Grundlagen der globalen Kommunikation

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Das Verhältnis von Lebenswelt und System ist also unter den Bedingungen globaler Entwicklungen noch einmal ganz neu zu bewerten. Sozialsysteme haben gegenüber lebensweltlichen Akteuren den Vorteil, dass ihnen deutlich mehr Ressourcen für eine organisierte Beobachtung der Welt zur Verfügung stehen – unabhängig davon, wie gut oder umfangreich dieser Vorteil umgesetzt wird. Sowohl Individuen als auch Kleingruppen können die Welt jeweils nur selektiv beobachten und bereisen, während sich beispielsweise die Außenpolitik ein umfängliches Bild erarbeiten kann. Das Wissenschaftssystem kann wiederum detailreiches Faktenwissen erzeugen, wo Einzelne hauptsächlich Erfahrungswissen sammeln. In den meisten Fällen sind die Menschen in ihren privaten Alltagsexistenzen daher abhängig von den Wissenssystemen der Systeme, wenn es um ihre Globalisierungskompetenz geht.

Allerdings wäre es zu einfach, von einer einheitlichen Dominanz der Systeme über Lebenswelten auszugehen. Denn globale Entwicklungen sind gerade auch von den räumlichen Grenzüberschreitungen lebensweltlicher Akteure abhängig. Diese können für Einzelne erzwungene biografische Herausforderung darstellen (z.B. Arbeitsmigration), sie können aber auch emanzipatorischen Charakter haben, wenn private Auslandsreisen möglich werden oder die Referenzen alltagskultureller Orientierungen nicht mehr nur an den Nahraum des alltäglichen Wirkens gekoppelt sind (z.B. globale Fankulturen).

Lebensweltliche Akteure können gerade im Kontext ihrer je eigenen Welterfahrung ebenso Globalisierungsleistungen vollbringen. Mobile Gesellschaftseliten sind beispielsweise in der Lage, neue Balancen zwischen ihrer Eigenbeobachtung globaler Realitäten und jenen Beobachtungs-Beobachtungen der Massenmedien zu stiften. Ihr Spezialwissen kann für eine Gesellschaft in bestimmten Momenten globaler Konfliktpotenziale sogar ganz entscheidend sein (z.B. Länderexperten). Auch neue Kontakterfahrungen durch kurzfristige private globale Interaktionsmomente können stereotype öffentliche Diskurse zumindest im Privaten irritieren und zu Normkonflikten als Teil kultureller Transformationen beitragen. Schließlich erlauben die netzbasierten Medienumwelten vielen Menschen heute auch, sich selbst auf die individuelle Suche nach digitalen globalen Kontakten und globalem Wissen zu begeben, was nicht zuletzt wieder Einfluss auf die Dynamik globaler Netzwerke haben kann, wenn sich Menschen grenzüberschreitend sozial formieren.

Je nachdem, wie ausgeprägt die jeweiligen globalen Beobachtungs- und Interaktionsleistungen der unterschiedlichen lokalen Akteure sind, haben sie also auch einen variierenden Einfluss auf horizontale Interdependenzverhältnisse zu Lebenswelten jenseits der Grenzen wie auch anderen Sozialsystemen innerhalb wie außerhalb der eigenen staatlichen Grenzen. So kann die Weltbeobachtung des einen lokalen Akteurs mit der globalen Interaktionserfahrung des anderen Akteurs in Konflikt stehen. Es ist insofern nicht nur die Differenzierung der kommunikativen Modi, die uns helfen wird, die globale Verstehensleistung einzelner gesellschaftlicher Akteure zu charakterisieren, sondern es ist auch der jeweilige kommunikative Vermittlungsprozess zwischen gesellschaftlichen Akteuren, der uns die oft ambivalenten globalen Entwicklungen erklären kann.

Fazit: Horizontale und vertikale Interdependenzen im dominanten und akzidentellen Modus

Als Problem der Interdependenz erweist sich, dass die Theorie nicht international eingebunden ist. In der globalen Kommunikation werden die potenziellen Interdependenzen vervielfältigt, da zu den nationalen noch beliebig viele internationale Einflussgrößen kommen (vgl. Abbildung 1.4).

Abb. 1.4:

Globale kommunikative Interdependenzen

Am Ende lassen sich in der Vielfalt der sich überlappenden Interdependenzverhältnisse, die für die Analyse globaler Kommunikation wichtig sind, zwei zentrale Dimensionen ausmachen, die es im Blick zu behalten gilt:

 Horizontale globale Interdependenzen zwischen gleichen System-/Lebenswelttypen (z.B. Politik-Politik in der Diplomatie) stehen in einem dynamischen Wechselverhältnis zu vertikalen (lokalen und globalen) Interdependenzen zwischen ungleichen Systemen/Lebenswelten (z.B. Politik-Medien-Lebenswelten). Als Leitfrage kann hier gelten, ob die Prägung durch lokale Umwelten dort abnimmt, wo sich die globalen Beziehungen zwischen gleichen Systemen oder gleichen Lebenswelten intensivieren (siehe oben zum Beispiel Win-Win-Situationen der Außenpolitik im Unterschied zur lokalen Prägung der Massenmedien).

 Globale Distanzbeziehungen verleihen den Systemen durch ihre gesteigerten Mobilitätsressourcen eine dominante Stellung, wobei traditionell die Abhängigkeit der Medien von der Politik und der Menschen von den Medien hervorgehoben wird. Zugleich gibt es aber zahlreiche akzidentelle Mechanismen, mit denen sich vermeintlich schwächere Systeme (z.B. Massenmedien) und Lebenswelten (z.B. Gruppen und Gemeinschaften) unter Ausnutzung neuer horizontaler globaler Bindungen neue lokale Autonomiefreiräume und sogar einen inversen gesellschaftlichen Einfluss auf die Globalisierung verschaffen können.

2 Massenmedien und Weltöffentlichkeit

Zu den theoretischen Prämissen dieses Buches gehört es, dass der dominante Kommunikationsmodus von Massenmedien sich gegenüber anderen Sozialsystemen und Lebenswelten durch einige Eigenheiten auszeichnet, die auch für die globale, grenzüberschreitende Kommunikation prägend sind. Massenmedien stellen keine interaktive Beziehung zwischen Akteuren her wie in Politik, Wirtschaft oder Lebenswelten, sondern sie sind Beobachtungssysteme. Interaktion zwischen Massenmedien oder Medien und Rezipienten ist zwar möglich, der primäre Kommunikationsmodus bleibt aber monologisch-diskursiv. Massenmedien senden vornehmlich in eine Richtung, vom Produzenten zum Konsumenten. Hier entsteht also keine „Weltgemeinschaft“, sondern bestenfalls „Weltöffentlichkeit“.

Globale Kommunikation des Beobachtungssystems der Massenmedien muss daher anders konzipiert werden als bei Handlungssystemen, wo stets interaktive und beobachtende Kommunikationsmodi zu unterscheiden sind. Die größte Herausforderung der Theorie der Massenmedien besteht hingegen in der Ambivalenz des Diskursbegriffs. Mediale Diskurse sind monologisch, aber Medienproduzenten sind in der Lage, Vorstellungen verschiedener Gesellschaftsakteure so zu arrangieren, dass ein Als-Ob-Gespräch entsteht. Im globalen Rahmen ist hierfür im Theoriekapitel der Begriff der Synchronisation von Weltöffentlichkeit geprägt worden. Die Kernfrage lautet hier also nicht, wie bei anderen Sozialsystemen, in welchem Verhältnis interaktive und beobachtende Kommunikationsmodi zueinander stehen, sondern ob die beobachtende Kommunikation konsistent praktiziert und ein globaler Diskurs durch die Medien ermöglicht wird.

Die Gliederung des nachstehenden Kapitels ergibt sich aus diesem Grundproblem, da gemäß unserem System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz zunächst die Grundstruktur des Systems der Massenmedien vorgestellt werden muss, dann seine Diskurs- und Synchronisationsleistung, bevor in einem abschließenden Unterkapitel die Frage gestellt wird, ob Leistungen und Defizite der globalen Massenkommunikation heute geeignet sind, eine synchronisierte Weltöffentlichkeit zu erzeugen. Hier werden neben funktionalistisch-systemtheoretischen auch normative demokratische und kosmopolitische Konzepte diskutiert.

In der theoretischen Eigenständigkeit liegt wohl auch die Ursache, warum globale Massenkommunikation der bei Weitem am stärksten erforschte Bereich der globalen Kommunikation ist. Während etwa interpersonale Kommunikation und soziale Kommunikation bis heute eher ein Randdasein in der Kommunikationswissenschaft fristen, ist diese über lange Jahre und gerade in der euro-amerikanischen Tradition vor allem eine „Publizistikwissenschaft“ geblieben (Averbeck-Lietz 2010). In der Kommunikationswissenschaft wie auch in anderen Sozial- und Geisteswissenschaften hat dabei die Vorstellung von vorgeblich global verfügbaren Medien, die Bürger und Bürgerinnen in Echtzeit über den hintersten Winkel der Welt informieren, einen festen Platz, der den Zeitgeist nachhaltig geprägt hat. Die Vorstellung von der globalen Kraft neuer Technologien wie dem Satellitenfernsehen oder dem Internet gehört neben der Transnationalisierung der Wirtschaft zu den Zentralmythen der Globalisierungsdebatte.

Diese Vorstellung hat jedoch eine gewisse Gegnerschaft auf den Plan gerufen, so dass globale Massenkommunikation heute wohl nicht nur das größte, sondern auch das kontroverseste Feld der globalen Kommunikationsforschung ist. Umstritten ist bis heute etwa,

 inwieweit Massenmedien transnationale Organisationsstrukturen entwickelt haben oder ob sie primär lokal (vor allem national) geblieben sind,

 inwieweit globale oder lokale Medienethiken und Professionsstandards vorherrschen,

 inwieweit Massenmedien primär auf globale oder lokale Märkte ausgerichtet sind,

 inwieweit globale oder nationale rechtliche und politische Rahmenbedingungen entscheidend sind

 und inwieweit dies alles mit einer globalen Homogenisierung beziehungsweise Synchronisation oder aber einer fortgesetzten lokalen Heterogenität der Mediendiskurse zusammenhängt (Flew 2007, S.26f., Hafez 2005, McMillin 2007, S.8ff., Kübler 2011, S.28ff.).

Zur Debatte steht damit letztlich die Frage, ob die neuen technischen Möglichkeiten der Digitalisierung wirklich eine neuartige Globalisierung haben entstehen lassen oder ob es sich nicht primär um Akzentverschiebungen handelt, die am Grundzustand der globalen Kommunikation wenig ändern. Mittlerweile haben sich Strömungen in der Wissenschaft gebildet (Williams 2011, S.21ff., Hafez 2005, S.9ff., Ulrich 2016, S.45ff.), wobei „Globalisierungsoptimisten“ von einer fortschreitenden Konvergenz von Strukturen und Inhalten ausgehen, „Globalisierungspessimisten“ oder „-realisten“ hingegen von einem sich neutralisierenden Wettlauf von lokalen und globalen Strukturen und Diskursen. Das folgende Kapitel versucht diese verschiedenen Forschungsstandpunkte auf allen analytischen Ebenen – Struktur, Diskurs, Öffentlichkeitstheorie – zu bündeln und zu resümieren. Ziel ist es, bei der Analyse der Widersprüche der globalen Massenkommunikation über pauschale und ungenaue Vorstellungen einer „Glokalisierung“ (vgl. Kap. 1.2) hinauszugehen und grundlegende Tendenzen möglichst klar herauszuarbeiten. Der deutsche Soziologe Ulrich Beck hat im Kontext der Globalisierungsdebatte zu Recht bemerkt, dass mit der einfachen Formel der „Dialektik“ bereits einmal in der Geschichte „das klare Denken verabschiedet“ wurde (1997, S.91) – ein Fehler, den wir hier auf keinen Fall wiederholen wollen.

 

2.1 Systeme und Systemwandel

Ein Grundmodell der globalen Massenkommunikation

Massenmedien bilden komplexe Systeme, die aus den Journalisten und Journalistinnen und ihren professionellen Beziehungen einschließlich der Professionsethik (Mikroebene), den Medienhäusern und ­‑redaktionen (Mesoebene) sowie den für das Mediensystem bedeutsamen Umweltbeziehungen zu anderen Teilsystemen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft (v.a. Publika) bestehen (Makroebene). Innerhalb der Mesoebene existieren Austauschbeziehungen zwischen den Medien, etwa durch ökonomische Verflechtungen, Informationsbeschaffung oder der Orientierung an journalistischen Meinungsführern, wobei etwa Nachrichtenagenturen eine herausragende Stellung einnehmen. Zwischen den Medienorganisationen und ihren Umweltsystemen der Politik und der Wirtschaft sowie ihren nicht-organisierten Systemumwelten des Publikums herrschen Interdependenzbeziehungen. Die Politik zum Beispiel agiert insofern als gesellschaftliches Supersystem (Gerhards/Neidhardt 1990, S.8f.), als es das Mediensystem rechtlich und politisch reguliert und kontrolliert, wobei allerdings auch die Politik von ihrer Darstellung in den Medien abhängig ist. Die Wirtschaft ist in einer Doppelrolle, da sie einerseits über die Besitzverhältnisse Teil des inneren Mediensystems ist, zugleich jedoch dem Mediensystem, ähnlich wie das zahlende Publikum, ökonomische Ressourcen zuführt, etwa über Werbeeinnahmen. Die Beziehungen des Mediensystems zu seinen Umwelten sind nicht zuletzt abhängig vom Charakter des jeweiligen politischen Systems und sind in einem freiheitlichen System (Demokratie) am besten durch ein Fließgleichgewicht von Autonomie und Anpassung zu beschreiben. Das Mediensystem erbringt eine eigenständige (kritische) Beobachtungsleistung für die Gesellschaft, ist zugleich aber Einflüssen seiner Umwelten ausgesetzt, die seine Autonomie einschränken (Kunczik 1984, Marcinkowski 1993, Hafez 2002a, Bd.1, S.123ff.).

Während im nationalstaatlichen Rahmen auf diese Art integrierte Mediensysteme entstehen, existiert ein globales Mediensystem (bisher) nicht. Die allermeisten Massenmedien dieser Welt sind auf nationale oder noch kleinere lokale Publika ausgerichtet und sprachlich eingeschränkt. Dies gilt auch für die globale Massenkommunikation, wo diese als „Auslandsberichterstattung“ Teil der nationalen Mediensysteme ist, da hier nationale Medien die Welt für nationale Publika aufbereiten. Nationale Auslandsberichterstattung, bei der nationale Heimatredaktionen mit Hilfe von Auslandskorrespondenten und -korrespondentinnen und den ihnen zur Verfügung gestellten Informationen von Nachrichtenagenturen Auslandsnachrichten produzieren, ist noch immer die dominante Form des globalen Journalismus und der Mediennutzung (siehe unten). Die Synchronisation der „Weltöffentlichkeit“ wird also grundlegend von „egozentrischen“, das heißt dezentralen nationalen Mediensystemen geleistet. Mediensysteme – und dies hängt eng mit ihrem Hang zur diskursiven statt zur interaktiven Kommunikation zusammen – sind tendenziell egozentrischer als politische oder wirtschaftliche Systeme. Organisierte Sozialsysteme haben, wie wir noch sehen werden, einen Teil ihrer Souveränität zugunsten transnationaler Diplomatieräume, globaler Governance-Strukturen und transnationaler Produktions- und Eigentumsverhältnisse aufgegeben.

Auch dort, wo Rezipienten und Rezipientinnen (auf der Makroebene) über technische Wege wie etwa den direktempfangbaren Satellitenrundfunk Grenzen überschreiten und die Medien anderer Länder nutzen, haben sich zwar die Medienräume des Publikums über Staatsgrenzen hinaus ausgedehnt. Die politische Regulierung wird aber – ungeachtet gewisser grenzüberschreitender medienpolitischer Bestrebungen und politischer PR, die über Nachrichtenagenturen weltweit verbreitet wird – weiterhin vom jeweiligen Nationalstaat ausgeführt, nicht aber von einem transnationalen Staat, den es ja lediglich in Ansätzen etwa im Rahmen der Europäischen Union gibt. Auch auf der Mesoebene können Medien durch Im-/Export Austauschbeziehungen pflegen, es kann internationale Leitmedien (wie die New York Times) geben und es können sogar, wie im Cross-Border-Journalismus, grenzüberschreitende Gemeinschaftsprojekte durchgeführt werden. Aber auch hier bleiben die regulierenden Umweltsysteme stets national geprägt. Auf der theoretischen Mikroebene können Journalisten und Journalistinnen sich an universellen Ethiken und Professionsverständnissen, einschließlich ästhetischer und stilistischer Standards, orientieren (siehe unten) – sie bleiben dennoch Angestellte im rechtlichen Rahmen eines bestimmten Nationalstaats.

Die lokale Restbindung bei allen Formen der globalen Massenkommunikation ist prinzipiell auch bei Medien vorhanden, die sich programmatisch als „globale Medien“ verstehen und die vielfach als Ausweis eines transnationalen Mediensystems betrachtet werden – es aber letztlich nicht sind. Die Fernsehsender CNN, Al-Jazeera English oder BBC World News agieren beispielsweise weltweit, sind aber politisch an ihre Heimatsysteme gebunden. Noch deutlicher wird dies beim sogenannten „Auslandsrundfunk“, also von Staaten etablierten Medien, die in verschiedenen Sprachen senden (z.B. Deutsche Welle, Voice of America, RT, BBC World Service) und die ihren politischen Auftrag als Teil der Public Diplomacy ihrer Heimatländer nicht leugnen können. Ein globales Mediensystem, das nicht in der einen oder anderen Weise an bestimmte Nationalstaaten gebunden wäre, bleibt auch im 21.Jahrhundert weitgehend eine Utopie (Hafez 2005, S.25).

Um den Grundaufbau globaler Massenkommunikation zu verstehen, ist es daher sinnvoll, drei verschiedene Dimensionen zu unterscheiden (Abbildung 2.1). Globale Massenkommunikation ist kein geschlossenes globales System, sondern es besteht aus:

 nationalen Mediensystemen (v.a. Auslandsberichterstattung),

 die sich internationaler Kommunikationsflüsse bedienen (z.B. durch Nachrichtenagenturen, Auslandskorrespondenten, Im-/Exporte) und

 die durch einzelne transnationale Medienstrukturen (globale Ethiken, gemeinsame Produktionen, grenzüberschreitende Rezeptionen und Regulationen) ergänzt werden.

Globale Kommunikationsflüsse bilden kein globales Mediensystem aus, sondern die lokalen/nationalen Systeme bleiben intakt, sind aber globalen Einflüssen ausgesetzt und bilden zusätzlich transnationale Netzwerkstrukturen aus.

Abb. 2.1:

Dimensionen der globalen Massenkommunikation

Als Leitsatz lässt sich formulieren, dass die nationalstaatliche Systemprägung der Massenmedien und des Journalismus auf allen Ebenen noch immer stärker ist als die globale (Hafez 2002a, Bd.1, S.134ff.). Es dominieren in aller Regel nationale Ethiken und Sozialisationen des Journalismus (Mikroebene), nationale Organisationsformen und Besitzverhältnisse (Mesoebene) und nationale Publika und Umwelteinflüsse (Makroebene). Die Globalisierung ist im Bereich der Massenmedien zumeist strukturschwach geblieben und von einem grenzüberschreitenden Zusammenwachsen der Mediensysteme kann generell nicht die Rede sein.

Zugleich können sowohl die internationalen Kommunikationsflüsse als auch die transnationalen Teilstrukturen durchaus dynamisch sein. Ob sich national geprägte Systeme oder global beeinflusste Prozesse stärker auf den Mediendiskurs auswirken, ist nach unserem theoretischen Grundmodell des System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatzes nicht ohne empirische Prüfung nachweisbar. Zudem ist es zwar unwahrscheinlich, dass der Primat nationaler Mediensysteme beendet wird, bevor sich der Nationalstaat weltweit auflöst, was derzeit nicht zu erwarten ist. Dennoch ist selbst ein Systemwandel im Feld der Massenmedien in der Zukunft nicht ausgeschlossen.

Erste Anzeichen hierfür zeigten sich in der Debatte über die „Neue Weltinformationsordnung“ an der Wende zu den 1980er Jahren. Hier wurde der dominante Informationsdruck beklagt, den vor allem die großen westlichen Nachrichtenagenturen sowie die Musik- und Filmindustrien auf den Rest der Welt ausüben (Many Voices – One World 1980). Zwischen diesem vor allem durch die Supermacht USA geprägten Einfluss und den „subalternen Gegenflüssen“ (Contra Flows) durch die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas besteht bis heute ein erhebliches Gefälle (Thussu 2010, S.222f., 234). Angesichts der ungleichen kulturellen Machtverhältnisse von einer „multi-zentrierten“ (multi-centered) Globalisierung zu sprechen (Butsch 2019, S.214ff.), scheint daher verfrüht. Die starke weltweite Präsenz vor allem westlicher Kommunikate ist kein Widerspruch zur Nichtexistenz eines globalen Mediensystems, sondern verweist auf die möglicherweise zunehmende Wirkung internationaler Systemumwelten, die zwar nicht als organisierte Umweltsysteme mit formaler politischer und rechtlicher Regulationsmacht in Erscheinung treten (siehe unten), aber die Informationsumwelt nationaler Mediensysteme prägen. Die noch immer vorhandene Dominanz nationaler Systeme, aber auch die internationalen Kommunikationsflüsse und transnationalen Teilstrukturen der globalen Massenkommunikation sollen im Fortgang des Kapitels auf allen Ebenen – von der Professionsethik, der medialen Produktion und Rezeption bis zu politischen und wirtschaftlichen Umweltfaktoren der Mediensysteme – erörtert werden.

(Trans-)Nationale Medienethik und Professionalismus

Professioneller Journalismus lässt sich durch Wertebezüge von Journalisten, Medien und journalistischen Standesvertretern (wie Presseräten) beschreiben, die das Medienhandeln beeinflussen. Diese Werte sind sowohl in der formalen Ethik (Ethikkodizes) wie auch in informellen Praktiken der Medienschaffenden nachweisbar. Vergleichende Länderstudien lassen Ähnlichkeiten wie auch Unterschiede zwischen nationalen und regionalen journalistischen Ethiken erkennen (u.a. Hanitzsch 2006, d’Haenens et al. 2014, Löffelholz/Weaver 2008, Hafez 2002b, 2003b). Ganz generell sind starke Übereinstimmungen formaler Ethik im Kernbereich der Objektivität und Wahrheitssuche und größere Unterschiede bei Freiheitsnormen sowie Individualitäts- und Gemeinschaftsbezügen des Journalismus feststellbar (Christians/Traber 1997). Die Differenzen der Medienethiken in Mediensystemen sind allerdings fluide und dynamisch und professionelle Rollenmodelle können interkulturelle „Ansteckungswirkungen“ und Demonstrationseffekte erzeugen, die auch bei journalistischen Routinen wie Nachrichtenwerten oder in der journalistischen Gestaltungsästhetik zu beobachten sind (Machin/von Leeuwen 2007, S.8f., Sklair 1995, S.159f.). Der transnationale Fernsehsender Al-Jazeera ist auch deshalb als „arabisches CNN“ bezeichnet worden, weil er eine ähnliche Präsentationsweise wie sein westliches Pendant benutzte.

Man darf die Harmonisierung von Professionsstandards allerdings nicht mit einer Harmonisierung von Inhalten verwechseln. Selbst bei identischen Objektivitätsstandards werden Themenselektion und -interpretation des Journalismus systemisch sehr unterschiedlich geprägt (vgl. Kap. 2.2.1). Gerade in Kriegs- und Krisenzeiten sind geradezu konträre Mediendiskurse keine Seltenheit und die Synchronisation der globalen Öffentlichkeit bleibt unterentwickelt. Nur eine Vorstellung wie die von Marshall McLuhan, wonach das Medium selbst die Botschaft ist (McLuhan 1964), kann die inhaltlichen Differenzen ausblenden und aus der transnationalen Konvergenz der journalistischen Profession eine Globalisierung von Massenkommunikation im „globalen Dorf“ ableiten (vgl. Kap. 1.1). Wie wenig eine solche Analyse allerdings trägt, wird daran deutlich, dass internationale Ethikkodizes bislang kaum existieren und nationale Werte wie Internationalismus oder Kosmopolitismus in nationalen Kodizes kaum erwähnt werden (Hafez 2008, S.160f.). Die Formulierung einer globalen, kosmopolitischen und/oder postkolonialen Medienethik bleibt also eine Zukunftsaufgabe (Ward/Wasserman 2010).

 

(G)lokale Medienproduktion

Es ist sinnvoll, zunächst einmal nationale und transnational ausgerichtete Massenmedien zu unterscheiden. Die durch nationale Medien produzierte Auslandsberichterstattung erzielt dabei größere Reichweiten als die transnationalen Medien. Nationale Auslandsberichterstattung steckt zwar weltweit in einer durch die Digitalisierung, Einnahmenrückgänge und Ressourcenknappheit entstandenen Krise, die sich vor allem in einem Abbau von Korrespondentenstellen bemerkbar gemacht hat (Lewis 2010). Dies ändert jedoch nichts an der prinzipiell starken Stellung der nationalen Auslandsberichterstattung. Transnational agierende Medien sind für die meisten Rezipienten eher Ergänzungen als ein Ersatz und der gesamte Marktanteil von Fernsehsendern wie CNN, Al-Jazeera English oder BBC World sowie für europäische Sender wie Euronews, Eurosports oder Fashion TV, um nur einige Beispiele zu nennen, kann auf maximal 10Prozent geschätzt werden (Chalaby 2009, S.118), dürfte jedoch tatsächlich noch niedriger liegen. Zwar sind transnationale Medien weltbekannt und verfügen als Leitmedien innerhalb des Journalismus und Referenzmedien von Informationseliten unter den Rezipienten (siehe unten) über einen gewissen meinungsführenden Einfluss (Samuel-Azran 2009), ihre Marktanteile sind aber oft sehr klein, was zur Folge hat, dass viele dieser Medien defizitär wirtschaften und von ihren Heimatstaaten subventioniert werden. Es wird zudem noch zu untersuchen sein, ob diese transnational agierenden Sender globale Diskurse besser repräsentieren können als nationale Massenmedien (Chalaby 2009, S.228, vgl. Kap. 2.2.1).

Die starke Stellung nationaler Medien wird allerdings durch globale Kommunikationsflüsse und neue transnationale Strukturen relativiert. Der nationale Nachrichtenjournalismus wird seit einiger Zeit durch verschiedene Projekte des grenzüberschreitenden „kollaborativen Journalismus“ ergänzt, der etwa anlässlich der „Panama Papers“ bekannt geworden ist (Alfter 2016, 2019, Heft 2019). Da diese Projekte eher Ausnahmen darstellen, bleibt der nationale Journalismus weiterhin dominant und der Cross-Border-Journalismus stellt ebenso wie die transnationalen Medien allenfalls eine Ergänzung als eine echte Alternative dar (Grieves 2012, S.169). Vor allem im Nachrichtengeschäft gilt die Regel, dass sich transnationale Medienstrukturen nur sehr schwer etablieren lassen, da immer die Notwendigkeit sprachlicher, personeller und inhaltlicher Anpassungen an die diskursiven Interessen und Gewohnheiten von Konsumenten in den jeweiligen Ländern zu bestehen scheint.

Zugleich zeigt sich – dies ist eine weitere wichtige Relativierung der nationalen Produktionsverhältnisse –, dass fiktionale Unterhaltung schon immer stärker vom Im- und Export geprägt gewesen ist als das Nachrichtenwesen. Bekanntestes Beispiel hierfür sind Hollywoodfilme, aber auch lateinamerikanische Telenovelas, die weltweit verbreitet sind. Im Vergleich zu dem durch nationale Präferenzen gekennzeichneten Nachrichtengeschäft kann man den Unterhaltungsbereich als Kernbereich der Globalisierung und einer hybriden Kulturentwicklung bezeichnen, da hier nationale Produktionen zwar stark bleiben, aber mitunter weniger vorherrschend sind (Hafez 2005, S.115ff., Straubhaar 2014). Allerdings sind auch die Unterhaltungsindustrien der Medien noch immer stark lokal ausgerichtet (Kawashima/Hye-Kyung 2018). Nationale Produktionen besitzen gerade im Fernsehbereich die größten Reichweiten, weswegen man die Internationalisierung der Unterhaltungsindustrie nicht überschätzen darf (Flew 2007, S.127, Hafez 2005, S.115ff., Straubhaar 2007). Die großen Filmindustrien in Indien (Bollywood), in der arabischen Welt, in China, Iran oder Trickfilmproduktionen aus ostasiatischen Ländern sind auf ihren lokalen Märkten jeweils dominant.

Es ist ihnen allerdings auch gelungen, im internationalen Exportgeschäft einen globalen Contra Flow zu etablieren, der der weiterhin bestehenden amerikanischen Filmdominanz immerhin Konkurrenz macht (Thussu 2019, S.191ff.). Die These von einem westlichen „Kulturimperialismus“ durch Globalisierung ist zu vereinfachend, da sie weder die gleichzeitig stattfindende Modernisierung nationalsprachlicher Kulturen noch die Globalisierungspotenziale des globalen „Südens“ berücksichtigt (Hafez 2005, S.128ff.).

Globale Rezeptionskluft: Informationsmassen und -eliten

Rezeption (Makroebene) ist neben der Ethik (Mikroebene) und der Produktion (Mesoebene) ein wesentliches Strukturmerkmal der globalen Massenkommunikation. Mediensysteme transnationalisieren sich schon deshalb nur sehr zögerlich, weil nationale Medien von den allermeisten Konsumenten noch immer bevorzugt werden. Die „relative Bedeutungslosigkeit“ (relative unimportance, Sparks 2016, S.61) transnational ausgerichteter Sender hat ihre Ursache im nationalen Rezeptionsverhalten eines Großteils des Publikums. An diesen Rezeptionsstrukturen hat sich auch in der Ära des direktempfangbaren Satellitenrundfunks seit den späten 1980er Jahren und des Internets seit den 1990er Jahren nichts Wesentliches geändert (Wessler/Brüggemann 2012, S.98ff.). Bei aller notwendigen Vorsicht gegenüber Zahlen der globalen Reichweitenforschung, die oft von den Unternehmen selbst verbreitet werden und nicht immer präzise sind (Zöllner 2004), lässt sich dennoch sagen: Sowohl die Nutzung transnationaler Medien (wie CNN, BBC World usw.) als auch die grenzüberschreitende Nutzung anderer nationaler Medienangebote bleiben ein Randphänomen der Mediennutzung (Hasebrink/Herzog 2009). Diese Erkenntnis ist keineswegs trivial, sondern eminent bedeutsam. Da, wie wir noch sehen werden, nationale Auslandsbilder häufig eine negative oder zumindest stereotype Prägung aufweisen, werden auch die Konsumenten durch den primär nationalen Medienkonsum verstärkt negativen Stereotypen ausgesetzt (vgl. Kap. 2.2.1). Die globale Rezeptionskluft ist zu einem nicht geringen Teil für die Problematik von Nationalismus und Rassismus bis hin zum rechtspopulistischen Angriff auf die Globalisierung verantwortlich.

Allerdings gibt es auch hier einige bemerkenswerte Ausnahmen und Gegentrends zu der allgemeinen Regel der nationalen Mediennutzung, die sich an Sondersituationen (Sprachräumen und Auslandsrundfunk) sowie an Sondergruppen (Migranten und globalen Eliten) festmachen lassen. Medien werden grenzüberschreitend vor allem in geolinguistisch homogenen Sprachräumen genutzt, wenn diese mehrere Nationalstaaten umfassen, etwa im deutschsprachigen (Deutschland, Österreich, Schweiz) oder im arabischsprachigen oder spanischsprachigen Raum mit jeweils mehr als zwanzig Ländern (Sinclair et al. 1996). Die Entwicklung des Satellitenrundfunks und des Internets hat diese „kleine Grenzüberschreitung“ begünstigt, sie ist aber im Prinzip deutlich älter und hat mit gemeinsamer Geschichte und Sprachverwandtschaft zu tun. Da diese Nutzungsform nicht global ist, sondern in historisch tradierten Kulturräumen verbleibt, ist es fraglich, ob man diese Form der Regionalisierung als Globalisierung bezeichnen kann. Einerseits werden nationale Grenzen überschritten. Andererseits wird die Vorstellung von „Kulturkreisen“ technisch wiederbelebt, was einer kosmopolitischen und universellen Vorstellung von Globalisierung im Wege steht (Hafez 2005, S.98ff.).