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Aphorismen zur Lebensweisheit

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Soviel von der bürgerlichen Ehre. Die Amtsehre ist die allgemeine Meinung anderer, daß ein Mann, der ein Amt versieht, alle dazu erforderlichen Eigenschaften wirklich habe und auch in allen Fällen seine amtlichen Obliegenheiten pünktlich erfülle. Je wichtiger und größer der Wirkungskreis eines Mannes im Staate ist, also je höher und einflußreicher der Posten, auf dem er steht, desto größer muß die Meinung von den intellektuellen Fähigkeiten und moralischen Eigenschaften sein, die ihn dazu tauglich machen: mithin hat er einen um so höhern Grad von Ehre, deren Ausdruck seine Titel, Orden usw. sind, wie auch das sich unterordnende Betragen anderer gegen ihn. Nach dem selben Maßstabe bestimmt nun durchgängig der Stand den besonderen Grad der Ehre, wiewohl dieser modifizirt wird durch die Fähigkeit der Menge über die Wichtigkeit des Standes zu urteilen. Immer aber erkennt man dem, der besondere Obliegenheiten hat und erfüllt, mehr Ehre zu, als dem gemeinen Bürger, dessen Ehre hauptsächlich auf negativen Eigenschaften beruht.

Die Amtsehre erfordert ferner, daß wer ein Amt versieht, das Amt selbst, seiner Kollegen und Nachfolger wegen, im Respekt erhalte, eben durch jene pünktliche Erfüllung seiner Pflichten und auch dadurch, daß er Angriffe auf das Amt selbst und auf sich, soferne er es versieht, d. h. Äußerungen, daß er das Amt nicht pünktlich versehe, oder daß das Amt selbst nicht zum allgemeinen Besten gereiche, nicht ungeahndet lasse, sondern durch die gesetzliche Strafe beweise, daß jene Angriffe ungerecht waren.

Unterordnungen der Amtsehre sind die des Staatsdieners, des Arztes, des Advokaten, jedes öffentlichen Lehrers, ja jedes Graduirten, kurz eines jeden, der durch öffentliche Erklärung für eine gewisse Leistung geistiger Art qualifizirt erklärt worden ist und sich eben deshalb selbst dazu anheischig gemacht hat; also mit einem Wort die Ehre aller öffentlich Anheischigen als solcher. Daher gehört auch hieher die wahre Soldatenehre: sie besteht darin, daß wer sich zur Verteidigung des gemeinsamen Vaterlandes anheischig gemacht hat, die dazu nötigen Eigenschaften, also vor allem Mut, Tapferkeit und Kraft wirklich besitze und ernstlich bereit sei, sein Vaterland bis in den Tod zu verteidigen und überhaupt die Fahne, zu der er einmal geschworen, um nichts auf der Welt zu verlassen. – Ich habe hier die Amtsehre in einem weiteren Sinne genommen, als gewöhnlich, wo sie den dem Amt selbst gebührenden Respekt der Bürger bedeutet.

Die Sexualehre scheint mir einer näheren Betrachtung und Zurückführung ihrer Grundsätze auf die Wurzel derselben zu bedürfen, welche zugleich bestätigen wird, daß alle Ehre zuletzt auf Nützlichkeitsrücksichten beruht. Die Sexualehre zerfällt, ihrer Natur nach, in Weiber- und Männerehre, und ist von beiden Seiten ein wohlverstandener esprit de corps. Die erstere ist bei weitem die wichtigste von beiden: weil im weiblichen Leben das Sexualverhältnis die Hauptsache ist. – Die weibliche Ehre also ist die allgemeine Meinung von einem Mädchen, daß sie sich gar keinem Manne, und von einer Frau, daß sie sich nur dem ihr angetrauten hingegeben habe. Die Wichtigkeit dieser Meinung beruht auf Folgendem. Das weibliche Geschlecht verlangt und erwartet vom männlichen alles, nämlich alles, was es wünscht und braucht: das männliche verlangt vom weiblichen zunächst und unmittelbar nur eines. Daher mußte die Einrichtung getroffen werden, daß das männliche Geschlecht vom weiblichen jenes eine nur erlangen kann gegen Übernahme der Sorge für alles und zudem für die aus der Verbindung entspringenden Kinder: auf dieser Einrichtung beruht die Wohlfahrt des ganzen weiblichen Geschlechts. Um sie durchzusetzen, muß notwendig das weibliche Geschlecht zusammenhalten und esprit de corps beweisen. Dann aber steht es als ein Ganzes und in geschlossener Reihe dem gesamten männlichen Geschlechte, welches durch das Übergewicht seiner Körper- und Geisteskräfte von Natur im Besitz aller irdischen Güter ist, als dem gemeinschaftlichen Feinde gegenüber, der besiegt und erobert werden muß, um, mittelst seines Besitzes, in den Besitz der irdischen Güter zu gelangen. Zu diesem Ende nun ist die Ehrenmaxime des ganzen weiblichen Geschlechts, daß dem männlichen jeder uneheliche Beischlaf durchaus versagt bleibe; damit jeder einzelne zur Ehe, als welche eine Art von Kapitulation ist, gezwungen und dadurch das ganze weibliche Geschlecht versorgt werde. Dieser Zweck kann aber nur vermittelst strenger Beobachtung der obigen Maxime vollkommen erreicht werden: daher wacht das ganze weibliche Geschlecht, mit wahrem esprit de corps, über die Aufrechterhaltung derselben unter allen seinen Mitgliedern. Demgemäß wird jedes Mädchen, welches durch unehelichen Beischlaf einen Verrat gegen das ganze weibliche Geschlecht begangen hat, weil dessen Wohlfahrt durch das Allgemeinwerden dieser Handlungsweise untergraben werden würde, von demselben ausgestoßen und mit Schande belegt: es hat seine Ehre verloren. Kein Weib darf mehr mit ihm umgehen: es wird, gleich einer Verpesteten, gemieden. Das gleiche Schicksal trifft die Ehebrecherin; weil diese dem Manne die von ihm eingegangene Kapitulation nicht gehalten hat, durch solches Beispiel aber die Männer vom Eingehen derselben abgeschreckt werden; während auf ihr das Heil des ganzen weiblichen Geschlechts beruht. Aber noch überdies verliert die Ehebrecherin, wegen der groben Wortbrüchigkeit und des Betruges in ihrer Tat, mit der Sexualehre zugleich die bürgerliche. Daher sagt man wohl, mit einem entschuldigenden Ausdruck, »ein gefallenes Mädchen«, aber nicht »eine gefallene Frau«, und der Verführer kann jene, durch die Ehe, wieder ehrlich machen; nicht so der Ehebrecher diese, nachdem sie geschieden worden. – Wenn man nun, infolge dieser klaren Einsicht, einen zwar heilsamen, ja notwendigen, aber wohlberechneten und auf Interesse gestützten esprit de corps als die Grundlage des Prinzips der weiblichen Ehre erkennt; so wird man dieser zwar die größte Wichtigkeit für das weibliche Dasein und daher einen großen relativen, jedoch keinen absoluten, über das Leben und seine Zwecke hinausliegenden und demnach mit diesem selbst zu erkaufenden Wert beilegen können. Demnach nun wird man den überspannten, zu tragischen Farcen ausartenden Taten der Lukretia und des Virginius keinen Beifall schenken können. Daher eben hat der Schluß der Emilia Galotti etwas so Empörendes, daß man das Schauspielhaus in völliger Verstimmung verläßt. Hingegen kann man nicht umhin, der Sexualehre zum Trotz, mit dem Klärchen des Egmont zu sympathisiren. Jenes auf die Spitze Treiben des weiblichen Ehrenprinzips gehört, wie so manches, zum Vergessen des Zwecks über die Mittel: denn die Sexualehre wird, durch solche Überspannung, ein absoluter Wert angedichtet; während sie, noch mehr als alle andere Ehre, einen bloß relativen hat; ja, man möchte sagen, einen bloß konventionellen, wenn man aus dem Thomasius de concubinatu ersieht, wie in fast allen Ländern und Zeiten, bis zur Lutherischen Reformation, das Konkubinat ein gesetzlich erlaubtes und anerkanntes Verhältnis gewesen ist, bei welchem die Konkubine ehrlich blieb; der Mylitta zu Babylon (Herodot I, 199) usw. gar nicht zu gedenken. Auch gibt es allerdings bürgerliche Verhältnisse, welche die äußere Form der Ehe unmöglich machen, besonders in katholischen Ländern, wo keine Scheidung stattfindet; überall aber für regierende Herren, als welche, meiner Meinung nach, viel moralischer handeln, wenn sie eine Mätresse halten, als wenn sie eine morganatische Ehe eingehen, deren Deszendenz, beim etwanigen Aussterben der legitimen, einst Ansprüche erheben könnte; weshalb, sei es auch noch so entfernt, durch solche Ehe die Möglichkeit eines Bürgerkrieges herbeigeführt wird. Überdies ist eine solche morganatische, d. h. eigentlich allen äußern Verhältnissen zum Trotz geschlossene Ehe, im letzten Grunde, eine den Weibern und den Pfaffen gemachte Konzession, zweien Klassen, denen man etwas einzuräumen sich möglichst hüten sollte. Ferner ist zu erwägen, daß jeder im Lande das Weib seiner Wahl ehelichen kann, bis auf einen, dem dieses natürliche Recht benommen ist: dieser arme Mann ist der Fürst. Seine Hand gehört dem Lande und wird nach der Staatsraison, d. h. dem Wohl des Landes gemäß, vergeben. Nun aber ist er doch ein Mensch und will auch einmal dem Hange seines Herzens folgen. Daher ist es so ungerecht und undankbar, wie es spießbürgerlich ist, dem Fürsten das Halten einer Mätresse verwehren, oder vorwerfen zu wollen; versteht sich, so lange ihr kein Einfluß auf die Regierung gestattet wird. Auch ihrerseits ist eine solche Mätresse, hinsichtlich der Sexualehre, gewissermaßen eine Ausnahmsperson, eine Eximirte von der allgemeinen Regel: denn sie hat sich bloß einem Manne ergeben, der sie und den sie lieben, aber nimmermehr heiraten konnte. – Überhaupt aber zeugen von dem nicht rein natürlichen Ursprunge des weiblichen Ehrenprinzips die vielen blutigen Opfer, welche demselben gebracht werden, – im Kindermorde und Selbstmorde der Mütter. Allerdings begeht ein Mädchen, die sich ungesetzlich preisgibt, dadurch einen Treuebruch gegen ihr ganzes Geschlecht: jedoch ist diese Treue nur stillschweigend angenommen und nicht beschworen. Und da, im gewöhnlichen Fall, ihr eigener Vorteil am unmittelbarsten darunter leidet, so ist ihre Torheit dabei unendlich größer als ihre Schlechtigkeit.

Die Geschlechtsehre der Männer wird durch die der Weiber hervorgerufen, als der entgegengesetzte esprit de corps, welcher verlangt, daß jeder, der die dem Gegenpart so sehr günstige Kapitulation, die Ehe, eingegangen ist, jetzt darüber wache, daß sie ihm gehalten werde; damit nicht selbst dieses Paktum, durch das Einreißen einer laxen Observanz desselben, seine Festigkeit verliere und die Männer, indem sie alles hingeben, nicht einmal des einen versichert seien, was sie dafür erhandeln, des Alleinbesitzes des Weibes. Demgemäß fordert die Ehre des Mannes, daß er den Ehebruch seiner Frau ahnde und, wenigstens durch Trennung von ihr, strafe. Duldet er ihn wissentlich, so wird er von der Männergemeinschaft mit Schande belegt: jedoch ist diese lange nicht so durchgreifend, wie die durch den Verlust der Geschlechtsehre das Weib treffende, vielmehr nur eine levioris notae macula; weil beim Manne die Geschlechtsbeziehung eine untergeordnete ist, indem er in noch vielen anderen und wichtigeren steht. Die zwei großen dramatischen Dichter der neueren Zeit haben, jeder zweimal, diese Männerehre zu ihrem Thema genommen: Shakespeare, im Othello und im Wintermärchen, und Calderon, in el medico de su honra (der Arzt seiner Ehre) und a secreto agravio secreta venganza (für geheime Schmach geheime Rache). Übrigens fordert diese Ehre nur die Bestrafung des Weibes, nicht die ihres Buhlen; welche bloß ein opus supererogationis ist: hiedurch bestätigt sich der angegebene Ursprung derselben aus dem esprit de corps der Männer. –

 

Die Ehre, wie ich sie bis hieher, in ihren Gattungen und Grundsätzen, betrachtet habe, findet sich bei allen Völkern und zu allen Zeiten als allgemein geltend; wenn gleich der Weiberehre sich einige lokale und temporäre Modifikationen ihre Grundsätze nachweisen lassen. Hingegen gibt es noch eine, von jener allgemein und überall gültigen gänzlich verschiedene Gattung der Ehre, von welcher weder Griechen noch Römer einen Begriff hatten, so wenig wie Chinesen, Hindu und Mohammedaner, bis auf den heutigen Tag, irgend etwas von ihr wissen. Denn sie ist erst im Mittelalter entstanden und bloß im christlichen Europa einheimisch geworden, ja, selbst hier nur unter einer äußerst kleinen Fraktion der Bevölkerung, nämlich unter den höheren Ständen der Gesellschaft und was ihnen nacheifert. Es ist die ritterliche Ehre, oder das point d'honneur. Da ihre Grundsätze von denen der bis hieher erörterten Ehre gänzlich verschieden, sogar diesen zum Teil entgegengesetzt sind, indem jene erstere den Ehrenmann, diese hingegen den Mann von Ehre macht; so will ich ihre Prinzipien hier besonders ausstellen, als einen Kodex, oder Spiegel der ritterlichen Ehre.

1. Die Ehre besteht nicht in der Meinung anderer von unserm Wert, sondern ganz allein in den Äußerungen einer solchen Meinung; gleichviel ob die geäußerte Meinung wirklich vorhanden sei oder nicht; geschweige, ob sie Grund habe. Demnach mögen andere, in Folge unsers Lebenswandels, eine noch so schlechte Meinung von uns hegen, uns noch so sehr verachten; solange nur keiner sich untersteht, solches laut zu äußern, schadet es der Ehre durchaus nicht. Umgekehrt aber, wenn wir auch durch unsere Eigenschaften und Handlungen alle andern zwingen, uns sehr hoch zu achten (denn das hängt nicht von ihrer Willkür ab); so darf dennoch nur irgend einer, – und wäre es der Schlechteste und Dümmste –, seine Geringschätzung über uns aussprechen, und alsbald ist unsere Ehre verletzt, ja, sie ist auf immer verloren; wenn sie nicht wieder hergestellt wird. – Ein überflüssiger Beleg dazu, daß es keineswegs auf die Meinung anderer, sondern allein auf die Äußerung einer solchen ankomme, ist der, daß Verunglimpfungen zurückgenommen, nötigenfalls abgebeten werden können, wodurch es dann ist, als wären sie nie geschehn: ob dabei die Meinung, aus der sie entsprungen, sich ebenfalls geändert habe und weshalb dies geschehn sein sollte, tut nichts zur Sache: nur die Äußerung wird annullirt, und dann ist alles gut. Hier ist es demnach nicht darauf abgesehn, Respekt zu verdienen, sondern ihn zu ertrotzen.

2. Die Ehre eines Mannes beruht nicht auf dem, was er tut, sondern auf dem, was er leidet, was ihm widerfährt. Wenn, nach den Grundsätzen der zuerst erörterten, allgemein geltenden Ehre, diese allein abhängt von dem, was er selbst sagt oder tut; so hängt hingegen die ritterliche Ehre ab von dem, was irgend ein anderer sagt oder tut. Sie liegt sonach in der Hand, ja, hängt an der Zungenspitze eines jeden, und kann, wenn dieser zugreift, jeden Augenblick auf immer verloren gehn, falls nicht der Betroffene, durch einen bald zu erwähnenden Herstellungsprozeß, sie wieder an sich reißt, welches jedoch nur mit Gefahr seines Lebens, seiner Gesundheit, seiner Freiheit, seines Eigentums und seiner Gemütsruhe geschehn kann. Diesem zufolge mag das Tun und Lassen eines Mannes das rechtschaffenste und edelste, sein Gemüt das reinste und sein Kopf der eminenteste sein; so kann dennoch seine Ehre jeden Augenblick verloren gehn, sobald es nämlich irgend einem, – der nur noch nicht diese Ehrengesetze verletzt hat, übrigens aber der nichtswürdigste Lump, das stupideste Vieh, ein Tagedieb, Spieler, Schuldenmacher, kurz, ein Mensch, der nicht wert ist, daß jener ihn ansieht, sein kann, – beliebt, ihn zu schimpfen. Sogar wird es meistenteils gerade ein Subjekt solcher Art sein, dem dies beliebt; weil eben, wie Seneka richtig bemerkt, ut quisque contemtissimus et ludibrio est, ita solutissimae linguae est (de constantia, 11): auch wird ein solcher gerade gegen einen, wie der zuerst Geschilderte, am leichtesten aufgereizt werden; weil die Gegensätze sich hassen und weil der Anblick überwiegender Vorzüge die stille Wut der Nichtswürdigkeit zu erzeugen pflegt; daher eben Goethe sagt:

 
Was klagst du über Feinde?
Sollten solche je werden Freunde,
Denen das Wesen, wie du bist,
Im Stillen ein ewiger Vorwurf ist?
 
W. O. Divan.

Man sieht, wie sehr viel gerade die Leute der zuletzt geschilderten Art dem Ehrenprinzip zu danken haben; da es sie mit denen nivellirt, welche ihnen sonst in jeder Beziehung unerreichbar wären. – Hat nun ein solcher geschimpft, d. h. dem andern eine schlechte Eigenschaft zugesprochen; so gilt dies, vor der Hand, als ein objektiv wahres und gegründetes Urteil, ein rechtskräftiges Dekret, ja, es bleibt für alle Zukunft wahr und gültig, wenn es nicht alsbald mit Blut ausgelöscht wird: d. h. der Geschimpfte bleibt (in den Augen aller »Leute von Ehre«) das, was der Schimpfer (und wäre dieser der letzte aller Erdensöhne) ihn genannt hat: denn er hat es (dies ist der terminus technicus) »auf sich sitzen lassen.« Demgemäß werden die »Leute von Ehre« ihn jetzt durchaus verachten, ihn wie einen Verpesteten fliehen, z. B. sich laut und öffentlich weigern, in eine Gesellschaft zu gehn, wo er Zutritt hat usw. – Den Ursprung dieser weisen Grundansicht glaube ich mit Sicherheit darauf zurückführen zu können, daß (nach C. G. von Wächters »Beiträge zur deutschen Geschichte, besonders des deutschen Strafrechts« 1845) im Mittelalter, bis ins 15. Jahrhundert, bei Kriminalprozessen nicht der Ankläger die Schuld, sondern der Angeklagte seine Unschuld zu beweisen hatte. Dies konnte geschehen durch einen Reinigungseid, zu welchem er jedoch noch der Eideshelfer (consacramentales) bedurfte, welche beschworen, sie seien überzeugt, daß er keines Meineides fähig sei. Hatte er diese nicht, oder ließ der Ankläger sie nicht gelten; so trat Gottesurteil ein, und dieses bestand gewöhnlich im Zweikampf. Denn der Angeklagte war jetzt ein »Bescholtener« und hatte sich zu reinigen. Wir sehn hier den Ursprung des Begriffs des Bescholtenseins und des ganzen Hergangs der Dinge, wie er noch heute unter den »Leuten von Ehre« stattfindet, nur mit Weglassung des Eides. Eben hier ergibt sich auch die Erklärung der obligaten, hohen Indignation, mit welcher »Leute von Ehre« den Vorwurf der Lüge empfangen und blutige Rache dafür fordern, welches, bei der Alltäglichkeit der Lügen, sehr seltsam erscheint, aber besonders in England zum tiefwurzelnden Aberglauben erwachsen ist. (Wirklich müßte jeder, der den Vorwurf der Lüge mit dem Tode zu strafen droht, in seinem Leben nicht gelogen haben.) Nämlich in jenen Kriminalprozessen des Mittelalters war die kürzere Form, daß der Angeklagte dem Ankläger erwiderte: »das lügst du;« worauf dann sofort auf Gottesurteil erkannt wurde: daher also schreibt es sich, daß, nach dem ritterlichen Ehrenkodex, auf den Vorwurf der Lüge sogleich die Appellation an die Waffen erfolgen muß. – So viel, was das Schimpfen betrifft. Nun aber gibt es sogar noch etwas Ärgeres als Schimpfen, etwas so Erschreckliches, daß ich wegen dessen bloßer Erwähnung in diesem Kodex der ritterlichen Ehre, die »Leute von Ehre« um Verzeihung zu bitten habe, da ich weiß, daß beim bloßen Gedanken daran ihnen die Haut schaudert und ihr Haar sich emporsträubt, indem es das summum malum, der Übel größtes auf der Welt, und ärger als Tod und Verdammnis ist. Es kann nämlich, horribile dictu, einer dem andern einen Klaps oder Schlag versetzen. Dies ist eine entsetzliche Begebenheit und führt einen so kompleten Ehrentod herbei, daß, wenn alle andern Verletzungen der Ehre schon durch Blutlassen zu heilen sind, diese zu ihrer gründlichen Heilung einen kompleten Totschlag erfordert.

3. Die Ehre hat mit dem, was der Mensch an und für sich sein mag, oder mit der Frage, ob seine moralische Beschaffenheit sich jemals ändern könne, und allen solchen Schulfuchsereien, ganz und gar nichts zu tun; sondern wann sie verletzt, oder vor der Hand verloren ist, kann sie, wenn man nur schleunig dazutut, recht bald und vollkommen wieder hergestellt werden, durch ein einziges Universalmittel, das Duell. Ist jedoch der Verletzer nicht aus den Ständen, die sich zum Kodex der ritterlichen Ehre bekennen, oder hat derselbe diesem schon ein Mal zuwider gehandelt; so kann man, zumal wenn die Ehrenverletzung eine tätliche, aber auch, wenn sie eine bloß wörtliche gewesen sein sollte, eine sichere Operation vornehmen, indem man, wenn man bewaffnet ist, ihn auf der Stelle, allenfalls auch noch eine Stunde nachher, niedersticht, wodurch dann die Ehre wieder heil ist. Außerdem aber, oder wenn man, aus Besorgnis vor daraus entstehenden Unannehmlichkeiten, diesen Schritt vermeiden möchte, oder wenn man bloß ungewiß ist, ob der Beleidiger sich den Gesetzen der ritterlichen Ehre unterwerfe, oder nicht, hat man ein Palliativmittel, an der »Avantage.« Diese besteht darin, daß, wenn er grob gewesen ist, man noch merklich gröber sei: geht dies mit Schimpfen nicht mehr an, so schlägt man drein, und zwar ist auch hier ein Klimax der Ehrenrettung: Ohrfeigen werden durch Stockschläge kurirt, diese durch Hetzpeitschenhiebe: selbst gegen letztere wird von einigen das Anspucken als probat empfohlen. Nur wenn man mit diesen Mitteln nicht mehr zur Zeit kommt, muß durchaus zu blutigen Operationen geschritten werden. Diese Palliativmethode hat ihren Grund eigentlich in der folgenden Maxime.

4. Wie Geschimpftwerden eine Schande, so ist Schimpfen eine Ehre. Z. B. auf der Seite meines Gegners sei Wahrheit, Recht und Vernunft; ich aber schimpfe; so müssen diese alle einpacken, und Recht und Ehre ist auf meiner Seite: er hingegen hat vorläufig seine Ehre verloren, – bis er sie herstellt, nicht etwan durch Recht und Vernunft, sondern durch Schießen und Stechen. Demnach ist die Grobheit eine Eigenschaft, welche, im Punkte der Ehre, jede andere ersetzt oder überwiegt: der Gröbste hat allemal Recht: quid multa? Welche Dummheit, Ungezogenheit, Schlechtigkeit einer auch begangen haben mag; – durch eine Grobheit wird sie als solche ausgelöscht und sofort legitimiert. Zeigt etwan in einer Diskussion, oder sonst im Gespräch ein anderer richtigere Sachkenntnis, strengere Wahrheitsliebe, gesünderes Urteil, mehr Verstand als wir, oder überhaupt, läßt er geistige Vorzüge blicken, die uns in Schatten stellen; so können wir alle dergleichen Überlegenheiten und unsere eigene durch sie aufgedeckte Dürftigkeit sogleich aufheben und nun umgekehrt selbst überlegen sein, indem wir beleidigend und grob werden. Denn eine Grobheit besiegt jedes Argument und eklipzirt allen Geist: wenn daher nicht etwan der Gegner sich darauf einläßt und sie mit einer größeren erwidert, wodurch wir in den edlen Wettkampf der Avantage geraten; so bleiben wir Sieger und die Ehre ist auf unserer Seite: Wahrheit, Kenntnis, Verstand, Geist, Witz müssen einpacken und sind aus dem Felde geschlagen von der göttlichen Grobheit. Daher werden »Leute von Ehre«, sobald jemand eine Meinung äußert, die von der ihrigen abweicht, oder auch nur mehr Verstand zeigt, als sie ins Feld stellen können, sogleich Miene machen, jenes Kampfroß zu besteigen; und wenn etwan, in einer Kontroverse, es ihnen an einem Gegenargument fehlt, so suchen sie nach einer Grobheit, als welche ja denselben Dienst leistet und leichter zu finden ist: darauf gehn sie siegreich von dannen. Man sieht schon hier, wie sehr mit Recht dem Ehrenprinzip die Veredelung des Tones in der Gesellschaft nachgerühmt wird. – Diese Maxime beruht nun wieder auf der folgenden, welche die eigentliche Grundmaxime und die Seele des ganzen Kodex ist.

5. Der oberste Richterstuhl des Rechts, an den man, in allen Differenzen, von jedem andern, soweit es die Ehre betrifft, appelliren kann, ist der der physischen Gewalt, d. h. der Tierheit. Denn jede Grobheit ist eigentlich eine Appellation an die Tierheit, indem sie den Kampf der geistigen Kräfte, oder des moralischen Rechts, für inkompetent erklärt und an deren Stelle den Kampf der physischen Kräfte setzt, welcher bei der Spezies Mensch, die von Franklin ein toolmaking animal (Werkzeuge verfertigendes Tier) definirt wird, mit den ihr demnach eigentümlichen Waffen, im Duell, vollzogen wird und eine unwiderrufliche Entscheidung herbeiführt. – Diese Grundmaxime wird bekanntlich, mit einem Worte, durch den Ausdruck Faustrecht, welcher dem Ausdruck Aberwitz analog und daher, wie dieser, ironisch ist, bezeichnet: demnach sollte, ihm gemäß, die ritterliche Ehre die Faust-Ehre heißen. –

 

6. Hatten wir, weiter oben, die bürgerliche Ehre sehr skrupulös gefunden im Punkte des Mein und Dein, der eingegangenen Verpflichtungen und des gegebenen Wortes; so zeigt hingegen der hier in Betrachtung genommene Kodex darin die nobelste Liberalität. Nämlich nur ein Wort darf nicht gebrochen werden, das Ehrenwort, d. h. das Wort, bei dem man gesagt hat »auf Ehre!« – woraus die Präsumtion entsteht, daß jedes andere Wort gebrochen werden darf. Sogar bei dem Bruch dieses Ehrenworts läßt sich zur Not die Ehre noch retten, durch das Universalmittel, das Duell, hier mit denjenigen, welche behaupten, wir hätten das Ehrenwort gegeben. – Ferner: nur eine Schuld gibt es, die unbedingt bezahlt werden muß, – die Spielschuld, welche auch demgemäß den Namen »Ehrenschuld« führt. Um alle übrigen Schulden mag man Juden und Christen prellen: das schadet der ritterlichen Ehre durchaus nicht. –

Daß nun dieser seltsame, barbarische und lächerliche Kodex der Ehre nicht aus dem Wesen der menschlichen Natur, oder einer gesunden Ansicht menschlicher Verhältnisse hervorgegangen sei, erkennt der Unbefangene auf den ersten Blick. Zudem aber wird es durch den äußerst beschränkten Bereich seiner Geltung bestätigt: dieser nämlich ist ausschließlich Europa und zwar nur seit dem Mittelalter, und auch hier nur beim Adel, Militär und was diesen nacheifert. Denn weder Griechen, noch Römer, noch die hochgebildeten asiatischen Völker, alter und neuer Zeit, wissen irgend etwas von dieser Ehre und ihren Grundsätzen. Sie alle kennen keine andere Ehre, als die zuerst analysirte. Bei ihnen allen gilt demnach der Mann für das, wofür sein Tun und Lassen ihn kund gibt, nicht aber für das, was irgend einer losen Zunge beliebt von ihm zu sagen. Bei ihnen allen kann, was einer sagt oder tut, wohl seine eigene Ehre vernichten, aber nie die eines andern. Ein Schlag ist bei ihnen allen eben nur ein Schlag, wie jedes Pferd und jeder Esel ihn gefährlicher versetzen kann: er wird, nach Umständen, zum Zorne reizen, auch wohl auf der Stelle gerächt werden: aber mit der Ehre hat er nichts zu tun, und keineswegs wird Buch gehalten über Schläge und Schimpfwörter, nebst der dafür gewordenen oder aber einzufordern versäumten »Satisfaktion.« An Tapferkeit und Lebensverachtung stehn sie den Völkern des christlichen Europas nicht nach. Griechen und Römer waren doch wohl ganze Helden: aber sie wußten nichts vom point d'honneur. Der Zweikampf war bei ihnen nicht Sache der Edeln im Volke, sondern feiler Gladiatoren, preisgegebener Sklaven und verurteilter Verbrecher, welche, mit wilden Tieren abwechselnd, auf einander gehetzt wurden, zur Belustigung des Volks. Bei Einführung des Christentums wurden die Gladiatorenspiele aufgehoben: an ihre Stelle aber ist, in der christlichen Zeit, unter Vermittelung des Gottesurteils, das Duell getreten. Waren jene ein grausames Opfer, der allgemeinen Schaulust gebracht; so ist dieses ein grausames Opfer, dem allgemeinen Vorurteil gebracht; aber nicht wie jenes, von Verbrechern, Sklaven und Gefangenen, sondern von Freien und Edeln.

Daß den Alten jenes Vorurteil völlig fremd war, bezeugen eine Menge uns aufbehaltener Züge. Als z. B. ein Teutonischer Häuptling den Marius zum Zweikampf herausgefordert hatte, ließ dieser Held ihm antworten: »wenn er seines Lebens überdrüssig wäre, möge er sich aufhängen«, bot ihm jedoch einen ausgedienten Gladiator an, mit dem er sich herumschlagen könne (Freinsh. suppl. in Liv. lib. LXVIII, c. 12). Im Plutarch (Them. 11) lesen wir, daß der Flottenbefehlshaber Eurybiades, mit dem Themistokles streitend, den Stock aufgehoben habe, ihn zu schlagen; jedoch nicht, daß dieser darauf den Degen gezogen, vielmehr, daß er gesagt habe: παταξον μεν ουν, ακουσον δε: »schlage mich, aber höre mich.« Mit welchem Unwillen muß doch der Leser »von Ehre« hiebei die Nachricht vermissen, daß das Atheniensische Offizierkorps sofort erklärt habe, unter so einem Themistokles nicht ferner dienen zu wollen! – Ganz richtig sagt demnach ein neuerer französischer Schriftsteller: si quelqu'un s'avisait de dire que Démosthène fut un homme d'honneur, on sourirait de pitié; – Cicéron n'était pas un homme d'honneur non plus. (Soirées littéraires, par C. Durand. Rouen 1828. Vol. 2. p. 300.) Ferner zeigt die Stelle im Plato (de leg. IX, die letzten 6 Seiten, imgleichen XI p. 131 Bip.) über die αικια, d. h. Mißhandlungen, zur Genüge, daß die Alten von der Ansicht des ritterlichen Ehrenpunktes bei solchen Sachen keine Ahnung hatten. Sokrates ist, in Folge seiner häufigen Disputationen, oft tätlich mißhandelt worden, welches er gelassen ertrug: als er einst einen Fußtritt erhielt, nahm er es geduldig hin und sagte dem, der sich hierüber wunderte: »würde ich denn, wenn mich ein Esel gestoßen hätte, ihn verklagen?« – (Diog. Laert. II, 21.) Als, ein ander Mal, jemand zu ihm sagte: »schimpft und schmäht dich denn jener nicht?« war seine Antwort: »nein: denn was er sagt paßte nicht auf mich« (ibid. 36.) – Stobäos (Florileg., ed. Gaisford, Vol. I, p. 327-330) hat eine lange Stelle des Musonius uns aufbewahrt, daraus zu ersehen, wie die Alten die Injurien betrachteten: sie kannten keine andere Genugtuung, als die gerichtliche; und weise Männer verschmähten auch diese. Daß die Alten für eine erhaltene Ohrfeige keine andere Genugtuung kannten, als eine gerichtliche, ist deutlich zu ersehn aus Plato's Gorgias (S. 86 Bip.); woselbst auch (S. 133) die Meinung des Sokrates darüber steht. Dasselbe erhellt auch aus dem Berichte des Gillius (XX, 1) von einem gewissen Lucius Veratius, welcher den Mutwillen übte, den ihm auf der Straße begegnenden römischen Bürgern, ohne Anlaß, eine Ohrfeige zu versetzen, in welcher Absicht er, um allen Weitläuftigkeiten darüber vorzubeugen, sich von einem Sklaven mit einem Beutel Kupfermünze begleiten ließ, der den also Überraschten sogleich das gesetzmäßige Schmerzensgeld von 25 Aß auszahlte. Krates, der berühmte Zyniker, hatte vom Musiker Nikodromos eine so starke Ohrfeige erhalten, daß ihm das Gesicht angeschwollen und blutrünstig geworden war: darauf befestigte er an seiner Stirn ein Brettchen, mit der Inschrift Νικοδρομος εποιει (Nicodromus fecit), wodurch große Schande auf den Flötenspieler fiel, der gegen einen Mann, den ganz Athen wie einen Hausgott verehrte (Apul. Flor. p. 126 bip.), eine solche Brutalität ausgeübt hatte. (Diog. Laert. VI, 89.) – Vom Diogenes aus Sinope haben wir darüber, daß die betrunkenen Söhne der Athener ihn geprügelt hatten, einen Brief an den Melesippus, dem er bedeutet, das habe nichts auf sich. (Nota Casaub. ad Diog. Laert. VI, 33.) – Seneka hat, im Buche de constantia sapientis, vom C. 10 an bis zum Ende, die Beleidigung, contumelia, ausführlich in Betracht genommen, um darzulegen, daß der Weise sie nicht beachtet. Kapitel 14 sagt er: »at sapiens colaphis percussus, quid faciet? quod Cato, cum illi os percussum esset: non excanduit, non vindicavit injuriam: nec remisit quidem, sed factam negavit.« »Ja,« ruft ihr, »das waren Weise!« – Ihr aber seid Narren? Einverstanden. –