Traumzeit – auf den Spuren des Jakobus

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9.Tag: Lagos, 27. August

Auch heute kann ich noch einmal ganz entspannt auf meinem Balkon frühstücken. Da ich mir gestern Vollkornbrötchen besorgt habe, ist mein Frühstück fast wie zu Hause und ich genieße die vertraute, zurückgezogene Atmosphäre. Es ist einfach schön, ohne so viele verschiedene fremde Menschen den eigenen Weg gehen zu können. Ich genieße mein Vollkornfrühstück, zumal hier in Portugal, so wie ich es vom letzten Jahr in Spanien gewohnt bin, fast ausschließlich weißes Brot verkauft wird. So sitze ich entspannt auf „meinem“ Balkon, beobachte die Leute und fühle mich nur wohl. Schön! Auf den Straßen unter mir herrscht inzwischen reges Treiben, die Menschen gehen einkaufen, halten mit dem Nachbarn ein Schwätzchen und dazwischen manövriert sich immer wieder mal vorsichtig ein Auto hindurch. Die Gassen sind hier so schmal, so dass sie eigentlich überhaupt nicht für den Autoverkehr ausgelegt sind. In den Altstadtbereichen wird das Auto zwar geduldet, aber nicht hofiert. Für mich ist auffällig, dass um diese Zeit keine Kinder auf den Straßen zu sehen sind. Offensichtlich befinden diese sich am Vormittag in der Schule. So trubelt das Leben vor meinen Blicken und ich fühle mich beim Zuschauen wie vor dem Fernseher, nur dass dieses hier das reale Leben ist.

Nach meinem Frühstück muss ich das erste Mal hier in Portugal von der Bank Geld holen, was sich als gar nicht so einfach erweist, da ich zwar eine Bank finde, wo ich jedoch, als ich den innen liegenden Automaten benutzen will, die Meldung erhalte – keine geeignete Karte – so in etwa soll es wohl ins Deutsche übersetzt heißen. Etwas verunsichert gehe ich nun zum Schalter, warte endlos, bis ich an der Reihe bin und frage auf Englisch. Zuerst erklärt mir der Bankangestellte, dass ich zwanzig Kilometer weiterfahren müsste, bis er mich dann endlich versteht. Der EC-, Visa- usw. Automat befindet sich draußen an der Straße und nicht in der Bank. So gehe ich nach draußen und hier gelingt mir mein Ansinnen problemlos, jedoch liegt das Limit bei 200,00 Euro, so dass ich bei den Preisen an der Algave wohl nicht allzu lange mit meinem Geld auskommen kann.

Froh, dieses Problem nun gelöst zu haben, laufe ich mit meiner Barschaft und der EC-Karte, beides sicher in meiner Bauchtasche verstaut, in mein Quartier, welches mir doch, da es privat ist, so sicher erscheint, dass ich meine Wertsachen, zwar versteckt, aber doch im Apartment lasse. Das ist auch notwendig, da ich meine Wertsachen nicht mit an den Strand nehmen will und kann, da mir das zu gefährlich erscheint, wenn ich auch am Strand laufen oder baden möchte.

Nun mache ich mich für den Strand fertig. Den „Hausstrand“ von Lagos kann ich von meinem Quartier aus problemlos innerhalb von zehn Minuten erreichen, da dieser im Gegensatz zu vielen anderen Stränden der Algarve direkt in der Stadt liegt. Hier kann ich gut zu Fuß gehen, wenn ich zu dem Strand gehe, der als Sandstrand, von Felsen umrahmt, liegt. Der zweite Strandabschnitt befindet sich dann auf der anderen Seite eines flussähnlichen Meeresarmes, so dass ich hier eine Fähre benutzen müsste. Auf dem Weg zum Strand komme ich an der berühmten alten Kirche von Lagos, der „Igreja de Santo Antonio“, dem „Monumento National“ und einer der schönsten Kirchen Portugals vorbei, bei der ich mir meinen Pilgerstempel holen möchte und die ich mir noch gerne ansehe. Jedoch ist die Kirche verschlossen und wird nur zu bestimmten Besuchszeiten geöffnet.

So entscheide ich, eine halbe Stunde bei einem Café com Leite zu warten. Hier in der Fußgängerzone herrscht eine reges Treiben, ein Kommen und Gehen. Zwei, drei Pärchen sitzen nebeneinander und schweigen sich an. Ist ihnen bei diesem schönen Wetter die Urlaubslaune verregnet? Familien mit Kindern sitzen hier, mit den Kindern locker im Gespräch vertieft. Aber auch Einzelreisende haben Platz genommen und genießen die Pause zur Mittagszeit.

Als ich dann schließlich die Kirche besichtigen will, schließt das angrenzende Museum gerade. Man teilt mir mit, dass ich heute Nachmittag ab 14.00 Uhr kommen könne.

Also gehe ich doch zuerst zum Strand, der mich mit seinem Felsenpanorama begeistert. Zwischen einzelnen Strandabschnitten gibt es Durchgänge durch die Felsen, die Wasser umspült, zum nächsten Strandabschnitt den Zugang frei geben. Bereits vorgestern habe ich auf der Bootstour gehört, dass man bei Niedrigwasser fast durch alle Felsendurchgänge hindurchlaufen könne. Zurzeit jedoch ist das Wasser recht hoch, so dass ich nur bis zur nächsten Bucht komme.

So liege ich in der Sonne und genieße das südliche Ambiente, muss mehrfach ins Wasser gehen, weil mir am Strand einfach zu heiß ist und ich mich abkühlen will. Das Wasser ist in meiner kleinen Bucht zwar etwas wärmer, als ich es die letzten Male beim Baden erlebt habe, aber es ist immer noch ziemlich kalt. Deswegen tauche ich nur kurz unter, um mich zu erfrischen und genieße diese schöne Landschaft lieber von meinem Badetuch aus.

Ich sitze mit dem Rücken am Felsen und kann so wundervoll das Strandleben beobachten: Viele Kinder tollen im Wasser herum, offenbar macht es ihnen nichts aus, dass das Meer so kalt ist. Viele schwimmen bis zu einem großen Felsen, der eine flache Oberfläche hat, um dann von dort mit einem Kopfsprung ins Wasser zu springen. Ab und zu tuckert ein Ausflugsboot an meiner Bucht vorbei und manchmal saust auch ein Motorboot, das auf dem Weg zu den nahe liegenden Felshöhlen und Grotten ist, an der Bucht entlang. Am Strand liegen viele Menschen unter selbst mitgebrachten Sonnenschirmen oder im Schatten der Felsen. Insgesamt ist hier der Strand jedoch weit weniger voll als in Albufeira. Die Möwen fliegen schreiend um die Felsen herum, während das Meer rauscht und die Wellen auf jedes Boot reagieren.

Im Laufe des Nachmittags sinkt der Wasserstand deutlich, so dass ich zu Fuß zwei weitere Buchten erreichen kann. In den Durchgängen durch die Felsen steht nur noch wenig Wasser, so dass ich fast trockenen Fußes hindurchklettern kann. Es ist einfach ein idyllisches Leben hier am Strand.

Auf meinem Rückweg gehe ich noch einmal an der Kirche vorbei und dieses Mal habe ich Glück: Das Museum, durch das die Kirche betreten werden kann, ist geöffnet. Ich zahle zwei Euro Eintritt und kann die Kirche, die nicht allzu groß ist, besichtigen. Sie ist an den Wänden völlig aus Holz mit geschnitzten Figuren, Rankpflanzen und Verzierungen gestaltet, die allesamt vergoldet sind. In den Wandflächen befinden sich zudem große, düster gehaltene Ölgemälde. Von der Empore am Ende des Raumes her fällt durch ein fast rundes Fenster Licht in die Kirche ein. Die Decke ist vollständig in rötlichen Tönen mit etwas Blau bemalt und zwar so, dass eine Tiefenwirkung entsteht und die Kirche dadurch erheblich höher wirkt. Im unteren Bereich der Wände sehe ich in ca. 1,20 Meter Höhe die hier für Portugal so typischen Kacheln in Weiß-Blau-Tönen. Der Altarraum ist erleuchtet und befindet sich in einer erhöhten Nische und dominiert die gesamte Kirche. Diese Kirche ist ein portugiesisches Kulturdenkmal und stammt aus dem 18. Jahrhundert, wobei der Altar erhalten geblieben ist, während andere Teile der Kirche zerstört und wieder aufgebaut wurden. Neben der Kirche befindet sich noch ein kleines Museum, welches ich mir mit ansehen kann. Hier werden alte, kirchliche Gewänder, alte Münzen und Scheine verschiedener Währungen, Bilder, neue Fotografien und eine riesige Sammlung von Muscheln gezeigt. In dieser Sammlung befinden sich zwei derart riesige, weiße Muscheln, die ca. einen Meter breit und lang sind, dass ich Derartiges noch nicht gesehen habe. Ich staune und freue mich, was ich so nebenbei alles mitbekomme.

Beim Herausgehen frage ich nach, ob ich hier einen Pilgerstempel bekommen kann. Die Dame an der Kasse versteht mich nicht, holt aber sofort einen jungen Kollegen, der mir auf Englisch erzählt, dass Stempel auf Portugiesisch „Carimba“ heißt. Da dieser junge Mann nicht genau weiß, ob es hier in dieser Kirche Stempel gibt, läuft er sehr freundlich mit meinem Pilgerpass los, um nachzuschauen. Lächelnd kehrt er zurück und übergibt mir meinen nächsten Stempel im Pilgerpass, zu dem nun nur noch das Datum eingetragen werden muss. Anschließend verwickelt mich dieser freundliche junge Mann noch in ein Gespräch und möchte wissen, seit wann ich schon unterwegs bin, woher ich komme usw. Wir reden eine ganze Zeit lang mit einander auf Englisch und er erzählt mir unter anderem, dass hier schon manchmal Pilger vorbeikommen und nach einem Stempel fragen. Jedoch ist das so selten, dass er sich dieses Mal zuerst nicht mehr erinnern konnte, wo der Stempel liegt.

Fröhlich und beschwingt durch das nette Gespräch verlasse ich die Kirche und gehe in mein Quartier zurück. Inzwischen kenne ich mich gut aus und laufe im Zickzack durch sämtliche Gassen und bin auf kürzestem Weg in meinem Apartment. Es ist schon erstaunlich, wie schnell man sich an neue örtliche Gegebenheiten gewöhnen kann. Bei mir jedenfalls habe ich den Eindruck, dass meine Orientierungsfähigkeit sich von Tag zu Tag verbessert. Es ist eben alles eine Frage der Übung.

Am Abend muss ich erst einmal meinen Rucksack fertig packen, das Apartment aufräumen, kontrollieren, ob ich nichts liegen gelassen habe, und Geschirr spülen. Immer, wenn ich mehrere Tage – und dieses Mal waren es vier Tage in Lagos – an einem Ort – war, habe ich doch einen großen Teil meines Rucksackes ausgeräumt. Zumal ich am Strand einige Dinge benötigte, die ich sonst nicht gebrauche. Weiterhin gilt es, die Verpflegung zusammenzustellen: Für morgen gibt es wieder viermal 0,5 Liter-Flaschen Selters und zwei Brötchen mit Käse. Zum Frühstück morgen habe ich noch eine Banane. Diese Vorbereitungen für den nächsten Tag erledige ich immer am Abend vorher, damit ich morgens nicht unter Zeitdruck gerate. Ich möchte nämlich nicht, dass mein früher Aufbruch am nächsten Morgen stressig wird.

 

Da es so schön lau draußen ist, laufe ich am Abend doch noch einmal in die Stadt. Hunderte von Menschen spazieren mit der Familie oder mit Freunden die Straßen entlang, sitzen in den Restaurants oder Bars draußen und genießen ihre Ferien, die laue Luft, die freie Zeit. Es wird gelacht und geredet, viel Musik klingt durcheinander und alles in allem herrscht eine fröhliche, ausgelassene Stimmung vor. Die Geschäfte haben noch geöffnet und viele bummeln an den Ständen und in den Läden herum.

Ich setze mich draußen in einer Bar dazu, habe aber dieses Mal Pech, denn es ergibt sich kein weiteres Gespräch, alles scheitert an den Sprachbarrieren. So gehe ich gegen 22.00 Uhr allmählich in mein Quartier, da ich morgen wieder mit Handywecker um 6.30 Uhr aufstehen will. Der Trubel in der Stadt geht jedoch – wie jede Nacht – weiter, wird sogar noch lauter, bis er gegen 3.00 Uhr in der Frühe endlich verstummt. Ich werde durch die Geräuschkulisse immer mal wach, bin aber so müde, dass ich schnell wieder einschlafe.

10.Tag: Lagos – Setubal (320 km), 28. August

Um 7.30 Uhr geht es los. Ich gebe meine Apartmentschlüssel ab, wobei ich noch ein kurzes Gespräch mit meiner Vermieterin habe. Vor allem möchte sie wissen, ob ich denn alles, was sie mir erklärt hatte, gefunden habe. Sie freut sich, dass es an dem ist und ich bedanke mich herzlich, dass ich für diese vier Tage derart komfortabel und preisgünstig untergekommen bin.

Schließlich laufe ich, mit Rucksack und Walking-Stöcken bepackt, los, um den Bus-Terminal zu erreichen. Dieses Mal habe ich ausreichend Zeit einkalkuliert und kann in Ruhe dort ankommen und auch meine Fahrkarte nach Setubal lösen. 320 Kilometer kosten 18,30 Euro und so sitze ich eine knappe halbe Stunde später in dem Bus, der die Algarve verlässt. Die Reise geht über Aljezur und Zambujeira durch den Parque Naturel an der Serra do Cercal vorbei. Der Bus fährt Serpentinen und in einem erstaunlichen Tempo in einer Berg- und Talfahrt. Ich fühle mich fast wie in einem Karussell. Im Naturschutzgebiet durchfahren wir eine erheblich große Waldfläche, in der lauter teils ganz, teils halb abgebrannte Kiefern- und Eukalyptusbäume stehen. Die Erde ist voller schwarzer Sträucherreste und es riecht sehr unangenehm. Jedes Jahr im Sommer kämpft Portugal mit Waldbränden und dieses ist ein Zeugnis dafür, was so ein Waldbrand der Natur antut.

Der Bus durchquert Cercal und Sines und hält schließlich in Santiago do Cacem. Hier muss ich in einen anderen Bus umsteigen, der dort schon mit laufendem Motor wartet. Also, schnell, Tasche, Stöcke, Rucksack aus dem Gepäckfach heraus, hinein in das nächste Gepäckfach, wobei ich mich entschieden habe, die Walking-Stöcke mit in den Bus hineinzunehmen, damit sie bei den aufeinander geworfenen Gepäckstücken keinen Schaden nehmen.

Auch der zweite Bus ist ein neuer, sauberer Reisebus, der sogar Beckengurte zum Anschnallen aufweist. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind hier in Portugal deutlich besser als in Deutschland, zumal sie viel, etwa viermal, billiger sind. Schließlich erreiche ich mein Ziel Setubal um 13.00 Uhr nach viereinhalb Stunden Busfahrt.

Als ich aussteige, ist die Bewölkung von heute Morgen fast weggezogen und es ist wieder schön warm, aber noch nicht zu heiß. Vom Busbahnhof sattle ich mein Gepäck und frage mich durch, in welcher Richtung sich die „City“ von Setubal befindet. Nach ca. einer Viertelstunde stehe ich auf einem Platz mit einem Monument, alles schön gepflastert, rundherum Straßencafés und daneben die Kirche, eine der Kirchen von Setubal. Nun scheint die Sonne doch wieder, es ist richtig heiß, ich stehe wieder einmal in einer völlig fremden Stadt und habe keine Ahnung, wo ich hinmuss. Es gibt zwar ein Schild „Tourismo“, aber das Touristenbüro ist für mich nicht auffindbar und keiner der von mir angesprochenen Passanten versteht mich oder weiß, wo sich das Touristenbüro befindet. Also, muss ich das Problem mit der Unterkunft wieder einmal selbständig lösen. Auf dem zentralen Platz gibt es, wie mir Passanten zeigen, ein Haus „habitationes“, in dem im zweiten Stock Zimmer vermietet werden. Als ich jedoch klingele, mehrmals, öffnet niemand, so dass ich weitersuchen muss. Zwei Ecken weiter finde ich ein Vier-Sterne-Hotel. Auf meine Nachfrage erfahre ich, dass das Einzelzimmer 40,00 Euro kosten soll, viel zu viel für mein Budget für den Zeitraum von gut sechs Wochen. Jedoch schickt mich die Empfangsdame weiter und siehe da, nur wenige Häuser daneben gibt es eine Pension. Die Haustür steht offen, ich steige in den ersten Stock und frage nach einem Zimmer für eine, eventuell für zwei Nächte. So bekomme ich für 25,00 Euro mein Zimmer, mit Doppelbett für mich allein und mit WC und Dusche, ganz zentral gelegen, und sogar mit einem Minibalkon zur Straße hin.

Hier muss ich mich wieder mit dem Personalausweis anmelden und sofort bezahlen. Mir soll es recht sein, Hauptsache, ich habe ein Zimmer. Nun brauche ich eine Pause, lege mich kurz aufs Bett und entspanne. Nach der Schaukelei im Bus heute, merke ich meine Knochen doch etwas. Schließlich mache ich mich fertig, um das Ziel meines Haltes in Setubal aufzusuchen, das Castillo Fortaleza de S. Filipe. Ich laufe die Hauptstraße entlang und frage nach dem Castillo, jedoch keiner versteht mich. Offensichtlich können hier, jenseits der Massentourismusströme, bei weitem nicht so viele Leute Englisch sprechen wie an der Algarve. Schließlich habe ich die Nase voll und gehe kurz entschlossen in eine Wechselstube, in der Annahme, dort jemanden anzutreffen, der Englisch spricht.

Und wirklich, hier bekomme ich Hilfe: Ein junger Mann hinter dem Schalter fertigt mir einen Ausdruck mit einem Bild vom Castillo an und gibt mir eine genaue Wegbeschreibung, rät mir aber zu einem Taxi. Ich jedoch bin entschlossen zu laufen, zumal ich heute schon den halben Tag lang im Bus gesessen habe. Und wirklich, es klappt perfekt, nach dieser Wegbeschreibung finde ich das, was ich suche. Nach zehn Minuten Fußmarsch entdecke ich einen Schilderhinweis auf das Castillo und folge diesem. Nach einer weiteren Viertelstunde ist mir klar, warum ich hätte ein Taxi nehmen sollen, denn der Weg geht steil bergauf und das eine gute halbe Stunde lang. Die Sonne glüht und ich auch, ich schwitze aus allen Poren, bin aber überzeugt, dass ich diesen Weg zu Fuß bewältigen will. Da ich später vorhabe, den gesamten Caminho Portugues zu laufen, brauche ich die Fußmärsche zwischendurch auf jeden Fall, um im Training zu bleiben. So sehe ich bereits seit langem das Castillo, komme ihm aber nur schrittweise näher. Unten auf dem Weg gab es einen Hinweis darauf, dass sich im Schloss eine „Pousada“, eine stilvolle, gehobene Unterkunft, also ein landestypisches Hotel, befindet. Endlich bin ich oben angekommen, schweißnass von der Anstrengung und von der Hitze.

Als erstes erkenne ich eine riesige, bestimmt dreißig Meter hohe Mauer mit Zinnen und eine halbwegs gepflegte Gartenanlage, in der gearbeitet wird. Ich durchquere den Eingangsbereich, der durch Mauern von mindestens zehn Metern Dicke führt. Auf dem oberen Bereich des Castillos kann ich nur sehr vorsichtig herumlaufen, da dieser verwittert und ungepflegt, mit Geröll und ausgetretenen Steinstufentreppen beschaffen ist. Jedoch habe ich von hier oben eine fantastische Aussicht auf Setubal, auf das Meer, das in der Sonne glitzert. Auch kann ich den Hafen und die Industriebereiche an den großen Kränen, Silos und Schiffen erkennen. Von hier oben blicke ich rundherum in die Landschaft und entdecke auf der anderen Seite typisch portugiesische Windmühlen und habe einen weiten Blick auf das Naturschutzgebiet, was mir sehr gefällt.

Schließlich steige ich die Treppen vorsichtig wieder herab, um dann kurz in die Pousada einzutreten. Hier bin ich einfach neugierig und frage nach dem Preis für die Übernachtung. 185,00 Euro soll das Einzelzimmer pro Nacht kosten, ich würde es aber heute für 105,00 Euro bekommen. Wahrscheinlich sollte es einen Preisnachlass geben, weil es bereits Nachmittag ist. Gehobenes Ambiente hat eben seinen Preis. Ich stehe vor dem Empfangschef, der im schwarzen Anzug mit Hemd und Krawatte auftritt, und komme mir mit meiner Trecking-Shorts mit Karohemd ziemlich mickerig vor. Aber ich hatte vor dieser Tour für mich beschlossen, mich von den äußeren Werten zu verabschieden und meinen Blick verstärkt auf die inneren Werte zu lenken. Nun bleibe ich bei meinem Vorsatz und lehne hoch erhobenen Hauptes die Unterkunft für diese Nacht ab, wohl wissend, dass ich bereits ein sauberes und für mich passendes Quartier habe.

So trete ich nun den Rückweg an und laufe wieder fast eine Stunde zu meinem Zimmer zurück. An der Hauptstraße komme ich – wie auf dem Hinweg – an vielen Fischrestaurants vorbei, die alle ähnlich aufgebaut sind: Vor dem Restaurant gibt es einen Glaskasten, in dem die toten Fische, Krebse, Scampi etc. liegen, die man bestellen kann. Auf der anderen Seite des Gehweges, also gut drei Meter neben dem Restaurant, befinden sich große Grillgeräte mit Rauchabzug nach oben, auf denen die Fische in einer Art Gitterzange auf den Grill gelegt werden. Mit Hilfe dieser Zange lassen sich die Fische dann problemlos wenden. Wahrscheinlich stehen die Grillgeräte deswegen so weit vom Restaurant entfernt, damit die Gäste des Restaurants nicht vom Rauch gestört werden, der trotz des Abzugs nach oben auch seitlich austritt. Vermutlich hat diese Technik Tradition und lässt sich bei diesen schönen Sonnenzeiten ohne Regen problemlos durchführen. In Deutschland würden die Fische dagegen eher ertrinken als gar werden, wenn man es mit dieser Technik versuchen würde.

Nach einer kurzen Erfrischungspause mit viel Selters auf meinem Zimmer laufe ich nun erneut in den Ort, um einzukaufen. Ich brauche eine große Flasche Wasser und zwei Äpfel. Doch das ist gar nicht so einfach, wie es erscheint, denn in der gesamten Innenstadt gibt es unendlich viele Bekleidungs- und Schuhläden, sowie Restaurants, Cafés und Snack-Bars, jedoch keinen Supermarkt. Ich frage fast eine halbe Stunde lang andere Passanten danach, werde hin- und hergeschickt, kann aber keinen Supermarkt finden. Schließlich will ich schon völlig entnervt aufgeben, als ich eine ältere Dame mit einer Einkaufstüte sehe. Ich spreche sie an und zeige auf die Einkaufstüte. Offensichtlich spricht diese freundliche Frau kein Englisch, versteht aber, was ich möchte, und zeigt mir den Weg. Und wirklich, drei Minuten später stehe ich in einem recht großen Supermarkt und kann meine Besorgungen machen. Hier schon bemerke ich, dass sich das Preisniveau gegenüber der Algarve verändert hat, denn ich kann für deutlich weniger Geld einkaufen als dort.

Anschließend wandere ich zur Kirche des Ortes, die sich genau am Platz mit dem Denkmal befindet, um mir einen Pilgerstempel zu holen. Jedoch befindet sich in der Kirche niemand, der der Geistlichkeit angehört, an den ich mich hätte wenden können. Es ist schon bemerkenswert, dass auch an dieser Station offensichtlich niemand auf Pilger eingestellt ist. So finde ich in der Fußgängerzone in der Innenstadt ein Reisebüro, in dem mir eine sehr freundliche, junge Frau einen Stempel gibt und das Tagesdatum einträgt. Immerhin lässt sich an diesem Stempel der Ort Setubal erlesen.

Die Straßenzüge der Innenstadt bestehen aus einer verwinkelten Altstadt mit zum Teil sehr schmalen Gässchen, die alle wieder mit den kleinen, quadratischen Steinen gepflastert sind, die ich schon kenne. Manche Hausdurchgänge sind nur einen Meter breit, so dass sie immer im Schatten liegen, was hier unter der südlichen Sonne Portugals sicherlich erwünscht ist. Die Häuser sind zum Teil sehr schön renoviert und gestrichen, zum Teil aber auch völlig verfallen und verwahrlost, selbst in der Innenstadt. Besonders merkwürdig empfinde ich ein Haus, in dem sich unten ein Restaurant befindet, was aber im ersten Stock mit Brettern zugenagelt wurde und offensichtlich Löcher im Dach aufweist. An diesen Punkten ist deutlich zu spüren, dass in Portugal offensichtlich – genauso wie auch an manchen Orten in Deutschland – das Geld nicht für das Notwendigste ausreicht.

So beschließe ich den Tag in einem Café draußen sitzend und erlebe hier in Portugal das erste Mal Selbstbedienung. Am Tresen wartend, staune ich nicht schlecht, denn hier muss sich jeder, der etwas bestellen möchte, eine Nummer ziehen. Diese Nummer leuchtet dann auf einer Tafel auf und danach wird man bedient. Ich hole mir einen „Café com Leite“ für achtzig Cent und eine Makrone für vierzig Cent, sitze gemütlich draußen in der untergehenden Sonne und bin völlig zufrieden. Während ich so entspannt dort sitze, machen es sich ein paar Tauben an meinem Nachbartisch bequem, laben sich an den Resten des Essens der letzten Tischgäste und offensichtlich findet niemand der Gäste dieses hier in Portugal ungewöhnlich oder eventuell sogar Ekel erregend, so wie es mir vorkommt. Offensichtlich gehört dieses hier zur Tagesordnung, andere Länder andere Sitten. Gegen 20.00 Uhr schließt dieses Café, Tische und Stühle werden zusammengestellt und ich muss mir eine neue Bleibe suchen. Es ist so schöne, warme Luft draußen, dass ich noch nicht in mein Zimmer gehen möchte. Problemlos finde ich ein paar Straßen weiter ein Eiscafé, welches noch geöffnet hat. Hier setze ich mich draußen hin und niemand will mir etwas verkaufen, das heißt, ich kann hier sitzen, ohne etwas zu verzehren. Nun kann ich hier in Ruhe meine Postkarten zu Ende schreiben, bis es schließlich so dunkel wird, dass ich nichts mehr sehen kann und auf mein Zimmer gehe, das zum Glück nur fünf Minuten vom Eiscafé entfernt liegt.

 

Immer, wenn ich neu an einem Ort bin, achte ich sehr genau darauf, mich vor allem abends nicht zu weit von meinem Zimmer zu entfernen. Da ich stets allein den Heimweg antreten muss und immer alle meine Wertsachen bei mir habe, erscheint mir eine andere Vorgehensweise zu leichtsinnig.

Zum Abschluss des Tages mache ich noch meine persönliche Planung für den nächsten Tag fertig. In Setubal habe ich Station gemacht, um mir das Castillo de Fortaleza de S. Filipe anzusehen, was sich für mich jedoch als nicht so lohnenswert erwiesen hat, wie ich gehofft hatte. Weiterhin wollte ich am nächsten Tag zur Atlantikküste nach Sesimbra und zum Cabo Espichel weiterreisen. Beide Orte sind in meiner Reiselektüre als sehr lohnenswert beschrieben worden. Jedoch würde ich dann morgen wieder mindestens drei Stunden im Bus sitzen und dazu habe ich einfach keine Lust. So disponiere ich um und entscheide, morgen schon bis Lissabon weiterzureisen. Da morgen Freitag ist, werde ich früh losfahren, um sicher zu sein, auch über das Wochenende ein Quartier zu erhalten. Käme ich erst am Samstag an, wäre dieses, denke ich, deutlich schwieriger. So müssen also auch stets die Wochentage bei der Planung der Routen mit berücksichtigt werden.

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