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Eiskalt abserviert
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Ariane Nasskalt

Eiskalt abserviert

Regionalkrimi

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Der Tote unterm Regenstein

Besuch bei der Witwe

Eine heftige Reaktion

Martins Alleingang

Sabine stellt Edgar zur Rede

Ausgepowert

Ein ungleiches Paar

Wer war denn jetzt Thomas?

Auf dem Brocken wird eine Leiche gefunden

So ein Zufall

Eine Spontanreaktion?

Schlaflos

Immer wieder Edgar

Erkenntnis im Schlafzimmer

Auf der richtigen Spur?

Eine harte Nuss

Der Anruf

In der Mangel

Das Geständnis

Auf ein Neues!

Hinweis:

Impressum neobooks

Der Tote unterm Regenstein

Die Raben! Ob sie sich auf geheimnisvolle Weise verständigen konnten? Irgendeinen Grund musste es doch geben, dass sie jeden Morgen um dieselbe Zeit das Blankenburger Schloss umflogen. Abends, man konnte fast die Uhr danach stellen, wiederholte sich dieses Schauspiel. Wieder und wieder umkreisten die schwarz gefiederten Vögel das Welfenschloss auf dem gegenüberliegenden Hügel. Unbestritten, der Harz war ein schönes Fleckchen Erde und hatte irgendwie auch ein mystisches Flair.

Sabine schlang ihren Morgenmantel enger um ihren zierlichen Körper und zog den Gürtel nach. Obwohl das Fenster geschlossen war, ließ ein kalter Luftzug sie frösteln. Schrecklich diese alten Fenster! Wenigstens in diesem Punkt hätte sie sich durchsetzen sollen. Im Endeffekt nutzte es ihnen wenig, dass die alten Sprossenfenster die heimelige Atmosphäre der Jugendstilvilla unterstrichen. Das bisschen Stilechtheit wog die zu erwartende Heizkostenrechnung nicht im geringsten auf. Weder Martin noch sein Vater hatten ihre Argumente, das sanierungsbedürftige Haus noch vor ihrem Einzug auf Vordermann zu bringen, gelten lassen. Menschenskind, sie ließ sich aber auch ständig von Martin übertölpeln. Wenn ihr jemand vor fünf Jahren erzählt hätte, zu welchen Zugeständnissen sie einmal bereit sein würde, wäre für sie nur eins klar gewesen: Never! Aber da war sie ja auch noch keine fünfunddreißig und zudem weit davon entfernt gewesen, eine Torschlusspanik zu entwickeln.

Sie trat einen Schritt zurück. Hier zog es wie Hechtsuppe. Nee, da ließ sich nichts beschönigen. Der ganze Bau gehörte grundsaniert. Heute konnte sie kaum mehr nachvollziehen, dass ihr Martins Idee, in seine Ursprungsheimat zu ziehen, derart verlockend erschienen war. Billige Haus- und Grundstückspreise hin oder her. In ihrer Stuttgarter Mietwohnung hatte sie sich wesentlich wohler gefühlt. Aber na gut, nun war es eben mal so. Sie war bestimmt nicht die Erste, die dem Traum vom eigenen Haus erlegen war. Und wer weiß, ob sich zwischen Martin und ihr tatsächlich alles besser entwickelt hätte, wenn sie irgendwo in Schwaben zusammengezogen wären. Obwohl, Freunde glichen vieles aus. Auch innerhalb einer Beziehung. Zu dumm, dass sie sich nicht, wie ursprünglich geplant, in Erfurt niedergelassen hatten. Dort hätte Martin alte Freundschaften auffrischen können, was ihr ständiges Aufeinanderhocken ein wenig entzerrt hätte. Aber nein, Monsieur musste ja unbedingt mit seinem Vater gemeinsame Sache machen und sich im Harz diese renovierungsbedürftige Villa zulegen. Und nun wohnte sie mit den beiden schon über einem viertel Jahr unter einem Dach.

Martins Vater war eigentlich ganz patent. Er blieb für sich, respektierte instinktiv ihr Bedürfnis nach Privatsphäre. Die Situation war klar. Edgar begnügte sich, wie abgesprochen, mit dem Dachgeschoss, Martin und sie hatten sich im Parterre und im Zwischenstock eingerichtet. Anfangs waren sie sich nur zufällig auf dem Treppenflur begegnet und hatten dann ein kurzes Höflichkeitsgespräch geführt. Doch seit ihr aufgegangen war, was für ein kluger Kopf Edgar war und welch interessante Gespräche man mit ihm führen konnte, lud sie ihn manchmal zum Abendessen ein. Aber auch da zog er sich nach einiger Zeit diskret zurück. Angeblich damit Martin und sie den Abend in trauter Zweisamkeit genießen konnten. Sabine griff sich in die Haare. Immer noch feucht. Dabei hatte sie x-mal drüber gefönt. Beim nächsten Friseurtermin würden die langen Haare fallen. Allein schon fürs Fönen ging viel zu viel unnütze Menge Zeit verloren.

Sabine hörte, dass jemand die Treppe heraufkam. Die alten Holzdielen knarzten bei jedem Schritt. Anschleichen war in diesem alten Gemäuer schlichtweg unmöglich. Die Decken und Wände waren zum Glück ziemlich dick, sodass man von dem, was in anderen Stockwerken vor sich ging, kaum etwas mitbekam. Sie drehte sich erst um, als Martin sie ansprach:

„Ach hier bist du. Der Toast sieht nicht mehr gut aus und das Brot ist auch schon hart. Ich fahr schnell zum Bäcker. Soll ich dir wieder diese DDR-Brötchen mitbringen?“

„Ja, aber zwei reichen!“

Mit federnden Schritten kam Martin auf sie zu, beugte sich zu ihr hinunter und setzte ihr einen eher pflichtschuldig als von Herzen kommenden Kuss auf die Wange, bevor er sich nach einem knappen „bis gleich“ auf den Weg machte. Wir verhalten uns, als ob wir schon zwanzig Jahre zusammen wären, dachte Sabine frustriert. Dabei sind es gerade mal fünf. Mist, schon wieder hatte sich eine leidenschaftlich begonnene Liebe zu einer Wohlfühlpartnerschaft entwickelt! Aber diesmal würde sie nicht gleich das Handtuch werfen. Nee diesmal nicht!

Auf dem Flur, schräg gegenüber vom Schlafzimmer, blinkte ihr der Festnetzapparat entgegen. Engelhardt, ihr diensthöherer Kollege! Wieso rief der so früh am Morgen an?

„Hallo Frau Keuerleber!“, meldete sich eine tiefe Stimme am anderen Ende der Leitung. Endlich erreiche ich Sie. Bin allein losgefahren. Die Spusi und die Gerichtsmedizinerin sind auch schon hier. Sie sargen ihn gerade ein.“

Sabine ging auf seinen versteckten Vorwurf nicht ein. Stattdessen stellte sie gleich zwei Fragen auf einmal: „Wen? Wo?“

„Im Wald unterm Regenstein liegt eine Leiche. Der Achim Barhaupt, ein Zahnarzt. Eventuell ist er aufgrund Fremdeinwirkung verunfallt. Aber Genaueres weiß man nicht. Die Spurensicherung hat hier unten alles abgesichert und marschiert jetzt etwas weiter nach oben.“

„O. k. ich bin gleich da!“

Nachdem sie aufgelegt hatte, drückte Sabine aufs Display. Zum Kuckuck aber auch, Martin hatte wieder auf leise gestellt. Eine halbe Stunde später erreichte sie die als Museum zugängliche Festungsruine. Sabine war schon einmal mit Martin hier gewesen. Wegen der schlechten Witterungsverhältnisse hatte sie sich aber gleich in die Aussichtsgaststätte verzogen. Martin hatte den starken Mann markiert und sich weder vom Wind noch von dem später einsetzenden Nieselregen abhalten lassen, das Gelände zu inspizieren. Über ein Dutzend in den Fels gehauene Räume hatte er angeblich besichtigt.


Wo waren die bloß? Nee, Engelhardt rief sie jetzt noch nicht an. Erst mal suchte sie ihn auf gut Glück. Obwohl das war ne größere Geschichte, das Gelände war ziemlich weitläufig. Martin hatte sie damals fast eine Stunde in der Gaststätte sitzen lassen und dabei, wie er sagte, noch nicht mal alles gesehen. Weil er so lange ausgeblieben war, hatte sich die Wirtin genötigt gefühlt, mit ihr ein paar Worte zu wechseln. Letztendlich hatte sie ihr auch noch die Sage vom Regenstein erzählt.

Auf alle Fälle musste sie irgendwie über den Felsen. An manchen Stellen war es ziemlich rutschig. Das taufeuchte Gras ging ja noch, aber diese verwitterten Felsstufen! Streckenweise war nicht mal ein Geländer angebracht. Der Hinweis „Betreten auf eigene Gefahr“ war lachhaft. Notorische Selbstüberschätzer scherten sich doch nicht drum, ob sie einer Gefahr gewachsen waren oder nicht. Oh, das ging ja hier tief runter. Ja, sie hatte den richtigen Riecher gehabt. Schräg unten bog einer in Schutzkleidung ab. Weiter rechts konnte man wahrscheinlich mehr überblicken. Noch bevor sie ihren Kollegen Engelhardt entdeckt hatte, rief er zu ihr herauf:

 

„Ich komme nach oben!“

„Die versuchen gerade die Absturzstelle auszumachen“, keuchte er ihr wenig später entgegen. „Suchen nach Abrutsch- und Fallspuren“.

„Dann wurde er also nicht da unten gefunden?“

„Nein, lag weiter unten im Wald“, japste er nach Luft ringend.“

Bernd Engelhardt stemmte seine Hände gegen die Hüften und blies, damit sich sein Atem schneller normalisierte, mehrmals hintereinander kräftig die Luft aus seinen Lungen. Konditionell ist er nicht gut drauf, konstatierte Sabine. Dabei hatte er nicht ein Gramm zu viel auf den Rippen. Wäre bestimmt besser, wenn er abends mal joggen würde, anstatt ständig mit seinem Nachbarn abzuhängen. Womöglich kam der schon mit Hausschlappen auf seine Terrasse. Vielleicht steckte hinter Engelhardts Bequemlichkeit aber auch eine versteckte Depression? Dass ihn seine Frau ohne jegliche Vorwarnung nach fünfzehn Jahren Ehe verlassen hatte, war sicher ein harter Schlag für ihn. Wahrscheinlich fiel ihm auch das Alleinleben schwer. Engelhardt war ein redseliger Mensch, kannte hier fast jeden und wusste auch viel über deren Privatleben. Blankenburg war zwar eine Stadt, doch der Tratsch florierte wie in einem schwäbischen Dorf.

Engelhardt beendete ihre Gedankengänge: „Nach deren Berechnungen muss sich die Absturzstelle da unten befinden. Muss gestern am frühen Abend passiert sein. Der Barhaupt war übrigens ein Chickolo. Sah sehr gut aus. Eh Moment mal, ich zeige Ihnen ein Foto …“

Während er sprach, fingerte er sein Smartphone aus der Hosentasche. Nachdem er die Homepage des Zahnarztes aufgerufen hatte, hielt er es seiner Kollegin hin. Sabines abschätziger Blick verriet, was sie dann auch verbalisierte:

„Ziemlich glattgeleckt. War sicher extrem eitel.“

„Zu diesem Schluss kommen Sie durch ein Profilfoto?“

„Na gucken Sie sich doch seine Haare an! Da sind doch Lichtreflexe reingesträhnt. Viele Frauen hübschen so ihr fades Blond auf. Aber ein Mann muss schon extrem eitel sein, wenn er sich diese Prozedur antut. Nee, mein Fall wär der nicht.“

Ihr Gegenüber grinste: „Wär nun sowieso zu spät. Und wie ich ja schon gesagt hatte, waren viele Frauen anderer Meinung. Ich habe übrigens schon alle Angestellten befragt. Leider kann sich niemand an ihn erinnern. Vielleicht ist er ja auch erst abends abgestürzt. Der genaue Todeszeitpunkt steht noch nicht fest. Gestern war viel los. Anscheinend wurden mehrere Busladungen am Parkplatz abgesetzt. Eh, ich meine Besucher mit dem Bus hergebracht.“

Sabine nickte. „Hab schon verstanden. Vielleicht ist er ja ohne Fremdeinwirkung verunfallt. Hier ist es ja nicht ganz ungefährlich. Zumindest nicht, wenn man sich etwas abseits nach vorne wagt. Wer hat eigentlich den Toten entdeckt?“

„Leider genau das weiß ich nicht. Heute früh, kurz nach sieben, hat ein Mann auf den Anrufbeantworter gesprochen und im Stakkato berichtet, dass sich im Wald unterm Regenstein eine Leiche befindet. Klang nach vorgehaltenem Taschentuch. Er hat auch eine detaillierte Wegbeschreibung abgeliefert. Beim Landeskriminalamt hat er ebenfalls angerufen. Für dringende Fälle habe ich auf der Ansage die Nummer angegeben. Noch bevor man ihn dort nach seinen Personalien fragen konnte, hat er aufgelegt.“

„Ja das mit dem vorgehaltenen Taschentuch ist schon ein bisschen merkwürdig. Hat aber nicht unbedingt was zu bedeuten. Genauso wenig wie die Sache mit der unterdrückten Nummer. Möglicherweise hatte der Anrufer Angst, selbst unter Verdacht zu geraten. Oder er wollte nur nicht zur Protokollaufnahme aufs Amt zitiert werden. Hier im Osten scheint’s sowieso ne Behördenscheu zu geben.“

„Ach gehen sie bei euch“, das letzte Wort zog Engelhardt betont in die Länge, „etwa gern aufs Polizeiamt?“

Himmel, so langsam wurde das bei ihr zur Marotte. Jetzt war sie ihm schon wieder mit diesem „hüben und drüben“ gekommen. Vollkommen klar, dass ihm das inzwischen auf den Keks ging.

„Nee, natürlich nicht! Sorry, ich bin heut mit dem falschen Fuß aufgestanden.“

„Ärger?“

„Nee, vielmehr doch! Martin hat wieder mal das Telefon leise gestellt. Deshalb hatte ich nicht mitbekommen, dass Sie angerufen haben. Dabei weiß er genau, dass ich mein Handy immer in der Küche ablege und deshalb oben nicht höre, wenn es klingelt. Hab deshalb nur nen Schluck Kaffee getrunken, aber nicht mehr gefrühstückt. Martin hat nämlich unser altes Brot weggeschmissen und mit den Brötchen war er noch nicht zurück.“

„Tja Nadja hat es auch immer genervt, dass man in unserem Job die Arbeit nicht so leicht vom Feierabend trennen kann. Vielleicht wär’s besser, wenn wir Kriminaler untereinander heiraten würden“. Er lachte laut auf. „Vermutlich würden einem dann die Ehefrauen nicht so oft davonrennen. Wenn beide gleich engagiert sind und man sich deshalb nicht sieht, kann man nicht streiten. Aber das mit Ihrem leerem Magen lässt sich ändern. Auf der Strecke zu Barhaupts Witwe liegt eine Bäckerei. Am besten wir fahren gleich. Da unten werden sie noch eine Weile beschäftigt sein. Eigentlich sah der Barhaupt gar nicht mal so schlimm aus. Ist ja ziemlich weit abgestürzt. Nur die linke Gesichtshälfte war ein wenig zerschmettert. Und am Körper hatte er jede Menge Prellungen. Aber sonst … Wenn ich da in die Leiche denke, die sie aus dem Schlossteich gefischt haben. Da kamen doch …“

„Verschonen Sie mich mit Details!“, unterbrach ihn Sabine.

„Geht klar! Ich muss mich erst noch daran gewöhnen, dass ich jetzt mit einer Frau zusammenarbeite. Ich hatte über zehn Jahre nur Dieter als Kollegen. Da übernimmt man natürlich so einiges. Der Dieter wollte immer alles haargenau wissen, jedes klitzekleine Detail musste ich ihm schildern.“

„Ich weiß schon, dass sich mein Vorgänger gerne an so was aufgegeilt hat. Aber im Gegensatz zu ihm bin ich noch nicht im Pensionsalter und bevorzuge deshalb andere Stimulanzen. Können wir fahren? Sonst fängt mein Magen noch zu knurren an.“

Während sie zu ihren Fahrzeugen gingen, holte sie weitere Informationen aus ihm heraus: „Vermuten Sie, dass seine Frau etwas damit zu tun hat?“

„Ganz ausschließen will ich es nicht. Hier hätten aber mehrere ein Motiv. Am besten, ich fange von vorn an. Der Barhaupt war kein unbeschriebenes Blatt. So richtig gemocht hat den wahrscheinlich keiner. Der hatte früher seine Praxis hier in Blankenburg. Kam übrigens ursprünglich aus Düsseldorf. Man sagte ihm nach, dass er sich auf Kosten seiner Patienten bereichern würde. Hat angeblich nicht immer für den Erhalt der Zähne gesorgt, damit er ein teures Implantat berechnen konnte. Es ging das Gerücht um, dass er auch unnötig Zähne gezogen hat. Nachdem einmal ein Patient – muss so vor vier, fünf Jahren gewesen sein – in seiner Praxis ausgerastet ist, hat er sie nach Quedlinburg verlegt. Wird jedenfalls behauptet, dass ihn das zu dieser Entscheidung gebracht hat. Weil der Patient damals mit seinem Regenschirm hantierte und auch sehr aufgebracht war, hatte uns eine Zahnarzthelferin gerufen. Als wir kamen, war der Leckner immer noch außer sich. Es gelang mir aber relativ schnell, ihn zu beruhigen.“

„Dieser Leckner ist der von hier?“

„Ja! Eigentlich ein harmloser Typ, braust eben schnell auf. Aber der hat bestimmt nichts damit zu tun!“

„Ist an diesen Vorwürfen gegen diesen Barhaupt was dran?

„Ich denke, ein sozial eingestellter Typ war er nicht. Hat auch ordentlich Geld verdient. Aber in letzter Zeit sahnte er ja in Quedlinburg ab. Der Umzug war ein schlauer Schachzug. Dort sind die so mit den Touris beschäftigt, dass nicht mehr viel Zeit für Tratsch bleibt.“

„Hat den eigentlich noch nie jemand zur Rechenschaft gezogen?“

„Keine Ahnung. Aber, wenn das erfolgt wäre, hätte man wahrscheinlich darüber geredet. Aber Sie wissen ja, wie es ist. Ohne Gutachten von anderen Zahnärzten erreicht man da nichts. Und welche Krähe hackt schon der anderen die Augen aus?“

„Noch mal zu seiner Frau.“

„Ja seine Frau. In der letzten Zeit tobte zwischen dem Ehepaar ein heftiger Rosenkrieg. Sie gehört zu der Sorte Frauen, die bereitwillig beide Augen zudrücken, wenn ihr Mann fremdgeht. Vorausgesetzt sie behalten den uneingeschränkten Zugang zu seiner Scheckkarte, die sie dann auch kräftig nutzen. Und gerade damit wär es vermutlich nach der Scheidung vorbei gewesen …“

„Dann gab’s da sicher ne Neue?“

Engelhardt grinste: „Falsch!“ Nach einer eingelegten Spannungspause ergänzte er: „Es gab einen NEUEN!“

Besuch bei der Witwe

Da hatte sich wieder mal ein Architekt verewigt. Dieser sterile Klotz mit der kalten Betonfassade passte überhaupt nicht in diese mit historischen Häusern und Gärten übersäte Stadt. Nein, so ein hypermodernes Haus hatte sie wirklich nicht in Altstadtnähe vermutet. Noch überraschter war Sabine, als die Tür aufging und Frau Barhaupt vor ihnen stand. Aufgrund Engelhardts Personenbeschreibung hatte sie ein nach dem neuesten Schrei gekleidetes Luxusgeschöpf erwartet. Stattdessen blickte ihnen eine gertenschlanke Frau entgegen, die eng anliegende Jeans und einen klassisch geschnittenen beigen Pullover trug. Auch mit ihrer Frisur betrieb sie wenig Aufwand. Ihre naturblonden Haare waren Kinn lang und exakt gerade geschnitten. Na ja Bernd war sicher wieder anderer Meinung, aber auf sie wirkte sie einen Tick zu herb. Merkwürdigerweise schien die Witwe nicht sonderlich überrascht zu sein, dass zwei Polizisten vor ihr standen und darum baten, ins Haus kommen zu dürfen. Bei anderen klingelte es spätestens nach dieser Frage. Aber sie verlor auch jetzt nicht ihre zur Schau getragene Coolness. Wortlos trat sie zur Seite und wies die beiden Polizisten mittels einer Geste in das geräumige Wohnzimmer, wo sie abwartend stehen blieb.

„Frau Barhaupt, wir sollten uns erst mal setzen“,

begann Engelhardt und steuerte auch schon auf die schwarze Ledercouch zu. Ohne eine Einladung der Besitzerin abzuwarten, ließ er sich auf dem Sitzmöbel nieder. Obwohl Sabine insgeheim das forsche Auftreten ihres Kollegen, der zugleich ihr Chef war, bemängelte, setzte sie sich unaufgefordert neben ihn. Erst nachdem die Witwe in den gitterdurchzogenen Klubsessel gesunken war, rückte der Kriminaler mit der Schreckensbotschaft heraus:

„Frau Barhaupt, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Mann heute Morgen tot aufgefunden wurde. Im Wald direkt unterm Regenstein. Wie es aussieht, ist er von da oben abgestürzt.“

„Hatte schon damit gerechnet, dass ihm etwas zugestoßen ist“, antwortete sie besorgniserregend gefasst. „Vor über einer Stunde hat man mich aus der Praxis angerufen. Weil mein Mann nicht zu der auf acht Uhr angesetzten OP erschienen war – er ist sonst immer pünktlich – wollten sie von mir wissen, wo er steckt. Ich war ihre letzte Adresse, sie hatten schon alles abtelefoniert. Seine Sprechstundenhilfe hat mir gesagt, dass sie vermutet, dass er seit dem gestrigen Nachmittag nicht mehr zu Hause war. Ich meine, das was er jetzt sein zu Hause nennt. Im Briefkasten steckte angeblich immer noch die Post vom Vortag und die Zeitung hatte er auch noch nicht geholt.“

„Dann wohnte er also nicht mehr hier im Haus?“, wurde sie von Engelhardt unterbrochen.

Die Witwe ließ sich mit ihrer Antwort Zeit. Mit ihren langgliedrigen Fingern griff sie nach der HB-Schachtel, die auf dem Glastisch lag, zog eine Zigarette heraus und stand, während sie diese ansteckte, auf. Nach dem ersten Zug ging sie zu dem großen Panoramafenster und blies hinausschauend nochmals ein Rauchwölkchen in die Luft. Erst dann blickte sie blasiert auf den Fragesteller.

„Herr Engelhardt, ich habe keine Lust auf diese Schmierenbefragung! Unnötige Fragen werde ich nicht beantworten! Sie wissen doch schon längst über alles Bescheid. In der Stadt pfeifen es doch die Spatzen von den Dächern, dass ich meinen Mann hinausgeworfen habe.“

Der Polizist ließ sich nicht beirren: „Sie haben Ihren Mann aus seinem Haus hinausgeworfen?“, setzte er routinemäßig seine Befragung fort, wobei er diesmal „seinem“ übermäßig betonte. Doch wenn er gehofft hatte, dadurch die Besitzverhältnisse klären zu können, hatte er sich getäuscht.

„Sie erwarten doch nicht im Ernst, dass ich bereit bin, mit einer Tunte zusammenzuleben?“, entrüstete sich Frau Barhaupt temperamentvoll. Und ihren Blick nun auf Sabine richtend zischte sie nicht minder erregt: „Ja, mein Mann war eine Tunte! Eine miserable, hinterhältige Tunte!“

 

„Jetzt wechseln wir wieder auf die sachliche Ebene“, beschwichtigte Sabine, wurde aber sofort von Engelhardt unterbrochen:

„Frau Barhaupt, vielleicht wollen Sie sich erst mal ein bisschen sammeln, bevor Sie weitere Fragen beantworten?“

Die Angesprochene zog ihre Augenbrauen hoch und runzelte die Stirn, stimmte dann aber kopfnickend zu. Mit spitzen Fingern drückte sie die nur halb zu Ende gerauchte Zigarette im Aschenbecher aus.

„Ich brauch jetzt erst mal einen Drink!“

Sabine überraschte es nicht, dass sie ihnen nichts anbot. Es war zwar allgemein bekannt, dass sie im Dienst nichts annehmen durften. Aber gewöhnlich fragte man doch nach. Vor allem, wenn es sich um einen Drink handelte. Aber diese Frau war eine typische Egomanin und hatte nur sich selbst im Kopf. Wieso behandelte die sie so von oben herab? An der Haustür war sie von ihr taxiert worden. So richtig von oben nach unten. Es war zwar keine Seltenheit, dass sich Frauen untereinander musterten. Aber wenn sie in Uniform war, taten das eigentlich nur Männer. Auf was bildete die sich so viel ein? Sie war die Frau eines Zahnarztes. Na und … Damit wäre sowieso bald Schluss gewesen.

Ach kuck, hinter dieser hässlichen Stahlblechtür verbarg sich eine Bar. Mit eingebautem Kühlschrank. Die Barhaupt liebte offenbar Hartes, befüllte den gut eingeschenkten Whisky jetzt auch noch randvoll mit Eiswürfeln. Mit dem Glas in der Hand ließ sie sich wieder in ihren Sessel fallen.

„Erwarten Sie von mir keine Tränen. Ich habe meinem Mann immer den Rücken frei gehalten und seinetwegen auf viel verzichtet. Und zum Dank hat er sich mit diesem Typ eingelassen.“

Sabine ließ sich vom nachfolgenden Anklagemonolog nicht beeindrucken. Wie theatralisch die Witwe das Gesagte unterstrich. Sie fraß nen Besen, wenn das alles stimmte und diese kaltblütige Frau nur wegen ihres Mannes auf Kinder verzichtet hatte! Die ließ sich doch von keinem unterbuttern. Nee, die nicht! Das Wort „verzichtet“ hatte sowieso einen schalen Beigeschmack. Schob man damit nicht auch gerne jemand anderem die Schuld in die Schuhe, weil man sich dagegen sperrte, eigenverantwortlich zu leben? Jetzt wurde es offensichtlich auch ihrem Kollegen zu viel.

„Frau Barhaupt, es tut mir leid, aber das sollte im Privatbereich bleiben“, unterbrach er sie. „Uns interessiert vielmehr, wo Ihr Mann in letzter Zeit gewohnt hat.“

„Er hatte sich über der Praxis eine kleine Wohnung eingerichtet. Schon vor drei Jahren. Angeblich, damit er sich zwischendurch mal zurückziehen und auch mal ausruhen kann. Aber ich wusste natürlich Bescheid.“

Und wieder zu Sabine gewandt: „Mein Mann war testosterongesteuert. Er gehörte zu den Männern, die sich ständig etwas beweisen müssen. Solange ein Mann weiß, wo er zu Hause ist, ist das ja auch nicht weiter schlimm. Wir haben uns trotzdem gut verstanden. Bis, ja bis er diesen Thomas getroffen hat.“

„Kennen Sie seinen Freund?“

„Tja leider!“ Verächtlich verzog sie ihren Mund. „Ich war beim Friseur, und als ich den Laden verließ, stolzierten die beiden eng umschlungen an mir vorbei. Dabei blickten sie sich wie verliebte Teenager ganz tief in die Augen.“

Die Art und Weise, wie die Witwe dies vorbrachte, machte Sabine stutzig. Frau Barhaupt besaß zwar schauspielerisches Talent. Aber ihre Psychologiekenntnisse waren noch ausbaufähig. Wenn die etwas fundierter wären, hätte sie sich nicht so widersprüchlich verhalten. Während sie noch vor ein paar Minuten beim bloßen Erwähnen dieses Herrn einen Gefühlsausbruch hinlegte, hatte die Erinnerung an dieses Zusammentreffen keine dementsprechende Reaktion bei ihr ausgelöst. Das war absolut nicht nachvollziehbar. Sicher hatte es zwischen den Partnern eine heftige Auseinandersetzung gegeben. Und im Friseursalon waren sie doch bestimmt an der Scheibe gehangen und hatten sich förmlich die Nasen platt gedrückt. Und dass dieser Vorfall hernach zum Kundengesprächsrenner mutiert war, musste ihr doch auch klar sein … Das kratzte doch an der Ehre!

„Wären Sie so nett und würden mir den Namen und die Adresse dieses Herrn geben?“, fragte Engelhardt überfreundlich.

„Da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen! Beides ist mir nicht bekannt. Da müssen Sie sich schon an die Praxis wenden.“

„Bevor wir gehen, dürfte ich Sie noch fragen, wann Sie ihren Mann zuletzt gesehen haben?“

„Sie dürfen! Das war vor zwei Tagen.“ Als der Polizist sie fragend ansah, ergänzte sie: „Mein Mann kam zu mir, weil er mit mir die Scheidung besprechen wollte. Ich habe ihn aber nicht hereingelassen und ihn an meinen Anwalt verwiesen. Und falls Sie jetzt auch noch wissen wollen, was ich gestern oder heute Nacht gemacht habe, muss ich Ihnen gestehen, dass ich leider kein Alibi habe. Ich war nämlich allein zu Hause.“