Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg

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II. Die Gruppenhochschule als unternehmerische Hochschule

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Vor der Jahrtausendwende wurde das Hochschulrecht der Länder ein Vierteljahrhundert vom Hochschulrahmengesetz[283] des Bundes (HRG) geprägt. Mit diesem Gesetz wurde bundesweit die Gruppenhochschule eingeführt. Das Modell legt fest, dass die Hochschule eine körperschaftliche Struktur hat, deren Mitglieder die an der Hochschule hauptberuflich Tätigen und die eingeschriebenen Studierenden sind. Zur Wahrnehmung ihrer Mitwirkungsrechte im Rahmen der Selbstverwaltung bilden diese Mitglieder Gruppen, die Vertreter in die entscheidungsberechtigten Gremien wählen (§§ 36 I, 37 I HRG). Es gilt dabei nicht das demokratische Prinzip, dass alle Mitglieder die gleichen Mitwirkungsrechte haben, weil die rechtliche Stellung der verschiedenen Gruppen innerhalb der Hochschule sehr unterschiedlich ist. Art und Umfang der Mitwirkungsrechte der Gruppen orientieren sich vielmehr an bestimmten im Gesetz genannten Kriterien (§ 37 I HRG). Bei den Hochschullehrern geht es insbesondere um die Sicherung der Freiheit von Forschung und Lehre (Art. 5 III 1 GG), während bei den Studierenden die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 I GG) und die Chancengleichheit (Art. 3 I GG) im Vordergrund stehen. Im Zuge der Föderalismusreform wurde 2006 durch eine Änderung des GG die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes aufgehoben, zu einer – an sich geplanten – Aufhebung des HRG ist es aber nicht gekommen. Nach Art. 125a I GG gilt das HRG als Bundesrecht fort, kann aber durch Landesrecht ersetzt werden. Was das grundsätzliche Modell der Gruppenhochschule anbelangt, ist es zu keiner entscheidenden Veränderung gekommen – im Gegenteil, mit der Einführung der Doktoranden als neue weitere Gruppe (§ 10 I 2 Nr. 4 LHG) wurde das Modell ausdrücklich bestätigt. Was die allgemeinen Kriterien zur Festlegung der Stimmanteile der verschiedenen Gruppen anbelangt, entspricht die Regelung in § 10 I 1 LHG weitgehend wortgleich dem Text in § 37 I HRG. Die konkrete Umsetzung dieser Kriterien, also die Festlegung der Stimmanteile, ist allerdings reines Landesrecht und wird nachfolgend unter IV. (Rn. 247 ff.) behandelt.

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Um das Modell der Gruppenhochschule besser zu verstehen, muss man etwas auf den historischen Kontext eingehen. 1968 gilt als das Bezugsjahr, in dem viele soziale, gesellschaftliche und politische Konflikte in Protesten und Demonstrationen zum Ausdruck kamen. Dazu gehörten auch die Proteste der Studierenden gegen eine als überholt empfundene Dominanz der Professorenschaft in der Hochschule.[284] Vor diesem Hintergrund wurde 1969 das GG geändert und in Art. 75 I 1 als Nr. 1a eine Rahmenkompetenz des Bundes geschaffen, „die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens“ zu regeln. Zu einer bundesrechtlichen Regelung kam es jedoch zunächst noch nicht. Dafür wurde 1971 in Niedersachsen ein Vorschaltgesetz für ein Niedersächsisches Gesamthochschulgesetz beschlossen, das die Mitglieder der Hochschulen in Gruppen aufteilte, um ihnen über gewählte Vertreter in den Organen ein Mitwirkungsrecht einzuräumen. Darin sahen die Hochschullehrer der niedersächsischen Hochschulen unter Berufung auf Art. 5 III 1 GG einen Eingriff in ihre verfassungsrechtlich geschützten Rechte, insbesondere eine Verletzung der Wissenschaftsfreiheit und der akademischen Selbstverwaltung und reichten beim BVerfG Verfassungsbeschwerden ein. Das führte 1973 zu dem richtungsweisenden Hochschulurteil des BVerfG,[285] auf das mehrfach schon hingewiesen wurde. Ausführlich und detailliert legt das BVerfG in dieser Entscheidung dar, welche Kriterien und Gesichtspunkte bei der Gestaltung einer Gruppenhochschule vom Gesetzgeber zu beachten sind. Im Ergebnis aber erklärt das BVerfG das Modell der Gruppenhochschule verfassungsrechtlich für zulässig. Auf dieser gesicherten Grundlage entstand schließlich das HRG, das Anfang 1976 in Kraft trat und das Modell der Gruppenhochschule für alle Hochschulen in der Bundesrepublik verbindlich machte.

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Das HRG begnügte sich aber nicht damit, das Modell der Gruppenhochschule einzuführen, sondern traf detaillierte Vorgaben für die gesamte Organisation der Hochschule (§§ 61 ff. HRG a.F.), so dass den Ländern wenig Gestaltungsspielraum verblieb, ihre Vorstellungen zur Struktur der Hochschule zu realisieren. Für die Länder bedeutete das, dass sie zwar für die Hochschulen und ihre Entwicklung verantwortlich waren, aber auf die Organisation keinen Einfluss hatten. Hochschulpolitisch waren die 1980er Jahre geprägt von finanziellen Engpässen, die wenig Aufbruchsstimmung zuließen. Das änderte sich langsam zu Beginn der 1990er Jahre, in denen die Frage immer drängender wurde, mit welchen Konzepten man den internationalen Herausforderungen im Wissenschaftsbereich begegnen will. Sorgen über die Entwicklung wurden vor allem auch von Seiten der Wirtschaftsunternehmen formuliert. Um darauf Antworten zu finden, wurde 1994 von der Bertelsmann Stiftung zusammen mit der Hochschulrektorenkonferenz das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) als gemeinnützige GmbH gegründet, das mit Veröffentlichungen und Symposien die Sensibilität für die ungelösten Probleme im Hochschulbereich deutlich erhöhte.[286] Eine von der baden-württembergischen Landesregierung 1996 eingesetzte Hochschulstrukturkommission, in der auch der Leiter des CHE mitwirkte, nutzte die Möglichkeit einer Bestandsaufnahme, um auch Vorschläge zur Flexibilisierung des Hochschulsystems zu entwickeln. Eine Umsetzung dieser Empfehlungen hing jedoch von der Zurücknahme der Regelungsdichte im HRG ab. Durch Einführung einer „Experimentierklausel“[287] im Mai 1997 machte das Land Druck gegenüber dem Bund. Andere Bundesländer sahen das ähnlich und forderten ebenfalls eine Änderung des HRG. So kam es 1998 zur Novellierung des HRG, die den Wegfall der organisationsrechtlichen Vorgaben des Bundes zum Gegenstand hatte. In der Begründung zum Gesetzentwurf[288] führt die Bundesregierung aus, dass mit dieser Änderung den Ländern die seit längerem geforderte Gestaltungsfreiheit bei der Organisation der Hochschulen eingeräumt werden soll. Den Ländern sei damit die Möglichkeit eröffnet, Entscheidungskompetenzen von den nach Gruppen zusammengesetzten Gremien auf die Hochschul- und Fachbereichsleitungen zu verlagern und die Gremien auf Beratungs- und Kontrollfunktionen zu konzentrieren.

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Den mit der Novellierung des HRG eröffneten Freiraum nutzte der baden-württembergische Gesetzgeber für eine grundlegende Reform der Organisation der Hochschule im Jahre 2000.[289] Das Modell der Gruppenhochschule wurde dabei nicht angetastet, es ging vielmehr darum, die Zuständigkeiten auf die verschiedenen Organe der Hochschule so zu verteilen, dass die Hochschulaufgaben möglichst gut erledigt werden. Selbstverwaltung bedeutet nicht, dass alle wichtigen Entscheidungen in Gremien getroffen werden, die mit Repräsentanten der Mitglieder besetzt sind. Nicht die durchgängige Partizipation, sondern die sachgerechte Verteilung der Aufgaben auf die verschiedenen Organe ist entscheidend für eine gute Organisation. Bei der Verteilung der Zuständigkeiten muss auch der Gesichtspunkt der „Gewaltenteilung“ bedacht werden, wie er sich in vielen anderen Organisationen bewährt hat. Ziel jeder organisatorischen Regelung muss es sein, die Aufgaben so auf die Organe zu verteilen, dass eine inhaltlich und zeitlich bestmögliche Erledigung erwartet werden kann. Die Zusammensetzung eines Organs wiederum muss sich an den von ihm zu erfüllenden Aufgaben orientieren. Die Hochschule ist nicht mit jeder beliebigen anderen Einrichtung vergleichbar, sie hat eine Reihe von Besonderheiten, die beachtet werden müssen. Dazu gehört, dass Entscheidungen über primär akademische Angelegenheiten in die Verantwortung der Träger der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 III 1 GG) fallen und ihnen nicht entzogen werden dürfen. Das bedeutet, dass Angelegenheiten, die unmittelbar Forschung oder Lehre betreffen, in Gremien getroffen werden müssen, deren Zusammensetzung so angelegt ist, dass die Wissenschaftsfreiheit nicht gefährdet ist. Gleichzeitig bringt es das Modell der Gruppenhochschule mit sich, dass in den Selbstverwaltungsorganen gewählte Vertreter der verschiedenen Hochschulgruppen an Entscheidungen mitwirken.

Für den Bereich der allgemeinen Verwaltung der Hochschule können die Organisationsmuster, die sich in anderen Einrichtungen bewährt haben, als sinnvolles Vorbild herangezogen werden. Das gilt insbesondere für die klassische Verteilung der Aufgaben innerhalb einer Korporation auf ein Leitungsorgan, ein Kontrollorgan und ein für Grundsatzentscheidungen zuständiges Gremium, wobei dieses Strukturmuster bei einer Hochschule mit Blick auf ihre Untergliederungen nicht nur für die Zentralebene sondern auch für die Fakultäten und Sektionen relevant ist. Dem LHG liegt seit der Reform des Jahres 2000 bis heute dieses Strukturmodell zu Grunde.[290] Das gilt auch für das HRWeitEG von 2018; mit dieser Reform wurde zwar der Einfluss der Gruppe der Hochschullehrer verstärkt, der Hochschulrat als Kontrollorgan und die Zuständigkeiten der Leitungsorgane aber weitgehend aufrechterhalten.

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Der Wegfall der bundesrechtlichen Vorgaben zur Organisation der Hochschulen hat in den Ländern zu unterschiedlichen Regelungen geführt. Dazu gehören auch die Stiftungsmodelle, für die das Land Niedersachsen Wegbereiter war.[291] Auch in Baden-Württemberg gab es längere Zeit die gesetzliche Option, Hochschulen in anderer Rechtsform zu errichten oder in eine solche zu überführen; diese zuletzt in § 8 I LHG enthaltene Option wurde jedoch wieder gestrichen. Im Mittelpunkt aller Strukturüberlegungen steht die Frage, ob man am Modell der Gruppenhochschule festhält oder es aufgibt – aber für welche Alternative? Genauer betrachtet stellt die „Gruppenhochschule“ keine von den Protesten der 1968er einseitig geprägte zeithistorische Verlegenheitslösung dar, sondern eine konsequente Umsetzung der herangereiften Idee, die an den Leistungsprozessen der Hochschule Beteiligten bei Entscheidungen mit einzubeziehen, vor allem die Studierenden.[292] Gerade in der Wissenschaft verspricht eine breite kooperative Beteiligung aller an Erkenntnisprozessen Beteiligten den größten wissenschaftlichen Ertrag. Die Gruppenhochschule ist also so etwas wie ein konstitutives Element der deutschen Hochschule geworden und alle Versuche, davon abzurücken, sind bisher gescheitert. Reformüberlegungen tun deshalb gut daran, von diesem Modell auszugehen und darüber eine Organisation legen, die geeignet ist, die Erwartungen, die an eine Hochschule des 21. Jahrhunderts gestellt werden, zu erfüllen. So könnte man die Zielsetzung grob umschreiben, die den Gesetzgeber in Baden-Württemberg in den beiden zurückliegenden Jahrzehnten bestimmt hat. Doch was sind die Merkmale eines solchen Modells, was sind die Beweggründe für eine solche Regelung und welche Erwartungen verbinden sich damit? Diese Fragen werden nachfolgend nochmals näher beleuchtet, um Verständnis für die Notwendigkeit zu wecken, sich mit dem Thema der bestmöglichen Aufstellung der Hochschulen intensiv auseinanderzusetzen. Es darf dabei nicht um politische Überzeugungen oder Ideologien gehen, sondern allein um die Frage, unter welchen Rahmenbedingungen die Hochschulen ihren anspruchsvollen Aufgaben mit den unbedingt erforderlichen Freiräumen am besten nachgehen können.

 

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Geht man zunächst von der Frage aus, was die Beweggründe in Baden-Württemberg für die Forderung an den Bund waren, im HRG mehr Gestaltungsfreiheit bei der Organisation der Hochschulen zuzulassen, dann findet man die Antwort sehr knapp formuliert in der Regierungsbegründung zum Reformgesetz von 2000. Danach besteht das wesentliche Ziel darin, den Hochschulen „Freiräume und Rahmenbedingungen zu bieten, die es ihnen ermöglichen, in verstärktem Maße ihr eigenes Profil zu entwickeln, um im nationalen und internationalen Wettbewerb zu bestehen“.[293] Sehr viel differenzierter und professioneller kommen 15 Jahre später die hochschulpolitischen Zielsetzungen im Gesetzentwurf der Landesregierung zum 3. HRÄG vom 4.2.2014 zum Ausdruck.[294] Im Mittelpunkt steht die freie Entfaltung der Wissenschaft, die sich ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft bewusst ist und auch danach handelt.

Nicht selten werden die angesprochenen Reformen als eine Art von Modetrend gesehen und mit dem Begriff des „New Public Management“ gekennzeichnet.[295] Manchmal wird als vordergründiges Ziel nur die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und des Einsatzes finanzieller Mittel genannt. Dabei liegt die Frage nahe, welche Struktur die Hochschule des 21. Jahrhunderts eigentlich haben sollte und ob die Hochschulen in Zukunft mit nicht versiegenden Mitteln aus dem Topf des Steuerzahlers rechnen können. Soll der Staat wie früher die Handlungsfähigkeit der Hochschulen mit globalen Minderausgaben und Haushaltssperren einschränken oder ist es nicht klüger, die Eigenverantwortung der Hochschulen auch bei der Verwendung von Stellen und Mitteln zu stärken, was aber voraussetzt, dass dafür an den Hochschulen auch geeignete Instrumente eingerichtet werden? Der karikierend gedachte Begriff der Ökonomisierung der Hochschule blendet aus, dass gerade die Wissenschaft einen überproportional ansteigenden Finanzbedarf hat, für den man eine Lösung braucht.[296] Heutige Einrichtungen der Wissenschaft brauchen ähnliche Instrumente, wie sie in Unternehmen eingesetzt werden – einfach deshalb, weil sie sich zur Erreichung von Zielen bewährt haben. Entsprechendes gilt für die Leitungsstrukturen. Es geht nicht darum, die Hochschulen an die Strukturen von Unternehmen anzunähern, sondern die Rahmenbedingungen herzustellen, die für die Wissenschaft den größten Nutzen versprechen.

Wer in diesem Zusammenhang meint, dass Wettbewerb möglichst ausgeblendet werden sollte, ist noch nicht in der Gegenwart angekommen. Seit den Zeiten Wilhelm von Humboldts hat sich die Bedeutung der Wissenschaft und damit der Hochschulen für die berufliche Tätigkeit des Einzelnen und für die Entwicklung der staatlichen Gemeinschaft fundamental verändert.[297] Wissen ist heute der entscheidende Faktor, der die Menschheit voran bringt, aber auch einen Wettbewerb bewirkt – zwischen Wissenschaftlern, zwischen Hochschulen und sonstigen Wissenschaftseinrichtungen, zwischen Unternehmen und schließlich auch zwischen Staaten.[298] Die Nutzung von Wissen entscheidet über wirtschaftlichen Auf- oder Abstieg und die künftige Sicherung eines erreichten Wohlstandsniveaus. Die Leistungsfähigkeit der Wissenschaft eines Landes hat damit für moderne Industriegesellschaften existentielle Bedeutung und macht die konsequente Förderung der Wissenschaft zu einer zentralen politischen Aufgabe. Die durch Änderung des GG ermöglichte Beteiligung des Bundes an der Finanzierung von Programmen zur Förderung der Hochschulen zeigt, dass die Politik in Deutschland das Problem erkannt hat und sich darum bemüht, dass die deutschen Hochschulen international Schritt halten können, was schwierig genug ist, weil in manchen Ländern bei den führenden Hochschulen sehr viel Geld im Spiel ist. Beim Thema Wissenschaft und ihre Organisation geht es um sehr viel mehr als um die Frage, wie die Wissenschaftsfreiheit geschützt werden kann, es geht vor allem darum, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um den Anschluss an Entwicklungen in der Wissenschaft nicht zu verpassen. Die Verantwortung dafür liegt bei den Wissenschaftlern selbst, aber zur Verfolgung und Durchsetzung ihrer Ziele brauchen sie auch kompetente, weitsichtige und durchsetzungsfähige Organe, die sich im Zusammenwirken mit den politisch Verantwortlichen konsequent für die Ziele einsetzen. Die Gründe für die intensiven Bemühungen um eine möglichst gute Verfasstheit der Hochschulen liegen also auf der Hand: es ist die herausragende Bedeutung der Wissenschaft für die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft in allen ihren unterschiedlichen Facetten.

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Ausgehend von diesem Befund muss es ein Anliegen von Staat und Hochschulen sein, die Organisation der Hochschule so auszugestalten, dass den vielschichtigen Interessen in und an den Hochschulen möglichst wirksam Rechnung getragen wird.[299] In der Hochschule treffen viele zum Teil stark divergierende Interessen aufeinander, nicht nur im Verhältnis zwischen den Gruppen, sondern auch innerhalb der Gruppen. Die Vorstellung, dass diese Interessenskonflikte allein von Gremien gelöst werden könnten, ist unrealistisch. Das beginnt bei der Verteilung von Mitteln und sonstigen Ressourcen und endet bei der Festlegung künftiger Ziele und Schwerpunkte. Noch unrealistischer ist die Vorstellung, dass jede Hochschule in Wahrnehmung ihrer Autonomie ihre Wünsche der Regierung unterbreitet, die dann ohne weitere Überlegungen die Finanzierung übernimmt, unabhängig davon, ob bestimmte Studienangebote oder Forschungsschwerpunkte bereits an einer anderen Hochschule im Land vorhanden sind und als ausreichend anzusehen sind. Die Probleme einer auskömmlichen Finanzierung der Hochschulen werden in der Zukunft wachsen, weil es wenig wahrscheinlich ist, dass das Steueraufkommen in dem überproportionalen Maße steigt, wie das für den finanziellen Bedarf der Wissenschaft auf Grund der Entwicklungen in der Vergangenheit zu erwarten ist. Im zurückliegenden Jahrzehnt konnte der wachsende Finanzbedarf der Hochschulen durch programmatische Einbeziehung des Bundes, die sich nicht nur auf die Forschung (Exzellenzinitiative, Exzellenzstrategie), sondern mit dem Programm Hochschulpakt 2020 auch auf die Lehre bezog und bezieht, einigermaßen gelöst werden. Das wird sich aber nicht beliebig steigern lassen. Ohne das weiter zu vertiefen, lässt sich prognostizieren, dass die Notwendigkeit, in der einzelnen Hochschule Prioritäten zu setzen, steigen wird. Entsprechendes gilt aber auch für die Bereitstellung und Verteilung staatlicher Mittel auf die Hochschulen. Das bedeutet, dass ganz generell die Anforderungen an die jeweilige Hochschulleitung, aber auch an die anderen Organe zunehmen werden.

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Selbstverwaltungsorgane setzen sich aus gewählten Vertretern zusammen, deren Hauptaufgabe bei anderen Angelegenheiten liegt als den Themen, die innerhalb des Selbstverwaltungsorgans zu beraten sind. Die Mitglieder sind deshalb schon aus zeitlichen Gründen darauf angewiesen, dass Entscheidungsgegenstände durch eine mit der Materie gut vertraute Administration sorgfältig vorbereitet werden. Ohne eine solche Administration unter der Verantwortung eines Leitungsorgans, das sich mit voller Kraft der Leitungsaufgabe widmen kann, können Selbstverwaltungsorgane, selbst wenn sie personell kompetent besetzt sind, nicht die Professionalität entwickeln, wie mit einem entsprechenden Leitungsorgan. Die Annahme, dass die Wissenschaft und die Wissenschaftsfreiheit sich in besseren Händen befinden, wenn die Entscheidungszuständigkeiten allein von einem Gremium wahrgenommen werden statt von einem besonders für diese Aufgabe freigestellten Leitungsorgan im Zusammenwirken mit dem Gremium, ist nicht nachvollziehbar – genauso wenig wie die Kritik an der Einführung solcher Leitungsorgane.[300] Außer Frage steht, dass das eigentliche Potential der Hochschule aus den Hochschullehrern und dem mit ihnen zusammenarbeitenden wissenschaftlichen Nachwuchs[301] besteht. Die Wissenschaftler prägen das wissenschaftliche Profil und Ansehen der jeweiligen Hochschule. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wirksamkeit des Potentials der Wissenschaftler von zusätzlichen Faktoren abhängt. Mit einem Haushaltsvolumen von z.T. mehreren hundert Mio. Euro und Tausenden von Mitgliedern sind Hochschulen Großbetriebe, die eine professionelle Administration und Leitungsstruktur benötigen, deren Aufgabe es ist, die Interessen der Hochschule nach innen und nach außen zu vertreten. Dass dabei in einer Körperschaft die Mitglieder über die Selbstverwaltungsorgane adäquat an Entscheidungen zu beteiligen sind, ist selbstverständlich. Funktionieren kann ein solches auf Zusammenwirken hin angelegtes System aber nur, wenn am Ende ein Organ verbindlich die Entscheidung trifft und dafür dann auch verantwortlich gemacht werden kann. Entscheiden und getroffene Entscheidungen verantworten gehören also zusammen.

Letztlich geht es bei der Organisationsstruktur einer Hochschule sowohl auf der Zentralebene wie auf der Fakultätsebene darum, wie die Entscheidungskompetenzen und damit auch die Verantwortlichkeiten zwischen der Leitungsebene und dem Selbstverwaltungsorgan (Senat, Fakultätsrat) verteilt werden. Dass beide Organe an wichtigen Entscheidungen beteiligt sein sollten, steht außer Frage. Idealtypisch sollte auch von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit ausgegangen werden. Dennoch muss der Gesetzgeber sich entscheiden, ob er Letztentscheidungsrechte stärker dem einen oder dem anderen Organ zuordnet. Hochschulpolitisch spricht aus den oben genannten Gründen mehr dafür, Letztentscheidungsrechte nur dann dem Selbstverwaltungsorgan einzuräumen, wenn es um Fragen geht, die unmittelbar Forschung und Lehre betreffen.

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In allen Bereichen der Hochschule ist Professionalität notwendig – nicht nur in den wissenschaftlichen Disziplinen, sondern auch bei der Wahrnehmung der Leitungsaufgaben der Hochschule. Die Annahme, dass hervorragende Wissenschaftler automatisch auch hervorragende Administratoren sind und deshalb das Selbstverwaltungsorgan, in dem sie Sitz und Stimme haben, für jede Art von Entscheidungen ausreichende Kompetenz besitzt, ist trügerisch, weil viele Maßnahmen oder Entscheidungen Detailkenntnisse oder spezielle Kompetenzen voraussetzen. Zu diesem eher selten behandelten Thema weist Zechlin[302] zutreffend darauf hin, dass selbst die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung an diesem Punkt ungenau argumentiert und nimmt dabei auf die abweichende Meinung der Richter Simon und Rupp-v. Brünneck im Hochschulurteil des BVerfG Bezug;[303] er führt dazu aus: „Es kommt aber nicht auf den wissenschaftlichen Sachverstand der Gremienmitglieder, sondern ihre Sachnähe zur Wissenschaft und ihren organisatorisch-praktischen Sachverstand an.“ Entscheidungskompetenzen müssen aber auch mit persönlicher Verantwortung verknüpft sein. Wer eine Entscheidung trifft, muss dafür die Verantwortung übernehmen. Bei Gremienentscheidungen ist Verantwortung kaum noch zu verorten. Das ist bei Leitungsorganen anders; dort ist die Verantwortlichkeit sogar mit der Sanktionsmöglichkeit einer Abberufung verknüpft. Ein Modell, das Leitungsaufgaben einem größeren Gremium anvertraut, ist gerade deshalb problematisch, weil niemand zur Verantwortung gezogen werden kann; das wirkt sich auf das Verhalten bei Abstimmungen aus. Fragwürdig ist auch die Annahme, eine Körperschaft könne von ihren Mitgliedern, deren hauptamtliche Tätigkeit bei ganz anderen Aufgaben liegt, so nebenher geleitet werden. Leitungsaufgaben gehören in die Hand von Leitungsorganen, die dafür die erforderliche Kompetenz mitbringen und sich vollständig oder zumindest vorrangig dieser Aufgabe widmen. An den Hochschulen sind die meisten Mitglieder solcher Leitungsorgane Wissenschaftler, die aber – und das ist der entscheidende Unterschied zu den Mitgliedern der Selbstverwaltungsorgane – ihre wissenschaftliche Tätigkeit ruhen lassen oder deutlich einschränken, um sich mit ganzer Kraft den Aufgaben im Leitungsorgan zu widmen.

 

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In ein überschlägiges Raster gebracht erscheinen folgende Elemente für die Organisation einer Hochschule, die im Kern als Körperschaft und damit als Gruppenhochschule angelegt ist, von besonderer Wichtigkeit:


Kleine überschaubare Leitungsorgane auf zentraler und dezentraler Ebene mit gesetzlich klar festgelegten Aufgaben und Kompetenzen, deren Mitglieder für getroffene Entscheidungen auch verantwortlich gemacht werden können, die sich also nicht in der Anonymität eines Gremiums verstecken können,
Kontrollorgane, die die Leitungsorgane beaufsichtigen und dafür die notwendige Unabhängigkeit besitzen,
Besetzung der Leitungs- und Kontrollorgane nach den Kriterien Erfahrung und Kompetenz,
Option, Leitungs- und Kontrollorgane mit qualifizierten externen Persönlichkeiten zu besetzen,
Bündelung von inhaltlicher und finanzieller Entscheidungszuständigkeit möglichst in einer Hand,
Förderung des Leistungsprinzips statt Fortschreibung überkommener Mittelzuweisungen,
Beratung und Entscheidung von Angelegenheiten, die Forschung und Lehre betreffen, in gruppenparitätisch besetzten Selbstverwaltungsgremien.

Gleicht man diesen Katalog mit dem LHG in seiner gegenwärtigen Fassung ab, dann kommt man zum Ergebnis, dass das Gesetz diese Strukturelemente zu Grunde legt. Die Kriterien sind bewusst allgemein gehalten und gehen nicht ins Detail. Betrachtet man die einzelnen Regelungen des LHG näher, dann wird deutlich, dass innerhalb des Rasters viele Varianten möglich sind, die nochmals spezifisch zu bewerten sind. Darauf wird unter V. und VI. bei der Behandlung der verschiedenen Organe eingegangen.

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Noch nicht beantwortet ist die Frage, welche Erwartungen sich mit dem skizzierten Organisationsmodell verbinden. Dafür muss man nochmals auf die Gesichtspunkte zurückgreifen, von denen die Reformüberlegungen ausgehen. Das eigentliche Ziel ist eine weitgehende Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der Hochschulen. Aber die so angedachte weitgehend selbstständige Hochschule ist kein Selbstzweck, mit ihr verbinden sich sehr konkrete Erwartungen – sowohl in der Forschung wie in der Lehre. Jedes Land ist stolz auf seine Hochschulen und setzt sich dafür ein, dass die eigenen Hochschulen erfolgreich sind. Parameter zur Messung von Erfolg gibt es genügend – beginnend bei Studiendauer und Studienergebnissen bis hin zur Drittmittelquote oder einem Zitationsindex. Alle Überlegungen zur Deregulierung im Hochschulbereich, also zur Herstellung einer größeren Selbstständigkeit der Hochschulen, sind mit der Erwartung verbunden, dass die Aufgaben von den Hochschulen besser und reibungsfreier wahrgenommen werden können.

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Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung einer richtigen, auf die Aufgaben einer Hochschule zugeschnittenen Organisation deutlich. Es geht um eine Hochschule, die unter der Verantwortung des Staates weitgehend selbstständig handelt, die dabei aber so ausgestaltet ist, dass mit einer Erfüllung der in sie gelegten Erwartungen gerechnet werden kann. Dieser Gesichtspunkt ist zentral, wenn es um die Struktur einer Einrichtung geht, die der Gesetzgeber zur Teilnahme am rechtlichen Leben auszugestalten hat. Das eindrucksvollste Beispiel dafür ist das GG. Das Staatsorganisationsrecht der Art. 20 ff. GG dient vor dem historischen Hintergrund der deutschen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ganz klaren Zielen und Erwartungen. Entsprechendes gilt für privatrechtliche Organisationsformen, je nachdem, welche Bedeutung ihnen im Rechtssystem zugeordnet wird. Die detailliertesten gesetzlichen Regelungen zur Organisation dürften im Aktienrecht bestehen. Auch hier finden viele der Regelungen eine Erklärung in der Vergangenheit. Immer wieder haben sich die Erwartungen des Gesetzgebers an diese Kapitalgesellschaft nicht eingelöst, sei es, dass das Gesetz Lücken aufwies oder berechtigte Interessen nicht hinreichend geschützt waren.

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Es stellt sich also die Frage, um welche Erwartungen es im Hochschulbereich geht. Auf den ersten Blick scheint das banal, weil es natürlich immer um die bestmögliche Erfüllung der Aufgaben geht. Aber dieses Ziel muss ja auch operationalisiert werden. Was sind die Rahmenbedingungen, die Kriterien, die Instrumente, um dem gerecht werden zu können? Welche organisatorischen Bausteine sind dafür wichtig und in welcher Ausgestaltung? Da fängt es an, schwierig zu werden. Jede Hochschule hat ein solides Fundament, das sind die an ihr tätigen Wissenschaftler; sie sind der Garant für eine erfolgreiche Tätigkeit in Forschung und Lehre. In Gestalt der Gruppenhochschule und der damit verbundenen Selbstverwaltungsgremien kann alles, was unmittelbar mit Forschung und Lehre zusammenhängt, durch solche Gremien gut und kompetent erledigt werden. Das gilt aber nicht mehr für alle anderen Aufgaben, die zur Herstellung und Sicherung der Infrastruktur der Hochschule anfallen. Dafür wird eine zusätzliche Struktur mit entsprechenden Kompetenzen benötigt. Mitglieder von Leitungsorganen werden nach Erfahrung und Kompetenz ausgewählt und bestellt. Zur Wahrnehmung ihrer Leitungsaufgaben werden sie ganz oder teilweise von allen anderen Aufgaben freigestellt oder nehmen die Leitungsaufgabe im Hauptamt wahr. Die Erwartung an die Mitglieder der Leitungsorgane – sei es auf Hochschulebene oder auf Fakultätsebene – muss sein, dass sie ihre Hochschule, ihre Fakultät fördern, voranbringen, motivieren, positionieren, dass sie neue Impulse setzen, Initiativen ergreifen, Ideen entwickeln etc. Die Hochschule und ihre Fakultäten haben und hatten viele Persönlichkeiten, die genau in diesem Sinne sich für die Entwicklung der ihnen anvertrauten Einrichtung eingesetzt haben und darin auch erfolgreich waren. Einen abschließenden Katalog für das Handeln von Leitungsorganen zu erstellen, ist kaum möglich. Es geht vielmehr darum, deutlich zu machen, wie wichtig solche Persönlichkeiten und ihr Engagement für die Entwicklung der Hochschule sind. Engagement kann aber nur erwartet werden, wenn auch Gestaltungs- und Handlungsmöglichkeiten bestehen, die eine Mitwirkung des Selbstverwaltungsorgans in keinster Weise ausschließen. Nur darf es nicht so sein, dass das Leitungsorgan vom Selbstverwaltungsorgan weitgehend abhängig ist. Das lähmt jede Initiative.