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Drittes Kapitel.

Als ich eintrat, stand Herr Blake mitten im Zimmer, den Hut noch immer in der Hand, und sah gleichgültig auf Gryce, der ihm mit unermüdlichem Eifer alle einzelnen Punkte auseinandersetzte, die uns aufgefallen waren. Frau Daniels beobachtete seine ehrfurchtgebietende Gestalt von dem Winkel aus, in den sie sich zurückgezogen hatte, mit scheuen Blicken.

Man hat sie gewaltsam fortgeführt, wie Sie sehen, rief Gryce, ihr nicht einmal Zeit gelassen, ihre Kleider mitzunehmen. Er beugte sich rasch nieder und zog vor den Blicken seines zerstreuten Zuhörers eine Kommodeschublade auf.

Ein unterdrückter Schreckensruf traf unser Ohr, und Frau Daniels eilte herzu.

Bitte, meine Herren, flehte sie und stellte sich vor der Kommode auf, das Oeffnen der Schubladen zu verhindern, bedenken Sie, dies sind die Kleidungsstücke eines sittsamen Mädchens, welches erröten würde, sie vor fremden Augen enthüllt zu sehen.

Gryce schob die Schublade sofort wieder zu.

Sie haben recht, sagte er; entschuldigen Sie das rauhe Wesen eines etwas verhärteten Polizeibeamten.

Sie trat noch näher an die Kommode heran, sie mit ihrer hagern Gestalt deckend und schützend. Ihre Blicke streiften den Hausherrn mit fast grimmigem Ausdruck, als ob er und nicht der Detektiv derjenige sei, dessen Eingriffe sie fürchte.

Herr Blake schien nicht darauf zu achten.

Wenn das alles ist, was Sie mir zu zeigen haben, sagte er, so brauche ich meinen Ausgang nicht länger zu verschieben. Die Sache ist allerdings ernstlicher, als ich dachte. Sollten Sie entscheidende Schritte für geboten halten, so darf meine große, tief eingewurzelte Abneigung gegen jedes öffentliche Aufsehen Sie nicht hindern, Ihre Pflicht zu tun. Mein Haus steht Ihnen zur Verfügung unter Frau Daniels' Leitung. Ich empfehle mich Ihnen. Er entfernte sich, unsern Gruß mit vornehmer Nachlässigkeit erwidernd.

Frau Daniels holte tief Atem und trat von der Kommode zurück. Sogleich bückte sich Gryce wieder und zog die Schublade auf, welche sie so tapfer verteidigt hatte. Ein weißes Handtuch war in ganzer Lange sauber darüber gebreitet. Wir hoben es auf, und vor unsern gespannten Blicken lag ein sorgfältig zusammengefaltetes blaues Seidenkleid von eleganter Machart; daneben ein kostbarer Spitzenkragen, der mit einer Brustnadel von reizender, ganz eigenartiger Form zusammengesteckt war. Ein verwelkter Zweig roter Rosen, welcher oben darauflag, ließ das Ganze als geheiligtes Andenken an eine Verstorbene erscheinen.

Wir fuhren beide zurück und sahen unwillkürlich nach Frau Daniels hin.

Ich kann Ihnen nichts Erklärendes darüber sagen, äußerte diese mit einer Ruhe, welche seltsam gegen ihre vorige Aufregung abstach, solange Herr Blake im Zimmer war. Daß diese kostbaren Sachen dem Mädchen wirklich gehört haben, bezweifle ich nicht. Sie hat sie hierher mitgebracht, und mir wird dadurch nur bestätigt, was ich Ihnen schon vorhin andeutete, daß sie kein gewöhnliches Nähmädchen war, sondern bessere Tage gesehen hatte.

Hm, brummte Gryce leise, warf noch einen Blick auf das dunkelblaue Kleid und den Spitzenkragen, breitete das Tuch wieder darüber und schloß die Schublade, ohne daß einer von uns die Gegenstände, die sie enthielt, mit einem Finger berührt hatte. Fünf Minuten später verließ Gryce das Gemach.

Als mich meine Untersuchungen später in die untern Räume führte, sah ich ihn, verstohlen um sich blickend, aus Herrn Blakes Privatzimmer herauskommen. Er sah mich lächelnd an und verriet durch seine Mienen, ob bewußt oder unbewußt weiß ich nicht, daß er irgendeinen Aufschluß gefunden, sich wenigstens eine Theorie gebildet habe, die ihn einigermaßen befriedigte.

Ein prächtiges Zimmer, flüsterte er mit einem Seitenblick auf den Raum, den er eben verlassen hatte. Schade, daß Sie keine Zeit haben, es in Augenschein zu nehmen.

Warum sollte ich das nicht? erwiderte ich, nähertretend, um Frau Daniels' Blicken auszuweichen, die nach mir die Treppe herabkam.

Weil es nicht geht, sagte er, und wir eilten zusammen in den Hof hinab.

Meine Neugier war jedoch erwacht und ließ mir keine Ruhe. Sobald ich Gryce in einem scherzhaften Gespräch mit dem Mädchen unten begriffen sah, schlich ich mich leise zurück und betrat das Zimmer.

Ich fuhr ordentlich zusammen vor Ueberraschung. Statt des reich ausgestatteten Gemaches, das ich zu sehen erwartete, erblickte ich einen einfach und kaum genügend möblierten Raum, halb Bibliothek, halb Studierzimmer. Der gebohnte Boden war nicht einmal mit einem Teppich belegt, nur an der Seite lag eine Decke, gerade vor einem Gemälde, das beim ersten Blick meine Aufmerksamkeit gefesselt hatte, weil es der einzige beachtenswerte Gegenstand im Zimmer war. Es stellte eine stattliche, reizende Frauengestalt dar, eine moderne Schönheit mit feurigen Augen und ebenholzschwarzen Locken. Nur eine scharlachrote Kapuze, die leicht darüber gezogen war, brachte Farbe in diesen düstern Glanz.

Eine Schwester, dachte ich, für seine Mutter ist sie zu modern gekleidet. Ich trat näher, um in dem etwas starren Antlitz der stolzen Brünette eine Aehnlichkeit mit den Zügen des Mannes zu entdecken, der uns vor kurzem noch gegenüber gestanden hatte. Dabei fiel mir auf, daß das Bild merkwürdig weit von der Wand abstand; durch den schweren Rahmen wurde der Eindruck des im übrigen so vollendeten Kunstwerkes nach meiner Meinung fast verdorben. Die Aehnlichkeit, nach welcher ich suchte, schien mir hauptsächlich in den Augen zu liegen. Sie waren von derselben Farbe wie Herrn Blakes Augen, nur glühender, leidenschaftlicher im Ausdruck. Nachdem ich das Bild in allen seinen Einzelheiten betrachtet hatte, wollte ich mich eben andern Beobachtungen zuwenden, als mir das aufgeregte Gesicht der Frau Daniels entgegenstarrte, welche hinter mir eingetreten war.

Dies ist Herrn Blakes Zimmer, sagte sie mit Unwillen; außer mir hat hier niemand Eintritt, nicht einmal die Dienerschaft.

Entschuldigen Sie, versetzte ich, mich vergebens umschauend, um zu ergründen, was Herrn Gryce befriedigt haben könne. Mich zog dies schöne Gemälde an, das ich durch die halboffene Tür sah. Es ist ganz reizend; stellt es Herrn Blakes Schwester dar?

Nein, seine Cousine; sie schloß die Tür so kräftig hinter uns, daß ihr Unmut nicht zu verkennen war.

Ich machte keinen weitern Versuch, auf eigene Hand Nachforschungen anzustellen. Wenige Augenblicke später kam Gryce herauf, und sein Gespräch mit Frau Daniels, welches nun folgte, nahm meine Aufmerksamkeit völlig in Anspruch.

Mein Kollege sagt mir, es läge Ihnen sehr am Herzen, daß wir dies Mädchen auffinden, begann mein Vorgesetzter, Sie seien sogar erbötig, alle Kosten zu tragen?

Soweit ich dies vermag, versetzte die Haushälterin. Ich habe ein paar hundert Dollars auf der Bank, die Ihnen zur Verfügung stehen. Besäße ich Tausende, ich würde sie gern hergeben, aber ich bin arm und kann Ihnen nur versprechen, was ich selbst besitze, obwohl – ihre Wangen glühten vor übergroßer Erregung – große Summen verwendet werden könnten, sobald man dies für notwendig hielte. Ich – ich möchte einen Eid darauf schwören, daß Sie alles erhalten werden, was Sie vernünftigerweise fordern können. Nur müssen Sie das Mädchen finden und zwar bald.

Haben Sie auch bedacht, fuhr Gryce fort, als hätte er ihre Beteuerungen völlig überhört, daß das Mädchen vielleicht von selbst zurückkommen würde, wenn man ruhig wartete?

Sie wird zurückkommen, wenn sie kann, versicherte Frau Daniels.

Hing sie denn so sehr an dem Heim, welches sie hier gefunden hatte, daß Sie das so gewiß behaupten können?

Es gefiel ihr hier im Hause, und sie hatte mich lieb, versetzte die Frau mit Bestimmtheit. Ja, sie liebte mich so sehr, daß man sie nur mit Gewalt von hier weggebracht haben kann. Davon bin ich überzeugt, trotzdem ihr noch die Zeit blieb, Hut und Mantel mitzunehmen. Jedes unnütze Aufsehen war ihr aber verhaßt. Hätten die Räuber sie auf der Stelle umgebracht, sie würde keinen Laut von sich gegeben haben.

Sie hörten also verschiedene Männerstimmen in dem Zimmer. Kam Ihnen keine derselben bekannt vor?

Nein, war ihre verwunderte Antwort.

Ich frage nur, versetzte Gryce, weil man mir gesagt hat, daß Herrn Makes früherer Kammerdiener dem Mädchen Aufmerksamkeit geschenkt haben soll, wenn sie ihm auf der Treppe begegnete.

Frau Daniels ward blutrot im Gesicht und sprang zornig vom Stuhle auf. Glauben Sie das nicht, rief sie; Henry hätte sich so etwas nie herausgenommen. Ich will dergleichen gar nicht hören, fügte sie hastig hinzu, Emilie war – eine Dame und –

Nun, nun, beruhigte sie Gryce, wenn auch die Katze den Kaiser ansieht, so ist damit immer noch nicht gesagt, daß der Kaiser nach der Katze schaut. Wir müssen natürlich alles in Betracht ziehen.

Solche Gedanken schlagen Sie sich nur ganz aus dem Sinn.

Gryce strich leise über die Krempe seines Hutes, den er in der Hand hielt. Sie könnten uns unsere Aufgabe wesentlich erleichtern, Frau Daniels, wenn Sie die Güte hätten, uns offen kund zu tun, weshalb Sie solchem Anteil an dem Mädchen nehmen. Ein Blick in ihre wahre Geschichte würde uns besser auf die rechte Spur helfen, als alles, was Sie uns sonst bieten können.

Sie zog die Stirn in düstere Falten. Habe ich Ihnen denn nicht alles gesagt, was ich davon weiß? Daß sie vor einem Jahr hei mir Arbeit suchte und ich sie behielt, weil sie mir gefiel; daß sie seitdem immer bei uns gewesen ist und –

Also wollen Sie es uns nicht sagen, unterbrach sie Gryce.

Sie schien zu zaudern; Unentschlossenheit sprach aus ihren Mienen.

Wenn Sie es nicht tun, läßt sich schwerlich etwas ausrichten, fuhr er fort.

 

Jetzt kehrte ihre frühere Sicherheit zurück.

Sie sind im Irrtum, sagte sie; wenn das Mädchen ein Geheimnis hatte, was wohl möglich ist, da sie augenscheinlich früher in besseren Verhältnissen war und ins Elend geriet, so hat das doch nichts mit ihrem rätselhaften Verschwinden zu tun. Wüßten Sie es auch, es würde Ihnen keine Hilfe sein. Davon bin ich überzeugt und werde mein Schweigen bewahren.

Sie war keine Frau, die sich durch Drohungen oder Schmeichelworte wider ihren Willen zum Reden bringen ließ; Gryce sah dies ein und drang nicht weiter in sie. Wollen Sie uns nicht wenigstens sagen, welche Gegenstände sie aus der Kommode mitgenommen hat? fragte er nur noch.

Nein, auch das hat nichts mit ihrem Verschwinden zu tun. Es waren Dinge, die für sie großen Wert hatten, aber im übrigen ganz ohne Bedeutung sind. Nur die Tatsache wird dadurch bestätigt, daß man ihr einen Augenblick Zeit gelassen hat, um mitzunehmen, was ihr am wichtigsten war.

Gryce erhob sich. Sie geben uns ein schweres Rätsel auf, sagte er, aber vor Schwierigkeiten zurückzuschrecken ist nicht meine Art. Ich werde tun was ich kann, um den Aufenthaltsort des Mädchens zu entdecken – aber Sie müssen mir helfen.

Ich – aber wie?

Indem Sie einen Aufruf im »Herald« einrücken, um sie wissen zu lassen, daß ihre Freunde in Sorge um sie sind und Nachricht von ihr zu erhalten wünschen.

Unmöglich, rief sie heftig, ich müßte ja fürchten –

Nun, was denn?

Höchstens könnte ich schreiben, daß Frau Daniels sich um Emilie Sorge macht und gern ihren Aufenthaltsort wissen möchte.

Kleiden Sie es ein, wie Sie wollen.

Es wird auch gut sein, nahm ich jetzt zum erstenmal das Wort, wenn Sie demjenigen, der Ihnen Nachricht bringt, eine Belohnung versprechen.

Ja, bestätigte Gryce, fügen Sie das jedenfalls bei.

Frau Daniels sah finster drein, machte jedoch keinerlei Einwendungen. Wir ließen uns nur noch die Kleidungsstücke, welche das Mädchen am vergangenen Abend getragen hatte, genau beschreiben, dann verließen wir das Haus.

Viertes Kapitel.

Eine geheimnisvolle Angelegenheit, meinte Gryce, als wir an der Straßenecke stillstanden, um noch einen Blick auf das Haus und seine Umgebung zu werfen. Warum das Mädchen die Leiter dort heruntergeklettert sein sollte, um ein Haus zu verlassen, das sie ein Jahr lang bewohnt hat, geht über mein Verständnis. Ohne die Blutspuren würde ich das ganze Abenteuer für eine Erfindung halten. Hätte ich nur eine Photographie von ihr. Schwarzes Haar, dunkle Augen, ein bleiches Gesicht und eine magere Gestalt. Und nach dieser Beschreibung soll man ein Mädchen in einer Stadt wie Neuyork auffinden können. – Ach, rief er plötzlich befriedigt aus, da kommt Herr Blake wieder; sein Ausgang ist nur von kurzer Dauer gewesen. Vielleicht kann er die Beschreibung noch vervollständigen. Er eilte auf den Herrn zu und richtete mehrere Fragen an ihn.

Herr Blake stand still, sah ihn einen Augenblick verwirrt an und erwiderte dann so laut, daß ich seine Worte verstehen konnte:

Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht dienen kann, aber ich habe nicht die leiseste Vorstellung, wie das Mädchen aussah. Erst heute morgen habe ich überhaupt erfahren, daß sich eine Näherin in meinem Hause befand. Ich überlasse alle diese Angelegenheiten ausschließlich der Frau Daniels.

Gryce verbeugte sich tief und stellte eine zweite Frage; die Antwort vernahm ich wieder deutlich wie zuvor.

Wohl möglich, daß ich sie gesehen habe; ich begegne den Dienstboten öfters im Hausflur; aber, ob sie groß oder klein, blond oder braun, hübsch oder häßlich ist, weiß ich ebensowenig als Sie, werter Herr. Dann fügte er mit einem vornehmen Neigen des Kopfes hinzu, welches einen Mann in Gryces Stellung wohl hatte verlegen machen können: Genügt Ihnen das?

Dies war offenbar nicht der Fall, denn Gryce stellte noch eine Frage. Herr Blake starrte ihn verwundert an, antwortete jedoch höflich:

Ich kümmere mich nicht um meine Dienstboten, nachdem sie mein Haus verlassen haben. Henry war ein sehr guter Diener, aber nicht fügsam genug, und solche Leute dulde ich nie in meiner Nähe. Ich entließ ihn, und damit war die Sache abgetan; was weiter aus ihm geworden ist, kann ich nicht sagen.

Gryce zog sich mit einer Verbeugung zurück, während Herr Blake mit dem ihm eigenen stolzen Gang an ihm vorüberschritt und wieder in sein Haus trat.

Dem Manne möchte ich nicht in die Hände geraten, sagte ich, als mein Vorgesetzter zu mir kam. Er hat eine Art mit unsereinem zu sprechen, daß man sich ganz klein fühlt neben seiner wichtigen Person.

Doch wird es sich vielleicht gerade so fügen, daß Ihnen diese Erfahrung nicht erspart bleiben kann, entgegnete Gryce, einen Seitenblick auf seinen eigenen Schatten werfend, der ihm auf dem Straßenpflaster folgte.

Ich sah ihn sprachlos vor Erstaunen an.

Wenn das Mädchen nicht von selbst wiederkommt, und es uns nicht gelingt, eine Spur ihres Aufenthalts zu entdecken, so halte ich es für das beste, daß Sie den Haushalt jenes Herrn einer genauen Prüfung unterwerfen. Ist die Geschichte ein Geheimnis, so muß man den Kernpunkt desselben ohne Zweifel dort im Hause suchen.

Ich machte große Augen. Also haben Sie etwas entdeckt, was mir entgangen ist – wie könnten Sie sonst mit solcher Bestimmtheit sprechen?

Ich habe nichts entdeckt, was nicht offen vor jedermanns Blicken lag, der Augen hatte, es zu sehen, erwiderte er kurz.

Beschämt schüttelte ich den Kopf.

Es ging alles in Ihrem Beisein vor sich, fuhr er fort, und wenn Sie nicht imstande waren, die Tatsachen so aufzufassen, daß sich ein Schluß daraus ziehen ließ, so ist das nicht meine Schuld.

Gryces Worte verdrossen mich mehr als ich sagen kann, und während wir nach dem Polizeibureau zurückkehrten, nahm ich mir innerlich vor, ihm wieder eine bessere Meinung von mir beizubringen, ehe diese Sache noch zu Ende geführt war. Zuerst suchte ich den Mann ausfindig zu machen, der in der letzten Nacht die Wache in dem Bezirke gehabt hatte und fragte ihn, ob er in den Stunden zwischen elf und eins irgend jemand durch die Seitentüre von Herrn Blakes Haus habe aus- oder eingehen sehen.

Nein, versetzte er, aber Thomson hat mir heute früh ein seltsames Erlebnis erzählt, das ihm begegnet ist. Er sagt, er sei etwa um Mitternacht in die Gegend dort gekommen und habe an der Ecke der zweiten Avenue unter einer Gaslaterne zwei Männer und eine Frau beisammen gesehen. Kaum hatten sie ihn erblickt, als sie sich trennten, die Männer zogen sich nach der Avenue zurück und die Frau schritt hastig auf ihn zu. Er blieb stehen, um sie zu erwarten, aber statt heranzukommen, hielt sie an Herrn Blakes Gittertüre still und drückte auf die Klinke. Plötzlich fuhr sie jedoch mit wilder, entsetzter Geberde zurück, schlug die Hände vor das Gesicht, und ehe er es sich versah, war sie nach der Richtung hin entflohen, von wo sie hergekommen. Thomson trat verwundert näher und sah durch das Gitter, um womöglich zu entdecken, was sie so erschreckt habe. Zu seiner größten Ueberraschung erblickte er das bleiche Gesicht Herrn Blakes, des Hausherrn selbst, der von der Innenseite her durch die Eisenstäbe schaute. Auch er schrak nun zurück, und ehe er sich wieder gefaßt hatte, war Herr Blake verschwunden. Er sagt, er habe versucht, das Tor zu öffnen, aber es sei verschlossen gewesen.

Erzählte Thomson wirklich diese Geschichte?

Jawohl!

Sie klingt ziemlich unwahrscheinlich, und ich kann Ihnen und Thomson nur raten, nicht allzuviel davon verlauten zu lassen, Schweigen ist Gold, wenn es sich um Leute von Herrn Blakes Stellung handelt.

Ich verließ ihn, um unverzüglich Thomson aufzusuchen. Dieser hatte jedoch dem Bericht nichts hinzuzufügen, außer, daß das Mädchen groß und hager war und sich dicht in ihren Shawl gehüllt hatte.

Zunächst zog ich nun Erkundigungen über Herrn Blakes Familienverhältnisse ein, soweit das unter der Hand geschehen konnte und erfuhr etwa folgendes:

Obgleich er seinen häuslichen Angelegenheiten so wenig Aufmerksamkeit zu schenken schien, sah man ihn doch selten außerhalb des Hauses. Nur wenn es sich um Fragen von großer politischer Wichtigkeit handelte, fehlte er nie in den Versammlungen seiner Partei. In angesehener Stellung und im Besitz reicher Mittel hätte er in der Gesellschaft glänzen können, allein er legte gegen den geselligen Umgang im allgemeinen große Abneigung an den Tag und war nicht einmal zu bewegen, die Einladungen seiner Freunde anzunehmen. Besonders aber vermied er jeden Verkehr mit dem weiblichen Geschlecht; weder auf der Straße noch in irgendeinem Vergnügungslokal, Ballsaal oder Theater, sah man ihn je in Damengesellschaft. Man würde sich bei einem reichen, heiratsfähigen, etwa fünfunddreißigjährigen Mann von angenehmem Aeußern noch mehr über diese Tatsache verwundert haben, hätte er nicht zu einer Familie gehört, die wegen ihrer Absonderlichkeiten bekannt war. Jeder seiner Vorfahren besaß irgendeine seltsame Eigenheit. Sein Vater, obgleich ein Büchernarr erster Sorte, wollte bis zu seiner Todesstunde Shakespeare nicht als Dichter gelten lassen. Herrn Blakes Onkel haßte alle Rechtsgelehrten und sein Großvater hatte einen ausgesprochenen Widerwillen gegen jedes Fischgericht. Dem Beispiel seiner Familie folgend, durfte auch Herrn Blake sich eine besondere Abneigung gestatten – warum sollte er nicht die ganze Frauenwelt hassen? –

Daß dies jedoch nicht immer der Fall gewesen, erfuhr ich von einem Herrn, der ihn in Washington gekannt hatte. Dieser vertraute mir an, Blake habe zu einer Zeit seines Lebens seiner Cousine Eveline Blake große Aufmerksamkeit geschenkt; dies sei die Dame, welche damals viel Aufsehen erregt habe durch ihre glänzende Heirat mit dem alten Taugenichts, dem französischen Grafen de Mirac, der gleich nachher starb. Die Frau Gräfin hatte sich nicht wieder vermählt, hielt sich jetzt in Neuyork auf, stand aber allem Anschein nach durchaus nicht auf freundschaftlichem Fuß mit ihrem früheren Verehrer.

Mir fiel das Bild ein, welches ich in Herrn Blakes Privatzimmer gesehen hatte, und als ich erfuhr, daß die Cousine brünett und eine sehr auffallende Erscheinung sei, glaubte ich schon eine wichtige Entdeckung gemacht zu haben. Gryce, dem ich sie mitteilte, schüttelte jedoch lachend den Kopf und meinte, ich würde wohl tiefer graben müssen, wenn ich die Wahrheit zutage fördern wolle, die auf dem Grunde dieses Geheimnisses läge.

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