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Aus Kroatien: Skizzen und Erzählungen

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Märgi loetuks
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Erst der neue Staatsbankrott von 1817 mit der fürchterlichen Hungersnot konnte die Menschen ernüchtern und dem gedankenlosen „lustigen“ Leben ein trauriges Ende bereiten. Für die meisten war es schon zu spät. Die wenigen, die sich aus dem allgemeinen Schiffbruch retteten, waren zur größten Einschränkung ihrer Bedürfnisse genötigt….

Sprachliches Durcheinander

Während einer längeren Jachtfahrt zum Besuche der dalmatinischen Inseln hatte meine Wenigkeit die Wahrnehmung gemacht, daß das Italienische kroatisiert, das Kroatische italianisiert wurde und wird. Dies sowohl an Bord wie in den Küstenstädten. Es hieß also sehr aufpassen für den, der die kroatische Sprache aus der Grammatik, ohne Lehrer hatte erlernen müssen. Mit Kenntnis der italienischen Sprache, etwas vertraut mit dem in allen Adriastädten gesprochenen Venezianer Dialekt ließ sich zur Not durchkommen, wenn die Leute langsam sprachen. Dies tun aber die Mädchen und Frauen des Litorale grundsätzlich nicht; nirgends in der Welt wird so rasend schnell gesprochen, auch bei nichts weniger denn aufregenden Anlässen, als in den Küstenorten Dalmatiens. Mein bissel Kroatisch konnte in Dalmatien keine „Siege“ feiern; erweitert und verbessert wurde es unter italienischem Einfluß nicht. Wesentlich besser ging es droben in Montenegro, wo die serbokroatische Sprache vom Kaufmannsitalienisch nicht „infiziert“ worden ist.

Der Rat eines Schiffskapitäns, gebürtigen Bocchesen, lautete dahin.

„Reisen Sie nach Kroatien, um die Sprache rein und unverfälscht zu hören und auszutilgen, was Sie vom dalmatinischen Kroatisch Unschönes zur Grammatik dazugelernt haben!“

Ich hätte kein die Gründlichkeit liebender Deutscher sein müssen, wenn nicht um Bekanntgabe „unschöner“ Ausdrücke gebeten worden wäre. Von einem Taubstummen erfährt man tiefste Geheimnisse viel leichter und eher, als man von einem kroatisch-italienischen Kapitän Belehrung über Sprachhäßlichkeiten erhält. Doch wie man mit gut gebratenem Speck Mäuse fängt, so kann man mit österreichischen Zigaretten (die es 1912 noch in entzückender Beschaffenheit gab) den verschlossensten Bocchesen – gesprächig machen. Wobei der Wein nachhelfen kann, so das „Versuchskaninchen“ Zeit und eine Weinzunge hat. Es wurde also ein sprachliches Privatissimum an Land in einer guten Weinstube vereinbart, und zwar der Sicherheit halber in drei Sprachen: Italienisch, Kroatisch und Deutsch. Der Bocchese begnügte sich mit dem Wörtchen: „Jest!“ (Ja!) Worauf meine Wenigkeit herausquetschte: „Liepa hvala! Naj liepse!“ (Schönen Dank! Sehr schön!)

Der Blick des Bocchesen funkelte auffallend spöttisch, musterte mich angejahrten Knaben so seltsam ironisch, daß gefragt werden mußte, was denn in Teufels Namen schon wieder „unschön“ in den gebrauchten Worten sei. Aus der Zigarettendose nahm der Bocchese eine Papyros, zündete sie an, und sprach: „Liepa hvala! Unschön ist das Wort: ‚naj‘! Und verfänglich die Wörter: ‚na liepse‘!“

So gewandt im Sprachgebrauch war ich nicht, um den Unterschied zwischen dem von mir gebrauchten Wörtchen „naj“ und dem vom Kapitän anzüglich gesprochenen „na“ sofort herauszuhören und zu erfassen. Erst viel später kam ich dem trockenen Witz des Bocchesen auf die Spur. Ich hatte mit dem „naj“ die Superlativbezeichnung gebraucht und gesagt: „sehr schön!“ Der Witz im Wortspiel bestand darin, daß der Bocchese sagte: „na liepse!“ (Zu den Schönen [Mädchen]).

Etwa ein Stündchen darauf fuhren wir im Hafen einer Küstenstadt ein, wo das Privatissimum bei Wein und Rauchopfer stattfinden sollte. Winkt einem Kapitän dienstfreie Zeit, dann hat es mit der Ausbootung Eile. Sonst im Dienst sind just die südländischen Bocchesen wie von Erz und Granit. Ein Blick des Kapitäns, und schon rief er mir zu: „Bržo, bržo, naj brže!“ (Schnell, schnell, schnellstens!)

Ja, Bauer, es ist eine andere „Wurst“, wenn ein Bocchese das Wörtchen „naj“ zur Superlativbezeichnung benützt oder ein Deutscher mit dem ehrlichen Bestreben, eine Sprache ordentlich zu erlernen. Selbstverständlich wurde bei gutem Rötel von der Insel Lissa und köstlichem Dalmatinertobak dem Bocchesen diese „Wurst“ unter die Nase gerieben. Doch der Erfolg war kläglich gering. Alles, was dem Kapitän herausgelockt werden konnte, waren zwei Worte: „jako interessante“. Vom Wein wurde nur genippt; aber das Drehen von Zigaretten aus dem goldgelben wundervollen Tobak und das Rauchen ging großartig flink, najbrže. Als dann im Gespräch auch meine Wenigkeit das Verstärkungswörtchen „jako“ (=stark, sehr) gebrauchte, erfolgte die Belehrung, daß „dies“ „unschön“ sei, die kroatische Sprache „beleidigt“ werde usw.

Studienfahrten in Dalmatien werden wohl in jedem Reisenden sehr wirksame Eindrücke hinterlassen; eines aber ist in diesem slavischen Lande sicher nicht richtig zu studieren, nicht zu erlernen: die kroatische Sprache!

Also wurde das Land ausgesucht, bereist und studiert, wo – angeblich – reines Kroatisch gesprochen wird, alles ganz anders und „jako (vrlo) interessante“ ist.

Das in seinen gebirgigen Teilen märchenschöne Land Kroatien hat neben anderen Vorzügen die schöne Eigenschaft, daß man – genügend Zeit vorausgesetzt – alle Notabeln kennen lernen, die wunderbare kroatische Gastfreundschaft genießen kann, wenn man mit einem einzigen Adeligen befreundet ist. Aber, woher die Zeit nehmen! Der Aufenthalt auf jedem Edelsitz (curia nobilis) – schon von weitem erkennbar an der zum Schloß führenden, kennzeichnenden Pappelallee – verschlingt wenigstens eine Woche, da doch auch der Bibliothek und der Umgebung volle Aufmerksamkeit gewidmet werden muß, wenn man zu Studienzwecken im Lande weilt.

In allen südslavischen Ländern stößt man auf rührende Dankbarkeit, wenn die Leute merken, daß man als Reichsdeutscher den guten Willen hat, sich der betreffenden Sprache nach Möglichkeit zu bedienen. Besonders in Kroatien ist das „bocchesisch-marinierte“ Nörgeln (übrigens mehr scherzhaft als bissig gemeint) nicht üblich; Belehrung wird auf freundliche Bitte hin bereitwillig und freudig in zartester Form erteilt.

Von Zara aus hatte meine Wenigkeit für einen bestimmten Tag die Ankunft auf einem kroatischen Edelsitz mit einem kroatischen bržojav (Telegramm) angesagt. Von der letztmöglichen Eisenbahnstation ging es zu Wagen in sausender Fahrt auf staubiger Landstraße dahin. Der Insasse war von der langen Reise müde, übernächtig, schlaftrunken, wenig empfänglich für die Schönheit des Sommermorgens in fruchtbarer Gegend. Nicht das geringste Interesse war vorhanden für die Reitertruppe, die auf abgemähter Wiese übte. Soll die Stimmung des „tunkenden“ Reisenden genau wiedergegeben werden, ist's nur in bajuvarischer Sprache möglich. „Mei' Ruah' möcht' i!“ Schlafen, ausruhen um jeden Preis.

Daß sich beim Anrollen meines Wagens von der Kavallerieeskadron ein Offizier entfernte und gegen die Straße galoppierte, war mir unsäglich – „wurscht“. Aber der Offizier hoch zu Roß tauchte am Wagenschlag auf, grüßte höflichst auf kroatisch und hieß den Gast dann, im Trab mitreitend, in deutscher Sprache auf kroatischem Boden willkommen mit den Worten. „Gute Ankunft, Herr – Achleitner! Lustig sein! Zum Abend kommen wir alle zur Begrüßung! Servus!“ Und weg war der Offizier. Der Schlaf war auch weg. Ich fühlte ordentlich, daß mein Gesichtsausdruck „schafmäßig“ war. Beispiellos verblüfft.

Als eine Pappellallee in Sicht kam, waren die Zurufe der Bauern: „Zivio gospodin tajni savjet!“ (Hoch, Herr Geheimer Rat!) leicht als „eingelerntes Zeug“, befohlen vom Gutsherrn, zu erraten.

Mittags gab es mit umständlicher Feierlichkeit den Willkommstrunk mit – onomatologischer Beigabe. Der Mensch lernt nie aus. Zwar bestritt der Schloßherr nicht die Möglichkeit, daß das kroatische, mit nur einem „l“ zu schreibende Wort „Billikum“, also „Bilikum“, vom Deutschen abgeleitet und dem kroatischen Wortschatz einverleibt worden sein könne, aber sehr wahrscheinlich sei solche Anleihe nicht, da das Wort „Bilikum“ „spielend leicht“ aus dem Kroatischen erklärt werden könne: „Pije-li, kume?“ (Will er trinken, Gevatter?) Piti = trinken, pijem = ich trinke.

Angesichts des „zweiliterigen“ Willkommsbechers erstarb jede Widerspruchslust. Der Wissenschaft halber wurde zunächst diese Ableitungstheorie notiert; dann ging's an die Leerung des Willkommsbechers. Eine kurze Dankrede und ein prächtiges „Diner“ darauf, hernach erquickender Erholungsschlaf im Bett.

Auf kroatischen Edelsitzen hatte ich erstaunlich viel Glück insofern, als zur rechten Zeit Schlechtwetter eintrat und dadurch das „Schnüffeln“ in Archiv und Bibliothek ermöglicht war. Fundgruben kostbarer Art für Kulturhistoriker. Im Archiv des „Kume“ (Gevatters), so nannte meine Wenigkeit in Gedanken den Hausherrn wegen der Ableitung des Wortes ‚Bilikum‘ aus dem Kroatischen, gab es ziemlich viel handschriftliches Material aus der Franzosenzeit. Darüber wurde begreiflicherweise bei Tisch, besonders abends, eingehend gesprochen bunt durcheinander in drei Sprachen, von denen wir wegen hochgradiger „Vergeßlichkeit“ das gallische Idiom Unbehagen verursachte. Darauf aufmerksam zu machen, daß „mein Französisch“ „verschwitzt“ sei, fehlte die Gelegenheit. Im Sprühfeuer dieser noch dazu sehr flink geführten Gespräche begann der Gast Schlimmes zu – ahnen. Am Ton war bei einer Gesprächswendung die Ironie herauszuhören; doch nicht für Kroatien und sonstige Königreiche als Belohnung ergab sich die Möglichkeit, rasch den Sinn zu erfassen, als der Hausherr schalkhaft lächelnd erwähnte: „J'ai du bien au soleil!“

Von allen Göttern verlassen, übersetzte der Gast in Gedanken so rasch als möglich wortwörtlich und damit regelrechten Blödsinn! „Ich habe viel – Sonne!“ Anzuwenden wäre aber die ironisch gemeinte Deutung gewesen.

„Ich bin Gutsbesitzer!“

Alle Augen richteten sich auf den Gast, von dem eine Äußerung erwartet wurde.

In dieser peinlichen Lage flogen zu allem Unglück die Gedanken aus Kroatien nach Tirol; der Satz unseres alten Ludwig Steub im Fremdenbuch der altberühmten Weinstube des Gasthauses „Klause“ bei Kufstein trat in Erinnerung und beherrschte alles. „Einschreiben, einschreiben, nichts leichter als das, wenn man nur immer gleich wüßte: was?!“ – Im gegebenen Falle: Reden, reden; nichts leichter als das, wenn man nur wüßte: was!… Flink von Tirol weg und hinein in die – kroatische Grammatik, und das Zünglein plapperte die Antwort auf den französischen Witz: „Nemam sada sunce!“ (Ich habe jetzt keine – Sonne!)

 

Schallendes Gelächter. Die Tafelrunde krümmte sich und schrie wie toll geworden. Und hielt diese gräßliche Antwort für einen – sprühenden Witz, der mit schrecklichem Lärm und Händeklatschen aufgenommen wurde.

Als sich die Tischgäste etwas beruhigt hatten, glückte es mir, das Mißverständnis aufzuhellen und die Bitte vorzubringen, das längst vergessene Französisch wegzulassen und zugunsten meines Lerneifers Kroatisch, reines Kroatisch, aber hübsch langsam, zu sprechen. Diese ehrliche Bitte wurde Anlaß, daß der Hausherr die „Episode des Herrn Nikola von Zdenčaj“, der damals, zur Franzosenzeit Kroatiens, Obergespan des Agramer Komitates war, zum besten gab, und zwar viel witziger, als sie in von Tkalac' „Jugenderinnerungen“ zu lesen ist.

Herr von Zdenčaj (etwa mit „Brunner“ zu übersetzen), war ein arger Französling, der sein Geld nach Bojarenart viel lieber in Paris als in Agram oder Wien „verjuxte“. Er blieb in Kroatien, als die Franzosen sein Vaterland besetzten, machte aus seiner Vorliebe für Gallien nun erst recht kein Hehl und gab sich alle Mühe, „echt französische“ Dienerschaft in sein Haus zu bekommen. Das gelang aber nicht, obwohl Zdenčajs Freunde in Paris alles versuchten, Domestiken für Kroatien anzuwerben; nur einen Sprachlehrer konnten sie senden, der dann die kroatische Dienerschaft Zdenčajs in „Pariser“ Domestiken ummodeln sollte. Mehr Talent als der Deutsche hat ja der Slave für fremde Sprachen; doch zu raschem Erlernen gehört doch auch ein gewisses Maß von Intelligenz. Die Diener Zdenčajs versagten kläglich, merkten sich kaum die französischen Taufnamen, mit denen sie angerufen wurden. Im Hausdienst mußte Französisch gesprochen werden; Zwangsdressur, unzählige Probediners, damit die kroatischen Diener das Servieren und Sprechen auf Pariser Art für das große Festmahl am – Napoleonstage erlernten. Ein Ereignis sollte dieses Festdiner für Westkroatien werden. Gelehrig oder doch anstellig, gut brauchbar waren Zdenčajs Domestiken unbestreitbar, doch ein gewisses Mißtrauen wurde der Gebieter nicht los. Deshalb hielt er am Festtage selbst noch am Morgen eine Probe an der bereits geschmückten Tafel ab. Zdenčaj erteilte seine Befehle im Französisch jener Zeit, im „Bojaren-Patois“; die in „Jean“, „George“, „Pierre“ usw. umgetauften kroatischen Diener antworteten „französisch“, machten ihre Sache gar nicht schlecht während dieser Generalprobe, so daß Zdenčaj aufatmete und beruhigt dem Festdiner entgegensah. Bis zum Abend fühlte sich Zdenčaj als Grandseigneur, und als solcher begrüßte er seine französischen und kroatischen Gäste. Erstere waren in der Mehrheit, da Militär und Beamtenschaft geladen war. Slavische Gastfreundschaft sollten die Franzosen kennen lernen, Gastlichkeit in üppigster Form, sich aber wie daheim in Frankreich fühlen durch die Art der Bedienung. Zdenčaj haßte das laute Flaschenöffnen bei Tisch, den Lärm, das „Schnalzen“ der kräftig und rasch gezogenen Korke; deshalb waren vor Dinerbeginn ganze Batterien edler französischer Rotweine geöffnet und in einem Nebenraume bereitgestellt worden. Für diese Seltenheiten interessierten sich die Diener des Hauses Zdenčaj viel stärker als für die erwarteten Gäste, so daß die Domestiken schon eine Stunde vor Beginn des Festmahles nach – Burgunder dufteten und „weinselige“ Augen machten.

Nikola von Zdenčaj „bekomplimentierte“ in der Art des achtzehnten Jahrhunderts den etwas verfrüht erschienenen kommandierenden General und bald darauf den Gouverneur, so daß es unmöglich war, die Dienerschaft im Auge zu behalten.

Nach längerem Begrüßungsgespräch ging es zur Tafel.

Die ersten Gänge wurden zwar nicht nach Pariser Art, nicht sehr „diskret serviert“, doch Verstöße größerer Art kamen nicht vor. Als der erste Braten aufgetragen wurde, gewahrte der spähende Kontrollblick des Hausherrn, daß einem der Gäste, noch dazu einem französischen Stabsoffizier, der Teller nicht gewechselt worden war. Zdenčaj versuchte zunächst mit Augenwinken den Fehler ausbessern zu lassen. Dafür fehlte es bei den weinseligen kroatischen Dienern an Achtsamkeit. Der Gebieter „stupste“ Janko und deutete auf Gast und Teller. Worauf Janko auf den Franzosen lossteuerte und den Teller wegnehmen wollte. Der Offizier meinte lächelnd: „Bien obligé!“

Janko stutzte, riß die Augen auf, ließ den Teller stehen und kehrte sichtlich maßlos überrascht zum Gebieter an der Tafel zurück, der in französischer Sprache den „talketen“ Diener rüffelte und sofortigen Tellerwechsel befahl.

Janko im Burgunderdusel und in Angst vor Strafe vergaß im Nu alle eingepaukten Parisismen und stotterte in der Muttersprache. „Prozim, njihovo gospodstvo! Gospodar rekni, da si ga sam obliže!“14

Die Gäste kroatischer Nation, denen Zdenčaj's Nachäffung französischer Gebräuche wenig gefallen haben mochte, brüllten vor Vergnügen über die köstliche Verwechslung von „obligé“ (verpflichtet) mit „obliže“ (ablecken) und hatten helle Freude daran, daß der Hausherr durch den angetrunkenen Diener gründlich blamiert worden war. Das schallende Gelächter veranlaßte die französischen Gäste, nach dem Anlaß zu fragen; die mit boshafter Bereitwilligkeit gegebene Auskunft versetzte dann auch die Franzosen in unbändige Heiterkeit. Sogar Herr von Zdenčaj lachte mit, freilich etwas gezwungen und säuerlich.

Nach Beendigung des Mahles wurde aber „Gericht gehalten“ und den Dienern verkündet, daß jeder erbarmungslos entlassen werde, der nicht bis Jahresschluß der französischen Sprache im Hausgebrauch vollkommen mächtig sei. In dieser Sache „siegte“ Herr von Zdenčaj. Aber seine Blamage hat sich in der Erinnerung länger als ein Jahrhundert erhalten; denn auch in der Gegenwart wird über die köstliche Episode gesprochen und gelacht. Ob dies auch in der Zukunft der Fall sein wird, dürfte von der Tätigkeit der französischen – Kontrollkommission in Kroatien abhängen….

Von der Sann zur Korana

Vor etwa zehn fahren folgte meine Wenigkeit einer Einladung lieber Freunde, in Römerbad, dem „südsteierischen Gastein“, Aufenthalt zu nehmen. Die drollige Einladung sprach von einer „slavischen Agnes Bernauer“, die in der Nähe ihre Grabstätte habe, erwähnte auch, daß der „verflossene“ Reichskanzler Caprivi „an der Sann beheimatet“ sei, und lockte mit der Versicherung, daß ein nigelnagelneues Automobil zur Verfügung stände, mit dem nach Belieben in das „halbasiatische“ Land gefahren werden könne.

Zwei Tage später war ich in – Römerbad, dem alten Toplice (slavisch toplice = warm) im lieblichen Süden der grünen Steiermark. In diesen heißen Quellen, wie auch in Varazdin-Töplitz, fanden die römischen Statthalter der Provinz Pannonien Heilung von Gicht und Zipperlein. Die Dankbarkeit ließen sie in Stein einmeißeln. Dies tat auch der Provinzchef Matius Finitus mit dem Eintrag in das „steinerne Fremdenbuch“: „Nymphis aug. Matius Finitus. V.S.L.M.“ (= votum solvit lubens merito). Zu deutsch: Den erhabenen Quellen (Nymphen) Matius Finitus sein Gelübde einlösend. Drei Votivtafeln solcher Art wurden in alter Zeit bei den Heißwellen gefunden; die Thermen gerieten dann in Vergessenheit, flossen ungenützt durch wunderlieblichen Waldeszauber zur munteren Sann, bis die Mönche des nahen Karthäuser Klosters in Gairach sich klug und weise den wertvollen Besitz sicherten, einen Badedirektor aufstellen unter der bezeichnenden Bedingung, „im Bade lauter züchtiges Gesinde und ehrbare Weibsleute zu halten“. Der Zeit nach waren die Gairacher Mönche zu Toplitze-Römerbad der Badeverwaltung des salzburgischen Gastein um rund achthundert Jahre verspätet daran, klimatisch aber bedeutend im Vorteil durch die südliche Lage, gleichmäßige Temperatur und das üppige Wachstum und durch den Mangel an jeglichem, an der Sann ganz unbekanntem salzburgischem Schnürlregen, der zum Entsetzen der Gasteiner Kurgäste so gern in Schnee übergeht. Vor Jahrhunderten schon wurde auf die gleiche Heilkraft und Temperatur der Heißwellen von Römerbad und Gastein verwiesen, und auf diese Tatsache fußend (Gastein 25,8-49,6 Grad Celsius, Römerbad 36,2-37,5 Grad Celsius), Römerbad das „steierische Gastein“ genannt zum Arger der Gasteiner.

„Gichtiker“ war meine Wenigkeit damals noch nicht; demgemäß ließen die Heißwellen von Römerbad mich „kalt“; das Interesse galt der „slavischen Agnes Bernauer“, der steierischen „Inez de Castro“, der unglücklichen Veronika von Jeschnenitz (ješen = Herbst, jesén = Esche), Gräfin von Cilli, die in der gotischen Klosterkirche zu Gairach bei Römerbad begraben liegt.

Zunächst „verbiß“ sich der Onomatologe in den Namen „Gairach“, der sehr deutsch aussieht, in dieser slovenischen Gegend aber kaum rein deutsch sein kann. Zum mindesten ist das deutsche „Hai“ (Gehege, befestigter Platz, Umfriedung zu Verteidigungszwecken) vergröbert in „Gai“. Da das Gairacher Kloster auffallenderweise quer zum Sträßlein steht, als Talsperre gebaut ist, kann über den ehemaligen Verteidigungszweck kein Zweifel begehen. Im Slavischen hat „gaj“ die gleiche Bedeutung wie das deutsche „Hai“. Und Ach, Ache ist der Wildbach, dem der Tiroler ein „r“ einfügt, wenn im Bach oder Fluß Felsblöcke liegen. Deshalb heißt der Inn bei Landeck „Arch'n“….

Der Grabstein der slavischen Agnes Bernauer besagt soviel wie das urkundliche Material, nämlich nichts. Die unglückliche Veronika von Jeschenitz, Gräfin von Cilli, hat einen Hofdamen-Roman erlebt und das winzige Maß von kurzem Glück im Jahre 1436 mit üblich tragischem Ende gebüßt. Tugendhaft hatte Veronika dem in sie rasend „verschossenen“ Grafen Friedrich II. von Cilli erklärt, daß der Weg zu ihrem Herzen nur über den – Altar führe. Im übrigen pochte Veronika auf ihre Hofdamengrundsätze. Der junge Graf Friedrich II. war bereits und ausgiebig verheiratet, hitziger Natur und rasend verliebt in Veronika. Die Zeit aber war rauh. Graf Friedrich II. „erstach“ als hitziger „Gemütsmensch“ seine sanft und ahnungslos schlummernde Gemahlin und „heiratete“ dann mit der im fünfzehnten Jahrhundert üblich gewesenen Eile die Hofdame seiner „verblichenen“ Gemahlin. Nun erst wurde die Angelegenheit „brenzlich“; denn der Altgraf Hermann von Cilli trat auf den Plan, und Seine Gräfliche Gnaden waren noch hitzköpfiger als der Sohn. Der Papa verübelte nicht die „kurzhändige“ Beseitigung der Gemahlin Nr. 1, sondern die Heirat der Hofdame aus „nichtebenbürtigem“ kleinem Landadel. Die „Mesalliance“ paßte dem Alten nicht. Die Nichtberücksichtigung der Standesinteressen mußte „gerochen“ werden, und zwar mit der gleichen Eile, mit der Friedrich seine erste Gemahlin aus dem Leben ins Jenseits befördert hatte. Der abkunftstolze Altgraf sandte zwei gutgenährte kräftige Ritter in die Burg Osterwitz bei Franz (Umgebung von Cilli), wo Veronika „residierte“, und ließ Friedrichs Gemahlin Nr. 2 einfach und kurzerhand in einem mit Wasser reichlich gefüllten – Waschbottich ertränken. Gleichzeitig wurde der Sohn Friedrich zur – Abkühlung in das Verließ der Burg Cilli gesteckt.

Das ist der „etwas“ tragische Roman der Hofdame Veronika von Jeschenitz, der slavischen Agnes Bernauer und steierischen Inez de Castro. Mehr war nicht zu erfahren und die Stimmung damals diesem „Stoff“ nicht günstig. Weit mehr als die arme Veronika fesselte die Behauptung im Freundeskreise zu Römerbad, daß der deutsche Reichskanzler von Caprivi von – Slovenen abstamme, und daß seine Ahnen an der Sann seßhaft waren, nämlich auf dem Edelsitz Scheuern bei Steinbrück am Zusammenfluß der Sann und Save. Ahnherr war Ritter Andreas Kopriva (zu deutsch: Brennessel), der 1680 starb ohne die geringste Ahnung, daß etwas mehr als zweihundert Jahre später ein preußischer General von Caprivi deutscher Reichskanzler, noch dazu als Bismarcks Nachfolger „Politik machen“ werde. Nicht ein Wort von dieser „Behauptung“ habe ich damals geglaubt. Unvorsichtig gab ich dem Zweifel auch noch schriftlich Ausdruck, machte „Witze“ über die Abstammung Caprivis von dem slovenischen Geschlecht der Kopriva. Sehr bald ging ein Platzregen von brieflichen Nachweisen, Urkundenabschriften usw. auf den spottlustigen Zweifler nieder. Heute weiß ich auf Grund gewissenhafter Forschungen, daß Caprivi wirklich ein umgemodelter Kopriva gewesen ist.

 

Auf Dauer und noch dazu im wonnigen Gelände von Römerbad konnte aber auch der „gehorsame Soldat“ Caprivi, den Wilhelm II. zum Reichskanzlerdienst einfach „befohlen“ hatte, nicht fesseln. Das Herz flog dem Freunde R.U. entgegen, der den Vorschlag gemacht hatte, sein neugekauftes Automobil zu einer Fahrt nach „Halbasien“, hinunter zu den Wasserwundern von Plitvice im südlichsten Zipfel von Kroatien zu erproben.

Praktisches Geographiestudium! Reisen bildet!

„Automobilfahren ist schöner noch als Jagd und Liebe!“

Dieser Ausspruch kühlte meine Begeisterung ab. Doch der Süden, der mir unbekannte Süden Kroatiens, die Schilderungen von der märchenhaften Schönheit der Korana und von Plitvice gaben den Ausschlag!

Also los!

Drei Stunden flinker Fahrt, und wir beguckten die fast unleserliche Aufschrift auf Eisentafeln, die auf dicken, rotweißblau angestrichenen Holzpfählen thronten: „Hrvatska i Slavonia“. (Kroatien und Slavonien). Damals ein Königreich, das zu Ungarn gehörte, deshalb das ungarische Staatswappen auch am Schilde jeder Tabaktrafik. Das Wort Goethes vom Deutschen, der keinen Franzmann leiden kann, doch seine Weine gerne trinkt, hätte man damals mit gewissen Veränderungen auf Kroatien anwenden können. Viel Zuneigung für ungarische Freiheit in Gesetzgebung und Verwaltung, „Autonomie der Munizipien“ (Selbständigkeit der Gemeinden) usw., Komitatsselbstherrlichkeit, das paßte den Hrvaten; daß die kroatische Sprache für Ortsnamen, Schule und Verkehr auf Landstraßen und bei Behörden im Lande „zugestanden“ war, bildete ein Ärgernis wegen der Form der „Konzession“; denn die Bestrebungen, die auf Magyarisierung hinausliefen, kannte man in Kroatien so gut wie in Budapest; man wußte auch, daß Kaiser Franz Joseph den Kroaten ihre Sprache in Land, Amt und Schule erhalten wollte, jeder Magyarisierung widerstrebte. Als aber die ungarische Regierung verfügte, daß die Verkehrssprache auf den Eisenbahnen (M.A.V. = magyar allam vašutak, ungarische Eisenbahnen; alter deutscher Eisenbahnerwitz in der Übersetzung: M.A.V. = „miserabelste aller Verwaltungen“) „magyarisch“ auch in Kroatien und Slavonien sein müsse, war es aus mit der „Zuneigung“ der Südslaven für – ungarische Freiheit usw. Damals „liebten“ die Kroaten die gewalttätigen Magyaren „tödlich“….

Gottlob wurde diese „Liebe“ nicht auf uns deutsche „Benzinisten“ übertragen; gelegentliche Versuche kroatischer Kinder, dem Kraftwagen Steine nachzuwerfen, hatten nichts zu bedeuten.

In Hotels wurden lediglich die Ohren gespitzt; man wollte hören, welcher Sprache die Automobilisten sich bedienten. Als Deutsche wurden wir freundlich und gut bedient.

Was der Name „Kroat“, slavisch Hrvat, Horvat, Arvat, eigentlich bedeutet, wissen die Kroaten selber nicht. In Agram war es vor zehn Jahren ganz unbekannt, daß die Erklärung des Namens im – Titel des Bischofs von Zengg steckt! Der Titel lautet: „Bischof von Modrusch und Korbavia“. Letzteres Wort stammt von „Korba“, das sich im Russischen erhalten und die Bedeutung hat: nasse, sumpfige Gegend. Dieses Korba steckt in den topographischen Namen: Korpula, Skorba, Karwin, Charbin. Die Bewohner wie die Grenzgegenden an der „Korba“ in alter Zeit erhielten den Namen „Korbati“, was Ufergebirge, Uferbewohner bedeutet. Aus „Korbati“ wurde dann: Chorbaten, Karwaten (Karpaten), Kroaten.

Deutschland machte die Bekanntschaft mit den Kroaten, mit ihrem Mut, mit ihrer Beutegier und Grausamkeit im Laufe des Dreißigjährigen Krieges. Der Name „Kroat“ (Krawat) wurde ein Schimpfwort im Deutschen („Schimpf“ in neuerer Bedeutung, nicht in der mittelalterlichen, wo das Wort soviel wie Vergnügen, Unterhaltung bedeutete); dazu hat ab 1740 Baron von der Trenck mit seinen Panduren und Greueltaten sein Teil reichlich beigetragen. Nicht mit Unrecht sagt der Kroate Dr. von Tkalac im Vorwort zu seinen „Erinnerungen“: „Kroatien und die Kroaten spielen in der deutschen Litteratur keine erfreuliche Rolle. Daß die Kroaten bei dem letzten großen Einfall der Mongolen im Jahre 1242 durch ihren Sieg in Grobnik (bei Fiume) Europa vor Verwüstung und Barbarei gerettet, daß sie jahrhundertelang eine Vormauer Europas gegen das damals noch mächtige Türkentum bildeten, ist weit weniger bekannt, als daß sie dem Hause Habsburg im Dreißigjährigen, im Erbfolgekrieg von 1740 und im Siebenjährigen Krieg Heerfolge und Schergendienste leisteten und sich dadurch die Feindschaft der abendländischen Völker zuzogen. In ‚Wallensteins Lager‘ läßt Schiller von einem Scharfschützen einen kroatischen Soldaten mit den Worten ansprechen: ‚Kroat, wo hast du das Halsband gestohlen?‘ Der Kroat antwortet: ‚Du willst mich betrügen, Schütz‘, und der Trompeter bestätigt dies: ‚Seht nur, wie der den Kroaten prellt?‘ Die Gaunerei des Scharfschützen macht auf die Zuhörer keinen Eindruck, aber seine Ansprache: ‚Kroat, wo hast du das Halsband gestohlen?‘ bewirkt eine Erschütterung des Zwerchfells, die nicht wieder vergessen wird. Und wenn nun gar in geographischen und geschichtlichen Werken Kroatien als ein Land dargestellt wird, das von verschiedenen halbwilden Völkerschaften, namentlich von Panduren, Hajduken, Schereschanern, Morlaken, Uskoken, Primorzen, Schokatzen, Raitzen usw. bewohnt wird, wissen gar viele nicht, daß die Mark Brandenburg von einer Menge verschiedener Völkerschaften, wie Potsdamern, Charlottenburgern, Teltowern, Schönebergern, Lichterfeldern usw., bewohnt wird. Ich will nun freilich nicht behaupten, daß Kroatien das irdische Paradies und die Kroaten das auserwählte Volk Gottes seien, aber wenn man sich für die unwirtlichsten Länder Innerafrikes und Zentralasiens und für deren wilde und stupide Bevölkerungen interessiert, würde wohl auch das nicht so fern liegende Kroatien und sein Volk verdienen, daß man sich in Deutschland über beide besser unterrichtete.“ Bitter klagte Dr. von Tkalac auch darüber, daß er als Universitätsstudent in Berlin als eine Art ethnographisches Wundertier, weil Kroat von Geburt, angestaunt wurde. Eine den höchsten Kreisen Berlins angehörende Dame konnte es überhaupt nicht begreifen, daß ein Universitätsstudent, der Griechisch und Latein verstand und Italienisch, Französisch und Deutsch sprach, ein – Kroat sein konnte.

Ähnliche und bittere Klagen zu erheben, hatten die Slovenen vielfach Ursache, die man stets zum Dienervolk herunterdrücken wollte, und deren Sprache man bestenfalls als Verständigungsmittel für Dienstboten bezeichnete. Wer viel und lang in slovenischen Familien der Intelligenz verkehrte, mußte zur Überzeugung gelangen, daß überlange ungerechte Behandlung, gewaltsame Unterdrückung eine gefährliche Verbitterung im slovenischen Volke heraufbeschwören werde. Zündstoff war mehr als genug vorhanden. Die überstürzte Gründung der schlecht geleimten „Država SHS“ war allerdings nicht vorauszusehen. Seitens der Slovenen und Kroaten ist sie ein menschlich begreiflicher Racheakt. Und „Rache ist süß“. Ist sie aber genügend ausgekostet, wird auch die Verbitterung weichen, bei den Südslaven und Deutschen der südlichen Gebiete die Vernunft einkehren und lehren, daß man aufeinander angewiesen sei und miteinander leben müsse. Hoffentlich dann beiderseits mit weiser Mäßigung in Politik und nationalen „Gefühlen“….

Auf der flinken Fahrt zu den so gut wie unbekannten Wasserwundern von Plitvice macht man erstmals die Bekanntschaft mit der stahlblauen Korana in Karlstadt, wo sich Kulpa und Korana, diese interessanten Flüsse Kroatiens, vereinen. Was doch die Neuzeit alles schafft! Aus einer wuchtigen Grenzfestung, die im sechzehnten Jahrhundert als Trutzburg gegen die nahe Türkei (Türkisch-Bosnien) angelegt wurde, aus dem düsteren, blutgetränkten Städtle Karlovatz ist eine moderne, fast elegant zu nennende, freundliche Stadt mit schönen Gebäuden geworden.

14Bitte, Euer Herrlichkeit! Der Herr sagt, daß er ihn (den Teller) selbst – ablecken werde! Ližem = ich lecke, obližem = ich lecke ab.