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Aus Kroatien: Skizzen und Erzählungen

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Die tausendjährige Linde

Kräftiger und süßer denn je dufteten die Blüten der riesigen uralten, vielleicht tausendjährigen Linde nächst der Kirche von Krašič (Kraschidsch), einem Winzerdorfe an der östlichen Abdachung des Uskokengebirges in Kroatien. Den Slaven war und ist die Linde ein geheiligter Baum, das Wahrzeichen alter Rechte, für Freud und Leid, die Beratungsstelle zum Austrag von wichtigen Gemeindeangelegenheiten, von Streitigkeiten unter den Bauern wie mit der Grundherrschaft. Sommerliche Festlichkeiten, Tanzvergnügungen usw. wurden stets unter der Linde, pod lipom, veranstaltet. Noch in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde jede Dorflinde für unverletzlich gehalten, selbst ein abgestandener Baum niemals gefällt; Sagen und Märchen, viel Aberglauben umrankten die Linde, der man keinen Ast abbrechen durfte, weil jede Beschädigung als Verbrechen ähnlich der Kirchenschändung erachtet wurde. Der Stamm der Riesenlinde von Krašič hatte einen Umfang von mehr als zwei Klaftern; der Baum stand in voller Herrlichkeit und blühte im Juli 1838 so wonnig, kräftig und süß, wie sich die Dorfbewohner und auch der alte Pfarrer nicht erinnern konnten. Es galt in Krašič für sicher, daß dieser außergewöhnlich starke Blütenduft der Dorflinde etwas bedeuten müsse; doch konnte niemand, auch der weißhaarige Župnik (Pfarrer) nicht, sagen, was die Ursache sei, und was der Duft ankündigen wolle, der über die Gemarkung des Dorfes hinausdrang und, zeitweilig vom Luftzug verweht, sogar in den Weinbergen der Novakovičgora noch wahrzunehmen war.

Diese Linde überragte alle Dächer, schirmte sozusagen das Kirchenschiff und den Widum (Pfarrhaus) und glich gewissermaßen den Schwingen einer Gluckhenne, unter denen die Kücken Schutz finden.

Stolz waren die Krašićer auf ihre Riesenlinde so hoch und breit. Wegen des überstarken Blütenduftes im Juli schüttelte aber der Župnik wie der Starešina den Kopf. Der Älteste (Dorfvorsteher) Zaka (Zacharias) glaubte, daß der fast betäubende Duft ein großes Unglück ankündigen werde, war aber außerstande, zu sagen, was als ein besonderes Unglück anzusehen wäre. In seligem Frieden mit der gräflichen Grundherrschaft lebten die Dörfler allerdings nicht; der Haß galt nicht der gräflichen Familie, sondern den Gutsbeamten, die sich mit dem Neuntel von Getreide und Heu, mit dem Zehntel von der Weinfechsung nicht begnügten, regelmäßig die Hälfte forderten, aber nicht immer erhielten.

Bisher hatten die Krašićer beim Domanialgericht Klage geführt, immer wieder Beschwerde eingelegt, aber nichts zu ihren Gunsten erreichen können. Der Richter stand auf Seite der Gutsherrschaft; die Beamten wollten nicht locker lassen und hatten dafür ihre Sondergründe.

In der pfarrlichen Arbeitsstube, durch deren offen stehende Fenster der Lindenblütenduft wonnig eindrang, sagte der Starešina, ein großer, noch immer schöner Mann im Weißbart, zum allgemein verehrten Priestergreise. „Der Duft ist zu stark; er gefällt mir nicht! Ich gehe nach Karlstadt und will fragen, was er bedeutet!“

Der ehrwürdige Pfarrer konnte und wollte den Dorfvorsteher vom Gang zur Kreisstadt nicht abhalten, hatte jedoch den Wunsch, zu verhüten, daß sich der Starešina mit der komischen Frage nach der Ursache des überstarken Blütenduftes bei der Beamtenschaft in Karlstadt lächerlich mache und verhöhnt werde. In der Meinung, daß der Vorsteher in einem Scherz das Körnchen Ernst herausfinden werde, verwies der Pfarrer auf den Spruch: „Ne prelazi na cetir noge mosta!“15. Damit wollte der Župnik andeuten, daß man nicht überstürzt reiten, das Pferd am Zügel führen solle, weil möglicherweise die Brücke morsch sei. Vor einem übereilten Schritt wollte der Pfarrer den Vorsteher abhalten oder doch warnen.

Der Starešina hob den weißbebuschten Kopf, richtete die blitzenden Augen auf den Župnik und sprach. „Wer zu Fuß geht, kommt auch über eine baufällige Brücke!“ Nach kurzem Abschied verließ der Vorsteher das Pfarrhaus und stapfte nach Karlstadt.

Zwei Tage später stand er wieder vor dem Pfarrer und berichtete, daß der überstarke Blütenduft der Linde „neue Rechte“, nove pravice16, ankündigen wollte, ein neues Urbanialgesetz, das der Kaiser und König den Bauern zum Schutz gegen die aussaugenden Grundherren gegeben habe. Mit der Raubwirtschaft und Bauernschinderei sei es jetzt zu Ende; die Bauern hätten nun mit kaiserlicher Ermächtigung ein Recht, Neuntel, Zehent und Robot zu verweigern, ihre Peiniger, die Blutsauger, zurückzuwerfen und zu verprügeln, wenn die Gutsbeamten mit Gewalt vorgehen.

Der Pfarrer ahnte Schlimmes und bat flehentlich, jede Gewalttat zu unterlassen, das Neuntel von der beendigten Ernte diesmal noch zu geben, da einstweilen vom Reichstag nur die „königliche Proposition“ angenommen, das Gesetz selbst vom Monarchen noch nicht „sanktioniert“, nicht vollziehbar sei.

Der Starešina war nicht zu belehren, die Mitteilung von dem in Budapest angenommenen Gesetz zum Bauernschutz zu Kopf gestiegen. Er wollte nicht mehr auf den Pfarrer hören, wiewohl der Vorsteher sonst zugänglich war und mit allen Gemeindeangehörigen den greisen Župnik aufrichtig verehrte. Scharfen Tones, metallhart sprach der Starešina die Worte. „Jetzt wird die Linde sprechen; sie allein entscheidet mit dem letzten Wort!“ Damit verließ der alte Zaka den Widum und blieb dem Pfarrer fern.

Von Haus zu Haus lief die aufwühlende Kunde von dem „neuen Recht“. Und für den nächsten Sonntag nach Beendigung des Gottesdienstes wurde der „Rat unter der Linde“ einberufen. Die „Linde sollte sprechen“….

Schwere Befürchtungen erfüllten die Seele des ehrlichen Pfarrers, der sich entschloß, in der nächsten Sonntagspredigt die Gemeinde vor den Folgen der Zinspflichtverweigerung umso mehr eindringlich zu warnen, als im Dorfe Leute auftauchten, die zweifellos zu offenem Widerstand aufreizten und den Bauern alle Freiheit und obendrein eine goldene Zukunft versprachen.

Fast ein halbes Jahrhundert hindurch war der Pfarrer unter oft bitterharten Verhältnissen Seelsorger, doch nie fiel ihm der Gang zur Kanzel so schwer wie an diesem Sonntag. Und wie er den Leuten zureden sollte, wußte er nicht, als er bereits auf der Kanzel stand. Beim Anblick der Männer mit gewissermaßen bissigem Gesichtsausdruck kam die Erleuchtung plötzlich und ebenso jäh der unbeugsame Entschluß, all die Beliebtheit und Verehrung dranzusetzen, den verhetzten Bauern rückhaltlos, unbekümmert um die Folgen für den Prediger, die Wahrheit zu sagen. Und so hub der greise Župnik zu sprechen an, daß es leicht sei, im schwer arbeitenden und unter harten Lebensverhältnissen leidenden Volke mit lockenden Worten große, ja ungeheure Hoffnungen auf schrankenlose Freiheit und goldene Zeit zu erwecken. Wer die leichtgläubige, begehrliche, geldlüsterne Menge mit frechen Versprechungen überschütte, der habe immer gewonnenes Spiel, mag der Schwätzer ein Verräter, ein Dieb, ein Überläufer, ein Schuft sein. Das Volk opfert immer für eine glänzende Hoffnung die kleine Habe, das bißchen angeborenen gesunden Menschenverstand. Blitzdumm sei es, die wenigen letzten Gulden den Schwätzern nachzuwerfen in der Hoffnung, daß die kommende Zeit Dukaten in schwerer Menge einbringen werde. Die Zukunft bringe aber kein Geld, überhaupt keinen Gewinn, dafür aber bittere Enttäuschung und schweres Unglück in der Familie, in der Gemeinde, im Vaterlande. Das sei immer und überall so gewesen, wo Geldgier und Faulheit größer waren als Verstand und Vernunft. „Die Gescheitesten auf Gottes weiter Erde sind wir Kroaten schon in früheren Jahrhunderten nicht gewesen, weil wir für andere Leute und fremde Interessen Blut und Leben hingegeben, dafür keine Entschädigung, nicht mal ein Dankeswort erhalten haben. Leute von Krašić! Zeiget doch ihr, daß wir nicht die Dümmsten von Kroatien sind! Ein bissel dumm sein, ist ja ganz nett und bekömmlich für Leib und Seele! Aber die Allerdümmsten wollen wir nicht sein! Wir sind es aber, wenn wir auf ein Gesetz pochen, das noch nicht Gesetzeskraft erlangt hat, weil der Kaiser-König es noch nicht sanktioniert hat. Es muß das Neuntel von Getreide und Heu gegeben werden, weil der Monarch die Bauern noch nicht von dieser Abgabenpflicht befreit hat! Sobald das geschehen ist, das Gesetz rechtskräftig geworden ist, bin ich der erste, der es verkündigen und euch auffordern wird, der Grundherrschaft das Neuntel und Zehntel zu verweigern! Bis jetzt sind wir noch nicht so weit: wir müssen zinsen! Seid vernünftig, Männer von Krašić!“

Ein Gepolter machte den Kanzelredner stutzig. Der Pfarrer hielt inne und guckte betroffen auf die Bauern, die rücksichtslos aus den Kirchenstühlen traten, in Haufen das Gotteshaus verließen. Nur Weiber und Kinder blieben beim greisen Pfarrer zurück, der die Predigt jäh beendete und tiefbetrübt den Gottesdienst fortsetzte.

Unter der duftenden Linde versammelten sich die Dörfler von Krašić zum Schwur, alle Abgaben der Grundherrschaft zu verweigern, die „Blutsauger“ (Beamten) mit Gewalt zu vertreiben, wenn nötig totzuschlagen. Denn damit sei der Kaiser-König einverstanden, der die alten Rechte (stare pravice) erneuerte und der Bauernschinderei ein Ende gemacht habe.

 

Gegen den greisen Pfarrer fiel kein Wort; die Verehrung saß tief genug, die Dankbarkeit wurzelte so fest, daß einer der Hetzer aus Karlstadt, der zu einer Art „Katzenmusik“ vor dem Widum auffordern wollte, regelrecht verprügelt und aus dem Bereich der heiligen Linde entfernt wurde. Und nach Beendigung der Versammlung unter der Linde ging der Starešina zum greisen Pfarrer und bat um Verzeihung, daß die Bauern so rappelköpfisch während der Predigt die Kirche verlassen hatten.

„Wenn es nur das wäre! Es wird noch viel schlimmer kommen!“ meinte ahnungsvoll der bekümmerte Župnik.

„Wollen wir hoffen, daß der König das Gesetz sanktioniert, bevor die Ernte eingebracht ist!“

Der greise Pfarrer verwies auf die Langsamkeit, mit der in Pest und Wien gearbeitet werde.

„So? Dann trägt der König Verantwortung und Schuld!“

„Und die Krašićer werden in – Blut schwimmen!“

Der alte Zaka richtete einen langen Blick auf den greisen Pfarrer, seufzte tief und ging.

Als die Linde verblüht hatte, ihr auffallend starker Duft erloschen war, brachten die Bauern die letzten Garben unter Dach und Fach. Der übliche Erntejubel unterblieb. Die Spannung war zu groß, die Erwartung, was nun erfolgen werde.

Der Starešina ging nach Karlstadt und fragte bei der Vizegespanschaft an, ob das Urbanialgesetz sanktioniert worden sei. Er kam mit dem betrübenden Bescheid zurück, daß bis auf weiteres alles beim alten bleibe, also das Neuntel der Ernte gezinst werden müsse, widrigenfalls die bockbeinigen Bauern mit Gewalt dazu gezwungen würden. Alle Bauern, nicht nur die von Krašić!

Das Wetter schlug um. Auf die südlich-heißen Erntetage folgten windgepeitschte Regengüsse, die den Boden Kroatiens in Morast verwandelten, den Verkehr unterbanden. Auf Seitenstraßen und Dorfwegen konnten Ochsenfuhrwerke kaum durchkommen.

Die Bauern des abseits gelegenen Dorfes Krašić frohlockten in der Meinung, daß das Neuntel ihnen verbleiben werde, einmal weil der „Lindenschwur“ bekannt geworden sei und die Herrschaft eingeschüchtert habe, und dann, daß den Blutsaugern die – Rache verregnet sei.

Verregnet war allerdings auch der Erntetanz unter der Linde; er sollte stattfinden am nächsten sonnigen Sonntag.

Der Warmwind flog über das Land und trocknete rasch auf. Schon am zweiten Tage darauf staubte die gute Straße von Karlstadt nach Ogulin wieder. Und die Sonne brannte hernieder.

In Krašić war es rasch trocken, die Linde hatte sich alle Tropfen vom Laub geschüttelt; köstlicher Erdgeruch überall, wonniger Duft in den Rebgeländen.

Im Dorf erscholl heftiges Peitschengeknall. Herrschaftliche Gutsbeamte waren mit Leiterwagen gekommen, wollten das Neuntel von den Bauern einheimsen und wegfahren. Eine rücksichtsvolle Neuerung: man holte das Neuntel, ersparte den Zinspflichtigen die Bringung zum weit entfernten gräflichen Schlosse. Dagegen hieß es: Rasch heraus mit dem Getreideneuntel! Alsbald gab es Lärm in Haus und Scheune des Starešina, dessen Enkel ausliefen wie bei Feuersnot und Einsturzgefahr.

Und sogleich wimmerten die Kirchglocken, riefen um Hilfe gegen Bedrücker und Nötiger.

Gemäß dem „Schwur unter der Linde“ rückten die Bauern aus mit Beilen, Sensen, Schaufeln und sonstigem Werkzeug, das zum Schlagen gebraucht werden kann. In regellosen Haufen setzten sich die Krašićer zur Wehr, griffen an.

Der Starešina Zaka wollte freilich nur die Verjagung der habgierigen Gutsbeamten und ihrer Helfer; aber einmal im Angriff wurde in den Bauern die Kampflust der Südslaven, mit ihr die Wut gegen die Peiniger und Blutsauger lebendig. Und da gab es kein Halten mehr. Halbtot wurden die Handlanger geschlagen, und nur der gräfliche Upravnik (Verwalter) konnte sich unverletzt retten, weil der Dorfvorsteher sich schützend vor ihn gestellt hatte.

Mit dieser Hilfeleistung erreichte der Starešina aber nur die – beschleunigte Benachrichtigung der Gutsherrschaft von dem Krawall in Krašić und deren Verlangen von militärischem Schutz bei der Komitatsbehörde.

Geheuer war dem Vorsteher nicht, als er die übel zugerichteten Gutsknechte erblickte, denen die Bauern und das Weibsvolk nicht den geringsten Beistand leisten wollten. Sogar das Verbinden der halbtot Geschlagenen wurde verweigert. Der Haß war zügellos geworden. Nur mit Mühe konnte der alte Zaka seine eigenen Angehörigen dazu bewegen, die Verletzten notdürftig zu verbinden und auf einem Leiterwagen bis in die Nähe des gräflichen Schlosses zu fahren, wo die Knechte wie gebundene Kälber abgeladen wurden. Worauf die Starešina-Leute sofort Reißaus nahmen und im Galopp davonrasselten.

Zaka selbst wanderte nach Karlstadt, wo er den Sachverhalt vorbringen, um „gut Wetter“ bitten wollte. Was er von den Schreibern zu hören bekam, lautete bereits übel genug; bis zum Vizegespan gelangte der Starešina überhaupt nicht. Und im Gerichtsgebäude äußerten etliche Juratuši (Auskultatoren, Rechtspraktikanten), daß wegen der Schandtat in Krašić das Standrecht verkündet, jeder dritte Mann werde gehängt werden. Und wenn der Starešina nicht schleunigst verschwinde, werden ihm als dem „Oberhetzer“ fünfzig Stockprügel auf Grund der „alten Rechte“ verabreicht werden.

Stehenden Fußes verließ Zaka die Kreisstadt und und lief heim, so rasch es den steifen alten Beinen noch möglich war. Er eilte auch noch in das Dorf Jaska, das an der Straße von Agram nach Karlstadt lag, und wo der Vizestuhlrichter Žaba (Frosch) seinen Amtssitz hatte. Diesen Gerichtsbeamten wollte der Starešina um Rat und Fürsprache bitten. Aber der Herr war nicht zu Hause. Dem alten Vorsteher entschlüpfte die Äußerung, daß der Richter nie zu Hause sei, wenn man ihn zu Rat und Hilfe benötige. Wegen dieser Bemerkung wollte der Gerichtsdiener dem alten Zaka ein viertelhundert „amtliche“ Stockprügel „aufmessen“.

Verängstigt und erbittert tat der Starešina im Heimatdorfe das Dümmste, so er tun konnte: er rief die Bauern unter die Linde und erzählte ihnen seine Erlebnisse in Karlstadt und Jaska.

Die Folge dieser aufreizenden Mitteilung war, daß die Krater Bauern nicht nur alle Schlagwerkzeuge, sondern auch Schußwaffen hervorholten, sich zum Empfang von Panduren (Gerichtsdienern) und Gendarmen bereithielten, nicht mehr abwehren, sondern in entfesselter Mordlust alle Personen totschlagen wollten, die aus der Kreisstadt und von Jaska kommen würden.

Zu spät merkte der Starešina, was er angerichtet hatte, und daß sich dieser Sturm nicht mehr beschwören ließ. An die Möglichkeit, daß der Gutsherrschaft Militär zum Schutz gegeben werden könnte, dachte er überhaupt nicht.

Groß war deshalb die Überraschung, als am dritten Tage nach dem Krawall eine verstärkte Kompagnie Soldaten mit Offizieren und mit einem Hauptmann zu Pferd an der Spitze in Krašić einrückte. Reden konnte der Vorsteher nicht mehr, nur mitlaufen, als die zum erbitterten Kampf entschlossenen, mit allerlei Mordwaffen ausgerüsteten Bauern zur Linde sprangen.

„Unter der Linde“ hielten sich die Bauern gesichert, vor dem ersten Angriff der Militärmacht gefeit. Mochten auch glauben, daß die Soldaten das Schießen nicht wagen würden, solange man im Bannkreis der „heiligen“ Linde stehe. „Pod lipom“ fand der Starešina auch die Sprache wieder, die für einen Vorsteher nötige Intelligenz freilich nicht, denn er richtete an den Kapetan (Hauptmann) die naive Frage, was das Erscheinen so vieler, nicht zu Gast geladener Soldaten in Krašić zu – bedeuten habe.

Der Hauptmann verstand nicht Kroatisch und ließ durch den Profosen fragen, was der Starešina mitteilen wolle.

Für sein Patriarchenalter war Zaka ein arger Hitzkopf, oder es hatte ihn der höhnische Ton, das spöttische Lachen des Profosen außer Fassung gebracht; der Vorsteher rief erregt, daß das kleine Dorf so viele Soldaten nicht beherrbergen könne, dazu keine Lust habe; die Bauern von Krašić aber wollen weiter nichts als ihre vom Kaiser-König gegebenen Rechte. Zum Schluß krähte der alte Zaka die Forderung, daß die Soldaten sofort abzumarschieren hätten!

Lachend übersetzte der Profos die „Befehle“ des Starešina dem Hauptmann, dem man das Erstaunen über das Verhalten des Dorfvorstehers und des sichtlich angriffslustigen Bauernhaufens anmerken konnte. Eine kurze Zwiesprache folgte in scharfem Ton seitens des Kommandanten, der an dem „Spaß“ bereits genug hatte.

Der Profos meldete nun dienstlich und ernsthaft auf kroatisch: der ganzen Kompagnie samt Offizieren sei sofort im Dorfe gutes Quartier zu beschaffen und reichliche Verpflegung mit Wein zu geben. Wer sich weigere, erhalte erstmals fünfundzwanzig Stockstreiche. Die Bauern haben alle Gewehre „unter der Linde“ niederzulegen, dann schleunigst heimzugehen und für Quartier zu sorgen; ansonsten fünfzig Stockprügel für jeden Agrikel. Wer sich weigert oder gar lärmt, wird an der Linde aufgehängt! „Vorwärts, marsch!“

Der Starešina verlor den Verstand, brüllte tobsüchtig, warf seine Tabakspfeife zu Boden und zerstampfte sie. Brüllte aus Leibeskräften: „Sind wir Hajduken? Uns ehrlichen Bauern eine solch schändliche Behandlung! Gehet fort, Soldaten, von hier, wo ihr nichts zu suchen habet! Mit unseren Schindern werden wir schon alleine fertig! Fort mit euch!“

Mehr als die herausgeschrienen Zornesworte des Dorfältesten wirkte auf die Bauern die Tatsache, daß der Starešina sein kostbarstes Gut auf Erden, die silberbeschlagene Tabakspfeife, mit den Füßen trat. Dies war bei ihm das Zeichen für die höchste Entrüstung, für die größte Wut, das Signal, daß nun „ausgeredet“ sei und mit aller Schärfe „gehandelt und eingegriffen“ werden müsse.

Ein erneutes Gespräch zwischen dem Kapetan und dem Profosen blieb unbeachtet im Trubel an der Linde; doch horchten die Bauern auf, als der Profos die Drohung rief, daß der Starešina als erster fünfzig Stockprügel sofort „aufgemessen“ erhalte, wenn die Leute nicht augenblicklich die Waffen niederlegen und still auseinandergehen würden.

Zur Verstärkung der Drohung zog der Hauptmann hoch zu Roß den Säbel.

Nun gab es kein Halten mehr. Die Wut der Bauern war entfesselt. Etliche der Jungbauern sprangen los, der Kapetan wurde vom Pferd gerissen trotz heftiger Abwehr mit Säbelhieben, zu Boden geworfen und mißhandelt.

Kommandorufe der anderen Offiziere erschollen, Schüsse blitzten auf.

Vier Bauern fielen tot nieder; andere wurden schwer angeschossen.

Brüllend und rasend vor Wut warfen sich alte und junge Bauern auf die Soldaten, schlugen mit Beilen, Hacken und Sensen, Schaufeln und Knütteln los. Die Flintenträger drehten die Gewehre um und droschen mit den Kolben auf Infanteristenköpfe.

Die Soldaten feuerten abermals. Etwa zehn Bauern stürzten leblos zu Boden. Zu einer weiteren Salve kam das erste Glied nicht mehr: die rasenden Bauern schlugen die Reihe nieder; das zweite Glied mußte mit Kolbenhieben abwehren.

Über den Knäuel verkämpfter, blutender und sterbender Bauern und Soldaten hinweg feuerte das dritte Glied auf die anstürmenden, rasenden Krašićer abermals eine Salve, die breite Lücken riß und zur Flucht zwang.

Auf die springenden Bauern schossen die ausschwärmenden Soldaten nun wie auf Hasen im Kesseltreiben, rasch, „lustig“ und erfolgreich. Etwa zwei Dutzend Krašićer fielen bei dieser „Jagd“.

An der Linde lagen etwa fünfzehn Bauern, darunter mit zerschmettertem Schädel der Starešina Zaka und an zehn Infanteristen, teils tot, teils sterbend.

Vom Geknatter der Schüsse aufgeschreckt, rannten die Weiber aus den Häusern und zur Linde. Heulend die einen, kreischend und fauchend die anderen; etliche so wütend, daß sie einzeln stehende Soldaten angriffen, die Mühe hatten, die rabiaten Weiber abzuwehren.

Hornsignale riefen die Kompagnie zum „Sammeln“ Der Platz um die Dorflinde wurde im langsamen Vorschreiten gesäubert, das Weibervolk gegen die Häuser zurückgedrängt. Der Profos verkündete auf kroatisch, daß erschossen werde, wer vom Zivil ein Haus betrete oder verlasse. Einquartierung dazu. Jedes Haus wurde militärisch besetzt. Das konnte erzwungen werden. Der Weiber in den Häusern vermochten die Soldaten aber nicht Herr zu werden. Die Zungen waren nicht zu bändigen, die Tränen der Witwen nicht zu stillen.

Wortkampf und Fluchen in jeder Hütte.

Und als sich die Kunde wie Flugfeuer verbreitete, daß der Vizestuhlrichter von Jaska zu Wagen angekommen sei, konnten die Soldaten die wütenden Weiber nicht in den Häusern halten. Reden und abrechnen wollten die Weiber mit diesem Behördenmanne, der ihrer Meinung nach seine Pflicht gröblich verletzte, weil er nicht zu Hause war.

In flatternden Röcken, mit aufgelöstem Haar, kreischend und fluchend stürmten die Weiber zum Lindenplatz, wo sich der Vizestuhlrichter mit zwei Offizieren um den übel zugerichteten Hauptmann bemühte. Sein Unterbeamter, ein junger Juratuš, suchte im Knäuel der Bauern und Soldaten nach, wer noch am Leben war.

 

Der Vizestuhlrichter, ein angejahrter, erfahrener Mann, war dienstlich in Karlstadt festgehalten gewesen, konnte nicht rechtzeitig in Krašić erscheinen. Mit der Volksseele vertraut, insbesondere ein Kenner der Südslavin wußte er, daß, wie die Bosnierin, auch die Kroatin im Zorn ihren Kindern, so diese ungehorsam sich erwiesen, die Schmerzen der Geburtswehen vorhält in der Meinung, dadurch die ahnungslosen Kinder hart zu strafen. Auf Grund solcher psychologischer Kenntnisse war Herr Žaba auf „kräftige“ Vorwürfe seitens der Krašićer Weiber wegen seines verspäteten Erscheinens gefaßt. Den Hagelsturm von Verwünschungen und Flüchen, wie er in wilder Wut und fanatischer Kraft niederbrauste und -prasselte, konnte der Richter aber doch nicht ahnen. Ein Wortgeschmetter gräßlichster Art von tobsüchtigen Weibern, die gewillt waren, den schuldlosen Gerichtsbeamten in Fetzen zu zerreißen, und nur von herbeigeeilten Soldaten von Mord und Totschlag abgehalten werden konnten.

Alle Seelenkunde ließ Žaba im Stich; solchem Verfluchen war er, selbst ein Südslave und dem Einfluß eigenartiger Erziehung und absonderlicher Verhältnisse unterworfen, nicht gewachsen; sein Denken wurde verwirrt, die Seele in Angst vor Verdammung versetzt dadurch, daß schwangere Weiber, deren Gatten erschlagen und erschossen auf dem Dorfplatze lagen, dem Richter die Verantwortung an dem furchtbaren Unglück aufluden, ihn vor den Richterstuhl Gottes forderten und seine Sterbestunde verfluchten. Sinnverwirrt, an vermeintliche Schuld nun selbst glaubend, wiewohl schuldlos, klagte er sich vor den tobenden Weibern der Nachlässigkeit und leichtsinnigen Verspätung an; besinnungslos rannte er von einer Leiche zur anderen, bat jeden Toten um Verzeihung und heulte, da er keine Antwort bekam.

Die Offiziere, von den Weibern maßlos beschimpft, machten der Szene ein Ende, führten den sinnverwirrten Richter von dem Lindenplatz weg und redeten ihm zu, Vorkehrungen für die – Beerdigung zu treffen. Dadurch gerieten die Gedanken auf den greisen – Pfarrer, den kein Auge erblickt hatte.

Von der Domestika erfuhr man, daß der hochwürdige Pfarrer tags vorher nach Agram gefahren war und für den Abend in Krašić erwartet wurde.

Der zappelige Richter verfügte die Verbringung der Leichen in die – Kirche und sandte Boten nach Jaska, die – Särge beschaffen sollten.

Diese Anordnung beruhigte in etwas die Weiber, die auf Zureden älterer Männer auch in die Häuser zurückkehrten und für die Soldaten kochten.

Nicht aus christlicher Barmherzigkeit, sondern im Bestreben, Plünderungen zu verhindern. Dann eilten die Witwen in die Kirche zu ihren Toten….

Der verwundeten Soldaten wegen kam ein Militärarzt, der sich auch der verletzten Bauern nach Möglichkeit annahm.

Daß der Schreiner in Jaska Särge in großer Anzahl weder vorrätig hatte noch sofort beschaffen konnte, war vorauszusehen; der sinnverwirrte Richter erwartete jedoch das Unmögliche, brachte mit seinem Geschrei neue Aufregung in das Dorf.

Nicht ein einziger Sarg wurde gebracht. Die Boten kamen nicht wieder.

Spät am Abend kehrte von Agram der greise Pfarrer zurück. Die Schreckenskunde raubte dem ehrwürdigen Seelsorger die Sprache.

Erschüttert vergoß er Tränen bittersten Leides. Unter der Linde von Greisen, Weibern und Kindern umringt, suchte er Trost zu spenden, die Leute zu beruhigen, von Rachegedanken abzulenken. Freilich schreie das vergossene Blut gen Himmel, doch die Rache liege bei Gott….

Betend verbrachte der Pfarrer mit den Witwen die schwüle Nacht bei den Toten in der Kirche. Am Morgen konnte er noch die Trauermesse lesen.

Dann aber machte der Verwesungsgeruch der Leichen den Aufenthalt in der Kirche unmöglich. Schnelle Beerdigung war geboten. Särge hatte man nicht.

Verschwunden der Richter, die Offiziere. Aus benachbarten Dörfern kamen Bauern in Scharen. Von der Gutsherrschaft ließ sich niemand blicken. Unschlüssig warn die Soldaten bezüglich ihres Verhaltens; der Befehl lautete, niemanden aus den Häusern zu lassen; doch die Leute wollten zur Beerdigung gehen, die persönliche Freiheit erzwingen. Die Gefahr eines neuen Krawalls stieg bedrohlich auf. Da ließen die Soldaten alle Leute frei. Auf Anordnung des Pfarrers wurden die Todesopfer auf Brettern auf den Friedhof getragen und in ein gemeinsames Riesengrab gelegt. Was arbeitsfähig war, mußte mithelfen, auch die Gaffer aus den Nachbardörfern.

Am Riesengrab der siebenundzwanzig Leichen sprach der greise Pfarrer nicht viel, aber eindringlich von der Strafe Gottes für jene, welche die Verantwortung zu tragen haben.

Glühend brannte die Sonne Kroatiens hernieder; der Verwesungsgeruch drängte zur Eile. In aller Hast mußte das große Grab zugeschüttet werden.

Mit der Mahnung zum Frieden, zur Rückkehr in die Häuser, zu Gebet und Arbeit entließ der Pfarrer das tieferschütterte Volk. Und wie betäubt und gebrochen wankte er dem kleinen Widum zu….

Während der heißen Nachmittagstunden schien das Dorf ausgestorben zu sein. Niemand zu sehen, auch die Soldeska nicht, kein Offizier; verschwunden die Gaffer aus den umliegenden Dörfern. Tot die Stätte des Jammers, leer der Platz um die tausendjährige Linde von Krašić.

Gegen Abend Wagengerassel, Lärm und Befehlsrufe: der Oberstuhlrichter von Karlstadt war mit Gerichtsbeamten und etlichen Juratuši gekommen, wollte „ptotokollieren“. Der stellvertretende Starešina mußte erst die Offiziere herbeirufen, dann die älteren Männer von Krašić. Tatbestandaufnahme unter der Linde. Tische und Stühle wurden aus dem Widum geholt, der Protest der Domestika höhnend verlacht.

Mit „vorbereiteten Protokollen“ konnte summarisch „gearbeitet“ werden; es ging glatt bezüglich der Aussagen der beteiligten Offiziere. Die älteren Bauern von Krašić wollten nicht reden, konnten überhaupt nicht schreiben und hatten etwas im Blick, das den Oberrichter schwer reizte und schreien machte: „Wir wissen schon, was ihr wollet! Eure Rechte! Wir werden euch zeigen, was eure Rechte sind! Was geschehen ist, habet ihr reichlich verdient! Schade ist, daß nicht alle Aufrührer erschossen und erschlagen worden sind! Die Protokollierung seid ihr nicht wert! Gehet alle zum Teufel! Fort!“

Die Juratuši schrieben emsig weiter. Es mochte sich um das „Generalprotokoll“ handeln, für das die Unterschrift der Hauptperson, des Dorfpfarrers, gewünscht und benötigt wurde. Zwar erschien schleppenden Ganges, gebeugt und zermürbt von dem schweren Schicksalsschlag der Seelsorger im Weißhaar vor dem Tisch des Oberrichters unter der Linde, hörte demütig und aufmerksam an, was mit zuckersüßer Stimme freundlich lockend gesprochen wurde, doch die Antwort war ein Kopfschütteln, das die Silbersträhne flattern machte.

Der Ton der Bitte um die Unterschrift des Župnik wurde weich und flehend.

Das Weißhaar flatterte heftiger.

Eindringlich wurde der Hinweis, daß der Priester es in der Hand habe, seiner Gemeinde den Frieden zu bringen, der Behörde die schwere Arbeit zu erleichtern und abzukürzen.

„Ich kann nicht unterschreiben! Und ich will nicht!“ erklärte festen Tones der greise Pfarrer.

Was nun geschah, machte die Juratuši und Beisitzer trotz der heißen Temperatur frösteln: der hochmütige Oberstuhlrichter bat mit gefalteten Händen den Dorfpfarrer um die Unterzeichnung des Protokolltextes….

Wieder flatterte das Silberhaar.

Der Oberrichter schlug einen anderen Ton an, sprach jedoch nicht deutlich aus, was beabsichtigt sei und geschehen werde. Dem Sinn nach war es die Drohung, daß der Bauern alte und neue Rechte „begraben“ würden, und daß der Župnik von Krašić dafür die Verantwortung zu tragen haben werde.

Der alte Pfarrer richtete einen langen forschenden Blick auf den Oberrichter und ging müde, wie gebrochen, von der Linde weg. Niemand wußte, ob der Priester den Sinn der Drohung verstanden hatte oder nicht verstehen wollte.

Zur Nächtigung begaben sich die Gerichtsherren in das benachbarte Dorf Jaska, wo der Stuhlrichter Žaba für Quartier und Verlegung sorgte.

Krašić blieb unter Bewachung seitens des Militärs mit scharfem Nachtdienst.

Am Vormittag kehrten die Gerichtsherren in das unglückliche Dorf zurück. Tisch und Bänke wurden hart an der Kirche aufgestellt; jedoch wurde nichts mehr geschrieben. Der Oberrichter sprach mit den herbeigeeilten Offizieren, von denen dann ein Leutnant mit einem Juratuš ins Dorf hineinschritt.

15Nicht überschreite er auf vier Füßen die Brücke.
16Pravo = Recht, Berechtigung. Gemeint war die „Königliche Proposition“ des nach mehrjährigen Parlamentskämpfen im Ungarischen Reichstag endlich 1837 zustande gekommenen Urbanialgesetztes gegen die Bauernschinderei.