Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg

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(2) Demokratische Legitimation im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung

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Die demokratische Legitimation im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung wirft besondere Fragen auf, weil bei vielen dieser Einrichtungen Entscheidungsorgane vorgesehen sind, denen eine staatsvermittelte organisatorisch-personelle demokratische Legitimation fehlt. Emde war der erste, der sich eingehend mit diesem Problem auseinandergesetzt hat. Seine Theorie, dass an die Stelle der staatlich vermittelten demokratischen Legitimation als Kompensation eine autonome Legitimation tritt, wirkt in ganz unterschiedlichen Abwandlungen bis heute fort[236] – ohne dass immer auf die differenzierte Argumentation Emdes und die daraus entwickelten Schlussfolgerungen näher eingegangen wird.[237] In Verbindung mit einer großzügigen Auslegung des Selbstverwaltungsrechts liegt die Versuchung nahe, die Theorie einer autonomen Legitimation nicht zur Kompensation fehlender personeller Legitimation heranzuziehen, sondern gleich auf die sachlich-inhaltliche Legitimation auszuweiten. Nicht mehr der Gesetzgeber, sondern die Mitglieder würden dann über Struktur und Organisation entscheiden. Jede Hochschule könnte ihr eigenes Modell kreieren. Dem steht jedoch die gegenwärtige Verfassungslage entgegen. Vor dem Errichtungsakt gibt es weder die Einrichtung, noch eine Organisation, noch ein Selbstverwaltungsrecht. Die Tatsache, dass der Staat verpflichtet ist, Hochschulen einzurichten, ändert daran nichts. Die konkrete Entscheidung über die Errichtung selbstständiger Organisationen im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung mit allen dazu notwendigen strukturellen Vorgaben liegt allein in der Hand des Gesetzgebers, der dabei die demokratischen Prinzipien des Art. 20 II GG zu beachten hat. Selbstverwaltungs- und Satzungsrecht entstehen erst nach der Errichtung und leiten sich davon ab. Die Organisation der Hochschule und damit das System der Handlungs- und Entscheidungsstrukturen ist nicht das Ergebnis einer autonomen Entscheidung der Mitglieder, sondern der gesetzlichen Regelung, die auf diesem Weg der errichteten Hochschule die Legitimation vermittelt, entsprechend den gesetzlichen Regelungen ihre Organe zu besetzen. Die Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung sind also, wie es Kluth zutreffend formuliert, „Zweckschöpfungen des Staates, nicht dagegen Produkte gesellschaftlicher Selbstorganisation“.[238]

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Die Regelung in Art. 20 II GG ist eindeutig. Jede Form staatlichen Handelns muss sich auf das Volk zurückführen lassen. Der Begriff „Volk“ ist für eine Demokratie essentiell und kann nur durch den Verfassungsgeber festgelegt werden. Wesensmerkmal des Verständnisses von Volk ist, dass es nur ein solches konstitutives Organ gibt, das jedoch bezogen auf die sich aus dem GG ergebende regionale Gliederung in Länder und Kommunen die regionalen Rechte durch die regionalen Bürger wahrnimmt, was sich so unmittelbar aus dem GG ergibt und auf keine andere Verwaltungsstruktur übertragen werden kann.[239] Überwölbend gilt das Prinzip der staatsbürgerlichen Gleichheit aller dem Volk Zugehörigen. Auch wenn sich die funktionale Selbstverwaltung an demokratischen Elementen orientiert, gilt doch der Gleichheitssatz nicht in gleicher Weise,[240] weil das eigentliche Ziel nicht darin besteht, eine demokratische Gemeinschaft herzustellen, sondern einen Ausgleich unterschiedlicher Interessen der Mitglieder herzustellen – wie u.a. auch das Beispiel der Hochschulen zeigt. Schon daraus ergibt sich, dass die in einer Selbstverwaltungsorganisation zusammengeschlossenen Mitglieder nicht als Volk oder als „Volksteil“ verstanden werden können, der kraft originären Rechtes im Innenverhältnis eine autonome demokratische Legitimation herstellen könnte.[241] Das Demokratieprinzip des Art. 20 II GG kann nicht als spiegelbildliche Vorgabe für die innere Struktur von Selbstverwaltungseinrichtungen begriffen werden. Die organisatorische Struktur einer Einrichtung der funktionalen Selbstverwaltung orientiert sich nicht nur an den von der Einrichtung wahrzunehmenden Aufgaben, sondern insbesondere auch an der jeweiligen Betroffenheit möglicherweise ganz unterschiedlich zusammengesetzter Mitgliedergruppen.[242] Die gesetzliche Regelung muss deshalb in verbindlicher Weise festlegen, mit welchen Organen und Verfahren die Einrichtung ihre Entscheidungen trifft und wie die zur Entscheidung berufenen Organe zu besetzen sind. Die auf dieser normativen Grundlage intern stattfindenden Verfahren zur Besetzung der Entscheidungsorgane sind wiederum Akte der Legitimation – der Organmitglieder durch die Mitglieder der Einrichtung. Diese interne Legitimation leitet sich von der durch die gesetzliche Regelung vermittelten demokratischen Legitimation der Einrichtung und ihrer Mitglieder ab. Mit der gesetzlichen Regelung werden die Einrichtung und ihre Mitglieder legitimiert, die ihnen übertragenen Aufgaben wahrzunehmen, durch die Mitglieder die Organe zu besetzen und durch die so besetzten Organe Entscheidungen zu treffen. Begriffliche Verwirrung entsteht vor allem dadurch, dass die interne Weitergabe der demokratischen Legitimation durch Wahl der Mitglieder von Organen als autonome Legitimation bezeichnet und dabei der Eindruck erweckt wird, diese autonome Legitimation würde – im Sinne der Theorie von Emde – die demokratische Legitimation ersetzen.[243] In Wirklichkeit sind diese internen Legitimationsakte nichts anderes als die Weitergabe der mit der gesetzlichen Regelung den Mitgliedern der Einrichtung übertragenen demokratischen Legitimation, durch die sie und die Organe die notwendigen Handlungs- und Gestaltungsfreiräume erhalten. Die gesetzliche Regelung vermittelt allerdings nur eine sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation; klärungsbedürftig ist daher noch, ob damit ein für Art. 20 II GG ausreichendes Legitimationsniveau erreicht wird.

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Verlangt man bei der funktionalen Selbstverwaltung zusätzlich zur gesetzlichen Regelung auch eine eindeutige organisatorisch-personelle demokratische Legitimation der Entscheidungsträger, dann stößt man bei vielen Einrichtungen auf ein Problem. Überall dort, wo der Staat innerhalb einer Einrichtung keine Personalhoheit hat – das ist beispielsweise bei berufsständischen Organisationen der Fall –, kann auch formal gesehen keine organisatorisch- personelle demokratische Legitimation vermittelt werden.[244] Diesem Problem versucht Kluth[245] dadurch gerecht zu werden, dass er anknüpfend an den Gründungsakt eine kollektive Bestellung „einer nach sachlichen Kriterien qualifizierten Personengruppe“ als kollektive personelle Legitimation gelten lassen will. Im Grunde läuft das aber darauf hinaus, die gesetzliche Regelung, mit der die Einrichtung ins Leben gerufen wird, für ausreichend zu erklären.

Konkret geht es darum, ob man im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung die gleichen formalen Anforderungen an die beiden Komponenten der demokratischen Legitimation stellen muss, wie bei der unmittelbaren Staatsverwaltung, bei der die organisatorisch-personelle Legitimation auf Grund der Personalhoheit des Staates ohne weiteres vermittelbar ist – was bei der funktionalen Selbstverwaltung in vielen Fällen gerade nicht möglich ist. Im Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung hat die organisatorisch-personelle Legitimation als Demokratie bildendes Element entscheidendes Gewicht.[246] Das gilt jedoch nicht in entsprechender Weise für die funktionale Selbstverwaltung, die dieses Demokratieprinzip in ihrer inneren Struktur nicht in gleicher Weise abbildet. Mehrfach hat das BVerfG zum Ausdruck gebracht, dass aus verfassungsrechtlicher Sicht „nicht die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität“[247] entscheidend ist. Das gilt in besonderer Weise für die funktionale Selbstverwaltung, bei der der Handlungsrahmen in einer Detailliertheit abgesteckt ist, wie sonst kaum im staatlichen Bereich. Die Annahme, dass die personelle Legitimation über alle Hierarchieebenen hinweg eine stärkere Legitimation vermittelt als die sachlich-inhaltliche Legitimation, ist bezogen auf die funktionale Selbstverwaltung nicht zutreffend. Wenn es bei der funktionalen Selbstverwaltung darum geht, Gruppen von Bürgern mit bestimmten Eigenschaftsmerkmalen zur besseren Erfüllung staatlicher Aufgaben in einer Selbstverwaltungskörperschaft zusammenzufassen, ist häufig die Forderung nach einer lückenlosen organisatorisch-personellen demokratischen Legitimation nicht erfüllbar. Die demokratische Legitimation in der funktionalen Selbstverwaltung ist auf die jeweiligen Mitglieder der Einrichtung bezogen und ermöglicht Entscheidungen gegenüber diesen Mitgliedern in eigener Verantwortung. Die Kompetenz ist also sehr klar begrenzt und zuordenbar. Es ist deshalb aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zwingend geboten, dass Mitglieder einer Einrichtung der funktionalen Selbstverwaltung eine lückenlose organisatorisch-personelle demokratische Legitimation besitzen.[248]

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Auch das BVerfG hält bei der funktionalen Selbstverwaltung nicht am Erfordernis einer lückenlosen personellen demokratischen Legitimation fest. So führt das Gericht in seiner Grundsatzentscheidung zu den Wasserverbänden aus, dass im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung das Demokratiegebot des Art. 20 II GG offen sei „für andere, insbesondere vom Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation aller Entscheidungsbefugten abweichende Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt“.[249] Wenn eine Einrichtung der funktionalen Selbstverwaltung zu verbindlichem Handeln mit Entscheidungscharakter ermächtigt wird, sei es gegenüber Mitgliedern oder – in allerdings nur begrenzt möglichem Umfang – gegenüber Dritten, dann ist dieses Handeln am Maßstab des Art. 20 II GG zu messen. „Das bedeutet im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung nicht, dass dies im Wege einer lückenlosen personellen Legitimationskette vom Volk zum einzelnen Entscheidungsbefugten zu geschehen hat“.[250] Verbindliches Handeln mit Entscheidungscharakter sei den Organen von Trägern der funktionalen Selbstverwaltung aus verfassungsrechtlicher Sicht gestattet, weil und soweit das Volk sein Selbstbestimmungsrecht dadurch wahrt, dass es maßgeblichen Einfluss auf dieses Handeln behält. Daraus zieht das Bundesverfassungsgericht den Schluss, dass die Aufgaben und Handlungsbefugnisse der Selbstverwaltungsorgane in einem von der Volksvertretung beschlossenen Gesetz ausreichend vorherbestimmt sein müssen und deren Wahrnehmung der Aufsicht personell demokratisch legitimierter Amtswalter unterliegen muss.[251] In ähnlicher Weise, aber argumentativ noch klarer und schlüssiger grenzt Böckenförde[252] mit Blick auf die Defizite bei der personellen Legitimation die Voraussetzungen einer demokratischen Legitimation bei der funktionalen Selbstverwaltung ein: „Aufgaben, Organisation und Befugnisse der Träger der funktionalen Selbstverwaltung müssen in weitem Umfang gesetzlich geregelt sein und sich tendenziell auf die eigenen Angelegenheiten der in solchen Einrichtungen organisatorisch Zusammengefassten beschränken; […] Daneben ist eine demokratisch verantwortliche staatliche Rechtsaufsicht unabdingbar, die die Einhaltung dieser relativ weitgehenden gesetzlichen Bindungen der funktionalen Selbstverwaltung wirksam kontrolliert.“

 

d) Demokratische Legitimation der Organe der Hochschule

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Die unter c) entwickelten Grundsätze zur demokratischen Legitimation von Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung gelten auch für die Hochschulen. Als Besonderheit kommt aber hinzu, dass der Gesetzgeber bei der organisatorischen Ausgestaltung der Hochschulen zusätzlich die Anforderungen zu berücksichtigen hat, die sich aus der verfassungsrechtlich geschützten Wissenschaftsfreiheit ergeben. Der Schutz der Wissenschaftsfreiheit soll die Wissenschaft vor einer Dominanz und Übergriffigkeit des Staates schützen, führt aber nicht zu einem vom Staat abgelösten, unabhängigen Hochschulsystem. Dennoch ist an dieser Stelle nochmals auf die auch schon unter II. behandelte Frage einzugehen, ob Einrichtung und Betrieb der Hochschulen überhaupt eine staatliche Aufgabe ist.[253] Käme man nämlich zum Ergebnis, dass die im GG und in den Landesverfassungen geregelte Wissenschaftsfreiheit ein vom Staat unabhängiges Wissenschaftssystem verlangt, dann kann der Hochschulbereich auch nicht als staatliche Aufgabe angesehen werden. Es bedürfte dann keiner demokratischen Legitimation nach Art. 20 II GG, jedoch würden sich dann ganz andere Fragen stellen: Gibt es inhaltliche Vorgaben für die Einrichtung von Hochschulen, wenn ja, auf welcher Grundlage – oder kann jede Einrichtung mit beliebigen Lehrangeboten und einer beliebigen Organisation sich zur Hochschule erklären? Wer gewährleistet, dass die in Art. 5 III 1 GG garantierte Wissenschaftsfreiheit auch in diesen Einrichtungen geschützt wird – oder muss man darauf verzichten? Bereits diese Fragen machen deutlich, dass das Verständnis von Hochschule und Wissenschaft sich tiefgreifend verändern würde, wenn man das Hochschulsystem aus der gegenwärtig bestehenden staatlichen Bindung herauslösen und einem privaten Marktgeschehen überlassen würde. Solange der Staat die weit überwiegende Finanzierung der Hochschulen trägt, steht er auch in einer Rechenschaftspflicht gegenüber dem Volk. Das alles spiegelt sich detailliert im Prinzip der demokratischen Legitimation wieder. Die Wissenschaftsfreiheit ist hierbei ein wichtiger zu beachtender Baustein, aber sie ist nicht der einzige, auf den es ankommt. Man kann nicht auf der einen Seite für die Hochschulen vollkommene Unabhängigkeit vom Staat fordern, auf der anderen Seite aber dem Staat die Verantwortung für ein solches System auferlegen.

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Nicht nachvollziehbar sind deshalb Theorien, die versuchen, aus Art. 5 III 1 GG oder Regelungen in den Landesverfassungen für die Hochschulen – oder sogar nur für die Hochschullehrer – ein Recht auf autonome Selbstverwaltung abzuleiten, wie das beispielsweise in der Begründung einer gegen das BayHSchG vom 23.6.2006 gerichteten Popularklage der Juristischen Fakultäten Bayerischer Universitäten anklingt. In der dazu ergangenen Entscheidung des BayVerfGH vom 7.5.2008[254] wird die auf das Recht zur Selbstverwaltung nach Art. 138 II BV gestützte Argumentation der Juristischen Fakultäten mit folgenden Worten zitiert: „Über eine umfassende Betroffenenpartizipation sei sicherzustellen, dass die inkorporierten Hochschullehrer in Selbstverantwortung ihre eigenen Angelegenheiten organisieren und verwalten könnten. Hieraus folge, dass die inkorporierten Hochschullehrer akademische Angelegenheiten, die Forschung und Lehre beträfen, durch eigene Organe, die ihre Legitimation von den betroffenen Grundrechtsträgern bezögen, verwalten könnten.“

Dass die Hochschule sich als Selbstverwaltungseinrichtung aus verschiedenen Gruppen von Mitgliedern zusammensetzt, die – nach Maßgabe der jeweiligen Betroffenheit – ein Recht auf mitgliedschaftliche Beteiligung haben,[255] scheint bei dieser Sichtweise irrelevant zu sein. Neben der Wissenschaftsfreiheit bestehende Rechte und Interessen – auch solche der Gesellschaft und damit des Volkes – scheinen nicht zu existieren. Mit der zitierten Passage wird das Bild einer Hochschule entwickelt, die nur noch in der autonomen Zuständigkeit der Hochschullehrer steht. Das Beispiel macht deutlich, wie wichtig das Prinzip der demokratischen Legitimation tatsächlich ist, um die einseitige Durchsetzung einzelner Rechte und Interessen zu vermeiden und einen angemessenen Ausgleich zwischen kollidierenden Rechten und Interessen sicherzustellen. Der Gesetzgeber muss deshalb sorgfältig darauf achten, dass er diesem formulierten Anspruch auch gerecht wird, weil er nicht nur dem Volk gegenüber rechenschaftspflichtig, sondern auch der rechtlichen Kontrolle der Verfassungsgerichte unterworfen ist.[256] Für eine vom Staat unabhängige Hochschule mit „autonomer Legitimation“ würden vollkommen andere Grundsätze gelten.

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Die angesprochene weite Auslegung des Selbstverwaltungsrechts wird fast immer mit der Hypothese verbunden, dass die Hochschulorgane und damit deren Entscheidungen autonom legitimiert sind, also einer demokratischen Legitimation nach Art. 20 II GG nicht bedürfen, wobei es für diese Theorie zwei Spielarten gibt. Bei der einen fehlt ein Bezug zu Art. 20 II GG, d.h. es gibt überhaupt nur die autonome Legitimation, bei der anderen ersetzt die autonome Legitimation das Fehlen der personellen Legitimation.[257] Bei genauerer Betrachtung erweisen sich jedoch beide Arten von autonomer Legitimation der Hochschule als Konstrukt, das einer verfassungsrechtlichen Grundlage entbehrt. Dabei geht es, wenn man an das Thema „Hochschulrat“ denkt, nicht nur um die theoretische Begründung der Entscheidungsbefugnisse der Hochschulorgane, sondern vor allem auch um die Frage, wer das Recht hat, darüber zu entscheiden, welche Organe mit welcher Zuständigkeit und in welcher Zusammensetzung für die Hochschule handeln dürfen. Wer die Berechtigung des Staates zur Einsetzung eines Hochschulrats mit Externen bestreitet und sich dabei auf eine autonome Legitimation beruft, nimmt in Anspruch, dass über die Existenz und die Besetzung eines Organs allein die Hochschule zu entscheiden hat. Dann aber stellt sich sofort die Frage, wer innerhalb der Hochschule mit welchem Stimmengewicht eigentlich legitimiert ist, die Strukturen festzulegen. Die Argumentation der Juristischen Fakultäten, wie sie in der Entscheidung des BayVerfGH (Rn. 201) wiedergegeben wird, spricht einen Gesichtspunkt an, der bedacht werden muss. Wenn nach geltendem Verfassungsrecht der Hochschule und ihren Wissenschaftlern der Kernbereich von Forschung und Lehre zur selbstständigen Erledigung überlassen ist, könnte man den Schluss ziehen, dass für diesen Bereich die Grundrechtsträger eigene Organe einrichten können. Es würde dann in der Hochschule zwei Gruppen von Organen geben, die sich entweder von der gesetzlichen Regelung oder von Organisationsentscheidungen der Mitglieder ableiten. Im Ergebnis würde das zu Chaos führen. Genau das soll mit der gesetzlichen Entscheidung für eine Einheitsverwaltung (§ 8 I 2 LHG) vermieden werden. Die im Gesetz vorgesehenen Organe nehmen die Aufgaben wahr, die ihnen zugeordnet sind – unabhängig davon, ob eine Angelegenheit sich ausschließlich auf Forschung und Lehre, den Kondominialbereich oder eine vom Staat auf die Hochschule übertragene Angelegenheit bezieht. Das Gesetz lässt keine von der Hochschule geschaffenen Organe zu, die nur für den Bereich von Forschung und Lehre zuständig und ausschließlich autonom legitimiert sind. Berechtigt bleibt dennoch die Frage nach der Legitimation der vom Gesetzgeber geschaffenen Organe für Entscheidungen im Bereich von Forschung und Lehre, die sich allein aus der demokratischen Legitimation nicht ergibt. Die Lösung liegt in den von der Rechtsprechung aus Art. 5 III 1 GG abgeleiteten Vorgaben zum Schutz der Wissenschaftsfreiheit, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Organe der Einheitsverwaltung zu beachten hat und die das Hochschulurteil des BVerfG in Gestalt der unterschiedlichen Stimmgewichte konkretisiert hat (vgl. Rn. 129 ff., 132 f.). Vor dem Hintergrund einer so geschützten Wissenschaftsfreiheit kann den Grundrechtsträgern auferlegt werden, dass sie sich zur Entscheidung von Angelegenheiten in Forschung und Lehre der vom staatlichen Gesetz geschaffenen Organe bedienen. Die Legitimation der Organe erfolgt durch die Verfahren zur Besetzung der Organe in einem einheitlichen Entscheidungsakt für alle Aufgabenbereiche.[258] Durch die Wahlen werden die Organe also nach Art. 20 II GG demokratisch, gleichzeitig aber in Bezug auf akademische Angelegenheiten auch autonom legitimiert. Die autonome Legitimation ersetzt nicht die demokratische Legitimation, sondern erweitert diese in Bezug auf die Wahrnehmung akademischer Angelegenheiten durch die Organe. Bei Organen, die keine akademischen Angelegenheiten wahrzunehmen haben, bedarf es keiner autonomen Legitimation.

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GG und LV knüpfen an das historisch vorgefundene System staatlicher Hochschulen an,[259] nehmen den Staat aber verstärkt in die Pflicht. Nach dem Wortlaut formuliert Art. 5 III 1 GG nur ein individuelles Freiheitsrecht für jedermann. Mit Blick auf den notwendigen institutionellen Rahmen, den ein staatlich finanziertes Hochschulsystem braucht, wird dieses Freiheitsrecht aber von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung um die Verpflichtung des Staates erweitert, dieses Hochschulsystem zu schützen und aktiv zu fördern. Die in Art. 20 I LV geregelte Wissenschaftsfreiheit der Hochschule und das in Art. 20 II LV garantierte Recht der Selbstverwaltung begründen in vergleichbarer Weise eine Verantwortlichkeit des Staates für das Hochschulsystem. Von einer vom Staat unabhängigen, nur auf sich gestellten Hochschule ist an keiner Stelle die Rede. Die in Art. 20 II LV formulierten Vorbehalte wären sonst von vornherein sinnlos. Auch die kontinuierliche Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 5 III 1 GG geht von einer übergreifenden Verantwortung des Staates für das Hochschulsystem aus, dem einerseits weitgehende Gestaltungsfreiheit für dieses System zugestanden wird, der gleichzeitig aber mit Blick auf die Finanzierung und die Sicherung der Wissenschaftsfreiheit in die Pflicht genommen wird. Der Staat – nicht die Hochschule oder ihre Mitglieder – hat die Aufgabe ein solches Hochschulsystem mit den notwendigen organisatorischen Rahmenbedingungen einzurichten. In dieser Klarheit und Eindeutigkeit bringt das leider nur Art. 138 I der Bayerischen Verfassung zum Ausdruck.[260] Für GG und LV gilt dennoch nichts anderes.

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Ein Blick auf Hochschulsysteme anderer Staaten zeigt allerdings, dass ein staatliches Hochschulsystem in keiner Weise zwingend ist. Die Alternative wäre ein marktorientiertes Hochschulsystem mit wenigstens teilweise kostendeckenden Studiengebühren, wie wir es beispielsweise in den USA vorfinden. Dass in Deutschland Einrichtung und Betrieb des Hochschulsystems immer eine staatliche Aufgabe waren und bis heute geblieben sind, hängt mit der herausragenden Bedeutung der Hochschulen für die gesamte Gesellschaft, aber auch mit dem Sozialstaatsprinzip zusammen. Hochschulen sind Einrichtungen, die Forschung und Lehre dienen. Sie sind akademische Ausbildungsstätten zur Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses für die Vielzahl akademischer Berufe. Die Forschung spielt dabei eine wichtige unterstützende und ergänzende Rolle, sie steht aber nicht im Mittelpunkt, wie bei den Max- Planck- Instituten. Inzwischen erwirbt mehr als die Hälfte eines Altersjahrgangs eine Hochschulzugangsberechtigung und die Studienanfängerquote (ohne Ausländer) liegt nur knapp darunter. Ein staatliches Hochschulsystem kann grundsätzlich für mehr Chancengleichheit und –gerechtigkeit sorgen, ist aber gleichzeitig weniger flexibel und anpassungsfähig gegenüber neuen Herausforderungen. Das zeigt sich nicht zuletzt bei jeder Reform des Hochschulrechts. Das in Deutschland geltende, seit dem Jahr 2000 tiefgreifend reformierte Hochschulsystem hat Stärken, wie die Akzeptanz von deutschen Absolventen im Ausland zeigt, die Rechtsprechung muss aber auch die immer wieder beschworene Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ernst nehmen und darauf achten, dass nicht eine ausufernde Interpretation des zu schützenden Bereichs der Wissenschaftsfreiheit zu einer Verkrustung des Hochschulsystems führt.

 

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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Einrichtung und Betrieb des Hochschulsystems nach den verfassungsrechtlichen Bestimmungen eine staatliche Aufgabe sind. Bei der Umsetzung des Verfassungsauftrags zur Errichtung von Hochschulen muss deshalb die notwendige demokratische Legitimation nach Art. 20 II GG durch das Volk sichergestellt sein. Ohne eine solche Legitimation kann kein staatliches Hochschulsystem entstehen. Eine ausreichende Legitimation für ein solches Hochschulsystem kann nur hergestellt werden, wenn die wesentlichen Elemente der Struktur und Organisation normativ festgelegt und zum Gegenstand der demokratischen Legitimation gemacht werden. Für die Annahme, dass Struktur und Organisation der Hochschule sich von einer „autonomen Legitimation“ durch die Mitglieder als einer Art von „Teilvolk“ oder „Verbandsvolk“ ableiten, ist kein Raum. Eine von den Mitgliedern abgeleitete autonome Legitimation könnte keine der Verfassung entsprechende demokratische Legitimation vermitteln, diese auch nicht ersetzen oder kompensieren.[261] Die Freiheit von Forschung und Lehre und das Recht zur Selbstverwaltung sind einschränkende Vorgaben der Verfassung gegenüber dem Gesetzgeber, mehr nicht. Die Grundrechte garantieren Schutz- und Abwehrrechte gegen den Staat, sie bilden aber keine Grundlage für kompetenzrechtliche Zuordnungen.[262]

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Die demokratische Legitimation nach Art. 20 II verlangt, dass Inhalt und Zweck einer gesetzlichen Regelung transparent und nachvollziehbar sind. Wenn es also um die Errichtung von Organisationen der funktionalen Selbstverwaltung geht, müssen die entscheidenden Bestimmungen zu den Aufgaben und Befugnissen, zur Organisation und Struktur der Einrichtung sich aus dem Gesetz ergeben. Das mit der demokratischen Legitimation verbundene Prinzip einer kontinuierlichen Verantwortung des Gesetzgebers gegenüber dem Volk erfordert außerdem, dass die Selbstverwaltungsorganisationen einer staatlichen Aufsicht (vgl. Rn. 199) unterworfen sind. Diese allgemeinen Grundsätze gelten uneingeschränkt auch für die Hochschulen. Mit der gesetzlichen Regelung werden die auf die verschiedenen Hochschulen entfallenden Aufgaben und die organisatorische Struktur festgelegt.[263] Auf dieser Grundlage entscheiden die Mitglieder über die Besetzung der Organe, die dann die Entscheidungen treffen. Dieser gesamte sich ständig wiederholende Prozess ist durch die gesetzliche Regelung ausreichend demokratisch legitimiert und lässt es auch zu, den Hochschulen Gestaltungsoptionen einzuräumen, beispielsweise im Satzungsrecht (vgl. dazu Rn. 173, 174).

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Da es bei vielen Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung keine staatliche Personalhoheit gibt, fehlt bei ihnen zwangsläufig eine lückenlose organisatorisch-personelle Legitimation; in aller Regel bildet jedoch die gesetzliche Regelung eine ausreichende Grundlage zur Vermittlung der demokratischen Legitimation nach Art. 20 II GG. Bei den Hochschulen in Baden-Württemberg wird die durch das LHG vermittelte sachlich-inhaltliche Legitimation zusätzlich noch durch eine organisatorisch-personelle Legitimation verstärkt. Alle Hochschullehrer, die wissenschaftlichen oder nicht wissenschaftlichen Mitarbeiter – verbeamtet oder angestellt –, das gesamte Personal stehen rechtlich im Dienst des Landes. Der Großteil der an den Hochschulen beschäftigten Mitarbeiter wird zwar von den Hochschulen selbst ernannt bzw. eingestellt, aber nicht kraft eigenen Rechts, sondern auf Grund einer von staatlicher Seite vorgenommenen Delegation. So ergibt sich die Kompetenz der Hochschulen zur Ernennung von Beamten bis zu einer gesetzlich festgelegten Besoldungsgruppe aus § 4 Nr. 11 und 12 des Ernennungsgesetzes (ErnG). Ohne diese Delegation wäre nach § 1 ErnG allein der Ministerpräsident für Ernennungen zuständig. Das macht nochmals deutlich, dass die Hochschulen keine vom Staat abgelösten verselbstständigten Einrichtungen sind, sondern Teil der Landesverwaltung – allerdings ausgestattet mit besonderen Rechten gegenüber dem Land.

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Mit ihrer Ernennung oder Anstellung sind alle für die Hochschule tätigen Mitglieder nicht nur berechtigt, also legitimiert, sondern nach § 9 II 1 LHG sogar dazu verpflichtet, in den vom Gesetz vorgesehenen Verfahren sich entweder selbst um Ämter oder die Mitgliedschaft in Organen zu bewerben oder andere Bewerber für solche Ämter oder Organmitgliedschaften zu wählen. Die Ausübung des Wahlrechts und die Wahrnehmung eines vom LHG vorgesehenen Amtes sind also Teil der dienstlichen Aufgaben. Mit der Begründung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses an einer Hochschule wird obligatorisch gegenüber jedem Einzelnen die organisatorisch-personelle Legitimation zur Teilhabe an den gesetzlich vorgesehenen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen der Hochschule vermittelt, deren Inhalt und Umfang auf Grund der normativen Regelungen feststeht. Alle an der Hochschule beschäftigten Mitglieder besitzen damit eine individuelle staatsvermittelte organisatorisch-personelle demokratische Legitimation. Streiten kann man darüber, ob auch die Studierenden und die nicht an der Hochschule beschäftigten Promovenden eine organisatorisch-personelle demokratische Legitimation vermitteln können. Das hängt davon ab, ob man den Akt der Immatrikulation zur Übertragung einer organisatorisch-personellen demokratische Legitimation, die sich auf die Teilnahme an den Wahlverfahren bezieht, für ausreichend hält. Mit der Immatrikulation werden die Studierenden Mitglieder der Hochschule und sind nach § 9 II 1 LHG berechtigt und verpflichtet, an der Selbstverwaltung der Hochschule mitzuwirken. Entscheidend ist diese Frage letztlich nicht. Folgt man der unter c) wiedergegebenen Meinung von Kluth, dann liegt zumindest eine kollektive personelle Legitimation vor. Die Regelung in § 9 II 1 LHG spricht für eine solche Auslegung. Stellt man sich puristisch auf den Standpunkt, dass die personelle Legitimation der Studierenden nicht ausreicht, wäre selbst das nach der Rechtsprechung des BVerfG[264] kein Problem, weil im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung Organe auch mit personell nicht legitimierten Mitgliedern besetzt sein dürfen, sofern nur die personell legitimierten Mitglieder in dem jeweiligen Organ die Mehrheit besitzen, was bei den Organen der Hochschule der Fall ist. Das Beispiel zeigt, dass eine Reihe von argumentativen Umwegen möglich ist. Am schlüssigsten aber erscheint nach wie vor die Meinung von Böckenförde[265], dass im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung auf eine personelle Legitimation verzichtet werden kann, wenn die gesetzlichen Regelungen die Organisation und die Handlungs- und Entscheidungsstrukturen klar regeln und deren Einhaltung durch eine entsprechende staatliche Aufsicht gewährleistet ist. Für einzelne Ämter kann der Gesetzgeber immer eine personelle Legitimation verlangen. Die demokratische Legitimation erfordert dabei nicht zwangsläufig ein einheitliches Verfahren zur Besetzung der Organe und ist auch nicht in der Weise eingeschränkt, dass nur Mitglieder der Hochschule gewählt werden könnten. Das bedeutet, dass nicht nur über einheitliche Wahlen, sondern auch auf andere Weise die demokratische Legitimation vermittelt werden kann. Das gilt etwa für Amtsmitgliedschaften in Selbstverwaltungsorganen (vgl. dazu Rn. 148 ff.).