Grundlagen der globalen Kommunikation

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1.2 Kommunikationssysteme, Lebensweltwelten und deren Wandel

Systeme und Lebenswelten

Nach Etablierung eines kommunikationstheoretischen dualen Leitbildes einer sowohl beobachtenden Weltöffentlichkeit wie auch interaktiven globalen Gemeinschaft fragen wir nun, welche Akteure in den internationalen Beziehungen als Kommunikatoren in Frage kommen. Vor einem näheren Eingehen auf Akteurstypen sind allerdings einige metatheoretische Betrachtungen erforderlich, um Missverständnissen im Zuge der Theoriebildung vorzubeugen. James N. Rosenau hat es als Aufgabe der Globalisierungstheorie bezeichnet, Mikro- und Makrointeraktionen von Individuen beziehungsweise Staaten und Organisationen im Blick zu behalten (2007). Saskia Sassen geht sogar einen Schritt weiter und betrachtet überlappende und wechselwirkende Prozesse zwischen den Akteuren als entscheidend (2007). Nicht alle Theoretiker sind so offen für unterschiedliche Akteure, Systeme und die Vielfältigkeit der Wechselwirkungen zwischen ihnen. Beispielsweise existieren radikale Handlungstheorien wie die von Bruno Latour, der von der Prämisse ausgeht, das Globale sei immer lokal, da man, egal wo man sei, lokal agiere und selbst ferne Reisen sich als Summe lokaler Stationen abbilden ließen, deren Rekonstruktion er als Aufgabe seiner spezifischen Form der Akteur-Netzwerk-Theorie beschreibt (2014, vgl. a. Gerstenberger/Glasman 2016). Der Einfluss von Beobachtungssystemen wie den Massenmedien oder anderen Sozialsystemen als vermittelnden Instanzen des (vermeintlichen) Weltwissens, die unser Handeln prägen, tritt hier stark in den Hintergrund. Globale Kommunikation ist demnach reine Interaktion handelnder Individuen.

Solche Positionen erinnern an den alten Streit zwischen System- und Handlungstheoretikern, der in diesem Buch allerdings zugunsten einer integrativen Perspektive wie der von Rosenau oder Sassen aufgelöst werden soll, wo unterschiedliche System- und Akteurslogiken in Systemen und Lebenswelten berücksichtigt werden. Der oder die Einzelne wird von Systemen nie völlig beherrscht, auch wenn sein/ihr Leben Rollenübernahmen erfordert, die sein/ihr Leben strukturieren, die er/sie aber zugleich permanent bricht oder eigenständig interpretiert, formell wie auch informell. Systeme beeinflussen zudem die Lebenswelten des Menschen, werden aber auch von diesen beeinflusst oder aber beide Akteursräume bleiben unvernetzt. Die grundlegenden Konzepte der Sozialtheorie wie soziales Handeln/Interaktion, Normen, Rollen, Strukturen und Systeme sollen bei unserer Analyse mitgedacht werden (zur Einführung vgl. Bahrdt 1997). Letztlich ist hier Habermas‘ Dualismus von System und Lebenswelt von Bedeutung (Habermas 1995), wobei noch die Frage zu klären wäre, wer hier wen „kolonisiert“. Eine differenzierte Sichtweise auf Kommunikationsweisen von Systemen und Individuen (Kap. 1.3.) und deren Wechselwirkungen (Kap. 1.4.) ist aus unserer Sicht jedoch unbedingt erforderlich.

System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz

Eine zweite Vorbemerkung ist notwendig: Der Systembegriff, der hier verwendet wird, ist kein streng funktionalistischer. Zwar führen wir selbstbewusst Kommunikationsprozesse als Momente der Theoriebildung ein. Wovon wir allerdings Abstand nehmen wollen, ist eine rein prozessorientierte Theoriebildung, die die Akteure als Kommunikatoren zu bloßen „Objekten“ abstrakter Abläufe wie „Vernetzungen“, „Konnektivitäten“ und „Kommunikationsflüssen“ macht. Die moderne Netzwerktheorie tendiert dazu, eine Akzentverschiebung von sozialen Akteuren zu Netzen vorzunehmen, wobei die interne Logik von Systemen (z.B. Organisationen, Unternehmen, aber auch psychischen Systemen von Individuen) oder Lebenswelten weniger beachtet werden als die zwischen den Systemen oder Lebenswelten bestehenden Netzwerke und Austauschbeziehungen. Die internen Strukturen kollabieren quasi unter dem Druck der Vernetzung. Dazu Jan van Dijk: „Traditional internal structures of organizations are crumbling and external structures of communication are added to them” (2012, S.33). Ähnlich äußert sich auch George Ritzer mit dem Hinweis auf die Prozesssoziologie von Norbert Elias: „[F]ollowing Elias, in thinking about globalization, it is important that we privilege process over structure (just as we have privileged flows over barriers)“ (2010, S.25).

In diesem Buch stehen zwar Kommunikationsprozesse im Vordergrund; Systeme und Lebenswelten bleiben aber kopräsent. Netzwerke sind Beziehungen innerhalb oder zwischen Sozialsystemen (Endruweit 2004, S.26), sie sind aber nicht die Sozialsysteme selbst, die deshalb mitgedacht werden müssen. Unsere Perspektive ist daher weder die der Akteur-Netzwerk-Theorie Latours noch die der Netzwerk-Theorie von Castells, sondern sie ist am ehesten als System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz zu bezeichnen. Dieser Ansatz ähnelt der von Roger Silverstone eingeführten und von Nick Couldry an der London School of Economics and Political Science (LSE) weitergeführten Sicht. Die Netzwerkmetapher wird dort als theoretisch zu anspruchslos für die Sozialtheorie angesehen, da sie die von den Handelnden erzeugten Interpretationen der Netzwerke unberücksichtigt lässt (Couldry 2006, S.104). Couldry spricht hier zu Recht von einem „problematischen Funktionalismus“, „so zu tun, als ob Medien das Soziale und die natürlichen Kanäle des sozialen Lebens und sozialer Auseinandersetzung wären, anstatt hoch spezifische und institutionell fokussierte Mittel der Repräsentation des sozialen Lebens“ (ebenda, S.104). Er wendet sich gegen den „Mythos des mediatisierten Zentrums“ und kritisiert die Tendenz der Kommunikationswissenschaft, Medien mit Gesellschaft gleichzusetzen (ebenda, S.105). Auch der deutsche Kommunikationstheoretiker Manfred Rühl äußert sich ähnlich: „Globale Kommunikationssysteme sind eingebettet in psychische, organische, chemische, physikalische, kurz: in nicht-kommunikative Mitwelten, die […] bei der Verwirklichung von Kommunikation mitwirken, ohne dazuzugehören. Kommunikationssysteme sind von der Mitwelt klar abzugrenzen, aber nicht zu trennen“ (ebenda, S.362).

Insbesondere in der auf Talcott Parsons zurückgehenden struktur-funktionalistischen Systemtheorie werden schnell ablaufende funktionale Prozesse in Relation zu stabilen Strukturen gesetzt, auf der Basis der „Annahme eines systemimmanenten Bedürfnisses nach Selbsterhaltung, also nach Integration und Kontinuität“ (Kunczik/Zipfel 2001, S.69). Selbst Niklas Luhmann leugnet letztlich nicht das Vorhandensein solcher Strukturen, auch wenn seine „funktional-strukturelle Systemtheorie“ die Dynamik der Prozesse betont und die Schwergewichte in Abgrenzung von Parsons verlagert (Kneer/Nassehi 1997, S.116). Die Akteure lösen sich also gerade bei Parsons nicht in den Netzwerken auf, sondern sie bleiben als autonome Strukturen erkennbar, auch wenn sie sich funktional anpassen und von den (Kommunikations-)Prozessen beeinflusst werden können. Auch der Soziologe und Luhmann-Interpret Armin Nassehi folgt einer ähnlichen Grundidee, wenn er einerseits die erstaunliche Hartnäckigkeit sozialer Strukturen betont, andererseits aber die steigende Komplexität moderner (digitaler) Kommunikate erkennt, wobei er ausdrücklich die Frage eines durch digitale Kommunikation erfolgenden sozialen Strukturwandels offenlässt (2019). Im Gegensatz dazu behaupten Netzwerktheoretiker einen Primat des „Relationismus“ vor dem „Substanzialismus“ (Nexon 1999); sie sind der Ansicht, dass die Prozesse die Strukturen sind.

Wir sind hingegen der Meinung, dass eine sinnvolle Analyse zunächst von der Kopräsenz von System- und Lebensweltstrukturen einerseits und Kommunikationsprozessen andererseits ausgehen sollte, zugleich aber offen sein muss für:

 die mögliche Verschachtelung von System- und Lebensweltstrukturen (auch in den Organisationen stecken informelle Lebenswelten wie auch in den Lebenswelten die Systeme einflussreich sein können) (Kneer/Nassehi 1997, S.142f.);

 die mögliche dominante Prägekraft der Strukturen mit Blick auf die Kommunikationsprozesse (strategisches Handeln);

 die mögliche dominante Prägekraft der Kommunikationsprozesse mit Blick auf die Strukturen (kommunikatives Handeln).

Die ganze Debatte erinnert an die Auseinandersetzung in der Lehre der Internationalen Beziehungen zwischen Neo-Institutionalisten (wie Robert O. Keohane und Joseph Nye) und Funktionalisten (wie David Mitrany). Unser System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz will den Dualismus von Akteuren und Funktionen zugunsten einer pragmatischen Sichtweise aufgeben, die durchaus Raum für einen starken Einfluss funktionaler (auch technischer) Prägungen der Prozesse der globalen Mediatisierung lässt, Systemen und Lebenswelten als den Polen in globalen Diskursen und Dialogen aber zugleich die Möglichkeit einer prägenden Gestaltung nicht abspricht. Eher als der pure Neo-Institutionalismus oder der Funktionalismus entspricht also das System-Lebenswelt-Netzwerk-Denken unserer eigenen Herangehensweise. Netzwerktheorie lässt sich nämlich mit anderen Theorien wie der System- oder der Lebenswelttheorie durchaus koppeln (Häußling 2005, S.269ff.). Diese Form der „modularen Theorie“ halten wir für sinnvoll, um den Widerspruch zwischen Strukturalismus und Funktionalismus kreativ zu verarbeiten.

Globale Zentren und Peripherien

Eine letzte Vorbemerkung ist erforderlich, die den Aspekt des Postkolonialismus anspricht. Wer Strukturen analytisch stark macht, muss sich unweigerlich mit der Frage beschäftigen, ob eben diese Strukturen nicht nach weiteren Differenzierungen verlangen, etwa was das Verhältnis zwischen Industrie- und Entwicklungsländern oder zwischen ehemals kolonisierten und kolonisierenden Staaten betrifft. Johan Galtungs Vorstellung von einem strukturellen Imperialismus der Weltgesellschaft, die (Macht-)Zentren und (Macht-)Peripherien ausbildet (1973), wird uns in diesem Buch latent ständig begleiten, etwa wenn es um die Ausprägung von Diskurs- und Dialogstrukturen im Kontext bestimmter Formationen wie der OECD, der Europäischen Union oder auch geolinguistischer Einheiten wie der spanischsprachigen oder arabischsprachigen Welt geht.

 

Dennoch sind wir der Meinung, dass solche Strukturvariablen eher universell als partikular und schon gar nicht kulturspezifisch zu deuten sind. Sowohl die inneren Kommunikationsabläufe in Systemen und Lebenswelten als auch die Interdependenzverhältnisse zwischen Systemen und/oder Lebenswelten als Umwelten (siehe unten) lassen weltweite frappierende Ähnlichkeiten über politische und kulturelle Systemgrenzen hinweg erkennen, wo kulturübergreifende Strukturmuster wie Nationalstaaten, transnationale Unternehmen, soziale Bewegungen, Gemeinschaften und Lebenswelten vorhanden sind. In diesem einen Punkt unterscheiden wir uns also nicht von den Vertretern des Relationismus. Globale Strukturunterschiede bilden reale Machtunterschiede ab; sie sind aber keine absoluten Kulturunterschiede, sondern gerade durch Prozesse der globalen Beobachtung und Interaktion in stetigem Wandel begriffen.

Inventarisierung: Global kommunizierende Sozialsysteme und Lebenswelten

Wendet man sich nach diesen Vorbemerkungen nunmehr einer Inventarisierung der Akteure globaler Kommunikation zu, so lassen sich – noch vor der Beschreibung komplexer Lebenswelten – unterschiedliche Systemgrößen erkennen: Individuen als psychische Systeme ebenso wie organisierte und nicht organisierte Sozialsysteme. Grenzüberschreitende Kommunikation kann zwischen gleichen wie auch ungleichen Polen entstehen, also zwischen den politischen Systemen oder auch zwischen Individuen und organisierten Sozialsystemen usw. Sie kann zudem – entsprechend den eingeführten Kommunikationsmodi – primär im Modus der Beobachtung oder der Interaktion in Erscheinung treten oder aber, was von großer Bedeutung für die nähere Funktionsbestimmung sein wird, Mischformen erzeugen, da die wenigsten Systeme und Akteure nur beobachten oder interagieren. Allerdings gibt es systemspezifische Logiken, deren Herausarbeitung zu den primären Anliegen des Buches gehört.

Für die nähere Bestimmung der akteursspezifischen globalen Kommunikationsmodi ist die Unterscheidung zwischen Individuen, organisierten und nicht-organisierten Sozialsystemen bedeutsam. Organisierte Sozialsysteme benötigen nicht nur eine Organisationsidee, sondern auch eine Organisationsstruktur (Hauriou 1965), was sie von nicht-organisierten Systemen abgrenzt. Nicht-organisierte Sozialsysteme sind zum Beispiel „Gemeinschaften“, die eine Idee, aber keine Struktur und Organisation vorweisen können (auch wenn sich aus Gemeinschaften Organisationen bilden können, die dann allerdings nicht mehr nur als Gemeinschaften anzusehen sind, sondern eben als Organisationen). Umgekehrt aber haben Organisationen immer auch eine Gemeinschaftsidee, ein Leitbild, eine Identität. Organisierte Sozialsysteme sind zudem handlungsorientiert. Die Politik als dominantes Supersystem der Gesellschaft (Gerhards/Neidhardt 1990) ist primär für die Herstellung von Sicherheit und Ordnung zuständig, die Wirtschaft für die Absicherung der materiellen Ressourcen, die Medien für die unabhängige Beobachtung aller anderen Systeme usw.

Medien, Politik und Wirtschaft als (trans-)nationale Systeme

Die spezifischen Logiken der einzelnen Systeme haben jedoch dazu geführt, dass diese in sehr unterschiedlicher Weise transnationale Zweitsysteme ausbilden (Vereinte Nationen, transnationale Unternehmen, transnationale Medien usw.), deren Kommunikationsregeln sich von der Grenzüberschreitung nationaler Systeme unterscheiden. In der Tendenz agieren Massenmedien als nationale (lokale) Mediensysteme, die das „Ausland“ als Informationsressource benutzen, während die Informationsverarbeitung allerdings in einem lokalen Mediensystem stattfindet, das durch eigene Organisationsstrukturen, Personal und Ressourcen ausgestattet ist. Die kommunikative Grenzüberschreitung solch nationaler Massenmedien bezeichnet man als „Auslandsberichterstattung“ (Hafez 2002a). Der sogenannte „Auslandsrundfunk“ besteht ebenfalls aus nationalen Medien, die allerdings den Kommunikationsfluss umdrehen. BBC World, RT, Voice of America und viele andere solcher Sender produzieren speziell für ausländische Publika (was ihre Autonomie gefährdet und sie oft de-facto zu einem Teil des politischen Systems macht).

Transnationale Strukturen haben Medien hingegen nur sehr spärlich entwickelt. Die meisten als international geltenden Medien sind eigentlich nationale Fabrikate mit einem globalen Anspruch (z.B. CNN) (Hafez 2005, S.23ff.). Dies gilt sogar für Medien wie den arabischen Fernsehsender Al-Jazeera, der in geolinguistischen Großregionen wie der arabischen Welt grenzüberschreitend Geltung erlangt hat. Internationale Nachrichtenagenturen sind noch am ehesten transnational ausgerichtet, da sie Informationen aus und für die meisten Länder der Welt liefern. Indem sie aber der Endproduktion durch die Medien vorgeordnet sind, sind sie eher als mediales Subsystem, denn als eigenständiges Mediensystem zu betrachten. Im Bereich der Massenmedien können die kommerziellen Strukturen durchaus transnational verflochten sein – spätestens bei der journalistischen Endproduktion aber gilt das nationalstaatliche oder zumindest nationalsprachliche Prinzip.

Was die Konturen des politischen Systems angeht, muss man zwei Ebenen unterscheiden: das im Ansatz vorhandene transnationale System (UNO, EU usw.) und den Nationalstaat. In der Politik kommuniziert der Staat sowohl im Rahmen transnationaler Organisationen, er verfügt aber auch über eine Tausende Jahre alte Geschichte der Diplomatie, des Austauschs zwischen Staaten, und diese Form der Internationalität und der Außenpolitik ist bis heute in den internationalen Beziehungen dominant. Auf Grund der Erfahrung der Weltkriege hat man im 20.Jahrhundert die Transnationalisierung etwa in Form der Vereinten Nationen oder kollektiver Sicherungsbündnisse wie der NATO vorangetrieben. Interaktionen spielen sich heute innerhalb dieser transnationalen Organisationen wie auch bi- und multilateral direkt zwischen unabhängigen Staaten ab.

Die in der frühen Globalisierungsdebatte vielfach erwartete Auflösung des Nationalstaates hin zur Transnationalisierung der Politik ist allerdings ungeachtet der zum Teil vorhandenen multinationalen Bündnisse (wie der EU) oder der internationalen Governance-Regimes (z.B. Kyoto-Protokoll im Umweltbereich) nicht erfolgt (Frei 1985, Brand et al. 2000). Der Nationalstaat ist nach wie vor der primäre Ort globaler Politik. Aus diesem Grund beschäftigen wir uns im vorliegenden Buch vor allem mit Außenpolitik-Kommunikation. Es ist wichtig, Diplomatie als einen Kommunikationsprozess zu verstehen, in dem Interaktion und Dialog in Verhandlungen eine zentrale Rolle spielen, zum Teil auch der Trialog mit Hilfe von Mediatoren. Auch Gewaltakte oder angedrohte Gewaltakte können eine Form zwischenstaatlicher Kommunikation sein – allerdings sind Gewalthandlungen eher monologisch und unilateral. Das politische System ist zudem ein zentraler Bestandteil öffentlicher Kommunikation, es beobachtet, wird von anderen Systemen und in Lebenswelten beobachtet und beeinflusst die Synchronität der mediatisierten Weltöffentlichkeit.

Ähnliches gilt auch für das Wirtschaftssystem. Auch hier ist eine Transnationalisierung im Ansatz erfolgt, etwa in Form großer wirtschaftspolitischer Einrichtungen der Weltbank, des IWF, internationaler Finanzabkommen und Handelsverträge. Es gibt zudem einen fortgeschrittenen Trend zu transnationalen Wirtschaftsunternehmen (Transnational Corporations/TNCs), die gemeinhin als „Global Players“ bezeichnet werden. In der zweiten Welle der Globalisierungsforschung wurde allerdings die Dominanz dieser Entwicklung und die Vorrangstellung des Transnationalen im Wirtschaftssystem bestritten (Hirst/Thompson 1999).

Es wäre demnach also falsch, die Politik oder die Wirtschaft als rein grenzüberschreitende Kräfte zu betrachten. Vielmehr sollten wir von gleichzeitig ablaufenden Trends von globaler Homogenisierung (im Sinne der global governance der Transnationalisierung von Wirtschaftsräumen oder Unternehmen) und nationaler Heterogenisierung (Nationalstaatspolitik und Protektionismus) sprechen. Die vorhandenen transnationalen Unternehmensstrukturen jedoch eröffnen ein eigenes Forschungsfeld. Anders als zumeist im Bereich der Politik geht es hier nicht länger um Kommunikation zwischen Systemen, sondern um Binnenkommunikation in grenzüberschreitenden Systemen, die nach besonderen Regeln verläuft, da die Organisationsziele und -programme im Grundsatz nicht mehr verhandelt werden müssen und die Mitgliedschaft in einer grenzüberschreitenden Einrichtung geklärt zu sein scheint. Die globale Integration, die Theoretiker wie Karl W. Deutsch im Bereich der Politik noch zu fördern versuchten, ist hier bereits vollzogen, was neue Horizonte für die multikulturelle Kommunikation und Idee der Gemeinschaftlichkeit erzeugen könnte.

Globale Zivilgesellschaft und Großgemeinschaften

Auch jenseits des politischen und wirtschaftlichen Systems gibt es in der Gesellschaft zahlreiche organisierte Sozialsysteme, die global vernetzt sein können. Die globale Zivilgesellschaft (global civil society) ist seit den 1990er Jahren ein viel diskutiertes Phänomen (Kaldor 2003, Anheier et al. 2001). Hauptakteure der Debatte waren zunächst internationale Nichtregierungsorganisationen (INGOs) wie Amnesty International, Greenpeace usw., also Organisationen, die sich aus der Zivilgesellschaft heraus zu globalen Netzwerk-Organisationen entwickelt hatten: eine Parallele zur Transnationalisierung im Bereich von Politik und Wirtschaft. Mit der massenhaften Verbreitung des Internets kam dann ein zweiter Grundtyp zivilgesellschaftlicher globaler Akteure hinzu: soziale Bewegungen wie die Anti-Globalisierungsbewegung. Soziale Bewegungen sind keine Mitgliederorganisationen, sondern Hybriden aus organisierten und nicht-organisierten Sozialsystemen, mit einem organisierten Kern – den sogenannten „Bewegungsorganisationen“ (social movement organizations) – und einer losen Gemeinschaftsstruktur, die sich um eine zentrale Idee und Symbole herum bildet (della Porta/Diani 2006). Diese strukturelle Unterscheidung hat, wie wir sehen werden, Konsequenzen für die Kommunikationsformen. NGOs und SMOs etwa haben unterschiedliche Präferenzen im Bereich der Öffentlichkeit durch Massenmedien oder das Internet oder artverschiedene Formen der grenzüberschreitenden Binnenkommunikation.

Soziale Bewegungen sind jenseits ihrer organisierten Kerne jedoch als nicht-organisierte Sozialsysteme/Gemeinschaften zu betrachten. Sie bestehen aus freiwilligen Sympathisanten, sind prinzipiell organisationsschwach, basieren dafür aber umso mehr auf einer zentralen Idee und einem starken Wir-Gefühl der Mitglieder. Die Idee der geistigen und emotionalen Verbundenheit ist in sozialen Bewegungen meist ausgeprägter als in Organisationen. Die Handlungsorientierung und Funktion sind hingegen oft unklar. Gemeinschaften gibt es auf verschiedenen Ebenen: Man unterscheidet traditionelle Gemeinschaften wie die Familie oder das Dorf, in die man hineingeboren wird, von Neu-Vergemeinschaftungen (Nation, Vereine, Freundeskreise usw.).

Gemeinschaften funktionieren nicht nur lokal, sondern auch virtuell, digital, als Netzgemeinschaften, Volksgemeinschaften, Solidargemeinschaften, Weltgemeinschaften usw. Großgemeinschaften ohne Organisation sind vor allem Diskursgemeinschaften und nur sehr eingeschränkt auch interaktive Gemeinschaften. Nicht nur haben Medien für Großgemeinschaften eine verbindende Funktion im Sinne des Diskurses, es gibt auch spezifische Netzgemeinschaften, deren (scheinbare oder tatsächliche) Interaktion immer dynamischer verläuft. Dank des Internets haben wir tatsächlich einen Trend zur Neo-Vergemeinschaftung zu verzeichnen. Man spricht etwa von Diasporagruppen im Netz und jede erdenkliche soziale Differenz kann sich in Netzgemeinschaften äußern. Virtuelle Gemeinschaften ermöglichen dem Individuum, die von Giesecke hervorgehobenen Gruppendialoge zu führen (Rheingold 2000). Dabei darf man das Kommunikationsverhalten in Netzgemeinschaften, wie wir sehen werden, allerdings nicht leichtfertig mit „dialogischer Interaktion“ gleichsetzen, da das globale Raumverhalten ein ganz anderes ist als bei grenzüberschreitender Kommunikation durch Individuen und in Realgruppen.

Globale Lebenswelten: ein Desideratum der „interkulturellen Kommunikation“

Zu den skizzierten systemischen Akteuren kommen nun Akteure und komplexe Kommunikationsprozesse in Lebenswelten hinzu. Auch Individuen und Kleingruppen beobachten und interagieren grenzüberschreitend, und zwar selbst dann, wenn sie dies nicht im Kontext bestimmter Gemeinschaften oder Organisationen, sondern informell, dafür aber in einem „realen“ Raum tun. Der Begriff der Gemeinschaft wird daher um den der Kleingruppe ergänzt, da hier die persönlichen Kontakte der Gruppenmitglieder zwingend notwendig sind und nicht – wie bei der Großgemeinschaft – identifikatorische und imaginierte, selbst oder fremd gewählte Zuordnungen über die Mitgliedschaft entscheiden. In der Lebenswelt der Menschen ist dort, wo man vom „gesellschaftlichen Leben“ spricht, das Aufeinandertreffen in nicht-gemeinschaftlichen Gruppen sogar eher die Regel (im Kino, auf der Straße, im Supermarkt usw.). Eine klare Trennung zwischen Großgemeinschaften und gemeinschaftlichen oder nicht-gemeinschaftlichen Kleingruppen ist insofern möglich, als Großgemeinschaften, abgesehen von Sondersituationen wie Netzgemeinschaften oder bestimmten Formen der Versammlungskommunikation, keine interaktiven Gemeinschaften sein können, was bei Kleingruppen aber generell der Fall ist.

 

In Hinblick auf die lebensweltlichen Kontexte individueller, gruppen- oder gemeinschaftsförmiger Kommunikation gilt es nun, die Frage zu beantworten, ob es zu einer Verschiebung von nationalen/lokalen hin zu globalen, also inter- oder transnationalen, Lebenswelten kommt? Eine notwendige Voraussetzung für die Entstehung „globaler Lebenswelten“ ist im bisherigen Argumentationszusammenhang nicht nur die individuelle Beobachtung der Welt, etwa durch die Angebote der Medien, sondern ebenso das Vorhandensein unterschiedlicher „interkultureller Kommunikationssituationen“ in sozialen Alltagswelten.

Das für diese Antwort prädestinierte Forschungsfeld der „interkulturellen Kommunikation“ liefert allerdings angesichts konzeptueller Uneinigkeiten bisher keine ausreichend belastbaren Erkenntnisse. Denn bis heute hält sich hier die Idee des Einzelnen als Träger einer bestimmten, objektivierten „Kultur“ als verbreitetes Paradigma (u.a. Maletzke 1996, Hofstede et al. 2010). Dieses ist allerdings hochgradig problematisch, da es dem Individuum keinen Raum für eigenständige Kommunikationsleistungen zugesteht und essenzialistische Kulturraumvorstellungen bedient, wonach Individuen einer nationalen oder gar supranationalen Gesellschaftsordnung identische Sets an Weltdeutungen aufweisen und sich in ihren Handlungsmustern kaum unterscheiden würden. Zwar teilen Individuen in Gruppen und Gemeinschaften bestimmte handlungsprägende lokale Erfahrungszusammenhänge und sie können durch die gemeinsame Beobachtung von nationalen Mediendiskursen durchaus koorientiert sein. Aus der bloßen Lokalisierung von Menschen in bestimmten Weltregionen aber grundsätzlich differente, national geprägte Kommunikationsformen abzuleiten, ist empirisch wie theoretisch angesichts der Diversität menschlicher Daseinsformen nicht haltbar und im Sinne der zuvor diskutierten integrationistischen Überlegungen sogar politisch gefährlich, wenn nämlich indirekt eine problemorientierte Perspektive grenzüberschreitender Verständigung eingenommen und per se von zum Teil unüberbrückbaren Differenzen ausgegangen wird, die Kommunikation erschweren (Hansen 2011, S.179ff., S.251ff., vgl. a. Kapitel 7.2.1). In der globalen Interaktion steht ja nicht prinzipiell in Frage, dass Individuen mit unterschiedlichen kulturellen, sozialen und geolinguistischen Sozialisationserfahrungen Differenzen überwinden können, sondern vielmehr unter welchen Bedingungen, in welcher Form und mit welchen möglichen Wandlungserscheinungen dies in der grenzüberschreitenden Alltagskommunikation geschieht.

Doch auch wenn das Konzept des „Kulturellen“ Anlass für Missverständnisse bietet, soll und kann es nicht ganz aufgegeben werden. So werden kulturelle Prägungen auch an vielen Stellen dieses Buches behandelt, etwa wenn es um stereotype Medienbilder, Public Diplomacy oder das Zusammenspiel von globaler Interaktion, Medien und Vorurteilen gegenüber Gruppen geht. Allerdings wird „Kultur“ nicht in einer vom Akteur oder von der kommunikativen Konstruktion von Kultur losgelösten Art und Weise, sondern im Sinne unseres System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatzes untersucht. Unser Verständnis von Kultur folgt eher dem der Cultural Studies und meint konkrete Problematiken der Bedeutungszuweisung und symbolischen Klassifikationssysteme sowie deren alltägliche Aneignung, Produktion wie auch Dekonstruktion durch spezifische gesellschaftliche Akteure (Hall 1980). Diese Akteure sind im Zusammenhang globaler Kommunikationsbeziehungen in der Alltagswelt allerdings neu zu bewerten. Denn es wird darum gehen, Individuen mit oder ohne globale Kommunikationserfahrungen zu unterscheiden. Diese Erfahrungen können wiederum gemäß der eingeführten Systematik von Kommunikationsmodi vielfach variieren und dementsprechend unterschiedliche Konsequenzen für die Wandlungsprozesse lokaler Lebenswelten bedeuten.

Glokalisierung und Hybridisierung des Alltagshandelns

Im Bereich der Kulturtheorie ist die kulturelle Wandlungsdynamik der Globalisierung, komplementär zum Systemwandel, als „Glokalisierung“ oder „Hybridisierung“ beschrieben worden (u.a. Robertson 1995, Nederveen Pieterse 1994, 1998, García Canclini 2005, Appadurai 1998, Hall 1992, Kraidy 2005). Wenngleich die Autoren unterschiedliche Perspektiven der Soziologie, Anthropologie oder der Cultural Studies einnehmen und in ihren Argumentationsgängen variieren, ist ihnen doch gemeinsam, dass sie auf die grundsätzliche Heterogenität kultureller Wandlungsprozesse unter dem Einfluss globaler Entwicklungen verweisen. Wenn Menschen, Ideen, Symbole und Güter heute immer leichter global zirkulieren können, folgt daraus keine eindimensionale Wandlungslogik der kulturellen Angleichung (Homogenisierung) oder Rückbesinnung auf kulturelle Traditionsbestände (Heterogenisierung). Vielmehr ist zu beobachten, dass diese Prozesse gleichzeitig ablaufen können.

Statt der Frage von Übernahme oder Ablehnung kultureller Praktiken entstehen häufig Mischformen, indem sich kulturelle Akteure Teile globaler Angebote zu eigen machen und in kreativer Eigenständigkeit neue Varianten entwickeln. Diskutiert wurden diese hybriden Praktiken vor allem am Beispiel des lokalen Umgangs mit globaler Populärkultur. In der Tradition der Cultural Studies stellt sich dabei insbesondere die Frage nach machtabhängigen Handlungsmöglichkeiten, also danach, wie frei lokale Individuen tatsächlich in ihrer Aneignung globaler Angebote sind – etwa vor dem Hintergrund postkolonialer Machtverhältnisse, die Einfluss auf Umfang und Richtung der Weiterverbreitung haben können oder in Zusammenhang mit der Abhängigkeit von lokalen wie globalen hegemonialen Deutungsmustern, die über die Art und Weise von Repräsentation und damit auch über die Möglichkeiten der individuellen Auseinandersetzung und Positionierung entscheiden können.

Die Forschung zur kulturellen Globalisierung zielt damit zwar bereits klar auf die Alltagswelt von Individuen, sie erklärt aber deren Kommunikationsprozesse noch nicht systematisch. Die Aneignung globaler Medienangebote beschreibt nur eine, nämlich indirekte beziehungsweise mittelbare Form der grenzüberschreitenden Beobachtung. Auch wenn wir uns mitunter von globalen Trends in unserem Alltagshandeln beeinflussen lassen, so führt dies im besten Fall zu einer Synchronisierung von Lebensstilen, nicht aber zu grenzüberschreitenden Dialogen. Mediale Berichterstattung über ferne Welten, weltweit ähnlich formatierte Unterhaltungsangebote oder globale Popkultur liefern uns nur erste Ansatzpunkte für ein selektives Wissen über die Welt. Daneben können Individuen in ihrer Lebenswelt etwa auf privaten oder beruflichen Reisen oder in multikulturellen Kontexten moderner Gesellschaften global interagieren. Die Gestaltung dieser Kommunikationssituationen ist wiederum abhängig davon, ob Individuen diese Erfahrungen alleine machen oder in Gruppen, beispielsweise mit der Familie, Freunden oder Kollegen, in welchen Gemeinschaftszusammenhang das Erfahrungswissen eingebettet wird und in welcher Nachhaltigkeit globale Kontakte weiterbestehen. So ist es ein Unterschied, ob das globale Wissen als Expertenwissen in der Berufsrolle des Einzelnen verbleibt oder zum Verhandlungsgegenstand einer lokalen Gemeinschaft wird. Entscheidend sind also nicht nur die Rollenmuster und Rahmenbedingungen globaler Interaktionen von Einzelnen, sondern auch lokale Weiterverarbeitungen globalen Wissens, das aus unterschiedlichen Kontaktsituationen entsteht und eher expliziten (z.B. Faktenkenntnis) oder impliziten Charakter (Erfahrungswissen) haben kann.