Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg

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(2) Inhalt der Hochschulselbstverwaltung

(a) Institutionelle Garantie und geschützter Kernbereich

166

Anspruchsvolle Wissenschaft braucht einen institutionellen Rahmen. Es genügt also nicht, die wissenschaftliche Tätigkeit des Einzelnen zu schützen, vielmehr ist auch eine Gewährleistung der für die wissenschaftliche Tätigkeit unverzichtbaren institutionellen Rahmenbedingungen notwendig. Das Grundgesetz kennt in Form von institutionellen Garantien[158] in verschiedenen Bereichen den Schutz von institutionellen Strukturen, die für den Bestand der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung der Bundesrepublik als unentbehrlich angesehen werden. Dazu gehört auch ein Hochschulsystem, das im Bereich der wissenschaftlichen Tätigkeit frei von staatlichen Einflüssen ist.[159] In diesem Sinn ist Art. 20 LV zu verstehen: Die Hochschule wird von der Verfassung als Institution anerkannt und geschützt, damit in ihrem institutionellen Rahmen eine vom Staat nicht beeinflusste Wissenschaft stattfinden kann.[160] Garantiert wird damit ein organisationsrechtlicher Status der Institution „Hochschule“, der sicherstellt, dass die geschützte Freiheit in Wissenschaft, Forschung und Lehre auch für alle in der Institution tätigen Wissenschaftler gewährleistet ist.[161] Damit verbunden ist das Recht auf Selbstverwaltung für diesen geschützten Bereich.

167

Die Hochschulselbstverwaltung ist nicht vergleichbar mit der kommunalen Selbstverwaltung und genießt insoweit auch nicht den gleichen verfassungsrechtlichen Schutz.[162] Gemeinden sind als Gebietskörperschaften in Bezug auf einen regionalen Bereich obligatorisch existent und haben nach Art. 28 II GG das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.[163] Sie haben eine eigene Volksvertretung, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist (Art. 28 I 2 GG).[164] Die demokratisch-egalitäre[165] Gleichstellung, die für Staatsbürger gilt, gilt gerade bei Mitgliedern der Hochschule nicht; in der Hochschule wird nach Funktion und Betroffenheit differenziert. Bei den Gemeinden steckt Art. 28 II GG selbst den Rahmen der Zuständigkeit ab, während bei allen Organisationen der funktionalen Selbstverwaltung die Aufgaben und die Gesamtstruktur der Einrichtung vom Gesetzgeber festgelegt werden,[166] ebenso der Umfang der Satzungsautonomie.[167] Dass der Gesetzgeber dabei die vom Verfassungsrecht gesetzten Grenzen, die sich beispielsweise aus der Wissenschaftsfreiheit ergeben, beachten muss, ist selbstverständlich.

168

Den Hochschulen wird mit der Wissenschaftsfreiheit sowohl durch Art. 5 III 1 GG wie auch durch Art. 20 I, II LV ein Kernbestand von Selbstverwaltung garantiert, der durch den Gesetzgeber nicht eingeschränkt werden darf. Im Übrigen aber überlassen es GG und LV dem Gesetzgeber („im Rahmen der Gesetze“), den Umfang der Selbstverwaltung und damit verbunden den Umfang der staatlichen Mitwirkung zu bestimmen. Das bedeutet konkret, dass es einer Abgrenzung des von staatlichen Einwirkungen freien „Kernbereichs“ der Selbstverwaltung von dem der staatlichen Regelungsgewalt unterworfenen Bereich bedarf.[168] Zur Abgrenzung greift der StGH auf die zu Art. 20 I LV und Art. 5 III 1 GG entwickelten Grundsätze zurück und kommt letztlich unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG[169] zu der Verpflichtung, „Forschung und Lehre als einen Bereich autonomer Verantwortung der Hochschule und des einzelnen Wissenschaftlers von staatlicher Fremdbestimmung freizuhalten“. Ausdrücklich betont der StGH, dass

„gerade der bei Inkrafttreten der LV in der geschichtlichen Entwicklung der Hochschulen erreichte Zustand der Selbstverwaltung Anknüpfungspunkt für den vom Verfassungsgeber gewollten Umfang der verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstverwaltung sein sollte.[170] Es ist deshalb verfassungsrechtlich nicht das geschützt, was etwa von irgendeinem Idealbild universitärer Selbstverwaltung her gesehen wünschenswert wäre; vielmehr ist davon auszugehen, dass auf diesem den Ländern überlassenen Gebiet nicht mehr als das verfassungsrechtlich geschützt werden sollte, was sich im Laufe der geschichtlichen Entwicklung in den einzelnen Ländern als unerlässlich für eine freie Betätigung der Universitäten in Forschung und Lehre tatsächlich herausgebildet hatte“.[171]

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Soweit der auf diese Weise ermittelte Kernbereich der akademischen Selbstverwaltung im Lande Baden-Württemberg unangetastet bleibt – so ausdrücklich der StGH BW[172]–, stehen Einzelregelungen, die die Selbstverwaltungsstruktur der Hochschulen in irgendeiner Weise betreffen, zur Disposition des Gesetzgebers, der nicht nur das Recht, sondern ggfs. auch die Pflicht habe, den Wissenschaftsbetrieb an den Hochschulen den jeweiligen Bedürfnissen der Gesellschaft entsprechend zu gestalten und, wenn nötig, auch umzugestalten.[173] Solche Veränderungsprozesse wären kaum denkbar, wenn man die Dispositionshoheit über eine einmal geschaffene Struktur nicht dem Staat, sondern einem von staatlicher Seite nicht mehr zu beeinflussenden Selbstverwaltungsrecht der Hochschulen zuordnen würde.

(b) Hochschulreform durch staatliche Deregulierung

170

Klammert man einmal den vor staatlichen Einflüssen geschützten Kernbereich der wissenschaftlichen Tätigkeit aus, dann wirkten in der Vergangenheit Staat und Hochschule bei der Erledigung der verschiedenen Aufgaben eng zusammen. Diese Form der staatlichen Mitwirkung bei Entscheidungen der Hochschule war quasi ein typusbestimmendes Element im Kontext der institutionellen Garantie der Hochschule.[174] Inzwischen hat jedoch ein Paradigmenwechsel stattgefunden, der in Baden-Württemberg 1997 mit den Empfehlungen der Hochschulstrukturkommission[175] zur „Flexibilisierung der Rahmenbedingungen für das Hochschulsystem“ einsetzt. Im Mittelpunkt dieser Empfehlungen steht eine Stärkung der Eigenverantwortung und der Selbstverwaltung der Hochschulen. In den folgenden Jahren wurden in großem Umfang in den Hochschulgesetzen verankerte staatliche Mitwirkungsrechte gestrichen oder zur Wahrnehmung vor Ort auf Hochschulorgane delegiert. Durch diese Deregulierung haben die Hochschulen innerhalb weniger Jahre einen Zuwachs an Selbstverwaltungszuständigkeiten erhalten wie zuvor nicht in Jahrzehnten.

171

Dem Abbau staatlicher Mitwirkungsrechte sind jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen auch Grenzen gesetzt, nämlich überall dort, wo Grundrechte betroffen sind. Nach der Rechtsprechung des BVerfG, der sog. Wesentlichkeitstheorie, verlangen Rechtsstaats- und Demokratieprinzip, dass nicht nur die wesentlichen Grundentscheidungen, sondern auch Regelungen, die mit Eingriffen in Grundrechte anderer verbunden sein können, durch förmliches Gesetz legitimiert sein müssen. Insoweit können solche Tatbestände nicht beliebig der Selbstverwaltung der Hochschule, auch nicht in Form von Hochschulsatzungen, überlassen werden.[176]

172

Unter Berücksichtigung dieser Gestaltungsspielräume hat nicht nur eine starke Deregulierung, sondern verstärkt auch eine Flexibilisierung des Hochschulrechts durch Einführung von Gestaltungsoptionen für die Hochschulen stattgefunden. Einen ersten Abschluss fand dieser Reformprozess durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung der Föderalismusreform im Hochschulbereich vom 3.12.2008 (ZHFRUG), in dessen Mittelpunkt die Errichtung der Dualen Hochschule als Fortentwicklung der früheren Berufsakademien steht, das jedoch auch sonst zahlreiche Änderungen des LHG enthält. Vorausgegangen waren das Erste Gesetz zur Umsetzung der Föderalismusreform im Hochschulbereich vom 20.11.2007 (EHFRUG) mit einer Neuordnung der Personalstruktur und einer Modifizierung des Hochschulzugangsrechts und der Auswahlverfahren. Die eigentliche Neuordnung der Beziehungen zwischen Staat und Hochschulen war bereits mit dem Zweiten Hochschulrechtsänderungsgesetz vom 1.1.2005 (2. HRÄG) erfolgt. Der Regierungswechsel 2011 brachte zunächst als Veränderungen des LHG die Abschaffung der 2005 eingeführten Studiengebühren, die Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft und einen erleichterten Zugang zur wissenschaftlichen Weiterbildung. Das Dritte Gesetz zur Änderung hochschulrechtlicher Vorschriften vom 1.4.2014 (3. HRÄG) führte schließlich zu einer Reihe von Veränderungen bei der Zuständigkeit der Hochschulorgane, vor allem wurde die Zuständigkeit des Hochschulrats eingeschränkt, während die Stellung des Senats gestärkt wurde. Die Grundkonzeption der Aufgabenverteilung auf die Organe wurde jedoch belassen. Dafür wurden eine ganze Reihe von Gremien und Verantwortlichen für verschiedene Detailfragen neu geschaffen (Gleichstellungskommission, Vertrauenskommission für Forschungsprojekte, Promovierendenkonvent, Ansprechpartner für sexuelle Belästigung, Beauftragter für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung). Eine Zäsur für den sich über eineinhalb Jahrzehnte erstreckenden trotz z.T. deutlicher Veränderungen doch noch homogenen Reformprozess stellt die Entscheidung des VerfGH BW vom 14.11.2016 dar, die das auf einer langjährigen Rechtsprechung des BVerfG beruhende Verständnis des Verhältnisses von Staat und Hochschule nachhaltig in Frage stellt (s.o., Rn. 145 f., 150). Das in Erfüllung der Vorgaben des VerfGH BW vom Landtag beschlossene Gesetz zur Weiterentwicklung des Hochschulrechts vom 13. März 2018 (HRWeitEG) wird deshalb notwendigerweise weitere Klärungsprozesse nach sich ziehen. Nicht jedes Landesverfassungsgericht dürfte der sehr eigenen Interpretation des VerfGH BW folgen und auch das BVerfG wird sich einer Auseinandersetzung mit der inhomogen gewordenen Rechtsprechung nicht entziehen können. Politisch könnte dabei auch die Frage entstehen, ob der Staat nicht früher von ihm selbst wahrgenommene Aufgaben wieder zurückholt, wenn er sie nicht auf ein Hochschulorgan übertragen kann, dem er die wirksame Erfüllung zutraut.

 

(c) Umfang des Satzungsrechts der Hochschulen

173

Ein wichtiger Teil der Hochschulselbstverwaltung ist das Satzungsrecht,[177] das sich auf ganz verschiedene Regelungsgegenstände beziehen kann. Nach Art. 20 II LV bedürfen die Hochschulsatzungen einer staatlichen Anerkennung. Die Ausgestaltung dieses Anerkennungsverfahrens, insbesondere die Bestimmung der Kriterien, die bei der Entscheidung über die staatliche Zustimmung zu Grunde zu legen sind, ist Aufgabe des Gesetzgebers,[178] der dabei vor allem den mehrfach schon angesprochenen Kernbereich der Wissenschaftsfreiheit respektieren muss.[179] Der Gesetzgeber darf Kriterien auch nicht willkürlich festlegen, sondern muss ihnen berechtigte staatliche Interessen zu Grunde legen. Unter diesem Gesichtspunkt können bestimmte Satzungen auch von einer staatlichen Mitwirkung freigestellt werden. In dem Umfang, in dem Art. 5 III 1 GG und Art. 20 I LV den Hochschulen Wissenschaftsfreiheit garantieren, muss ihnen das Recht zugestanden werden, ihre Angelegenheiten in Forschung und Lehre durch Satzungen selbstständig zu regeln.[180] Für alle Angelegenheiten, die nicht zum Kernbereich der Wissenschaftsfreiheit gehören, kann der Gesetzgeber die staatliche Zustimmung von Zweckmäßigkeitserwägungen abhängig machen. Dabei kann es aber nicht darum gehen, Zweckmäßigkeitserwägungen der Hochschule ohne triftige Gründe durch solche der Landesregierung zu ersetzen.

174

Im Bereich des Organisationsrechts werden die wesentlichen Regelungen durch Gesetz getroffen. Der Gesetzgeber kann aber ganz bewusst den Hochschulen in der Grundordnung Gestaltungsspielräume einräumen, beispielsweise bei der Zusammensetzung von Gremien. Bei der Festlegung der Aufgaben der Hochschulen oder auch der Aufgaben der im Gesetz geregelten Organe können den Hochschulen keine Gestaltungsspielräume zugestanden werden, weil solche konstitutive Vorgaben der Hochschulstruktur nur vom Gesetzgeber getroffen werden können. Frühere Hochschulgesetze haben sich nicht darauf beschränkt, die Zusammensetzung und Aufgaben der zentralen Hochschulorgane zu regeln, sondern haben eine hohe Regelungsdichte auch für nachgeordnete Ebenen entwickelt. Damit war zwangsläufig die Gefahr verbunden, dass der Gesetzgeber den Kernbereich der Selbstverwaltung[181] verletzt, der die wissenschaftlichen Strukturen betrifft. Die Regelung der Strukturen, die unmittelbar mit der Wahrnehmung der Aufgaben in Forschung und Lehre zusammenhängen, ist allein Angelegenheit der Hochschulen und deshalb einer gesetzlichen Regelung entzogen. Insoweit ging auch die frühere Regelung des § 60 S. 1 Nr. 2 HRG a.F., die eine staatliche Mitwirkung bei der Regelung der hochschulinternen Organisation bis zur Ebene von Kommissionen, wissenschaftlichen Einrichtungen und Betriebseinheiten vorsah, zu weit.[182]

175

Die Regelung des LHG zur staatlichen Mitwirkung bei Erlass, Änderung oder Aufhebung von Satzungen oder sonstigen Entscheidungen der Hochschule (§ 66 LHG) konzentriert sich auf Gesichtspunkte eines hochschulübergreifenden Landesinteresses. Grundsätzlich zustimmungsbedürftig ist deshalb die Grundordnung, die wesentliche organisatorische Strukturen und Verfahren der Hochschule regelt (§ 8 IV 2 LHG). Im Übrigen unterscheidet § 66 I LHG zwischen Satzungen, die nach den gesetzlichen Regelungen einer Zustimmung bedürfen, und anderen Satzungen, bei denen das nicht der Fall ist.[183]

176

Das LHG sieht als Kriterien, die bei der Entscheidung über eine staatliche Zustimmung zu berücksichtigen sind, Rechts- und wichtige Sachgründe vor. Ein rechtlicher Versagungsgrund liegt vor, wenn die Satzung entweder gegen Rechtsvorschriften verstößt oder Verpflichtungen des Landes gegenüber dem Bund, gegenüber anderen Ländern oder anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts nicht berücksichtigt; in diesen Fällen gibt es kein Ermessen, die Zustimmung muss verweigert werden. Aus sachlichen Gründen kann die staatliche Zustimmung verweigert werden, wenn Regelungen der Satzung nicht mit den Zielen und Vorgaben des Landes[184] in struktureller, finanzieller oder ausstattungsbezogener Hinsicht übereinstimmen (§ 66 III LHG). Liegt ein sachlicher Versagungsgrund vor, dann muss das zuständige Wissenschaftsministerium die betroffenen Interessen der Hochschule und des Landes sorgfältig gegeneinander abwägen und unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens darüber entscheiden, ob eine Verweigerung der Zustimmung zur Wahrung der Interessen des Landes erforderlich ist.[185] Die Zustimmung kann auch nur teilweise erteilt oder mit Nebenbestimmungen[186] nach dem Verwaltungsverfahrensrecht verbunden werden (§ 66 I 2 LHG). Bei der Zustimmung handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der – wenn kein gesetzlich vorgesehener Grund zur Verweigerung der Zustimmung besteht – auch mit einer verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage eingefordert werden kann.[187]

177

Liegen Rechtsgründe oder wichtige sachliche Gründe nach § 66 II oder III LHG vor, die den Erlass oder die Änderung von Satzungen oder sonstigen Entscheidungen erfordern, bleibt eine Hochschule aber dennoch untätig, dann kann das Wissenschaftsministerium von der Hochschule ein entsprechendes Handeln verlangen (§ 66 IV LHG). Die Aufforderung zum Erlass oder zur Änderung von Satzungen oder sonstigen Entscheidungen ist gegenüber dem Rektorat zu erklären und darauf gerichtet, dass die zuständigen Organe der Hochschule innerhalb einer angemessenen Frist die notwendigen Beschlüsse fassen. Die „Formulierungsprärogative“ der Hochschule bleibt also unberührt.[188]

c) Staatliche Aufsicht

178

Die in § 59 HRG enthaltene Regelung zur staatlichen Aufsicht hat keine praktische Bedeutung mehr, weil nach Art. 125a I 2 GG inzwischen das Landesrecht früheres Rahmenrecht des Bundes ersetzt hat (vgl. Rn 136). Art. 20 II LV gewinnt damit wieder stärkere Bedeutung. Dort wird ganz allgemein das Recht zur Selbstverwaltung unter den Vorbehalt der „staatlichen Aufsicht“ gestellt. Aus den Unterlagen zur Beratung der Landesverfassung ergibt sich, dass mit dieser Formulierung nicht nur eine Rechtsaufsicht gemeint war, sondern auch eine nicht näher konkretisierte fachliche Aufsicht.[189] Zur Wahrnehmung seiner Gesamtverantwortung für die Hochschulen hat das Wissenschaftsministerium ein allgemeines Informationsrecht (§ 68 I LHG), das ihm die Berechtigung verleiht, sich über alle Angelegenheiten der Hochschulen unterrichten zu lassen. Es kann die einzelne Hochschule und deren Einrichtungen besichtigen, kann die Geschäfts- und Kassenführung prüfen, sich Berichte und Akten vorlegen lassen und dabei auch Sachverständige hinzuziehen.

179

Die Rechtsaufsicht erstreckt sich auf alle Angelegenheiten der Hochschule (§ 67 I LHG). Der Fachaufsicht des Wissenschaftsministeriums unterliegen nach § 67 II LHG


die Personalangelegenheiten – soweit keine anderen gesetzlichen Regelungen bestehen,
die Haushalts- und Wirtschaftsangelegenheiten; soweit diese in Hochschulverträgen und Zielvereinbarungen ihren Niederschlag gefunden haben, beschränkt sich die Fachaufsicht auf deren Vollzug,
das Haushalts-, Kassen-, Rechnungs- und Gebührenwesen,
einheitliche Grundsätze der Kosten- und Leistungsrechnung sowie das Berichtswesen,
die den Hochschulen nach § 2 VI und VII LHG übertragenen anderen Aufgaben,

180

Bei der Wahrnehmung der Aufsicht stehen dem Wissenschaftsministerium verschiedene Aufsichtsmittel zur Verfügung, die unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Einsatz kommen können. Im Rahmen der Rechtsaufsicht kann[191] das Wissenschaftsministerium rechtswidrige Beschlüsse und Maßnahmen beanstanden und verlangen, dass rechtswidrige Maßnahmen rückgängig gemacht werden (§ 68 III LHG). Im Falle einer zu beanstandenden Untätigkeit kann auch eine Entscheidung der Hochschule eingefordert werden (§ 66 IV LHG). Im Rahmen der Fachaufsicht kann das Wissenschaftsministerium Weisungen erteilen, die sich jedoch immer nur an das Rektorat als Hochschulleitung richten können, aber alle Organe, Gremien und Amtsträger binden (§ 67 II 2 LHG). Wird eine Anordnung des Wissenschaftsministeriums von der zuständigen Stelle der Hochschule nicht innerhalb der festgelegten Frist umgesetzt oder eine nach Gesetz oder Satzung bestehende Pflicht nicht innerhalb einer gesetzten Frist erfüllt, so kann das Wissenschaftsministerium selbst die notwendigen Anordnungen oder Maßnahmen treffen (§ 68 IV LHG – Ersatzvornahme). Reichen diese Aufsichtsmittel nicht aus, um die Funktionsfähigkeit der Hochschule, der Fakultäten oder der Hochschuleinrichtungen zu gewährleisten, dann kann das Wissenschaftsministerium Beauftragte bestellen oder durch das Rektorat bestellen lassen, die dann die Aufgaben von Organen oder Gremien der Hochschule, der Fakultäten oder der Leitung von Hochschuleinrichtungen in dem erforderlichen Umfang wahrnehmen (§ 68 V LHG). Es handelt sich hierbei um eine Eingriffsmöglichkeit, die nur als letztes Mittel in Betracht kommt, wenn die Funktionsfähigkeit der Hochschule insgesamt oder in Teilbereichen nicht mehr gewährleistet ist; dann ist der Eingriff auch verfassungsgemäß.[192]

181

Insbesondere vor dem Hintergrund dieser weitreichenden Aufsichtsmittel muss sichergestellt sein, dass die Hochschule unter Berücksichtigung ihrer besonderen verfassungsrechtlich geschützten Stellung sich auch gegen Aufsichtsmaßnahmen des Staates wirksam zur Wehr setzen kann. Die Hochschule ist keine in den allgemeinen Staatsaufbau einbezogene Einrichtung, auf die die allgemeinen Grundsätze der Behördenhierarchie angewandt werden können. Für das Verhältnis Staat/Hochschule gelten nicht die Grundsätze, die innerhalb der staatlichen Hierarchie gelten. Die Regelungen des LHG begründen erst die konkreten Eingriffsmöglichkeiten des Staates und legen eine Reihe von Vorgaben fest, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Bereichen die angesprochenen staatlichen Maßnahmen zulässig sind. Diese eingrenzende Regelung macht aber nur Sinn, wenn die Einhaltung der Vorgaben auch justiziabel ist. Die Hochschule kann sich gegen Aufsichtsmaßnahmen des Staates mit einer Anfechtungsklage nach § 42 I VwGO zur Wehr setzen; ein Vorverfahren entfällt (s. § 68 I 2 Nr. 1 VwGO). Für eine Beschränkung der Anfechtungsklage auf Maßnahmen der Rechtsaufsicht gibt es keine Rechtfertigung. Den Hochschulen sind alle in § 2 LHG genannten Aufgaben ohne Unterscheidung zur selbstständigen Erledigung durch eine Einheitsverwaltung (§ 8 I 2 LHG) übertragen. Nicht nur im eigenen, sondern auch im übertragenen Wirkungskreis kann deshalb eine staatliche Aufsichtsmaßnahme einen möglichen Eingriff darstellen, der gerichtlich überprüfbar sein muss.[193]

 

182

Werden durch ein rechtwidriges und schuldhaftes Verhalten von Organen oder Mitgliedern von Organen Schadensersatzansprüche der Hochschule begründet, werden diese Ansprüche im Namen der Hochschule vom Wissenschaftsministerium geltend gemacht (§ 11 II 3 LHG). Die Haftung ist jedoch unter entsprechender Anwendung von § 96 LBG auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt.