Geschichte der USA

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FrauenFrauenFrauenbewegung im öffentlichen Leben

Die „Maschinen“-Politik und das raue politische Klima des Gilded AgeGilded Age waren der FrauenemanzipationGesellschaftGilded Age keineswegs förderlich. Allerdings schuf die Vernachlässigung des sozialen Sektors durch Parlamente und Regierungen ein großes Betätigungsfeld für aktive FrauenFrauenFrauenbewegung, die sich der evangelikalen Reformtradition verpflichtet fühlten. Die 1848 gegründete FrauenbewegungFrauenFrauenbewegung hatte sich nach dem BürgerkriegBürgerkrieg über der WahlrechtsfrageFrauenWahlrechtWahlrechtFrauen gespalten: Ein aktivistischer Flügel unter Elizabeth Cady StantonStanton, Elizabeth Cady und Susan B. AnthonyAnthony, Susan B. ging aus Enttäuschung über die RepublikanerRepublikanische ParteiGilded Age u. Progressivismus, die es versäumt hatten, das FrauenwahlrechtWahlrechtFrauen im 14. und 15. Amendment zu verankern, auf Distanz zu beiden großen Parteien und formulierte ein unabhängiges Programm. Als National Woman Suffrage AssociationNational Woman Suffrage Association trat diese Gruppe für einen weiteren Verfassungszusatz ein, der das FrauenwahlrechtFrauenWahlrechtWahlrechtFrauen garantieren sollte. Um stärkeren Druck auf Parlamente und Regierungen ausüben zu können, organisierten ihre Mitglieder überall in den USA lokale suffrage societies. Der andere Flügel, die American Woman Suffrage AssociationAmerican Woman Suffrage Association, die von dem Anwalt Henry BlackwellBlackwell, Henry und der Publizistin Lucy StoneStone, Lucy angeführt wurde, unterstützte die Wahlrechtsforderung im Prinzip, steuerte das Ziel aber in enger Zusammenarbeit mit der RepublikanischenRepublikanische ParteiGilded Age u. Progressivismus Partei und ehemaligen AbolitionistenAbolitionisten über Referenda in den Einzelstaaten an. Diese Konkurrenz zweier Organisationen machte es nicht leichter, praktische Fortschritte zu erzielen, zumal das Verlangen nach politischer Mitsprache von Frauen noch auf verbreitetes UnverständnisGesellschaftGilded Age stieß und gelegentlich sogar heftige männliche Gegenreaktionen provozierte. 1890 entstand zwar ein neuer Dachverband, die National American Woman Suffrage Association (NAWSA), aber bis 1896 hatten nur vier westliche Staaten – WyomingWyoming, UtahUtah, ColoradoColorado und IdahoIdaho – das FrauenwahlrechtFrauenWahlrechtWahlrechtFrauen eingeführt, während die Frauen anderswo allenfalls auf lokaler Ebene wählen durften. Die Fortschrittlichkeit des Westens ist zum einen darauf zurückzuführen, dass FrauenFrauenWesten an der FrontierFrontier viele Tätigkeiten ausüben mussten, die normalerweise Männern vorbehalten blieben; zum anderen ließ es der Männerüberschuss im WestenWesten geraten erscheinen, siedlungswilligen Frauen „Privilegien“ wie das WahlrechtFrauenWahlrechtWahlrechtFrauen in Aussicht zu stellen. Dort, wie in anderen Teilen der USA, beteiligten sich auch Einwanderinnen aus dem deutschsprachigen Raum, PolenPolen und Irland an den FrauenrechtsaktivitätenFrauenFrauenbewegung, die insgesamt stark von wohlhabenden weißen Frauen und ArbeiterinnenFrauenArbeitArbeiterFrauen dominiert wurden. Diese bildeten teilweise eigene Organisationen, um in ihre ethnischen Gemeinden hinweinzuwirken. Letzeres gilt auch für afroamerikanische Frauen, die sich jenseits von NAWSA vor allem in der National Association for Colored Women engangierten.

Zur größten und einflussreichsten Frauenorganisation in dieser Zeit stieg die Women’s Christian Temperance Union (WCTU)Women’s Christian Temperance Union (WCTU) auf, die Mitte der 1870er Jahre aus spontanen Aktionen von FrauenFrauenFrauenbewegung gegen Bars und Saloons in OhioOhio hervorgegangen war und 1890 unionsweit schon 150.000 Mitglieder zählte. Unter der Führung von Frances WillardWillard, Frances nahm die WCTU nicht nur den Anti-Alkohol-Feldzug der Temperance SocietiesTemperenzbewegung aus den 1840er und 1850er Jahren wieder auf, sondern wandte sich auch den Problemen des Sozial- und GesundheitswesensGesundheitswesen, der BildungBildungswesen und Erziehung, der öffentlichen Moral und des internationalen Friedens zu. Einerseits akzeptierten ihre Mitglieder die Doktrin der „separaten Sphären“, derzufolge Männer und Frauen unterschiedlicher Natur waren und FrauenFrauenFrauenbewegung eine besondere Eignung für geistig-moralische AufgabenGesellschaftGilded Age hatten. Andererseits verstanden sie die „weibliche Sphäre“ so umfassend, dass kaum ein Bereich des öffentlichen Lebens ausgespart blieb. Willard forderte denn auch das WahlrechtWahlrechtFrauen für FrauenFrauenWahlrecht, allerdings nicht, wie die Suffragetten, als „natürliches Recht“ im Sinne der UnabhängigkeitserklärungUnabhängigkeitserklärung, sondern als Voraussetzung dafür, dass die Frauen ihrer spezifischen Verantwortung in der Industriegesellschaft gerecht werden konnten. Aus dem sozialen Engagement erwuchs also ein Anspruch der FrauenFrauenFrauenbewegung auf Mitsprache in gesellschaftlich relevanten Fragen. Das machte die Stärke der FrauenbewegungFrauenFrauenbewegung mit ihren vielfältigen Organisationen aus, die der amerikanischen politischen Kultur im 20. Jahrhundert eine ganz besondere Prägung verlieh.

GewerkschaftenGesellschaftGilded AgeGewerkschaften und ArbeiterbewegungArbeiterGilded Age

Von den negativen Begleiterscheinungen der IndustrialisierungIndustrialisierungGilded AgeIndustrialisierung, insbesondere von den Konjunktureinbrüchen, war die Masse der ArbeiterArbeiter und Farmer am härtesten betroffen. In ihren Reihen formierte sich deshalb auch der stärkste Widerstand gegen eine Entwicklung, die bewirkte, dass politische Macht und gesellschaftlicherGesellschaftGilded Age Wohlstand immer einseitiger verteilt wurden. Ohne hinreichenden sozialen und rechtlichen Schutz sahen sich die amerikanischen ArbeiterArbeiterGilded Age im Gilded AgeGilded Age nicht nur der Willkür der Unternehmer ausgeliefert, sondern gerieten auch unter psychologischen Druck und liefen Gefahr, ihr Selbstwertgefühl zu verlieren. Mentalitätsmäßig wurzelten viele noch im Handwerker-RepublikanismusRepublikanismus des frühen 19. Jahrhunderts: Sie verstanden sich als Produzenten, denen ein gewisses Maß an Unabhängigkeit zukam, deren Tätigkeit „wertvoll“ war und die für ihre Arbeit einen „gerechten“ Preis fordern durften. All dies wurde in Frage gestellt durch den Einsatz von Maschinen und die Disziplinierung der Belegschaften in den Fabriken, durch Massenproduktion, Spezialisierung und Akkordarbeit. Menschen drohten in diesem Räderwerk zu Ersatzteilen zu werden, die man beliebig austauschen oder auch ganz beiseiteschieben konnte.

In dem auf individuellen Wettbewerb ausgerichteten sozialen KlimaGesellschaftGilded Age des Gilded AgeGilded Age fiel es den Arbeiterinnen und ArbeiternArbeiterGilded Age sehr schwer, organisierte Interessenvertretungen aufzubauen. Ein erster überregionaler Zusammenschluss von craft unions, die 1866 gegründete National Labor UnionNational Labor Union, ging in der Wirtschaftskrise der 1870er Jahre unter. Erfolgreicher waren die Knights of LaborKnights of Labor, die aus geheimbundartigen lokalen Zellen hervorgingen und 1878 einen Nationalkongress in PennsylvaniaPennsylvania abhielten. Im Unterschied zu den craft unions nahmen die KnightsKnights of Labor ArbeiterArbeiterGilded Age verschiedener Berufe auf und ließen nach anfänglichem Zögern auch FrauenFrauenArbeitArbeiterFrauen und AfroamerikanerAfroamerikanerGewerkschaftenAfroamerikanerGilded Age zu. Nachdem sie ihren geheimbündlerischen Prinzipien und Ritualen entsagt hatten, stieg die Mitgliederzahl bis Mitte der 1880er Jahre auf 700.000 Männer und FrauenFrauenArbeit in ca. 15.000 Ortsvereinen, darunter auch Angehörige der Mittelschicht wie kleine Geschäftsleute und Zeitungsverleger. Die wichtigsten konkreten Forderungen lauteten: Verbot der KinderarbeitKinderarbeit, gleicher Lohn bei gleicher ArbeitArbeiterFrauen für Männer und FrauenFrauenArbeit, Verstaatlichung der EisenbahnEisenbahn2. Hälfte 19.Jh.- und Telegraphengesellschaften, Einführung des Acht-Stunden-Tags und Drosselung der EinwanderungEinwanderungGilded Age. Aufs Ganze gesehen schwebte den KnightsKnights of Labor eine „kooperative“, genossenschaftliche Gesellschaftsform vor, wie sie auch in der utopischen Literatur der Zeit, etwa von Edward BellamyBellamy, Edward und Henry Demarest LloydLloyd, Henry Demarest, dargestellt wurde. Zu diesem Ziel wollte man auf dem Wege der Gesetzgebung durch Reformen gelangen, nicht mit einer Strategie der „revolutionären Umwälzung“, wie sie die Kommunistische InternationaleKommunistische Internationale propagierte (die in einigen amerikanischen Städten Sektionen unterhielt).

Obwohl die Führung der Knights of LaborKnights of Labor den Streik als gewerkschaftliches Kampfmittel ablehnte, konnten sich die Mitglieder den häufig spontan aufflammenden Konflikten gar nicht entziehen und waren an allen großen Streikbewegungen der Zeit maßgeblich beteiligt. Einen ersten Höhepunkt bildete der EisenbahnerstreikEisenbahn2. Hälfte 19.Jh. von 1877, der aus Protest gegen Lohnkürzungen in West VirginiaWest Virginia begann, dann aber eine SolidarisierungswelleGesellschaftGilded Age auslöste, die auch andere Industrien erfasste und bis in den Mittleren WestenMittlerer Westen und an die Westküste reichte. Die EisenbahngesellschaftenEisenbahn2. Hälfte 19.Jh. antworteten mit Massenentlassungen, dem Einsatz von Streikbrechern und der Unterwanderung der Streikkomitees durch Privatdetektive der Agentur Pinkerton, die „schwarze Listen“ der Arbeiterführer aufstellte. Nach schweren Kämpfen zwischen streikenden ArbeiternArbeiterGilded Age und Staatenmilizen in PittsburghPittsburgh, ChicagoChicago und St. LouisSt. Louis, Missouri befahl Präsident HayesHayes, Rutherford B. den Einsatz von Bundestruppen, um die Unruhen niederzuschlagen und die Ordnung wiederherzustellen. Im Umfeld des StreiksEisenbahn2. Hälfte 19.Jh., der insgesamt über 100 Todesopfer forderte, entstanden die ersten unabhängigen ArbeiterparteienArbeiterGilded Age, die sich an lokalen und regionalen Wahlen beteiligten. Am äußersten Rand des politischen Spektrums bildeten sich anarchistische Zirkel, die weltweit geheime Kontakte unterhielten und „direkte Aktionen“ befürworteten. Eine wichtige Rolle spielte dabei der ehemalige Reichstagsabgeordnete Johann MostMost, Johann, der 1878 nach Erlass des SozialistengesetzesSozialismus ausgewiesen worden war und seit 1882 in den USA lebte.

 

In den 1880er Jahren stellten sich Mitglieder der ArbeiterparteienArbeiterGilded Age und der Knights of LaborKnights of Labor häufig an die Spitze von Streiks. 1885 feierten sie einen letzten großen Sieg, als sie die EisenbahngesellschaftenEisenbahn2. Hälfte 19.Jh. im SüdwestenSüdwesten der USA durch Arbeitsniederlegungen und Boykottaktionen zur Rücknahme von Lohnkürzungen zwangen. Eine Wende markierte dann aber der schwere Bombenanschlag auf dem Haymarket in ChicagoChicago, dem am 4. Mai 1886 sieben Polizisten zum Opfer fielen. Als Rädelsführer wurde der deutschstämmige Anarchist August SpiesSpies, August verhaftet, der mit MostMost, Johann befreundet war und an der Spitze des „Revolutionären Clubs“ von Chicago stand. Damit war nicht nur der positive Eindruck zerstört, den die Demonstration von über 100.000 Menschen am 1. Mai für den Acht-Stunden-Tag gemacht hatte, sondern auch der Schwung der Knights of LaborKnights of Labor gebrochen. Während sich die Führung noch entschiedener als zuvor von Gewaltaktionen und StreiksEisenbahn2. Hälfte 19.Jh. distanzierte, wendeten sich viele ArbeiterArbeiterGilded Age enttäuscht von der Organisation ab, deren Mitgliederschaft bis 1895 auf ca. 70.000 zusammenschmolz. Trotz einer weltweiten Kampagne zur Rettung der zum Tode verurteilten Anarchisten wurden SpiesSpies, August und drei weitere Männer am 11. November 1887 hingerichtet. Heute geht man davon aus, dass es sich bei der „Haymarket-AffäreHaymarket-Affäre“ um eine Provokation der Polizei von Chicago gehandelt hat, die anarchistische Gruppen infiltriert und mit Sprengstoff versorgt hatte.

Das Erbe der Knights of LaborKnights of Labor trat die American Federation of Labor (AFLAmerican Federation of Labor (AFL))American Federation of Labor (AFL) an, die allerdings einen ganz anderen Charakter trug und unterschiedliche Ziele verfolgte. Sie entstand 1881 in PittsburghPittsburgh auf Initiative von Samuel GompersGompers, Samuel, dem Führer der Cigar Makers’ UnionCigar Makers’ Union, als Zusammenschluss von Facharbeiterverbänden. GompersGompers, Samuel’ Vorbild war der englische New Unionism, dem es darauf ankam, die Interessen der ArbeiterArbeiterGilded Age in den einzelnen Branchen durch finanzstarke und schlagkräftige Organisationen zu vertreten. Die AFLAmerican Federation of Labor (AFL) entschied sich von vornherein für einen pragmatischen Kurs, mit dem die Arbeitsbedingungen und die materielle Lage der Arbeiter innerhalb des bestehenden SystemsGesellschaftGilded Age schrittweise verbessert werden sollten. Wichtigste Waffe war der Streik, der aber ebenfalls nur in diesem begrenzten, „unpolitischen“ Rahmen eingesetzt wurde. Im Unterschied zu den KnightsKnights of Labor legten die AFLAmerican Federation of Labor (AFL)-Verbände wenig Wert auf die Mitgliedschaft von ungelernten Arbeitern sowie von FrauenFrauenArbeitArbeiterFrauen und AfroamerikanernAfroamerikanerGewerkschaftenAfroamerikanerGilded Age. Die ArbeiterinnenFrauenArbeit, die mit am schwersten unter den ausbeuterischen Bedingungen in den sweatshops der Textilindustrie zu leiden hatten, griffen daraufhin zur Selbsthilfe. Die verschiedenen Frauengewerkschaften vereinigten sich 1903 – ebenfalls nach englischem Vorbild – zur Women’s Trade Union LeagueWomen’s Trade Union League. Als Teil der reformerischen FrauenbewegungFrauenFrauenbewegung trat sie für den Schutz der Frauen am Arbeitsplatz ein, förderte die FrauenbildungBildungswesen und kämpfte mit für das FrauenwahlrechtFrauenWahlrechtWahlrechtFrauen.

Durch den Übertritt vieler ehemaliger Knights of LaborKnights of Labor wuchs die AFLAmerican Federation of Labor (AFL) bis zur Jahrhundertwende auf über 40 Einzelgewerkschaften mit Tausenden von local unions und ca. 1 Million Mitglieder an. Einer Reihe von Erfolgen standen einige schwere Niederlagen gegenüber, wie 1892 beim StreikPullman-Streik der Stahlarbeiter gegen den Carnegie-KonzernCarnegie Steel Co. in HomesteadHomestead Streik, PennsylvaniaPennsylvania, oder 1894, als der Lohnkampf gegen George PullmanPullman, George, den Besitzer der größten EisenbahnwagenfabrikEisenbahn2. Hälfte 19.Jh., in ChicagoChicago scheiterte. Beide Auseinandersetzungen wurden von ArbeiterArbeiterGilded Age- wie Unternehmerseite mit kaum geringerer Härte als der Streik von 1877 geführt. Sie zeigten die Grenzen der AFLAmerican Federation of Labor (AFL) auf, die nicht nur mit der wachsenden Macht der Konzerne rechnen musste, sondern im Ernstfall auch die Bundesregierung und die öffentliche MeinungÖffentliche Meinung der USA gegen sich hatte. Auf dem Tiefpunkt der Depression im Jahr 1894 waren 2,5 Millionen Menschen arbeitslos, und es wurden im ganzen Land 1.300 Streiks registriert. Eine neue Form des Massenprotests erfand zu diesem Zeitpunkt kein Gewerkschafter, sondern der Geschäftsmann Jacob E. CoxeyCoxey, Jacob E. aus OhioOhio, der Arbeitslose für einen „Marsch auf WashingtonWashington, D.C.“ sammelte. Statt der erhofften 400.000 nahmen allerdings nur einige hundert Menschen teil, und die Washingtoner Polizei konnte Coxey’s Army schnell zerstreuen. Der Propagandaeffekt dieser Aktion sollte aber noch viele Verfechter von Reformideen zur Nachahmung anspornen.

Selbst unter den extremen Bedingungen des Gilded AgeGilded Age entwickelte sich in den USA keine starke sozialistischeSozialismus BewegungGesellschaftGilded Age. Die amerikanische ArbeiterschaftArbeiterGilded Age war ethnisch und interessenmäßig zu differenziert und geographisch zu mobil, um einen einheitlichen Willen entwickeln und kraftvoll durchsetzen zu können. Immigration, Westwanderung und individuelles Erfolgsstreben hielten die Gesellschaft in ständigem Fluss und ließen ein Bewusstsein fester und permanenter Klassengegensätze, wie es um diese Zeit in vielen europäischen Staaten herrschte, nicht aufkommen. Karl MarxMarx, Karl, Friedrich EngelsEngels, Friedrich und andere Theoretiker und Praktiker der Revolution standen vor einem Rätsel: Trotz einer potenziell „revolutionären Situation“ schienen die USA das einzige Land zu sein, das den Übergang zum Sozialismus auf friedlichem Wege bewerkstelligen konnte. Im Vergleich zu anderen Industrieländern blieb der Organisationsgrad der amerikanischen ArbeiterGesellschaftGilded AgeArbeiterGilded Age gering: 1900 gehörten von knapp 30 Millionen Beschäftigten nur etwa eine Million einer Gewerkschaft an. Große Teile der Arbeiterschaft, wie die Ungelernten, ethnische Mindeheiten wie AfroamerikanerAfroamerikanerGewerkschaftenAfroamerikanerGilded Age, Asiaten, Mexikaner und FrauenArbeiterFrauenFrauenArbeit, wurden von den etablierten GewerkschaftenGewerkschaften sogar bewusst vernachlässigt. Zudem standen die Arbeiterinnen und Arbeiter in ihrer Mehrzahl der IndustrialisierungIndustrialisierungGilded AgeIndustrialisierung keineswegs ablehnend gegenüber, sondern wollten an den wirtschaftlich-technischen Fortschritten teilhaben und sie zur Besserung ihrer persönlichen Lage nutzen. Wenn sie Protest gegen Missstände erhoben, dann taten sie das in einer langen republikanisch-demokratischen Tradition, die ihnen das Vertrauen gab, den politischen Entscheidungsprozess beeinflussen und Abhilfe durch Reformen schaffen zu können. Auf diese Weise übten die Gewerkschaften eine wichtige Korrekturfunktion bei der Entstehung des IndustriestaatesIndustrialisierung aus: Sie lenkten die Aufmerksamkeit auf die Probleme und Bedürfnisse der ArbeiterschaftArbeiterGilded Age und erreichten, dass sich Intellektuelle und Politiker mit sozialen Fragen beschäftigten und dass in der Öffentlichkeit Reformbereitschaft entstand. Die von Gewerkschaften und Arbeiterparteien geschaffene „Arbeiterkultur“ in Form von Arbeitervereinen, Arbeiterzeitungen, BildungsBildungswesen- und SozialeinrichtungenSozialwesen etc. wirkte der gesellschaftlichen Isolierung und der Zerstörung des Selbstwertgefühls entgegen. Hierzu leisteten gerade auch deutscheEinwanderungEthnienDeutsche Einwanderer in Städten wie MilwaukeeMilwaukee, Wisconsin, ChicagoChicago, Cleveland, St. LouisSt. Louis, Missouri und CincinnatiCincinnati bedeutende Beiträge. Letztlich nahmen die Vertreter der ArbeiterschaftArbeiterGilded Age damit an einer sehr viel übergreifenderen Entwicklung teil, die zur Organisation von Interessen außerhalb der großen Parteien hinführte. Diese Ausformung vielfältiger Interessengruppen wurde zur Signatur der amerikanischen Gesellschaft im Zeitalter des ProgressivismusProgressivismus.

Die Rebellion der Populisten und die Wahlen von 1896

In den 1890er Jahren schien es kurzfristig so, als würden sich die Unzufriedenheit der ArbeiterschaftArbeiterGilded Age und die Proteststimmung der Farmbevölkerung zu einer ernsthaften Herausforderung des bestehenden Wirtschafts- und GesellschaftssystemsGesellschaftGilded Age verbinden. Auf dem Agrarsektor konnten sich genossenschaftliche Modelle, wie sie seit dem BürgerkriegBürgerkrieg von Selbsthilfeorganisationen der Farmer, den GrangesGranges, z.T. mit Unterstützung der Bundesregierung erprobt wurden, ebenso wenig gegen die kapitalistischen Interessen durchsetzen wie in der Industrie. Nach einer kurzen Blütezeit in den 1870er Jahren entwickelten sich die Granges wieder zu Vereinen zurück, die durch Unterhaltung und Bildung die Einsamkeit des Landlebens bekämpften. Der politische Unmut der Farmer nahm aber zu, weil ab Anfang der 1880er Jahre die Preise für AgrarprodukteLandwirtschaft2. Hälfte 19.Jh. schneller absanken als der Index der Verbraucherpreise insgesamt, wodurch sich die Schere zwischen Zinsbelastung und Einkommen immer weiter öffnete. Die Initiative ging nun von den Granges auf die Farmers’ AlliancesFarmers’ Alliance über, die – beginnend in TexasTexas – systematischer und aggressiver um Mitglieder warben. Ihre Hauptthemen waren der Mangel an Zahlungsmitteln und billigen Krediten sowie die Tarifgestaltung der EisenbahngesellschaftenEisenbahn2. Hälfte 19.Jh., die Familienfarmer gegenüber der vordringenden Agrarindustrie benachteiligten. Bis 1890 hatte sich die Bewegung zu zwei großen Organisationen verfestigt: Im SüdwestenSüdwesten arbeiteten 2 Millionen weiße und 1 Million schwarze Farmer – wenngleich in getrennten Zweigen – in der Southern AllianceSouthern Alliance zusammen, und im Mittleren WestenMittlerer Westen, vor allem in KansasKansas, NebraskaNebraska und den Dakotas existierte eine eigene Alliance mit ca. 2 Millionen weißen Mitgliedern.

Praktische Reformvorschläge wie den subtreasury planFinanzwesen1860–1918, der auf eine Stabilisierung der GetreidepreiseLandwirtschaft2. Hälfte 19.Jh. durch bundesstaatliche Ankäufe und Lagerhaltung zielte, begleiteten die Alliances mit einer emotionalen politischen Kampagne, die sie im Namen der „wirklichen Produzenten“ gegen die korrumpierende Macht des Kapitals, verkörpert in „der Wall StreetWall Street“, führten. Jefferson’sche Ideen einer „agrarischen DemokratieGesellschaftGilded Age“ der unabhängigen Farmer verbanden sich in vielen Gegenden mit Formen evangelikaler Erweckungsbewegungen: Die Alliances hielten ihre Versammlungen häufig als camp meetings ab, auf denen die Sprecher – darunter Frauen wie Mary E. LeaseLease, Mary E. aus KansasKansas – die alten Tugenden beschworen und vor einem apokalyptischen Ende der amerikanischen Republik warnten. Ab 1890 beteiligten sich die Alliances mit eigenen Kandidaten an den Wahlkämpfen und errangen spektakuläre Erfolge: Sie eroberten Mehrheiten in zehn Staatenparlamenten, stellten Gouverneure, z.B. in TexasTexas, und schickten Abgeordnete und Senatoren nach WashingtonWashington, D.C.. Aus der besonders aktiven Kansas Alliance ging 1890 die People’s PartyPeople’s Party hervor, die sich rasch über den ganzen WestenWesten und SüdwestenSüdwesten ausbreitete und deren Anhänger populists genannt wurden. Im Wahljahr 1892 schlossen sich die beiden überregionalen Alliances zusammen und beriefen den Gründungskongress der nationalen People’s Party auf den 4. Juli nach OmahaOmaha, Nebraska in NebraskaNebraska ein. Die 800 Delegierten klagten die etablierten Parteien an, sie trieben die Nation in den moralischen, politischen und wirtschaftlichen Ruin und spalteten das amerikanische Volk in zwei KlassenGesellschaftGilded Age – die Landstreicher (tramps) und die Millionäre.

 

Das Parteiprogramm forderte die Verstaatlichung der Eisenbahnen, ein auf Gold und Silber basierendes Währungssystem, staatliche Hilfen für die LandwirtschaftLandwirtschaft2. Hälfte 19.Jh. gemäß dem subtreasury plan, eine progressive Einkommensteuer, die Direktwahl der Senatoren sowie – mit Blick auf die GewerkschaftenGewerkschaften – eine Beschränkung der EinwanderungEinwanderungGilded Age und kürzere ArbeitszeitenArbeiterGilded Age in der Industrie. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen von 1896 gelang es den Populisten, den Kampf um die Silberwährung zum alles beherrschenden Thema zu machen. Der demokratische Präsident Grover ClevelandCleveland, Grover büßte seine Chancen zur Renominierung ein, als er sich auf den GoldstandardGoldstandard festlegte und einen Stabilisierungskredit mit einem Bankenkonsortium unter Führung von J.P. MorganMorgan, John Pierpont vereinbarte. An seiner Stelle schickten die DemokratenDemokratische ParteiGilded Age u. Progressivismus einen 36-jährigen Kongressabgeordneten aus NebraskaNebraska, William Jennings BryanBryan, William Jennings, ins Rennen, der den Parteikonvent mit religiösem Pathos und dem Ruf nach „moralischer Erneuerung Amerikas“ begeisterte. Die Kandidatur BryansBryan, William Jennings brachte die People’s PartyPeople’s Party in Bedrängnis, da die DemokratenDemokratische ParteiGilded Age u. Progressivismus nun die populistische Parole free silver übernahmen. Auf dem Konvent der People’s Party in St. LouisSt. Louis, Missouri entschloss sich eine Mehrheit zur Unterstützung BryansBryan, William Jennings und setzte seinen Namen zusammen mit einem populistischen Vizepräsidentschaftskandidaten auf das so genannte Demopop Ticket. Die RepublikanerRepublikanische ParteiGilded Age u. Progressivismus nominierten William McKinleyMcKinley, William, einen Senator aus OhioOhio, der das Vertrauen der WirtschaftWirtschaft genoss, sich als Vermittler im Pullman-Streik aber auch SympathienGesellschaftGilded Age in der ArbeiterschaftArbeiterGilded Age erworben hatte.

Für die Wähler war die Alternative 1896 so klar wie lange nicht mehr: BryanBryan, William Jennings und die Populisten versprachen, die Geldknappheit mit Hilfe der Silberwährung zu beseitigen, die Wall StreetWall Street-“Verschwörer“ zu entmachten und die Regierung der USA wieder in die Hände des Volkes zu legen. Die Republikaner priesen dagegen sound money als Grundlage der sozialen Ordnung und behaupteten, dass allein der GoldstandardGoldstandard die Erholung der amerikanischen WirtschaftWirtschaft gewährleisten und die Kreditwürdigkeit der USA im Ausland erhalten könne. Angesichts dieser Polarisierung sahen ängstliche Gemüter politische Unruhen oder sogar eine Revolution voraus. Tatsächlich blieb aber alles ruhig, als sich McKinleyMcKinley, William im November mit 600.000 Stimmen Vorsprung und 271 zu 176 Wahlmännerstimmen klarer als erwartet gegen BryanBryan, William Jennings durchsetzte. Erstaunlicherweise fielen sogar agrarische Staaten des Mittleren WestensMittlerer Westen wie IowaIowa und MinnesotaMinnesota an die RepublikanerRepublikanische ParteiGilded Age u. Progressivismus, vermutlich, weil sich die Krise der LandwirtschaftLandwirtschaft2. Hälfte 19.Jh. dort nicht ganz so schwer auswirkte. Entscheidend war aber, dass es den DemokratenDemokratische ParteiGilded Age u. Progressivismus nicht gelang, den Interessengegensatz zwischen Farmbevölkerung und Industriearbeiterschaft zu überwinden. Die ArbeiterArbeiterGilded Age lehnten in ihrer Mehrheit inflationäre Maßnahmen ab und wünschten niedrige Lebensmittelpreise, und Gewerkschaftsführer wie GompersGompers, Samuel betrachteten die Farmer nicht als Proletarier, sondern als kapitalistische Kleinunternehmer. Die RepublikanerRepublikanische ParteiGilded Age u. Progressivismus schnitten deshalb in Industriezentren besonders gut ab, was ihnen z.B. Erfolge in den Schlüsselstaaten IllinoisIllinois und OhioOhio sicherte. Im Weißen Haus profitierte McKinleyMcKinley, William dann von einer Reihe günstiger Umstände:

Der weltweite Preisrückgang wurde gestoppt, die Nachfrage nach Agrarprodukten und Industriegütern nahm wieder zu, und die Währungsproblematik erledigte sich fast von selbst durch große Goldfunde in AlaskaAlaska.

Die Wahlen von 1896 markieren in mehrfacher Hinsicht einen Einschnitt in der Geschichte der USA: Zu den wichtigsten unmittelbaren Folgen gehörte der Zusammenbruch der populistischen Bewegung, die mitsamt der People’s PartyPeople’s Party in der Demokratischen Partei aufging. Der PopulismusPopulismus scheiterte hauptsächlich an seiner ambivalenten Haltung zur Industriegesellschaft, die er teils mit religiöser Inbrunst und antimodernistischer Radikalität ablehnte, teils auf pragmatische Weise reformieren wollte. Politik wurde nun nicht nur insgesamt professioneller betrieben, sondern die beiden großen Parteien gingen auch stark verändert aus dem Wahlkampf hervor: Die Republikaner streiften ihr puritanisch-sozialreformerisches Erbe allmählich ab, öffneten sich der Politik der Interessengruppen und schmiedeten eine Koalition von business and labor. Dafür schlüpfte die Demokratische ParteiDemokratische ParteiGilded Age u. Progressivismus – zumindest in den Nordstaaten – in eine Rolle, die seit Lincolns Zeiten von den RepublikanernRepublikanische ParteiGilded Age u. Progressivismus gespielt worden war: Sie wurde zum Sammelbecken von Reformgruppen, die eine bessere Gesellschaft und eine stärker an moralischen Werten ausgerichtete Politik befürworteten. Innerhalb des Zweiparteien-Systems fand also gewissermaßen ein Austausch der Parteiprofile statt. Das half zunächst hauptsächlich den RepublikanernRepublikanische ParteiGilded Age u. Progressivismus, doch später kam das Reformimage der DemokratischenDemokratische ParteiGilded Age u. Progressivismus Partei den Präsidenten Woodrow WilsonWilson, Woodrow, Franklin D. RooseveltRoosevelt, Franklin D., John F. KennedyKennedy, John F. und Lyndon B. JohnsonJohnson, Lyndon B. zugute. Schließlich vollzog sich auch ein Wandel im öffentlichen Bewusstsein, der allerdings widersprüchlich ausfiel: Einerseits erwartete man von den Regierungen vermehrte Aktivitäten und Mitverantwortung für das wirtschaftliche Wohlergehen und den sozialen Fortschritt; andererseits nahm die Parteienbindung der Bürger ab und begann die WahlbeteiligungWahlbeteiligung zu sinken. Wettgemacht wurde dieses nachlassende parteipolitische Engagement durch die Organisation von Interessen außerhalb der Parteien und das Wiederaufleben von ReformbewegungenReformbewegungen, die den religiös-moralischen Impuls mit bürokratisch-sozialwissenschaftlichen Methoden verbanden. Damit traten die USA als erster Industriestaat in das Zeitalter der pluralistischen Demokratie ein.