4.2 Die Hierarchie, Struktur und das Führungsprinzip der Gesamt-Hitlerjugend als zentralistisches Prinzip des Machtsystems
Der Aufbau der Gesamt-HJ war einfach und klar nach zentralistischen Machtstrukturen gegliedert. Nur die „oberste Spitze“
139
traf die wichtigen Entscheidungen über Aufgaben und Inhalte der HJ und des BDM. Die Führer an der Basis, die der Jugend sehr nahe standen, hatten für deren Umsetzung zu sorgen.
An der Spitze der gesamten HJ stand die Reichsjugendführung in Berlin. Alle Ämter innerhalb dieser obersten Reichsbehörde, bei der sämtliche Befugnisse zusammenliefen, wurden ausschließlich von Männern bekleidet. Auch die Reichsreferentin des BDM war der Reichsjugendführung direkt unterstellt, sie hatte jedoch „weitgehende Vollmachten die Führung des BDM zu bestimmen.“
140
Innerhalb der Behörde waren alle Bereiche der nunmehr staatlich gelenkten Jugendpolitik, u. a. auch die Ämter für die Leibeserziehung und die HJ-Gerichtsbarkeit, zusammengeführt. Die Leitung über die verschiedenen Ämter lag beim Stabsführer der Reichsjugendführung.
141
Dem Aufbau der NSDAP entsprechend, hatte jede der sieben Einheiten (HJ => Reichsjugendführung - Gebiet - Bann - Stamm - Gefolgschaft - Schar -Kameradschaft/BDM => Reichsjugendführung - Obergau - Untergau -Mädelring - Mädelgruppe - Mädelschar - Mädelschaft) verschiedene Hauptabteilungen oder -stellen. So bestand z. B. ein Bann aus einer „Personalsstelle, Sozialstelle, Stelle für weltanschauliche Schulung, Presse- und Propagandastelle, Verwaltungsstelle“
142
. Diese Stellen gab es in ähnlicher Form auch auf den nächsthöheren und –tieferen Ebenen.
In jeder HJ- und BDM-Gruppe stand an der Spitze ein Junge oder ein Mädchen als Führer, die den Namen der Gruppe und der Klassifikation trugen, z. B. Bannführer oder Mädelgruppenführerin.
143
Sie allein hatten die Verantwortung für ihre Gruppe und mussten sich vor der jeweils höheren Instanz verantworten. Ein Führer, anders als ein Vorgesetzter, verübte nach Schirach eine natürliche Autorität und war seiner „Gefolgschaft Vorbildlichkeit schuldig“
144
. Gemäß der nationalsozialistischen Idee des Führerprinzips waren die untergeordneten Jugendlichen ihrem Führer zu absolutem Gehorsam verpflichtet. Sie hatten die von ihm erteilten Regeln und Anweisungen uneingeschränkt und unhinterfragt auszuführen.
Die einzelnen Stellen und Positionen wurden von den „Personalsstellen bzw.
-abteilungen und dem Personalamt der RJF“
145
zugeteilt. Neben dieser Berufung gab es keine Möglichkeit, sich auf eine Position wählen zu lassen. Die Stellungen der Bannführer/innen und darüber liegende Positionen waren in der Regel hauptamtlich und damit besoldet.
Während die Männer für die einheitliche Ausrichtung der gesamten Arbeit verantwortlich waren, stand ihnen für die mädchenspezifischen Belange jeweils eine BDM-Amtsreferentin zur Seite.
146
Generell war jedoch im Geschlechtervergleich das weibliche Geschlecht innerhalb der RJF „vollkommen unterrepräsentiert“
147
und selbst in Mädchenangelegenheiten besaßen die Männer das Recht, die endgültigen Entscheidungen zu treffen.
Abb. 10: Aufbau der Stäbe
Abb. 11: Gliederung und Aufbau der Hitler-Jugend
5. Erziehung in der Staatsjugendorganisation
5.1 Erziehungsziele im 'Dritten Reich'
Die Erziehungsziele im 'Dritten Reich' waren darauf ausgerichtet, die nationalsozialistische Ideologie und Anthropologie umzusetzen. Anstatt einer pädagogischen Ausrichtung fokussierten und unterstützten sie allein die Herrschafts- und Eroberungsbedürfnisse ihrer politischen Machtträger.
Die bereits erwähnte Abkehr von der Individualität zugunsten der Volksgemeinschaft, der Negierung von Pluralität und der intellektuellen Fähigkeiten einzelner Menschen innerhalb einer Gesellschaft, fand Ausdruck in der von Schirach 1933 deklarierten 'Revolution der Erziehung'. Um deren Ziel zu erreichen, die gesamte deutsche Jugend „körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zu erziehen“
148
, fand in der Schule wie auch in der Staatsjugendorganisation ein maßloser, totalitärer und entindividualisierender Zugriff auf die Jugend statt. Die Erziehung in der Gruppe, in der sich der Einzelne zugunsten der Volksgemeinschaft aufgibt, wurde zur vorrangigen Aufgabe und zum Ziel erklärt, wobei die jungen Menschen „durch Erkenntnis, Erlebnis und Willen an die Gemeinschaft gebunden“
149
werden sollten. Aufklärung und intellektuelle Bildung waren nicht gefragt. Um Menschen zu erziehen, denen das Allgemeinwohl wichtiger war als die Bildung der eigenen, individuellen Persönlichkeit, sollten die Kinder so früh wie möglich der HJ und dem BDM beitreten.
Nach Hitlers Bildungsideal war ein „zwar wissenschaftlich wenig gebildeter, aber körperlich gesunder Mensch mit gutem, festem Charakter, erfüllt von Entschlussfreudigkeit und Willenskraft für die Volksgemeinschaft wertvoller als ein geistiger Schwächling.“
150
An Bedeutung gewann in diesem Zusammenhang die Propagierung eines religionsähnlichen Patriotismus, basierend auf Adolf Hitlers 'Mein Kampf' als deutsch-völkische Bibel. Die jungen Menschen sollten nicht zum kritischen Nachdenken angeregt werden, sondern zum blinden Glauben an die Richtigkeit der völkisch propagierten Ideen und Ziele. Geistige Fähigkeiten sollten nur in Bezug auf die Formung des Charakters eine Rolle spielen, in dem sie verhalfen, Tugenden wie „Treue, Opferwilligkeit und Verschwiegenheit“
151
sowie Aufrichtigkeit, Entschluss- und Verantwortungsfreude zu entwickeln.
Letztendlich war die körperliche Ertüchtigung höchstes Erziehungsziel, Basis und Voraussetzung für die weitere ideologische Schulung im sozialdarwinistischen Sinne, das besagte, dass sich der Stärkere auf Kosten des Schwächeren durchsetzt. Hitlers vielzitierter Satz des „Heranzüchten kerngesunder Körper“
152
kann in diesem Zusammenhang gesehen werden. Der Körperkult innerhalb des NS-Regimes wurde noch verstärkt durch propagandistische Parolen der Gesamt-HJ, wie beispielsweise 'Dein Körper gehört der Nation' oder auch 'Du hast die Pflicht, gesund zu sein'.
153
Im Verhältnis zur körperlichen Ertüchtigung wurde der weltanschaulichen Schulung weniger Zeit und Raum bei der Erziehung der Jugend beigemessen. Ihr Schwerpunkt lag auf der „Behandlung der Rassefrage“
154
und der Vermittlung eines 'Rassegefühls' als Grundlage für eine spätere anwend- und umsetzbare Rassenpolitik. Einher ging damit die Förderung eines „unerschütterlichen Nationalgefühls und eines fanatischen Nationalstolzes“
155
. Hierbei spielten vor allem die Schlüsselwörter „Rasse, Blut, Boden, Geist, Führertum, Ehre, Wehr, bewusste Selbstbejahung der Nation“
156
eine große Rolle.
Die Erlangung der 'Ehre' wurde als Erziehungsziel besonders hervorgehoben, dass sie das „natürliche Recht auf die Achtung , die jeder Volksgenosse als Glied und Träger der Gemeinschaft für sich beanspruchen kann.“
157
Die größte Ehre erlangte der Einzelne durch den harten Kampf für das Vaterland, sei es an der Kriegsfront oder in der Heimat.
Zusammengefasst sei betont, dass es sich bei den formulierten Erziehungszielen im Nationalsozialismus fast ausschließlich um Prinzipien der Menschenformung handelte, orientiert an den Bedürfnissen des Staates. Pädagogische Normen und Ziele verloren an Bedeutung und verschwanden im Laufe der Zeit fast vollends.
158
Einmal in der Staatsjugendorganisation angelangt und mit den Werten und Normen des Nationalsozialismus bekannt gemacht, sollten die Kinder nie wieder Gelegenheit erhalten, andere Ideologien kennenzulernen, um zu verhindern, dass sie eigene Vorstellungen einer individuellen Lebensgestaltung entwickeln. Hitler formulierte es in seiner Rede in Reichenberg vom 2. Dezember 1938 folgendermaßen: „Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes als deutsch zu denken, deutsch handeln. Und wenn nun dieser Knabe und dieses Mädchen mit ihren zehn Jahren in unsere Organisation hineinkommen und dort nun so oft zum ersten Mal überhaupt eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und dort behalten wir sie wieder vier Jahre, und dann geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern dann nehmen wir sie sofort in die Partei oder in die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS, in das NSKK und so weiter. Und wenn sie dort zwei Jahre oder anderthalb Jahre sind und noch nicht ganz Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs und sieben Monate geschliffen, alle mit einem Symbol, dem deutschen Spaten. Und was dann nach sechs oder sieben Monaten noch an Klassenbewusstsein oder Standesdünkel da oder da noch vorhanden sein sollte, das übernimmt dann die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre. Und wenn sie dann nach zwei oder drei oder vier Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die SA, SS und so weiter. Und sie werden nicht mehr frei, ihr ganzes Leben.“
159
5.2 Erziehungsziele im Bund Deutscher Mädchen
Die propagierte Trennung zwischen der Mädchen- und Jungenerziehung wurde folgendermaßen erklärt: „Die Natur hat zweierlei Menschen geschaffen, sie sollen auch verschieden bleiben; einer Vermännlichung der Frauen können wir aus einem gesunden, naturgemäßen Empfinden heraus nicht das Wort reden, weder im körperlichen noch im geistigen Kampfe.“
160
Hitler blieb in seinen Angaben bezüglich der Mädchenerziehung ambivalent. Einerseits erwähnte er: „Analog der Erziehung der Knaben kann der völkische Staat auch die Erziehung des Mädchens von den gleichen Gesichtspunkten aus leiten. Auch dort ist das Hauptgewicht vor allem auf die körperliche Ausbildung zu legen, erst dann auf die Förderung der seelischen und zuletzt der geistigen Werte.“
161
In 'Mein Kampf' wiederum beschrieb er: „Das Ziel der weiblichen Erziehung hat unverrückbar die kommende Mutter zu sein.“
162
Schirach erwähnte eine weitere wichtige Rolle der Mädchen. Sie sollten im BDM „zu Trägerinnen der nationalsozialistischen Weltanschauung erzogen werden.“
163
Diese Aussage definierte die Mutterschaft mit den Begriffen Hausfrau, Mutter und 'Kulturträgerinnen'. Das Elternhaus sollte den Kindern Werte vermitteln, die als Fundament der ideologisch-politischen Vorstellungen des Nationalsozialismus dienten. Um dies zu gewährleisten wurden die Mädchen im BDM, bevorzugt an den Heimabenden, in den ideologischen Vorstellungen geschult, wobei die Punkte „Rasse – Gemeinschaft – Führer“
164
einen großen Stellenwert einnahmen. In Anlehnung daran sind auch die Charaktereigenschaften zu verstehen, nach denen die Mädchen im BDM erzogen wurden: „Rassebewußtsein, Aufopferungsbereitschaft, Treue und Verantwortungsbereitschaft innerhalb der Gemeinschaft, sowie bedingungsloser Gehorsam gegenüber dem Führer.“
165
Der Begriff der 'zukünftigen Mutter' wurde im BDM dagegen nur selten gebraucht. Der Erziehung der Jungen gleich, erhielt die körperliche Ertüchtigung den größten Stellenwert. So „müsse eine gesunde Körperschulung Voraussetzung sein; allzu großer Anhäufung von Wissensstoffen müsse Einhalt geboten werden“
166
. Der Schwerpunkt der körperlichen Ertüchtigung der Mädchen lag in der „harmonischen Durchbildung des Körpers und im edlen Dreiklang von Körper, Seele und Geist“
167
.
Neben der Gesundheit, dem Pflichtbewusstsein und der sozialen Einsatzbereitschaft als weitere wichtige Aspekte der Erziehung wurde auch auf ein jugendliches Eigenleben der Mädchen geachtet. Der hohe Stellenwert ergab sich aus der Tatsache, dass der weiblichen Jugend erstmals in der Geschichte eine eigene Jugendzeit zugestanden wurde.
168
Die RJF propagierte darüber hinaus die Wichtigkeit einer Berufsausbildung der Mädchen, welche vornehmlich die sozialen Berufe betraf, analog des Grundsatzes „Heilen, Helfen, Erziehen“. Nach Möglichkeit sollte die Erwerbstätigkeit der jungen Frauen jedoch mit dem Eintritt in die Ehe aufgegeben werden.
169
In Anlehnung an die politischen Ereignisse orientierten sich einige Erziehungsziele der Mädchen an denen der Jungen. Diese sollten sie dazu befähigen, im Falle eines Krieges ihren „Mann“ zu stehen.
5.3 Erziehungsziele in der Hitlerjugend
Als höchstes Erziehungsziel der Jungen kann wohl die „kraftvollkämpferische Männlichkeit“
170
genannt werden, die ihre Heimat im Krieg gegen die anderen Länder verteidigt. Hitler wollte den volkgebundenen deutschen Menschen, der im Angesicht der Geschichte seines Volkes um dessen Zukunft kämpft und schon die Jungen sollten durch die körperliche Ertüchtigung auf diese spätere Aufgabe vorbereitet werden.
171
Ihre Zielsetzungen lagen in der Entwicklung eines gesunden Körpers, im Aktivismus, Kämpferischen und dem Ansporn zur Leistung. Des Weiteren sollten „Charakterwerte wie Tapferkeit, Ordnung, Pünktlichkeit, Ausdauer, Entschlussfähigkeit, Verantwortungsfreudigkeit, Verschwiegenheit usw.“
172
geschult werden. Die sportlichen Wettkämpfe dienten der Auslese der Tüchtigsten bzw. der Besten, wobei halbmilitärische Übungen hierbei einen großen Stellenwert einnahmen. So wurden regelmäßig militärische Ordnungsübungen, Marschdienste von Einheiten, „'Antreten', Exerzierübungen, Appelle und ähnliches“
173
durchgeführt. Damit einhergehend wurden Verhaltensweisen wie das Ein- aber auch Unterordnen, eine gewisse Selbstdisziplin und der Gehorsam gegenüber Vorgesetzten geübt.
Kameradschaftlichkeit, Gemeinsamkeit und die Erziehung zum Truppengeist waren Erziehungsziele, die vor allem beim Gelände- und Wehrsport sowie bei Fahrten und Lagern gefördert und unterstützt werden sollten.
174
Ein weiteres Erziehungsziel lag in der „Erziehung zur Einfachheit“
175
. Vor allem die Jungen sollten zu einem „harten und bedürfnislosen Geschlecht“
176
erzogen werden, welches eine „maßvolle Haltung in allen Dingen“
177
erreichte und in der Schlichtheit die Schönheit der Welt erkannte.
Durch die verschiedenen Rollen, die den Jungen in der HJ übertragen wurden, sollte der Geltungsdrang der Jugendlichen befriedigt sowie das Selbst- und Ehrbewusstsein ausgebildet werden.
178
5.4 Weltanschauliche Schulung und Heimabende
Die Praxisarbeit im BDM und in der HJ sollte die bereits beschriebenen Ziele umsetzen. Dies implizierte, dass möglichst viele Bereiche des jugendlichen Lebens in diesen Prozess integriert wurden. Dafür boten sich die Heimabende an, welche ein- bis zweimal wöchentlich stattfanden. Auf ihnen sollte durch Gespräche, gemeinsames Singen, Lesen, Basteln etc. die Bindung der Jugendlichen untereinander gefestigt werden.
179
Seit 1937 existierte ein spezifischer Jahrgangsschulungsplan, der die Vermittlung der anstehenden Themen einheitlich im gesamten 'Dritten Reich' koordinierte. In speziellen einheitlichen Schulungsmappen, die vierzehntägig erschienen, wurden die Themen der einzelnen Stunden vorgegeben. Die Schulungsmappe der Hitlerjungen nannte sich 'Die Kameradschaft', die der Mädchen im BDM 'Die Mädelschaft'. Neben dem Leben und dem Werk Adolf Hitlers beschränkten sich die Themen im Wesentlichen auf die „Rasse-, Grenz- und Volkskunde und Bevölkerungspolitik“
180
.
Jedes der vier in der Hitlerjugend verbrachten Jahre stand unter einer bestimmten, aufeinander aufbauenden Thematik. Im ersten Jahr begannen die Jungen wie auch die Mädchen mit dem Thema „Der Kampf um das Reich“. Während die Jungen im zweiten Schulungsjahr das Thema „Das Volk und sein Blutserbe“ abhandelten, wurde dies im BDM erst im dritten Jahr behandelt. Die Mädchen wurden im zweiten Schulungsjahr zum Thema „Die nationalsozialistische Bewegung im Kampf um Volk und Reich“ unterwiesen. Im dritten und vierten Jahr wurden aktuellen politischen Ereignisse, sowie das Verhältnis des 'Dritten Reiches' zu anderen Ländern besprochen.
181
Den Mädchen sollte durch diese Schulungsarbeit nicht nur die NS-Weltanschauung nahe gebracht werden, sie sollten auch befähigt werden, diese ihren zukünftigen Kindern zu vermitteln.
182
Die Betonung der nationalen, heldenhaften Werte und Taten der eigenen Nation nahm während der weltanschaulichen Schulung mitunter fast religiöse Züge an, wobei allerdings der Glaube an den Nationalsozialismus die Religion ersetzte.
Innerhalb der vier Jahreszyklen waren die einzelnen Heimabende wiederum wie in nachfolgender Tabelle
183
untergliedert:
Januar
Deutsche Einheit, Überwindung der Gegensätze von Stämmen, Klassen, Bekenntnissen
Februar
Brauchtum und Geselligkeit im Jahreslauf, u. a. Fastnacht
März
Du hast die Pflicht gesund zu sein, gesunde Lebensführung, Erbgesundheit u. a.m.
April
Osterbrauchtum, Leben und Werk Adolf Hitlers, Geschichte der NSDAP
Mai
Tag der Arbeit, Erziehung zu sozialem Verständnis und zu Mitverantwortung
Juni
Familie und Dorfgemeinschaft
Juli
Naturbetrachtungen, Anleitungen zur Naturbeobachtungen; Kennenlernen von Pflanzen, Heilkräutern etc.
August
Heimat und Staatskunde
September
Die Arbeitswelt, Berufsberatung, Reichsberufswettkampf, Jugendschutz
Oktober
Erntedank und Erntebrauch, Anleitungen zu Erntedankfeiern etc.
November
Das Winterhilfswerk. Was können wir dazu beitragen?, Totengedenken
Dezember
Weihnachten und Jahreswende
Abb. 12: Heimabend
Formal war der jeweilige Heimabend nach einem speziellen Plan, der sich nur selten änderte, strukturiert. Nach einem kurzen politisch-gesellschaftlichen Wochenbericht, der die Jugendlichen mit den aktuellen politischen Geschehnissen bekannt machte, folgte die Vermittlung und Besprechung des anstehenden Themas aus der Schulungsmappe durch den jeweiligen Führer. Es kam auch vor, dass die Mitglieder von HJ und BDM ihrerseits Themen aufarbeiteten und sie ihren Gefährten vorstellten. Zu bestimmten Gelegenheiten wurde die dreißigminütige Radiosendung 'Die Stunde der jungen Nation', die neben Musik auch aktuelle politische Themen sowie ideologische Standpunkte thematisierte, in den Heimabend integriert.
184
Obwohl die weltanschauliche Schulung etwa „ein Drittel der gesamten Schulungsarbeit“
185
umfassen sollte, fiel die Umsetzung der geforderten Standards in vielen Regionen, beispielsweise in ländlichen Gebieten, schwer. Gerade in strukturschwachen Gebieten mangelte es an ausgebildeten Führern, wie auch an technischen Geräten oder Materialien.
5.5 Kulturarbeit
Der kulturelle Zweig war, wie auch die anderen Bereiche des Lebens, vollständig von der nationalsozialistischen Ideologie beeinflusst und durchdrungen. So wurde nur sehr einseitig und wenig differenziert über die unterschiedlichen Bereiche der Kultur gelehrt und gelernt; mit der Folge, dass sich die jungen Menschen keinesfalls kritisch und umfassend mit ihr beschäftigen konnten, da ihr Wahrnehmungsspektrum stark eingeschränkt war. Es wurde ihnen damit nicht nur verwehrt, eigene Standpunkte, Geschmäcker und Vorlieben zu entwickeln, sondern auch die Wahrnehmung vorenthalten, die große Bandbreite der kulturellen Güter und die mit ihr einhergehende unendliche Phantasie und Kreativität des menschlichen Geistes wahrzunehmen. Dieser wählerische Umgang mit dem kulturellen Bereich ging auf die Aussage Hitlers zurück, nur arische Menschen seien in der Lage, kulturelle Güter zu erschaffen, da sie „die ursprünglichen Träger der menschlichen Kultur waren und damit die wirklichen Begründer dessen, was wir mit dem Wort Menschheit alles umfassen.“
186
Die praktische Kulturarbeit war ebenfalls Bestandteil der Heimabende von HJ und BDM. Besonders im Bund Deutscher Mädchen spielte sie aufgrund der Rolle der Mädchen, als zukünftige 'Kulturträgerinnen', eine wichtige Rolle. Nach nationalsozialistischer Auffassung hatten die Mädchen naturgemäß „eine engere Beziehung zu Volkstum, Heimat und Musik als die Jungen“
187
. Kaufmann sah die Aufgabe der Kulturarbeit darin, „von der Seele her zum Erlebnis der nationalsozialistischen Weltanschauung zu führen.“
188
Als wichtiges kulturelles Gut galten die deutsche Sagen- und Märchenwelt, die nationale Dichtung und Musik sowie die Philosophie und bildende Kunst
189
.
Für die Vermittlung wurde dem Medium Theater besondere Bedeutung beigemessen, bot doch gerade die theatralische Inszenierung die Möglichkeit einer unmittelbaren emotionalen Beeinflussung der jugendlichen Zuhörer. „Das Theater des nationalsozialistischen Reiches ist für die Jugend eine Stätte innerer Erhebung und Begeisterung.“
190
Die Inhalte der Theaterstücke sollten zu großen Teilen „kriegerisches Heldentum und heroischen Opfergang“
191
idealisieren. Neben Festspielen und Reichstheatertagen standen auch örtliche Veranstaltungsringe für Jugendliche auf der Tagesordnung.
192
Die frühe Heranführung der Jugend an das Medium Theater ist durchaus positiv zu werten, allerdings lag die Zielsetzung nicht im persönlichen Erlebnis, vielmehr diente auch der Theaterbesuch der alleinigen Vertiefung nationalsozialistischer Kulturwerte. Häufig wurde auch auf die nordisch-germanische Mythenwelt zurückgegriffen, da sie in anschaulicher Weise die von den Nationalsozialisten favorisierten Tugenden der Treue, Ehre, Tapferkeit, Kraft, Mut und Stärke heroisierten, wie folgendes Zitat aus der Sage des Nibelungenliedes, einem deutschen Epos aus Mittelalterzeiten, zeigt:
„'Verhüt' es Gott vom Himmel!', so sprach da Gerenot,
'Wenn unser tausend wären, wir lägen alle tot,
Die Sippschaft deiner Mage, eh’ wir dir einen Mann
Zur Geisel übergäben! Nein, das wird nimmermehr getan'„
193
„'Wir müssen doch ersterben', so sprach da Giselher,
'Drum soll uns niemand scheiden von ritterlicher Wehr!
Wer gerne mit uns stritte, wir sind noch immer hie!
Was Treue anbelangt, verließ ich meine Freunde nie!'„<a href="#ulink_dd2745f9-4bf6-5e38-9ab1-8964eb0a3f49