Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg

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b) Die Organisation von Hochschulen

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Quasi als andere Seite derselben Medaille bedingte die Stärkung der Hochschulautonomie eine Professionalisierung der Organisations- und Leitungsstrukturen der Hochschulen, damit die Hochschulen effizienter und wirkungsvoller ihre Belange intern wahrnehmen und gegenüber dem Staat und anderen vertreten können. Auch hier sind im „Vorher-Nachher-Vergleich“ zwischen 1995 und heute zahlreiche und tiefgreifende Veränderungen zu konstatieren – und zwar sowohl auf der zentralen Ebene der gesamten Hochschule wie auch auf der dezentralen Fakultätsebene. Auch hier gilt, dass die heutige Hochschulverfassung im Wesentlichen auf das 1. und das 2. HRÄG (1999/2004) zurückgeht. Trotz zunächst gegenteiliger politischer Erklärungen (v.a. im Koalitionsvertrag[7]) hat auch der politische Wechsel von 2011 das Grundmodell nicht verändert, sondern sich im 3. HRÄG und im HRWeitEG (2014/2018) auf kleinere Modifikationen und Korrekturen beschränkt.[8]

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(1) An der Spitze der Hochschule stand 1995 (wie heute) in der Regel ein kollegial verfasstes Rektorat.[9] Der Rektor und die Prorektoren waren damals allerdings neben ihrer Funktion in der Hochschulleitung nach wie vor in Forschung und Lehre tätig und nur für kurze Amtszeiten von zwei oder vier Jahren gewählt.[10] Inzwischen hat das Rektorat, insbesondere der Rektor, einen erheblichen Machtzuwachs erlebt. Die meisten früheren Aufgaben des (universitären) Verwaltungsrats liegen nun beim Rektorat, das als operatives Führungsorgan für die Aufstellung der Struktur- und Entwicklungsplanung, den Abschluss von Zielvereinbarungen, die Aufstellung des Haushaltsplans, die Verteilung der Stellen, Mittel und Räume sowie das Körperschaftsvermögen zuständig ist (§ 16 III 2 LHG).[11] Hinzu kommt die früher beim Senat gelegene Allzuständigkeitsvermutung, soweit nicht andere Organe ausdrücklich zuständig sind (§ 16 III 1 LHG).[12] Die hauptamtlichen Mitglieder – Rektor und Kanzler – haben eine Amtszeit von sechs bis acht Jahren; sie tragen persönliche Verantwortung und sind im Extremfall auch abwählbar (§§ 18 VII, 18a LHG). Für das Amt des Rektors kommen auch nicht mehr nur Professoren der jeweiligen Hochschule in Betracht, sondern auch jeder, der „eine abgeschlossene Hochschulausbildung besitzt und auf Grund einer mehrjährigen leitenden beruflichen Tätigkeit […] erwarten lässt, dass […] er den Aufgaben des Amtes gewachsen ist“ (§ 17 III 1 LHG). Die persönlich starke Rolle des Rektors zeigt sich u.a. daran, dass er – vergleichbar einem deutschen Regierungschef – über eine Richtlinienkompetenz (§ 16 II LHG) und über ein (allerdings teilweise nicht bindendes) Vorschlagsrecht für alle übrigen Rektoratspositionen verfügt (§ 18 IV, V LHG).

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(2) Der Senat bildete 1995 als akademisches Parlament das allzuständige Organ, soweit Aufgaben nicht ausdrücklich anderen Gremien zugewiesen waren (§ 19 UG).[13] Zu seinen Aufgaben zählte die Mitwirkung bei der Wahl des Rektorats an den Universitäten (bei denen die Rektorwahl dem Großen Senat zugewiesen war, § 18 UG) oder die Wahl des Rektors und Prorektors an den nichtuniversitären Hochschulen, die Wahl des Kanzlers, die Festlegung des Studiengangangebots, Entscheidungen in Forschungsfragen, die Beschlussfassung über die Grundordnung (bei den Universitäten durch den Großen Senat), über die Studien- und Prüfungsordnungen und über Berufungsvorschläge.

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Nach dem Verlust der Allzuständigkeit an das Rektorat (s.o., Rn. 13) kam dem – in seiner Zusammensetzung kaum veränderten – Senat nach dem 2. HRÄG ab 2005 mit der Zuständigkeit für das Satzungsrecht vor allem die – aufgrund der Deregulierung des LHG in ihrer Bedeutung gestiegene – Funktion des Gesetzgebers in der Hochschule zu. Dieses Satzungsrecht umfasst neben der Grundordnung auch alle anderen Hochschulsatzungen wie z.B. die Studien- und Prüfungsordnungen. Die übrigen Beschlusskompetenzen wurden unbeschadet der Grundsatzzuständigkeit des Senates für Fragen von Forschung, Lehre und Studium eingeschränkt. So war der reformierte Senat etwa noch zuständig für die Wahl der nebenamtlichen Prorektoren und die Bestätigung der vom damaligen Aufsichtsrat getroffenen Wahl von Rektor und Kanzler. Ansonsten hatte der Senat im Wesentlichen Stellungnahmerechte, etwa zur Struktur- und Entwicklungsplanung, zu Hochschulverträgen und zu Zielvereinbarungen (§ 19 I LHG). Diese sehr weitgehende Entmachtung des Senats hat der Hochschulgesetzgeber im Rahmen des 3. HRÄG von 2014 in Teilen zurückgenommen (s.u., Rn. 35).

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(3) Neu geschaffen wurde zum 1.1.2000 der Hochschulrat (von 2005 bis 2014 unter der Bezeichnung „Aufsichtsrat“) als Organ der Hochschule, das nach einer weiteren Stärkung zum 1.1.2005[14] die strategische Gesamtverantwortung für die Entwicklung der Hochschule tragen und Maßnahmen vorschlagen soll, „die der Profilbildung und der Erhöhung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit dienen“; außerdem beaufsichtigt er die Geschäftsführung des Rektorats (§ 20 I LHG). Zu seinen zahlreichen Aufgaben gehörten (zwischen 2005 und 2014) insbesondere die Wahl und ggf. Abwahl von Rektor und Kanzler, die Beschlussfassung über den Struktur- und Entwicklungsplan und über die Funktionsbeschreibung der Professuren, die Zustimmung zu Hochschulverträgen und zu hochschulübergreifenden Kooperationen sowie die Entlastung des Rektorats (§ 20 I LHG 2005). Zudem sind viele früher vom Ministerium wahrgenommene Zustimmungsvorbehalte auf den Hochschulrat übergegangen.[15] Dieses für die Hochschulentwicklung maßgebliche Gremium besteht seit 2005 aus externen – also nicht der Hochschule angehörenden – und (seit 2014 optional) internen Mitgliedern, wobei die Ersteren die Mehrheit haben müssen (§ 20 III, VIII LHG).[16] Die Bildung des Hochschulrats erfolgt in einem auf Konsensfindung angelegten Verfahren durch einen bis 2014 paritätisch von Senat, Hochschulrat und Ministerium gebildeten Findungsausschuss (§ 20 IV LHG a.F.). Im Zuge der Re-Akademisierung der Hochschulstrukturen im 3. HRÄG von 2014 wurden die Kompetenzen des Hochschulrats wieder ein wenig zurück genommen und seine Bildung einem von Senat und Ministerium gebildeten Ausschuss – also ohne Mitwirkung des Hochschulrats selbst – übertragen.

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(4) Auch auf Fakultätsebene gab es 1995 noch keine klaren Führungsstrukturen, die individuelle Verantwortung sichtbar oder notwendig gemacht hätten. Das Amt des Dekans wurde nicht als Führungsfunktion, sondern als „Wanderpokal“ verstanden.[17] Die Amtszeit betrug bis 1995 ein Jahr, danach zwei.[18] In der Sache sahen die meisten Dekane ihre Aufgabe darin, sich auf die laufenden Fakultätsgeschäfte zu beschränken. Das materielle Machtzentrum auf Fakultätsebene bildete der Fakultätsrat, der die Auffangkompetenz für alle die Fakultät betreffenden Fragen von Forschung und Lehre hatte (§ 25 I UG); dem um alle nicht gewählten Professoren der Fakultät ergänzten „erweiterten Fakultätsrat“ oblag die Bildung der Berufungskommissionen, die Entscheidung über die Berufungsvorschläge an den Senat, die Beschlussfassung über die Studien- und Prüfungsordnungen und die Bestellung der Studienkommission (§ 25 III, IV UG).

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Demgegenüber liegt heute die Leitung der Fakultät beim Dekanat, dem der Dekan, die Prodekane und der Studiendekan angehören (§ 23 I LHG). Das Dekanat hat nun die Allzuständigkeitsvermutung und trifft – ggf. nach Anhörung des Fakultätsrates – die wesentlichen Entscheidungen der Fakultät wie z.B. die Aufstellung des Struktur- und Entwicklungsplans der Fakultät, die Entscheidung über die Verwendung der vom Rektorat der Fakultät zugewiesenen Stellen und Mittel und die Vorschläge für die Funktionsbeschreibung der Professuren (§ 23 III LHG). Der Dekan, für dessen Wahl ein nicht bindendes Vorschlagsrecht des Rektors besteht, amtiert heute vier Jahre. Während der Dekan seine Funktion früher neben seinen allenfalls geringfügig reduzierten Lehr- und Forschungsverpflichtungen ausüben musste, statuiert das Gesetz nun ausdrücklich die Ausübung des Dekansamtes „als Hauptaufgabe“; die anderen Pflichten haben demgegenüber zurückzutreten (§ 24 III LHG). Dies macht sich nicht zuletzt in der Lehrverpflichtung deutlich bemerkbar (§ 8 LVVO).[19] Der Fakultätsrat[20] hat noch wenige Zustimmungskompetenzen, so für den Struktur- und Entwicklungsplan der Fakultät, für die Studien- und Prüfungsordnungen der Fakultät, für die Bildung, Veränderung und Aufhebung von Fakultätseinrichtungen und (seit 2014 wieder) für die Berufungsvorschläge. Ansonsten hat der Fakultätsrat eine generelle Beratungszuständigkeit.

c) Studium und Lehre

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Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg sieht seit 2005[21] die gestufte Studienstruktur (Bachelor- und Masterstudiengänge) einschließlich eines international kompatiblen Leistungspunktesystems als Regelstudienform an. Diese sieht als ersten Hochschulabschluss den Bachelor (BA) vor, der zugleich den Regelabschluss darstellt und dieselben Berechtigungen verleiht wie der frühere FH-Diplomabschluss. Darauf aufbauend kann ein Masterstudium (MA) absolviert werden, dessen Abschluss dieselben Berechtigungen verleiht wie der frühere Diplom- oder Magisterabschluss an einer Universität oder gleichgestellten Hochschule (§ 29 II LHG). Ausnahmen von dem Erfordernis der gestuften Studienstruktur gelten bis heute für Staatsexamensstudiengänge, Studiengänge mit kirchlichem Abschluss, die Studiengänge der Freien Kunst an den Kunsthochschulen, die Studiengänge des Designs an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart sowie die Studiengänge an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe (§ 34 I LHG).

 

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Eine weitere bedeutsame Reformmaßnahme stellte die Einführung von Studiengebühren dar. Dies begann 1997 durch den Erlass eines Landeshochschulgebührengesetzes, das basierend auf einem Bildungsguthabenmodell eine Langzeitstudiengebühr in Höhe von zunächst 1000 DM und später 500 Euro für jedes Hochschulsemester jenseits der Regelstudienzeit zuzüglich vier Semester vorsah.[22] Dieses Modell ging in der Einführung allgemeiner Studiengebühren von 500 Euro pro Semester ab dem SS 2007 auf (§ 5 I 1 LHGebG a.F.). Um die verfassungsrechtlich unzulässige Prohibitivwirkung von Studiengebühren auszuschließen, hat der Gesetzgeber dies für die Dauer der Regelstudienzeit zuzüglich vier Semester mit einem voraussetzungslosen und zinsgünstigen Darlehensanspruch der Studierenden gegenüber der L-Bank verbunden (§ 7 I LHGebG a.F.). Konnte der Kredit nicht bedient werden oder erreichte das spätere Einkommen eine definierte Mindesthöhe nicht, übernahm diesen der von den Hochschulen getragene Studienfonds als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts (§ 9 I, III LHGebG a.F.).[23] Anders als die meisten anderen Reformmaßnahmen ist dieses sozialverträgliche Studiengebührenmodell nach dem politischen Wechsel im Jahr 2011 durch den Erlass des Studiengebührenabschaffungsgesetzes[24] ab dem SS 2012 weggefallen. Der Gebührenausfall wird den Hochschulen gem. § 1 des Qualitätssicherungsgesetzes[25] seither durch Haushaltsmittel des Landes ersetzt. Durch eine neuerliche Änderung des LHGebG werden seit dem WS 2017/18 wieder Studiengebühren – allerdings mit reduzierter Zielgruppe und anderer Höhe – erhoben. Dies betrifft Studierende, die weder eine EU-Staatsangehörigkeit noch eine inländische Hochschulzugangsberechtigung haben (1500 Euro pro Semester, §§ 3, 4 LHGebG), sowie Studierende in jedem zweiten grundständigen oder konsekutiven Studium (650 Euro pro Semester, § 8 LHGebG).

d) Qualitätssicherung

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Die Qualität der Lehre wird zunächst durch das gesetzliche Regel-Akkreditierungserfordernis für BA- und MA-Studiengänge gesichert (§ 30 IV 4 LHG). Hinzu kommen die 1995 eingeführten Studienkommissionen, die Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Studiums und zur Verwendung der für Studium und Lehre vorgesehenen Mittel erarbeiten sowie an der Lehrevaluation unter Einbeziehung studentischer Veranstaltungskritik mitwirken sollen (§ 26 III LHG). Den Vorsitz in den Studienkommissionen führt ein Studiendekan, der für die mit Lehre und Studium zusammenhängenden Aufgaben zuständig ist und auf ein ordnungsgemäßes und vollständiges Lehrangebots – gemessen an den Studien- und Prüfungsordnungen – hinwirkt (§ 26 I 4, IV LHG). Durch einen hohen studentischen Anteil in den Studienkommissionen[26] wird sichergestellt, dass die Hauptbetroffenen der Lehre ihre Belange zur Geltung bringen können. Außerdem sind die Studienkommissionen in doppelter Hinsicht mit den Fakultäten verbunden, um sicherzustellen, dass die dortigen Erkenntnisse in die Meinungsbildung der Fakultäten einfließen: Mindestens eines der studentischen Studienkommissionsmitglieder soll zugleich im Fakultätsrat sitzen, und der Studiendekan ist kraft Amtes Mitglied im Fakultätsvorstand.

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Besondere Bedeutung misst der baden-württembergische Gesetzgeber der Einrichtung eines Qualitätsmanagementsystems bei (§ 5 I LHG). Im Mittelpunkt steht dabei die Vorgabe zur Evaluation aller Hochschulaufgaben und der Chancengleichheit von Frauen und Männern. So sind die Hochschulen zu regelmäßigen Eigenevaluationen und in angemessenen zeitlichen Abständen auch zu hochschulübergreifenden Fremdevaluationen verpflichtet; bei der Lehrevaluation ist die Beteiligung der Studierenden obligatorisch. Die Evaluationsergebnisse unterliegen einer gesetzlichen Soll-Vorgabe zur Veröffentlichung (§ 5 II LHG).

e) Hochschulmedizin

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Bis 1997 waren die Universitätsklinika des Landes Baden-Württemberg rechtlich unselbstständige Anstalten der Universitäten; seit 1998 sind sie als rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts der Universitäten verselbstständigt (§ 1 I UKG). Die Gewährträgerschaft – also die letztendliche Haftung – liegt beim Land (§ 2 UKG). Die Organisationsstruktur der Universitätsklinika sieht einen Aufsichtsrat und einen Klinikumsvorstand vor; diese gesellschaftsrechtliche Konstruktion ermöglicht den Klinika ein marktnäheres Agieren in Konkurrenz mit privat und anderen öffentlich getragenen Krankenhäusern. Konsequenterweise gelten die organrechtlichen Normen des Aktiengesetzes subsidiär (§ 8 UKG).

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Der Aufsichtsrat besteht aus zwei Vertretern des Landes, zwei Vertretern der klinikführenden Universität, zwei bis vier externen Sachverständigen (etwa aus der Wirtschaft oder der medizinischen Wissenschaft) und einem Personalvertreter (§ 9 III UKG). Zu seinen Aufgaben gehören gem. § 9 I UKG die Bestellung, Beratung und Überwachung des Klinikumsvorstandes sowie die Feststellung des Wirtschaftsplans und des Jahresabschlusses (einschließlich dessen Verwendung). Dem Klinikumsvorstand, dem nach § 10 I UKG die Leitung des Klinikums übertragen ist, gehören der Leitende Ärztliche Direktor, sein Stellvertreter, der Kaufmännische Direktor, der Dekan der Medizinischen Fakultät sowie der Pflegedirektor an. Bestimmte, für die Aufgaben der Universität in medizinischer Forschung und Lehre wichtige Entscheidungen sind nur im wechselseitigen Einvernehmen von Klinikum und Medizinischer Fakultät möglich (§ 7 I UKG i.V.m. § 27 LHG).

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Entsprechend zu diesen Regelungen sind auch die Medizinischen Fakultäten in ihrer Leitung professionalisiert und gestärkt worden, indem ein Dekanat – bestehend aus dem Dekan, dem Prodekan, dem Studiendekan, dem Leitenden Ärztlichen Direktor und mit beratender Stimme dem Kaufmännischen Direktor (§ 27 III LHG) – eingerichtet worden ist. Außerdem wird die Medizinische Fakultät wie ein Landesbetrieb i.S.v. § 26 LHO geführt (§ 27 II LHG). Die vom Fakultätsvorstand zu erstellenden Wirtschaftspläne und Jahresabschlüsse bedürfen der Zustimmung des Fakultätsrates (§ 27 VI Nr. 2 LHG) und der Billigung des Rektorats (§ 16 IV LHG).

Einführung › II. Ausschöpfung der Landeshoheit nach der Föderalismusreform

II. Ausschöpfung der Landeshoheit nach der Föderalismusreform

Einführung › II. Ausschöpfung der Landeshoheit nach der Föderalismusreform › 1. Wegfall bundesgesetzlicher Fesseln

1. Wegfall bundesgesetzlicher Fesseln

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Bereits mit der 4. HRG-Novelle von 1998[27] hat der Bund damit begonnen, sich aus der Detailsteuerung des deutschen Hochschulrechts zurückzuziehen, indem sämtliche organisationsrechtliche Vorgaben aufgehoben wurden. Dies war die zentrale Vorbedingung für die Reformphase der späten 1990er Jahre bis in das neue Jahrtausend hinein. Mit der Föderalismusreform I von 2006[28] wurde die umfassende Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes in Art. 75 I 1 Nr. 1a GG a.F. für die „allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens“ aufgehoben. Stattdessen verfügt der Bund seither über eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Hochschulzulassung und -abschlüsse (Art. 74 I Nr. 33 GG), die bislang nicht in Anspruch genommen worden ist und außerdem einem Abweichungsrecht der Länder unterliegt (Art. 72 III 1 Nr. 6 GG). Zwar besteht das HRG bis heute fort, doch können die Länder es uneingeschränkt durch eigene Bestimmungen ersetzen (Art. 125a I 2, 125b I GG), was der baden-württembergische Hochschulgesetzgeber getan hat. Die Ausschöpfung der durch den Wegfall aller verbliebenen HRG-Bindungen[29] prägte die Rechtssetzungstätigkeit in der zweiten Hälfte des ersten Jahrzehnts im neuen Jahrtausend. Konsequenterweise sind mit dem ZHFRUG alle Bezugnahmen auf das HRG (tlw. durch Übernahme des entsprechenden Textes in das Landesrecht) gestrichen worden.[30]

Einführung › II. Ausschöpfung der Landeshoheit nach der Föderalismusreform › 2. Modernisierung des Hochschuldienstrechts

2. Modernisierung des Hochschuldienstrechts

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Ein wichtiger Teil der durch die Föderalismusreform I disponibel gewordenen HRG-Bestimmungen betraf das Hochschuldienstrecht, das durch die Vorgabe der Personalkategorien und zahlreiche Einzelbestimmungen geprägt ist. Im EHFRUG hat der baden-württembergische Gesetzgeber die erweiterten Handlungsspielräume zum Anlass genommen, sowohl auf Professoren- wie auf Mitarbeiterebene eine Reihe von Änderungen vorzunehmen. Zur Hochschullehrergruppe gehören seither die Professoren mit weiter ausgebauten Flexibilisierungsmöglichkeiten in der Lehrverpflichtung i.S. einer Ermöglichung von Forschungsprofessuren und Umverteilung der Lehrverpflichtung innerhalb einer Lehreinheit (§ 46 I 3 LHG),[31] die Juniorprofessoren sowie – als Lehräquivalent zu den auf die Forschung ausgerichteten Juniorprofessuren – die Dozenten und Juniordozenten (§ 51a LHG). Die verschiedenen Gruppen wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrkräfte für besondere Aufgaben u.a. sind seither unter dem Dachbegriff der „Akademischen Mitarbeiter“ zusammengefasst (§ 52 LHG).

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Später[32] kamen als weitere Personalkategorien die Tenure-Teck-Professur und die Tenure-Track-Dozentur hinzu (§ 51b LHG). Dabei handelt es sich um Funktionen, bei denen bereits im Rahmen der Besetzung der dafür erforderlichen Qualifikationsstelle (Juniorprofessur oder Juniordozentur) eine bewährungsbedingte Zusage für eine spätere Übernahme auf eine Professur bzw. Dozentur gemacht wird. Dies setzt freilich voraus, dass das Verfahren zur Besetzung der Qualifikationsstelle schon das dann später entbehrliche Berufungsverfahren vorwegnimmt und sich deshalb an den dafür geltenden Vorgaben orientiert.

Einführung › II. Ausschöpfung der Landeshoheit nach der Föderalismusreform › 3. Schaffung einer neuen Hochschulart: Duale Hochschule Baden-Württemberg

3. Schaffung einer neuen Hochschulart: Duale Hochschule Baden-Württemberg

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Durch die Föderalismusreform ist die Verbindlichkeit des vom HRG vorgegebenen Hochschulbegriffs gefallen. Dies hat es dem baden-württembergischen Gesetzgeber ermöglicht, im ZHFRUG 2009 einen neuen Hochschultypus zu schaffen und damit die erfolgreiche (1974 gegründete) Berufsakademie unter Wahrung wesentlicher Strukturmerkmale, die in der Dualität dieser Studien- und Ausbildungsform wurzeln, in eine Duale Hochschule mit eigener Rechtspersönlichkeit umzuwandeln. Vorbild für die Konstruktion der DHBW ist das US-amerikanische State University System, das auf einer Trennung von zentraler und örtlicher Ebene basiert; danach sind die örtlichen Studienakademien unselbstständige Standorte unter dem Dach der zentralen Gesamtinstitution.[33] Um den Hochschulstatus materiell zu unterlegen, erhielt die DHBW einen profilentsprechenden Forschungsauftrag (kooperative Forschung, § 2 I 3 Nr. 5 LHG). Die traditionell starke Rolle der Ausbildungsbetriebe wurde in eine mitgliedschaftliche Stellung überführt und gesichert (§§ 9 I 6, 65c II LHG). Im Übrigen wurde die DHBW soweit als möglich nach unmittelbar hochschulischen Prinzipien aufgestellt, wozu eine deutlich größere Autonomie im Verhältnis zum Ministerium,[34] die Umstellung des Lehrkörpers von der A- auf die W-Besoldung (§ 10 DH-ErrichtG) oder die Verleihung von originär akademischen Hochschulgraden anstatt namensgleicher staatlicher Abschlussbezeichnungen zählen.

Einführung › II. Ausschöpfung der Landeshoheit nach der Föderalismusreform › 4. Fusion von Universität und Forschungszentrum Karlsruhe zum KIT