Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg

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3. Hochschulselbstverwaltung und Demokratische Legitimation im Kontext der Grundsätze funktionaler Selbstverwaltung

a) Die Einführung des Organs „Hochschulrat“ als Ausgangspunkt einer rechtlichen Diskussion über das Prinzip der demokratischen Legitimation

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Ausgelöst durch Überlegungen zur Einführung von Hochschulräten entstand Ende des 20. Jahrhunderts eine Diskussion über die verfassungsmäßige Zulässigkeit eines solchen Organs.[194] Neben einer Vielzahl anderer Gründe kritisierten die Gegner des Hochschulrats vor allem das Fehlen der demokratischen Legitimation – ein Thema, das vorher im Hochschulrecht kaum eine Rolle gespielt hatte. Die Begründungen stützten sich dabei entweder auf die Annahme, die Hochschulselbstverwaltung sei bereits unmittelbar durch das GG legitimiert, benötige also keine demokratische Legitimation nach Art. 20 II GG mehr,[195] oder aber auf die Annahme, die Selbstverwaltung werde autonom durch die Mitglieder der Hochschule als einer Art „Verbandsvolk“ legitimiert und diese autonome Legitimation ersetze die demokratische Legitimation nach Art. 20 II GG – in beiden Fällen mit der daraus abgeleiteten Konsequenz, dass nur Mitglieder der Hochschule in Organen vertreten sein könnten und zur Besetzung der Organe auch nur die Mitglieder legitimiert seien. Dieser Argumentation wurde bereits in den beiden Vorauflagen nachdrücklich widersprochen. Die Diskussion dauert nun schon seit vielen Jahren an[196] und obwohl die Frage durch mehrere verfassungsgerichtliche Entscheidungen eigentlich als entschieden angesehen werden müsste, findet sich im Urteil des VerfGH BW vom 14.11.2016[197] als obiter dictum die erstaunliche Formulierung, es könne mit Blick auf eine fehlende Antragstellung des Beschwerdeführers dahingestellt bleiben, „ob die Entscheidungsbefugnisse des Hochschulrats sowie seine Kreation für sich genommen Art. 20 LV sowie dem Prinzip der demokratischen Legitimation (Art. 25 Abs. 1 Satz 2 LV) entsprechen“. Diese Bemerkung macht erneut deutlich, dass das Thema der demokratischen Legitimation in der Hochschule nicht als übergreifende Fragestellung gesehen wird, sondern in erster Linie als Ansatzpunkt dafür, die Verfassungsmäßigkeit des Hochschulrats anzuzweifeln.

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Um sich mit dem Thema substantiiert auseinanderzusetzen, muss man die Argumentation der Gegner des Hochschulrats nochmals auf den Punkt bringen:


Bei der Hochschule als Körperschaft können nur Mitglieder der Hochschule zu Mitgliedern von Hochschulorganen bestellt werden.
Nur solche gewählten Mitglieder der Hochschule haben die notwendige demokratische Legitimation.
Einem Organ, in dem von der Regierung bestellte Externe mitwirken, fehlt die demokratische Legitimation. Es verstößt gegen das Selbstverwaltungsrecht der Hochschule und ist verfassungswidrig.

Das klingt mit Blick auf die demokratischen Spielregeln bei Gebietskörperschaften zunächst nicht ganz unplausibel. Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung sind jedoch keine Gebietskörperschaften mit einem eigenen „Verbands-Volk“, das nur unter sich und für sich Entscheidungen trifft. Das Demokratieprinzip, das für Gebietskörperschaften gilt, kann nicht auf die funktionale Selbstverwaltung übertragen werden. Ein Wesensmerkmal des Demokratieprinzips ist die Geltung demokratisch gleicher Rechte für alle Bürger, die sich in Wahlen manifestiert. Es gibt keine Bürger, deren Wahl- und Stimmrechte unter Gesichtspunkten wie Funktion oder Betroffenheit eingeschränkt sind, die Stimme jedes Wählers hat nach Art. 38 I 1 GG den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance.[198] Bei Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung, insbesondere bei den Hochschulen gilt das nicht, weil es dort nicht um Demokratie, sondern den Ausgleich unterschiedlicher Interessen geht. Auf das Demokratieprinzip kann also die These, die Organe dürften sich nur aus Mitgliedern der Hochschule zusammensetzen, nicht gestützt werden. Für die funktionale Selbstverwaltung gelten andere Grundsätze.

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Es geht hierbei um eine Grundsatzfrage, die alle Körperschaften des öffentlichen Rechts in der Bundesrepublik Deutschland betrifft. Bundesweit gibt es eine große Zahl öffentlich-rechtlicher Körperschaften mit Selbstverwaltungsrecht, insbesondere im Bereich der berufsständischen Vertretungen. Auch dort spielen Grundrechte eine Rolle – ähnlich wie bei den Hochschulen. Die grundrechtlich geschützte Wissenschaftsfreiheit der Hochschulen ändert also nichts daran, dass Hochschulen den gleichen Grundprinzipien im Verhältnis zum Staat unterliegen wie andere Körperschaften des öffentlichen Rechts auch. Das bedeutet, dass die Frage des Wirkungsbereichs der Wissenschaftsfreiheit an den Hochschulen klar getrennt werden muss von der Frage, welche Strukturprinzipien ganz generell für diese Art von staatlichen Einrichtungen gelten.

Bei allen Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung stellt sich die Frage nach dem Umfang der staatlichen Gestaltungsfreiheit bei der Errichtung und natürlich auch nach den kontinuierlichen Einwirkungsmöglichkeiten bei der Aufgabenerledigung. Damit verbunden ist die Frage nach einer ausreichenden demokratischen Legitimation für die von den Organen der Einrichtung zu treffenden Entscheidungen. Hinreichende Transparenz zu diesem Themenkomplex lässt sich nur erreichen, wenn man sich mit den allgemeinen verfassungsrechtlichen Prinzipien der funktionalen Selbstverwaltung einschließlich des Themas der demokratischen Legitimation der Körperschaftsorgane auseinandersetzt. Erst auf dieser Grundlage lässt sich dann abschließend beurteilen, ob einem mit Externen besetzten Hochschulrat tatsächlich die demokratische Legitimation fehlt oder ob er aus anderen Gründen wegen Verletzung des Selbstverwaltungsrechts der Hochschule oder der Wissenschaftsfreiheit verfassungswidrig ist.

b) Hochschulselbstverwaltung und funktionale Selbstverwaltung

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Die Begriffe „Hochschulselbstverwaltung“ und „funktionale Selbstverwaltung“ stellen keine Gegensätze dar. Unter dem Begriff der funktionalen Selbstverwaltung werden alle Einrichtungen erfasst, die vom Gesetzgeber errichtet und mit der Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher[199] Aufgaben in Eigenverantwortung betraut werden, wobei die Besonderheit i.d.R. darin liegt, dass es sich um Aufgaben handelt, von denen die Mitglieder der Einrichtung unmittelbar selbst betroffen sind – was die Sinnhaftigkeit einer solchen verselbstständigten Organisation erklärt.[200] Zu den Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung gehören auch die Hochschulen.[201] Über Jahrzehnte hinweg war die Situation für den Bereich der funktionalen Selbstverwaltung dadurch gekennzeichnet, dass Institutionen übergreifende gesetzliche Regelungen fehlten und die Rechtsprechung nur Detailfragen zu einzelnen Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung entschied.[202] Dementsprechend wurde für den Hochschulbereich immer auf die Hochschulselbstverwaltung Bezug genommen – ohne aber die Frage zu stellen, auf welcher Grundlage und in welcher Form demokratische Legitimation auf die Hochschule übertragen wird. Durch eine Grundsatzentscheidung des BVerfG,[203] auf die nachfolgend näher eingegangen wird, hat sich das inzwischen geändert. Die vom BVerfG entwickelten Kriterien haben für alle Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung Verbindlichkeit, also auch für die Hochschulen. Besondere Bedeutung haben die Kriterien vor allem für die strittige Frage der demokratischen Legitimation von Organen im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung – das betrifft nicht zuletzt auch den Hochschulrat.

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In Relation zu der großen Bedeutung, die Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung bei der Erfüllung öffentlich- rechtlicher Aufgaben haben, sind die normativen Vorgaben zur Gründung und inhaltlichen Ausgestaltung dieser Einrichtungen marginal. Umso wichtiger ist es, die typischen Merkmale dieser Einrichtungen klar herauszuarbeiten, um manche heute noch strittige Frage besser beantworten zu können.

Für das grundsätzliche Verständnis muss die Analyse mit dem Errichtungsakt beginnen. Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung werden vom Staat errichtet. Nicht die Selbstverwaltungseinrichtung, sondern der Gesetzgeber legt die Aufgaben der Einrichtung, ihre Struktur und ihre Organisation fest. Im Hochschulbereich manifestiert sich das in den verschiedenen Arten von Hochschulen mit unterschiedlichen Aufgaben – in Baden-Württemberg gibt es mit der Dualen Hochschule sogar eine Hochschulart, die es in den meisten anderen Bundesländern nicht gibt. Der Unterschied zwischen den Hochschularten zeigt sich nicht nur in der Lehre, sondern auch bei der Ausgestaltung der Aufgaben in der Forschung, die an den Universitäten breit angelegt, an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften dagegen auf die anwendungsbezogene Forschung und Entwicklung konzentriert ist (§ 2 I 3 Nr. 4 LHG).[204] Eine staatliche Hochschule kann nicht für sich selbst entscheiden, welche Art von Aufgaben sie in Forschung und Lehre wahrnehmen will. Die Wissenschaftsfreiheit setzt erst ein, wenn die Aufgaben durch den Gesetzgeber mit dem Errichtungsakt festgelegt sind. Es gibt also keine umfassende „autonome“ Selbstverwaltung – in Abhängigkeit von den übertragenen Aufgaben muss das errichtende Land aber bestehende verfassungsrechtliche Vorgaben beachten, z.B. zur Sicherung und Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit oder zur Vermittlung einer hinreichenden demokratischen Legitimation innerhalb der Einrichtung. Das gilt für alle Einrichtungen, auch solche, die bereits bei Entstehung des Bundeslandes existierten und von diesem Bundesland als Landeseinrichtungen übernommen wurden.

 

In vorkonstitutionellen Zeiten war der jeweilige Landesherr Gründer solcher Einrichtungen. Bei Hochschulen bedurfte er sogar noch der Zustimmung des Papstes. Die Universität Heidelberg wurde 1386 mit päpstlicher Genehmigung von Kurfürst Ruprecht I. errichtet. Ähnliches gilt für die 1457 gegründete Universität Freiburg und die 1477 errichtete Universität Tübingen. Heute sind auch diese historisch herausragenden Universitäten Einrichtungen des Landes Baden-Württemberg, keine vom Land unabhängigen Organisationen. Im Zuge einer wachsenden studentischen Nachfrage wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bundesweit zahlreiche Hochschulen neu gegründet, die meisten als staatliche Hochschulen von den Ländern, einige auch – fast durchgängig im Bereich der „Buchwissenschaften“[205]– als nichtstaatliche Hochschulen von privaten Trägern. Für Baden-Württemberg besondere Erwähnung verdienen die Neugründungen der Universität Konstanz im Jahre 1966 und der Universität Ulm im Jahre 1967.

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Das GG enthält keine Vorgaben, unter welchen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung errichtet und zur Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben legitimiert werden können. Der Begriff der funktionalen Selbstverwaltung taucht im GG überhaupt nicht auf. An verschiedenen Stellen kommt jedoch zum Ausdruck, dass die Möglichkeit einer Verlagerung staatlicher Aufgaben auf solche verselbstständigte staatliche Einrichtungen besteht (vgl. Art. 86, 87 II, III, 130 III GG).[206] Zur inhaltlichen Ausgestaltung der Selbstverwaltung solcher Einrichtungen schweigt das GG ebenfalls. Als Referenzquelle nicht in Betracht kommt Art. 28 II GG. Dort wird den Gemeinden und Gemeindeverbänden ein Recht zur Selbstverwaltung unter Einschluss des Rechts zur Steuererhebung zugesprochen. Gemeinden und Gemeindeverbände sind jedoch als Gebietskörperschaften obligatorische Teilbereiche der vom GG festgelegten demokratischen Struktur der Bundesrepublik und unterscheiden sich elementar von Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung.

Auch die LV regelt die funktionale Selbstverwaltung nur rudimentär: in Art. 69 LV werden ganz allgemein unter dem Stichwort der Ausübung der Verwaltung auch die Träger der Selbstverwaltung erwähnt; Art. 71 I 3 LV bestimmt, dass die öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten die Ihnen übertragenen Angelegenheiten „in den durch Gesetz gezogenen Grenzen“ verwalten. Für den Bereich der Wissenschaft unterstellt Art. 20 I LV, dass es Hochschulen als selbstständige Einrichtungen gibt, lässt aber offen, welche Strukturen zugrunde zu legen sind. Das in Art. 20 II LV angesprochene Selbstverwaltungsrecht steht unter einem dreifachen Vorbehalt:


1. im Rahmen der Gesetze,
2. unbeschadet der staatlichen Aufsicht und
3. im Rahmen der staatlich anerkannten Satzungen.

Konkret bedeutet das, dass das Selbstverwaltungsrecht inhaltlich erst noch durch den Gesetzgeber ausgestaltet werden muss,[207] was aber nicht bedeutet, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung nach Belieben entscheiden kann. Vielmehr muss er bei der gesetzlichen Regelung die verfassungsrechtlichen Verpflichtungen beachten. Dazu gehören insbesondere die Grundsätze, die sich aus der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 III 1 GG, Art. 20 I LV) ergeben.

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Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten sind allgemeine Grundsätze für den Bereich der funktionalen Selbstverwaltung unverzichtbar.[208] Das gilt insbesondere für die Frage der Ausgestaltung der Organe und damit der demokratischen Legitimation der jeweiligen Einrichtung.[209] Lange Zeit hat sich die Rechtsprechung, auch die Rechtsprechung des BVerfG, vor allem mit Einzelproblemen aus diesem Bereich beschäftigt. Anlässlich eines komplexen Sachverhalts im Bereich der Wasserverbände hat das BVerfG schließlich in einem Beschluss vom 5.12.2002 allgemeine Grundsätze zur funktionalen Selbstverwaltung entwickelt, die auch für die Hochschulen unmittelbar Bedeutung haben, auch wenn sie im Urteil nicht ausdrücklich genannt werden. Bei der Entscheidung ging es um die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zu den Wasserverbänden von Lippe und Emscher und dabei insbesondere auch um die Frage der zulässigen Zusammensetzung einzelner Organe.[210]

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Nach der Rechtsprechung des BVerfG werden unter der Bezeichnung „funktionale Selbstverwaltung“ alle Einrichtungen zusammengefasst, denen außerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung und der gemeindlichen Selbstverwaltung durch eine besondere gesetzliche Regelung für einen jeweils sachlich abgegrenzten Bereich öffentliche Aufgaben zur Erledigung übertragen worden sind. Es ist allein Sache des Gesetzgebers, zu entscheiden, welche Einrichtungen der Selbstverwaltung er errichtet und welche Aufgaben er auf diese Einrichtungen überträgt. Abgesehen von den Staatsaufgaben im engeren Sinne, die der Staat durch eigene Behörden selbst wahrnehmen muss,[211] kann er auch Aufgaben von wesentlicher Bedeutung für das Allgemeinwohl – z.B. im Bereich der Daseinsvorsorge – auf solche verselbstständigten Einrichtungen übertragen.[212]

Nicht nur die Auswahl der auf die Einrichtungen der Selbstverwaltung zu übertragenden Aufgaben, sondern auch die „Regelung der Strukturen und Entscheidungsprozesse, in denen diese bewältigt werden, stehen weitgehend im Ermessen des Gesetzgebers“.[213] Eine Einschränkung des weiten Ermessensspielraums des Gesetzgebers ergibt sich insoweit, als er darauf achten muss, keine Ausgestaltung vorzuschreiben, „die mit dem Grundgedanken autonomer interessengerechter Selbstverwaltung einerseits und effektiver öffentlicher Aufgabenwahrnehmung andererseits unvereinbar wäre“. Die Regelungen über die Organisationsstruktur der Selbstverwaltungseinheiten müssen deshalb auch „ausreichende institutionelle Vorkehrungen dafür enthalten, dass die betroffenen Interessen angemessen berücksichtigt und nicht einzelne Interessen bevorzugt werden“.[214] Unzulässig wäre also eine Regelung, bei der „der Gesetzgeber mit der gewählten organisatorischen Ausgestaltung keine verfassungsrechtlich zulässigen Zwecke verfolgt oder wenn aufgrund einer offenbar unrichtigen Tatsachengrundlage der Zweck ersichtlich nicht erreicht werden kann“.[215] Ausdrücklich betont das BVerfG, dass die Einrichtung von Selbstverwaltungsorganisationen vom Gesetzgeber dazu genutzt werden darf, einerseits ein wirksames Mitspracherecht der Betroffenen zu schaffen und auch verwaltungsexternen Sachverstand zu aktivieren, andererseits aber damit auch das Ziel zu verfolgen, einen sachgerechten Interessenausgleich zu erleichtern, um auf diesem Weg dazu beizutragen, „dass die von ihm beschlossenen Zwecke und Ziele effektiver erreicht werden“.[216] Gerade das Mitspracherecht Betroffener oder die Einbeziehung von Externen könne zu einer solchen Effektivitätssteigerung beitragen.[217]

Mit diesen Ausführungen wird vom BVerfG argumentativ der Weg bereitet zur Behandlung der zentralen Frage, welche Kriterien bei der Prüfung der demokratischen Legitimation in Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung gelten. Ausdrücklich betont das BVerfG, dass die von ihm entwickelten Kriterien für alle Selbstverwaltungseinrichtungen gelten. Eine Ausnahme für den Bereich der Hochschulen wird nicht gemacht. Im nachfolgenden Abschnitt werden diese Grundsätze näher erläutert.

c) Grundsätze zur demokratischen Legitimation

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Nach Art. 20 II GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Alle Formen staatlichen Handeln mit Entscheidungscharakter bedürfen einer demokratischen Legitimation.[218] Die Entscheidungen müssen sich auf den Willen des Volkes zurückführen lassen. Das gilt nicht nur für die unmittelbare Staatsverwaltung, sondern in gleicher Weise auch für die Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung.

(1) Demokratische Legitimation im Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung

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Mit dem Prinzip der demokratischen Legitimation soll ein verbindlicher Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlichen Entscheidungen hergestellt werden. „Die Ausübung von Staatsgewalt ist dann demokratisch legitimiert, wenn sich die Bestellung der Amtsträger – personelle Legitimation vermittelnd – auf das Staatsvolk zurückführen lässt und das Handeln der Amtsträger selbst eine ausreichende sachlich- inhaltliche Legitimation erfährt, d.h. die Amtsträger im Auftrag und nach Weisung der Regierung handeln und die Regierung damit in die Lage versetzen, die Sachverantwortung gegenüber Volk und Parlament zu übernehmen“.[219] Mit Blick auf die territoriale Untergliederung der Bundesrepublik und die vom GG vorgesehene selbstständige Aufgabenwahrnehmung innerhalb der Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Kreise, Gemeinden) gibt es – wie es auch in Art. 28 I 2 GG klar zum Ausdruck kommt – neben der Gesamtheit des deutschen Staatsvolks nur noch das jeweilige einer Gebietskörperschaft zuzurechnende Volk, das für die der Gebietskörperschaft zugeordneten Aufgaben demokratische Legitimation vermitteln kann.[220] Die von Art. 20 II GG ohne Ausnahme geforderte demokratische Legitimation kann deshalb nicht – auch nicht im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung – durch die Mitglieder der Einrichtung in Gestalt einer unterstellten „autonomen Legitimation“ vermittelt werden.[221] Eine so verstandene Autonomie würde Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung der Verantwortung des Volkes entziehen, was „eine Ausgliederung aus der einheitlichen Staatsgewalt“[222] bedeuten würde. Ein solches System wäre flächendeckend mit lauter rechtlich unabhängigen Enklaven verbunden – ähnlich den früheren freien Reichsstädten. Aus der Sicht der Betroffenen mag das erstrebenswert sein, mit einem einheitlichen demokratischen Grundverständnis ist das aber nicht zu vereinbaren. „Volk“ ist die rechtlich maßgebliche Projektionsfläche einer Demokratie, die sich auf die Gesamtheit der Staatsbürger bezieht.[223] Separate „Verbandsvölker“ kennt das GG nicht.[224]

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Von der funktionellen oder institutionellen demokratische Legitimation[225] einmal abgesehen, die sich auf die Gewaltenteilung bezieht, geht es bei der demokratischen Legitimation von Organen und Amtsträgern um die Legitimation der einzelnen Entscheidung, die bis zum Volk zurück verfolgbar und auch dauerhaft gegenüber dem Volk verantwortbar sein muss und mit der organisatorisch-personellen Legitimation und der sachlich-inhaltlichen Legitimation zwei Facetten hat. Die verwendete Terminologie ist allerdings in Literatur und Rechtsprechung nicht ganz einheitlich.

Die organisatorisch-personelle Legitimation – das BVerfG spricht nur von personeller Legitimation – wird hergestellt durch eine ununterbrochene Legitimationskette, die vom Volk über das Parlament und die Regierung bis zum einzelnen Organ oder Amtsverwalter verläuft.[226] Wird ein Amtsträger von einem gemischt zusammengesetzten Gremium bestellt, denen Mitglieder angehören, die keine personelle demokratische Legitimation besitzen, lässt es das BVerfG ausreichen, wenn sich im Rahmen der Mehrheitsentscheidung des Gremiums auch eine Mehrheit der unbeschränkt demokratisch legitimierten Mitglieder ergibt.[227] Damit besteht die Möglichkeit, bei der Bestellung entscheidungsberechtigter Amtsträger im Interesse einer ausgewogeneren und breiteren Meinungsbildung auch Vertreter gesellschaftlicher Gruppen in das Entscheidungsverfahren einzubeziehen.[228] Im Falle von Zustimmungs- oder Mitentscheidungsrechten von Organen, die nicht ausreichend demokratisch legitimiert sind, kommt es darauf an, ob das demokratisch nicht hinreichend legitimierte Organ die Entscheidung des demokratisch legitimierten Organs blockieren kann, was rechtlich problematisch wäre.[229]

 

Mit der sachlich-inhaltlichen Legitimation kommt der Wille des Volkes in Gestalt gesetzlicher Regelungen durch das auf Grund von Wahlen legitimierte Parlament inhaltlich zum Ausdruck und grenzt die Ausübung der Staatsgewalt über Art. 20 III GG ein. Damit verbunden ist ein System von Kontroll-, Aufsichts-, Weisungs- und Abberufungsrechten der dem Parlament verantwortlichen Regierung.[230] Ohne diese Rechte könnte die Regierung ihre Verantwortung gegenüber Parlament und Volk überhaupt nicht wahrnehmen und die sachlich-inhaltliche Legitimation wäre mangels Sanktionen ihrer Wirkung beraubt.

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Die organisatorisch-personelle und die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation stehen nicht unverbunden nebeneinander, sondern wirken zusammen.[231] Die auf der politischen Ebene noch sehr dominante personelle Legitimation wird mit jeder Stufe, auf die die personelle Legitimation nach unten weitergegeben wird, immer schwächer, während die sachlich inhaltliche Legitimation immer gleich bleibendes Gewicht behält.[232] Das Gewicht der beiden Teilelemente der demokratischen Legitimation fällt damit von Fall zu Fall sehr unterschiedlich aus. Entscheidend ist weniger die Form der demokratischen Legitimation, sondern das jeweilige Legitimationsniveau und dessen Effektivität im Hinblick auf die „Art der zu legitimierenden Entscheidungstätigkeit“.[233]

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Als Ausübung von Staatsgewalt, die der demokratischen Legitimation bedarf, ist jedes amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter zu verstehen. Maßgeblich ist dabei nicht, ob die Entscheidung unmittelbar nach außen wirkt oder nur intern die Voraussetzung für die Wahrnehmung von Amtsaufgaben schafft – etwa bei Entscheidungen, die von einem anderen Amtsträger umgesetzt werden oder bei denen die Zuständigkeiten mehrerer Organe miteinander verschränkt sind.[234] Das Prinzip gilt aber nicht nur für das Handeln des Staates in öffentlich-rechtlichen Formen, sondern auch dann, wenn der Staat sich privatrechtlicher Organisationsformen bedient.[235]