Führungsinstinkt

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Führung ist aber mehr: Führung bedeutet, Richtungen vorzugeben, zu intervenieren, zu entwickeln und eine Führungskultur zu etablieren, die eine »High Performance Culture« ermöglicht – die also die viel zitierten »Leadership-Qualitäten« aufweist. Gerade in der Zukunft mit anders veranlagten und gepolten Arbeitnehmerinnen und -nehmern werden diese Fähigkeiten immer wichtiger werden.

Erst eine ausgewogene Führungsphilosophie, die Leadership und Management gleichermaßen kultiviert, ermöglicht Unternehmen, die wachsen und über sich hinauswachsen. Das schafft man nur, wenn man bestehenden Erfolg nicht nur »verwaltet«, sondern neue Erfolge, neue Betätigungsfelder, neue Wege aktiv sucht und beschreitet.

Kommt man mit agiler, offener und selbstbestimmter Führung seiner MitarbeiterInnen dorthin?

Unsere klare Antwort: Ja. Nur so.


Stellen Sie sich folgende Fragen:

 Wo liegen meine Stärken als Führungspersönlichkeit?

 Wo liegen meine Entwicklungsfelder als Führungspersönlichkeit?

 Wo will ich hin? Was will ich sein?

Selbstreflexion tut jedem gut. Sie hilft uns dabei, unseren Standort zu bestimmen. In Kapitel 1 geht es genau darum. Lassen Sie sich Zeit dabei, Ihren Status quo zu erkennen und zu verstehen.


Die Unternehmenskultur als natürliche Umgebung für Wachstum

Wo etwas wachsen und sich die richtigen Menschen wohlfühlen sollen, braucht es auch die richtigen Verhältnisse dafür. Was für Pflanzen und Tiere Temperatur, Nahrungsangebot, Mineralstoffe und Nestbaumaterial sind, sind für Führungspersönlichkeiten – aber auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das Potenzial zur Führungspersönlichkeit haben – andere Aspekte innerhalb eines Unternehmens, die wir hier der Einfachheit halber als »Unternehmenskultur« bezeichnen wollen. Aber lassen Sie sich von der Einfachheit eines Wortes nicht täuschen: Dieser Sammelbegriff bezeichnet ein höchst komplexes Phänomen, das aus vielen Dimensionen und Ebenen besteht und dort unabhängig voneinander verschiedene Ausprägungen erfahren kann.

Eine Unternehmenskultur repräsentiert die Summe allen Wissens, Denkens, Empfindens und Wahrnehmens, die zum Erfolg des Unternehmens und der darin vereinten Menschen beiträgt. Das kann bewusst oder auch unbewusst geschehen.

Sie umfasst somit auch alle Wertvorstellungen, Normen und Verhaltenserwartungen. Das Denken, Fühlen und Handeln aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist von der Kultur auf allen Stufen geprägt. Man kann also durchaus behaupten, dass durch diese Faktoren das Erscheinungsbild und die Wahrnehmung des Unternehmens maßgeblich geprägt werden.

Subkulturen als Ausreißer

Die Unternehmenskultur durchdringt so gut wie alles und hat Einfluss auf so gut wie alles – was aber nicht bedeutet, dass in sämtlichen Unternehmensbereichen deswegen überall das Gleiche wächst und gedeiht. In bestimmten Abteilungen, Teams, Gruppen und Units können unterschiedliche (und eigenständige) Subkulturen gelebt werden.

Trotz dieser eventuell vorhandenen Strömungen und Richtungen gibt es immer eine einheitliche »Unternehmenskultur«, die von außen (zum Beispiel von potenziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern) wahrgenommen wird.

Auch innerhalb der Organisation ist die Unternehmenskultur eine gemeinsam gelebte Wertehaltung, die für alle Beteiligten zur Selbstverständlichkeit geworden ist und nicht mehr hinterfragt wird. Umgekehrt wird das alltägliche Verhalten jedes und jeder Einzelnen sehr stark von dieser »Selbstverständlichkeit« geprägt. Das bedeutet aber auch, dass manche Strukturen oder Vorgaben trotz vehementen Einforderns seitens mancher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vielleicht nicht umgesetzt werden können, weil das den derzeit bewusst und unbewusst gelebten Werten widerspricht.

Sie sehen: Je nach Unternehmenskultur erleben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Unternehmen unterschiedlich. In einem Unternehmen funktioniert das Ergebnisorientierte, aber nicht die Zusammenarbeit. Beim nächsten Unternehmen verstehen alle die Werte und Strategie, aber übernehmen keine Verantwortung. Jede Kultur hat ihre Entwicklungsfelder und ihre Stärken.

»Performance Culture« – Veränderungen erkennen und verankern

Auch eine Unternehmenskultur ist ständig im Wandel. Schenkt man ihr wenig Beachtung, geschieht dieser Wandel langsam und relativ unkontrolliert. Kluge Organisationsleitungen sehen der Wahrheit ins Auge und machen sich bewusst Gedanken über notwendige Veränderungen, die mit gezielten Maßnahmen dann auch relativ schnell greifen können.

Eine aktive Auseinandersetzung mit der sogenannten »Performance Culture« bringt Unternehmen dazu, Entwicklungsfelder zu erkennen, die – wie der Name schon sagt – in einer besseren Performance münden. Wir haben also wieder den Bogen zurück zum Erfolg und zum dazu notwendigen Leadership gespannt.

Bei der »Performance Culture« wird der Blick aber nicht nur in die Zukunft gerichtet. Es wird auch aufgezeigt, wo die Stärken des Unternehmens liegen und was diese an konkreten Erfolgen gebracht haben. Kurz gesagt: Das, was gut funktioniert hat, wird weiterhin und bewusster wertgeschätzt.

Die wesentlichen Einflussfaktoren auf eine »Performance Culture«

 Entwicklungsfähigkeit: Jedes Unternehmen sollte Veränderungen offen gegenüber sein und die Menschen in der Organisation sollten mit Veränderung gut umgehen können. Das bedeutet, dass Neuerungen wenig Widerstand entgegengebracht wird. Auf der anderen Seite gibt es Unternehmen, die der prinzipiellen Meinung sind, dass sich die Zielgruppen und der Markt nicht ändern. Für aufmerksam Beobachtende ist das ein deutliches Zeichen für fehlende Entwicklungsbereitschaft.

 Innovation: Dieses Wort war in Unternehmen noch nie so beliebt und von Aktivitäten begleitet wie jetzt. Innovatives Herangehen und aktives Hinterfragen der eigenen Produkte führen dazu, dass man den Markt besser bedienen kann.

 Kommunikation: Die Wichtigkeit von Kommunikation muss man nicht groß erklären. Hier aber ein paar essenzielle Detailfragen dazu, deren Antworten Aufschlüsse über die Qualität der Kommunikation geben können:Werden Informationen wirklich an alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen weitergegeben?Ist das Unternehmen transparent und darin geübt, mit guter und schlechter Kommunikation umzugehen?Verstehen auch alle die Informationen, die weitergegeben werden?

 Zusammenarbeit: Dieser Bereich macht oft bei sehr festgefahrenen Strukturen Probleme. Hier geht es sehr stark um das gegenseitige Unterstützen bei der täglichen Arbeit und um das gemeinsame Agieren im Sinne des gesamten Unternehmens. Werden Informationen weitergegeben, die dazu führen, dass für alle ein reibungsloses Vorankommen gesichert ist?

 Balance: Gibt es einen bewussten Umgang und ein Verständnis für die Balance jeder Mitarbeiterin und jedes Mitarbeiters in Bezug auf geistige und körperliche Gesundheit sowie ein gesundes Arbeitsumfeld?

 Werte und Strategie: Ist allen Menschen im Unternehmen bewusst, welche Werte im Unternehmen wichtig sind, und werden diese auch gelebt? Gibt es klar definierte Konsequenzen, wenn bestimmte Werte nicht gelebt oder sogar bekämpft werden?

 Verantwortungsbewusstsein: Ohne Verantwortung keine »High Performance«! Wenn Führungskräfte und Mitarbeitende keine Verantwortung für ihr Handeln und ihre Entscheidungen übernehmen, werden sie nie lernen, mit einem Scheitern oder auch mit dem Unternehmen selbst verantwortungsvoll umzugehen.

 Ergebnisorientierung: Viele Führungskräfte denken noch immer, dass Anwesenheit gleich Leistung ist, und diese Gleichung jede weitere Vereinbarung oder Maßnahme überflüssig macht. Doch solange keine klaren Ergebnisse und Ziele vereinbart sind, können diese auch nicht erreicht werden.

Wenn all diese Bereiche von Unternehmen ernst genommen und entwickelt werden, sprechen wir von einer »High Performance Culture«, die nicht nur enormen Raum für künftige Entwicklungen schafft, sondern sogar in schlechten Zeiten immer noch Performance liefert.

Warum können wir das mit einer derartigen Sicherheit behaupten? Dieses Erfolgsmodell ist erprobt und führt in der Regel zu folgenden Phänomenen bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eines Unternehmens:

 außergewöhnliches persönliches Engagement in Bezug auf Innovation

 steigendes Bedürfnis, gemeinsam etwas zu bewegen und miteinander zu wachsen

 hohe Bereitschaft, sich miteinander auszutauschen und voneinander zu lernen

 schnelle Reaktion bei Veränderungen und eine positive Grundeinstellung zu Wandel

 gegenseitige Unterstützung

 hohe Loyalität gegenüber Kolleginnen bzw. Kollegen, Kundinnen bzw. Kunden und dem Unternehmen selbst

 wertschätzender Umgang miteinander

 Bereitschaft und leidenschaftlicher Einsatz für eigene Höchstleistungen

 hohe Bereitschaft, Extrazeit und Aufwand zu investieren

 Unterstützung dabei, die Unternehmenswerte nach außen hin sichtbar zu machen

 spürbarer Stolz auf das gelebte Wertesystem und den Ruf des Unternehmens

All diese Phänomene sind der größte Nutzen einer »High Performance Culture«.

Nicht alle begrüßen den Wandel

Vielleicht fragen Sie sich jetzt langsam, was das alles mit Leadership zu tun hat. Die Antwort liegt auf der Hand: Jedes Unternehmen wird von Menschen geführt und geleitet. Doch Menschen agieren erwiesenermaßen nicht immer auf der Basis von Vernunft und/oder Wissen.

 

Obwohl viele Unternehmerinnen und Unternehmer wissen, dass eine gelebte »High Performance Culture« zu weniger Fluktuation und Krankenständen führt und man als Unternehmen mit gutem Ruf eher die besten Expertinnen und Experten vom Markt bekommt, sind es letztlich immer noch einzelne Führungskräfte, die dafür sorgen, eine neue Kultur zu etablieren – oder eben auch nicht.

Wir sprechen hier von einem bestimmten Aspekt des »Faktors Mensch«, an dem schon viele Unternehmen, die mit großen Ambitionen und Leidenschaft in einen Wandel aufgebrochen sind, letztlich gescheitert sind: an den Befindlichkeiten einzelner Personen an Schlüsselstellen, die sich – aus welchen Gründen auch immer – dazu entschließen, der Etablierung einer »High Performance Culture« skeptisch und bremsend gegenüberzustehen und diese Haltung auch innerhalb ihres Bereichs und im täglichen Umgang mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entsprechend vorzuleben.

Unsere Position dazu zu erkennen, ist keine Raketenwissenschaft.In unserer Arbeit und auch mit diesem Buch vertreten wir einen klaren Standpunkt: Die starr hierarchische Führung hat ausgedient. Es braucht neue Führungsbilder und -rollen, um den geänderten Realitäten gerecht zu werden. Oder anders gesagt: An einem Wandel führt kein Weg vorbei. Um auch in Zukunft Erfolg zu haben, muss sich ein Unternehmen entwickeln und das nächste Level erreichen – egal, ob Sie den neuen Weg selbst gehen oder Ihre Führungskräfte sich auf den Weg machen sollen.

Es gibt hier nichts »auszusitzen« oder abzuwarten. Viele »moderne« Arbeits- und Erfolgsmodelle sind nur mit neuem Führungsverhalten möglich. Der Weg dahin ist herausfordernd, aber äußerst spannend. Genießen Sie ihn!

Das ungepflegte Gehege

»Das wird nie funktionieren«, sagte Frau Himmelblau und schenkte ihrem Mann am Frühstückstisch noch etwas von ihrem Spezial-Kaffee ein.

Herr Himmelblau murrte anerkennend: »Unser Kaffee ist einfach der Beste.«

Es war alte Familientradition, dass dem Frühstückskaffee der Himmelblaus stets eine Prise Zimt hinzugefügt wird. Nicht viel, aber gerade so viel, dass man den Unterschied merkt und schätzt.

»Lenke nicht vom Thema ab! Ich bleibe dabei: Das wird nie funktionieren!«, blieb die Gattin hart. »Und ich weiß auch gar nicht, wie du wieder auf diese verrückte Idee kommst!«

Herr Himmelblau setzte sich in seinem Sessel auf – eine Haltung, die er stets unbewusst einnahm, wenn er sich überzeugend rechtfertigen wollte. »Ich erkläre es dir noch einmal. So schwer ist das nicht! Wenn ich in unserem Garten ein frei zugängliches Gehege errichte, das völlig im Einklang mit der Natur steht, dann wird es hier bald von Wildtieren nur so wimmeln, an deren Anblick wir uns erfreuen können.«

Frau Himmelblau nahm ihre unbewusste Überzeugungshaltung ein – in die Hüften gestemmten Hände – und sah ihren Gatten herausfordernd an. »Und dein Im-Einklang-mit-der-Natur-Stehen bedeutet, wie ich dir jetzt schon mehrmals klarzumachen versuche, dass du lediglich ein kleines offenes Gatter aufstellst und auf ein Wunder hoffst, das nicht eintreten wird.«

»Sehr richtig ... also der erste Teil. Keine Wasserschüssel, kein Futter, kein aufgeschüttetes Stroh, keine Hütte. Nur Natur. Da fühlen sich Wildtiere wohl.«

Frau Himmelblau stellte eine neue Kanne Kaffee auf den Tisch. »Das erinnert mich an dein damaliges Experiment, als du Bambus angepflanzt hast, um Koalas anzulocken. Diesmal ist es nur aus anderen Gründen aussichtlos.«

»Wieso? Ich bin sicher, dass es hier Wildtiere gibt.«

»Und weshalb sollen diese ausgerechnet auf unser eingezäuntes Stück Wiese kommen?«

Herr Himmelblau verdrehte die Augen: »Zum letzten Mal: weil es so schön naturbelassen ist. Unser Gras wächst hier seit ...« – er dachte kurz nach – »... 19 Jahren völlig unbehandelt.«

»Aber dir ist schon bewusst, dass unser Grundstück an einen Wald angrenzt, der hier seit ...« – sie tat kurz so, als ob sie nachdenken würde – »... Hunderten Jahren völlig von selbst und ... Achtung! ... wild wächst. Wo, denkst du, werden sich Wildtiere lieber aufhalten?«

Herr Himmelblau tat beschäftigt, um sich Zeit für Gegenargumente zu verschaffen. »Man muss für alles offen sein, speziell für neue Ideen, die vielleicht auf den ersten Blick völlig unlogisch erscheinen. Das habe ich in einem Buch gelesen.«

»Das gilt aber nur für Ideen, die zumindest im Ansatz Erfolg versprechen und noch nicht mehrmals erfolgslos ausprobiert wurden.«

Herr Himmelblau trank seinen letzten Schluck Kaffee und begnügte sich mit einem Schulterzucken.

Frau Himmelblau schenkte sich den frisch aufgebrühten Kaffee ein und sprach unbeeindruckt weiter. »Ich fasse für dich kurz deine bisherigen Versuche zusammen, außergewöhnliche Tiere in unseren Garten zu locken: Du hattest entweder eine Umgebung für Tiere geschaffen, die in unseren Breiten nicht existieren, oder hattest Lockmittel ausgelegt, die Ratten, Mäuse und Marder in Massen angezogen haben, die dann unseren Garten überbevölkert und verwüstet haben. Danach mussten wir viel Geld ausgeben, um die Schädlinge wieder loszuwerden.«

Herr Himmelblau schaute demonstrativ in die andere Richtung.

Aber seine Gattin war noch nicht fertig: »Jetzt willst du gar nichts tun und rechnest damit, dass demnächst Einhörner majestätisch unter unserem Apfelbaum grasen.«

»Pfff, Einhörner! Ist es zu viel verlangt, wenn ich Bienen, Eichhörnchen und Vögel sehen will?!«

»Nein, aber dann würde ich es an deiner Stelle mit Wildblumen, Nüssen oder Vogelhäuschen versuchen – also mit wertvollen Angeboten, die diese Wildtiere tatsächlich brauchen und die sie von einem Platz, an dem sie gern verweilen sollen, auch erwarten.«

Frau Himmelblau schenkte ihrem Gatten frischen Kaffee ein.

Dieser nahm einen Schluck, riss die Augen auf und sagte empört: »Da fehlt aber was!«

Frau Himmelblau ging lächelnd zurück in die Küche, um den Zimt zu holen, und sagte lächelnd: »Siehst du?«


Stellen Sie sich folgende Fragen:

 In welchem Umfeld bewege ich mich?

 Wie ist mein Team oder meine Organisation aufgestellt? Was brauchen ich im Moment, um mehr Klarheit zu haben?

 Was will ich in der Organisation beitragen, um eine bessere Kultur zu erhalten?

 Wo liegen meine Entwicklungsfelder im Team?

Je deutlicher man erkennt, in welchem Umfeld man agiert, desto leichter und effizienter kann man es führen.Gleichzeitig gewinnt man die Erkenntnis, dass man nicht alles beeinflussen kann. Jeder Leader stößt an Grenzen.


Aus dem Bauch heraus führen – Instinkte als verlässlicher und trügerischer Kompass

Nun sind wir also dort, wo es in einem Führungsbuch klarerweise hingehen muss: Sehr viel dreht sich bei diesem Thema um das, was uns Menschen motiviert, antreibt und handeln lässt. Nicht umsonst sind so viele Shakespeare-Dramen rund um das Leben von Führungspersönlichkeiten, Anführern und Königen gestrickt.

Die essenziellen menschlichen Fragen sind sehr oft unmittelbar mit dem Führungsthema und der Art unseres Handelns verbunden:

 Warum tun wir etwas?

 Was ist der Sinn dahinter?

 Was können wir beeinflussen?

 Warum können wir manche Dinge nicht beeinflussen?

Vielleicht sind wir beruflich nicht alle in Positionen, in denen wir mit der Führung anderer betraut sind, aber dennoch sind wir alle Teil eines Gefüges, in dem Führung eine wichtige Rolle spielt: Das System »Mensch – Unternehmen – Mitarbeitende« weist jedem zu jedem Zeitpunkt eine Rolle zu, in der man im Laufe der Zeit positive und negative Erfahrungen macht. Lassen Sie uns diese gesammelten Erfahrungen als »persönlichen Rucksack« betrachten, den wir alle mit uns herumtragen.

Warum das wichtig ist? Dieser Rucksack ist nicht nur ein ständig wachsender Erfahrungsschatz, sondern auch eine wesentliche Grundlage für unsere Entscheidungen – auch wenn uns Letzteres vielleicht gar nicht so wirklich bewusst ist. Ein konkretes Beispiel: Wir umgeben uns bevorzugt mit Menschen, die uns an Menschen erinnern, die wir mit einer positiven Assoziation abgespeichert haben.

Aber es gibt auch andere typische Situationen: Wir entscheiden uns für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die uns womöglich an uns selbst in dieser Phase unserer Karriere erinnern, und wir arbeiten in Organisationen, die uns aus welchen Gründen auch immer ein gutes Gefühl vermitteln. Das ist für sich betrachtet nichts Verwerfliches, aber es schränkt uns in unserer Wahlfreiheit ein, indem es unseren Instinkt und unsere Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion mit warmen Gefühlen des Bekannten überspült und sehr oft überstimmt.

Wir schalten also – ganz wie so mancher tragische shakespearesche Held – vor lauter Freude über Bekanntes oder Ersehntes und dem da-raus resultierenden Überschwang schon einmal unser Bauchgefühl und unser Denken aus. Wir folgen dann unbewusst unseren Erfahrungen und halten uns an bereits beschrittene Wege. Das erscheint uns sicher, vernünftig und klug – ist aus Perspektive unserer Führungstypen aber eine klassische risikoarme »Manager«-Entscheidung.

Auch wenn sich etwas im Moment vielleicht wie eine Bauchentscheidung anfühlt, ist es keine. Es hat eher mit der Furcht vor dem Unbekannten zu tun, die ein Leader nie treffen würde. Denn Leader gründen ihre Entscheidungen – wie wir bereits wissen – auf Mut und Furchtlosigkeit vor dem Neuen, dem Unbekannten, dem Unpopulären, der Herausforderung, dem Aufwand etc.

Der Beinah-Gipfelsturm

Am Fuß eines mittelhohen Berges in den Alpen – bei strahlendem Sonnenschein macht sich eine Gruppe ambitionierter Hobbywanderer auf den Weg – angeführt von einem 45-Jährigen, der im Dorf als »Edelweiß-Sepp« bekannt ist. Er schreitet forsch voran.

Ein Gruppenteilnehmer aus Hamburg nähert sich und spricht ihn an: »Schöne Aufnäher haben Sie da auf Ihrem Hut.«

Sepp antwortet: »Jo, i bin scho oft wo drobn gwesen.«

Hamburger: »Wie bitte?«

Sepp bemüht sich, Hochdeutsch zu sprechen: »Ich war schon oft auf Bergen.«

Hamburger: »Dann sind Sie ja wohl eine Koryphäe.«

Sepp: »Wos ...Wie bitte?«

Hamburger: »Als Koryphäe bezeichnete man im alten Griechenland jemanden, der an der Spitze steht. Und interessanterweise bedeutet es auch Scheitel oder Gipfel.«

Sepp: »Aha.«

Hamburger: »Apropos: Wie lange werden wir denn zum Gipfel unterwegs sein?«

Sepp: »Da Hupfnakogel is a Hund.«

Hamburger: »Wie bitte?«

Sepp – wieder in bemühtem Hochdeutsch: »Der Hupfnerkogel ist ein Hund.«

Hamburger: »Das beantwortet aber nicht meine Frage.«

Sepp: »I waß net, ob des überhaupt was wird.«

Hamburger: »Was reden Sie da? Es ist doch herrlicher Sonnenschein ... Kaiserwetter, wie ihr hier sagt!«

Sepp: »Ehh.«

Hamburger: »Jetzt erklären Sie sich doch, guter Mann!«

Sepp: »Do hinten kummt a Wetter.«

Hamburger: »Wo?«

Sepp deutet mit dem Kopf in Richtung eines Bergkamms: »Do hinten. Des gfoit ma net.«

Der Hamburger sucht den Himmel ab: »Also ich kann da beim besten Willen ...«

Sepp: »Sie san jo a ka ...wie ham Sie gsagt ...?«

Hamburger: »Koryphäe.«

Sepp: »Genau.«

Hamburger: »Ja, aber was heißt das jetzt? Meine Familie und ich haben uns schon so auf den Ausblick vom Gipfel gefreut ...und dafür ja auch eine schöne Stange Geld bezahlt. Bekommen wir das dann wieder?«

Sepp lacht: »Na, des geht net. I bin ja net fürs Wetter verantwortlich.« Und nach kurzer Pause: »Aber der Ausblick vom Graualm-Hüttenwirt is ja a schön.«

Hamburger: »Von wo?«

Sepp: »Da kemma ei’kehrn.«

Hamburger: »Wie bitte?«

Sepp – wieder in bemühtem Hochdeutsch: »Da können wir uns erfrischen ... und vor dem Wetter schützen.«

Hamburger: »Vor welchem Wetter?«

Sepp deutet wieder nur stumm mit dem Kopf zum blauen Himmel über dem Bergkamm.

 

Hamburger: »Ah ja, DAS Wetter. Dann sage ich das mal lieber den anderen.« Er lässt sich zurückfallen und spricht mit den anderen Wanderern.

Zwei Stunden später sitzt die Gruppe auf der sonnenüberfluteten Terrasse der Graualm und ordert – auf Anregung des »Edelweiß-Sepp« – große Mengen Bier.

»Die erste Runde geht auf Edelweiß-Sepp-Alpintours«, brüllt der Bergführer in die Runde – eine Ansage, die von der deutschen Urlaubergruppe mit großem Gejohle beantwortet wird. Nach und nach legt sich auch die Enttäuschung über den abgesagten Gipfelsturm.

Ein paar Runden später ist von dem befürchteten Unwetter noch immer nichts zu sehen. Im Gegenteil: Viele Gruppenmitglieder haben ihre Jacken ausgezogen und es sich in den bereitstehenden Liegestühlen bequem gemacht.

Nur einer aus der Gruppe, der Hamburger, hat das ursprüngliche Ziel des Projekts noch nicht vergessen: »Sagen Sie mal, könnten wir nicht jetzt noch hinauf zum Gipfel?«

Sepp: »Des geht sie nimma aus.«

Hamburger: »Wie?«

Sepp: »Es wird dann glei’ dunkel.« Er deutet dazu stumm mit dem Kopf auf den gegenüberliegenden Bergkamm.

Hamburger: »Mensch, Sie sind aber wirklich eine alpine Koryphäe. Da ziehe ich meinen Hut.«

Sepp blickt auf die kleine Speisekarte der Hütte: »Vielleicht sollt’ ma vor dem Abstieg noch ein Mittagessen einnehmen.«

Systemisches Denken – den Mut des Leaders in sich selbst finden

Was braucht es, um mutig genug zu sein, den ersten Weg, den uns die Angst vorschlägt, NICHT zu nehmen, sondern in uns selbst andere Möglichkeiten auszuloten? Wo in uns sitzt der verlässliche Kompass bzw. der Instinkt für die wirklich beste Lösung in einer Situation? Was hilft uns dabei, nicht nur aufgrund des bereits Erlebten zu entscheiden? Wo ist die Tür zum systemischen Denken, die es dafür aufzustoßen gilt?

Lassen Sie uns dazu ein wenig in die Theorie gehen und erforschen, was bekannte Denker dazu meinen: Biologen wie Humberto Maturana und Francisco Varela zählen ebenso zum systemischen Wissensfeld wie der Physiker Fritjof Capra, der Mathematiker und Physiker Heinz von Förster, der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick und die Gehirnforscher Gerhard Roth, Joachim Bauer und Gerald Hüther.

Was ist das Besondere am systemischen Denken und warum ist es gerade hier so wichtig? Es unterscheidet ganz klar nicht lebende Systeme (Maschinen und Technik), lebende Systeme (Organismen, Tiere, Pflanzen, Ökosysteme und Menschen) und soziale Systeme (Paare, Gruppen und Organisationen). Das erscheint vielleicht selbstverständlich und logisch. Dennoch war es nicht immer so. Lange Zeit – und wir reden hier von wirklich langer Zeit – wurden in der Denk- und Verhaltensforschung auch lebende Systeme als »Maschinen« betrachtet. Dementsprechend drehte sich in der Auslotung des menschlichen Verhaltens das meiste um technische Prozesse, Abläufe und ein fertiges Endprodukt (Ziel).

Das systemische Denken – als Zusammenspiel von Kybernetik, Konstruktivismus und Systemtheorie – änderte die Denkrichtung: Die Kybernetik erforscht selbst organisierte Steuerungsprozesse und die vielfältigen und unberechenbaren Wechselwirkungen in einem System. Allerdings können Menschen meist Ursache und Wirkung nicht unterscheiden – sie wissen daher auch nicht, warum sie so handeln, wie sie handeln. Im Bemühen, eine Ursache zu erkennen, vertrauen sie dann eher auf ihren Intellekt anstatt auf ihre Instinkte. Wem aber die Ursache seines Handels bewusst ist, der kann auch sein Verhalten verändern.

Sehen wir uns zur besseren Veranschaulichung ein Beispiel aus der Medizin an: Wenn Sie nicht wissen, woher Ihre Kopfschmerzen kommen, haben Sie auch keine Ahnung, was Sie verändern könnten. Wissen Sie aber, dass die Kopfschmerzen von Verspannungen – und nicht vom Kopf selbst – herrühren, wissen Sie: Eine Massage und mehr Bewegung wären hilfreich. Sie könnten auf Basis der bekannten Ursache Ihr Verhalten verändern, damit Sie eine andere Wirkung (weniger Kopfschmerzen) erzielen.

Genauso ist es in der Führung. Wenn Sie wissen, warum Sie handeln, wie Sie handeln – z. B. auf einen bestimmten Mitarbeiter aggressiv reagieren –, sind Sie in der Lage, sich anders zu verhalten. Ohne bewusste Grundlagenforschung fällt Ihnen vielleicht auf, dass Sie sich unfair dieser Person gegenüber verhalten. Wenn Sie aber wissen, dass das permanente Zuspätkommen des Kollegen der Grund ist, würden Sie andere, sinnvollere Handlungsansätze erkennen. Dann würde es Ihnen höchstwahrscheinlich sinnvoller erscheinen, mit dem Mitarbeiter ein Gespräch über Pünktlichkeit, Verlässlichkeit und Disziplin zu führen.

Aber das ist nicht das Ende der Erkenntnis. Im Rahmen eines solchen Gesprächs wäre es auch sinnvoll, die Ursache der permanenten Unpünktlichkeit herauszufinden, um das Verhalten des Mitarbeiters zu verändern. Schließlich macht es einen großen Unterschied, ob er zu spät kommt, weil die Tochter nicht rechtzeitig in den Kindergarten gehen will oder weil er sich die Nächte um die Ohren schlägt und in der Früh nicht in die Gänge kommt.

Systemtheorie beinhaltet aber auch den Konstruktivismus, der alles noch ein wenig komplexer macht. Alles basiert auf den essenziellen Fragen der Erkenntnistheorie:

 Haben wir direkten Zugang zu der Realität, die uns umgibt?

 Können wir die Welt wirklich direkt erkennen?

Der Konstruktivismus verneint beides und behauptet stattdessen, dass Wahrnehmungen (auch als Instinkte zu bezeichnen) nicht die tatsächliche Wirklichkeit, sondern lediglich Selektionen und Interpretationen unseres Gehirns sind, die wir auf Basis unserer Erfahrung treffen. Dieses von uns selbst unbewusst ausgewählte subjektive »Konstrukt« hat also nicht unbedingt etwas mit der äußerlichen Realität zu tun.

Wen dieses spannende Thema näher interessiert: Die Bücher von Paul Watzlawick sind weltberühmte Pionierarbeit auf diesem Gebiet und wärmstens zu empfehlen.

Aber bleiben wir beim Thema Führung: Der Konstruktivismus stellt einen unangenehmen Abschied von Objektivität, Wahrheit und Wirklichkeit dar. Für eine Führungskraft bedeutet das nämlich: Sie hat keine bessere oder »wahrhaftigere« Sichtweise auf die Dinge als ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Perspektive ist nur ... anders.

Noch einmal zum Auf-der-Zunge-zergehen-Lassen: Alle Menschen haben somit – egal ob Führungsposition oder nicht – eine rein subjektive Wahrnehmung, die niemals einen Anspruch auf ein »Besser, Klüger oder Richtiger« erheben kann. Wenn Sie das nächste Mal in einer Situation sind, in der jemand vehement auf sein Recht pocht (oder in der Sie sich selbst dabei ertappen), denken Sie an den Konstruktivismus. Dann kommt die Bescheidenheit von ganz allein.

Schauen wir uns noch kurz die Systemtheorie als dritten Bestandteil des systemischen Denkens an, die wesentlich von dem deutschen Soziologen und Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann geprägt wurde: Hier dreht sich alles um soziale Systeme und kommunikative Zusammenschlüsse von Menschen. Die zentrale Botschaft: Menschen, Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter und Führungskräfte, werden nicht als Elemente von Organisationen, sondern als relevante Umwelt des Systems gesehen.

Das stellt – Sie haben es wahrscheinlich schon geahnt – einen weiteren radikalen Bruch mit den ansonsten üblichen Vorstellungen des Zusammenspiels von Personen und Organisationen dar. Die Idee dahinter kann man aber noch radikaler formulieren: Der Mensch ist möglicherweise austauschbar und ein System (bzw. eine Position) lässt sich durch einzelne Personen nicht verändern.

Was bedeuten all diese Hintergründe jetzt konkret für Sie als Führungsperson? Lassen Sie uns Ihnen eine kompakte Zusammenfassung geben:

 Lebende Systeme – also Systeme mit menschlicher Beteiligung – sind eigensinnig, selbstgesteuert, unberechenbar und zu ungeahnten Entwicklung fähig.

 Allzu starre Führung kann nach hinten losgehen.

 Wenig bis gar keine Führung kann zum Chaos führen.

 Wir Menschen unterscheiden uns hier sehr stark von nicht lebenden Systemen (Maschinen), deren lineare und mechanistische Logik unglücklicherweise das Weltbild der letzten 500 Jahre geprägt hat.

Unglücklicherweise? Aus gegenwärtiger Sicht ja, denn leider hat dieses Denken dazu geführt, dass wir unsere Instinkte verdrängt haben. Da Organisationen jedoch nicht wie Maschinen funktionieren, entgeht einem ohne sensible Instinkte Wesentliches – in einer Gruppe, in einem Team, in einer Abteilung oder auch in der Unternehmensführung.

Die gute Nachricht: Der Instinkt lässt sich wieder einschalten und nützen! Doch das erfordert, dass Sie einen ehrlichen Blick in sich selbst wagen und dort an ein paar »Schrauben« drehen.