Der Dreißigjährige Krieg

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2.2.3 Verbündete für Kaiser Ferdinand

Der Konflikt weitete sich nun rasch aus. Noch am Wahlort beriet der neue Kaiser mit den geistlichen Kurfürsten (also einem Teil seiner Wähler) über Maßnahmen gegen die Aufständischen und ihren neuen Anführer, den Pfälzer, sowie über die Rolle der Liga dabei; auf der Heimreise in München vorbeischauend, erkaufte er sich dort zu [<<83] einem hohen Preis militärische Unterstützung in Böhmen. Aber eines nach dem anderen!

Revitalisierung der Liga

Bestand die Liga nicht seit 1613, spätestens 1615 nur noch auf dem Papier? Man hatte sie kurz vor dem Wahltag revitalisiert, spät genug, aber damit stand immer noch nicht fest, dass sich diese wiederbelebte Liga in Böhmen engagieren würde. Maximilian von Bayern stellte sich demonstrativ störrisch. Dabei hat der Bayernherzog die Tragweite der böhmischen Erhebung rasch in voller Schärfe erkannt, übrigens sah er sie viel eindeutiger als die meisten modernen Forscher als konfessionell motiviert an. Aber in der Klemme saßen nun erst einmal die Habsburger. Maximilian wollte gebeten sein. Habsburger hatten ihm einst die unumschränkte Herrschaft über die Liga streitig gemacht, dafür mussten sie jetzt endlich büßen. Lang ließ er sie zappeln, lang feilschte man um den Preis. Den schließlich ausgehandelten Tarif legt der Münchner Vertrag vom 8. Oktober 1619 fest.

Münchner Vertrag: teuer erkaufte bayerische Unterstützung

Er zeigt, in welchen Nöten der Habsburger war, spiegelt die veränderten Machtverhältnisse im katholischen Lager wider. Hatte sich Maximilian einst in den Schmollwinkel zurückgezogen, weil man seine Dominanz im Bündnis durch ein drittes, habsburgisches Direktorium verwässert hatte, erhielt er nun die uneingeschränkte Führung verbrieft. Habsburg verpflichtete sich, ihm nicht in die Quere zu kommen, in ganz eindeutigen, drastischen Worten: Da ist die Rede von „plenarium Directorium Catholicae defensionis“ (Maximilian habe also, auf Deutsch gesagt, „voll und ganz das Direktorium der Liga“ inne), von „liberum et absolutum Catholicae defensionis Directorium“ (Maximilian leite die Liga „nach Belieben und absolut“). Um die lateinischen Zitate zu erläutern: „defensio catholica“ war ein damals geläufiger Ausdruck neben anderen für das, was heutige Darstellungen „Liga“ nennen. Einer evangelischen „Union“ die katholische „Liga“ gegenüberzustellen: das ist eine Konvention der modernen Forschung. Im Gegensatz zur bayerischen Lenkungsgewalt durchaus eingeschränkt war Maximilians Hilfsverpflichtung: Sobald – und nur insoweit – die zur Aufstellung eines stattlichen Heeres (man dachte an 18.000 Fußsoldaten und 2600 Reiter) benötigten Gelder von den Mitgliedern der erneuerten Liga aufgebracht sein würden und auch nur, insoweit diese Truppen nicht zur Verteidigung von Ligagebiet benötigt wurden, würde Maximilian Ferdinand in seinen Erbländern helfen. Der Kaiser [<<84] hatte alle über den Ligabeitrag und die bayerische Landesverteidigung hinausgehenden Unkosten Maximilians zu ersetzen; bis zur vollständigen Kostenerstattung sollte der Wittelsbacher territoriale Pfänder aus der habsburgischen Erbmasse erhalten. Auch etwaige bayerische Gebietsverluste waren dort, in Österreich, zu ersetzen.

Soweit der Münchner Vertrag. Damit aber immer noch nicht genug – zwei mündliche Verheißungen kamen hinzu. Erstens: sollte Maximilian im Zuge der bevorstehenden Kriegshandlungen Eroberungen innerhalb des Reichsverbandes machen, dürfe er diese behalten. Natürlich zielte dieses Versprechen vor allem auf pfälzisches Gebiet – mehr noch als auf die ferne Unterpfalz (also das Umfeld Heidelbergs) wohl auf die an Bayern grenzende Oberpfalz (also die Region um Amberg). Im Mai 1620 wurde jenes mündliche Versprechen in Schriftform gegossen.

Zweitens sagte der Kaiser dem Wittelsbacher die Kurwürde zu. Die pfälzische Kur würde auf ihn übertragen. Es gab alte Ansprüche – bei der Teilung des Hauses Wittelsbach in eine pfälzische und eine bayerische Linie durch den Hausvertrag von Pavia (1329) war eine Alternation der Kurwürde zwischen den beiden Linien vereinbart worden, doch hatte schon eine Generation später die Goldene Bulle (1356), das vor allem ‚Kurfürstenrecht‘ enthaltende erste Grundgesetz des Reiches, die Kur definitiv den Pfälzern zugesprochen. Die Münchner Ansprüche waren wenig tragfähig, indes über Generationen und Jahrhunderte publizistisch hochgehalten worden. Nun, da der Kaiser fast auf Gedeih und Verderb auf Münchner Hilfe angewiesen war, präsentierte man die nie vergessene offene Rechnung mit den pfälzischen Verwandten, der Kaiser hatte sie zu begleichen.

Die Kurtranslation setzte eine vorherige „Ächtung“ des Pfälzers voraus – denn man musste ihm die Kur ja erst einmal wegnehmen können. Wir kennen diese Rechtsfigur, die „Ächtung“, heute nicht mehr, sie galt auch damals als selten verhängte, besonders harte Strafe. Die Reichsacht schloss aus der Rechtsgemeinschaft des Reiches aus. Da der Geächtete nun also rechtlos war, konnte man sich an ihm und seinen (seitherigen) Besitzungen straflos vergreifen.

Wir merken schon jetzt, wie wichtig der Kaisertitel für Ferdinand gewesen ist: Nur das Reichsoberhaupt, also der oberste Lehnsherr, konnte ja einem Reichsfürsten unter dem Vorwand, dieser habe [<<85] die vasallitische Treue verletzt, also Felonie begangen, Land wegnehmen (um es anschließend Maximilian zuzuschanzen); nur als Reichsoberhaupt konnte Ferdinand in Aussicht stellen, die Reichsacht über den Pfälzer zu verhängen und so die Kur gewissermaßen vakant zu machen. Als habsburgischer Erzherzog, als abgesetzter Böhmenkönig hätte Ferdinand dem Münchner wenig bieten können; als Kaiser konnte er bedeutend mehr auf die Waagschale legen. Und das war nötig. Dieter Albrecht, ein Landeshistoriker, der sein Forscherleben dem Bayernherzog gewidmet hat, mutmaßte: „Ob sich Maximilian aus politischer und konfessioneller Solidarität auch ohne diese Zugeständnisse zur Hilfe bereitgefunden hätte, scheint fraglich.“ Sicher, Maximilian war Glaubens- und Gesinnungsgenosse Ferdinands, mit ihm verwandt, Studienfreund aus gemeinsamen Ingolstädter Tagen (beide waren durch die dortige jesuitische Kaderschmiede der Gegenreformation gegangen); aber Maximilian war auch gerissen wie kaum einer seiner Zeitgenossen. Und in München, im Herbst 1619, war er derjenige, der die Bedingungen diktieren konnte.

Kriegsverlängernde Effekte des Münchner Vertrags

Wie sind die Münchner Resultate zu beurteilen? Wir müssen zwischen den kurzfristigen und den langfristigen Auswirkungen unterscheiden. Zunächst einmal rettete der Münchner Vertrag Ferdinand. Sein Triumph in Böhmen ist ohne die revitalisierte Liga, ohne Maximilians Beistand schwer vorstellbar. Aber der Münchner Vertrag und die ihn flankierenden Versprechungen haben auch wesentlich dazu beigetragen, dass die Prager Auseinandersetzungen vom Frühjahr 1618 nicht in einen Fünf-, sondern in einen Dreißigjährigen Krieg mündeten. Es lag nun ein erster, großer Stolperstein auf dem – wie sich für diese leidgeprüfte Generation herausstellen würde: überaus langen und beschwerlichen – Weg zum Frieden.

Denn der Preis, den Maximilian verlangte, die pfälzische Kur und pfälzisches Gebiet, musste einen Friedensschluss nach der Entscheidung auf dem böhmischen Kriegsschauplatz ungemein erschweren, hat die Ausweitung des Krieges ins Reich hinein entscheidend befördert. Kein Mensch konnte ernsthaft erwarten, dass der Pfälzer, in Böhmen geschlagen, außer auf Böhmen gleich auch noch auf die Kur und Teile der Erblande seiner Dynastie verzichtete. Er würde also weiterkämpfen, an antibayerischen, antiligistischen Bündnissen [<<86] schmieden, hatte ja, wenn die Münchner Vereinbarungen einmal eingelöst waren, fast nichts mehr zu verlieren. Es war und ist selten ein Zeichen kluger Politik, sich Gegner zu schaffen, die nichts mehr zu verlieren haben. Und wo nur würde man, falls die Protestanten und mit ihnen die Pfälzer doch wieder emporkämen, also bei einem für die katholische Seite nicht so günstigen Kriegsverlauf, andere Entschädigungen für Maximilian finden? Der Münchner Vertrag hat, indem er Maximilian ein stattliches Stück nicht aus dem böhmischen Kuchen, sondern aus den Kerngebieten des Reiches zuschanzte, entscheidend zur Ausweitung und zur Chronifizierung jenes Krieges beigetragen, der ja als regionale Affäre begonnen hatte.

Madrid nimmt den Zweifrontenkrieg in Kauf

Neben bayerischer Hilfe konkretisierte sich, freilich ähnlich langsam, spanische. Madrid beschloss, im Interesse des Gesamthauses auch im Reich aktiv zu werden. Warum auch? Weil absehbar war, dass es 1621 in den Niederlanden wieder losgehen würde. Seit Jahrzehnten versuchten ja die nördlichen Provinzen um Holland, vom spanischen Zentralismus und von der spanischen Inquisition loszukommen (Achtzigjähriger Krieg, 1568–1648, er wurde schon gestreift). Man hatte 1609 nach langen blutigen Kriegsjahren einen Waffenstillstand vereinbart, aber der lief 1621 aus. Eigentlich hatte sich Madrid ganz auf diesen Kriegsschauplatz konzentrieren wollen. Doch jetzt waren die österreichischen Verwandten in Bedrängnis, so eklatant, dass darunter die Stellung des Gesamthauses in Europa leiden konnte. Schweren Herzens nahm man in Madrid einen Zweifrontenkrieg in Kauf, sprich, neben der präsumtiven niederländischen Front eine am Mittelrhein; während sich die österreichischen Habsburger und die Liga Böhmens annehmen sollten, würde Spanien, zur Entlastung, im Westen des Reiches gegen die rheinpfälzischen Erblande Friedrichs losschlagen. Der Zeitpunkt hierfür war allerdings vorerst noch umstritten. Aber prinzipiell stand eine aktive, direkte spanische Unterstützung für Ferdinand im Herbst 1619 fest. Zwanzigtausend Mann wurden dafür bereitgestellt und der vielleicht beste Feldherr, den Madrid aufzubieten hatte: Ambrogio di Spinola.

 

Blicken wir zurück! Ferdinands Lage hat sich im Herbst 1619 entscheidend verbessert, dank zweier Hilfszusagen: aus Madrid und vom mächtigsten katholischen Reichsstand, Bayern. Im Schlepptau [<<87] des Letzteren würden zudem fast alle anderen katholischen Reichsstände mitmachen, als Ligamitglieder. Mit der Liga aber war das Reich involviert!

2.2.4 Verbündete für Friedrich von der Pfalz?

Als der Kurpfälzer Friedrich im Herbst 1619 seine Residenzstadt Heidelberg verließ, gab es ergreifende Szenen. Augenzeugen berichten, zahlreiches Volk habe am Straßenrand gewartet, gewinkt – und in Strömen geweint. Böse Vorahnungen? Friedrich selbst sowie seine ehrgeizige Frau, eine Tochter des englischen Königs Jakob, vergaßen die Szenen wohl spätestens nach der Ankunft in Prag: pompöse Königskrönung, Fest auf Fest folgt, doch bleiben der frischgebackene König und der quasi importierte Hof den Einheimischen fremd.

Friedrich und seine Entourage verstanden nicht die Landessprache, die Verwaltung lief in den alten Händen weiter. Die pfälzische Importware hatte wenig Einblick und kaum Einfluss auf die täglichen Geschäfte. Politisch unklug, unsensibel – freilich: Wir befinden uns eben im Konfessionellen Zeitalter! – die rücksichtslose Calvinisierung der königlichen Patronatspfarreien; und dann erst der Bildersturm im Prager Veitsdom, der Grablege der Böhmenkönige und der letzten Kaiser! Was Jahrhunderte an reicher und hochstehender Kunst hineingeschafft hatten, wurde nun auf einen Schlag, rechtzeitig vor Weihnachten 1619, entfernt. „Bapst und Luther die Bilder leidn,/ Calvinus sagt: man soll sie meidn“: So hat ein wohl 1619 gedrucktes Flugblatt die Positionen der drei Konfessionen zur Visualisierung von Glaubensinhalten holprig auf den Reim gebracht. In der Tat: Zwar waren alle evangelischen Strömungen, als Bewegungen „des Worts“, sinnenskeptischer als die katholische Kirche; doch hatte Luther, anders als Calvin, die rabiate Entleerung übernommener Kirchen von jeglichem Bildschmuck abgelehnt; calvinistische Kirchen hingegen wurden konsequent in Hörsäle umgewandelt, nichts sollte von der Verkündung „des Worts“, von der Predigt, ablenken. Auch den Veitsdom hat man nun also ‚gereinigt‘. Die meisten Prager waren entsetzt. Pfälzer und Böhmen wurden nicht richtig warm miteinander, es breitete sich das beunruhigende Gefühl aus, irgendwie einem Missverständnis aufgesessen zu sein. [<<88]

Keine Unterstützung aus England

Vielleicht noch schlimmer war, dass Friedrich mit seinen Bündnissondierungen nicht recht vorankam. Frankreich war noch immer mit sich selbst beschäftigt, hielt sich heraus. Das war vorhersehbar gewesen. Aber auf den Schwiegervater in London hatte Friedrich fest gerechnet. Es war eine böse Selbsttäuschung! Knapp und pointiert formuliert, suchte König Jakob I. zeitlebens in der Außenpolitik nicht mehr als eine unverbindliche, sich gleichsam im Atmosphärischen erschöpfende Freundschaft mit jedermann – und vor allem seine Ruhe. Es war eine „policy of unadventurous and inoffensive goodfellowship“ (Maurice Lee Jr.).

Weil konfliktscheu, wollte Jakob keine Kriege. Er sei notorisch „anxious for the peace of the world“, beobachteten die Zeitgenossen, sei „naturally inclined to peace“. Das könnte heute ja an sich für diesen Monarchen einnehmen; die damaligen politischen Mitspieler schlossen aus so dezidierter Friedensliebe auf schlimme charakterliche Defizite: „involved in his extreme irresolution“, scheue Jakob außenpolitische Konflikte „wegen seiner Schwäche“ und „Nachlässigkeit“, weil er sich ohnehin „den Geschäften nicht gewachsen fühlt … und so glaubt er nun, während des Friedens könne er … seine Fehler leichter verdecken, als im Kriege, und dann seiner Natur gemäß in aller Freiheit der Ruhe und den Vergnügungen leben“. Frieden besaß damals eben keinen moralischen Bonus vor dem Krieg!

Jakob wollte Konflikten aus dem Weg gehen, schon gar solchen mit der katholischen Leitmacht Europas, Spanien. Ein von Ehebanden stabilisiertes enges Einvernehmen zwischen London und Madrid schien ihm am besten geeignet, um Europa zu befrieden und ihn selbst als großen Friedensstifter dastehen zu lassen.

Weil konfliktscheu, wollte Jakob Frieden. Er wollte aber schon gar keinen Konfessionskrieg: „I will never allow in my conscience that the blood of any man shall be shed for diversity of opinions in religion.“ Und der König verabscheute jedes Anzeichen von Rebellion. Dem Untertanen ziemte bedingungsloser Gehorsam, auch einem untauglichen, auch einem ketzerischen König gegenüber. Jakob erklärte sich dem Unterhaus gegenüber einmal zum „absolute king“, ein andermal erklärte er: „Kings are not only God’s lieutenants upon earth, and sit upon God’s throne, but even by God himself are called Gods“ – Könige würden sogar von Gott selbst [<<89] Götter genannt! Jakob war ein Exponent des Gottesgnadentums und des Frühabsolutismus. Wir Heutigen können neunmalklug analysieren, warum der englische König nicht zum Partner der böhmischen Aufständischen taugte. Damals wollte man an manchen evangelischen Residenzen allzu lang nicht sehen, was nicht sein durfte. Schwiegerpapa Jakob wurde zur schweren Enttäuschung für den Kurpfälzer.

Kursachsen unterstützt Ferdinand

Und die evangelischen Reichsstände? Wenig zu erwarten war vom Renommiertesten, vielleicht überhaupt Wichtigsten: Kursachsen. Wir wissen schon, dass sich die Dresdner Kurfürsten sorgsam an der Hofburg orientierten und dass aus dieser betont kaisertreuen Haltung unter den Bedingungen des grassierenden Konfessionsstreits eine faktisch prokatholische Reichspolitik resultierte: „politice seint wir Bäpstisch“! Die Dresdner beurteilten die böhmischen Unruhen ganz anders als die Münchner, nämlich als genuin politischen Streit, freche Insubordination, dreiste Aufmüpfigkeit. Die religiösen Argumente der Aufständischen seien nur vorgeschoben, machten sich die Dresdner weis. Man hat das tatsächlich so gesehen, war subjektiv ehrlich dieser Ansicht, aber natürlich legte eine solche Einschätzung schon auch die sächsische Staatsräson nah – denn so kam man bequem und ohne Gewissensbisse darum herum, den Glaubensverwandten im nahen Böhmen zu Hilfe zu eilen. Das stand in Dresden keine Sekunde zur Diskussion, erwägenswert schien lediglich, ob man geradewegs der Gegenseite helfen oder aber erst einmal den Vermittler mimen sollte. Eine Zeit lang Letzteres; als das wenig fruchtete, Versuche der Deeskalation nicht griffen, schlug man sich auf die Seite Habsburgs – als evangelischer Reichsstand!

Freilich stellten auch die Dresdner, wie die Münchner, ihre Bedingungen. Einmal hatten sie konfessionspolitische Gegenforderungen: Kaiser und katholische Reichsstände hätten den Reichsständen des Obersächsischen und des Niedersächsischen Reichskreises den ungestörten Besitz evangelisch und weltlich gewordener einstiger Hochstifte zuzusichern – müssten hier also den Status quo akzeptieren, unerachtet aller um den Geistlichen Vorbehalt von 1555 kreisender Auslegungsstreitigkeiten. Mit gewissen Einschränkungen wurde diese Zusage im März 1620 erteilt: Die evangelischen Inhaber einst geistlicher Fürstentümer würden von katholischer Seite nicht gewaltsam verdrängt, sofern [<<90] sie sich dem Kaiser gegenüber loyal verhielten, ohne dass man damit ausdrücklich die Rückforderung auf dem Rechtsweg (das wird 1629 noch wichtig werden!) für alle Zeiten für aufgegeben erklärte.

Zweitens sagte Ferdinand den Ersatz aller Kriegskosten zu; zur Sicherung dieses Versprechens sollten vorerst die Lausitzen an Kursachsen verpfändet werden, weitere Gebietsgewinne wurden etwas vager in Aussicht gestellt. Das erinnert an den Münchner Vertrag mit Maximilian. Im Gegenzug versicherte Johann Georg von Sachsen, was in Böhmen vorgehe, sei eine Verletzung des Landfriedens, man werde dem Kaiser dagegen beistehen. Es war ein diplomatischer Triumph für Kaiser und Liga, militärisch zahlte es sich noch nicht sogleich aus, weil sich Zwistigkeiten über die Angriffsziele einstellten. Schließlich marschierten sächsische Truppen in Ober- und Niederlausitz ein, sie näherten sich gewissermaßen von Norden dem Aufstandsherd, aber erst, nachdem die Ligatruppen ihren Siegeszug im Osten schon begonnen hatten. Wahrscheinlich waren die politischen und gleichsam psychologischen Vorteile der kaiserlichen Allianz mit dem renommierten evangelischen Reichsterritorium gravierender als die unmittelbar militärischen.

Auswirkungen der prokaiserlichen Haltung Dresdens

Wie ist die Dresdner Haltung zu beurteilen? War es eine vorwärts weisende, weil sich von konfessionellen Gesichtspunkten emanzipierende Politik? Oder aber eine, die uralt aussah, weil sie gewissermaßen ‚vorkonfessionell‘ war, nicht zur Kenntnis nahm, dass sich mit der konfessionellen Polarisierung die Rahmenbedingungen im Reich geändert hatten? Reicht für eine positive Beurteilung, dass der Judaslohn (also die Lausitzen) am Ende bei Kursachsen bleiben wird wie die Oberpfalz und der Kurhut bei Maximilian von Bayern?

Dagegen ist zu verrechnen, dass die reichspolitischen Wirkungen des Dresdner Kurses problematisch gewesen sind. Unterminierten die Sächsischen nicht die Voraussetzungen ihres eigenen reichspolitischen Programms? Dieses wird in einer monografischen Untersuchung der Dresdner Politik jener Jahre so auf den Punkt gebracht: „Wiederherstellung des Konsenses“ (Frank Müller). Ein solcher „Konsens“ freilich hätte sich allenfalls zwischen zwei gleich starken Lagern austarieren lassen. Die Dresdner aber störten das Gleichgewicht notorisch, weil sie dem ohnehin Stärkeren (nämlich der katholischen Liga und der Weltmacht Habsburg) halfen. Sie werden sich auch nach dem Ende [<<91] der Union, die ganzen Zwanzigerjahre hindurch, allen Versuchen verweigern, ein reichspolitisch betont vorsichtiges Nachfolgeprojekt, eine lutherische Friedens- und Freiheitspartei, eine Vereinigung zum Schutz des bedrängten Protestantismus und teutscher Libertät auf die Beine zu stellen. Damit aber erschwerten die Dresdner eine reichsinterne Lösung, trieben sie die evangelische „Aktionspartei“ geradezu in die Arme immer neuer auswärtiger Verbündeter. Die sächsische Reichspolitik provozierte gerade jene ausländische Einmischung, die sie verhindern wollte. Sie wirkte im Endeffekt polarisierend. Aus reichspatriotischer Warte „Kriegsschuld“ zumessend, darf man also nicht einzig und allein den allzu gerissenen Bayernherzog ins Visier nehmen.

Die Union ist in keiner guten Verfassung

Dass sich die Dresdner nicht auf die Seite des Pfälzers schlagen würden, konnte niemanden wirklich überraschen. Und die Union? Wir wissen schon, dass sie sich in keiner glänzenden Verfassung befand, als sich die böhmischen Spannungen zuspitzten. In Norddeutschland hatte sie, auch wegen der demonstrativ ablehnenden Haltung Dresdens, nie Fuß fassen können; Kurbrandenburg hatte sich schon vor dem Ablauf der in Auhausen vereinbarten ersten Dekade des Bündnisses faktisch verabschiedet. Auch, dass das Gründungsmitglied Pfalz-Neuburg nicht mehr dabei war, wissen wir bereits. Nicht mehr recht bei der Sache waren ferner die – reichspolitisch besonders vorsichtigen – Reichsstädte. Seit den offensiven elsässischen Truppenoperationen von 1610 trauten sie dem pfälzischen Unionsdirektorium nicht mehr. Und 1621 würde das Bündnis ja ohnedies auslaufen.

Also, die Union war fast schon in der Auflösung begriffen, als die böhmischen Ereignisse schreckliche Gefahren heraufzubeschwören, aber auch schwindelerregende Chancen zu eröffnen schienen. Wie sollte man sich verhalten? Nachdem sich die Aufregung über den Coup von Udenheim gelegt hatte und als man deshalb, seit dem Herbst 1618, endlich aufmerksam nach Böhmen blickte, dominierten eindeutig konfessionelle Deutungsmuster.

Es dominiert die konfessionelle Lesart der böhmischen Vorgänge …

Die Unionsfürsten sympathisierten nicht etwa mit einem von seinen Untertanen bedrängten hochadeligen Standesgenossen, sie sympathisierten mit ihren aufbegehrenden Glaubensgenossen. Am Rothenburger Unionstag im Oktober 1618 war der Diskurs nach Ausweis des Votenprotokolls vollständig religiös durchtränkt. Der [<<92] badische Markgraf Georg Friedrich beispielsweise wies wortreich nach, dass „das Babstumb vom Teufel herkomme, der ein Mörder und Lügner“ sei. Die Weltläufte wurden „alwegen erger“, die apokalyptische Endzeit scheine anzubrechen. Sein konkretester Ratschlag – wohlgemerkt nicht vor einem Theologenzirkel, sondern vor Fürstenkollegen und Diplomaten – lautete so: „in die Ruten zufallen, mit abstellung Prachts unbilligs“. Er empfahl also Bußübungen, um Gott gnädig zu stimmen. Wir dürfen uns die damaligen Politiker nicht zu modern malen. Nahezu alle Rothenburger Voten legten sich ausdrücklich darauf fest, dass man mit einer „religion sach“ konfrontiert sei.

 

… doch ist die große Mehrzahl nicht zum Hazardspiel bereit

Und doch eilten die Auhausener nicht blindlings zur pfälzischen Fahne. Es mag erstaunen, dass die Unionshöfe so eindeutig mit den böhmischen Separatisten sympathisierten und sich dem böhmischen Abenteuer ihres pfälzischen Direktors gegenüber doch ‚nur‘ auf eine Position zurückzogen, die das 19. Jahrhundert als wohlwollende Neutralität etikettiert hätte. Die Unierten versuchten, Friedrichs pfälzische Erblande zu decken und, so es ohne große Konflikte abging, katholische Truppendurchmärsche nach Osten zu blockieren, engagierten sich aber nicht selbst militärisch in Böhmen. Warum nicht? Das tief und ehrlich empfundene Mitgefühl mit den Glaubensgenossen in Böhmen war zu verrechnen mit oft geringen eigenen Mitteln – die Union bestand ja nach dem Ausscheiden Brandenburgs ausschließlich aus ziemlich kleinen und ganz kleinen Territorien – und nicht selten ferner mit einer exponierten geostrategischen Lage. Mancher schreckte auch davor zurück, den definitiven Bruch mit dem Kaiser, immerhin also dem ideellen Oberhaupt des christlichen Abendlandes und dem obersten Lehnsherrn, zu riskieren.

So sympathisierten denn die Unionshöfe zwar mit den böhmischen Widerständlern, aber sie sprangen ihnen mehrheitlich nicht entschieden bei, aus einem Gefühl der Schwäche heraus, das man nicht aus der sicheren Distanz von vierhundert Jahren verspotten sollte, zumal wir uns daran erinnern müssen, dass der Bundeszweck für die meisten Mitglieder der Union immer ein strikt defensiver gewesen war. Der kühne Griff nach Böhmen überstieg einfach den politischen Horizont eines Grafen von Öttingen oder eines Magistrats von Isny. Es wird sich nie wissenschaftlich beweisen lassen, aber viel spricht dafür, dass dem Pfälzer nur rasche durchschlagende Erfolge zur Unterstützung [<<93] auch aus dem Reich heraus hätten verhelfen können. Nur so hätte er die Zweifelnden mit sich fortreißen können. Misserfolge waren, wie die Dinge nun einmal standen, unverzeihlich.

Friedrich von der Pfalz hatte sich in einen Krieg gestürzt, von dem er wissen musste, dass er nicht der der Unionsmehrheit sein konnte. Für diejenigen, die keinen Totalumbau der Reichsverfassung wünschten, noch nicht einmal ein protestantisches Kaisertum, für diejenigen, denen der Kaiser, wiewohl Partei, doch so viel Nimbus hatte, dass sich dauerhaft gegen ihn zu stellen („ungehorsam“ zu sein!) schwer erträglich schien, für diejenigen, die Sicherheit in den süddeutschen Kerngebieten des Reiches, aber keinen europäischen Glaubenskrieg gewinnen wollten, war das böhmische Abenteuer ein Wagnis, das man im ersten Taumel, berauscht von der Größe der historischen Stunde, berauscht von den vagen, doch glänzenden Chancen, die sich zu bieten schienen, vielleicht absegnen konnte – doch kaum bei gründlichem Nachdenken. Rasche durchschlagende Erfolge Friedrichs hätten den zögernden Rest vielleicht mitreißen können. Doch solche blieben aus. Man hatte genügend Zeit, sich, wieder ernüchtert, klarzumachen, dass kein Konsens über die Kriegsziele bestand, dass der Krieg des Winterkönigs nicht der der Union war.

Die Vorgeschichte des Ulmer Vertrags

Die Wege trennten sich im Sommer 1620. In Ulm war ein Unionstag angesetzt. Bei Ulm standen sich Unionstruppen und quantitativ wie qualitativ überlegene der Liga gefechtsnah gegenüber – würde sich Maximilian, wie einst Donauwörth, nun Ulm greifen? Von Westen, besonders vom Oberrhein her strömten für Ferdinand geworbene Truppenkontingente. Die Auhausener sahen sich in einer verzweifelten Situation, nur eines würde helfen: der erhoffte, der einkalkulierte Beistand des westeuropäischen Auslands. Die Union hatte in ihren ersten Jahren, außer dem uns schon bekannten Vertrag von Schwäbisch Hall mit Heinrich IV., ferner Allianzverträge mit den Generalstaaten (so hieß die zentrale Ständeversammlung der separatistischen niederländischen Nordprovinzen) sowie mit dem englischen König Jakob abgeschlossen. Der ‚Macher‘ hinter diesen Verträgen war ein württembergischer Hofrat gewesen: Benjamin Bouwinghausen. Der heute vollkommen vergessene Mann war für die Zeitgenossen neben Christian von Anhalt der bedeutendste evangelische Politiker im Reich; eine französische Gesandtschaft, von der wir gleich noch [<<94] hören werden, berichtete nach Paris, dieser Bouwinghausen sei „le plus intelligent“ von allen Unionspolitikern und „le plus hardi en ses conceptions“: Er sei der Intelligenteste von allen Auhausenern und ihr konzeptionellster Kopf. Er also sollte in Den Haag, London und Paris sondieren, ob man dort vorhatte, die Union zu retten.

Es war ein denkwürdiger Tag, an dem Bouwinghausen Stuttgart verließ – denn dass er auf die Fragen, mit denen er sich auf seinen langen Weg machte, keine befriedigenden Antworten erhielt, hat Geschichte gemacht: hat Bouwinghausen zur Revision seiner Außenpolitik, die Union in die diplomatische Unterwerfung von Ulm und Friedrich von der Pfalz ins militärische Fiasko am Weißen Berg getrieben.

Den Vertretern der Generalstaaten ließen sich lediglich gewisse Geldzusagen abringen, gegen die eindringliche Mahnung, alles zu unterlassen, was nach Offensive aussehen könne. Man müsse äußerste Vorsicht walten lassen. In London ging der Emissär König Jakob mit seinem Drängen auf eine Entscheidung – wie sehr hasste Jakob Entscheidungen! – so auf die Nerven, dass „God’s lieutenant“ schließlich regelrecht die Flucht ergriff, hektisch von Landsitz zu Landsitz jagte, Bouwinghausen stets hinterher: ein skurriler Pendelverkehr! Es war eine Groteske; dreimal sandte Bouwinghausen das Abschiedsgeschenk des Königs zurück – eigentlich ein diplomatischer Eklat! Als es ihm wieder zugestellt wurde, schenkte er es seiner Londoner Wirtin: Von diesem König wollte er nichts annehmen. Tief deprimiert reiste Bouwinghausen nach Frankreich weiter. Dort dachte man nicht daran, dem vermeintlich wankenden Habsburg vollends den Todesstoß zu versetzen, noch hatte nicht Richelieu das Sagen; man erwog vielmehr ernsthaft, den Habsburgern mit Truppenmacht beizuspringen, aus konfessioneller Solidarität und weil ein evangelischer Sieg das europäische Gleichgewicht störe. Man schätzte die Gewichte falsch ein und legte sein Pfund auf die schwerere Waagschale.

Waffenstillstand mit der Liga

Am Ende musste Bouwinghausen froh sein, dass Paris statt Soldaten nur Diplomaten ins Reich sandte – eine hochrangig besetzte Ambassade mit mehrhundertköpfigem Gefolge. Sie sollte eigentlich von Unionshof zu Unionshof ziehen, ließ sich aber von Bouwinghausen nach Ulm umdirigieren: sein einziger, ein in seinen Augen bescheidener Erfolg. Am Ulmer Unionstag redeten die Ambassadeurs auf die versammelten Unierten ein, die Waffen zu strecken; gäben [<<95] sie nicht auf der ganzen Linie nach, erachte sie Paris als „promoteurs d’une guerre iniuste“ (als Anstifter eines ‚ungerechten Krieges‘, vgl. zu dieser Denkfigur Kap. 5.2). Wer wollte es den Auhausenern übel nehmen, dass sie am Ende nicht Krieg mit Wien, Madrid und Paris auf einmal haben wollten! Also Waffenstillstand mit der Liga, im Ulmer Vertrag vom 3. Juli 1620. Nach der Unterzeichnung zogen die Auhausener ihre Truppen vereinbarungsgemäß von der bayerischen Grenze ab. Maximilian nutzte das, um das Ligaheer ostwärts nach Böhmen hinein zu verschieben – was er zuvor stets abgelehnt hatte, weil er Land und Leute nicht unbewaffnet lassen könne, wenn der Feind „am ruggen“ stehe. Dort stand er nun nicht mehr, der Ulmer Vertrag ist die diplomatische Voraussetzung für den militärischen Triumph am Weißen Berg.

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