Zimmer hergerichtet hatte. Joey bekam vielleicht Alpträume und dann war es gut, wenn Matt in der Nähe war.

„Ich räum schon ab, sieh zu, dass du ihn ins Bett bringst“, sagte River lächelnd.

Doch sein Lächeln erstarb, als sich die Tür hinter Matt und Joey schloss und sein Herz wurde schwer. Es war gerade mal acht Uhr durch.

Wenig später landete er wieder im Wohnzimmer, fühlte sich dort aber noch schlechter und zog sich schließlich in sein Schlafzimmer zurück, wo er sich aufs Bett setzte und den Fernseher einschaltete.

Wie lange er so dagesessen hatte, wusste er nicht, aber irgendwann klopfte es leise.

Sein Kopf ruckte herum.

„Darf ich reinkommen?“

„Klar.“

Matt schob sich herein. Seine Haare waren noch feucht vom Duschen und er hatte sich umgezogen. „Er schläft. Aber ich will die Tür einen Spalt offen lassen, falls was is’. Is’ das okay?“

River nickte und schaltete den Fernseher wieder aus.

Matt hob zwei Bierdosen an. „Lust auf ’nen Absacker oder hast du schon?“

„Gerne. Ich hab mir überhaupt nix zu trinken mitgenommen, merk ich grad.“ Er fuhr sich durch die Haare und griff nach einer Dose, während Matt sich aufs Bett setzte.

Schweigend nahmen sie den ersten Schluck.

River überlegte, was er sagen sollte, doch auch Matt hing offenbar seinen Gedanken nach, daher zog sich das Schweigen auch über einige Minuten.

„Du fragst dich sicher, ob ich das von letzter Nacht immer noch so meine, hm?“, brach Matt schließlich die Stille. Seine Stimme war sanft und mitfühlend, aber direkt wie eh und je.

Fuck! Das war’s jetzt wohl, schoss es River durch den Kopf. Er merkte, wie seine Hand mit der Dose zu zittern anfing.

Er sah überrascht auf, als Matt sich neben ihn setzte. River hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass er aufgestanden und ums Bett herumgegangen war.

Matt nahm ihm die Dose ab und stellte sie zusammen mit seiner auf den Nachttisch. Stattdessen nahm Matt seine Hand.

„Hör zu!“

River schluckte.

„Ich bin letzte Nacht über einen Schatten gesprungen, der mein halbes Leben vor mir hergerannt ist und mir immer eine Nasenlänge voraus war. Ich werde jetzt garantiert keinen Rückzieher machen“, sagte er mit leiser, aber eindringlicher Stimme.

Rivers Herz begann fast schmerzhaft zu klopfen. Aber?, fragte er sich, doch dann küsste ihn Matt und er lehnte augenblicklich wieder mit dem Rücken am Felsen. Und wieder war der Kuss fast magisch für ihn.

Matt setzte ab und strich ihm über seinen Fünftagebart. „Hast du dich nur noch nicht rasiert, weil ich dir gestanden habe, wie sexy ich den finde?“

„Mhmm.“

Matt lächelte. „Also willst du es auch immer noch?“

„Machst du Witze?“

Matt sah zum Fenster. „Joey is’ im Krankenhaus immer wieder eingeschlafen und ich hatte viel Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, wie ich ihm das mit uns beibringen soll.“

„Und?“, fragte River leise.

„Ich glaube, er ahnt eh schon was.“

„Wie kommst du darauf?“

„Mir sind viele Gespräche durch den Kopf gegangen und Kommentare, die er so im Laufe der Zeit abgelassen hat. Ich mein das ernst, ich glaub, er ahnt wirklich was.“

„Is’ das jetzt gut oder schlecht?“

„Er liebt dich … Onkel River“, sagte Matt mit einem Augenzwinkern.

River konnte nicht anders, er musste lachen.

„Ich hoffe, ich konnte ihn lehren, dass es völlig egal ist, wen man liebt, welche Religion man hat oder welche Hautfarbe. Unsere Freundschaft ist ein gutes Beispiel für unsere Offenheit. Ich hoffe, er hat das von mir und nicht so viel von seiner Mutter.“

„Ich weiß, dass er mich schon immer so akzeptiert hat, wie ich bin. Und dass er mich Onkel River nennt, so sehr mich das auch nerven mag, sagt ja eigentlich schon alles.“

„Seh ich auch so.“

„Mhmm.“

„Ich hätte es ihm natürlich am liebsten sofort gesagt, aber ich wollte ihn auf keinen Fall überfordern.“

„Schon klar, er muss erstmal verarbeiten, was da passiert ist. Nicht auszudenken, wenn wir länger geblieben wären.“

„Es passiert nix umsonst, hm? Und was uns betrifft …“

„… haben wir alle Zeit der Welt“, sagten sie dann unisono und grinsten.

Matt drückte ihm noch einen Kuss auf die Lippen und stand auf. Er nahm sein Bier und ging wieder auf die andere Seite des Bettes. River sah ihm glücklich nach, als er es sich wieder bequem machte. Er hatte keine Angst mehr, dass die Welt morgen vielleicht weniger rosig aussähe, wenn er vielleicht doch einschlafen würde.

Stunden später lagen sie immer noch völlig bekleidet im Bett und redeten. Vor allem über das, was mit Joey passiert war, aber auch über anderes.

Irgendwann mussten sie wohl doch eingeschlafen sein, denn River wachte auf, als sich Matt neben ihm ruckartig aufsetzte.

Als er die Augen öffnete, sah er Joey am Fußende des Bettes stehen. Ihm wurde erst eiskalt, dann heiß. Erst dann sah er, dass Joey von einem Ohr zum anderen grinste.

„Sorry, dass ich euch geweckt hab. Ihr habt total süß ausgesehen.“

River warf Matt einen unsicheren Blick zu.

Der räusperte sich. „Hey, Großer, ich, äh, wir haben noch ziemlich lang gequatscht und da müssen wir wohl eingeschlafen sein. Sorry, dass du aufgewacht bist, und ich war nicht da.“

„Kein Problem, ich kenn mich hier ja aus.“ Joey ließ sich aufs Bett plumpsen und sah von einem zum anderen. „Heißt das, ich krieg dann das andere Zimmer ganz für mich allein, wenn du ab jetzt bei Onkel River schläfst?“

River musste sich auf die Zunge beißen, um nicht laut loszulachen. DAS ist definitiv dein Sohn! Kein Blatt vor den Mund und immer schön raus damit.

„Äh …“, hörte er Matt sagen.

Joeys Grinsen wurde noch breiter. „Cool! Es is’ nämlich viel größer als mein altes Zimmer.“ Er runzelte die Stirn. „Du schläfst doch ab jetzt bei Onkel River, oder? Ich meine … hast du’s ihm endlich gesagt?“

 

„Was gesagt?“, fragte Matt sichtlich verwirrt.

Joey stöhnte. „Na, dass du ihn liebst!“

Matt schluckte hörbar.

Na, jetzt bin ich ja mal gespannt, dachte River amüsiert und beobachtete Vater und Sohn, die sich unverwandt in die Augen sahen.

„Wär das denn okay für dich?“, fragte Matt mit leiser Stimme.

Statt einer Antwort fiel Joey seinem Dad um den Hals. „Total“, murmelte er ihm ins Ohr.

„Ich hab dich so doll lieb, Großer!“

„Ich dich auch.“ Joey löste sich von Matt und hob die Hand, sodass River ihn abklatschen konnte. „Hast du Daddy auch so lieb, wie er dich?“, wollte er dann noch wissen.

„Mhmm. Allerdings.“

„Gut! Dann bin ich beruhigt.“ Er sah wieder seinen Dad an. „Mit dir und Onkel River in einem Haus zu leben, wird einfach toll werden.“

„Äh, Joey?“, meldete sich River zu Wort.

„Hm?“

„Vielleicht kannst du ja mal versuchen, den vermaledeiten Onkel wegzulassen?“, fragte er vorsichtig.

Joey grinste.

„Klingt ’n bisschen komisch, vor allem jetzt, wo, äh … na ja, du weißt schon …“ Er zeigte auf Matt und sich.

„Ich kann’s ja mal versuchen“, schlug Joey vor und machte dann die Siegerfaust. „Ich muss das unbedingt Song Li erzählen. Ihr ist das zuerst aufgefallen. Schon vor einem halben Jahr, als wir den Garten bei dir gemacht haben.“

„Song Li?“, fragte River verwirrt.

„Meine Freundin. Die kennst du doch. Die hat die ganzen Blumen gepflanzt.“

„Ach die, ja.“ River erinnerte sich an eine hübsche Asiatin in Joeys Alter, die mitgeholfen hatte, als sie den Garten neu gemacht hatten.

„Darf die mich auch besuchen? Mum … sie wollte auch das nicht. Meinte, so eine kommt ihr nicht ins Haus.“

„Sie is’ wirklich süß“, sagte Matt.

„Klar darf sie dich besuchen“, bestätigte River.

„Und das Zimmer hat sogar zwei Betten!“, triumphierte Joey. „Vielleicht darf sie ja sogar mal über Nacht bleiben.“

„Mal sehen. Aber was das Zimmer betrifft, haben wir noch andere Pläne, Großer.“

„Ach ja?“

„Mhmm. Wir wollen das Dachgeschoss ausbauen und haben auch schon angefangen. Dann haben wir eine Menge Platz und du würdest dein eigenes Reich mit Bad bekommen. Wie findest du das?“

„Au ja! Das ist so ein tolles Haus! Das wird ein Spaß! Können wir gleich hochgehen und gucken?“

Matt sah auf die Uhr. Es war bereits nach Mitternacht. „Morgen, hm?“

„Na, gut.“

„Wieso bist du eigentlich aufgewacht. Hast du schlecht geträumt?“

Joey schüttelte den Kopf. „Ich hab noch Hunger. Is’ noch Pizza da?“

„Oh. Ja, ein paar Stücke sind noch über.“

„Darf ich die essen?“

„Klar.“

Joey stand auf.

„Äh, und Joey. Sorry, dass ich keine Geschenke habe. Wegen der ganzen Scheiße, is’ das völlig untergegangen. Aber ich versprech dir, wir ziehen morgen los und kaufen dir welche, okay?“, sagte Matt mit betretener Miene.

Doch Joey grinste nur und schüttelte den Kopf. Dann zeigte er auf River, dann auf Matt und schließlich in einer Geste auf das ganze Haus. „Nicht nötig, Dad. Das hier alles ist das allerbeste Weihnachtsgeschenk!“