Grundlagen der globalen Kommunikation

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Eine weitere Sondersituation der Mediennutzung entsteht durch den multilingualen Auslandsrundfunk, zum Beispiel BBC World Service (UK), RT (Russland), Voice of America (USA), Deutsche Welle (Deutschland), Radio China International (China) (Carvalho 2009). Auch die monolingualen Mittelschichten, die keine fremdsprachlichen Medien nutzen, können sich dem Auslandsrundfunk zuwenden (Chouikha 1992). Vor allem die Attentate des 11. September 2001 haben zu einer Vergrößerung der Angebote und zu einem neuen Wettlauf zwischen den Groß- und Mittelmächten geführt (Hafez 2005, S.159ff.). Trotz dieser Bemühungen ist grenzüberschreitende Mediennutzung allenfalls eine ergänzende Komponente im Medienmenu der meisten Menschen und kein Beleg für eine starke Globalisierung.

Eine solche kann sich allerdings bei Sondergruppen wie globalen Eliten einstellen, die im Bereich von Politik, Wirtschaft und Kultur permanent selbst Grenzen überschreiten und mobil sind und daher auch in einem höheren Maß als andere Menschen Medien außerhalb ihrer Herkunftsländer nutzen (Wessler/Brüggemann 2012, S.98f., Hafez 2005, S.87f.). Eine herausragende, zugleich aber sehr spezielle Rolle innerhalb der globalen Informationseliten nehmen Migranten ein, die oft regelmäßig Medien jenseits ihres Wohnortes – aus ihren Herkunftsländern oder im Rahmen der Diaspora – nutzen (Galal 2014, Robins/Aksoy 2015). Es ist schwer, die genaue Größe der globalen Informationseliten zu bestimmen, aber selbst bei geringer Zahl dürfte der qualitative Einfluss dieser „Kosmopoliten“ auf die Gesellschaft groß sein. Gerade Migranten können ihre multikulturellen Medienmenus dazu einsetzen, eine transkulturelle Subjektivität an der Schnittstelle von Medienglobalisierung und Postkolonialismus auszubilden, was bislang allerdings viel zu wenig erforscht ist (Merten/Krämer 2016, vgl. a. Brennan 2008). Dennoch liegt hier auch ein häufiges Missverständnis begründet, da solche mobilen Eliten dazu neigen, ihren eigenen kosmopolitischen Medienstil für eine generelle Entwicklungstendenz zur Globalisierung zu halten, während dieser in Wirklichkeit eine Besonderheit darstellt.

Umweltsystem Politik: Nationalstaatliche Hegemonie

Globale Medienpolitik ist ein Spiegelbild des noch immer stark national geprägten Rezeptionsverhaltens der meisten Menschen. Wo Medien nur selten über Grenzen hinweg genutzt werden, braucht es auch keine globale rechtliche und politische Medienregulierung. Transnationale rechtliche Regulierungen sind beschränkt auf wenige kommerzielle oder technikpolitische Felder. Das Abkommen zum Schutz geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsordnung (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, TRIPS) verbietet zum Beispiel Raubkopien. Die EU-Fernsehrichtlinie harmonisiert unter anderem nationale Vorschriften für Werbung, Sponsoring und Teleshopping. Die International Telecommunication Union (ITU) und die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) regeln technische Rahmenbedingungen des Satellitenrundfunks und des Internets. Eine steigende Anzahl der Akteure scheint vordergründig auf eine wachsende Bedeutung der globalen Medienpolitik zu verweisen. Es dominiert aber weiterhin eine „techno-funktionale Perspektive“ (Berghofer 2017, S.365), die zwar technische Fragen global regelt, Medienpolitik aber darüber hinaus im Wesentlichen als Kulturpolitik definiert und die Eigenständigkeit der Nationalstaaten nicht antastet. Sogar die Europäische Union, der wohl ambitionierteste Staatenbund der Erde, belässt die Regulierung der Medien weitgehend bei den Einzelstaaten (Michalis 2016), was zu seltsamen Verwerfungen insofern führt, als eine Reihe von europäischen Staaten in den internationalen Medienfreiheitsrankings (Freedom House, Reporter Ohne Grenzen) nur als „teilweise frei“ eingestuft werden (Italien, Polen, Ungarn usw.), weil die dortigen Regierungen die Medienfreiheit zu stark einschränken, Brüssel oder Straßburg aber kaum etwas dagegen unternehmen.

Globale Medienpolitik bleibt also, abgesehen von einigen kapitalistischen und technischen Rahmenbedingungen der Medien, gerade im Kern der Medienfreiheits- und Konzentrationspolitik weitgehend in den Händen des Nationalstaates (Hafez 2005, S.189ff.). Dies führt in der „Ära der Globalisierung“ ironischerweise immer mehr dazu, dass Meinungs- und Medienfreiheit weltweit durch autoritäre Regimes und autoritäre Tendenzen auch innerhalb von Demokratien bedroht werden (Freedom House 2019). Die Synchronisation einer grenzüberschreitenden Weltöffentlichkeit wird strukturell durch die Hegemonie nationaler Medienpolitik gefährdet (Heft/Pfetsch 2012, S.158f.). Medienfreiheit bleibt daher letztlich ein Privileg vielsprachiger Informationseliten, die sich im Fall der Bedrohung der inneren Medienfreiheit durch Auslandsmedien informieren, wobei sich der Nationalstaat auch hier durch Internetzensur oder die Störung ausländischer Satellitenmedien Geltung verschaffen kann.

In der jüngeren Forschung findet angesichts der Beharrlichkeit des Nationalstaates ein Umdenken statt. Die bis dato verbreitete Kritik am „methodischen Essenzialismus“ (Couldry/Hepp 2009, Kleinsteuber 1994) einer auf den Nationalstaat fokussierten vergleichenden Mediensystemforschung wird nun ihrerseits als zu globalisierungsoptimistisch in Frage gestellt (Flew et al. 2016, S.5). Natürlich kann man einwenden, dass staatliche Medienregulierung nur begrenzt effektiv ist. Gerade im Bereich des Internets haben Unternehmen wie Google und Facebook immer wieder Kritik von nationalen Regierungen ignoriert, was für eine Vorherrschaft globaler Internetkonzerne zu sprechen scheint (Iosifidis 2016, S.23). Im Ernstfall aber, das hat das Beispiel der Türkei unter Präsident Erdogan gezeigt, als dieser YouTube und Facebook abschaltete, sitzt der Staat am längeren Hebel und kann sich durchsetzen. Die Gegenkritik am „methodischen Globalismus“ eines Teils der Kommunikationswissenschaft (Waisbord 2014, S.30) stützt sich auf diese ultimative Souveränität des Nationalstaats in Medienfragen. Dass der Staat mit globalen Herausforderungen im Medienbereich zu kämpfen und auch regulatorische Zugeständnisse gemacht hat, heißt nicht, dass die transnationalen Medienstrukturen das nationale Mediensystem und seine Kontrolle der internationalen Kommunikationsflüsse letztlich beseitigt haben.

Umweltsystem Ökonomie: Grenzen der Transnationalisierung

Globale Teilstrukturen lassen sich auch im Feld der Medienökonomie erkennen. Vor allem amerikanische Medienkonzerne (z.B. Walt Disney, News Corporation, Netflix, Thomson Reuters), aber auch französische (z.B. Vivendi) und deutsche (z.B. Bertelsmann) Global Players, sind aktive Exporteure von Unterhaltungskultur und tätigen Direktinvestitionen in vielen Mediensystemen dieser Welt. Hinzu kommen in den letzten Jahren oft rasant wachsende Firmen im Bereich der Telekommunikation, des Internets und der Informations- und Kommunikationstechnologie aus den USA (z.B. AT&T, Google, Facebook, Amazon) und China (z.B. Tencent, Baidu). Rechnet man die ohnehin starke Stellung am Weltnachrichtenmarkt durch die großen westlichen Nachrichtenagenturen wie Reuters, AFP, AP sowie die begrenzten, aber immerhin sichtbaren Reichweiten westlicher Sender wie CNN hinzu, dominieren Großmächte den globalen Medienmarkt. Bei Suchmaschinen als nicht-klassischen Massenmedien landen mehr als 60Prozent aller Anfragen bei Google, die zusammen mit Yahoo, Baidu und Microsoft 80Prozent Marktanteil besitzen (Winseck 2011, S.36f.). Insbesondere links-kritische Medienwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen haben solche Zahlen immer wieder zum Anlass genommen, vor einem westlichen Medienimperialismus unter dem Deckmantel von Globalisierungspolitik zu warnen (Herman/McChesney 1997, McPhail 2010, Artz/Kamalipour 2003).

Gegen die These der westlichen globalen Mediendominanz haben revisionistische Wissenschaftler eingewendet, dass die großen Weltkonzerne trotz ihres Einflusses in einzelnen Bereichen weit davon entfernt sind, ganze Medienmärkte zu beherrschen. Die Transnationalisierung des Medienkapitals kennt klare Grenzen und in den national geprägten Mediensystemen dieser Welt dominiert nach wie vor nationales (und zum Teil regionales) Medienkapital (Flew 2007, 2009, 2011, Hafez 2005, Compaine 2002, Rugman 2002), was im Übrigen sogar die Vertreter der westlichen Dominanzthese gelegentlich einräumen (Herman/McChesney 1997, S.9). Statt eines homogenen globalen Medienmarktes existiert heute ein Flickenteppich nationaler und regionaler Märkte, in die transnationale Teilstrukturen und Handelsbeziehungen eingebettet sind. Terry Flew spricht hier von einer „statistischen Illusion“ (2007, S.82), da die imposanten internationalen Gewinne mit noch größeren lokalen Gewinnen an den Stammsitzen der Konzerne (also vor allem in den USA und Europa) verglichen werden müssten. Medienkonzerne sind demnach weitaus weniger global als Unternehmen in anderen Branchen, weswegen die Branche eher ein „Nachzügler“ (laggard) als ein Vorreiter der Globalisierung ist (Flew 2007, S.87, 208, vgl. a. Hafez 2005, S.212).

Das zweite analytische Versäumnis besteht darin, dass der betriebswirtschaftliche Blick auf einzelne Mediengiganten noch nichts über volkswirtschaftliche Marktanteile aussagt. Letzteres ist aber entscheidend, um den realen Einfluss der Global Players zu messen, die den lokalen „Provinzfürsten“ des Medienkapitals in Wahrheit in den meisten Ländern unterlegen sind (Hafez 2005, S.213ff., vgl. a. Birkinbine et al. 2017, S.109ff.). Vieles spricht sogar dafür, dass trotz steigender ausländischer Direktinvestitionen auf Grund der rapide gewachsenen lokalen Medienmärkte US-Konzerne heute weniger einflussreich sind als am Ende des 20.Jahrhunderts: gerade im Presse-, Fernseh- und Nachrichtenbereich dominiert in aller Regel das „territorialisierte Kapital“ (territorialized capital) (Christophers 2014, S.369). Große indische Konzerne wie Doordashan haben auf globale Konkurrenz (z.B. Rupert Murdochs Sky TV) mit einer Ausweitung ihres regionalen Angebotes reagiert; Ähnliches ereignete sich in Hongkong, Malaysia und in Lateinamerika; Staaten wie China und Indonesien quotieren internationale Programmimporte (McMillin 2007, S.105ff.). In arabischen Ländern besitzen ausländische Medienkonzerne schon aus politischen Gründen eher stilles Medienkapital, keine Anteilsmehrheiten und sind daher weder inhaltlich noch politisch entscheidend (Sakr 2001, S.97). Selbst der globale Fernsehformathandel besteht aus Kooperationen von transnationalen Unternehmen mit lokalen Partnern (Grüne 2016). Insgesamt gesehen stößt die technisch mögliche Globalisierung in ökonomischer Hinsicht eindeutig an lokale Marktgrenzen.

 

Nicht ganz zu Unrecht ist gegen die Revisionisten eingewendet worden, dass nicht nur die Produzenten von Medieninhalten in die Rechnung einbezogen werden dürfen, sondern auch das Medieninfrastrukturkapital (Fuchs 2010). In der Tat sind im 21.Jahrhundert die internationalen Gewinne von Internet-, Telekommunikations- und Hardware-Giganten erheblich gewachsen und ihr Transnationalisierungsgrad – also der Anteil der internationalen Märkte an ihren Umsätzen – ist höher als der klassischer Medienkonzerne (Winseck 2011, S.6f.). Für Dell Inc. arbeiten mehr als hunderttausend Mitarbeiter weltweit (Gershon 2019, S.39). Die Bildagentur Getty Images macht immerhin etwa 40Prozent Umsatz außerhalb der USA und hat Kunden in mehr als fünfzig Ländern (Machin/van Leeuwen 2007, S.150ff.). Allerdings zeigt sich hier eine techno-funktionale Form der Kapitalglobalisierung: Ausländische Produkte und Dienstleistungen werden überall dort eingesetzt, wo sie nicht selbst produziert werden können oder wo Informationsbausteine – wie Fotos – gebraucht werden. Redaktionelle Angebote und Programme aber, vor allem im Informationssektor, kommen aus den Ländern selbst. Bei politisch wie kulturell komplexen Medienprodukten erweisen sich ausländische Produkte und Direktinvestitionen eher als Lückenfüller auf lokalen Märkten, als Ergänzung und Erweiterung, nicht aber als Ersatz für nationale Produkte.

Nicht-klassische Massenmedien: erweiterte Hypermedialität

Vor allem im Internet sind neue Angebotsformen entstanden, die man als Massenmedien bezeichnen kann. Das Internet verschafft nicht nur den etablierten Medien von Presse, Radio und Fernsehen neue technische Reichweiten. Es generiert auch so unterschiedlichen Medien wie Suchmaschinennachrichten, Sozialen Medien (wie Twitter), Weblogs, Podcasts und alternativen Nachrichtenportalen (wie WikiNews) eine neue Basis. Nicht jede Form der digitalen Kommunikation lässt sich als „massenmedial“ charakterisieren, vieles ist interpersonal oder gemeinschaftsorientiert (vgl. Kap. 6). Kommunikate allerdings, die öffentlich zugänglich sind und periodisch erscheinen, so dass sie journalistischen Angeboten ähneln, lassen sich als nicht-klassische Massenmedien einstufen.

Inwieweit sich die Produktions- oder Rezeptionsstrukturen sowie die Kommunikationsflüsse der globalen Massenkommunikation durch das Internet verändern, ist nicht einfach zu ermessen. Auch hier gibt es optimistische wie pessimistische Lesarten, die um die Frage ranken, ob das Internet wirklich einen Strukturwandel der globalen Massenkommunikation eingeleitet hat. Ethan Zuckerman hat verdeutlicht, dass auch im Internetzeitalter grenzüberschreitende und vor allem fremdsprachliche Mediennutzung ein Randphänomen geblieben ist. In keiner der mächtigsten zehn Nationen der Welt liegt der durchschnittliche Anteil der Auslandsnutzung von Medien durch die Bevölkerung im Netz höher als 7Prozent, oft sind die Nutzungszahlen kaum noch messbar und in anderen Teilen der Welt sieht es nicht anders aus (Zuckerman 2013, S.52ff., vgl. a. Elvestad 2009, Fenyoe 2010, Finnemann et al. 2012). Ein transnationaler Strukturwandel (der Mediennutzung) ist aus dieser Sicht nicht durch die Digitalisierung begünstigt worden; von einem Wandel zu einem „Weltmediensystem“ ganz zu schweigen. Historisch betrachtet scheinen analoge Medienrevolutionen wie die Einführung des Telegrafen für das globale Nachrichtenwesen viel revolutionärer gewesen zu sein als das Internet.

Hans-Jürgen Bucher hat allerdings darauf hingewiesen, dass gerade in Krisenzeiten eine verstärkte globale Mediennutzung zu beobachten ist (2005). Seit dem Kosovokrieg, den Attentaten des 11. Septembers 2001 und dem Irakkrieg 2003 suchen kritische Segmente des Publikums im Internet nach Informationen in digitalisierten klassischen wie auch in alternativen Massenmedien, die sie in ihren Heimatmedien nicht bekommen. Zwar ist die Qualität dieser erweiterten Hypermedialität umstritten, da die Quellen zum Teil dubios sind (Lewis 2010, S.123). Gerade soziale Bewegungen haben aber Medien gebildet, die nicht nur alternative globale Öffentlichkeiten erzeugen können, sondern auch als „Interlokutoren“ fungieren und Medienagenden grenzüberschreitend verbinden können (Volkmer 2014, S.141ff., vgl. a. Kap. 5). Zugleich sind die zeitlich begrenzten und auf Informationseliten beschränkten Reichweiten dieser Prozesse noch zu geringfügig, um von einem globalen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Bucher 2005, S.214) sprechen zu können.

Fazit: Interdependenzlücken und die Globalisierung der zwei Geschwindigkeiten

Resümierend lässt sich sagen, dass globale Massenmedienkommunikation heute immer noch sehr weitgehend durch nationale Mediensysteme geleistet wird. Der weltweite Flickenteppich aus egozentrierten Mediensystemen ist zwar auf Produktions- und Rezeptionsebene durch transnationale Produktions- und Rezeptionsstrukturen erweitert worden. Diese Komplementarität aber folgt der bestimmenden Regel der Subsidiarität, wonach nationale Systeme nicht nur den größten Teil der Nachrichtenproduktion, sondern auch weite Teile des Unterhaltungswesens beherrschen und durch internationale Produkte allenfalls ergänzen. Transnationale Produkte – CNN, Hollywood – sind zwar große Prestigeprojekte, die dem Medienkonsum eine wichtige globale Komponente hinzufügen, ohne aber die Vorherrschaft lokaler Strukturen zu beseitigen.

Im Bereich von Medienpolitik und -recht setzt der Nationalstaat zudem noch immer entscheidende Rahmenbedingungen, die durch technisch-funktionale globale Regelungen eher ergänzt als ersetzt werden. Medienmärkte sind nur sehr bedingt global interdependent. Anders als die interaktiven Sozialsysteme der Politik, Wirtschaft usw. verbleibt die massenmediale Kulturproduktion in ihrem primären Modus der (Welt-)Beobachtung strukturell hochgradig selbstreferenziell. Von dieser Tendenz ausgenommen sind alternative Informationsflüsse und Öffentlichkeiten, die auf eine Globalisierung der „zwei Geschwindigkeiten“ verweisen. Globale Massenkommunikation ist ein Minderheitenphänomen, wobei Informationseliten sowohl unter Produzenten wie auch Konsumenten systematisch versuchen, nationale Grenzen des Medienraums zu erweitern und eine stabile Weltöffentlichkeit zu erzeugen.

2.2 Kommunikative Systemverbindungen

Gemäß unserem grundlegenden System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz ist eine rein strukturalistische Betrachtung der globalen Massenkommunikation unzureichend. Mediensysteme kommunizieren über Grenzen hinweg, aber sind ihre Beobachtungsleistungen deswegen auch synchronisiert im Sinne der Schaffung eines gemeinsamen globalen Mediendiskurses und einer transnationalen Weltöffentlichkeit? Oder haben wir es eher mit separaten nationalen Mediendiskursen zu tun, die untereinander unvernetzt bleiben? Unsere Analyse erfolgt in zwei Schritten, wobei zunächst der empirische Forschungsstand zu Inhaltsanalysen der globalen Massenkommunikation aufgearbeitet wird, bevor anschließend eine Bewertung des Ist-Zustandes vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Synchronitätsananforderungen der deliberativen Öffentlichkeitstheorie und der Systemtheorie erfolgt.

2.2.1 Diskursanalyse

Grundlagen: Interdiskursivität, Konvergenz und Domestizierung von Mediendiskursen

Das „Weltbild“ der Medien ist ein Diskurs, der textlinguistisch aus Makro- und Mikropropositionen besteht (van Dijk 1988, Hafez 2002a, Bd.1, S.45ff.). „Themen“ beispielsweise sind Makropropositionen eines Textes, die eng mit der kommunikationswissenschaftlichen Theorie des Agenda Setting verbunden sind, also mit der Frage, worüber Medien (und infolgedessen Rezipienten und Rezipientinnen) nachdenken. Themen umfassen ihrerseits Mikropropositionen wie Frames und Stereotype, also handlungsorientierte Argumentmuster eines Textes wie auch attributive Charakterisierungen (z.B. von Nationen oder sozialen Gruppen) (Entman 1993, Thiele 2015). Während Themen-, Framing- und Stereotypenanalysen auf Basis von Einzeltexten untersucht werden können, umfasst der Diskursbegriff auch Beziehungen zwischen Texten (Intertextualität, Konerding 2005). Der öffentliche Diskurs ist kein interaktives Gespräch im Sinne einer gemeinsamen Sinnproduktion, er bleibt monologisch, verfügt aber insofern über dialogähnliche Eigenschaften, als intertextuelle Bezugnahmen zu anderen Texten erkennbar sind. Intertextuelle Diskurse wiederum besitzen eine Integrationsfunktion und erzeugen durch ihre sprachliche Verständlichkeit Diskursgemeinschaften (Öffentlichkeiten).

Die Frage ist nun, inwieweit die strukturell relativ getrennten nationalen Mediensysteme dieser Welt eine transkulturelle Mittlerfunktion wahrnehmen, indem sie nationale Diskurse miteinander synchronisieren und einen globalen und transkulturellen „Interdiskurs“ schaffen, wobei Eigen- und Fremdverstehen verbunden werden (Hafez 2002a, Bd.1, S.163ff.). Kongruenz und Differenz der lokalen Diskurse müssten dazu in der Auslandsberichterstattung ermittelt und „übersetzt“ werden. Dabei kann es zu erheblichen Schwierigkeiten kommen, da sich nicht nur die Themenauswahl und die Interpretationen in verschiedenen Diskursgemeinschaften unterscheiden können, sondern auch das Kontextwissen mit der Entfernung zum internationalen Geschehen naturgemäß abnimmt und vom Auslandsjournalisten vermittelt werden muss (Hafez 2002a, Bd.1, S.65f.). Der Prozess wird auch dadurch verkompliziert, dass akustische, visuelle und textuelle Zeichen unterschiedliche Logiken in der globalen Kommunikation haben. Während Musik und Bilder relativ einfach Grenzen überschreiten und scheinbar „selbsterklärend“ sind, müssen Texte übersetzt, aufbereitet und kontextualisiert werden. Aber auch Bilder sind nur auf den ersten Blick nicht erklärungsbedürftig und daher oft hochmanipulativ.

An die interdiskursive Synchronisation werden verschieden strenge Maßstäbe angelegt. Aus der Konvergenzperspektive besteht die Aufgabe des Journalismus darin, Diskurse anderer Systeme nicht nur umfassend und exakt wiederzugeben, sondern sie auch im Eigendiskurs sinnvoll zu erklären und somit nationale Diskurse zu verbinden und globale Perspektiven zu erzeugen (Stanton 2007, Hafez 2002a, Bd.1, S.24ff.). Als zentrale Merkmale gelten a) Themenkonvergenz, b) zeitliche Synchronität und Intensität und c) Deutungs- und Sprecherkonvergenz (Tobler 2006, Ulrich 2016, S.114). Die Unterscheidung zwischen Deutungs- und Sprecherkonvergenz ist insofern wichtig, als zwar Deutungen von Themen national abweichen können, außernationale Diskurse aber durch Sprecher repräsentiert sein müssen, so dass Responsivität entsteht. Die Vorstellung konvergenter Interdiskursivität in der Weltöffentlichkeit orientiert sich an der deliberativen Öffentlichkeitstheorie (vgl. Kap. 2.2.2).

Aus der Domestizierungsperspektive wird Auslandsberichterstattung für nationale Zielgruppen konzipiert, wobei die Art der Weltbildkonstruktion keine Referenzen jenseits des eigenen, geradezu autarken Beobachtungssystems berücksichtigen muss (Renneberg 2011, S.45ff.). Die Konvergenzsicht kritisieren diese Autoren als „methodologischen Konnektivismus“ (Werron 2010, S.143), dem sie eine Art unverbundene Medienmoderne entgegensetzen. Diese unterschiedlichen Theorieansätze sollen in Kapitel 2.2.2 vertieft werden. Zuvor allerdings beschäftigen wir uns mit dem empirischen Ist-Zustand des globalen Mediendiskurses, der ebenfalls kontrovers beurteilt wird.

Fragmentierte Nachrichtenagenda: die Spitze des Eisbergs der Globalisierung

Es ist ein grundsätzliches Paradoxon, dass in der Ära der Globalisierung die Aufmerksamkeit für Auslandsnachrichten nicht gestiegen, sondern eher gesunken ist (Willnat et al. 2013, Ulrich 2016, S.118ff., Russ-Mohl 2017, S.162f., Norris 1995). Das Auslandsinteresse des Publikums ist nicht einheitlich, es ist insbesondere in kleineren Staaten oft größer und wächst, sobald einheimische Akteure beteiligt sind (home news abroad) (Hanitzsch et al. 2013). Aber historische Zäsuren machen sich bemerkbar und das Ende des Ost-West-Konflikts hat eher zu einem Rückgang des Weltinteresses geführt. Talkshows in großen Industriestaaten wie Deutschland beschäftigen sich ganz überwiegend mit nationalen und kaum mit internationalen Fragen (Schultz 2006, S.168ff.). Das Interesse kann jedoch sehr starke kurzfristige Schwankungen aufweisen und insbesondere internationale Krisen und Kriege mit bedrohlichem Charakter wie die Attentate des 11. September 2001 oder der Irakkrieg 2003 haben für eine begrenzte Zeit die Aufmerksamkeit erhöht.

 

Ganz generell ist die Logik interessant, nach der in den jeweiligen nationalen Mediensystemen Länder und Themen beachtet oder ignoriert werden. Es lässt sich am besten durch einige zentrale diskursstrukturelle Theoreme erklären (Hafez 2002a, Bd.1, S.51ff., 2005, S.39ff.). Auslandsnachrichten überwinden die Schwelle der Berichterstattung zumeist nur, wenn diese entweder aus dem regionalen Ausland oder aus den „Weltmetropolen“ (z.B. USA, Russland, China), also aus Ländern mit hohem Machtstatus, stammen. Sie sind vielfach politik- und eliten- und weniger lebensweltorientiert und konzentrieren sich oft auf negative Nachrichten über Konflikte, Kriege und Katastrophen. Diese Logik lässt sich nicht nur durch viele empirische Fallstudien erhärten, sondern stützt sich auf Nachrichtenfaktoren wie politische und ökonomische Zentralität, Konfliktorientierung oder kulturelle Nähe und Distanz (Williams 2011, S.146ff., Cazzamatta 2014, 2018a/b, 2020). Das Resultat dieser Gatekeepingprozesse sind extrem fragmentarische Weltbildkonstruktionen der Medien, in denen viele Staaten ohne akute Konflikte oder Machtstatus kaum Resonanz finden, während Krisenregionen und Großmächte überpräsent sind und eine hegemoniale Weltnachrichtenlage erzeugen. Negativismus ist zwar eine allgemeine Tendenz des Journalismus auch in der Inlandsberichterstattung, aber bei Auslandsnachrichten sind Länderimages wegen der knappen Platzkapazitäten besonders stark betroffen und insbesondere Entwicklungsländer treten selten und wenn zumeist negativ in Erscheinung (Zuckerman 2013, S.79ff., Hafez 2002a, Bd.2, S.125ff.).

Da allerdings jedes Land ein anderes regionales Umfeld besitzt, sind die Nachrichtengeographien der Mediensysteme nicht einheitlich, sondern unterhalb der dünnen „Spitze des Eisbergs“ von Weltnachrichten über Krisenregionen und Metropolenstaaten werden ganz verschiedene Themen und Länder beachtet. Das Ergebnis ist eine doppelt geschichtete globale Diskursverschiebung, bestehend aus einer sehr verengten, das Nord-Süd-Gefälle betonenden weltweit geteilten globalen Agenda und separierten nationalen Auslandsgeographien und Themensetzungen. Trotz starker Konvergenz von Nachrichtenwerten und Professionsstandards der Medienethik weltweit (vgl. Kap. 2.1) hat sich also an der Domestizierung von globalen Nachrichtenlagen der Massenkommunikation wenig geändert. Eine Ausweitung und qualitative Verdichtung der Diskurse, die gezielt thematische Leerstellen kompensiert und Nachrichtenwerte im Sinne einer globalen interdiskursiven Synchronität umbaut, sind nicht in Sicht. Starke Domestizierung ist vorherrschend.

Vergleichende Großstudien belegen dies seit Jahrzehnten (u.a. Sreberny-Mohammadi et al. 1985, Wu 2000, 2003, Pietiläinen 2006, Cohen 2013a, Heimprecht 2017). Lokale Faktoren sind demnach in der Auslandsberichterstattung für die Themen- und Länderauswahl auschlaggebend, der Regionalismus schlägt in allen Ländern durch, wenngleich bei Entwicklungsländern etwas weniger als bei Industrieländern, da hier die Metropolenorientierung und globale Agenda etwas stärker ausgeprägt sind (de Swert et al. 2013, Wilke et al. 2013). Selbst innerhalb regionaler Räume wie Europa ist zwar die Aufmerksamkeit für einzelne Nachbarländer größer (Regionalismus), aber EU-Themen und Akteure der EU spielen nur eine Nebenrolle in den stark national fixierten Öffentlichkeiten (Machill et al. 2006, Pfetsch et al. 2008). Die national gefärbten und desintegrierten Medienagenden stellen die Annahme einer Globalisierung von Mediendiskursen oder gar eines kosmopolitischen „globalen Dorfes“ (McLuhan) auf der inhaltlichen Ebene in Frage (Cohen 2013b).

Eine Reihe von Studien zeigen, dass der Online-Journalismus sowie Suchmaschinen wie Google-News und Yahoo, also nicht-klassische Massenmedien, hier, anders als erhofft, kaum eine Verbesserung gebracht haben. Die eingeschränkte Nachrichtengeographie bleibt dieselbe (Gasher/Gabriele 2004, Wu 2007, Wang 2010). Kevin Williams: „The geography of online content reflects the imbalances of the traditional mainstream media; web technology has not drastically changed what is reported as international news“ (2011, S.161). Nicht einmal Hyperlinks zu ausländischen Websites haben sich im Online-Journalismus durchgesetzt (Chang et al. 2009).

Nur wenigen Themen wie die Klimafrage gelingt es, sich in den Massenmedien weltweit mit ähnlichen Subthematiken Geltung zu verschaffen, was dem Charakter von Umweltthemen geschuldet sein dürfte, in verschiedenen Teilen der Welt ähnlich stark beachtet zu werden (Ivanova 2017). Bei politischen Themen wie den Vereinten Nationen allerdings zeigt sich, dass die Sichtweise internationaler Institutionen länderspezifisch ist oder sich ländertypische Cluster bilden, wonach Kriegskonflikte eher in Industrieländermedien und Strukturkrisen wie Armut in den Medien der Entwicklungsländer dominieren (Ulrich 2016, S.301ff.). Die vorherrschenden Professionsstandards und Nachrichtenfaktoren, globalen Leitmedien und Nachrichtenagenturen verhindern zwar, dass Mediensysteme autark sind, sich abschotten und ermöglichen zeitweise dynamische Öffnungen und kurzfristige Internationalisierungen der Diskurse. Gerade soziale und kulturelle Entwicklungen werden aber oft ignoriert und bleiben schwache Prädiktoren eines thematisch wenig konvergenten globalen Mediendiskurses. Zwei Drittel der Landmasse und der Bevölkerung dieser Erde in Asien, Afrika und Lateinamerika bleiben in westlichen Medien, von wenigen, oft negativen Ausnahmen abgesehen, weitgehend unsichtbar (Williams 2011, S.145f.).

Globales Framing oder domestizierte Diskurse?

Um die Synchronität globaler Mediendiskurse aus den Perspektiven von Konvergenz und Domestizierung beurteilen zu können, müssen neben Makropropositionen wie der thematischen Medienagenda auch Mikropropositionen wie Stereotype und Frames untersucht werden. Hier geht es nicht mehr wie beim Themenhaushalt um die Frage, was berichtet wird, sondern wie dies geschieht. Als locus classicus der Forschung gelten mittlerweile die Arbeiten von Michael Gurevitch, Mark R. Levy und Itzhak Roeh, die bereits 1991 gezeigt haben, dass selbst ein- und dasselbe Thema in verschiedenen nationalen Mediensystemen sehr unterschiedlich dargestellt werden kann, was sie als „Domestizierung des Fremden“ (domestication of the foreign, S.206) bezeichneten. Die Vorstellung, in einer durch Nachrichtenagenturen und globale Medienkonzerne verbundenen Welt automatisch auch mit globalen Perspektiven versorgt zu werden, erweist sich angesichts des nationalen Systemcharakters der Medien als unhaltbar, da Stereotype und Frames auch in der Gegenwart vielfach national geprägt bleiben.