Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg

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Bei der Besetzung besonders wichtiger Positionen verlangt das Gesetz ausdrücklich und zusätzlich zu der sachlich-inhaltlichen Legitimation eine organisatorisch-personelle demokratische Legitimation. Das betrifft etwa die Besetzung des Rektorats mit hauptamtlichen Mitgliedern, die auch Externe sein können; entsprechendes gilt für einen Dekan im Hauptamt, aber auch für den Hochschulrat. Die Bestellung der hauptamtlichen Rektoratsmitglieder und die Besetzung des Hochschulrats hat der Gesetzgeber der Landesregierung zur abschließenden Entscheidung vorbehalten. Die hauptamtlichen Mitglieder des Rektorats werden nicht schon durch die Wahl, sondern erst durch ihre Ernennung zu Beamten auf Zeit, für die der Ministerpräsident zuständig ist, demokratisch legitimiert. Beim Hochschulrat erfolgt die organisatorisch- personelle Legitimation der Mitglieder durch den Wissenschaftsminister (§ 20 III 1 LHG). Als Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass für alle Organe der Hochschule nach Art. 20 II GG eine demokratische Legitimation möglich ist und in Baden-Württemberg auch erfolgt.

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Die These, dass einem ganz oder zum Teil mit externen Mitgliedern besetzten Hochschulrat die demokratische Legitimation fehlt, erweist sich also als unzutreffend. Ein nur mit Externen besetzter baden-württembergischer Hochschulrat besitzt nach der gesetzlichen Regelung des LHG eine sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation, seine Mitglieder haben darüber hinaus durch die ministerielle Bestellung auch eine organisatorisch-personelle demokratische Legitimation. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommen auch mehrere verfassungsgerichtliche Entscheidungen, die sich auf Hochschulratsmodelle in anderen Bundesländern beziehen.

Die erste Entscheidung, die sich mit dem Thema auseinander gesetzt hat, betraf den Landeshochschulrat in Brandenburg. Wie in anderen Ländern zu diesem Zeitpunkt auch sah die Reform des Brandenburgischen Hochschulgesetzes (BbgHG) eine stärkere Bündelung der Entscheidungskompetenzen vor, darüber hinaus aber auch die Einführung eines für alle Hochschulen zuständigen Landeshochschulrats. Im Mittelpunkt der Verfassungsbeschwerden von Hochschullehrern und Fakultäten Brandenburgischer Universitäten stand die Frage, ob die im Gesetz vorgenommenen Aufgabenzuweisungen mit Art. 5 III 1 GG noch vereinbar sind oder ob sich eine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit ergibt. Die eine solche strukturelle Gefährdung verneinende Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 2004[266], auf die bereits unter Rn. 138 näher eingegangen wurde, bejaht die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Landeshochschulrats. Die Besonderheit dieses bis heute existierenden Landeshochschulrats liegt darin, dass er kein Organ der einzelnen Hochschule ist, sondern im Rahmen seiner Aufgaben für alle staatlichen Hochschulen in Brandenburg tätig wird; gewisse Modifikationen und Einschränkungen bestehen nach § 19 StiftG-EUV des Landes Brandenburg heute für die „Europa-Universität Viadrina“, die seit 2008 in der Trägerschaft einer zu diesem Zweck errichteten Stiftung steht.[267] Der in der Zwischenzeit rechtlich leicht modifizierte Landeshochschulrat setzt sich aus Persönlichkeiten zusammen, die auf Vorschlag des Wissenschaftsministers nach Anhörung der Hochschulen und im Benehmen mit dem zuständigen Ausschuss des Landtags vom Ministerpräsidenten bestellt werden. Neben verschiedenen Beratungsaufgaben hatte der Landeshochschulrat zum Zeitpunkt der Entscheidung auch das Recht, dem Senat Kandidaten für die Wahl der Hochschulleitung nach vorherigem Benehmen mit dem Selbstverwaltungsorgan vorzuschlagen. Auch bei der Entscheidung über die Entwicklungspläne sieht das Gesetz eine Mitwirkung des Landeshochschulrats vor. In seiner Entscheidung stellt das BVerfG zunächst fest, dass der demokratisch legitimierte Gesetzgeber sich trotz der ministerialfreien Organisationsform in verfassungsrechtlich zulässiger Weise für einen Landeshochschulrat entscheiden kann, und sieht darin sogar eine Regelung, die der Unabhängigkeit der Wissenschaft dient.[268] Bezogen auf das Verfahren zur Wahl der Hochschulleitung hält das BVerfG die Kompetenz des Senats zur Wahl und zur Abwahl der Hochschulleitung für ausreichend, um im Vorschlagsrecht des Landeshochschulrat keine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit zu sehen. Das Gericht akzeptiert dabei ausdrücklich die für eine Abwahl im Gesetz vorgesehene Zweidrittelmehrheit im Senat. Richtungsweisend ist diese Entscheidung des BVerfG nicht zuletzt deshalb, weil sie bestätigt, dass der demokratisch legitimierte Gesetzgeber mit Externen besetzte Organe vorsehen kann, die an Entscheidungen der Hochschule mitwirken. Damit fügen sich die im Abstand von nur zwei Jahren (2004 und 2002) ergangenen beiden Entscheidungen des 1. Senats des BVerfG zu Brandenburg und des 2. Senats zum Lippe/Emscher-Wasserverband beim Thema der Zusammensetzung von Organen in Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung schlüssig zusammen.

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In den beiden später ergangenen Entscheidungen des BVerfG zum HmbHG (Hamburg) und NHG (Med. Hochschule Hannover) stand die Frage der strukturellen Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit durch die vom Gesetzgeber vorgesehene Zuständigkeitsverteilung im Vordergrund. In beiden Fällen sahen die gesetzlichen Regelungen einen Hochschulrat vor, dessen Zuständigkeit bei relevanten Entscheidungen auch eine Rolle spielte.[269] Das BVerfG konnte dabei der Frage gar nicht ausweichen, ob es einen solchen Hochschulrat überhaupt geben darf. In keiner der beiden Entscheidungen wird die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines solchen Hochschulorgans in Frage gestellt. Das BVerfG konzentriert sich vielmehr ganz auf die Frage, ob bei der konkreten Aufgabenverteilung dem Fakultätsrat (Hamburg) oder dem Senat (Hannover) als Selbstverwaltungsorganen Entscheidungs- oder Mitwirkungsrechte vorenthalten werden.. Die Hannover-Entscheidung bestätigt sogar ausdrücklich die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Hochschulrats:

Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es, wenn der Gesetzgeber hier auch die Perspektive extern besetzter Organe, also hier diejenige des Hochschulrats zur Geltung kommen läßt (§ 63c Abs. 5 Satz 2 und 3 NHG), solange dieser dem Vertretungsorgan akademischer Selbstverwaltung sein Mitwirkungsrecht nicht aus der Hand nehmen kann (§ 63c Abs. 5 Satz 4 NHG)“.[270]

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Zu einem entsprechenden Ergebnis kommt auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH)[271] in seiner Entscheidung vom 7.5.2008 über die Popularklage Juristischer Fakultäten bayerischer Universitäten, die sich u.a. gegen Regelungen im BayHSchG zum Hochschulrat und zur Wahl des Präsidenten durch den Hochschulrat richtete. In Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerfG, insbesondere die Brandenburg-Entscheidung (E 111, 333) betont der BayVerfGH bei der Auslegung des Art. 108 BV (Wissenschafts- und Kunstfreiheit), dass Entscheidungen im Kernbereich der akademischen Angelegenheiten nur von Hochschulorganen getroffen werden können, die mit einer Mehrheit von Hochschullehrern besetzt sind. Der nach dem BayHSchG zur Hälfte mit Externen besetzte Hochschulrat wird verfassungsrechtlich nicht beanstandet, weil er nach Überzeugung des Gerichts gerade nicht im Kernbereich der akademischen Angelegenheiten tätig wird. Bezogen auf die verschiedenen Aufgaben des Hochschulrats kommt das Gericht zum Ergebnis, dass es sich – wie bei der Hochschulleitung auch – durchweg um Aufgaben handelt, die in erster Linie Planungs-, Steuerungs-, Kontroll- und Entwicklungsaufgaben, also nicht Angelegenheiten des Kernbereichs akademischer Tätigkeit betreffen. Der BayVerfGH zieht dabei eine klare Trennungslinie zwischen dem eigentlichen akademischen Bereich, für den konsequent das Prinzip der Professorenmehrheit gilt, und dem administrativ-strategischen Bereich, in dem diese Mehrheit nicht gilt. Bei dieser Trennung hilft die in Art. 12 III BayHSchG enthaltene Aufzählung staatlicher Angelegenheiten – die im LHG fehlt –, weil damit die staatlichen Aufgaben deutlich von den akademischen Aufgaben unterschieden werden können und so vermieden wird, dass auf einmal alle Aufgaben der Hochschulen zu akademischen oder „wissenschaftsrelevanten“[272] erklärt werden. Vor diesem Hintergrund akzeptiert der BayVerfGH den Hochschulrat mit der Zuständigkeit u.a. für folgende Aufgaben: Beschluss der Grundordnung, Wahl und Abwahl des Präsidenten und weiterer Mitglieder der Hochschulleitung, Einrichtung, Änderung und Aufhebung von Studiengängen, Beschluss zur Gliederung der Hochschule in Fakultäten und Beschluss zur Entwicklungsplanung auf Antrag der erweiterten Hochschulleitung.

Für das Gericht ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit. Die von den klagenden Fakultäten vorgetragene These, dass ein mit Externen besetztes Organ gegen das Prinzip der Selbstverwaltung verstoße, weist das Gericht zurück und stellt fest, dass „die externen Mitglieder Angehörige eines Organs der Hochschule selbst“ sind. „Entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen kann der Hochschulrat deshalb nicht als ein der Hochschule ‚zwangsimplantiertes externes Organ‚ angesehen werden“.[273] Zur Frage der demokratischen Legitimation des Hochschulrats stellt der BayVerfGH fest, dass der Hochschulrat in sachlicher wie persönlicher Hinsicht hinreichend legitimiert ist. Die demokratische Legitimation aller Mitglieder des Hochschulrats, der sich zur Hälfte aus Internen, den gewählten Senatsmitgliedern, und zur anderen Hälfte aus Externen zusammensetzt, leitet der BayVerfGH aus der vom BayHSchG vorgesehenen Besetzungsregelung ab und verwendet dafür die Bezeichnung einer „sachlich-funktionellen“ Legitimation. Wie der ausdrückliche Verweis auf die Rechts- und Fachaufsicht des Ministeriums über den Hochschulrat zeigt, ist damit die sonst als sachlich-inhaltlich bezeichnete demokratische Legitimation gemeint. Mit der Bestellung durch den Wissenschaftsminister erhalten die externen Mitglieder des bayerischen Hochschulrats darüber hinaus auch noch eine personell-demokratische Legitimation.[274]

 

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Die Ausführungen zu den Grundsätzen der funktionalen Selbstverwaltung, aber auch zur demokratischen Legitimation haben gezeigt, dass die schwierigen und rechtlich stark umstrittenen Fragen, die das Verhältnis von Staat und Hochschule betreffen, nur adäquat beantwortet werden können, wenn man die verfassungsrechtliche Einbettung des deutschen Hochschulsystems im Detail analysiert. Die Wissenschaftsfreiheit ist ein zentraler Pfeiler eines freiheitlich-demokratischen Rechtssystems. Deshalb müssen der Staat und die Verfassungsorgane in die Pflicht genommen werden, diese Freiheit zu schützen und staatliche Wissenschaftsinstitutionen nach Kräften zu fördern. Das bedeutet aber umgekehrt, dass eine autonome Abkoppelung des Hochschulsystems vom Staat keine Lösung ist und von den Bestimmungen des GG oder der LV auch nicht vorgesehen ist. Alle Modelle, die von einem staatsfernen autonomen Hochschulsystem in Deutschland ausgehen, sind nicht zu Ende gedacht. Die eigentliche Alternative wäre ein nichtstaatliches Hochschulsystem mit allen Konsequenzen, die das mit sich brächte. Erstrebenswert erscheint das jedoch nicht.

2. Kapitel Rechtsstellung und Organisation der Hochschulen › B. Hochschulorganisation

Dr. Klaus Herberger

B. Hochschulorganisation

2. Kapitel Rechtsstellung und Organisation der Hochschulen › B. Hochschulorganisation › I. Leitbilder

I. Leitbilder

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Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG[275] hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der organisatorischen Struktur der Hochschulen einen weiten Gestaltungsspielraum, sofern er nur die sich aus der Freiheit von Forschung und Lehre (Art. 5 III 1 GG) ergebenden Einschränkungen beachtet. Damit stellt sich für den Gesetzgeber die Frage, welches Leitbild er seiner gesetzlichen Regelung zu Grunde legen soll. Die Spannbreite möglicher Regelungen wird durch zwei sehr gegensätzliche Modelle markiert, die man als „Gelehrtenrepublik“ und „wissenschaftliches Dienstleistungsunternehmen“ bezeichnen könnte.[276] Mit der Bezeichnung „Gelehrtenrepublik“ wird die unabhängige und selbstständige wissenschaftliche Tätigkeit in den Mittelpunkt gestellt, während der Begriff „wissenschaftliches „Dienstleistungsunternehmen“ die Verpflichtungen der Hochschule gegenüber denjenigen betont, die Leistungen der Hochschule nachfragen.

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In historischer Sicht war die Hochschule lange Zeit „Gelehrtenrepublik“ für einen kleinen Kreis von Auserwählten, denen Wissen und Überzeugungen weitervermittelt wurden. Exemplarisch dafür steht das Modell Wilhelm von Humboldts von der deutschen Universität als einer „absichtslosen“ Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden im Zeichen der engen Verbindung von Forschung und Lehre, die den einzelnen durch die Beschäftigung mit zweckfreier Wissenschaft „in Einsamkeit und Freiheit“ über wissenschaftliche Erkenntnisse hinaus ethische Handlungsnormen vermittelt.[277] Legt man an diese verschiedenen Kriterien die heutige Realität als Messlatte an, dann wird deutlich, dass sich fast alle Parameter nachhaltig verändert haben. Geblieben ist die Idee der Einheit von Forschung und Lehre. Diese beiden Aufgabenbereiche markieren die Spannbreite, der sich die Hochschule von heute als Herausforderung stellen muss. In einer vernetzten und globalisierten Welt lässt sich Wissenschaft nicht mehr in Einsamkeit und Abgeschiedenheit betreiben. Und von einer „absichtslosen“ Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden kann auch nicht mehr die Rede sein, wenn für etwa die Hälfte eines Altersjahrgangs ein Hochschulabschluss die Grundlage für ihre berufliche Tätigkeit ist. Mit der Idylle der Hochschule zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat die Hochschule von heute also nur noch wenig gemein. Prägend geblieben ist neben der Einheit von Forschung und Lehre das ebenfalls von Wilhelm von Humboldt formulierte Prinzip der akademischen Freiheit. Im Verfassungsstaat, dessen Aufgabe es u.a. ist, die kollidierenden Rechte der Bürger aufeinander abzustimmen, muss diese akademische Freiheit mit anderen in der Verfassung geschützten Rechten in Ausgleich gebracht werden. Bei der Forschung spielen solche anderen Rechte nur in der Weise eine Rolle, dass die Rechte eines Wissenschaftlers mit den Rechten eines anderen kollidieren können, es also um die Notwendigkeit eines internen Ausgleichs geht. Unter diesen Voraussetzungen kann und muss der Wissenschaft in der Forschung größtmögliche akademische Freiheit eingeräumt werden, so dass für diesen Bereich das Bild von der Gelehrtenrepublik noch immer passend ist. Im Bereich der Lehre haben sich die Parameter tiefgreifend verändert. Plakativ kommt das in den Begriffen „Forschungsfreiheit“ und „Lehrverpflichtung“ zum Ausdruck. Jeder Hochschullehrer ist frei, darüber zu entscheiden, wie und was er forscht. Das gilt im Grundsatz auch für die Lehre, aber mit Einschränkungen (vgl. Rn. 437). Die Freiheit der Lehre ist eingebunden in ein System der von der Hochschule angebotenen Studiengänge und der für ein ordnungsgemäßes Studium erforderlichen Lehrveranstaltungen. Die Freiheit der Lehre ist also untrennbar mit der Verpflichtung verknüpft, an der Vermittlung eines hinreichenden Studienangebots mitzuwirken, weil darauf die Studierenden einen Anspruch haben. Die Studierenden dürfen von der Hochschule eine an wissenschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichtete Qualifizierung für einen akademischen Beruf erwarten; diese Erwartung wird verfassungsrechtlich durch die Freiheit der Berufswahl nach Art. 12 I GG geschützt. Für die Lehre gilt deshalb nicht in gleicher Weise wie für die Forschung eine nahezu schrankenlose Freiheit.[278] Die Freiheit der Lehre wird vielmehr überlagert von der Verpflichtung jedes einzelnen Wissenschaftlers, seinen Anteil im Rahmen des insgesamt erforderlichen Studienangebots zu erbringen. Genau genommen ist dieser Teil der Aufgaben der Hochschule der maßgebliche: Hochschulen werden nicht wie Max-Planck-Institute oder andere Einrichtungen der außeruniversitären Forschung primär für Forschungszwecke errichtet, sondern für Lehraufgaben, zu denen dann auf Grund der Einheit von Forschung und Lehre die Forschungsaufgaben komplementär hinzutreten. Der Dienstleistungscharakter der Hochschule ist also nicht nur ein Appendix zu den Aufgaben in der Forschung.

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Das Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre führt dazu, dass zwei sehr unterschiedliche Elemente in der organisatorischen Struktur adäquat zu berücksichtigen sind. Jede Hochschule vereint unter ihrem Dach sowohl Elemente der Gelehrtenrepublik wie auch Elemente eines Dienstleistungsunternehmens. Bei der konkreten Ausgestaltung der Hochschulorganisation kann der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit unterschiedliche Akzente setzen, er muss dabei nur die vom GG gezogenen Grenzen, vor allem die Wissenschaftsfreiheit und die Freiheit der Berufswahl beachten. Vergleicht man die Hochschulgesetze der Bundesländer und bezieht dabei auch noch die Veränderungen seit der Jahrtausendwende ein, dann zeigen sich ganz erhebliche Unterschiede. Gerade die Hochschulgesetze spiegeln politische Grundüberzeugungen der jeweiligen Regierung wider. Auf Grund der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gibt es jedoch auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Das gilt etwa für die Beteiligung der verschiedenen Mitgliedergruppen an Entscheidungen der Hochschule, die allerdings in der konkreten Umsetzung dann wieder unterschiedlich ausfällt. Die Gruppenhochschule,[279] wie sie durch gesetzliche Regelungen im Zusammenhang mit der Expansion des Hochschulbereichs in den 1970er Jahren entstanden ist, verfolgt das Anliegen, innerhalb der Hochschule allen Mitgliedern die Möglichkeit einer Mitwirkung zu geben, sei es auch nur in Gestalt einer kleinen Zahl von gewählten Repräsentanten. Dieses Modell ist bis heute Grundlage aller gesetzlichen Regelungen zur Organisation der Hochschulen, hat jedoch in den verschiedenen Bundesländern seit der Jahrtausendwende immer wieder Modifikationen erfahren. Das gilt auch für Baden-Württemberg.

Dass gerade ab dem Jahr 2000 Änderungen des Hochschulrechts einsetzen, hat nichts mit guten Vorsätzen der Politik für das neue Jahrtausend zu tun, sondern findet seine natürliche Erklärung darin, dass zu diesem Zeitpunkt der Bund seine starren Regelungen im Hochschulrahmengesetz (HRG) lockerte und den Ländern Freiräume zur Gestaltung der Hochschulorganisation einräumte. Darauf hatten die Länder lange Zeit gedrängt, um die Hochschulen aus dem Korsett sehr formaler Regelungen zu befreien und ihnen eine größere Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von staatlichen Vorgaben einzuräumen. Gedanklich war damit die Notwendigkeit verbunden, eine Organstruktur vorzusehen, die geeignet war, einen verantwortungsvollen Umgang mit der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit zu unterstützen. Die zurückliegenden Jahre waren teilweise als lähmend empfunden worden, u.a. auch, weil die Rollenverteilung innerhalb der Hochschule unklar war. Rektor und Rektorat wurden mehr als verlängerter Arm des Senats empfunden denn als eigenverantwortliche Organe und Ansprechpartner; das hatte auch mit der Verteilung der Zuständigkeiten zu tun. Jedenfalls nutzte der Gesetzgeber in Baden-Württemberg die angesprochene Öffnung des HRG für eine nachhaltige Deregulierung[280] des Hochschulrechts und verband das mit einer Reform der Organstrukturen, die das Grundmodell der Gruppenhochschule, Repräsentanten zu den Selbstverwaltungsgremien zu wählen, unberührt ließ, jedoch die Entscheidungszuständigkeiten so auf die Organe verteilte, wie sich das in anderen privaten und staatlichen Organisationen seit langem bewährt hat; zur Charakterisierung dieses Modells wurde in der Vorauflage die Bezeichnung „unternehmerische Hochschule“ gewählt. Dieser Prozess und die dabei berücksichtigten Gesichtspunkte verdienen nochmals eine nähere Betrachtung. Auch wenn seit der Reform des Jahres 2000 viele Bestimmungen zur Organisation der Hochschulen geändert wurden, ist doch die Grundstruktur erhalten geblieben.[281] Erst das Urteil des VerfGH BW vom 14.11.2016 hat diese Grundstruktur zur Disposition gestellt, indem die Forderung formuliert wurde, die Zuständigkeiten des Rektorats zugunsten des Senats einzuschränken oder aber die Möglichkeit einer Abwahl von Mitgliedern des Rektorats allein durch die Gruppe der Hochschullehrer einzuführen. Im HRWeitEG hat sich der Gesetzgeber für diese zweite Alternative entschieden. Damit ist eine Organisationsstruktur erhalten geblieben, die ganz entscheidend zum Aufblühen und zum wissenschaftlichen Erfolg der baden-württembergischen Hochschulen beigetragen hat – was auch von anderen so gesehen wird.[282]

2. Kapitel Rechtsstellung und Organisation der Hochschulen › B. Hochschulorganisation › II. Die Gruppenhochschule als unternehmerische Hochschule