Deutsche Sprachwissenschaft. Eine Einführung

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[27]2.5 Zur Makrostruktur von Texten: Diskurstopiks

Wir haben gerade gesehen, dass Kohärenzrelationen gewissermaßen der Kitt sind, der einzelne Äußerungen zu komplexeren Gebilden zusammenfügt und in dieser Weise auf Mikrostruktur und Makrostruktureiner mikrostrukturellen EbeneMikrostruktur (bottom-up) die Grundlage für einen Text bzw. Diskurs schafft. Am Beispiel der Äußerungen in (2.1) bis (2.4) haben wir außerdem gesehen, dass diese kohärente Folge von Äußerungen in dem Sinne eine thematische Einheit bildet, als mit der Äußerung (2.1) explizit eine Frage aufgeworfen wird, die mit den Äußerungen in (2.2) bis (2.4) beantwortet wird bzw. diese Äußerungen zumindest inhaltlich mehr oder weniger direkt auf (2.1) Bezug nehmen. (Dies wurde durch die große umschließende Box in Abbildung 2.6 angedeutet.) In diesem Sinn definiert die Frage in (2.1) also, worum es inhaltlich in diesem Diskurs geht, was der Gegenstand, das Topik des Diskurses ist. In unserem Fall wäre das die Frage, was Erna zum Trinken möchte. Da das Diskurstopik den thematischen Rahmen aller Äußerungen des Diskurses vorgibt, kann man hier von einer makrostrukturellen EbeneMakrostruktur (top-down) sprechen.

Mit dem Begriff DiskurstopikDiskurstopik bezeichnen wir das Thema, den Gegenstand eines Textes oder Diskurses, also das, worum es in einem Text oder Diskurs (primär) geht.

Die Annahme Diskurstopiks und die Struktur von Textenvon Diskurstopiks als zentrales Element der Diskursstruktur lässt zunächst einmal offen, wie Diskurstopiks im Einzelnen zu charakterisieren sind (vgl. z. B. van Dijk 1977) und in welcher Weise sie die Struktur eines Textes determinieren. In neueren Ansätzen wird häufig angenommen, dass das Format der Frage/Antwort-Struktur das prägende Strukturelement von Texten und Diskursen ist. Die Idee ist, dass jeder Text gewissermaßen als Antwort auf eine explizit oder implizit aufgeworfene Frage betrachtet werden kann. So beantwortet in unserem Beispieldiskurs die Äußerung in (2.2) die explizite Frage in (2.1). Die Äußerung in (2.2) wirft aber wiederum implizit die Frage auf, warum Erna keinen Kaffee möchte, eine Frage, die durch die Äußerung in (2.3) beantwortet wird. Die Äußerung in (2.4) schließlich bezieht sich genau genommen nur indirekt auf die Frage in (2.1) und wirft implizit die allgemeinere Frage auf, was Erna trinken möchte (Q). Das übergeordnete Diskurstopik ist damit die Frage Q (was Erna trinken möchte), die im Diskurs über die Teilfragen Q1 (ob Erna Kaffee trinken möchte) und Q2 (ob Erna Wasser trinken möchte) in zwei Schritten beantwortet wird. Schematisch kann die [28]Makrostruktur dann wie in Abbildung 2.7 repräsentiert werden (wobei wir hier der Einfachheit halber auf die Begründung von (2.2) verzichten).


Abb. 2.7: (Vereinfachte) graphische Darstellung der Makrostruktur des Diskurses (2.1) – (2.4)

Die Vorstellung, dass Fragen Texte strukturieren, ist bereits in der klassischen Rhetorik zu finden. In der neueren Literatur werden damit vor allem zwei Arbeiten verbunden: Klein & von Stutterheim (1987) und Roberts (1996). In Klein & von Stutterheim (1987) wird die leitende Frage eines Textes in Anlehnung an die klassische QuaestioRhetorik als Quaestio bezeichnet. Die Quaestio gliedert dabei einen Text in eine HauptstrukturHauptstruktur (die Teile des Textes, die sich direkt auf die Quaestio beziehen) und eine NebenstrukturNebenstruktur (die Teile eines Textes, die dies nicht tun).

Roberts (1996) ist einer der ersten Versuche, diese Idee stärker zu formalisieren. Sie vergleicht Diskurse dabei mit einer Art Kartenspiel: Ist ein Spieler in einem Diskurs am Zug, dann wirft er eine Frage (Question under Discussioneine Question under Discussion, kurz QUD) auf, die in Form einer Spielkarte auf einen Kartenstapel gelegt wird. Die oberste Spielkarte definiert dabei die unmittelbar relevante Frage. Ist eine Frage beantwortet, wird sie wieder vom Stapel genommen. Dies geht so lange, bis der Stapel leer ist.

In unserem Ein konstruiertes BeispielBeispieldiskurs wirft die Äußerung in (2.1) explizit die Frage Q1 auf, gleichzeitig aber auch die übergeordnete Frage Q mit allen relevanten Teilfragen (Q2). Das Resultat ist ein Kartenstapel, bei dem die Frage Q1 ganz oben liegt, gefolgt von Q2. Ganz unten im Stapel liegt die übergeordnete Frage Q. Da mit der Äußerung in (2.2) die Frage Q1 beantwortet ist, wird die oberste Karte gleich wieder vom Stapel genommen. Gleichzeitig wirft (2.2) aber die Frage auf, warum Erna keinen Kaffee möchte. Diese Frage kommt ebenfalls auf den Stapel, wird aber durch die Äußerung in (2.3) ebenfalls sofort wieder eliminiert. Bleiben Q2 und Q auf dem Stapel. Die Äußerung in (2.4) beantwortet Q2 und mit Q2 wird gleichzeitig auch Q mitbeantwortet. Alle Fragen sind beantwortet, der Stapel ist leer und der fragliche Diskurs ist abgeschlossen (bis erneut ein Spieler eine Karte auf den Stapel legt, also eine Frage thematisiert).

An dieser Stelle ist es nicht notwendig und sicherlich auch gar nicht sinnvoll, sich auf eine dieser Theorien festzulegen. Dass die grundlegende Idee tragfähig zu sein scheint, lässt sich auch an Beispielen aus der freien Ein Beispiel aus der freien WildbahnWildbahn illustrieren. So findet man in Zeitungsartikeln nicht selten recht explizit diese Form der Strukturierung. Als Beispiel sei hier ein Online-Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 7. 10. 2014 genannt, der sich auf ein Länderspiel der DFB-Elf in Warschau (Polen) bezieht, vgl. Abbildung 2.8.


Abb. 2.8: Auszug aus einem Artikel der Süddeutschen Zeitung online

In diesem Artikel wirft die Schlagzeile die Frage Q auf, warum die DFB-Elf mit mulmigen Gefühlen nach Warschau fährt. Ziel des Artikels ist dann, diese Frage zu beantworten oder zumindest dieser nachzugehen. Der Artikel tut dies, indem er verschiedene Teilaspekte thematisiert, die zum Teil in den Unterüberschriften explizit als Fragen formuliert sind: Wer ersetzt Lahm? (Q4), Warum Polen den Deutschen Respekt einflößt (Q3) und Wie Löw die Sache sieht (Q2). Lediglich der erste Absatz wird durch ein Statement (DFB-Elf längst nicht in bester Verfassung) eingeleitet, das jedoch unmittelbar die Frage nach dem Warum aufwirft (Q1). Der Aufbau des Artikels kann also im Wesentlichen wie in Abbildung 2.9 skizziert strukturiert werden.


Abb. 2.9: Makrostruktur des Zeitungsartikels in Abb. 2.8

[30]2.6 Vom Text zur Textsorte

Die in Kapitel 2.1 skizzierte Klassifikation von Kommunikationsformen auf der Grundlage zentraler Eigenschaften der Kommunikationssituation führt zunächst nur zu einem vergleichsweise groben (wenn auch wohlfundierten) Raster. Auch die Diskussion der konstitutiven Eigenschaften von Texten (Kohärenz, Kohäsion, Diskurstopik) in den Kapiteln 2.4 und 2.5 führt naturgemäß zu keiner weiteren Ausdifferenzierung des Textbegriffs. Tatsache ist aber auch, dass wir in unserem Alltag eine Vielzahl von Texten unterscheiden, die die verschiedensten Funktionen haben und auch in formaler Hinsicht stark voneinander abweichen können. Wir sprechen z. B. von einer Anhörung, einem Verhör, einem Vortrag oder einer Rede, wir sprechen von einem Artikel, einer Schlagzeile, einem Rezept oder einer Kleinanzeige, wir sprechen von einem Brief, einer Mitteilung, einem Gutachten oder einer Steuererklärung.

Um diese vortheoretische Binnendifferenzierung von Texten zu erfassen, hat sich in der Textlinguistik der Begriff Textsorteder Textsorte herausgebildet. Textsorten können dabei im Wesentlichen als weitgehend konventionalisiertes Muster zur Erreichung eines bestimmten kommunikativen Ziels definiert werden. Oder in den Worten von Schwarz-Friesel & Consten (2014: 22): »Es ist typisch für einen Text, dass er als Exemplar einer Textsorte mit einer grammatischen Oberflächenstruktur, einem inhaltlichen Zusammenhang und einem globalen Sinngehalt von jemandem (für jemanden) mit einer bestimmten Intention in einer bestimmten Situation produziert wurde.«

Mit dem Begriff der TextsorteTextsorte bezeichnen wir vortheoretisch Muster von Texten, die sich zur Erreichung eines bestimmten kommunikativen Ziels herausgebildet haben.

Aufgrund der erwähnten Konventionalisierung können sich Textsorten formal auf zwei Ebenen unterscheiden, einer textstrukturellen Ebene und einer grammatischen Ebene. Machen wir uns das wieder an einem Beispiel klar, vgl. hierzu Abbildung 2.10.


Abb. 2.10: Beispiel für den strukturellen Aufbau eines Artikels

Abbildung 2.10 zeigt den typischen Aufbau eines Zeitungsartikels: Eine Schlagzeile betitelt den Artikel, gefolgt von einem Schlagzeile, Lead und BodyLead mit zusammenfassendem Charakter und dem eigentlichen Body des Artikels. Dieser strukturelle Aufbau ist konventionalisiert und in diesem Aufbau unterscheidet sich ein Zeitungsartikel wesentlich von einem Rezept, einem Wetterbericht oder einer Kleinanzeige. Innerhalb dieser textuellen Strukturierung gibt es aber einen wesentlichen Unterschied zwischen Lead und Body einerseits und der Schlagzeile andererseits: In Schlagzeilen ist die Auslassung des Artikels bei Nomen im Singular möglich, im Lead und Body dagegen nicht. So ist z. B. die Schlagzeile Kuh springt durch Fenster in Küche (dapd vom 22. 6. 2012) im Body eines Artikels schlicht kein akzeptables Deutsch. In einer Schlagzeile dagegen nehmen wir die Auslassung der Artikel in der Regel gar nicht wahr.

 

Das Kulturelles WissenWissen über die textstrukturellen und grammatischen Eigenschaften einer Textsorte ist etwas, das erlernt werden muss: Ein Journalist muss lernen, wie man einen Artikel schreibt, ein Meteorologe muss lernen, wie man einen Wetterbericht verfasst, und ein Personalchef muss wissen, wie ein Arbeitszeugnis auszusehen hat. In manchen Fällen erwerben wir dieses Textsortenwissen mehr oder weniger nebenbei (z. B. durch das Lesen von Zeitungen oder das Hören von Wetterberichten), in anderen Fällen muss dieses Wissen bei Bedarf bewusst erworben werden (z. B. das Schreiben einer Hausarbeit oder das Verfassen eines Gutachtens). Über dieses Wissen zu verfügen, heißt allerdings wiederum nicht, in jedem Fall klar entscheiden zu können, ob im Fall zweier gegebener Texte auch unterschiedliche Textsorten vorliegen.

Geben wir auch hier ein Beispiel zur Illustration. Die meisten von uns haben eine recht klare Vorstellung davon, was einen Geschäftsbrief und E-MailGeschäftsbrief ausmacht. [32]Tatsächlich gibt es hier sogar eine DIN-Vorgabe (DIN 5008, Abschnitt 17): Ein Brief enthält unter anderem ein Adressfeld und eine Rücksendeangabe. Ein Brief ist datiert und es gibt eine Betreffzeile. Der Textteil beginnt mit einer abgesetzten Anrede und schließt mit einer abgesetzten Grußformel, wobei der Grußformel kein Komma folgt. Das im Hinterkopf kann man nun die Frage stellen, ob eine (geschäftliche) E-Mail eine andere Textsorte darstellt oder nicht. Tatsächlich ist diese Frage gar nicht so einfach zu beantworten. Zunächst kann man sicher festhalten, dass das kommunikative Ziel in beiden Fällen im Wesentlichen dasselbe ist (die Kommunikation mit einer Geschäftspartner*in). Auch auf grammatischer Ebene unterscheiden sich klassische Geschäftsbriefe nicht wesentlich von geschäftlichen E-Mails. Bleibt also die textstrukturelle Ebene. Auch hier ist natürlich eine große Ähnlichkeit festzustellen: E-Mails verfügen ebenfalls über ein Adressfeld und eine Rückadresse, sie verfügen über eine Betreffzeile und einen Zeitstempel. Und der Textteil einer geschäftlichen E-Mail folgt ebenfalls demselben Muster eines Geschäftsbriefs. Im Gegensatz zum Geschäftsbrief ist bei einer E-Mail jedoch standardmäßig die Möglichkeit von Blindkopien vorgesehen, der (meist versteckte) Header enthält noch zusätzliche Informationen über die Kodierung des Textes, über Servernamen und IP-Adressen. Und nach der Grußformel folgt meist noch eine Signatur mit der klassischen Postadresse und der eigenen Webseite. Möchte man von unterschiedlichen Textsorten sprechen, dann wird man diese Unterschiede als wesentliche einordnen müssen. Kommt man jedoch zu der Auffassung, dass diese Unterschiede nicht wesentlich (und letztlich primär auf Eigenschaften des Mediums zurückzuführen) sind, dann liegt hier lediglich ein Unterschied in der Kommunikationsform vor: elektronisch vs. nicht-elektronisch.

Empfohlene Literatur

Adamzik, Kirsten: Textlinguistik: Grundlagen, Kontroversen, Perspektiven. Berlin / New York: de Gruyter, 22016.

Averintseva-Klisch, Maria: Textkohärenz. Heidelberg: Winter, 2013.

Brinker, Klaus / Antos, Gerd / Heinemann, Wolfgang / Sager, Sven F.: Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. und 2. Halbbd. Berlin / New York: de Gruyter, 2008.

Gansel, Christina / Jürgens, Frank: Textlinguistik und Textgrammatik. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 2009.

Schwarz-Friesel, Monika / Consten, Manfred: Einführung in die Textlinguistik. Darmstadt: WBG, 2014.

[33]3 Pragmatik: Gemeintes

Als ich vor einigen Jahren mit dem Wagen Richtung Saarbrücken gefahren bin, ist mir an der Grenze zum Saarland ein Plakat aufgefallen: »50 Jahre Saarland. Schön, dass du da bist.« Meine erste Reaktion war: »Was für eine nette Begrüßung!« Meine zweite: »Oh, ich bin ja gar nicht gemeint!« Die Ursache meiner kurzzeitigen Verwirrung ist schnell aufgeklärt: Das Plakat spielt mit einer MehrdeutigkeitMehrdeutigkeit (einer AmbiguitätAmbiguitätMehrdeutigkeit), die auf das Pronomen du zurückzuführen ist: Das Pronomen du kann sich bei diesem Plakat einerseits auf das Saarland beziehen. In diesem Fall wird der inhaltliche Bezug (die Referenz) des Pronomens über die vorherige Äußerung »50 Jahre Saarland« vermittelt, und man spricht von Deiktischer und anaphorischer Gebraucheinem anaphorischen Gebrauchanaphorischer Gebrauch. Das Pronomen du kann sich aber andererseits auch auf den Adressaten des Plakats beziehen. In diesem Fall wird die Referenz des Pronomens über nicht-sprachliche Aspekte der Äußerungssituation festgelegt, und man spricht von einem deiktischen Gebrauchdeiktischer Gebrauch.


Abb. 3.1: Plakat zum 50-jährigen Bestehen des Saarlandes. – © Staatskanzlei des Saarlands

3.1 Ausdrucksbedeutung und Äußerungsbedeutung

Am Beispiel deiktisch gebrauchter Ausdrücke lässt sich gut eine Unterscheidung illustrieren, die die inhaltliche Seite sprachlicher Ausdrücke betrifft, die Unterscheidung Äußerungsbedeutungzwischen Ausdrucksbedeutung und ÄußerungsbedeutungÄußerungsbedeutung.

Zunächst sollte man sich noch einmal in Erinnerung rufen, dass der inhaltliche Bezug, die Referenz des Pronomens du, systematisch von der [34]Äußerungssituation abhängt: Wenn ich, Ingo Reich, an dem Plakat vorbeifahre und es lese, dann konstituiert das eine Äußerungssituation, in der ich, Ingo Reich, der Adressat des Plakats bin. In dieser Situation interpretiere ich das Pronomen du so, dass es sich auf mich, Ingo Reich, bezieht. Wenn mein Kollege Augustin Speyer an dem Plakat vorbeifährt und es liest, dann konstituiert dies eine andere Äußerungssituation, eine Äußerungssituation, in der er der Adressat des Plakats ist. In dieser Situation wird er natürlich das Pronomen du so interpretieren, dass es sich auf ihn, Augustin Speyer, bezieht. Generell wird jeder, der das Plakat liest, das Pronomen du (bei deiktischer Interpretation) so verstehen, dass es sich auf ihn bezieht. Diese kontext-abhängige Referenz von du in einer konkreten Äußerungssituation bezeichnen wir als die Bedeutung der Äußerung des Pronomens du (in dieser Äußerungssituation) oder kurz als die Äußerungsbedeutung von du.

WoraufAusdrucksbedeutung oder besser auf wen sich das Pronomen du in einer Äußerungssituation bezieht, ist natürlich nicht zufällig. Wir wissen, dass wir uns mit dem Pronomen du auf den Adressaten einer Äußerung beziehen und mit dem Pronomen ich auf den Sprecher. Dieser Aspekt der Bedeutung von du und ich ist etwas, das wir im Erstspracherwerb erlernen müssen und in unserem mentalen Lexikon jeweils als Bedeutung für die beiden Pronomina abgespeichert haben. Diese kontext-unabhängige Bedeutung der beiden Pronomina du und ich bezeichnen wir als Ausdrucksbedeutungihre Ausdrucksbedeutung.

DerVerankerung Zusammenhang zwischen der Ausdrucks- und der Äußerungsbedeutung von z. B. du lässt sich dann so charakterisieren, dass sich die Äußerungsbedeutung aus der Ausdrucksbedeutung und Eigenschaften der jeweiligen Äußerungssituation ergibt: Mit du beziehen wir uns auf den Adressaten einer Äußerungssituation. Ist Ingo Reich der Adressat in der fraglichen Äußerungssituation, dann bezieht sich das Pronomen du folglich auf Ingo Reich. Ist dagegen Augustin Speyer der Adressat in der Äußerungssituation, dann bezieht sich du eben auf Augustin Speyer. Diese Beziehung lässt sich dabei als eine funktionale beschreiben, d. h., einer Ausdrucksbedeutung und einem Kontext wird eine Äußerungsbedeutung eindeutig zugeordnet. Man sagt auch, dass die Ausdrucksbedeutung im Von der Ausdrucks- zur ÄußerungsbedeutungÄußerungskontext verankertVerankerung wird.

Die AusdrucksbedeutungAusdrucksbedeutung eines lexikalischen Ausdrucks ist diejenige Bedeutung, die kompetente Sprecher in ihrem mentalen Lexikon abgespeichert haben. Die Ausdrucksbedeutung eines komplexen sprachlichen Ausdrucks ergibt sich aus den Ausdrucksbedeutungen seiner Teile und der Art ihrer Kombination.

Die ÄußerungsbedeutungÄußerungsbedeutung eines lexikalischen Ausdrucks ergibt sich aus dessen Ausdrucksbedeutung und ihrer Verankerung im sprachlichen und nicht-sprachlichen Äußerungskontext. Die Äußerungsbedeutung eines komplexen Ausdrucks ergibt sich aus den Äußerungsbedeutungen seiner Teile und der Art ihrer Kombination.

Die Unterscheidung zwischen der Ausdrucksbedeutung und der Äußerungsbedeutung sprachlicher Ausdrücke nimmt nicht zuletzt deswegen eine so zentrale Stellung ein, weil sie die (oder zumindest eine mögliche) Grenze markiert zwischen den beiden Gebieten, die sich mit der inhaltlichen Interpretation von sprachlichen Ausdrücken Von der Semantik zur Pragmatikbeschäftigen: Semantik und Pragmatik. Während sich die SemantikSemantik auf die Untersuchung von (komplexen) Ausdrucksbedeutungen fokussiert, fallen Fragen der Äußerungsbedeutung in den Bereich der PragmatikPragmatik. Entsprechend wird die Arbeitsteilung zwischen Semantik und Pragmatik häufig auch so charakterisiert, dass sich die Semantik mit kontext-unabhängigen, die Pragmatik dagegen (eher) mit kontext-abhängigenKontext-Abhängigkeit Phänomenen beschäftigt sowie generell mit Fragen des sprachlichen Gebrauchs. Diese Grenzziehung zwischen Semantik und Pragmatik schränkt die Semantik auf einen vergleichsweise engen Bereich ein. Traditionell sieht die Semantik ihr Feld aber auch in dem Bereich der Äußerungsbedeutungen, die (primär) auf der Basis sprachlicher Kodierung oder allgemeiner auf grammatischer Basis zustande kommen. Auf diese Sichtweise werden wir in den Abschnitten 3.2 und vor allem in 3.4 noch zu sprechen kommen.

Die Unterscheidung zwischen Semantik und Pragmatik haben wir auch schon in Kapitel 2 thematisiert und dort die Grenze zwischen einerseits sprachlich kodierter und andererseits kontextuell inferierter Information gezogen. Fällt diese Grenze nun im Wesentlichen zusammen mit der, die auf der Basis der Unterscheidung zwischen Ausdrucks- und Äußerungsbedeutung zustande kommt? Ja und nein. Betrachten wir dazu den folgenden Satz: Freiburg ist eine grüne Stadt. Wird dieser Satz in einem politischen Kontext geäußert, dann wird man grün in dem Sinne interpretieren, dass die Freiburger gerne grün wählen oder zumindest ökologisch bewusst leben. Wird der Satz aber im Kontext von Stadtplanung und Lebensqualität geäußert, dann ist es eher naheliegend, an eine Vielzahl von Grünflächen zu denken. Je nach Äußerungskontext hat dieser Satz und insbesondere das Adjektiv grün also eine andere Interpretation, eine andere Äußerungsbedeutung. Und bei der Bestimmung der Äußerungsbedeutung gehen sicherlich kontextuelle Inferenzen (in irgendeiner Form) ein. Damit sind die Äußerungsbedeutungen von grün aber sowohl kodiertkodiert (da sie auf dem Adjektiv grün basieren) als auch kontextuell inferiertinferiert (wie gerade ausgeführt). Versteht man die Aussage, dass sich die Semantik mit kodierter Information beschäftigt, jetzt so, dass dies kontextuelle Inferenzen strikt ausschließt, dann kommt man zu dem erwähnten engen Verständnis von Semantik (im Sinne von Ausdrucksbedeutung). Lässt man dagegen zu, dass die in der Semantik verhandelten Bedeutungen neben [!] kodierter Information auch (bis zu einem gewissen Grad) auf kontextuellen Inferenzen beruhen dürfen, dann kommt man zu einem wesentlich weiteren Begriff, der auch Aspekte der Äußerungsbedeutung einschließt. Wir werden in Fällen wie dem gerade diskutierten in Abschnitt 3.4 Explizit kodierte Äußerungsbedeutungvon explizit kodierter ÄußerungsbedeutungÄußerungsbedeutungexplizit kodierte (oder allgemeiner von grammatisch determinierter ÄußerungsbedeutungÄußerungsbedeutunggrammatisch determinierte) sprechen, da es hier in erster Linie um Aspekte der Äußerungsbedeutung geht, die auf einer expliziten sprachlichen Kodierung (oder allgemeiner auf einer grammatischen Basis) beruhen. Wo man die Grenze zwischen Semantik und Pragmatik zieht, wird dann davon abhängen, welche Art kontextuell inferierter Information man noch in der Semantik zulassen will.