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Fräulein Julie: Naturalistisches Trauerspiel

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Julie. Nein! Das thue ich nicht mehr! Aber was sollen wir denn machen?

Jean. Fliehen, reisen, weit von hier fort!

Julie. Reisen? Ja, aber wohin?

Jean. Nach der Schweiz, nach den italienischen Seen; dort sind Sie noch niemals gewesen?

Julie. Nein! Ist es schön dort?

Jean. O ein ewiger Sommer, Orangen, Lorbeeren! Ach!

Julie. Aber was sollen wir dort denn nachher anfangen?

Jean. Dort errichten wir ein Hotel ersten Ranges mit Gästen ersten Ranges.

Julie. Ein Hotel?

Jean. Das ist ein Leben, können Sie mir glauben; unaufhörlich neue Ansichten, neue Sprachen; nicht eine Minute Zeit zum Grübeln oder Träumen; kein Suchen nach Beschäftigung, denn die Arbeit kommt von selbst: Tag und Nacht schellt die Glocke, pfeift der Zug, kommt und geht der Omnibus, während die Goldstücke im Kontor rollen! Das ist ein Leben!

Julie. Ja, das heißt leben! Und ich?

Jean. Die Herrin des Hauses; die Zierde der Firma. Mit Ihrem Aussehen – und Ihrem Benehmen – o – der Erfolg ist sicher! Kolossal! Sie sitzen wie eine Königin im Kontor und setzen die Sklaven in Bewegung mit einem Druck auf die elektrische Glocke; die Gäste defilieren an Ihrem Thron vorbei und legen demütig ihre Schätze auf Ihren Tisch. Sie können sich gar nicht denken, wie die Menschen zittern, wenn sie eine Rechnung in die Hand bekommen – ich werde die Noten pfeffern, und Sie müssen sie mit Ihrem süßesten Lächeln bezuckern. Ach! Lassen Sie uns von hier fort reisen! Er nimmt einen Fahrplan aus der Tasche. Gleich mit dem nächsten Zug! wir sind um sechs Uhr dreißig in Malmö, in Hamburg um acht Uhr vierzig morgen früh; Frankfurt – Basel ein Tag, und in Como, mit der Gotthardtbahn in – sehen wir – drei Tagen. Nur drei Tage!

Julie. Das ist alles sehr schön! Aber Jean – du mußt mir Mut geben! Sage mir, daß du mich liebst! Komm und umarme mich!

Jean zögernd. Ich möchte – aber ich wage es nicht. Nicht hier im Hause. Ich liebe Sie – zweifellos – können Sie überhaupt daran zweifeln?

Julie mit echt weiblicher Scham. Sie! Sage du! Zwischen uns giebt es keine Schranken mehr! Sage du!

Jean in gequältem Ton. Ich kann nicht! Noch giebt es Schranken zwischen uns, solange wir in diesem Hause weilen – da ist die Vergangenheit – da ist der Herr Graf; ich bin niemals mit einem Menschen zusammengetroffen, vor dem ich soviel Respekt hatte – ich brauche nur seine Handschuhe auf einem Stuhl liegen zu sehen, dann komme ich mir gleich ganz klein vor – ich brauche nur die Glocke da oben zu hören, dann fahre ich zusammen, wie ein scheues Pferd – und wenn ich nun seine Stiefel da stehen sehe, so stolz und gerade, dann packt es mich im Rücken! Er stößt die Stiefel mit dem Fuß weiter. Aberglaube, Vorurteil, das man uns von Kindheit an eingepfropft hat, das man aber niemals loswerden kann. Kommen Sie nur in ein anderes Land, in eine Republik, und man soll auf den Knieen liegen vor der Livree meines Portiers – auf den Knieen soll man liegen, Sie werden sehen! aber nicht ich! Ich bin nicht dazu geboren, auf den Knieen zu liegen, denn es ist Stoff in mir, Charakter, und habe ich nur erst den ersten Zweig erreicht, dann sollen Sie mich klettern sehen! Ich bin heute Bedienter, aber nächstes Jahr bin ich Proprietär, in zehn Jahren Rentier, und dann reise ich nach Rumänien und lasse mich dekorieren, und kann – merken Sie wohl, ich sage kann – als Graf enden.

Julie. Gut, gut.

Jean. Ah, in Rumänien kauft man sich den Grafentitel, und dann werden Sie doch eine Gräfin! Meine Gräfin!

Julie. Was mache ich mir aus all' dem, was ich nun von mir werfe! Sage, daß du mich liebst, sonst – ja, was bin ich sonst?

Jean. Ich werde es sagen, tausendmal – später! Nur nicht hier! Und vor allem keine Empfindsamkeit, wenn nicht alles verloren sein soll! Wir müssen die Sache ruhig auffassen, als kluge Menschen. Er nimmt eine Cigarre vor, schneidet die Spitze ab und zündet sie an. Setzen Sie sich nun da hin. Dann setze ich mich hierher, und dann plaudern wir, als wenn nichts geschehen wäre.

Julie. O mein Gott! Haben Sie denn kein Gefühl?

Jean. Ich! Es giebt keinen gefühlvolleren Menschen, wie mich; aber ich kann mich beherrschen.

Julie. Vor kurzem konnten Sie meinen Schuh küssen – und nun?

Jean hart. Ja, vorher! Nun haben wir an anderes zu denken.

Julie. Sprechen Sie nicht hart zu mir!

Jean. Nein, aber klug! Eine Thorheit ist begangen, begehen wir nicht mehrere! Der Graf kann jeden Augenblick hier sein, und unser Schicksal muß vorher entschieden sein. Was halten Sie von meinen Plänen für die Zukunft? Sagen sie Ihnen zu?

Julie. Sie scheinen mir ganz annehmbar, aber eine Frage: zu einem so großen Unternehmen gehört ein großes Kapital; haben Sie das?

Jean raucht. Ich! Ja gewiß! Ich habe meine Fachkenntnisse, meine seltene Erfahrung, meine Sprachkenntnisse! Das ist ein Kapital, welches etwas wert ist, scheint mir!

Julie. Aber dafür können wir nicht einmal ein Eisenbahnbillet kaufen.

Jean. Das ist wohl wahr; aber deshalb suche ich einen Menschen, der die Fonds vorstrecken kann.

Julie. Wo finden Sie den in der Eile?

Jean. Den werden Sie finden, wenn Sie mein Compagnon werden.

Julie. Das kann ich nicht, und ich selbst besitze nichts.

Pause.

Jean. Dann fällt die ganze Sache in sich zusammen —

Julie. Und —?

Jean. Es bleibt, wie es ist!

Julie. Glauben Sie, ich weile unter diesem Dache noch länger als Ihre Maitresse? Glauben Sie, ich will die Leute mit Fingern auf mich zeigen lassen; denken Sie, ich kann hiernach meinem Vater ins Gesicht sehen? Nein! Führen Sie mich fort von hier, von Erniedrigung und Entehrung! O mein Gott, was habe ich gethan! O mein Gott, mein Gott! Sie weint.

Jean. Aha, nun fängt es auf die Art an! – Was Sie gethan haben? Dasselbe, wie tausend andere vor Ihnen!

Julie schreit wie in einem Krampfanfall. Und nun verachten Sie mich! Ich falle, ich falle!

Jean. Fallen Sie nieder zu mir, dann werde ich Sie später emporheben.

Julie. Welche entsetzliche Macht zog mich zu Ihnen herab? Die, welche den Schwachen zum Starken hinzieht? Den Fallenden zum Steigenden? Oder war es Liebe? Liebe – dieses? Wissen Sie, was Liebe ist?

Jean. Ich? Ja, das sollte ich meinen? Glauben Sie, ich hätte sie nicht schon früher empfunden?

Julie. Welche Sprache Sie reden! Und welche Gedanken Sie denken!

Jean. So habe ich es gelernt; und so bin ich! Seien Sie nun nicht nervös und spielen Sie nicht die feine Dame, wir haben uns eine Suppe eingebrockt, die wir ausessen müssen! – Na sieh, mein Mädel, komm, ich will dir ein Glas extra geben. Er öffnet die Tischschublade, nimmt die Weinflasche heraus und füllt zwei der gebrauchten Gläser.

Julie. Von wo haben Sie den Wein her?

Jean. Aus dem Keller!

Julie. Meines Vaters Burgunder!

Jean. Ist er vielleicht zu gut für den Schwiegersohn?

Julie. Und ich trinke Bier!

Jean. Das beweist nur, daß Sie einen schlechteren Geschmack haben, als ich.

Julie. Dieb!

Jean. Wollen Sie etwa ausplaudern?

Julie. O, o! Die Mitschuldige eines Hausdiebes! Bin ich heute Nacht betrunken gewesen und habe im Traum gehandelt? Johannisnacht? Das Fest unschuldiger Freuden —

Jean. Unschuldiger – hm!

Julie geht auf und ab. Giebt es in diesem Augenblick einen Menschen auf Erden, der so unglücklich ist, wie ich?

Jean. Warum sind Sie es? Nach einer solchen Eroberung! Denken Sie an Christine dort drinnen! Glauben Sie, daß sie nicht auch Gefühl hat?

Julie. Ich glaubte es früher, aber jetzt glaube ich es nicht mehr. Nein, Knecht ist Knecht —

Jean. Und Dirne ist Dirne!

Julie auf den Knieen, mit gefalteten Händen. O Gott im Himmel, nimm mein erbärmliches Leben von mir! Nimm mich von diesem Schmutz, in dem ich versinke! Rette mich! Rette mich!

Jean. Ich kann nicht leugnen, daß Sie mir leid thun! Damals, als ich im Zwiebelbeet lag und Sie im Rosengarten sah, da – nun werde ich es Ihnen sagen – da hatte ich dieselben schmutzigen Gedanken, wie alle Jungen.

Julie. Und doch wollten Sie für mich sterben!

Jean. Im Haferkasten? Das war nur leeres Geschwätz.

Julie. Also Lüge?

Jean beginnt schläfrig zu werden. Nahezu! Die Geschichte habe ich einmal in einer Zeitung gelesen, von einem Schornsteinfeger, der sich in einen Kasten mit Flieder legte, weil er zum Alimentationsbeitrag verurteilt wurde.

Julie. Ja, also so sind Sie —

Jean. Was sollte ich sonst erfinden; man muß die Frauenzimmer ja immer mit Schmeicheleien fangen!

Julie. Schuft!

Jean. Dirne!

Julie. Und ich sollte der erste Zweig werden —

Jean. Aber der Zweig war morsch.

Julie. Ich sollte das Aushängeschild des Hotels werden —

Jean. Und ich das Hotel.

Julie. In Ihrem Kontor sitzen, Ihre Kunden anlocken, Ihre Rechnungen fälschen —

Jean. Das würde ich selbst besorgen —

Julie. Daß eine Menschenseele so durch und durch schmutzig sein kann!

Jean. Waschen Sie sie doch rein!

Julie. Lakai! Domestik! Steh auf, wenn ich rede!

Jean. Domestikendirne halte den Mund und geh von hier fort. Willst du herkommen und mir vorwerfen, ich sei roh? So gemein, wie du dich heute Abend aufgeführt hast, hat sich niemals einer meinesgleichen benommen. Glaubst du, ein einfaches Mädchen berührt Männer so, wie du? Hast du je ein Mädchen meines Standes sich so anbieten gesehen?

 

Julie zerknirscht. So ist's recht; schlage mich; trete mich nieder; ich habe es nicht besser verdient! Ich bin eine Elende; aber hilf mir! Hilf mir weiter, wenn eine Möglichkeit vorhanden ist!

Jean sanfter. Ich will nicht auf meinen Anteil an der Ehre, Sie verführt zu haben, verzichten; aber glauben Sie, daß eine Person in meiner Stellung gewagt haben würde, die Augen zu Ihnen zu erheben, wenn Sie nicht selbst dazu aufgefordert hätten! Ich bin noch ganz verblüfft —

Julie. Und stolz —

Jean. Warum nicht? Obschon ich bekennen muß, daß der Sieg mir zu leicht war, um eigentlich einen Rausch geben zu können.

Julie. Schlagen Sie mich nur noch mehr!

Jean steht auf. Nein, verzeihen Sie mir lieber das, was ich schon gesagt habe! Ich schlage keinen Wehrlosen und am wenigsten ein Frauenzimmer. Ich kann nicht leugnen, daß es mich einerseits freut, gesehen zu haben, daß es nur Katzengold war, was uns dort unten blendete; gesehen zu haben, daß der Rücken des Habichts auch nur grau ist, daß auf der zarten Wange Puder war, und daß die geschliffenen Nägel schwarze Ränder haben können, daß das Taschentuch schmutzig war, wenn es auch nach Parfüm duftete —! Aber es peinigt mich andererseits, gesehen zu haben, daß das, wonach ich strebte, nichts Höheres, Solideres war; es peinigt mich, Sie so tief gesunken zu sehen, daß Sie weit unter Ihrer Köchin stehen: es peinigt mich zu sehen, wie die Herbstblumen von dem Regen zerschlagen und in Schmutz verwandelt werden.

Julie. Sie reden, als wenn Sie bereits über mir ständen.

Jean. Das thue ich auch: Sehen Sie, ich könnte Sie in eine Gräfin verwandeln, aber Sie können mich niemals zum Grafen machen.

Julie. Aber ich bin von einem Grafen gezeugt, und das können Sie niemals werden.

Jean. Das ist wahr: aber ich könnte selbst Grafen erzeugen, wenn —

Julie. Aber Sie sind ein Dieb, und das bin ich nicht.

Jean. Dieb ist nicht das Schlimmste! Es giebt schlimmere Dinge. Und übrigens: wenn ich in einem Hause diene, betrachte ich mich gewissermaßen als Mitglied der Familie, als Kind des Hauses, und man sieht es nicht für Diebstahl an, wenn das Kind eine Beere von einem vollen Strauch pflückt. Seine Leidenschaft erwacht wieder von neuem. Fräulein Julie, Sie sind ein herrliches Weib, allzu gut für einen Menschen wie mich! Sie sind die Beute eines Rausches gewesen, und Sie wollen den Fehler dadurch verdecken, daß Sie sich einbilden, Sie lieben mich! Das thun Sie aber nicht, es sei denn, daß Sie vielleicht nur mein Äußeres verlockt – und dann ist Ihre Liebe nicht besser, als die meinige; aber ich kann mich niemals damit begnügen, für Sie ein bloßes Tier zu sein, und Ihre Liebe kann ich nicht erringen.

Julie. Sind Sie dessen so sicher?

Jean. Sie meinen, es könnte geschehen! Ich könnte Sie lieben, ja, zweifellos: Sie sind schön, Sie sind fein, er nähert sich ihr und faßt ihre Hand gebildet, liebenswürdig, wenn Sie wollen, und wenn Sie die Begier eines Mannes erregt haben, erlischt dieselbe wahrscheinlich niemals. Er umfaßt sie. Sie sind wie glühender Wein mit starken Kräutern, und ein Kuß von Ihnen – er versucht sie nach links hinauszuführen; aber sie ringt sich los.

Julie. Lassen Sie mich los! So gewinnen Sie mich nicht!

Jean. Wie denn? – Nicht so! Nicht mit Liebkosungen und schönen Worten; nicht mit Umsicht für die Zukunft, Rettung vor Schande! Wie denn?

Julie. Wie? Wie? Ich weiß nicht! Überhaupt nicht. Ich verabscheue Sie, wie die Ratten, aber ich kann nicht ohne Sie sein.

Jean. Fliehen Sie mit mir!

Julie macht sich an ihrem Anzug zu schaffen. Fliehen? Ja gewiß werden wir fliehen! Aber ich bin so müde! Geben Sie mir ein Glas Wein.

Jean gießt ein.

Julie sieht nach der Uhr. Aber erst müssen wir reden; wir haben noch ein wenig Zeit übrig. Sie trinkt das Glas aus und reicht es nach mehr dar.

Jean. Trinken Sie nicht so unmäßig, Sie werden berauscht.

Julie. Was thut es?

Jean. Was es thut? Es ist gemein, sich zu betrinken. Was wollen Sie mir also sagen?

Julie. Wir werden fliehen! Aber erst wollen wir reden; daß heißt, ich werde reden, denn bisher haben Sie nur allein gesprochen. Sie haben Ihr Leben erzählt, nun will ich das meinige erzählen, dann kennen wir einander gründlich, bevor wir die gemeinschaftliche Wanderung antreten.

Jean. Einen Augenblick! Verzeihen Sie! Denken Sie nach, ob Sie es nicht hernach bereuen werden, wenn Sie mir die Geheimnisse Ihres Lebens preisgegeben haben!

Julie. Sind Sie nicht mein Freund?

Jean. Ja, bisweilen! Aber trauen Sie mir nicht!

Julie. Das sagen Sie nur so. Und übrigens: meine Geheimnisse kennt jedermann. Sehen Sie, meine Mutter war nicht von adliger, sondern von ganz einfacher Herkunft. Sie war in den Lehren ihrer Zeit von Gleichheit und Freiheit des Weibes und all' dem erzogen; und sie hatte eine entschiedene Abneigung gegen die Ehe. Als daher mein Vater um sie freite, antwortete sie, sie würde niemals seine Gattin werden wollen, aber – dann wurde sie es doch. Ich kam zur Welt – gegen den Wunsch meiner Mutter, soweit ich verstehen konnte. Nun sollte ich von meiner Mutter zu einem Naturkind erzogen werden und zudem sollte ich alles lernen dürfen, was ein Junge zu lernen bekommt, damit ich ein Beispiel liefern könnte dafür, daß das Weib ebenso gut wäre, wie der Mann. Ich durfte in Jungenkleidern gehen, lernte Pferde warten; durfte aber nicht in die Meierei gehen; ich mußte Pferde striegeln und anschirren und auf die Jagd gehen, ja ab und zu durfte ich sogar versuchen, Feldarbeit zu erlernen. Und auf dem Hofe wurde den Männern Weiberarbeit, und den Weibern Männerarbeit übertragen – mit dem Erfolg, daß das Besitztum anfing herunterzukommen, und wir zum Gelächter der ganzen Gegend wurden. Schließlich muß mein Vater aus seiner Verzauberung erwacht sein und revoltiert haben, denn es wurde alles nach seinen Wünschen umgeändert. Meine Mutter wurde krank – was für eine Krankheit weiß ich nicht – aber sie litt oft an Krämpfen, versteckte sich auf dem Boden und im Garten und blieb die ganze Nacht im Freien. Dann kam die große Feuersbrunst, von der Sie wohl reden gehört haben. Haus, Wirtschaftsgebäude und Ställe brannten ab und zwar unter Umständen, die eine Brandstiftung vermuten ließen, denn das Unglück geschah am Tage nach dem Ablauf des Versicherungsquartals, und die Prämie, die mein Vater einsandte, wurde durch die Nachlässigkeit des Boten aufgehalten, sodaß sie nicht zur Zeit hingelangte. Sie füllt das Glas und trinkt.

Jean. Trinken Sie nicht mehr!

Julie. Ach, was macht das! Wir waren obdachlos und mußten im Wagen schlafen. Mein Vater wußte nicht, wo er zum Wiederaufbau des Hauses Geld hernehmen sollte. Da giebt Mutter ihm den Rat, einen ihrer Jugendfreunde, einen Ziegelfabrikanten hier in der Nähe, um ein Darlehn anzugehen. Vater erhielt das Darlehn, sollte aber keine Zinsen bezahlen, was ihn in Erstaunen versetzte. Und dann wurde der Hof aufgebaut! Sie trinkt wieder. Wissen Sie, wer den Hof angesteckt hatte?

Jean. Ihre Frau Mutter.

Julie. Wissen Sie, was der Ziegelfabrikant war?

Jean. Der Liebhaber Ihrer Mutter.

Julie. Wissen Sie, wem das Geld gehörte?

Jean. Warten Sie ein wenig – nein, das weiß ich nicht.

Julie. Meiner Mutter.

Jean. Dem Grafen also, wenn sie nicht in getrennten Gütern lebten?

Julie. Das thaten sie nicht! Meine Mutter hatte ein kleines Vermögen, welches sie nicht durch meinen Vater verwalten lassen wollte, und darum deponierte sie es bei – dem Freunde.

Jean. Der es unterschlug!

Julie. Ganz richtig! Er behielt es! Dies alles kommt meinem Vater zu Ohren; er konnte aber nicht prozessieren, den Liebhaber seiner Gattin nicht bezahlen, nicht beweisen, daß es das Geld seiner Frau war. Das war die Rache meiner Mutter dafür, daß er die Gewalt im Hause an sich riß. Damals hatte er die Absicht, sich zu erschießen! Es ging das Gerücht, daß er es hätte thun wollen, und daß es mißglückt wäre! Er blieb also am Leben, und meine Mutter mußte ihre Thaten entgelten! Das war eine böse Zeit für mich, können Sie sich denken. Ich sympathisierte mit meinem Vater, aber ich ergriff doch die Partei meiner Mutter, da ich nicht die Verhältnisse kannte. Von ihr hatte ich Mißtrauen und Haß gegen die Männer erlernt – denn sie haßte die Männer, so weit ich gehört habe – und ich schwor ihr, niemals die Sklavin eines Mannes zu werden.

Jean. Und dann verlobten Sie sich mit dem Kronvogt.

Julie. Gerade deshalb, daß er mein Sklave werden sollte.

Jean. Und das wollte er nicht?

Julie. Er wollte wohl, aber es kam nicht dazu! Ich wurde seiner überdrüssig.

Jean. Ich sah es – im Stall.

Julie. Was sahen Sie?

Jean. Ich sah, wie er die Verlobung aufhob.

Julie. Das ist gelogen! Ich war es, die die Verlobung aufhob. Hat er gesagt, daß er es that, der Schuft?

Jean. Er war wohl kein Schuft! Sie hassen die Männer, Fräulein?

Julie. Ja! – Meistens! Aber bisweilen, wenn die Schwachheit kommt – o pfui!

Jean. So hassen Sie auch mich?

Julie. Grenzenlos! Ich könnte Sie töten lassen wie ein Tier —

Jean. Der Übelthäter wird zur Strafarbeit verurteilt, das Tier aber getötet!

Julie. Ganz recht!

Jean. Aber nun ist hier kein Tier – und auch kein Ankläger. Was wollen wir nun thun?

Julie. Reisen!

Jean. Um einander zu Tode zu quälen?

Julie. Nein – um zwei, drei Jahre, oder so lange man kann, zu genießen – und dann zu sterben.

Jean. Sterben? So dumm! Da halte ich es für besser, ein Hotel zu errichten!

Julie ohne auf Jean zu hören. Am Comersee, wo ewig die Sonne scheint, wo die Lorbeerbäume zur Weihnachtszeit grünen und die Orangen glühen.

Jean. Der Comersee ist ein Regenloch, und ich sah dort nirgend Orangen, als bei den Obsthändlern; aber es ist ein guter Fremdenort, denn es giebt dort viele Villen, die an verliebte Paare vermietet werden, und das ist eine sehr einträgliche Industrie, wissen Sie warum? Sie machen Kontrakt auf ein halbes Jahr – und reisen bereits nach drei Wochen.

Julie naiv. Warum nach drei Wochen?

Jean. Sie erzürnen sich natürlich! aber die Miete muß trotzdem bezahlt werden! Und dann vermietet man wieder. Und so geht es einmal nach dem andern, denn Liebe giebt es bis in alle Ewigkeit – wenn sie auch nicht so lange währt.

Julie. Sie wollen nicht mit mir sterben?

Jean. Ich will überhaupt noch nicht sterben! Einmal, weil mir das Leben noch gefällt, und dann, weil ich den Selbstmord für ein Verbrechen gegen die Vorsehung ansehe, die uns das Leben geschenkt hat.

Julie. Sie glauben an Gott – Sie?

Jean. Ja, gewiß thue ich das? Und ich gehe jeden andern Sonntag in die Kirche. Aufrichtig gesprochen, bin ich dessen hier jetzt müde und gehe nun zu Bett.

Julie. Ja so, und Sie glauben, daß ich mir damit genügen lasse? Wissen Sie, was ein Mann einer Frau schuldig ist, die er entehrt hat?

Jean nimmt sein Portemonnaie hervor und wirft eine Silbermünze auf den Tisch. Seien Sie so gut! Ich will nichts schuldig sein!

Julie thut, als wenn sie seinen Schimpf nicht bemerkt. Wissen Sie, was das Gesetz bestimmt?