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Fräulein Julie: Naturalistisches Trauerspiel

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Märgi loetuks
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Jean. Leider kennt das Gesetz keine Strafe für das Weib, das einen Mann verführt.

Julie wie vorher. Sehen Sie einen andern Ausweg als den, daß wir reisen, uns trauen und wieder scheiden lassen?

Jean. Und wenn ich mich weigere, die Mesalliance einzugehen?

Julie. Mesalliance?

Jean. Ja, für mich! Sehen Sie, ich habe feinere Ahnen als Sie, denn ich habe keine Mordbrenner in meinem Geschlecht!

Julie. Können Sie das wissen?

Jean. Sie können jedenfalls nicht das Gegenteil beweisen, denn wir haben keine andern Stammtafeln – als auf der Polizei! Aber von Ihrem Stammbaum habe ich in einem Buch auf dem Salontisch gelesen. Wissen Sie, was Ihr Stammvater war? Ein Müller, bei dessen Frau der König während des dänischen Krieges eine Nacht verbrachte. Solche Ahnen habe ich nicht! Ich habe überhaupt keine Ahnen, aber ich kann selbst einer werden.

Julie. Das habe ich davon, daß ich mein Herz einem Unwürdigen geöffnet, daß ich meine Familienehre preisgegeben habe —

Jean. Familienschande wollen Sie sagen! Ja, sehen Sie, das sagte ich Ihnen ja! man soll nicht trinken, denn dann schwatzt man! Und man soll nicht schwatzen!

Julie. O wie ich es bereue, wie ich es bereue! Und wenn Sie mich wenigstens liebten!

Jean. Zum letztenmal – was wollen Sie? Soll ich weinen, soll ich über die Reitpeitsche springen, soll ich Sie küssen, auf drei Wochen an den Comersee locken, und dann – was soll ich? Was wollen Sie? Es fängt an peinlich zu werden. Aber das kommt davon, wenn man seine Nase in Frauenzimmerangelegenheiten hineinsteckt! Fräulein Julie! Ich sehe, daß Sie unglücklich sind, ich weiß, daß Sie leiden, aber ich kann Sie nicht verstehen. Wir machen nicht solche Geschichten; wir kennen keinen Haß gegeneinander! Wir betreiben die Liebe als Spiel, wenn die Arbeit dazu Zeit läßt; aber wir haben nicht den ganzen Tag und die ganze Nacht dafür zur Verfügung. Ich sehe Ihnen an, Sie sind krank. Sie sind bestimmt krank.

Julie. Sie müssen gut gegen mich sein, und nun reden Sie wie ein Mensch. Helfen Sie mir, helfen Sie mir; sagen Sie mir nur, was ich thun – welchen Weg ich einschlagen soll?

Jean. In Jesu Namen, wenn ich es selbst wüßte.

Julie. Ich bin rasend, ich bin verrückt gewesen, aber soll es denn keine Rettung geben?

Jean. Bleiben Sie und seien Sie ruhig! Niemand weiß etwas.

Julie. Unmöglich! Die Leute wissen es und Christine weiß es.

Jean. Das wissen sie nicht, und sie werden niemals etwas Derartiges glauben.

Julie zaudernd. Aber es kann noch einmal geschehen.

Jean. Das ist wahr.

Julie. Und die Folgen?

Jean erschreckt. Die Folgen! Wo habe ich meinen Kopf gehabt, daran nicht zu denken? Ja, dann giebt es nur eins – fort von hier! Sogleich! Ich begleite Sie nicht, denn dann ist alles verloren, sondern Sie müssen allein reisen – fort – gleichviel wohin.

Julie. Allein? Wohin? Das kann ich nicht.

Jean. Sie müssen! Und zwar bevor der Graf zurück ist. Bleiben Sie, so wissen Sie, was daraus wird! Hat man erst einmal gefehlt, so wird man damit fortfahren, da der Schaden ja bereits geschehen ist. Dann wird man dreister und dreister – schließlich wird man entdeckt. Also reisen Sie! Schreiben Sie später an den Grafen, und bekennen alles, außer daß ich es war! Und das wird er nie erraten! Ich glaube auch nicht, daß ihm daran liegen wird, es zu erfahren!

Julie. Ich werde reisen, wenn Sie mitkommen!

Jean. Sind Sie rasend, Fräulein? Sie wollen mit Ihrem Bedienten durchbrennen? Übermorgen stände es in den Zeitungen, und das überlebte der Graf niemals.

Julie. Ich kann nicht reisen! Ich kann nicht bleiben! Helfen Sie mir! Ich bin so müde, so grenzenlos müde. – Befehlen Sie mir! Bringen Sie wieder Leben in mich hinein, denn ich kann nicht mehr denken und nicht mehr handeln.

Jean. Sehen Sie nun, was für ein elendes Geschöpf Sie sind? Warum blasen Sie sich auf und recken die Nase in die Luft, als wenn Sie der Herr der Schöpfung wären? Na, dann werde ich Ihnen befehlen! Gehen Sie und ziehen Sie sich an; versehen Sie sich mit Reisegeld und kommen Sie dann wieder herunter!

Julie halblaut. Kommen Sie mit hinauf!

Jean. Auf Ihr Zimmer? Nun sind Sie wieder verrückt. Er zögert einen Augenblick. Nein! Gehen Sie! Sofort! Er faßt sie bei der Hand und geleitet sie durch die Glasthür hinaus.

Julie im Abgehen. Sprich doch freundlich mit mir, Jean.

Jean. Ein Befehl klingt immer unfreundlich! Fühlen Sie es nun selbst, fühlen Sie es! Beide ab.

Jean kommt zurück, seufzt erleichtert auf, setzt sich an den Tisch rechts und zieht sein Notizbuch hervor; er rechnet hie und da laut; stummes Mienenspiel. Christine kommt von rechts für den Kirchgang gekleidet, ein weißes Vorhemd und weißes Halstuch in der Hand.

Christine. Herr Jesus, wie sieht es hier aus! Was ist denn hier geschehen?

Jean. Ach, das Fräulein hat die Leute hineingerufen. Hast du denn so fest geschlafen, daß du nichts gehört hast?

Christine. Ich habe wie ein Stein geschlafen!

Jean. Und bereits für die Kirche angezogen?

Christine. Ja! Du hast ja versprochen, mich heute zum Abendmahl zu begleiten!

Jean. Ja, das ist ja wahr! Und da hast du ja auch schon meinen Staat. Na, komm her. Er setzt sich rechts.

Christine giebt ihm das weiße Vorhemd und Halstuch und ist ihm beim Umnehmen behilflich.

Pause.

Jean schläfrig. Was für ein Evangelium ist heute?

Christine. Es handelt wohl von der Köpfung Johannes des Täufers, denke ich mir.

Jean. Das wird wohl schrecklich lange dauern! Au, du kratzt mich! O ich bin so schläfrig, so schläfrig!

Christine. Ja, was hast du denn die ganze Nacht gemacht; du bist ja ganz grün im Gesicht?

Jean. Ich habe hier gesessen und mit Fräulein Julie geplaudert.

Christine. Die weiß doch bei Gott nicht, was sich schickt.

Pause.

Jean. Du, Christine, hör 'n mal!

Christine. Na?

Jean. Es ist doch immerhin sonderbar, wenn man darüber nachdenkt!

Christine. Was ist denn an ihr so sonderbar?

Jean. Alles.

Pause.

Christine erblickt das Glas, welches halb geleert auf dem Tisch steht. Habt ihr auch zusammen getrunken?

Jean. Ja.

Christine. Pfui! Sieh mir in die Augen!

Jean. Ja!

Christine. Ist es möglich? Ist es möglich?

Jean nach kurzem Bedenken. Ja, es ist!

Christine. Gitsch! Das hätte ich doch niemals geglaubt. Nein, pfui! Pfui!

Jean. Du bist doch wohl nicht eifersüchtig auf sie?

Christine. Nein, nicht auf sie! Wenn es Klara oder Sophie gewesen wäre, ja! Das arme Mädchen! Nein, weißt du was, ich will hier nicht länger im Hause bleiben, wenn man vor seiner Herrschaft keinen Respekt mehr haben kann.

Jean. Warum soll man vor ihnen Respekt haben?

Christine. Ja, und das fragst du, der du so schlau bist? Aber willst du denn Leuten dienen, die sich so unanständig aufführen? Was? Man schändet sich selbst dabei, scheint mir.

Jean. Ja, aber es ist doch ein Trost für uns, daß die andern nicht besser sind, als wir.

Christine. Nein, das finde ich nicht, denn wenn sie nicht besser sind, so hat es ja keinen Wert darnach zu streben, wie die besseren Leute zu werden. Und denke an den Grafen! Denke an ihn, der sein Leben lang soviel Kummer gehabt hat! Nein, ich will nicht länger in diesem Hause bleiben! Und mit so einem, wie du! Wenn es noch der Kronvogt gewesen wäre; wenn es ein besserer Mensch gewesen wäre.

Jean. Was soll das heißen?

Christine. Ja, ja! Du bist ja auch ein ganz braver Kerl; aber es ist doch immerhin ein Unterschied zwischen Leuten und Leuten. – Nein, das kann ich niemals vergessen – das Fräulein, das so stolz war, so schroff gegen Männer, so daß man sich gar nicht denken konnte, sie würde sich je einem Manne hingeben – und dann so einem! Sie, die gleich die arme Diana totschießen lassen wollte, weil sie dem Hofhunde nachlief! Na, das muß ich sagen! Aber hier will ich nicht länger bleiben, und zum vierundzwanzigsten Oktober geh ich meines Wegs.

Jean. Und dann?

Christine. Ja, da wir gerade davon reden, es wäre an der Zeit, daß du dich nach etwas anderem umsiehst, da wir uns doch verheiraten wollen.

Jean. Ja, wonach sollte ich mich umsehen? Eine so gute Stelle kann ich nicht bekommen, wenn ich verheiratet bin.

Christine. Selbstverständlich nicht! Und du mußt wohl eine Portierstelle annehmen, oder sehen, als Diener an einem öffentlichen Institut Anstellung zu erhalten. Der Kronenkuchen ist knapp, aber sicher, und dann bekommen dort Frau und Kinder Pension —

Jean mit einer Grimasse. Das ist zwar sehr nett, aber es paßt nicht mit meiner Manier, gleich im Anfang daran zu denken, für Frau und Kind zu sterben. Ich muß gestehen, daß ich wirklich etwas höhere Aussichten hatte.

Christine. Deine Aussichten, ja! Du hast aber auch Verpflichtungen! Denke nur an sie!

Jean. Du sollst mich nicht damit ärgern, daß du von Verpflichtungen redest. Ich weiß wohl, was ich zu thun habe. Er lauscht nach außen. Darüber nachzudenken haben wir indessen noch gute Zeit. Geh nun hinein und mache dich fertig, dann gehen wir zur Kirche.

Christine. Wer wandert dort oben umher?

Jean. Ich weiß nicht, ob es nicht Klara ist.

 

Christine geht. Das kann doch nicht etwa gar der Graf sein, der nach Hause gekommen ist, ohne daß ihn jemand gehört hat.

Jean ängstlich. Der Graf? Nein, das glaube ich nicht, denn dann hätte er schon geklingelt.

Christine. Ja, weiß der liebe Gott! Niemals habe ich so etwas erlebt! Ab nach rechts.

Die Sonne ist inzwischen aufgegangen und beleuchtet draußen allmählich die Baumwipfel des Parks; der Schein rückt nach und nach tiefer, bis er schräg in die Fenster hineinfällt.

Jean geht zur Glasthür und macht ein Zeichen.

Julie kommt im Reiseanzug und mit einem kleinen Vogelbauer, das mit einem Handtuch bedeckt ist und stellt es auf einen Stuhl. Nun bin ich fertig.

Jean. Still! Christine ist wach!

Julie äußerst erregt während der folgenden Scene. Ahnte sie etwas?

Jean. Sie weiß nichts! Aber, mein Gott, wie sehen Sie aus?

Julie. Wie? Wie ich aussehe?

Jean. Sie sind blaß, wie eine Leiche und – verzeihen Sie, aber Sie sind schmutzig im Gesicht.

Julie. So geben Sie mir Waschwasser! – So! Sie geht zum Waschtisch und wäscht sich Gesicht und Hände. Geben Sie mir ein Handtuch! Ach – die Sonne ist aufgegangen!

Jean. Und dann flüchtet der Zauberkobold.

Julie. Ja, heute Nacht ist wirklich ein Kobold in Thätigkeit gewesen! Aber Jean, höre mich! Komme mit mir, denn nun habe ich die Mittel.

Jean zögernd. Genügend?

Julie. Genug für den Anfang! Komm mit mir, denn ich kann heute nicht allein reisen. Denke, am Johannistage, in einem schwülen Zug, in eine Masse von Leuten hineingepfropft, die einen anglotzen; auf den Stationen warten, wenn man fliegen möchte. Nein, ich kann nicht, ich kann nicht! und dann kommen die Erinnerungen, die Kindheitserinnerungen an die Johannistage mit der laubgeschmückten Kirche – Birkenlaub und Flieder; das Mittagsmahl mit prachtvoll gedecktem Tisch, die Verwandten und Freunde; der Nachmittag im Park, Tanz, Musik, Blumen und Spiele. Ach, man flieht und flieht; aber im Gepäckwagen folgen die Erinnerungen, die Reue und die Gewissensqualen nach!

Jean. Ich werde Sie begleiten! Aber dann fort, ehe es zu spät ist. Jetzt auf der Stelle!

Julie. So machen Sie sich fertig! Sie nimmt das Vogelbauer.

Jean. Aber keine Bagage! Dann sind wir verloren.

Julie. Nein, nichts! Nur was man ins Coupé mitnehmen kann.

Jean hat einen Hut genommen. Was haben Sie denn da? Was ist das?

Julie. Das ist nur mein kleiner Zeisig! Den will ich nicht zurücklassen!

Jean. Nanu? Sollen wir nun auch noch das Vogelbauer mitnehmen! Sie sind rein verrückt! Lassen Sie den Vogel da!

Julie. Das Einzige, was ich von Hause mitnehme; das einzige lebende Wesen, das mich gern hat, seitdem mir Diana untreu geworden ist! Sei nicht grausam! Laß mich ihn mitnehmen!

Jean. Lassen Sie ihn da, sage ich – und reden Sie nicht so laut. Christine kann uns hören!

Julie. Nein, ich lasse ihn nicht in fremden Händen zurück! Töte ihn dann lieber!

Jean. So geben Sie das kleine Ding denn her, ich werde ihm den Hals umdrehen!

Julie. Ja, aber ihm nicht wehe thun! Nicht – nein, ich kann es nicht!

Jean. Her damit, ich kann's!

Julie nimmt den Vogel aus dem Bauer und küßt ihn. O mein Sennchen, sollst du durch deine eigne Herrin sterben?

Jean. Seien Sie so gut und machen Sie jetzt keine Scenen; es gilt ja Ihr Leben, Ihre Wohlfahrt! So, schnell! Er reißt ihr den Vogel aus der Hand, trägt ihn zum Hackblock und nimmt das Küchenmesser.

Julie wendet sich ab.

Jean. Sie hätten Hühnchen schlachten lernen sollen, statt mit dem Revolver zu schießen, haut zu dann würden Sie nicht vor einem Blutstropfen ohnmächtig werden.

Julie schreit. Töte auch mich! Töte mich! Wenn du ein unschuldiges Tier schlachten kannst, ohne daß dir die Hand bebt! O ich hasse und verabscheue dich. Zwischen uns steht Blut. Ich fluche der Stunde, da ich dich sah, ich fluche der Stunde, da ich geboren wurde!

Jean. Ja, was hilft es, daß Sie fluchen! Gehen wir!

Julie nähert sich dem Hackblock, gleichsam gegen ihren Willen hingezogen. Nein, ich will noch nicht gehen; ich kann nicht – ich muß sehen – still! draußen fährt ein Wagen. Sie lauscht, während sie die Augen starr auf den Hackblock und das Messer geheftet hält. Glaubst du, ich kann kein Blut sehen? Glaubst du, ich bin so schwach – o – ich möchte dein Blut sehen und dein Hirn auf dem Holzblock. Ich möchte dein ganzes Geschlecht in einem See, wie der da, schwimmen sehen. Ich glaube, ich könnte aus deiner Hirnschale trinken, ich könnte meine Füße in deinem Brustkorb baden und dein Herz gebraten essen! Du glaubst, ich bin schwach; du glaubst, ich liebe dich; du glaubst, ich will deine Brut unter meinem Herzen tragen und mit meinem Blute nähren – dein Kind gebären und deinen Namen annehmen! Höre du, wie heißest du? Ich habe niemals deinen Zunamen gehört – du hast wohl gar keinen, glaube ich. Ich wollte Frau »Hofwächter«, oder »Madame Kehrichtfeger« werden – du Hund, der mein Halsband, du Knecht, der mein Wappen auf den Knöpfen trägt – ich sollte mit meiner Köchin teilen, mit meiner Dienstmagd rivalisieren. O! o! o! Du glaubst, ich sei feig und wollte flüchten! Nein, nun bleibe ich – und dann möge das Unwetter heraufziehen! Mein Vater kommt heim – er findet seinen Sekretär erbrochen, sein Geld gestohlen! Dann klingelt er – mit der Glocke – zweimal nach dem Bedienten – und dann schickt er nach dem Schulzen – und dann werde ich alles erzählen. Alles! O es ist schön, ein Ende damit zu machen – wenn es nur ein Ende nehmen wollte! – Und dann bekommt er den Schlagfluß und stirbt. – — Und dann hat die ganze Geschichte ein Ende – und es tritt Frieden und Ruhe ein! – Ewige Ruhe! – — Und dann wird das Wappen über dem Sarge zerbrochen – das Grafengeschlecht ist ausgestorben – und der Dienersprößling wächst in einem Waisenhaus heran – gewinnt seine Lorbeeren im Rinnstein und endet in einem Gefängnis!

Christine zum Kirchgang gekleidet, das Gesangbuch in der Hand, kommt von rechts.

Julie eilt auf sie zu und fällt ihr in die Arme, als wollte sie Schutz bei ihr suchen. Hilf mir Christine! Hilf mir gegen diesen Mann!

Christine unbeweglich und kalt. Was ist denn das nun für Spektakel am Feiertagsmorgen. Sie sieht nach dem Hackblock. Und was für Schmutzerei Sie hier gemacht haben! – Was soll das alles bedeuten? Und wie Sie schreien und skandalieren!

Julie. Christine! Du bist ein Weib und meine Freundin! Hüte dich vor diesem Schuft!

Jean ein wenig scheu und verlegen. Wenn die Damen räsonnieren, gehe ich hinaus und rasiere mich. Er schleicht sich nach rechts hinweg.

Julie. Du wirst mich verstehen; und du sollst mich anhören!

Christine. Nein, ich verstehe mich wirklich nicht auf solche Wippchen! Wo wollen Sie denn in Ihrem Reiseanzug hin? – Und er hat auch den Hut auf? – Was? Was?

Julie. Höre mich an, Christine; höre mich an, dann werde ich dir alles erzählen.

Christine. Ich will nichts wissen!

Julie. Du mußt mich hören!

Christine. Was denn? Von den Dummheiten mit Jean! Ja, sehen Sie, darum kümmere ich mich absolut nicht, denn da mische ich mich nicht hinein. Aber denken Sie ihn zum Durchbrennen zu verlocken, dann werden wir Ihnen schon den Weg versperren!

Julie äußerst erregt. Versuche ruhig zu sein, Christine! und höre mich an! Ich kann nicht hier bleiben, und Jean kann nicht hier bleiben – wir müssen also reisen!

Christine. Hm, hm! —

Julie mit plötzlichem Einfall. Aber siehst du, nun bekomme ich eine Idee – wenn wir alle drei reisten – ins Ausland – nach der Schweiz und zusammen ein Hotel errichteten. Ich habe Geld, sie zeigt es siehst du – und Jean und ich werden dem Ganzen vorstehen – und du, hatte ich mir gedacht, übernimmst die Küche. Ist das nicht nett! Sage nun ja und komm mit uns, dann ist alles arrangiert. Sage doch ja! Sie umarmt Christine und klopft sie zärtlich.

Christine kalt und nachdenklich. Hm! Hm!

Julie schneller. Du bist niemals draußen gewesen und gereist, Christine – du sollst hinaus und dich in der Welt umsehen. Du kannst gar nicht glauben, wie unterhaltend es ist, auf der Eisenbahn zu fahren – unaufhörlich neue Menschen – neue Länder – und dann kommen wir nach Hamburg und besehen uns auf der Durchfahrt den zoologischen Garten – was hältst du davon? Und dann gehen wir ins Theater und hören die Oper – und wenn wir nach München kommen, da haben wir die Museen, und da sind Rubens und Raphaels – Bilder von den beiden großen Malern, weißt du. Du hast ja von München, wo der König Ludwig wohnte, reden gehört – der König, weißt du, welcher wahnsinnig wurde – und dann werden wir seine Schlösser besehen – er hat Schlösser, die ganz wie in den Märchen eingerichtet sind – und von da ist es nicht mehr weit bis zur Schweiz – mit den Alpen, du – denke die Alpen mit Schnee darauf mitten im Sommer – und dort wachsen Apfelsinen und Lorbeerbäume, die das ganze Jahr grün sind —

Jean erscheint von rechts, sein Rasiermesser auf einem Riemen streichend, den er mit den Zähnen und der linken Hand festhält; er lauscht vergnügt dem Gespräch und nickt hie und da Beifall.

Julie äußerst schnell. Und dann übernehmen wir ein Hotel – und ich sitze an der Kasse, während Jean steht und die Gäste empfängt – ausgeht und handelt – Briefe schreibt – Das wird ein Leben, kannst du mir glauben – dann pfeift der Zug, dann kommt der Omnibus, dann klingelt es im Hause, dann klingelt es in der Restauration – und dann schreibe ich die Rechnungen aus – und ich werde sie pfeffern. – Du kannst dir gar nicht denken, wie schüchtern die Reisenden sind, wenn sie ihre Rechnung bezahlen sollen! Und du – du sitzest als Herrin in der Küche. Du sollst natürlich nicht selbst am Herd stehen – und du darfst fein und hübsch gekleidet gehen, wenn du dich vor Leuten zeigen sollst – und du mit deinem Aussehen – ja, ich schmeichle dir nicht – du kannst dir schon eines schönen Tags einen Mann ergattern! einen reichen Engländer, siehst du – die Leute sind so leicht sie fängt an langsamer zu sprechen zu fangen – — und dann werden wir reich – und bauen uns eine Villa am Comersee – freilich regnet es dort bisweilen – aber mit immer schlafferem Ton die Sonne wird wohl auch manchmal scheinen – wenn es auch trüb aussieht – und – dann – dann können wir ja auch wieder heimreisen – und zurückkommen Pause – hierher – oder irgendwo anders hin – —

Christine. Hören Sie, Fräulein! Glauben Sie selbst daran?

Julie vernichtet. Ob ich selbst daran glaube?

Christine. Ja!

Julie müde. Ich weiß nicht; ich glaube überhaupt an nichts mehr. Sie sinkt auf die Bank nieder und legt den Kopf zwischen die Arme auf den Tisch. An nichts! An gar nichts!

Christine wendet sich nach links, wo Jean steht. So, du dachtest also daran, durchzubrennen!

Jean beschämt, legt das Rasiermesser auf den Tisch. Durchbrennen? Das ist nun zu viel gesagt! Du hörtest ja das Projekt des Fräuleins, und obgleich sie nun nach der durchwachten Nacht müde ist, kann das Projekt wohl ausgeführt werden!

Christine. Hör' 'n mal! War es deine Meinung, daß ich bei der da Köchin werden sollte —

Jean scharf. Sei so gut und bediene dich einer feineren Ausdrucksweise, wenn du von deiner Herrin sprichst! Verstehst du!