Internationale Beziehungen

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Die wichtigsten globalen Trendsglobale Trends und Entwicklungen von den Alliierten Konferenzen bis Mitte der 1960er Jahre

Für Europa markierte das Jahr 1947 somit einen fundamentalen Umbruch: In diesem Jahr begann in Europa die Blockbildung, im Westen forciert durch Großbritannien und die USA, im Osten durch die Sowjetunion. Als Ergebnis dieser Blockbildung entstanden jeweils zwei hochintegrierte, institutionalisierte Wirtschafts- und Militärbündnisse mit jeweils ausschließlicher Mitgliedschaft. Die zweite wichtige Entwicklung war die Dekolonisation, die die Positionen Großbritanniens und Frankreichs schwächte. Dies hatte den Effekt, dass die USA und die Sowjetunion als die stärksten Mächte international aufstiegen.


Zwischenstaatliche EbeneZeitRaum
BlockbildungEntstehung einander wechselseitig ausschließender Staatengruppen, liberal-marktwirtschaftlich organisierte und sozialistische Staatenhohe Interaktion und Integration innerhalb der Blöcke, wenig Integration über Blöcke hinweg1948–1963Global
DekolonisationStaatenbildungsprozesse unter den ehemaligen Kolonien;Entstehung einer hohen Zahl neuer Staaten im Globalen Süden, die eigenständige Außenpolitik verfolgenneue integrative Verbünde, explizit konzipiert als Blockfreiheit (Dritte Welt);Wettbewerb zwischen USA und Sowjetunion um neu entstandene Staatenab 1946/ 47Afrika und Asien
Dekolonisationskriege in Afrika und in AsienKriege zwischen Kolonialmacht und Unabhängigkeitsbewegungen, oftmals gegen Unternehmensinteressen durchgesetzt;anhaltende Konflikte mit hohen Opferzahlen (Dekolonisationskriege);interventionistische Maßnahmen durch Weltmächteab 1960er JahreAsien, Naher Osten, am Horn von Afrika, Südafrika
Kriege zwischen Staaten der Dritten Welt um regionale Führerschaft oder zur Klärung von GrenzstreitigkeitenKonflikte werden als Teil der Ost-West-KonfliktOst-West-Konfliktkonstellation und im Rahmen globaler Machtkonkurrenz ausgetragenab 1948Naher Osten, südliches Afrika
Verbreitung autoritärer Staaten in der „Dritten Welt“nach der Dekolonisation kommt es zur Etablierung autoritärer Einparteienherrschaften;Militärdiktaturen und Entwicklungsdiktaturen dominieren den gesamten Globalen Südenkommunistische Ideologie wirkt auf ehemalige Kolonien ein;westliche Staaten wirken mit einer militärisch angeleiteten Entwicklungsstratgie entgegenab 1950Lateinamerika, Afrika, Asien

Die wichtigsten globalen Trendsglobale Trends von 1947 bis Mitte der 1960er Jahre

BlockbildungBlockbildung (1948–1963)

Merke

Blockbildung

Blockbildung bezeichnet die institutionalisierte Integration der ost- und westeuropäischen Staaten nach 1947 in zwei unterschiedliche wirtschaftliche, politische und ideologisch ausgerichtete Systeme. In beiden Fällen vollzieht sich diese Integration unter der Dominanz eines Hegemons, im Fall des westlichen Blocks der USA, im Fall des östlichen Blocks der Sowjetunion. Sie wird durchbrochen durch die Bildung der BlockfreienbewegungBlockfreienbewegung im Zuge der Dekolonisation ab 1947.

In Westeuropa war es Großbritannien, das damit begann, eine Allianz als Gegengewicht zur sowjetischen Einflusssphäre zu organisierenWesteuropa: Blockbildung unter Führung Großbritanniens. Der Bündnis- und Beistandsvertrag von Dünkirchen (1947) zwischen Großbritannien und Frankreich war zwar primär gegen Deutschland gerichtet, stellte jedoch zugleich den Kristallisationskern für eine westeuropäische Zusammenarbeit im Kontext des sich verschärfenden Ost-West-KonfliktOst-West-Konflikts dar. Dieser Vertrag wurde 1948 – wiederum auf Initiative Großbritanniens – um Belgien, Luxemburg und die Niederlande (Brüsseler Fünf-Mächte-Pakt) zu einem Pakt zur kollektiven Verteidigung und zur wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zusammenarbeit erweitert.

Die USA hatten 1947 damit begonnen, den wirtschaftlichen Aufbau Westeuropas durch den Marshall-Plan zu unterstützen. 1948 gründeten sie die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC), zur Koordination der europäischen Volkswirtschaften mit Kanada und den westeuropäischen Staaten. Die Berlin-Blockade im Juni 1948 führte zu Verhandlungen über einen Atlantischen Vertrag und zur Gründung der NATONATO 1949 durch die USA, Kanada und zehn westeuropäische Staaten. Die NATO war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keine integrative Militärorganisation mit gemeinsamen militärischen Einheiten und einem Oberkommando, sondern definierte sich selbst als kollektives Sicherheitssystem.

Die Transformation der NATONATO in eine Integrierte Allianz vollzog sich erst 1950: Sie wurde mit dem „Verlust“ Chinas (1949) für den Westen, unter dem Eindruck der Explosion der ersten sowjetischen Atombombe (September 1949) und insbesondere durch den Ausbruch des Korea-Kriegs (Juni 1950) gefördert. 1950 fiel die Entscheidung, die Bundesrepublik wieder aufzurüsten und in die NATO zu integrieren, bei gleichzeitiger Verstärkung der Bodentruppen in Europa und der Entsendung eines US-amerikanischen NATO-Oberbefehlshabers nach Brüssel. Mit der Integration Griechenlands (1952) sowie Deutschlands und der Türkei (beide 1955) war die Beitritt Deutschlands zur NATO 1955Bildung der NATO vollendet. Sie sollte in dieser Form bis nach dem Ende des Ost-West-KonfliktOst-West-Konflikts bestehen bleiben.


US-EinflussbereichSowjetischer Einflussbereich
Europa
Vertrag von Dünkirchen 1947 (Führung: GB)bilaterale Bündnis- und Beistandsverträge (1943–1948)
Koordination der Volkswirtschaften: Organization for European Economic Cooperation (OEEC, 1948)Koordination der Volkswirtschaften: Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW, 1949)
NATO (1949, 1952 Griechenland, Türkei, 1955 Beitritt Westdeutschland)Warschauer Pakt (1955, Beitritt DDR)
Welt
Rio Pakt (1947)OAS (1948)SEATO (1954)ANZUS-Pakt (1951)CENTO (1955)Bilaterale VerträgeNordkorea (1955)Kuba (1960)Vietnam (1975)
Innerstaatliche Interventionen
Guatemala (1954)Kuba (1962)Brasilien (1964)Chile (1970–1973)El Salvador (1981)Grenada (1983)Britisch Guayana (1963)Dominik. Republik (1965)El Salvador (1981)Panama (1989)DDR (1953)Ungarn (1956)Tschechoslowakei (1968)Afghanistan (1979)
Ideologische Rechtfertigung
Truman-Doktrin (1947)Breschnew-Doktrin der eingeschränkten Souveränität sozialistischer Staaten (1968)
Ausscheren Frankreichs (1966)Abspaltung Chinas (1963)

Organisation der Bündnissysteme in Ost und West

Spiegelbildlich zur Integration des westlichen Verteidigungsbündnisses und diesem auf dem Fuß folgend, verlief die Integration des östlichen Verteidigungsbündnisses.Spiegelbildliche Integration des östlichen zum westlichen Bündnis Im Januar 1949 wurde auf Initiative der Sowjetunion der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGWRat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW)) zwischen Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien gegründet. Die DDR wurde 1950 Mitglied. Der RGW koordinierte die Volkswirtschaften der Volksdemokratien, ähnlich wie die OEEC dies für Westeuropa tat. Mit dem Warschauer Pakt über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand bildete die Sowjetunion 1955 mit Albanien (1962/68 ausgeschieden), Bulgarien, der DDR, Polen, Rumänien, der Tschechoslowakei und Ungarn einen militärischen Beistandspakt. Ähnlich zur NATO ab 1955 integrierte der Warschauer Pakt die Streitkräfte seiner Mitglieder unter einem Vereinten Oberkommando unter sowjetischem Oberbefehl.

Die USA und die Sowjetunion entwickelten eine Interventionspraxis in ihre jeweiligen „Vorhöfe“. Die Sowjetunion intervenierte offen in der DDR und in Ungarn sowie beim Prager Frühling 1968. Die offizielle Rechtfertigung dafür lieferte später die sogenannte Doktrin der eingeschränkten Souveränität der sozialistischen Staaten (Breschnew-Doktrin). Die USA entwickelten aufgrund der Sensibilität der lateinamerikanischen Staaten für ihre Souveränität die Praxis der Intervention ohne zu interventieren. Dabei handelte es sich um mehr oder weniger verdeckte Interventionen, bei denen missliebige Präsidenten gestürzt wurden. Sie wurden mit der Truman-DoktrinTruman-Doktrin gerechtfertigt. Internationale Aufmerksamkeit erlangte in diesem Zusammenhang die Kuba-Krise (1962).


Entwicklung
Rechtsgerichteter Präsident General Batista flieht in die Dominikanische Republik 1959
Fidel Castro übernimmt Regierung in Kuba
Sowjetunion und Kuba etablieren diplomatische Kontakte (1960)
Staatliche Enteignung von US-Eigentum in Kuba
Versuche Castro zu stürzen (Invasion in der Schweinebucht) oder zu ermorden (Operation Mongoose) scheitern 1961
Kuba-Krise
Kuba stationiert sowjetische Atomwaffen auf seinem Territorium 1962
USA verhängen Seeblockade über Kuba
Konfrontation auf See zwischen USA und Sowjetunion
Abzug des sowjetischen Nukleararsenals, Bestandsgarantie für Kuba, Kuba entwickelt unabhängige Außenpolitik

Verlauf der Kuba-KriseKuba-Krise

 

Die USA versuchten zunächst auch außerhalb Europas, Staaten durch eine Vielzahl von multilateralen und bilateralen Verträgen einzubinden und dadurch die Sowjetunion einzudämmen (vgl. Tabelle 2.7). In Asien und im Nahen und Mittleren Osten entstanden ähnliche Verteidigungsorganisationen wie NATO und Rio-Pakt, die sich jedoch wieder auflösten.


RegionMitgliederStatus
Rio-Pakt (1947)LateinamerikaKanada, USA, alle Staaten Lateinamerikasin Charta der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) überführt
EuropaBelgien, Dänemark, Westdeutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Portugal, Türkei, USAaktiv
SEATO (1955)AsienUSA, Frankreich, Großbritannien, Australien, Neuseeland, Pakistan, Philippinen, Südvietnamaufgelöst (1977)Auslöser: Ende des Vietnamkriegs
ANZUS (1951)AsienAustralien, Neuseeland, USAinaktiv
CENTO (1955)Mittlerer OstenUSA, Großbritannien, Irak, Iran, Türkei; Pakistanaufgelöst (1979)Austritte: Irak 1959, Pakistan 1979, Türkei 1979

Von den USA nach dem Zweiten Weltkrieg initiierte Militärbündnisse

Die regionale Teilordnung Europas: Westeuropäische Integrationeuropäische Integration

Parallel zur verteidigungspolitischen Organisation in der NATO vollzog sich in Westeuropa ab 1950 die westeuropäische Integrationeuropäische Integration. Sie stellte zunächst eine Antwort auf das zentrale Ordnungsproblem EuropasWesteuropäische Integration als Antwort auf Deutschlandfrage dar, das der Aufstieg Deutschlands unter den Nationalsozialisten und der Zweite WeltkriegZweiter Weltkrieg bedeutet hatten: Wie verhindern, dass das Streben Deutschlands nach HegemonieHegemonie noch einmal zu Krieg führt? Hier erwies sich europäische Integrationeuropäische Integration mit dem Aufbau überstaatlicher (supranationaler) Entscheidungsstrukturen als Lösung, die auf der einen Seite eine Fortführung der bereits im Wiener KongressWiener Kongress und den Versailler VerträgeVersailler Verträgen eingeübten Praxis im Umgang mit Angreiferstaaten bedeutete.

Auf der anderen Seite zeichnete sich die neue Ordnung durch einen sehr viel stärkerenEinhegung Westdeutschlands und wirtschaftlicher Wiederaufbau Europas und auf Dauer gestellten Souveränitätstransfer Deutschlands aus, aber langfristig auch anderer Staaten. Die europäische Integrationeuropäische Integration war ein zentrales Instrument zur Einhegung Westdeutschlands und zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Westeuropas, wobei eine künftige unabhängige deutsche Entwicklung verhindert würde (Young/Kent 2013: 134–138). Durch die supranationale Integration Deutschlands sollte sichergestellt werden, dass jedweder Machtzuwachs Deutschlands Europa insgesamt nutzt und kontrolliert werden kann. „The threat to peace, which the Germans represented, would be reduced by federal controls, the threat to peace, which the Soviets represented, would be reduced by the Western European nations.“ (Young/Kent 2013: 135f.)

Den Kern der europäischen Integrationeuropäische Integration bildete die gemeinsame Verwaltung des Ruhrgebiets.Gemeinsame Verwaltung des Ruhrgebiets Während die vier Siegermächte des Ersten WeltkriegErsten Weltkriegs in der Entmilitarisierung des Ruhrgebiets eine Lösung für das Aufrüstungsrisiko sahen, bestand mit dem sich herausbildenden Ost-West-Gegensatz die Notwendigkeit das Ruhrgebiet – etwa die Hälfte der Kohleproduktion Deutschlands war hier konzentriert – für den wirtschaftlichen Aufbau Westeuropas und die potentielle Verteidigung gegenüber der Sowjetunion zu nutzen. Die Lösung bestand in der gemeinsamen Nutzung seiner Kohle- und Stahlproduktion und der Unterstellung dieser Produktion unter eine gemeinsame Verwaltung durch Deutschland und FrankreichErfolgreiche Zusammenarbeit in der EGKS. Nach dem Plan des französischen Außenministers Robert Schuman wurde die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKSEuropäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)) – auch Montanunion genannt – gegründet, die einerseits französische Interessen an einem Ausbau französischer Industriekapazitäten befriedigte und andererseits dem Ziel einer europäischen Friedensordnung entsprach.

Die Bedeutung der EGKS als Überwachungsinstitution

Die revolutionäre Bedeutung der EGKS hob der damalige deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer in einer Rede hervor, die zudem noch einmal verdeutlicht, dass die zentrale Funktion der Organisation in der Schaffung von Frieden gesehen wurde, sollte sie doch die gegenseitige Überwachung der kriegswichtigen Produktion von Stahl ermöglichen. Wenn eine Organisation geschaffen werde, so Adenauer, die es den Franzosen gestattet, alles das zu sehen, was auf dem Gebiet der [bad img format]http://openilias.uni-goettingen.de/lehrbuch_IBFabrikation von Stahl und der Förderung von Kohle in Deutschland vor sich geht, und wenn umgekehrt die Deutschen sehen, was in Frankreich vor sich geht, dann sei diese gegenseitige Kontrolle das beste Mittel, um eine Politik zu treiben, die sich auf Vertrauen stützt. Die Audio-Datei finden Sie im Online-Bereich des Lehrbuchs.

Weitergehende Pläne, nach dem Vorbild der EGKS auch eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) zu gründen (Pleven-Plan), scheiterten hingegenScheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Die Franzosen waren nach einem verheerenden Krieg nicht bereit, einen Teil ihrer Streitkräfte einer supranationalen Autorität zu unterwerfen, die auch deutsche Streitkräfte integriert hätte. Für Paris wäre damit nicht nur der Verlust der vollen Souveränität über Frankreichs Streitkräfte, sondern auch die Anerkennung Deutschland als gleichberechtigter Staat verbunden gewesen. Die Briten waren zu einer Assoziation mit Kontinentaleuropa bereit, nicht aber zu ihrer Einbindung in eine supranationale Organisation (Young/Kent 2013: 199), die Frankreich und Westdeutschland auf einen gleichen Rang wie Großbritannien gehoben hätte (Young/Kent 2013: 201). Als Alternative zur EVG wurden Italien und Westdeutschland in die Brüsseler Vertragsorganisation und Westdeutschland später als NATO-Mitglied aufgenommen. Die europäische Integrationeuropäische Integration erwies sich schnell als Erfolg und so kam es zu weiteren Integrationsschritten und sogar zur territorialen Erweiterung der Organisation (vgl. ausführlich Einheit 14).

DekolonisationDekolonisation

Die scheinbar klare Struktur des Ost-West-Konflikts verdeckt andere grundlegende Entwicklungen der internationalen Beziehungen. Ein Prozess, der die internationalen Beziehungen in ihrer Überschaubarkeit erheblich verkomplizierte, war die DekolonisationRäumliche und zeitliche Ausbreitung der Dekolonisation. Die erste Welle der Dekolonisation im 19. Jahrhundert hatte überwiegend Lateinamerika betroffen. Beginnend mit der Unabhängigkeit der Philippinen (1946) und Indiens (1947), erfasste die Dekolonisation nach dem Ende des Zweiten WeltkriegZweiter Weltkriegs Asien und Afrika mit zunehmender Geschwindigkeit (vgl. die Animation im Internet „Dekolonisation in 20 Minuten“). Dieser Prozess veränderte die Struktur der internationalen Beziehungen dauerhaft: Aus den riesigen Kolonialreichen entstanden eine Vielzahl unabhängiger Staaten, die eine eigenständige Außenpolitik verfolgten. Sie stellten auch einen Pool von Staaten dar, um deren Gunst die USA und die Sowjetunion, aber auch China und Kuba im Wettbewerb standen. Dem Wettbewerb um koloniale Handelsplätze des 19. und frühen 20. Jahrhunderts folgte nun der Wettbewerb um Unterstützung in einer ideologischen Auseinandersetzung.


Dekolonisation – zeitliche Ausbreitung neuer Staaten (1945–1984)

Aus einer globalen Perspektive vollzog sich die Befreiung vom Kolonialismus ab 1947 in umgekehrter Reihenfolge der Kolonialisierung (historisch gesehen waren Spanien und Portugal die ersten Kolonialmächte, gefolgt von Frankreich und Großbritannien. Räumlich wurden zuerst Lateinamerika, dann Afrika und danach Asien kolonialisiert). Beginnend mit den Philippinen (1946) und Indien (1947) erlangten die meisten asiatischen Staaten als Erste ihre Unabhängigkeit zurück, danach folgten die Staaten Afrikas. Britische Kolonien erlangten im Schnitt früher ihre Unabhängigkeit als französische Kolonien. Portugal hielt bis 1975 an seinen Kolonien fest. Die Unabhängigkeit weniger Länder hatte Signalwirkung für viele andere, so Indiens Unabhängigkeit für Asien oder Ägyptens Unabhängigkeit für weitere Staaten auf dem afrikanischen Kontinent. Das Ausmaß dieses Staatenbildungsprozesses wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es zum Zeitpunkt der Gründung der Vereinten NationenVereinte Nationen nur 51 Staaten gab. Am Ende des Kalten Kriegs hatte sich die Zahl der Staaten mit 159 mehr als verdreifacht.

Die Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien verfolgten dabei zunächst grundsätzlich die StrategieGegenstrategien der Kolonialmächte, ihren kolonialen Einfluss unter neuen Bedingungen zu halten (Young/Kent 2013: 31) und die Dekolonisation in ihrem Sinne zu steuern. Großbritannien entwickelte die Idee eines Commonwealth of NationsCommonwealth of Nations, in dem sich die Kolonien in einer Konförderation zusammenschließen und selbst verwalten. Herzstück der nachkolonialen Vorstellungen Frankreichs war der auf der Konferenz von Brazzaville im Januar 1944 entwickelte Plan für die Transformation des französischen Kolonialverhältnisses in eine Französische UnionFranzösische Union. Darin sollte Frankreich nur noch die gemeinsame Außen-, Verteidigungs-, Justiz- und Währungspolitik der Mitgliedstaaten kontrollieren. Bürgerinnen und Bürger der Kolonien, die die Attribute des französischen Zivilisationsstandards erfüllten, sollten Staatsbürgerschaftsrechte und eine größere politische Mitsprache in der französischen Nationalversammlung genießen (Young/Kent 2013: 66–67). Diese Versuche misslangen jedoch. In einem sich beschleunigenden Prozess erlangten die meisten Staaten in den 60er Jahren ihre Unabhängigkeit.


Zeitlicher und räumlicher Pfad der Dekolonisation

In Asien erlangte 1947 Indien (und Pakistan, durch Teilung von Indien) – das „Kronjuwel“ Großbritanniens – seine Unabhängigkeit. Der Unabhängigkeit waren schwierige – durch die britische Kolonialpolitik verschärfte – innerstaatliche Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Moslems vorangegangen, die letztlich zur Spaltung Indiens und zur Gründung Pakistans führten. Ein Jahr nach Indien wurden Ceylon (das heutige Sri Lanka) und Burma (das heutige Myanmar) unabhängig. In Südostasien nutzten lokale Herrscher die Gelegenheit des Abzugs der japanischen Streitkräfte aus den ehemaligen Kolonien, um ihre Unabhängigkeit einzufordern. Der Widerstand einiger Kolonialstaaten, vor allem Frankreichs in Indochina, führte in Vietnam zu einem blutigen Befreiungskrieg, den Frankreich 1954 in der Schlacht von Dien Bien Phu verlor. Die malayischen Territorien waren zum Teil unter indirekter britischer Regierung, zum Teil in britischem Besitz. Sie wurden 1946 zunächst in der Malayischen Union und später in der Malayischen Föderation als sich selbst regierende Territorien organisiert und erhielten 1957 ihre Unabhängigkeit.

 

In Afrika hatten vor dem Zweiten Weltkrieg nur wenige Staaten ihre Unabhängigkeit erlangt. Ägypten hatte bereits 1922 die eingeschränkte Souveränität durch Großbritannien erhalten. Allerdings blieben britische Truppen weiterhin in dem Land stationiert, um den Suezkanal zu kontrollieren. Ägypten und Großbritannien teilten sich außerdem die Verwaltung über den Sudan. Äthiopien hatte während der gesamten Kolonialzeit seine Unabhängigkeit bewahrt (bis auf die kurze Phase der italienischen Annexion).

Südafrika hatte – wie die anderen britischen Dominions Australien, Kanada und Neuseeland – innerhalb des britischen Empires einen Sonderstatus. Die von ehemaligen amerikanischen Sklaven gegründete Republik Liberia hatte sich bereits 1847 unabhängig erklärt.

Der Dekolonisationsprozess begann mit den nordafrikanischen Staaten (Libyen, Sudan, Tunesien und Marokko). Als erstes schwarzafrikanisches Land wurde 1957 Ghana unabhängig. 1958 entschied sich die Bevölkerung von Guinea in einem Referendum für die Unabhängigkeit von Frankreich. Danach erkannte Frankreich, dass die Dekolonisation nicht mehr aufzuhalten war. Im Afrikanischen JahrAfrikanisches Jahr (1960) erlangten alle 14 französischen Kolonien in Afrika, zusammen mit Nigeria (Großbritannien), dem Kongo (Belgien) und Somalia (britisch und italienisch Somaliland) ihre Unabhängigkeit.

Allein Portugal hielt unter einer rechtsgerichteten, diktatorischen Regierung bis 1975 an seinen Kolonien fest. Dies führte angesichts der Existenz von Unabhängigkeitsbewegungen im übrigen Afrika zu langen innerstaatlichen Konflikten, die durch die Einmischung der USA und der Sowjetunion sowie Chinas und Kubas befeuert wurden. Erst der Sturz des portugiesischen Präsidenten Marcelo Caetano durch eine Demokratiebewegung ermöglichte dieser Staatengruppe die Unabhängigkeit, befriedete sie aber nicht.

Die Unabhängigkeit der afrikanischen und asiatischen Staaten

Die Unabhängigkeit der afrikanischen und asiatischen Staaten führte zu einem Institutionalisierungsschub auf internationaler Ebene. Die zuvor in den jeweiligen Kolonialreichen zusammengeschlossenen Staaten waren nun eigenständige Subjekte des Völkerrechts mit autonomen Vertragsschließungskompetenzen. Zum ersten Mal seit der Kolonialisierung gab es keine eigenständigen völkerrechtlichen Regelungen mehr für diese Gebiete. Viele von ihnen schlossen sich unmittelbar in regionalen Verbünden zusammen.