Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht

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III. Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag

1. Anwendungsbereich (Zweck des Vertrages)

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Der Anwendungsbereich des Staatsvertrags ist weiter als sein Kurztitel – Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – vermuten lässt. Nach § 1 JMStV ist sein Zweck der einheitliche Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Angeboten in elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien, die deren Entwicklung oder Erziehung beeinträchtigen oder gefährden sowie der Schutz vor solchen Angeboten in elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien, die die Menschenwürde oder sonstige durch das Strafgesetzbuch geschützte Rechtsgüter verletzen. Insoweit gilt der JMStV für Rundfunk und Telemedien[51] und beabsichtigt den Schutz sämtlicher Mediennutzer – Jugendlicher und Erwachsener.[52]

2. Klassifizierung von Angeboten

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Der JMStV differenziert zwischen absolut unzulässigen (§ 4 Abs. 1 JMStV) und relativ unzulässigen Angeboten (§ 4 Abs. 2 JMStV) sowie entwicklungsbeeinträchtigenden Angeboten (§ 5 JMStV). Darüber hinaus finden sich weitergehende Beschränkungen für Werbung und Teleshopping in § 6 JMStV.

2.1 Unzulässige Angebote (§ 4 JMStV)

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§ 4 JMStV beinhaltet Angebote, die grundsätzlich unzulässig sind und daher im Rundfunk sowie in den Telemedien weder verbreitet noch zugänglich gemacht werden dürfen. Dabei werden in § 4 Abs. 1 JMStV die absolut unzulässigen Angebote aufgeführt, die sowohl für den Rundfunk als auch für die Telemedien generell unzulässig sind. Hierbei handelt es sich vor allem um Angebote, die zugleich einen objektiven Tatbestand des Straf- oder Völkerstrafgesetzbuches erfüllen,[53] gegen die Menschenwürde verstoßen, Gewalt verharmlosen oder verherrlichen, zum Rassenhass aufstacheln, hart pornographisch[54] oder sonst wie geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu gefährden. Das Ausstrahlungs- bzw. Verbreitungsverbot gilt „unbeschadet strafrechtlicher Verantwortlichkeit“, d.h. auch ohne Vorliegen der subjektiven oder weiterer spezifischer strafrechtlicher Tatbestandsvoraussetzungen.[55] Dabei gilt das vorgenannte Verbot für die in § 4 Abs. 1 JMStV aufgeführten Tatbestände ohne jede Einschränkung und unabhängig vom Alter der Nutzer (absolut unzulässige Angebote). In § 4 Abs. 2 JMStV werden hingegen die jugendgefährdenden Angebote aufgeführt, die nur zum Teil einem Verbreitungsverbot unterliegen (relativ unzulässige Angebote). Darunter fallen die einfachen pornographischen Inhalte, solche die in den Teilen A und C der Liste nach § 18 JuSchG aufgenommen oder mit diesen inhaltsgleich sind sowie als Auffangtatbestand sonstige Inhalte, die offensichtlich geeignet sind, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu gefährden.[56] Diese Angebote sind in Telemedien zulässig, wenn sichergestellt ist, dass sie nur Erwachsenen zugänglich sind (geschlossene Benutzergruppen). Im Rundfunk sind sie weiterhin unzulässig.

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Da damit im Rahmen der geschlossenen Benutzergruppen sichergestellt sein muss, dass Kinder oder Jugendliche keinen Zugang zu diesen Angeboten haben, muss ein verlässliches Altersverifikationssystem dies gewährleisten. Dies ist nach den Anforderungen der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), der „zentralen Aufsichtsstelle für den Jugendschutz und Schutz der Menschenwürde“[57] durch eine über einen persönlichen Kontakt erfolgende Volljährigkeitsprüfung („face-to-face-Kontrolle“) anhand von amtlichen Ausweisdaten und zudem durch eine beim einzelnen Nutzungs- bzw. Bestellvorgang erfolgende Authentifizierung sicherzustellen.[58]

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Die Anerkennung von solchen Systemen durch die KJM als hoheitliche Aufsicht ist im JMStV nicht vorgesehen, vielmehr überträgt § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV diese Verantwortung dem jeweiligen Anbieter. Dieser hat sicherzustellen, dass sein Angebot tatsächlich nur Erwachsenen zugänglich ist. Die KJM erteilt einem solchen Anbieter auf Nachfrage kostenpflichtige und verbindliche Rechtsauskunft darüber, ob er mit dem von ihm verwendeten System seiner Pflicht zur altersabhängigen Zugangsbeschränkung aus § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV genügt.[59] Solche Altersverifikationssysteme können durch anerkannte Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle (z.B. USK.online oder FSM) auf Nachfrage des Anbieters geprüft und beurteilt werden. Hierbei kann der Anbieter auch prüfen lassen, ob er mit dem verwendeten System seiner Pflicht zur altersabhängigen Zugangsbeschränkung aus § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV genügt. Eine Reihe solcher Systeme sind durch die KJM bereits positiv bewertet worden.

2.2 Entwicklungsbeeinträchtigende Angebote (§ 5 JMStV)

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Entwicklungsbeeinträchtigende Angebote sind solche, die zwar nicht die strengen Verbotsvoraussetzungen für jugendgefährdende Medieninhalte nach § 4 JMStV erfüllen, in ihrer Wirkung jedoch die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nachteilig beeinträchtigen können. Derartige Angebote dürfen nur unter den Einschränkungen des § 5 JMStV verbreitet oder zugänglich gemacht werden. Eine Entwicklungsbeeinträchtigung gem. § 5 JMStV setzt voraus, dass ein Kind (wer noch nicht 14 Jahre alt ist)[60] bzw. ein Jugendlicher (wer 14 Jahre, aber noch nicht 18 Jahre alt ist)in seiner Entwicklung zum eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Individuum gehemmt, gestört oder geschädigt wird (§ 5 Abs. 1 JMStV). Dabei findet grundsätzlich eine Gesamtbetrachtung des Angebots statt.[61] Es sind vom JMStV vorgesehene Restriktionen zu beachten, wenn ein Angebot in seiner Wirkung geeignet ist, die Entwicklung junger Menschen in einer bestimmten Altersgruppe nachteilig zu beeinträchtigen.[62] Das ist anzunehmen, wenn der mutmaßliche Eintritt einer Gefährdung von Kindern oder Jugendlichen zu besorgen ist.[63] Ein Einzelfallnachweis der Beeinträchtigung der Entwicklung von Minderjährigen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit ist nicht erforderlich.[64] Beeinträchtigungen i.S.d. Vorschrift sind Hemmungen, Störungen oder Schädigungen. Dazu können insbesondere Angebote führen, welche die Nerven von Kindern und Jugendlichen überreizen, übermäßige Belastungen hervorrufen, die Phantasie über Gebühr erregen oder die Erziehung zu verantwortungsbewussten Menschen in der Gesellschaft hindern.[65] § 5 JMStV schützt damit Eigenverantwortlichkeit als individuelle und Gemeinschaftsfähigkeit als soziale Komponente. Maßstab der Beurteilung ist der „durchschnittlich (entwickelte) Minderjährige“ einer jeweiligen Altersgruppe. Die jüngeren und schwächeren Mitglieder sind hierbei zwar angemessen zu berücksichtigen; die mögliche Wirkung auf besonders gefährdungsgeneigte Kinder und Jugendliche muss aber unberücksichtigt bleiben.[66] Daran sind die zu begutachtenden Angebote zu messen.

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Bei entwicklungsbeeinträchtigenden Angeboten i.S.d. § 5 JMStV kann der Anbieter seiner Pflicht dadurch entsprechen, dass er durch technische oder sonstige Mittel die Wahrnehmung des Angebots durch Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe unmöglich macht oder wesentlich erschwert oder das Angebot zu Zeiten verbreitet oder zugänglich macht, in denen Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe üblicherweise die Angebote nicht wahrnehmen (§ 5 Abs. 3 Nr.1 und 2 JMStV). Im Zuge des novellierten JMStV ist nicht mehr die KJM, sondern sind die Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle für die Beurteilung und Anerkennung von Jugendschutzprogrammen zuständig (§ 11 Abs. 1 JMStV). Die Prüfung und Genehmigung sonstiger Verschlüsselungs- und Vorsperrungstechniken (technische Mittel) können entweder durch die Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle vorgenommen werden oder durch die KJM.

2.3 Besonderheiten bei Werbung und Teleshopping (§ 6 JMStV)

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Regelungen zum Jugendschutz in der Werbung und im Teleshopping finden sich in § 6 JMStV. Neben den allgemeinen in §§ 4 und 5 JMStV enthaltenen Beschränkungen, die auch für Werbung und Teleshopping gelten, normiert § 6 JMStV weitergehende Anforderungen[67] und richtet sich an alle Anbieter von Rundfunk und Telemedien i.S.v. § 2 Abs. 1 JMStV.[68]

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Nach § 6 Abs. 1 S. 1 JMStV ist Werbung für indizierte Angebote nur unter den Bedingungen zulässig, die auch für die Verbreitung des indizierten Angebotes gelten. Es erfolgt also ein Verweis auf die Regelungen der §§ 18, 15 JuSchG.[69] Das hat zur Folge, dass Werbung für Angebote, die wegen ihres strafbaren Inhalts in die Liste nach § 18 JuSchG aufgenommen wurden (Listenteile B oder D), generell unzulässig ist, während Werbung für Angebote, die wegen ihres jugendgefährdenden Inhalts in die Liste aufgenommen wurden (Listenteile A und C), in Telemedien innerhalb geschlossener Benutzergruppen zulässig ist.[70]

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In § 6 Abs. 2–5 JMStV sind spezielle Ge- und Verbote für die Werbegestaltung enthalten.[71] § 6 Abs. 2 JMStV enthält das Verbot, Kindern und Jugendlichen körperlichen oder seelischen Schaden zuzufügen und setzt damit Art. 16 Abs. 1 der EG-Fernsehrichtlinie um.[72] Darüber hinaus normiert die Vorschrift in Nr. 1–4 speziellere Schutzbestimmungen, die insbesondere direkte Kaufappelle unter Ausnutzung der Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit oder des besonderen Vertrauens von Kindern und Jugendlichen verbieten.[73] Werbung gegenüber Kindern und Jugendlichen ist dabei aber nicht per se unzulässig, ebenso wenig wie solche, die sich lediglich als Reflex an Minderjährige richtet. Die Ausrichtung muss hingegen anhand einer Gesamtbeurteilung der jeweiligen Werbung erfolgen, so dass eine Kombination aus der direkten Anrede mit „Du“ und darüber hinaus die überwiegende Verwendung von kinder- oder jugendtypischen Begrifflichkeiten eine an Minderjährige gerichtete Ansprache begründen kann. Alleine die Anrede mit „Du“ oder eine comic-hafte grafische Darstellung genügen nicht. Der spezielle Schutz hinsichtlich der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit von Minderjährigen ergibt sich aus dem UWG.[74]

 

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Werbung, deren Inhalt geeignet ist, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, ist von Angeboten, die sich an Kinder und Jugendliche richten, zu trennen (§ 6 Abs. 3 JMStV). Für den Rundfunk regelt § 44 S. 1 Nr. 1 und 2 RStV zudem, dass Sendungen für Kinder nicht durch Produktplatzierungen unterbrochen werden dürfen.

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Richtet sich eine Werbung auch an Kinder und Jugendliche oder werden diese als Darsteller eingesetzt, so darf sie den Interessen dieses geschützten Personenkreises nicht schaden und nicht dessen Unerfahrenheit ausnutzen (vgl. § 6 Abs. 4 JMStV). Dabei ist es nicht erforderlich, dass sich die Werbung speziell an Kinder und Jugendliche richtet. Vielmehr genügt es, wenn sie jedenfalls „auch“ an Kinder oder Jugendliche gerichtet ist.[75] Auch hier ist diejenige Werbung nicht erfasst, die nicht zielgerichtet und lediglich reflexartig Minderjährige erreicht, da die Generalklausel ansonsten unangemessen ausufern würde. § 6 Abs. 4 JMStV ist kein Auffangtatbestand. Schutz vor rein wirtschaftlichen Aspekten der Werbung gegenüber Minderjährigen wird nicht durch den JMStV, sondern durch das BGB und das UWG vermittelt. Werbung, die transparent gestaltet ist und keinen übertriebenen Kaufdruck erzeugt, sondern lediglich eine restriktiv gestaltete Möglichkeit der Nutzung präsentiert oder anbietet (z.B. „Facebook-Button“), lässt sich nicht unter den Begriff der Interessenschädigung subsumieren. Bei der Beurteilung sind insbesondere die Regelungen zur Verantwortlichkeit nach dem TMG zu beachten.[76]

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Werbung für alkoholische Getränke darf sich weder an Kinder und Jugendliche richten, noch diese besonders ansprechen oder beim Alkoholgenuss darstellen (§ 6 Abs. 5 JMStV). Diese Vorschrift setzt Art. 15 der EG-Fernsehrichtlinie[77] um und erstreckt sich auf sämtliche Angebote von Rundfunk und Telemedien.[78]

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Die zuvor in § 6 Abs. 5 S. 2 JMStV enthaltene Erweiterung der Anwendbarkeit der Vorschrift auf Werbung für Tabakerzeugnisse in den Telemedien ist durch den 13. RÄStV mit Wirkung v. 1.4.2010 aufgehoben worden. Allerdings regelt § 8 Abs. 4 RStV, dass Sendungen nicht von Tabakunternehmen gesponsert werden dürfen. Es gilt somit ein generelles Tabakwerbeverbot im Rundfunk.[79] Überdies enthält § 21a VTabakG in Umsetzung der RL 2003/33/EG ein Werbeverbot für Tabakerzeugnisse speziell für den Hörfunk (Abs. 2), die Presse (Abs. 3) sowie in Diensten der Informationsgesellschaft (Abs. 4), zu denen neben dem Internet auch das Fernsehen gehört.[80]

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§ 6 Abs. 6 S. 1 JMStV erweitert die Anwendbarkeit von § 6 Abs 1–5 JMStV auf das Teleshopping und Sponsoring. § 6 Abs. 6 S. 2 JMStV enthält das Verbot, Kinder oder Jugendliche durch Teleshopping dazu anzuhalten, Kauf- oder Miet- bzw. Pachtverträge für Waren oder Dienstleistungen zu schließen.[81]

2.4 Rechtsfolgen

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Ein Verstoß gegen die Vorschriften der §§ 4, 5 und 6 JMStV stellt je nach Tatbestand eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit dar (§§ 23, 24 JMStV). Im Falle einer Straftat ist die Strafandrohung Freiheitstrafe bis zu einem Jahr bei vorsätzlicher Begehung und bis zu sechs Monaten bei fahrlässiger Begehung oder Geldstrafe. Im Falle einer Ordnungswidrigkeit kann eine Geldbuße bis zu 500 000 EUR – bei fahrlässiger Begehung bis zu 250 000 EUR (§ 17 Abs. 2 OWiG) – verhängt werden (§ 24 Abs. 3 JMStV). Voraussetzung für eine Sanktionierung ist dabei stets, dass der Beschuldigte auch Adressat des Verbots ist, d.h. den Inhalt zu verantworten hat.[82] Vom Adressatenkreis sind laut der Überschrift des VI. Abschn. des JMStV „Ahndung von Verstößen der Anbieter mit Ausnahme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ der öffentlich-rechtliche Rundfunk und seine Mitarbeiter ausgenommen. Die Übereinstimmung dieser Ungleichbehandlung von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk mit Art. 3 GG ist indessen fraglich.[83]

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Nach § 23 JMStV begeht eine Straftat, wer entgegen § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und S. 2 JMStV Angebote verbreitet oder zugänglich macht, die offensichtlich geeignet sind, die Entwicklung oder Erziehung von Kindern und Jugendlichen schwer zu gefährden. Bei Telemedien ist § 23 JMStV nur erfüllt, wenn die entsprechenden Angebote außerhalb geschlossener Benutzergruppen verbreitet oder zugänglich gemacht werden.[84] Verstöße gegen die übrigen Ge- und Verbote der §§ 4, 5 und 6 JMStV stellen grundsätzlich lediglich Ordnungswidrigkeiten dar (§ 24 JMStV).

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Vorsätzliche Verstöße gegen die absoluten Verbreitungsverbote des § 4 Abs. 1 Nr. 1-11 JMStV und das relative Verbreitungsverbot des § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 JMStV können darüber hinaus aber auch Tatbestände des allgemeinen Strafrechts verwirklichen (vgl. §§ 86, 86a, 130, 130a, 131, 184 ff. StGB).[85] Liegt ein Straftatbestand vor, so ist der Ordnungswidrigkeitentatbestand diesem gegenüber subsidiär (§ 21 OWiG).

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Straftaten – auch solche nach § 23 JMStV – werden von der Staatsanwaltschaft verfolgt (§ 160 StPO). Die zuständigen Verwaltungsbehörden für die Verfolgung der Ordnungswidrigkeiten nach dem JMStV sind die Landesmedienanstalten (LMA), die ihre Entscheidungen durch die KJM[86] treffen (§ 24 Abs. 4 JMStV i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG). Die zuständige LMA kann bestimmen, dass Beanstandungen nach einem Rechtsverstoß gegen die Bestimmungen des JMStV und rechtskräftige Entscheidungen in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren vom Anbieter in seinem Angebot verbreitet oder zugänglich gemacht werden. Inhalt und Zeitpunkt der Bekanntgabe bestimmt die zuständige LMA nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 24 Abs. 6 JMStV).

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Ist ein Anbieter von Telemedien Mitglied einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle oder unterwirft er sich ihren Statuten, so ist gem. § 20 Abs. 5 S. 1 JMStV bei angeblichen Verstößen gegen den Jugendschutz, mit Ausnahme von Verstößen gegen § 4 Abs. 1 JMStV, durch die KJM zunächst die entsprechende Einrichtung damit zu befassen.[87] Verstöße des Anbieters, die das Zugänglichmachen von Pornographie, Indizierten Liste A oder C Inhalten bzw. fehlerhaft geschlossene Benutzergruppen betreffen, sind somit vom Vorbefassungsschutz einer Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle erfasst. Die KJM darf Maßnahmen gegen den Anbieter erst dann treffen, wenn „die Entscheidung oder die Unterlassung einer Entscheidung der anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle die rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums überschreitet“ (§ 20 Abs. 5 S. 2 JMStV).

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Umstritten ist, ob gegen den Anbieter ein Straf- oder Bußgeldverfahren auch dann durchgeführt werden darf, wenn dessen Angebot von einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle als zulässig eingestuft worden ist.[88]

3. Novellierung des JMStV

3.1 Gescheiterte Novellierung 2010/2011

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Der JMStV sollte mit dem 14. RÄStV nach Ratifikation in den Ländern zum 1.1.2011 novelliert werden. Ziel der geplanten Neuregelung war es, das System der regulierten Selbstregulierung beständig zu stärken und weiter zu entwickeln sowie der fortschreitenden Konvergenz der Medien Rechnung zu tragen. Wesentliche Neuerung der Novellierung sollte die Einführung einer freiwilligen Alterskennzeichnung von Internetangeboten sein, wie sie bislang lediglich für Trägermedien im Jugendschutzgesetz vorgesehen ist. Der Anbieter sollte seine jugendschutzrechtliche Verpflichtung dadurch erfüllen können, dass er sein Angebot freiwillig mit einem Alterskennzeichen versieht, das für ein anerkanntes Jugendschutzprogramm programmiert ist, so dass bestimmte Inhalte im Netz für jüngere Nutzer hätten gesperrt werden können. In der Neufassung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) sollten die Jugendschutz-Richtlinien aus Rundfunk- und Fernsehen auch auf Neuerungen durch das Internet übertragen werden. Die Provider sollten verpflichtet werden, entspr. Programme leichter zugänglich zu machen. Zugleich sollten die staatlichen Stellen die Eltern auf solche Filter-Software aufmerksam machen. Damit hätte es in der Hand der Erziehungsberechtigten gelegen, ob sie ein Jugendschutzprogramm auf dem Rechner installieren wollen, um ihren Kindern altersgerechtes Surfen zu ermöglichen und sie vor jugendgefährdenden bzw. entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten zu schützen. Kurz vor dem geplanten In-Kraft-Treten formulierten Anbieter von Online-Inhalten Bedenken, wie die neuen Anforderungen inhaltlich zu definieren und technisch umzusetzen seien. Zugleich äußerte die „Netzgemeinde“ erhebliche Vorbehalte gegenüber einem Entwurf, der vor allem der Erotikindustrie nutze, indem dieser das Tätigwerden im Netz erleichtert werde. Die für den 1.1.2011 geplante Novellierung des Jugendmedienstaatsvertrages markierte eine Kluft zwischen der „Netzgesellschaft“ und der Politik. Während sich die Politik zum Schutz von Kindern und Jugendlichen auf Gesetze verlässt, verlangen die Nutzer mehr Selbstbestimmung und setzen auf die Aufklärung von Kindern und Eltern. Dem JMStV wurde technisches Unverständnis sowie Lobbypolitik vorgeworfen. Der Staatsvertag scheiterte letztlich an der Ratifikation in Nordrhein-Westfalen. Nachdem zunächst die Fraktionen von CDU, FDP und den Linken erklärt hatten, dem JMStV nicht zustimmen zu wollen, schlossen sich dem später auch die Regierungsfraktionen von SPD und den Grünen an. Quer durch die Fraktionen gab es Kritik hinsichtlich der Wirksamkeit und Praktikabilität der geplanten Regelungen sowie erhebliche Bedenken gegen eine drohende Einschränkung der Meinungsvielfalt.[89]

3.2 JMStV 2016

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Am 1.10.2016 ist der überarbeitete JMStV in Kraft getreten. Nach wie vor sind potentiell jugendbeeinträchtigende Inhalte zu bewerten und anschließend Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Wesentliche Änderungen betreffen zunächst die Kompetenzzuweisung an die Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle. Bisher lag die Zuständigkeit für die Anerkennung von Jugendschutzprogrammen bei der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Sie wurde nun auf die Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle (USK, FSM, FSK, FSF) übertragen. Um die Jugendschutzprogramme zu fördern, wurden die anerkennungsfähigen Jugendschutzprogramme erweitert. Erfasst werden somit auch Programme, die lediglich auf einzelne Altersstufen ausgelegt sind und solche, die den Bereich proprietärer (geschlossener) Systeme betreffen. Hinzugefügt wurde eine Haftungsprivilegierung zugunsten solcher Anbieter, die ihre Angebote zwar mit einer Altersbeschränkung versehen, diese aber fahrlässig zu niedrig angesetzt haben (§ 24 Abs. 1 Nr. 4 JMStV n.F.). Zudem wurde mehr Rechtssicherheit geschaffen, indem die Anerkennung der Selbstkontrollen nicht länger befristet ist (§ 19 Abs. 2 a.E. gestrichen). Weiterhin wurden Fristen für Entscheidungen der KJM eingeführt (z.B. §§ 14 Abs. 6 und 19b Abs. 2 JMStV n.F.). Bei Maßnahmen der Aufsicht (jugendschutz.net/KJM/LMA) gibt es nun eine Hinweispflicht hinsichtlich der Möglichkeit einer Mitgliedschaft bei einer Freiwilligen Selbstkontrolle und der Rechtsfolgen (§ 20 Abs. 7 JMStV n.F.).

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Der neue JMStV erfuhr schon im Vorfeld erhebliche Kritik. Weil freiwillige Alterskennzeichnungen für Internetangebote auch bereits in dem 2010/2011 gescheiterten Entwurf gefordert worden waren, steht der Vorwurf fehlender Innovation im Raum. Weiterhin wird auf die Wirkungslosigkeit eines freiwilligen Labeling-Konzepts verwiesen, das auf internationaler Ebene bereits gescheitert sei.[90] Ferner wird die vorgesehene Privilegierung derjenigen, die eine Alterskennzeichnung vornehmen, als Verstoß gegen das Haftungssystem der §§ 7 ff. TMG kritisiert, sofern etwa ein Blog-Betreiber die Kommentare seiner Leser im Wege einer Vorabkontrolle überprüfen müsse.[91]