Zwischen Hoffen und Zerbrechen - Ist mein Partner ein Narzisst?

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Loe katkendit
Märgi loetuks
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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Unser Heft ist im Handel – Reaktionen, Likes und Statistiken

John muss heute schon früh los. Er bringt die Jungs noch in die Kita und möchte danach den nächsten Zug nach München nehmen. Auf meine Frage, warum er seinen Führerschein immer noch nicht zurückhat, antwortet er achselzuckend: »Keine Ahnung. Mein Kumpel musste nach seiner Entlassung noch ein halbes Jahr warten, bis er seinen Lappen wieder in den Händen hatte. Aber ich werde die Tage mal anrufen und nachhaken. Ist ja so kein Dauerzustand!«, drückt mir einen Kuss auf den Mund und verschwindet.

Während seiner Zugfahrt schickt er mir ständig Nachrichten aufs Handy. Genau wie früher freue ich mich über jede einzelne Zeile. Aus München postet er auf Facebook ein Foto von unserem Heft mit den Worten:

Unsere erste Zeitschrift ist da! Bestplatziert am Münchner Hauptbahnhof. Das MEN’S MAGAZINE – jetzt überall am Kiosk!

Nach nur wenigen Stunden hat dieser Beitrag schon sechsundvierzig Likes. Noch einmal nehme ich mir die Zeit, lege mich auf die Couch und blättere durch unser Heft. Ich bin immer noch erstaunt, wie locker flockig John das Vorwort am Abend vorm Abgabetermin aus dem Ärmel geschüttelt hat. Ich könnte nie so unter Druck arbeiten. John kann wirklich super schreiben, ich bewundere ihn dafür.

Auch wie er es geschickt meistert, seine Situation der letzten Jahre mit keinem Wort zu erwähnen. Im Gegenteil, er schafft es sogar, diese lange Pause nach außen hin als Vorteil für sich zu nutzen. In seinem Vorwort erwähnt er nur: »Nach einer sehr zeit- und arbeitsintensiven Umstrukturierung unserer Firma, sind wir jetzt endlich unter einem neuem Namen und mit einer größeren Auflage wieder da.« Wenn man das so liest, muss man John einfach glauben. Doch was denken die, die von seiner Inhaftierung wissen?

Am Abend ruft mich mein Cousin ganz verzweifelt an. Er hat unseren Beitrag auf Facebook gesehen und ist sofort durch den ganzen Ort gefahren, doch nirgends hat er unsere Zeitschrift gefunden, nicht einmal am Bahnhof. Ich frage John, doch der zuckt nur mit den Schultern und meint: »Bei einer Auflage von zehntausend Stück können wir natürlich nicht alle kleinen Nester beliefern. Aber wenn wir unseren Druck ganz bald auf hunderttausend Hefte hochschrauben, dann sind wir wirklich an jedem Kiosk in Deutschland vertreten.«

Nach dem Telefonat packe ich zwei Hefte ein und schicke sie meinem Cousin per Post. Auch meiner Mom und ihren Geschäftspartnern sende ich einige Ausgaben zu. Die liegen bei uns ohnehin nur auf der Treppe. Ich habe wirklich keine Ahnung, warum John so viele Zeitschriften zu uns nach Hause bestellen musste. Das ganze Treppenhaus stinkt.

Zwei Tage später kann ich beim Aufwachen meinen Augen kaum trauen. Wir haben über Nacht mehr als fünfhundert neue Fans dazubekommen. Damit hat nicht einmal John gerechnet. Ich halte ihm das Handy direkt vors Gesicht. Überrascht reibt er sich die Augen und schaut noch einmal genauer hin: »Wow! Siehst du, ich hab‘s dir doch gesagt, wenn die erste Zeitschrift raus ist, geht es für uns steil nach oben.« »Ja, aber so schnell? Das Heft ist gerade zwei Tage im Handel.« »Süße, das hat man doch schon an den Zahlen vorher kommen sehen. Du hättest mal meine Kunden hören sollen, die konnten unsere Veröffentlichung kaum erwarten.«

Nach drei Wochen erhalten wir die ersten Statistiken vom Verkauf. Auch da liegen wir weit über unseren Vermutungen. Über die Hälfte der Hefte sind bereits vergriffen. Das heißt, es wurden jetzt schon mehr verkauft als damals in den gesamten acht Wochen, in denen Johns ehemalige Zeitschrift im Handel war. Unsere Lieferfirma ist somit komplett bezahlt und von nun an verdienen wir an jedem verkauften Exemplar. Zufrieden stoßen wir am Abend an.

Sponsor der Secret Fashion Show

»Weißt du wer gerade angerufen hat?« Gespannt schüttle ich den Kopf: »Keine Ahnung, wer denn?« »Der Typ, der die Secret Fashion Show veranstaltet. Sie wollen uns als Sponsor haben.« Fragend schaue ich John an: »Die Fashion Show in Berlin?« »Nein Lara, so weit sind wir leider noch nicht. Die Secret Fashion Show ist in München. Die ist zwar etwas kleiner, aber wirst sehen, danach sind wir mit einem Bein in Berlin.«

Wieder denke ich ein wenig zu laut: »Schön wäre, wenn da auch mal ein Cent bei rumkommt.« »Na klasse, und ich dachte du freust dich.« »Mach ich ja auch. Nur Sponsor? Heißt das, wir müssen dafür auch noch zahlen?« »Nein! Natürlich nicht. Im Gegenteil, die machen kostenlose Werbung für uns. Sie wollen uns unbedingt dabeihaben. Unser Logo wird überall im Raum zu sehen sein und die Goodie Bags für jeden Gast werden unsere Aufschrift haben. Auf jeder Eintrittskarte stehen unser Logo und die Webseite. Zusätzlich werben sie vorab online, wo wir immer mit erwähnt werden.«

»Das klingt toll, wie hast du das denn geschafft?« John zuckt überheblich mit den Schultern und meint: »Ich habe dir doch gesagt, ab jetzt fliegt das Ding. Ach ja, und wir bekommen zwölf VIP-Eintrittskarten, die wir verlosen können.« »Klasse! Aber vier davon behalten wir selbst, okay? Dann können wir endlich mal was mit Linda und ihrem Mann gemeinsam unternehmen. Sie wird sich bestimmt freuen und kann dort ebenfalls Kontakte für ihre Firma knüpfen.« John ist einverstanden, setzt sich an den Rechner und verfasst den nächsten Post auf Facebook.

Wir können Euch heute mit Freude verkünden, dass unser MEN‘S MAGAZINE ab sofort offizieller Medienpartner der Secret Fashion Show ist! Wir freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit! Ab morgen startet unser Gewinnspiel für kostenlose VIP-Tickets, so stay tuned!

Über sechzigmal wird er innerhalb weniger Stunden geliked und geteilt. Auch die Anfragen bezüglich der Verlosung sind laut John riesig, jeder möchte dabei sein.

Am nächsten Morgen treffe ich Linda im Kindergarten beim Abgeben unserer Jungs. Sie erzählt mir von der vielen Arbeit mit ihrem neuen Laden, den sie bald bei uns im Ort eröffnen wird. Noch immer bin ich enttäuscht, ich habe von diesem Laden zunächst nur zufällig über Dritte erfahren. Als Linda mir dann Wochen später ganz nebenbei davon erzählte, standen ihre Neuigkeiten bereits seit Tagen im Internet.

Eigentlich wünsche ich mir, wann immer ich sie sehe, dass alles wieder ist wie früher, wir über alles reden können, uns jederzeit auf einen Kaffee treffen, uns mit den Kindern verabreden, einfach wieder eine richtige Freundin haben. Stattdessen antworte ich ihr, dass wir ebenfalls Tag und Nacht arbeiten.

Wir verabschieden uns mit einem kurzen Gruß und ich frage mich erneut, wann mir meine beste Freundin so fremd geworden ist. Ich kann nicht nachvollziehen, warum sich so vieles zwischen uns geändert hat.

Die Situation macht mich traurig. Ich will sie nicht verlieren und laufe ihr zügig hinterher. Ein wenig außer Puste stottere ich, dass wir eine Überraschung haben und ich es schön fände, wenn sie und Richard uns zur Secret Fashion Show begleiten würden. Wir haben VIP-Karten für sie. Linda scheint sich zu freuen. Gedankenversunken fahre ich mit dem Rad nach Hause und setze mich an den Schreibtisch.

Dort sehe ich, dass unsere Webseite in den letzten Tagen schon mehrfach auf Facebook von der Secret Fashion Show erwähnt und geteilt wurde. Auch Johns Beitrag findet weiterhin große Zustimmung. Wenn man seine Posts liest und ihm am Telefon zuhört, klingt es, als wären wir das neue Star-Magazin. Aber genau das will John ja. Unsere Zahlen bestätigen seinen Ansatz, sie kennen seit Wochen nur eine Richtung, steil nach oben. Das Traurige ist jedoch, dass wir bis jetzt noch nichts eingenommen haben. Linda denkt bestimmt, dass wir inzwischen mehrere tausend Euro verdienen. Genau in dem Moment kommt ihre Nachricht per SMS.

Hallo Lara, sorry, wir schaffen es leider nicht, euch zu begleiten. Trotzdem danke. LG Linda.

Mich trifft diese Absage so sehr, dass ich nicht einmal antworten kann. Am Abend heule ich mich bei John aus: »Mein Geburtstag war der letzte gemeinsame Abend, den ich mit ihr verbracht habe. Damals hat sie mir noch bestätigt, dass wir unbedingt wieder öfter etwas zusammen unternehmen sollten. Stattdessen sehen wir uns nach wie vor kaum.« Ich hole kurz Luft, kann mich aber kaum beruhigen: »Und warum kann sie unser Heft nicht auch mal liken oder teilen? Ich habe doch auch jahrelang Werbung für ihre Klamotten gemacht. Viele meiner Freunde haben heute ihre Jacken an. Meine Schwester hat sich sogar Zeit genommen, Linda beim Entwerfen ihres Logos zu helfen. Hat sie das alles vergessen?«

John nimmt mich in den Arm und versucht mich zu trösten: »Jetzt mach dich doch nicht so fertig, so ist die Branche eben. Linda passt da sehr gut rein, so oberflächlich wie sie scheinbar geworden ist. Das hat bestimmt nichts mit dir zu tun.« »Aber ich versteh das nicht und ich vermisse sie! Es ist doch verrückt, wir hatten mehr Kontakt als ich noch zweihundert Kilometer weit weg gewohnt habe. Wenn sie wenigstens mit mir reden oder mal vorbeikommen würde. Wir wohnen nur fünf Minuten voneinander entfernt, sie geht mehrmals die Woche unter uns im Laden einkaufen.« Ich versuche mich zu beruhigen, doch ich schaffe es nicht. Jetzt zurückzuschreiben wäre jedoch falsch, da stimme ich John zu.

Die Jungs sind an diesem Wochenende bei ihrem Vater. Verlosen können wir Lindas Karten jetzt auch nicht mehr. Wir verschenken sie vor Ort. Das Pärchen freut sich und John ist sich sicher, die kaufen dafür unsere nächste Ausgabe. Mir persönlich wäre ein gemeinsamer Abend mit Linda wichtiger.

Es ist kalt geworden, ich habe nur eine dünne Bluse an. Wenigstens müssen wir uns nicht in der langen Schlange anstellen, mit VIP Karten dürfen wir an allen vorbei. Drinnen schauen wir uns um und suchen die zugesagten großen Plakate und Aufsteller mit unserem Logo, finden jedoch nichts dergleichen. Auch die Goodie Bags liegen nicht wie besprochen auf jedem Platz. John vermutet, dass die erst beim Rausgehen verteilt werden. Wegen der fehlenden Logos will er sich nächste Woche beschweren. »Und warum machst du das nicht gleich? Hier kannst du es ihnen doch direkt sagen.« »Das bringt nichts, Süße. Ändert zum jetzigen Zeitpunkt eh nichts und bringt nur Unruhe rein. Lass uns den Abend genießen.«

 

Die Show, mhm, naja, erklärt zumindest warum sie SECRET Fashion Show heißt. Es sind echt Leihen am Werk. Sonderlich elegant wirkt es nicht, wie die Möchtegern-Models da zum Teil über den Teppich wackeln. Die beste Show bei weitem liefert der Star des Abends: Jason Müller. Ihn treffen wir später bei der VIP-Party. Ein toller Typ! John stellt mich als seine Freundin vor. Ich bin glücklich.

Wieder denke ich an Linda. Schade, dass sie nicht da ist, für sie wäre die After-Party der richtige Zeitpunkt, um neue Kontakte zu knüpfen. Wir gehen raus auf den Balkon, dort trifft John einen Kumpel von früher. Plötzlich sehe ich ihn das erste Mal mit Zigarette im Mund. Er hatte mir damals im Knast versprochen, dass er nie im Leben vor mir rauchen würde. Meine Stimmung kippt, außerdem ist mir kalt und ich komme mir in dem Moment ein wenig verlassen vor. Ich schaue auf mein Handy. Linda hat geschrieben, vor drei Stunden:

Hast du Lust zum Turnen bei uns in den Keller zu kommen? Wir haben eine Trainerin da. Pro Person sechs Euro.

Entsetzt schreibe ich zurück, ob es ihr Ernst ist, dass sie uns wegen Turnen für heute Abend abgesagt hat. Daraufhin lese ich Folgendes:

Liebe Lara, entschuldige bitte, dass ich bei unserem vollen Terminkalender eure komische Fashion Show vergessen habe. Ich wollte dir einfach nur was Gutes tun. Deswegen die Einladung! Und ja, mein Körper ist mir in der wenigen Zeit, die ich momentan frei habe, wichtiger. Schönen Abend!

Wie bitte, ich bin sprachlos. Was ist denn mit Linda los? Was ist nur passiert, seit wir hier wohnen? Selbst John ist perplex über diese Antwort. Er meint, ich soll die Nachricht einfach ignorieren. Ich möchte den Rest des Abends Spaß haben, doch meine Gedanken schweifen ständig ab. Gegen eins ist John bereit zu gehen.

Beim Verlassen des Gebäudes kommen uns zwei Mädels entgegen, die Goodie Bags mit unserem Logo in der Hand haben. So erfahren wir, dass diese Beutel an der Kasse hingen, aber nur auf Nachfrage herausgegeben wurden. Die meisten Gäste haben sie also nie bekommen. John ist sauer, er hat offenbar für den Druck zahlen müssen. Als ich das höre, werde ich wütend. John zahlt weder Miete noch beteiligt er sich an unseren Kosten. Stattdessen gibt er ständig Geld für irgendwelche Flyer, massenhafte Visitenkarten oder jetzt auch noch diese bescheuerten ungenutzten Beutel aus.

»Was regst du dich denn so auf? Wir waren mit unserem Logo auf jeder einzelnen Eintrittskarte, drinnen wurde unsere Zeitschrift verteilt und wir haben super Kontakte gemacht. Selbst Jason Müller möchte bei uns ins nächste Heft. Weißt du, was das heißt? Der Mann hat über dreißigtausend Follower.« Ich winke ab: »Ich habe gerade siebentausend Euro für die Druckerei bezahlt, zusätzlich zu allem, was ich eh schon für dich und die Firma aufbringen muss. Für jeden Blödsinn gibst du Geld aus, nichts davon besprichst du mit mir und ich bin seit Jahren dein finanzieller Backup. Ich hoffe wirklich, dass du recht behältst und die Veranstaltung bringt uns am Ende neue Kunden. Und zwar Kunden, die für Werbung auch mal zahlen.« Letzteres kann ich mir nicht verkneifen.

John geht darauf gar nicht ein, gibt mir nur deutlich zu verstehen, dass ich meinen Ärger über Linda nicht an ihm auslassen soll und für ihn war es ein sehr wichtiger Abend.

Endlich wieder daheim, falle ich hundemüde ins Bett. John möchte mir unbedingt noch eine Massage geben. Gleichzeitig haucht er mir ins Ohr, wie sehr er mich liebt, wie sehr er sich auf unsere gemeinsame Tochter freut, und einmal mehr, dass wir das Beste sind, was ihm passieren konnte. Ich schiebe ihn von mir weg. Zwei Minuten später höre ich ihn schlafen.

Montagmorgen bitte ich John wegen der Goodie Bags nachzuhaken und warum in der ganzen Halle weder unsere Aufsteller noch unsere Plakate zu sehen waren. John nickt und geht nach oben ins Büro.

Als ich vom Kindergarten zurückkomme, berichtet John ungefragt: »Dem Veranstalter tut es leid, es ist scheinbar bei der Lieferung irgendetwas schiefgegangen. Inzwischen sind die Plakate eingetroffen.« »Na toll, kriegen wir dann wenigstens die Kosten erstattet.« »Ja klar, das steht doch außer Frage. Der Typ hat sich mehrfach bei mir entschuldigt und lädt uns definitiv zur nächsten großen Show dazu. Aber weißt du was? Das war jetzt ohnehin unser Sprungbrett zur ganz großen Bühne. Die ersten VIPs sind auf uns aufmerksam geworden. Unser Link zur Secret Fashion Show wird im Netz geteilt wie wild.« Ich möchte es John glauben.

Auch die offiziellen Bilder der Show sind inzwischen online. Wir werden bei allen Posts als Sponsor erwähnt. Die Likes klettern weiter in die Höhe. Allein in der darauffolgenden Nacht steigen unsere Follower um achthundert Fans. Aufgeregt zeige ich es John: »Schau mal, das kann doch gar nicht sein, oder?« Er grinst nur: »Hast du jemals an mir gezweifelt, Süße?« »Nein, natürlich nicht. Wie könnte ich?«, zwinkere ich sarkastisch.

Die Kosten steigen

Inzwischen rückt der Abgabetermin für unser nächstes Heft immer näher. Das Shooting läuft ähnlich ab wie bei der ersten Ausgabe. Wieder arbeitet die Fotografin samt Team kostenlos für John. Er möchte sie, wenn unser Heft irgendwann richtige Gewinne erzielt, entsprechend honorieren. Klingt zwar anders als sein: »Ich habe noch nie für Fotografen zahlen müssen«, aber für mich definitiv einleuchtender.

Dieses Mal fährt die Fotografin am Tag vor dem Shooting sogar extra noch mit dem Model zum Shoppen, kauft für fünfhundert Euro ein Kleid und will es am nächsten Tag zurückbringen. Ich bin überrascht, als John mir erzählt, auch das wäre in der Branche so üblich. Die Designer sind doch happy, auf dem Titelblatt einer internationalen Zeitschrift zu erscheinen. Umso besser denke ich, ganz abgesehen davon, dass wir uns fünfhundert Euro für ein Kleid gar nicht leisten könnten.

Heute lädt John mich mittags ins Restaurant ein. Wir sitzen am See, essen Fisch und blicken stolz zurück auf das, was wir in den letzten zweieinhalb Jahren gemeinsam erreicht haben. Ich liebe diesen Mann so sehr.

Und dann, der Hammer! Zwei Tage später zeigt John mir stolz seinen nächsten Post:

+ + + JAMES BOND IM MAGAZIN FÜR MÄNNER! + + +Wie heißt es so schön: Wenn‘s läuft - dann läuft‘s! Nachdem wir für das Uhren-Special in unserer aktuellen Ausgabe bereits George Clooney gewinnen konnten, wird in der kommenden Ausgabe (unserer Weihnachtsausgabe, welche ab Mitte November im Zeitschriftenhandel erhältlich ist) Mr. James Bond alias Daniel Craig persönlich seine Geschenke-Tipps für Weihnachten zum Besten geben! Wir freuen uns auf #DanielCraig - #JamesBond und wer weiß, vielleicht hat er ja sein #BondGirl im Schlepptau...!?

Wieder fällt es mir schwer zu glauben, dass irgendjemand annimmt, Daniel Craig persönlich steht uns fürs MEN’S MAGAZINE zur Verfügung. Dennoch versuche ich positiv zu klingen: »Wow! Dieses Mal also Daniel Craig als Zugpferd. Wieder über die Uhrenagentur?« »Nein, über eine Partneragentur von denen, die arbeiten sehr eng zusammen. Sie stellen mir das komplette Bildmaterial zur Verfügung. Dafür mussten sie zuvor richtig Geld hinlegen, um die Rechte zu bekommen. Und weißt du was? Beide Agenturen haben uns fürs kommende Jahr jeweils einen Auftrag über einhunderttausend Euro garantiert.« John hält kurz inne und wartet auf meine Reaktion. Ich bleibe stumm. »Zweihunderttausend Euro, Lara! Wenn es so weitergeht, haben wir ganz schnell unser eigenes Haus am See.«

Ich kann meinen Ohren kaum trauen: »Die zahlen jeweils einhunderttausend Euro?« »Ja, über das ganze nächste Kalenderjahr verteilt. Wir werden über die Herstellung der Uhren berichten, Werbung online und im Heft anbieten und immer wieder Aushängeschilder wie George Clooney, Daniel Craig und andere Größen dieser Art präsentieren können. Zusätzlich bekommen wir von denen Uhren zum Verlosen. Super oder? Ich hoffe, dass du jetzt endlich wieder besser schlafen kannst. Und wir beide dürfen uns so langsam aber sicher auf unser Nesthäkchen vorbereiten. Endlich unsere Familie komplett haben, das ist mein Wunsch fürs neue Jahr.« Mit diesen Worten verschwindet er zufrieden grinsend nach oben ins Büro.

Ich setze mich an den Rechner und überweise die Miete. Auch alle laufenden Rechnungen werden einmal mehr von mir abgebucht. Seit Johns Entlassung sind fünf Monate vergangen. Selbst für sein Handy zahle ich jeden Monat, ganz zu schweigen von Internet, Telefon, Strom und Auto. Als ich John darauf anspreche, dass wir aber auch jetzt schon sehr hohe Ausgaben haben, reagiert er gelassen: »Ach ja, das wollte ich dir vorhin schon erzählen, der Porsche-Händler hat heute angerufen, er hat wohl einen Käufer.« »Echt jetzt? Oh man, das wäre ja toll. Dann sind wir endlich alle Sorgen los.« John nickt bestätigend: »Das ist wahr. Nur ist der Käufer nicht aus München, von daher hat er das Auto bis jetzt nur reserviert. Er will ihn aber unbedingt, gerade wegen dem niedrigen Kilometerstand.« Ich schlucke: »Aber was heißt das dann, reserviert? Wann holt er ihn denn ab?« John rollt genervt mit den Augen: »Mach doch nicht so einen Stress. Freu dich doch, dass endlich ein Käufer da ist. Darauf haben wir schließlich die ganze Zeit gewartet. Er überweist jetzt zunächst eine Anzahlung und sobald er das nächste Mal in München ist, nimmt er das Auto mit.«

Für den Moment überzeugt setze ich mich hin und trinke einen Cappuccino. Kopfschüttelnd über dieses ständige auf und ab, versuche ich mich über diese Nachricht zu freuen. Aber irgendwie ist es seltsam, warum gibt es mit John eigentlich immerzu diese Extreme? Mal fühle ich mich himmelhochjauchzend und freue mich so sehr, dass ich endlich meinen Traummann gefunden habe, nur um keine fünf Minuten später festzustellen, dass schon wieder ein neues Problem gelöst werden muss.

Naja, wenigstens gibt es nun endlich einen Käufer. Mit dem Wissen, dass John dieses Auto hat, fiel es mir anfangs etwas leichter, ihn während seiner Inhaftierung auch finanziell zu unterstützen. Ich selbst nagte nicht am Hungertuch, als er mich kontaktierte. Vor den Kindern hatte ich sehr hart gearbeitet, um frühzeitig vorzusorgen. Auch wollte ich John das Leben im Gefängnis so angenehm wie möglich machen. Er bestätigte mir ohnehin ständig, wie schwer es ihm fiel, mich um Hilfe zu bitten, wo er doch von seiner eigenen Familie noch nie unterstützt worden ist.

Oft hatten meine Mom und ich auch einfach Mitleid mit ihm. Zum Beispiel an Weihnachten, da war seine einzige Freude ein harter Stollen und ein gemeinsamer Kinofilm mit allen Gefangenen. Natürlich zahlte ich ihm da die einhundert Euro für sein Weihnachtspaket ein, genau wie an Ostern und zu seinem Geburtstag. Hinzu kamen monatlich fünfzig Euro, die er brauchte, um überhaupt über die Runden zu kommen. Na, und da ich wollte, dass er so bald wie möglich bei uns ist, also gleich nach Ablauf seiner Halbstrafe, übernahm ich schließlich noch seinen Anwalt.

Jedenfalls besaß John vor seiner Inhaftierung einen Porsche. Auf diese Sicherheit verwies er bereits bei einem unserer ersten Treffen im Gefängnis. Warum sie ihm diesen teuren Wagen bei seiner Inhaftierung nicht weggenommen haben, erklärte er mir damals so: Der Richter hätte wohl gemerkt, dass John nur seine Firma retten wollte, und nichts dafür konnte, dass die Druckerei pleitegegangen ist. Nur deshalb ist ihm ja auch dieser enorme finanzielle Schaden entstanden, dass er die Models und die Miete nicht mehr zahlen konnte. Somit durfte er den Porsche behalten und der steht jetzt bei seinem Anwalt.

Bei seinem zweiten Freigang im Juni letzten Jahres rief John den Anwalt an und bat ihn, den Porsche für ihn zu verkaufen. Den Erlös sollte ich für unsere Ausgaben hernehmen. Doch der Anwalt war leider nicht dazu bereit, John sollte sich bei seinen Ausgängen doch bitte selbst um den Verkauf seines Autos kümmern. Mein Angebot, ihm dabei zu helfen, lehnte John damals ab. Er wäre ja jetzt ohnehin bald jede Woche draußen und um die geschäftlichen Dinge wollte er sich selber kümmern. Ich war zu diesem Zeitpunkt froh drum, denn mein Terminkalender war ohnehin schon übervoll.

 

Doch seit seiner Entlassung wurde der finanzielle Druck, der seit Beginn unserer Beziehung auf mir lastet, nicht weniger. Im Gegenteil, alle elektronischen Geräte, alle laufenden Kosten, seine Bahnfahrten und zuletzt noch völlig überraschend die Rechnung für die Druckerei, alles habe ich übernommen. Oft kann ich deshalb nachts nicht schlafen. Klar bestätigt John mir dann immer wieder, dass ich die Ausgaben zurückbekomme, sobald er das Auto verkauft hat. Ich habe ja finanziell auch gut vorgesorgt, aber eben nicht für diese Unmengen von Ausgaben. Wie oft ertappe ich mich dabei, dass ich mir selbst nicht mal mehr einen Cappuccino oder ein Eis gönne, wenn ich mit den Jungs unterwegs bin.

An besonders emotionalen Tagen versucht mich meine Mom am Telefon aufzubauen. Sie ist sich sicher, dass John seine Versprechen in die Tat umsetzen wird. Auch ich bin davon überzeugt, die Frage ist nur wann? Im Knast kam für mich immer völlig überraschend die ganz große Enttäuschung, meist nachdem ich schon ewig auf fest zugesagte Ereignisse hingefiebert hatte. Nur damals konnte John nichts dafür. Zu diesem Zeitpunkt war er der Willkür der Beamten ausgeliefert und die saßen einfach am längeren Hebel. Aber jetzt haben wir es selbst in der Hand. Jetzt können wir wirklich etwas erreichen.

John sitzt vor mir. Stolz wie Oskar, berichtet er mir von unseren neuesten Zahlen, Zahlen, die er früher mit keinem seiner Hefte annähernd erreicht hat. Ich nutze seine gute Laune, um ihn erneut auf unser Problem hinzuweisen. »Weißt du, ich mache mir einfach Sorgen, dass unsere finanziellen Probleme irgendwann so groß werden, dass sie sich auf unsere Beziehung auswirken.« »Was fängst du denn jetzt wieder mit der alten Leier an? Ich habe dir doch gesagt, dass du alles doppelt und dreifach zurückbekommst.« »Weil unsere Ausgaben sich seit du draußen bist mehr als verzehnfacht haben. Du versicherst mir zwar immer wieder, dass du diesen oder jenen Deal abgeschlossen hast, aber ich sehe davon nie einen Cent!« »Oh man Lara, entspann dich. Ich habe uns gerade einen Auftrag über zweihunderttausend Euro eingefahren. Was willst du eigentlich noch? Irgendwann ist aber auch mal gut. Keine Sorge, dein Sparstrumpf ist ganz bald wieder prall gefüllt.« Mit diesen Worten lässt er mich verletzt stehen.

Eine Mischung aus Machtlosigkeit und innerer Unruhe überkommt mich. John weiß genau, wie sehr er mich mit dieser Aussage trifft. Manchmal glaube ich, er hat alles, was ich für ihn getan habe, schon vergessen.

Ich gehe raus auf den Hof und rufe meine Mom an. Ihr Rückhalt tut mir gut: »Natürlich ist eine Firmengründung ohne fremdes Startkapital nicht leicht. Aber John arbeitet wirklich hart für euch. Meine Kollegen können nicht fassen, dass er bereits nach drei Monaten die erste Zeitschrift veröffentlicht hat.« »Mhm, ja«, gebe ich zu, »das war wirklich schnell. Auch die Verkaufszahlen steigen noch immer an. Und unsere Fans im Netz übertreffen alles, was wir uns im Vorfeld erhofft haben.«

Langsam hebt sich meine Laune wieder etwas. »Ach ja, und weißt du was? Das Autohaus hat endlich einen Käufer für den Porsche.« Ich kann ihre Freude durchs Telefon förmlich spüren: »Das ist ja prima! Danach wird es euch besser gehen. Weißt du, John bedrückt es wirklich sehr, dass er dir immer noch auf der Tasche liegt. Das sagt er mir ständig.« »Ich weiß schon, mir auch. Ich will ja gar nicht so oft nachfragen, nur nervt es mich halt, wenn noch immer alle Ausgaben an mir hängenbleiben. Er bekommt doch jeden Monat Arbeitslosengeld und zusätzlich den Zuschuss für Unternehmensgründer. Naja egal, ich muss mich beeilen, die Jungs abholen.«

Zurück in der Wohnung erzählt mir John, dass er diesen Monat die Miete übernehmen möchte. Ganz erstaunt frage ich, ob das wirklich okay für ihn ist, jetzt wo das nächste Heft übermorgen in den Druck geht. Wieder keimt in mir ein schlechtes Gewissen auf und ich habe keine Ahnung warum.

Für unsere nächste Ausgabe beauftragt John überraschend eine andere Druckerei. Komisch, dabei war er doch so zufrieden mit dem ersten Heft. Aber diese Druckerei bietet wohl für denselben Preis ein sehr viel hochwertigeres Papier an. Mir soll’s recht sein, dieses Mal übernimmt er ja die Kosten für den Druck.

Vor der nächsten Lieferung müssen wir uns um die unzähligen alten Hefte kümmern. Die liegen immer noch bei uns auf der Treppe. Ich möchte sie lieber heute als morgen entsorgen. John schüttelt den Kopf und will sie unbedingt aufheben. Im Keller wäre doch genug Platz. Ich verstehe nicht, wozu wir die alten Hefte aufheben müssen. Die interessieren keinen Menschen mehr. Außerdem stinken sie uns dann auch noch den Keller voll. John möchte sie für Marketingzwecke nutzen und hat sie seinem Freund Kai versprochen. Dieser hat ein Matratzengeschäft und will bei jeder Matratze, die er verkauft, ein Heft von uns dazulegen. Der »Matratzen-Kai«, wie John ihn nennt, ist wohl auch der einzige, der letztlich im ersten Heft für Werbung gezahlt hat.

Drei Tage später ist die neue Lieferung da. Wieder das gleiche Spiel, zwei große Paletten mit Zeitschriften stehen vor der Haustür. John ist in München und kommt voraussichtlich erst am Abend zurück. Mir bleibt noch genug Zeit, die Kartons nach oben zu tragen, bevor ich die Jungs aus dem Kindergarten abholen muss. Ich frage mich nur, warum John erneut so viele Exemplare zu uns bestellt hat. Nach gut einer Stunde treppauf treppab habe ich alle Hefte hochgeschleppt. Geschafft gehe ich duschen.

Danach blättere ich noch kurz durch unsere neue Zeitschrift. »Sieht echt nobel aus«, denke ich mir beim Durchblättern. Dabei kommen mir Lindas Worte in den Sinn: »Normalerweise steht ein riesiges Team hinter jeder Zeitschrift. Das ist unfassbar, dass ihr das alles zu zweit stemmt.« Bei diesem Gedanken werde ich traurig. Seit Wochen habe ich nichts von ihr gehört. Selbst ihre Eröffnungsfeier vom Laden habe ich nur hinterher im Internet verfolgen können, es waren hunderte von Gästen geladen, nur wir nicht. Was ist nur geschehen? Wir wohnen im selben Ort und sehen uns nie.

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