Internationale Beziehungen

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Die Verbreitung autoritärer StaatenAutoritarismus in der Dritten Welt

Die Dekolonisation von Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika hatte indessen nicht den Effekt, dass diese Staatengruppe sich zu stabilen demokratischen Staaten entwickelte.Dekolonisation und innerstaatliche Entwicklung In vielen Staaten führte der Abzug der Kolonialmacht unmittelbar in den Bürgerkrieg, weil innerstaatliche politische Gruppierungen um die Nachfolge in der politischen Herrschaftsausübung konkurrierten und Kolonialmächte auf einflussreiche innerstaatliche Gruppen Einfluss nahmen, um ein Ergebnis in ihrem Sinne herbeizuführen. Obwohl einige Staaten Erfahrungen mit demokratischen Systemen machten, beispielsweise Indien, Malaysia, Sri Lanka, die Philippinen oder auch Nigeria als größter afrikanischer Staat, etablierte sich in keinem der neuen Staaten langfristig ein demokratisches, pluralistisches System. Stattdessen wurden politische Regierungsumstürze und die Einparteienherrschaft zur Norm, die oftmals durch das Militär politisch abgestützt wurdeVerbreitung autoritärer Einparteienregierungen.

Dieser Trend hatte zwei Ursachen. Beide stehen in einem Zusammenhang mit zentralen entwicklungspolitischen Leitbildern, die in Bezug auf die sogenannten Entwicklungsländer existierten: Viele Staaten orientierten sich an einem sozialistischen Entwicklungsmodell. Die Sowjetunion mit ihrem Schwerpunkt auf zentralstaatlicher Planung und kapitalintensiver Industrialisierung in großem Maßstab galt zu Beginn der 1950er Jahre aufgrund ihres hohen Wirtschaftswachstums als Erfolgsmodell unter internationalen Entwicklungsorganisationen und den Entwicklungsländern, das viele Regierungen folglich übernahmen (Bruton 1998). Afrikanische Eliten fanden davon abgesehen die „sozialistische, die Ordnungsaufgabe des Staates und eine ‚wissenschaftliche‘ Gesellschaftsplanung betonende Visionen genuin attraktiv.“ (Jansen/Osterhammel 2013: 105) Schließlich übte die kommunistische Ideologie mit den Ideen der Befreiung von Unterdrückung eine starke Anziehungskraft aus.

In westlich orientierten Staaten war dieses Phänomen das Ergebnis der politischen Entscheidung für eine militärisch angeleitete Entwicklungsstrategie. Diese zielte darauf ab, sowohl kommunistische Bewegungen innerstaatlich einzudämmen als auch die als entwicklungshemmend empfundenen traditionellen Gesellschaftsstrukturen zu modernisieren (Simpson 2008). Sowohl Clan-, Cliquen- und ethnische als auch religiöse Organisationsformen anderer Kulturen und Zivilisationen galten aufgrund ihres anti-modernen und nicht-säkularen Charakters als modernisierungshinderlich. Gleichzeitig galt das Militär als Bollwerk gegen kommunistische und islamistische Bewegungen. Westliche Entwicklungsorganisationen und Regierungen sahen in der Stärkung des Militärs mit seiner hierarchischen Entscheidungsstruktur und einem bürokratischen Apparat eine dem westlichen Staat durchaus Unterscheidung von Militär- und Entwicklungsdiktaturenvergleichbare Organisation, aus der staatliche Strukturen herauswachsen hätten können. Die meisten Staaten entwickelten sich folglich entweder zu autoritär regierten Militärdiktaturen – wobei die politische Einmischung des Militärs variierte – oder Entwicklungsdiktaturen, das waren die durch Einheitsparteien regierten Staaten. In beiden Staatengruppen waren die Bürger- und Freiheitsrechte eingeschränkt. Dies führte zu wechselseitiger Kritik der Bündnissysteme aneinander und gab Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International Auftrieb, die die Menschenrechtslage in beiden Lagern gleichermaßen kritisierten (vgl. Einheit 12).

Merke

DekolonisationDekolonisation und innerstaatliche Strukturen

 Unter den neu entstandenen Staaten der Dritten Welt entwickelte sich die Einparteienherrschaft zur Norm für innerstaatliche Parteiensysteme. Keiner der neuen Staaten entwickelte dauerhaft pluralistische, innerstaatliche Strukturen.

 Sowohl aus der Perspektive westlicher als auch aus planwirtschaftlicher Entwicklungsplanung war diese Entwicklung gewollt, da man davon ausging, dass die Einschränkung pluralistischer Strukturen die wirtschaftliche Entwicklung beschleunigt.

 In Bezug auf die Entwicklung innerstaatlicher Strukturen war die Welt 1972 zweigeteilt: Demokratien finden sich in Nordamerika und Westeuropa, der Rest weist mehr oder weniger starke Einschränkungen politischer Freiheitsrechte auf.

Abbildung 2.3 und 2.4 zeigen, wie sich demokratische Staaten zu zwei Zeitpunkten, 1950 und 1972 weltweit verteilen. Die Messung der Demokratie beruht auf einem Index von 10 (für die höchsten Demokratiewerte) bis -10 (für die niedrigsten Demokratiewerte). Deutlich zu sehen ist die Autokratisierung Afrikas, Lateinamerikas aber auch Südostasiens zwischen diesen beiden Zeitpunkten.


Globale Demokratiewerte 1950

1950 / 1972

Demokratie-Skala

Autokratisch Demokratisch

ohne Einfärbung = keine Daten vorhanden


Globale Demokratiewerte 1972

Alternative Blockbildung und Spannungen innerhalb der Blöcke

Trotz der klar dominierenden Struktur der Bipolarität, die auf jeweils unterschiedlichen Ordnungen aufbaute, waren die Beziehungen innerhalb der Blöcke keineswegs ohne Spannungen und Konflikte (Modelski 1973). Zwei Entwicklungen waren hier zentral:

 Die Gründung der Blockfreienbewegung (Dritte WeltDritte Welt) und anderer internationaler Organisationen und Netzwerke als Alternative zu den existierenden Blöcken und Entwicklungsstufen (westlicher Block: Erste Welt; östlicher Block: Zweite Welt).

 Die Spaltung des Weltkommunismus durch den Konflikt zwischen China und der Sowjetunion.

Viele ehemalige Kolonien versuchten sich kurz nach der Erlangung ihrer Unabhängigkeit zusammenzuschließen, um sich damit einem am Ost-West-KonfliktOst-West-Konflikt orientierten Bündnissystem zu entziehen: Die Blockfreienbewegung gründete sich 1955. Die Gründungskonferenz fand im indonesischen Bandung statt. Federführende Staaten in der Bewegung waren Ägypten, Indien, Indonesien und Jugoslawien unter Tito. Der alternative Zusammenschluss der Entwicklungsländer gewann vor allem in den späten 1960er Jahren und zu Beginn der 1970er Jahre im Rahmen der Gruppe der 77 (G77) maßgeblichen Einfluss über die Generalversammlung der Vereinten NationenVereinte Nationen, wo sie beispielsweise Vorstellungen über eine neue Weltwirtschaftsordnung entwickelte. Die Bewegung ist noch heute aktiv und gewann 2014 im Rahmen der Ukraine-Krise Bedeutung, als die ukrainische Regierung bekannt gab, den Status der Ukraine als Mitglied der Blockfreienbewegung aufzugeben. Auch die 1963 gegründete Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) verstand sich als Regionalorganisation (im Sinne der Vereinten Nationen) mit dem Ziel, den Großmächte-Einfluss in Afrika abzuwehren (siehe auch Einheit 14). Eine weitere Organisation von einiger Bedeutung ist die Organisation Erdölexportierender Staaten (OPEC). Sie entstand 1960 mit dem Ziel, die weltweite Förderung des Erdöls zu koordinieren, die unabhängige Preisbildung zu beeinflussen und den Preis für Öl innerhalb eines von den OPEC-Mitgliedern festgelegten Zielpreiskorridors zu halten. Sie umfasst heute zwölf Mitglieder aus Afrika (Algerien, Angola, Libyen, Nigeria), Lateinamerika (Ecuador, Venezuela) und dem Mittleren Osten (Iran, Irak, Kuwait, Katar, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate). Dies verschaffte ihr Anfang der 1970er Jahre politischen Einfluss, als sie über die künstliche Verknappung der Ölversorgung den Ölpreis als politisches Druckmittel gegen die westlichen Staaten im Jom-Kippur-Krieg in die Höhe trieb. Ziel war es damals, die europäischen Staaten dazu zu bewegen, sich im Nahost-KonfliktNahost-Konflikt neutral zu verhalten. Die Ölkrise 1973–1974 führte westlichen Staaten ihre Abhängigkeit von den erdölexportierenden Staaten vor Augen (vgl. Einheit 5).

G77

Zu einer der einflussreichsten Organisationen entwickelte sich die Gruppe der 77, abgekürzt G77. Dabei handelt es sich um eine Gruppe, die innerhalb der von den Vereinten Nationen 1964 einberufenen Konferenz über Handel und Entwicklung (UNCTAD) entstand. Diese Konferenz sollte eigentlich über die Gründung einer neuen Welthandelsorganisation beraten, die über das GATT hinausging. Die G77 entwickelte sich aus zwei Gruppen, die von der UNCTAD zur besseren Steuerung der Verhandlungen eingerichtet worden waren: der afro-asiatischen Verhandlungsgruppe und der Gruppe mit planwirtschaftlichen Systemen. Der Zusammenschluss bezeichnete sich selbst als „Gewerkschaft der Entwicklungsländer“ und zielte auf eine größere Solidarität unter Entwicklungsländern in Fragen des Handels ab.

Zeitgleich mit dem Dekolonisationsprozess vollzog sich innerhalb des kommunistischen Lagers eine bedeutende Entwicklung. Mit dem Ausscheren Chinas aus dem sowjetischen Bündnissystem entwickelte sich das Land ab Ende der 1950er Jahre zu einem dritten Machtpol in der Weltpolitik. China trat 1956 in einen offenen Konflikt mit der Sowjetunion ein, der sich unter anderem in über 4000 Grenzzwischenfällen ausdrückte und 1969 fast in einen Atomkrieg mündete.

Auslöser dieses Prozesses war der Tod Joseph Stalins 1953. Sein Nachfolger Nikita S. Chruschtschow distanzierte sich in einer Geheimrede 1956 von der Politik seines Vorgängers. Chruschtschow machte Stalin direkt für die politischen Säuberungen – zu denen Terror, Deportationen und willkürliche Exekutionen gehörten – verantwortlich und erlaubte eine politische Liberalisierung. In den osteuropäischen Staaten führte dies zu einer Kritik am sozialistischen Staatsumbau und Forderungen nach mehr politischen Freiheiten: In der DDR und in Ungarn kam es 1953 und 1956 zu Volksaufständen, die beide niedergeschlagen wurden. In China führte Chruschtschows offene Kritik dazu, dass sich Mao Tse-tung von der Sowjetunion abwandte. Das hatte mit der Legitimität seines eigenen Regimes zu tun, die von der Ähnlichkeit zu Stalins Politik abhängig war (Lüthi 2008), da Mao bisher ein ähnliches Wirtschaftsprogramm wie Stalin verfolgt hatte.

 

Mao formulierte daraufhin seinen eigenen, chinesischen Weg der Revolution, den nach ihm benannten MaoismusMaoismus als chinesische Variante des Kommunismus, mit zwei wichtigen Innovationen. Der Maoismus ging erstens davon aus, dass nicht das Proletariat, sondern die Bauern die revolutionären Massen stellten. Zweitens hielt Mao, im Gegensatz zu Chruschtschow, daran fest, dass Außenpolitik die Verlängerung des innerstaatlichen revolutionären Kampfes sei und dies den Kampf gegen den ImperialismusImperialismus und die Förderung revolutionärer Bewegungen impliziere. Den von Chruschtschow eingeschlagenen Weg der friedlichen Koexistenz mit dem Westen lehnte er ab. Die Folge war eine Spaltung des Weltkommunismus, wie er bisher durch die gemeinsamen Positionen der Sowjetunion und Konkurrenz zwischen China und SowjetunionChinas zum Ausdruck gekommen war. Dies führte dazu, dass beide außenpolitisch in Konkurrenz zueinander traten (Modelski 1973). China entwickelte – und testete am 16. Oktober 1964 erfolgreich – seine erste Wasserstoffbombe, die es nicht nur ohne sowjetische Hilfe, sondern gegen deren expliziten Willen hergestellt hatte (vgl. Einheit 13). 1963 brachen die sowjetische und die chinesische Kommunistische Partei (KP) ihre Beziehungen ab.

Innerstaatlich war Maos Politik jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Mit der wirtschaftlichen Politik des Großen Sprung nach vorne (1958) wollte Mao die Entwicklung einer kommunistischen Gesellschaft beschleunigen. Dies beinhaltete die forcierte Verstaatlichung von Privateigentum und die Kollektivierung von landwirtschaftlicher Nutzfläche, aber auch das Zerschlagen von traditionellen Familienstrukturen, um den „neuen Menschen“ zu erziehen. Der große Sprung nach vorne kostete zwischen 1960 und 1962 bis zu 30 Millionen Menschen das Leben (Dallinger/Golz 2005: 398), weil die überhastete Kollektivierung zum Zusammenbruch der Landwirtschaft führte.

Chinas Politik hatte bedeutende Konsequenzen für andere Staaten, insbesondere in Südostasien, wo ethnische Chinesen bis heute eine substantielle Minderheit (im Fall Singapurs sogar eine Mehrheit) stellen (Young/Kent 2013: 309–312)Einfluss Chinas auf südostasiatische Staaten. Große Resonanz fanden Maos Lehren in Nordkorea und Kambodscha. In Kambodscha kopierten die Roten Khmer, die zwischen 1975 und 1978 regierten, das chinesische Modell, mit ähnlich desaströsen Folgen wie in China. Die Terrorherrschaft kostete ein Viertel der kambodschanischen Bevölkerung das Leben. Indonesien stellte ein anderes Extrem dar. Hier kam es zu Massakern (1965–1966) an mutmaßlichen Mitgliedern der indonesischen kommunistischen Partei, darunter vielen ethnischen Chinesen, und die Kommunistische Partei wurde verboten (Jetschke 2010). Die sowjetische Unterstützung für die Unabhängigkeitsbewegung in Tibet 1959 und Indiens im Sino-Indischen Krieg 1962 besiegelte den Bruch zwischen China und der Sowjetunion.

Merke

Dekolonisationsprozess

 Rund 80 neue Staaten haben sich im Zuge des Dekolonisationsprozesses zwischen 1946 und 1986 gegründet. Sie stellen einen Pool an Staaten, um den die USA und die Sowjetunion konkurrieren.

 Im Prozess der Dekolonisation führen diese Staaten zum Teil lang anhaltende Dekolonisationskriege gegen die Kolonialmächte, aber es kommt auch zu Kriegen über die regionale Vorherrschaft.

 Wo es zu Kriegen kommt, entwickeln sich diese häufig zu Stellvertreterkriegen.

 Diese Staaten erlangen ein stärkeres Gewicht in internationalen Organisationen, z.B. die Mehrheit in der Generalversammlung der Vereinten NationenVereinte Nationen.

Entspannungspolitik: Partielle Ost-West-Kooperation (1963–1979)

Die Vielzahl an neuen Staaten stellte für die beiden Großmächte USA und Sowjetunion eine große Herausforderung dar. Die Spaltung zwischen China und der Sowjetunion schuf für die sowjetische Führung Anreize, mit den USA zu kooperieren. Konkret warfen beide Entwicklungen das Problem der Proliferation von Atomwaffen auf. Gerade der Wettbewerb zwischen der Sowjetunion und den USA barg nicht nur die Gefahr der Sicherheitsbedrohung durch die Anwerbung von Alliierten in der eigenen Interessensphäre – wie durch den Fall Kuba repräsentiert –, sondern auch die Gefahr der unkontrollierten Verbreitung von Atomwaffen. Dafür steht der Fall Chinas. Mit der Annäherung der USA an China unter US-Präsident Nixon ab 1972 entstand weiterer Druck auf die sowjetische Führung, sich gegenüber dem westlichen Bündnis kooperativ zu zeigen.

DieAnreize für blockübergreifende Kooperationse Entwicklungen schufen konkrete Anreize für mehrere Kooperationsinitiativen (vgl. Tabelle 2.10). In den Vereinten NationenVereinten Nationen verhandelten beide Staaten über eine Menschenrechtskonvention, die die grundlegendsten Menschenrechte international verbindlich definieren sollte. Das Ergebnis waren 1968 zwei Pakte, da sich die USA und die Sowjetunion nicht auf einen Pakt einigen konnten: Der eine Pakt definierte bürgerliche und politische Rechte, der andere wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (vgl. Einheit 12).

Die USA und die Sowjetunion verhandelten bilateral über eine Reihe von Rüstungsbeschränkungsmaßnahmen. Darüber hinaus gab es wichtige Verhandlungen zwischen der deutschen Bundesregierung unter Kanzler Willy Brandt und den Regierungen der Sowjetunion, der DDR, Polens und der Tschechoslowakei, die auf eine offizielle Anerkennung der Grenzen entsprechend der Regelungen der Alliierten Konferenzen hinausliefen und alle Parteien auf die Norm des Gewaltanwendungsverbots verpflichteten (vgl. Tabelle 2.10).


JahrAbkommenInhalt
1963Atomarer Teststoppvertragerster Vertrag zur atomaren Rüstungsbegrenzung;Verbot des Tests von Atomwaffen
1968Festlegung der Staatengruppe, die legal Atomwaffen besitzen darf (USA, Sowjetunion, China, Großbritannien, Frankreich) und der Staatengruppe, für die der Erwerb zu militärischen Zwecken verboten ist;Verbot der Weiterverbreitung von Atomwaffen, Förderung der Atomkraft für zivile Zwecke
1971Berliner ViermächteabkommenBestätigung, dass West-Berlin kein konstitutiver Bestandteil der Bundesrepublik ist;aber: Regelung des Transitverkehrs und der Besuche zwischen Ost- und West-Berlinerinnen und Berlinern
1970–1973Ostverträge1970: Moskauer Vertrag1970: BRD-Polen1972: Grundvertrag BRD-DDR1973: Prager VertragAnerkennung des Status Quo in Europa;Anerkennung der Unverletzlichkeit der innerdeutschen Grenze, der deutsch-polnischen Grenze (Oder-Neiße-Linie) und der deutsch-tschechischen Grenze (Münchner Abkommen von 1938 wird für nichtig erklärt);faktische Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik;Gewaltverzicht
1972Vertrag über die Begrenzung strategischer Waffen (SALT I)Raketenabwehrvertrag (ABM-Vertrag)Einfrieren der Zahl der land- und seegestützten Interkontinentalraketen;Begrenzung der Abschussvorrichtungen gegen anfliegende Raketen;Sicherung der Zweitschlagskapazität und damit der wechselseitigen Abschreckung
1973Aufnahme von Verhandlungen über einen Vertrag über beiderseitig ausgewogene Truppenreduzierungen (MBFR-Vertrag)nicht abgeschlossen, da keine Einigung auf tatsächliche Truppenstärke
1975Helsinki-Schlussaktekollektives Sicherheitssystem für Europa;Helsinki-Effekt auf osteuropäische Dissidenten und Demokratiebewegung
1978SALT II-Vertrag (nicht ratifiziert)

Entspannungsphase – Blockübergreifende Kooperation

Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZEKonferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)) und die 1975 verabschiedete Schlussakte von Helsinki stellten eine weitere bedeutende Kooperationsinitiative dar, die 1965 von der UdSSR ausging, nach dem Austritt Frankreichs aus der Verteidigungsstruktur der NATO 1966 von de Gaulle aufgenommen und schließlich mit der Ostpolitik unter Willy Brandt auf ein breites westeuropäisches Fundament gestellt wurde (Young/Kent 2013). In ihrem Gefolge kam es zur Einrichtung einer Konferenzfolge, die explizit die Entspannung der Ost-West-Beziehungen anstrebte. Die grundlegende Bedeutung der KSZE lag darin, dass alle Beteiligten, vor allem Westdeutschland, die Teilung Deutschlands akzeptierten und die DDR explizit anerkannten; die USA und die Sowjetunion erklärten sich bereit, ihre jeweiligen Einflusssphären wechselseitig zu respektieren, und sie entwickelten vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen. Im Rahmen der KSZE wurden nicht nur rüstungsbegrenzende Vereinbarungen getroffen, sondern auch Vereinbarungen über menschenrechtliche und humanitäre Fragen, wie die der Familienzusammenführung (Altrichter/Wentker 2010). Der Helsinki-Effekt wirkte sich überraschenderweise auf die innerstaatlichen Oppositionsbewegungen in Osteuropa aus und Helsinki-Effekt: Mobilisierung von Oppositionellenführte zu deren Mobilisierung gegen die kommunistischen Regierungen. Organisationen nutzten die in dem Abschlussdokument verankerten Normen über politische Versammlungsfreiheit, um sich politische Freiräume in ihren eigenen Staaten zu erkämpfen (Thomas 2001).

Globale Effekte der Dritten Demokratisierungswelle ab 1974

Als im April 1974 in Portugal die diktatorische Regierung von Marcello Caetano durch einen Militärcoup gestürzt wurde, löste dies eine Kettenreaktion in vielen anderen Staaten aus. Bis zum Ende des Ost-West-Konflikts wurden 30 Staaten in Europa, Lateinamerika und Asien von einer globalen DemokratisierungswelleDemokratisierungswelle erfasst (Huntington 1990). Zwar gab es auch Entwicklungen in die umgekehrte Richtung – in Richtung eines autoritären Staates wie in Chile unter Augusto Pinochet zwischen 1973 und 1989 –, aber die Zahl der Demokratien nahm insgesamt stärker zu als die der Autokratien.

Merke

Demokratisierungswellen

In seinem Standardwerk zu demokratischen Transitionen spricht Samuel S. Huntington (1990) von Demokratisierungswellen, denen umgekehrte Wellen der Transition von Demokratien in Autokratien folgen.


Erste Demokratisierungswelle:1828–1926
Erste umgekehrte Welle:1922–1942
Zweite, kurze Demokratisierungswelle:1943–1962
Zweite, umgekehrte Welle:1958–1975
Dritte Demokratisierungswelle:seit 1974

Zum gleichen Zeitpunkt begann sich auch Spanien nach dem Tod seines seit 1936 regierenden Diktators Francisco Franco zu demokratisieren. Argentinien folgte 1983, Brasilien 1985. Diese Dritte Welle der Demokratisierung hatte jedoch regional betrachtet sehr unterschiedliche AuswirkungenRegionale Verbreitung.

In Europa waren wichtige Staaten Träger dieser Dritten DemokratisierungswelleDemokratisierungswelle, wie Griechenland, Spanien und Portugal. Ihre Transition zu Demokratien ermöglichte dieser Staatengruppe den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft, die damit ihre ersten Integrationserfahrungen mit süd- und südosteuropäischen Staaten machte (vgl. Einheit 14)Demokratisierung in Süd- und Südosteuropa.

Unmittelbare Effekte hatte durch die enge kulturelle und wirtschaftliche Verbundenheit Portugals und Spaniens mit seinen ehemaligen Kolonien die Demokratisierung dieser beiden Staaten auf Lateinamerika… und Lateinamerika. Hier kam es zur Demokratisierung des gesamten lateinamerikanischen Kontinents. Den Auftakt für diese Demokratisierung machte 1978/79 Ecuador, das bis dahin kaum eine demokratische Tradition hatte. Es folgten Peru, Bolivien, Argentinien (1982) und Brasilien und damit die beiden größten Staaten des lateinamerikanischen Kontinents.

 

Nicht alle DemokratisierungswelleDemokratisierungswellen endeten jedoch mit der Etablierung einer Demokratie. In Südwestasien hatte diese Welle den nicht-intendierten EffektNicht-intendierte illiberale Effekte in Südwestasien, dass ein illiberaler Regierungstyp in Form eines islamischen Staates und der Islamisierung breiter Gesellschaftsschichten entstand. Politische Entwicklungen im Iran und in Afghanistan hatten weitreichende regionale Erschütterungen zur Folge. In beiden Ländern standen die USA und die Sowjetunion im Wettbewerb um Einfluss über die jeweiligen politischen Führungen. Im Iran führte dies schließlich im Februar 1979 zu einer religiös motivierten politischen Revolution, der Iranischen RevolutionIranische Revolution. Diese brachte Ajatollah Ruhollah Khomeini an die Macht. Mit dem Iran entstand ein weltweit einzigartiges Modell eines islamischen Staates.

In Afghanistan, das durch zahlreiche Regierungswechsel innerstaatlich instabiler als Iran war, konkurrierten ebenfalls starke religiöse und kommunistische politische Bewegungen. Die Sowjetunion nutzte eine Situation der Instabilität in Afghanistan nach dem Sturz von Mohammed Daud dazu, in Afghanistan einzumarschieren. Neben der Motivation, territorialen Einfluss zu nehmen, bestand ein Motiv der sowjetischen Führung darin, dass sie Effekte der iranischen Revolution auf ihre eigene muslimische Bevölkerung in Zentralasien begrenzen wollte (de Hart 2008). Damit begann ein neun Jahre währender Krieg gegen verschiedene organisierte innerstaatliche Gruppen, die zum Teil von den USA unterstützt wurden. Die Besetzung wurde auch innerhalb der Sowjetunion stark kritisiert. Die Sowjetunion zog ihre Truppen schließlich 1989 aus Afghanistan ab.

Die Iranische Revolution und die Besetzung Afghanistans hatten wiederum weitreichende regionale und globale Effekte, die sowohl politischer als auch religiöser Natur waren: Auf einer regionalen Ebene legte die Iranische Revolution den Grundstein für eine religiös motivierte Außenpolitik des Iran, die darauf abzielte, ähnliche Reformen auch in anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens anzustoßen. Iran verfolgte eine Politik des iranischen Revolutionsexports. Dies führte zur direkten militärischen Auseinandersetzung mit dem Irak und zum Ersten Golfkrieg zwischen Irak und Iran (1980–1988). Sowohl durch direkte Unterstützung politischer Gruppierungen als auch durch Nachahmungseffekte gewannen in vielen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, aber auch in Südostasien, radikal-islamische Gruppierungen an Einfluss. In der Türkei, im Irak und in Indonesien führte dies jeweils zur Stärkung des politischen Einflusses des Militärs, das sich als säkulares „Bollwerk“ gegen islamistische Strömungen positionierte.

Iranische RevolutionIranische Revolution

Der Umsturz des Shah von Persien

 beeinflusst Instabilität und Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan,

 führt zu Irakisch-Iranischem Krieg (1. Golfkrieg),

 führt zu regionaler Diffusion schiitischer Lehren,

 führt zu stärkerem Einfluss des Militärs in naheliegenden Staaten des Nahen und Mittleren Ostens und Südostasiens (z.B. Türkei, Indonesien).