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Fräulein Julie: Naturalistisches Trauerspiel

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Märgi loetuks
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Die Handlung ist reich genug, und da sie eigentlich nur zwei Personen angeht, habe ich mich auf sie beschränkt, und nur eine Nebenperson eingeführt, die Köchin, und den unglücklichen Geist des Vaters über und hinter dem Ganzen schweben lassen. Dieses Letztere habe ich gethan, da ich zu bemerken geglaubt habe, daß für Menschen der neueren Zeit die psychologische Entwicklung das ist, was sie am meisten interessiert, und unsere wißbegierigen Seelen sich nicht damit begnügen, etwas vor sich gehen zu sehen, ohne zu erfahren, wie es zugeht! Wir wollen gerade die Fäden, die Maschinerie sehen, die doppelbodige Schachtel untersuchen, den Zauberring in die Hand nehmen, um die Fuge zu finden, in die Karten gucken, um zu entdecken, mit was für Zeichen sie versehen sind.

Was das Technische in der Komposition anbetrifft, so habe ich die Akteinteilung gestrichen, weil ich bemerkt habe, daß unser Mangel an Fähigkeit, uns von einer Illusion beherrschen zu lassen, möglicherweise durch Zwischenakte erzeugt wird, in denen der Zuschauer Zeit bekommt zu reflektieren und sich dabei dem suggestiven Einfluß des Verfasser-Magnetiseurs zu entziehen. Mein Drama währt wahrscheinlich sechs Viertelstunden, und wenn man eine Vorlesung, eine Predigt oder eine Kongreßverhandlung ebenso lange und länger anhören kann, so habe ich mir gedacht, daß ein Theaterstück während anderthalb Stunden nicht ermüden würde.

Der Monolog ist von unsern Realisten als unwahr verbannt, aber wenn ich ihn motiviere, mache ich ihn wahrscheinlich und kann ihn also mit Vorteil verwenden. Es ist ja wahrscheinlich, daß ein Redner allein in seinem Zimmer auf- und abgeht und laut seine Rede durchgeht, wahrscheinlich, daß ein Schauspieler laut seine Rolle memoriert, daß ein Mädchen mit seiner Katze plaudert, eine Mutter mit ihrem Kinde scherzt, ein altes Fräulein mit ihrem Papagei schwatzt, ein Schlafender im Schlafe spricht. Und um einmal dem Schauspieler zu selbständiger Arbeit Gelegenheit zu geben und einen Augenblick dem Zeigefinger des Verfassers zu entschlüpfen, ist es am besten, daß die Monologe nicht ausgeführt, sondern nur angedeutet werden. Denn da es ziemlich gleichgültig ist, was im Schlafe, zum Papagei oder zur Katze gesprochen wird, da es ja keinen Einfluß auf die Handlung ausübt, so kann ein begabter Schauspieler, der mitten in der Stimmung und Situation drinnen ist, dies besser improvisieren, als der Verfasser, der nicht im voraus berechnen kann, wieviel und wie lange geschwatzt werden kann, bis das Publikum aus der Illusion erweckt wird.

Wo der Monolog unwahrscheinlich werden sollte, habe ich zur Pantomime gegriffen und hier lasse ich dem Schauspieler noch mehr Freiheit, zu dichten und selbständig Ehre zu gewinnen. Um gleichwohl das Publikum nicht zu stark auf die Probe zu stellen, habe ich die Musik, die durch den Tanz in der Johannisnacht wohl motiviert ist, ihre verführerische Macht während des stummen Spiels ausüben lassen, und bitte den Musikdirektor wohl zu beherzigen, daß er nicht fremde Stimmungen erwecken darf durch die Erinnerung an das Operetten- oder Tanzrepertoire des Tages oder durch allzu ethnographisch volkstümliche Melodieen.

Das Ballett,2 welches ich eingeführt habe, konnte durch keine Volksscene ersetzt werden, da Volksscenen schlecht gespielt werden, und eine Menge Spaßmacher die Gelegenheit benutzen würden, sich bemerkbar zu machen und dadurch die Illusion stören. Da das Volk seine Böswilligkeiten nicht selbst improvisiert, sondern bereits fertiges Material benutzt, das einen doppelten Sinn geben kann, habe ich das »Schmähgedicht« nicht gedichtet, sondern ein weniger bekanntes Tanzspiel benutzt, welches ich selbst in der Umgebung von Stockholm aufgezeichnet habe. Die Worte treffen ungefähr die Sache, und das genügt völlig, denn die Feigheit der Menge gestattet ihr nicht direkte Angriffe.3 Also keine ausgesprochenen Späße in einer ernsten Handlung, kein rohes Grinsen gegenüber einer Situation, die den Deckel auf den Sarg eines Geschlechtes legt.

Was die Dekorationen anbetrifft, so habe ich von der impressionistischen Malerei das Unsymmetrische und Abgeschnittene entlehnt und glaube dadurch die Illusion zu erhöhen; denn dadurch, daß man nicht die ganze Scene und das ganze Möblement sieht, ist es einem möglich gemacht den Raum zu ahnen: die Phantasie wird erregt und ersetzt das Fehlende. Auch habe ich es dadurch erreicht, daß ich das ermüdende Gehen und Kommen durch die Thüren los wurde, besonders da die Theaterthüren aus Leinwand sind und bei der geringsten Bewegung flattern. Ebenso habe ich mich an eine einzelne Dekoration gehalten, damit die Personen sich mit der Umgebung verschmelzen können, und um mit dem Dekorationsluxus zu brechen.

Ich habe die Hintergrundsdekoration und den Tisch schräg gestellt, um die Schauspieler zu veranlassen en face und in halbem Profil zu spielen, wenn sie am Tisch einander gegenüber sitzen.

Eine andere vielleicht nicht unnötige Verbesserung würde die Entfernung der Rampe sein. Dieses Licht von unten scheint die Aufgabe zu haben die Schauspieler im Gesichte voller erscheinen zu lassen; aber ich muß fragen: Warum sollen alle Schauspieler volle Gesichter haben? Ob das Licht von unten nicht eine Menge feiner Züge in den unteren Partieen des Gesichtes, namentlich der Kiefer, verwischt, ob es nicht die Form der Nase verändert und Schatten über die Augen wirft? Und wenn nicht, so ist doch sicher, daß es den Augen des Schauspielers unangenehm ist, sodaß das wirkungsvolle Spiel des Blicks verloren geht, denn das Licht der Rampe trifft die Netzhaut auf Stellen, die sonst geschützt sind und darum sieht man selten andere Bewegungen der Augen, als ein dummes Starren zur Seite oder hinauf zu den Logenreihen, sodaß das Weiße im Auge zu sehen ist. Möglicherweise kann man derselben Ursache das müde Blinzeln mit dem Augendeckel bei den Schauspielern und namentlich bei den Schauspielerinnen zuschreiben. Und wenn jemand auf der Bühne mit den Augen sprechen will, kann er nur geradeaus ins Publikum sehen, mit dem er (oder sie) außerhalb des Rahmens des Stückes eine direkte Korrespondenz einleitet; eine Unsitte, die mit Recht oder Unrecht »Bekannte begrüßen« genannt wird.

Sollte nicht genügend starkes Seitenlicht (mit Reflektoren oder dergleichen) dem Schauspieler dieses neue Hilfsmittel bieten können: die Mimik durch den ausdrucksvollsten Teil des Gesichtes, die Augen, zu stärken?

Die Illusion, die Schauspieler dahin zu vermögen, für und nicht mit dem Publikum zu spielen, nähre ich nicht, wenn dieses auch in hohem Grade wünschenswert wäre. Ich glaube nicht, daß ich eine ganze Scene hindurch den ganzen Rücken eines Schauspielers werde zu sehen bekommen, aber ich wünsche von ganzem Herzen, daß die Hauptscenen nicht, gleich Duetten, vorn am Souffleurkasten gespielt werden mögen, in der Absicht, Beifall zu ernten, sondern ich will sie auf einen Platz haben, der zu der Situation paßt. Also keine Revolution, sondern nur kleine Modifikationen.

Wenn ich nun beginne vom Schminken zu sprechen, so nähre ich keine Hoffnung, von den Damen gehört zu werden, die lieber hübsch, als wahr sein wollen. Aber der Schauspieler sollte doch genau überlegen, ob es für ihn vorteilhaft ist, durch das Schminken seinem Gesichte einen abstrakten Charakter zu geben, der wie eine Maske auf demselben sitzen bleibt. Denken wir uns einen Herrn, der sich mit Kohle einen scharfen, zornigen Zug zwischen den Augen anbringt, und nehmen wir an, daß dieser ständig zornig aussehende Mensch bei einer Replik lachen soll. Welch' schauderhafte Grimasse wird das nicht werden? Und wie soll eine falsche Stirn, die blank ist, wie eine Billardkugel, gerunzelt werden können, wenn der Alte zornig wird.

Mit einem modernen psychologischen Drama, wo die feinsten seelischen Empfindungen sich mehr in den Gesichtszügen als in den Bewegungen und im Geschrei widerspiegeln sollen, thäte man wohl am besten, es mit starkem Seitenlicht auf einer kleinen Bühne und mit Schauspielern ohne Schminke oder zum mindesten einem Minimum davon zu versuchen.

Könnten wir das sichtbare Orchester mit seinem störenden Lampenlicht und den gegen das Publikum gewandten Gesichtern loswerden; würde das Parkett so erhöht, daß die Augen des Zuschauers höher träfen, als auf die Kniee des Schauspielers; schafften wir die Prosceniumslogen ab und dazu vollständige Dunkelheit im Theater während der Vorstellung, sowie zuerst und vor allem eine kleine Bühne und einen kleinen Zuschauerraum, dann könnte vielleicht eine neue dramatische Kunst erstehen, und das Theater wieder eine Institution zur Freude der Intelligenteren werden.

Indem wir auf dieses Theater warten, müssen wir auf Lager schreiben und das Repertoire der Zukunft vorbereiten.

Ich habe einen Versuch gemacht! Ist er mißglückt, so ist noch Zeit genug, einen neuen zu machen.

Kopenhagen im Sommer 1888.

Der Verfasser.

Fräulein Julie

Personen:
Fräulein Julie, 25 Jahre alt
Jean, Diener, 30 Jahre alt
Christine, Köchin, 35 Jahre alt

Die Handlung spielt in der Johannisnacht in einer gräflichen Küche.

 
Schauplatz:

Eine große Küche, deren Decke und Seitenwände von den Draperien und Soffiten verdeckt werden. Die Hinterwand zieht sich von links schräg in die Scene hinein; auf der linken Seite zwei Gestelle mit Kupfer-, Messing-, Eisen- und Zinngeschirr; die Gestelle sind mit zackigem Papier garniert; etwas weiter rechts sieht man dreiviertel des großen gewölbten Ausganges mit zwei Glasthüren, durch welche ein Springbrunnen mit einem Amor, blühende Fliederbüsche und einige Pappelbäume sichtbar sind. Eingänge rechts und links.

Links auf der Bühne eine Ecke eines großen Kachelherdes mit einem Teil des Rauchfanges.

Rechts das eine Ende eines Gesindeeßtisches aus weißem Fichtenholz mit einigen Stühlen; auf dem Tisch eine große japanische Kruke mit Flieder.

Der Herd ist mit Birkenzweigen ausgeputzt, der Boden mit Wachholder bestreut.

Ein Eisschrank, ein Waschtisch und ein Aufwaschtisch. Eine große, altertümliche Schlaguhr über der Thüre und ein Sprachrohr auf der linken Seite derselben.

Christine steht links am Herd und bratet etwas in einer Pfanne; sie hat ein helles Kattunkleid an und eine Küchenschürze um. Jean kommt durch die Glasthür hinein, in Livree; er trägt in der Hand ein paar große Reitstiefel mit Sporen, die er auf einer sichtbaren Stelle hinten auf den Boden stellt.

Jean. Heute Abend ist das Fräulein Julie wieder verrückt, total verrückt!

Christine. So, du bist jetzt hier?

Jean. Ich begleitete den Herrn Grafen zur Station, und als ich auf dem Rückweg an der Scheune vorüberkam, ging ich hinein, um zu tanzen. Fräulein Julie tanzte gerade mit dem Förster; als sie mich aber gewahr wurde, fährt sie gerade auf mich los und fordert mich zum Damenwalzer auf. Und seitdem hat sie in einer Weise getanzt, daß ich nie etwas derartiges gesehen habe. Sie ist einfach verrückt.

Christine. Das ist sie ja immer gewesen, aber niemals so, wie die letzten vierzehn Tage, seitdem die Verlobung aufgehoben wurde.

Jean. Ja, was war das eigentlich für eine Geschichte. Es war doch ein feiner Kerl, wenn er auch nicht reich war. Ach ja! sie haben so viele Launen! Er setzt sich rechts an den Tisch. Es ist in jedem Fall sonderbar von dem Fräulein, daß sie lieber bei den Leuten zu Hause bleiben will, als ihren Vater zu ihren Verwandten begleiten? Nicht?

Christine. Ja, sie fühlt sich wohl gleichsam ein wenig geniert nach der Geschichte mit ihrem Bräutigam.

Jean. Kann schon sein! Aber es war doch in jedem Fall ein tüchtiger Kerl. Weißt du, Christine, wie es kam? Ich sah es mit an, obgleich ich mir nichts merken lassen wollte.

Christine. Wie? Du sahst es mit an?

Jean. Ja, das that ich. Sie waren eines Abends unten im Stallhof, und das Fräulein »tränierte« ihn, wie sie es nannte – weißt du, was sie machte? Sie ließ ihn über die Reitpeitsche springen, wie einen Hund, den man »hop« machen lehrt. Zweimal sprang er hinüber und bekam jedesmal einen Schlag; aber das dritte Mal nahm er ihr die Reitpeitsche aus der Hand, zerbrach sie in tausend Stücke und – ging.

Christine. So kam es? Nein, was du sagst!

Jean. Ja, so kam es! Aber kannst du mir nun nicht etwas Gutes zu essen geben, Christine?

Christine legt aus der Pfanne auf und setzt es Jean vor. Ach, nur ein bißchen Nieren, die ich aus dem Kalbsbraten herausgeschnitten habe!

Jean beriecht das Essen. Ah! Sehr schön, das ist mein größtes Delice! Er befühlt den Teller. Aber du hättest den Teller wärmen können!

Christine. Du bist noch krittlicher, als selbst der Graf, wenn du erst einmal anfängst. Sie zieht ihn liebkosend am Haar.

Jean böse. Au! Du mußt mich nicht so reißen, du weißt ja, wie empfindlich ich bin.

Christine. Na, na, es war ja nur aus Liebe.

Jean ißt.

Christine zieht eine Flasche Bier auf.

Jean. Bier in der Johannisnacht? Nein, danke bestens! Da habe ich selbst was Besseres. Er öffnet die Tischschublade und nimmt eine Flasche Rotwein mit gelbem Lack heraus. Gelber Lack, siehst du! Gieb mir nun ein Glas! Ein Fußglas, versteht sich, wenn man reinen Wein trinkt.

Christine wendet sich wieder zum Herd und setzt eine kleine Kasserole auf. Gott sei der gnädig, die dich einmal zum Mann bekommt! So ein Kräkler!

Jean. Ach red' doch nicht! Du wärst sehr vergnügt, wenn du so'n feinen Kerl, wie mich, bekämst; und ich glaube nicht, daß du davon Schaden hast, daß man mich deinen Liebsten nennt! Er schmeckt den Wein. Ah! Sehr fein! Sehr fein! Nur etwas zu wenig temperiert! Er wärmt das Glas mit der Hand. Den haben wir in Dijon gekauft. Und er kam vier Francs der Liter ohne Glas; und dann noch der Zoll dazu! Was kochst du denn jetzt? Das stinkt ja infernalisch!

Christine. Ach, das ist so ein Teufelsdreck, den Fräulein Julie für die Diana haben will.

Jean. Du solltest dich ein wenig zierlicher ausdrücken, Christine! Aber warum mußt du am heiligen Abend dastehen und für das Beest kochen? Ist es krank, was?

Christine. Jawohl! Sie hat sich zu dem Hofhund hinausgeschlichen – und da haben sie Unsinn gemacht – und siehst du, davon will das Fräulein nichts wissen.

Jean. Ja, in einer Beziehung ist das Fräulein zu stolz und in anderer zu wenig stolz, ganz wie die Gräfin bei Lebzeiten. Sie fühlte sich am wohlsten in der Küche und im Stall, aber sie wollte niemals mit einem Pferd fahren; sie ging mit schmutzigen Manschetten, mußte aber die Grafenkrone auf den Knöpfen haben. Das Fräulein, um nun von ihr zu reden, nimmt sich und ihre Person nicht genug in acht. Ich möchte sagen, sie ist nicht fein. Jetzt eben, als sie in der Scheune tanzte, riß sie den Förster von Annas Seite fort und forderte ihn selbst auf. Wir würden uns nicht so benehmen; aber so geht es, wenn die Herrschaften sich gemein machen, dann – werden sie gemein! Aber stattlich ist sie! Prachtvoll! O! Diese Schultern! Dieser Busen! und – &c.!

Christine. Na, dabei ist auch viel Kunst! Ich weiß, was Klara gesagt hat, die ihr beim Anziehen hilft.

Jean. Pah, Klara! Ihr seid immer neidisch aufeinander! Ich bin mit ihr ausgewesen und habe sie reiten sehen – Und dann, wie sie tanzt!

Christine. Höre einmal, Jean! Willst du nicht mit mir tanzen, wenn ich fertig bin?

Jean. Ja, natürlich will ich das.

Christine. Versprichst du es mir?

Jean. Versprechen? Wenn ich sage, ich thue es, dann thue ich es auch! Indessen besten Dank für das Essen. Es war sehr gut. Er schlägt den Pfropfen in die Flasche hinein.

Das Fräulein in der Glasthür, spricht nach außen. Ich bin sogleich wieder da! Geht nur solange voran!

Jean verbirgt die Weinflasche in der Tischschublade und steht dann ehrerbietig auf.

Fräulein Julie tritt ein und geht zu Christine an den Herd. Na! Ist es fertig?

Christine giebt ihr durch Zeichen zu verstehen, daß Jean zugegen ist.

Jean galant. Haben die Damen Geheimnisse vor?

Julie schlägt ihm mit dem Taschentuch ins Gesicht. Ist Er neugierig?

Jean. Ach, wie schön das nach Veilchen duftete!

Julie kokett. Unverschämter! Versteht Er sich auch auf Parfüms? Tanzen kann Er – Nicht hersehen! Geh Er fort! Sie tritt hinter den Tisch.

Jean naseweis, aber artig. Ist es ein Zaubertrank, was die Damen da in der Johannisnacht brauen? Etwas, um dann in den Sternen des Glückes zu lesen, sodaß man seine Zukünftige zu sehen bekommt!

Julie scharf. Ja, wenn Er die zu sehen bekommt, dann muß Er gute Augen haben! Zu Christine. Gieße es in eine halbe Flasche hinein und korke es fest zu. Komm Er nun und tanze einen Schottisch mit mir, Jean – Sie läßt ihr Taschentuch auf dem Tisch liegen.

Jean zögernd. Ich will gegen niemand unartig sein, aber diesen Tanz hatte ich Christinen versprochen —

Julie. Na, sie kann ja einen andern bekommen. Sie tritt zu Christine. Oder wie, Christine? willst du mir den Jean nicht leihen?

Christine. Das hängt nicht von mir ab. Wenn das gnädige Fräulein so herablassend ist, so paßt es sich nicht, daß er nein sagt. Geh nur! und bedanke dich für die Ehre.

Jean. Aufrichtig gesprochen, aber ohne Sie verletzen zu wollen, ist es klug von Ihnen, Fräulein Julie, zweimal hintereinander mit demselben Herrn zu tanzen, besonders da die Leute hier sehr geneigt sind, allerhand Schlüsse zu ziehen —

Julie braust auf. Was soll das heißen? Was für Schlüsse? Was meint Er damit?

Jean ausweichend. Da das Fräulein mich nicht verstehen wollen, muß ich deutlicher reden. Es sieht nicht gut aus, wenn Sie einen Ihrer Untergebenen den andern, die dieselbe ungewöhnliche Ehre erwarten, vorziehen —

Julie. Vorziehen! Was bildet Er sich ein! Ich bin ganz erstaunt! Ich, die Herrin des Hauses, beehre den Tanz der Leute mit meiner Gegenwart, und wenn ich nun wirklich tanzen will, so will ich es mit einem, der führen kann, sodaß ich dem entgehe, ausgelacht zu werden.

Jean. Wie das Fräulein befehlen! Ich stehe zu Diensten!

Julie sanft. Sprechen Sie jetzt nicht von befehlen. Heute Abend sind wir ja als frohe Menschen auf dem Fest und legen allen Rang ab! So, geben Sie mir denn Ihren Arm! Sei ganz ruhig, Christine! Ich werde dir deinen Schatz nicht entführen!

Jean bietet ihr seinen Arm und führt sie durch die Glasthür hinaus.

Christine allein.4

Schwache Violinenmusik in einiger Entfernung im Takt eines Schottisch.

Christine summt die Musik mit, räumt den Tisch ab, wo Jean gegessen hat, wäscht den Teller am Aufwaschtisch ab, trocknet ihn ab und setzt ihn in einen Schrank. Dann legt sie die Küchenschürze ab, nimmt einen kleinen Spiegel aus der Tischschublade, stellt ihn gegen die Krucke mit Flieder auf dem Tisch, zündet ein Talglicht an und macht eine Haarnadel heiß, mit der sie ihre Stirnhaare kräuselt. Darauf geht sie an die Glasthüre und lauscht, kommt wieder an den Tisch zurück, findet das Taschentuch des Fräuleins, das dieselbe vergessen, nimmt es und riecht daran; dann breitet sie es in Gedanken aus, reckt es, streicht es glatt und legt es viermal zusammen.

Jean kommt allein durch die Glasthür zurück. Ja, sie ist verrückt. So zu tanzen! Und die Leute stehen an den Thüren und grinsen über sie. Was sagst du dazu, Christine?

Christine. Ach, es ist ja jetzt ihre Zeit, und da ist sie immer so sonderbar. Aber willst du jetzt kommen und mit mir tanzen?

Jean. Du bist doch wohl nicht böse, daß ich dir echappierte?

Christine. Nein! Nicht im geringsten, das weißt du ja; und ich kenne auch meine Stellung —

Jean legt die Hand um ihre Taille. Du bist ein verständiges Mädchen, Christine, und würdest eine tüchtige Hausfrau werden —

Julie kommt durch die Glasthüre herein; sie ist unangenehm überrascht; mit erzwungener Munterkeit. Sie sind ja ein scharmanter Kavalier – der seiner Dame davonspringt.

Jean. Im Gegenteil, Fräulein Julie, wie Sie sehen, habe ich mich beeilt, die Verlassene aufzusuchen!

Julie in anderm Ton. Wissen Sie, daß Sie wie kein anderer tanzen! Aber warum gehen Sie am Festabend in Livree? Legen Sie sie gleich ab!

Jean. Dann muß ich das Fräulein bitten, sich einen Augenblick zu entfernen, denn mein schwarzer Rock hängt hier – Er geht mit entsprechender Gebärde nach rechts.

2Der Verfasser meint hier mit Ballett natürlich einen Tanz, einen Volkstanz, und denkt nicht etwa an die berühmten kurzen Röckchen und die fleischfarbenen Tricots. Der Übers.
3Um dieser Absicht des Dichters möglichst genau gerecht zu werden, wählte ich dafür ein älteres deutsches »Gesellschaftslied«. Der Übers.
4Diese stumme Scene muß gespielt werden, als wenn die Schauspielerin wirklich allein wäre: also sie muß nach Bedürfnis dem Publikum den Rücken zuwenden und nicht in den Zuschauerraum hineinsehen; auch sich nicht übereilen, als wenn sie fürchtete, das Publikum könnte ungeduldig werden. Der Verfasser.