Im Bann des Eichelhechts

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ZAHLEN

Leser W. aus Staufen berichtete mir von einer Äußerung seines damals vierjährigen Sohnes, der plötzlich, wie aus dem Nichts sagte: Es gibt gerade und gebogene Zahlen.

Da haben wir es!

Was?

Folgendes: Jeder Mathematiker, ja, schon jeder Rechenlehrer wird uns etwas über gerade und ungerade Zahlen erzählen können. Von den gebogenen Zahlen indes weiß er nichts. Wir wissen alle nichts darüber, weil Sprachland gerade erst richtig entdeckt wird.

In der traditionellen Mathematik sind die geraden Zahlen jene, die ohne Rest durch zwei teilbar sind, alle anderen Zahlen nennt man ungerade. 2 und 4 und 6 und 8 sind zum Beispiel gerade, 1 und 3 und 5 und 7 ungerade. In Sprachland aber werden die Zahlen nach anderen Kategorien geordnet, gerade und gebogen eben.

Eine 1 zum Beispiel ist eine kerzengerade Zahl, auch eine 4 und eine 11.

Aber es überwiegen ganz klar die gebogenen Zahlen, schon die 0 ist ja komplett gebogen, auch die 3 und die 8, herrlich gebogen sind sie.

Bei der 2 und der 7 könnte man sagen: Es sind Mischformen, teils bestehen sie aus geraden Strichen, teils aus gebogenen Linien. Ob es aber solche Mischformen wirklich gibt, also quasi geradegebogene Zahlen – ich weiß es nicht, dazu kenne ich mich noch nicht gut genug aus. Ich müsste den Sohn meines Lesers W., fragen, der ist ja inzwischen auch älter und größer.

Vielleicht weiß er nun noch mehr?

Einmal ist es mir gelungen (auf dem Bahnhof von Andernach war das), eine komplette Zuglieferung gebogener Zahlen zu fotografieren, sie kamen gerade aus der Nullenfabrik, vermute ich. Wohin es mit ihnen gehen sollte, konnte ich nie in Erfahrung bringen. Vielleicht zur Zentralbank?


Vokabeln

TEHATA

Ich hatte in Nienburg an der Weser zu tun, im Theater, um genau zu sein, stieg am Bahnhof in ein Taxi und nannte mein Ziel.

Isskla, Scheff, Tehata, sagte der Fahrer, der ganz klar ein Sprachländer war.

Ja, genau, zum Theaaaaterrrr also, sagte ich, damit er mich nicht falsch verstünde.

Isskla, Scheff, Tehata.

Und so fuhren wir denn.

Und kamen auch an. Ich bezahlte, bekam meine Quittung. Auf der stand, handgeschrieben, Bahnhof – Tehata, also die Fahrtstrecke.

Dieses Wort Tehata habe ich seitdem in meinen Sprachschatz übernommen, es klingt einfach so schön. Man muss es ein bisschen hauchen, die beiden letzten Silben einfach nur aus dem vorderen Mundraum heraussprechen, dann klingt es am besten.

Sprechen Sie mir nach!

Mach doch nicht so ein Te-hata!


Ich habe später nachgeschaut und entdeckt, dass es im indischen Bundesstaat Westbengalen eine Stadt namens Tehatta gibt, die manchmal auch Tehata geschrieben wird. Sie hat (Stand allerdings 2011) 21.093 Einwohner, vier Schulen und ein Government College. Ich konnte nicht herausfinden, ob es in Tehatta ein Tehata gibt, aber ich versichere Ihnen: Nienburg an der Weser hat eines.

ESSEN

Eines Tages fiel mir beim Stöbern in der Post vieler Jahre das Bild einer Speisekarte in die Hand, darauf das Gericht Nummer 29 mit dem Titel Der Konzernüberschuss »Meunière«.

Das fand ich interessant.

Ich glaube, dass in den besten Restaurants der Welt schon einige Konzernüberschüsse verfressen worden sind. Andererseits muss man wohl sagen: Die Überschüsse vieler Konzerne waren in den vergangenen Jahrzehnten oft so hoch, dass sie selbst von den gierigsten Schlünden kaum in einem Restaurant aufzuzehren waren.

Was mich faszinierte, war aber nun, dass der Überschuss als solcher auf der Karte stand – und zwar à la Meunière, also nach Müllerinart, in Mehl gewendet, in Butter gebraten, mit Zitrone, Petersilie und brauner Mandelbutter serviert. Wie ist es möglich, dass etwas eigentlich Abstraktes wie ein Überschuss derart konkret und fein zubereitet werden kann?

Zunächst muss man sagen: Das Gericht heißt im Englischen »Meunière« Grouper steak, das ist ganz einfach ein Zackenbarschsteak auf Müllerinart. Nun liegt der Gedanke nahe, dass sich hier beim Übersetzen ein Fehler eingeschlichen haben könnte, das englische group ist ja tatsächlich im Deutschen der Konzern. Aber der Überschuss ist in der Vokabel steak beim besten Willen nicht zu entdecken.

Es bleibt ein Rätsel.

Es sei denn …

Es sei denn, man entschlösse sich, es als Tatsache zu nehmen, dass hier tatsächlich einfach Konzernüberschüsse gebraten beziehungsweise verbraten werden.

Dann wäre alles klar.

Und so wollen wir es halten.

Zumal ich von vielen anderen Speisekarten in dieser Haltung bestätigt worden bin. Zum Beispiel trage ich seit vielen Jahren eine Karte des Restaurants Fontana d’Oro in Como mit mir herum. Jemand steckte sie mir einst nach einer Lesung zu, und ich halte sie stets gerne in meiner Tasche bereit, um darin zu lesen und daraus zu zitieren. Sie ist kleinformatig und in vier Sprachen gehalten: Italienisch (das ist die Ausgangssprache), Englisch, Französisch – und, ja, also: Deutsch.


Über den Speisen steht im Italienischen Proposta Menù, im Englischen Menü Proposal, im Französischen Proposition de Menue (alles nicht so ganz richtig, aber darum geht es hier nicht).

Und im Deutschen?

Menüantrag.

Was mir sehr gefällt!

Dass nämlich der Übersetzer bei seiner Tätigkeit nicht nur einfach übersetzt hat, sondern versuchte, auch gleich noch den jeweiligen Nationalcharakter mit zu erfassen – das mag ich. In allen Sprachen wird ja dem Gast ein Vorschlag gemacht, una proposta, a proposal, une proposition.

Nur im Deutschen muss er einen Antrag stellen.

Unter den zu beantragenden Gerichten findet sich nun zum Beispiel eines, das heißt: Kleine Kopffüßer ertranken.

Im Italienischen sind das, so steht es auf der Karte, Moscardini affogati. Moscardini sind tatsächlich kleine Tintenfischlein, sie gehören zur zoologischen Klasse der Kopffüßer. Und affogato ist das italienische Wort für ertrunken. Korrekt übersetzt müsste das Gericht also Ertrunkene kleine Kopffüßer heißen, aber Kleine Kopffüßer ertranken klingt irgendwie dramatischer. Es macht neugieriger. Das war dem Wirt wohl wichtig.

Im Übrigen: Moscardini affogati, das ist ein ziemlich bekanntes Gericht in Italien. Die kleinen Kraken schmurgeln in einer Tomatensauce. Das ertrunken ist sprachbildlich gemeint, ein Affogato al caffè ist zum Beispiel ein Espresso mit einer Kugel Vanilleeis drin, der man beim Ertrinken zusehen kann, wenn man so was mag.

Eigentlich ist es ja praktisch eine Klimakatastrophe in der Tasse.

Schwieriger wird es, wenn wir in der Fontana d’Oro das Gericht »Penne« mit Befestigung klammermasse entdecken, im Italienischen: Penne alla polpa di granchio, das sind eigentlich Penne mit Krabbenfleisch. Im Grunde also alles sehr einfach. Bloß muss man wissen, dass Speisekartenübersetzer eigentlich immer zunächst ins Englische übersetzen. Dort wird aus polpa der pulp. Das ist zwar immer noch die Fleischmasse in der Krabbenschale, aber eben auch jede beliebige andere Masse, eine Paste oder ein Püree. Und Pulp fiction ist die Schundliteratur (außerdem ein berühmter Film von Quentin Tarantino).

So kann man die klammermasse vielleicht erklären: Granchio ist ja ein Krebs. Von seinen Greifarmen her rührt wohl das Wort klammer, und von der polpa kommt man über pulp zur Masse. Also ist polpa di granchio eben die klammermasse.

Andererseits gibt es das Wort im Deutschen nun mal nicht. Ich habe mal von Klammermaßen in der Geometrie gehört. Aber klammermasse? Nein.

Und woher die Befestigung vor der klammermasse kommt, bleibt ein Rätsel. Vielleicht hat der Übersetzer einfach nicht mehr weitergewusst und ein deutsches Wort erfunden, nach dem Motto: Der Wirt hat eh keine Ahnung, der merkt das nicht.

Jedenfalls: Riefe mich meine Frau im Büro an und fragte, ob ich zum Abendessen noch etwas Befestigung klammermasse mitbringen könnte, ich würde wohl nicht zum Italiener gehen.

Eher in den Baumarkt.

Befestigung klammermasse, das macht einem, rein gedanklich, ein Mundgefühl von – Gips, oder? Moltofill. Spachtelmasse. Und wenn man das schöne Wort spachteln für essen verwendet, dann …

So ist es immer: Man kann gewisse Dinge erklären, aber nicht alle. Ich finde das gut. Man soll nicht alles verstehen. Etwas in der Welt muss uns ein Rätsel bleiben, sonst schlaffen wir ab, setzen uns zur Ruhe, verlieren die Energie, die mit der Suche nach Aufklärung, Lösung von Rätseln, Klärung von Unklarem verbunden ist.

Das Rätselhafte hält die Spannung in den Menschen aufrecht.

 

Beim antipasto del mulattiere zum Beispiel ist es ganz leicht herauszubekommen, worum es geht.

Il mulattiere ist der Maultiertreiber, ein antipasto del mulattiere also eine Vorspeise nach Art des Maultiertreibers, was immer das sein mag. La mulattiera aber ist der Saumpfad und damit natürlich der Maultierpfad oder der Reitweg. Der Plural dieses Wortes lautet le mulattiere. Sodass dieses Voressen auf der Speisekarte im Französischen (muletier) zwar noch nach dem Maultiertreiber benannt ist, im Englischen (bridleway) aber schon nach den Reitwegen – und im Deutschen dann erst recht.

Da heißt der antipasto del mulattiere nämlich Vorspeise von Reitwegen. Obwohl das korrekt eigentlich antipasto delle mulattiere wären.

Wobei man natürlich nun keineswegs mehr wissen möchte, woraus eine solche Vorspeise bestehen könnte. Vermutlich ist das eher etwas für Mistkäfer.


Kurz zum Spanischen: Wenn wir dort auf einer Karte Gegrillte Rasierer entdecken, so mag uns das zunächst auf Äußerste befremden, die Sache ist aber schnell geklärt. Navajas a la plancha sind Schwertmuscheln vom Grill, denn la navaja ist die Schwertmuschel – einerseits. Andererseits ist la navaja auch das Taschenmesser und navaja de afeitar ein Rasiermesser. So kommen wir zu den gegrillten Rasierern.

Nebenbei gesagt, ist la navaja, soweit ich weiß, auch das Lästermaul (Schwertgosch nennt ja auch der Schwabe ein flinkes Mundwerk, die Schwertmuschel liegt also nahe). Da sind wir also den gegrillten Lästermäulern nur sehr knapp entgangen …

So geht das immer wieder.

Schmetterlinge mit zerstossen Wut? Ich vermute, das sind Farfalle con pesto arrabiato, denn die Farfalle sind eine Nudelart, der Begriff bezeichnet aber auch die Schmetterlinge (die Nudeln haben ja die Form von Schmetterlingen). Das Verb zerstoßen ist übersetzt pestare mit dem Partizip pestato, das zu pesto verkürzt wurde. Und la rabbia ist die Wut, arrabiato ist man, wenn man wütend ist. Aber ein scharfes Pesto (also etwas Zerstoßenes wie zum Beispiel Basilikum, getrocknete Tomaten oder Nüsse) ist eben auch ein pesto arrabiato.

Kugelschreiber mit Knoblauch und Schmierol? Das sind sicher Penne aglio e olio. Der Reihe nach: Penne sind wiederum Nudeln, la penna (mit dem Plural le penne) aber auch der Kugelschreiber. Aglio ist Knoblauch, olio sowohl Speiseöl als auch Schmieröl.

Man sollte sich aber gut überlegen, welches von beiden man zum Kochen nehmen will.

Pasta Integral mit Sosse Sahne Chorhemd? Das müssen Vollkornnudeln mit einer Sahnesoße sein, salsa di panna cotta wäre die Soße aus gekochter Sahne. Cotta heißt gekocht, ist aber auch das weiße Chorhemd, jenes liturgische Gewand, das römisch-katholische und anglikanische Priester über der Soutane tragen, auch Ministranten über dem Talar.

Ob man es aber in der Küche tragen sollte?

Wir verlassen nun den Bereich des Erklärbaren, mit einiger Mühe Verständlichen, des irgendwie noch Sinnvollen – und kommen zu etwas Neuem, Unbekanntem.

Wir nähern uns Sprachland.

Denn ich kann zwar noch halbwegs erläutern, wie man von den Gnocchetti ai Frutti di Mare zur kartoffelnodel mit obstbaum kommt. Irgendwer muss da halt bei den Frutti di Mare, den Meeresfrüchten, das Meer vergessen haben und von den übrig gebliebenen Früchten direkt zum Obstbaum gekommen sein.

Es ist, anderes Beispiel, auch noch möglich, den Weg von den Maltagliati agli Scampetti Freschi, den Maltagliati-Nudeln mit frischen kleinen Scampi, zu den maltagliati with escape zu finden. Denn das Verb scampare heißt entkommen, da ist man also, von den Scampi kommend, schnell bei escape, der Flucht.

Aber maltagliati mit hammer? Wie es da auf einer Karte steht?

Keine Ahnung. Die Nudeln müssen schon sehr al dente sein, wenn man einen Hammer zum Essen braucht. Und meereschfruchte, meeresfuchte, scheilfisch, venusmushein? All diese schönen Wörter auf der Karte, die hier vor mir liegt – wie kommt man auf sie? Es wäre doch so leicht, das jeweils richtige zu finden, heutzutage. Es gibt das Internet, es gibt Wörterbücher, Nachschlagewerke.

Warum?

Ach, lassen wir es.

Es ist schön, einfach schön.

Es ist Sprachland.

Wo beginnt dieses Land?

Ich kann Ihnen den Grenzübergang genau bezeichnen, damit Sie ihn finden.

Er befindet sich auf der Speisekarte der Taverne La Posadilla in Andalusien.

Dort finden wir viele Gerichte unter der Überschrift Mittelteile und große Kälte versammelt. Das ist ein ganz wunderbarer Titel, es könnte sich dabei auch um ein Buch von Peter Handke handeln, zum Beispiel. In der Ausgangssprache, dem Spanischen, sind das Medias y Raciónes frias, worunter Kalte Gerichte in halben und ganzen Portionen zu verstehen sind. Im Englischen ist das auch noch ungefähr erkennbar: Medium and Large cold portions.

Im Französischen heißt es aber schon Demi-Portions et Grand Froid, wobei mir besonders dieses Grand Froid gefällt, die Große Kälte. Das könnte auch eine Erd-Epoche sein (»Es geschah im Grand Froid, alle Dinosaurier erfroren auf der Stelle«) oder ein Einrichtungsstil wie das Empire (»Ich habe mein Wohnzimmer im Grand Froid-Stil eingerichtet«).

Am Ende landen wir dann bei den Mittelteilen und der großen Kälte.

Ist doch wunderbar.

Später taucht hier ein Gericht auf, das Skillet Großmutter heißt. Ich las flüchtig Skelett Großmutter und dachte, das sei so eine Nebenbei-Speise, etwas zum Knabbern vielleicht. Ich war schon abgehärtet, vorher stand auf der Karte Milch Welpen, dann auch noch Ausgehärtete Schweinelende. (Dafür, dachte ich kurz, muss man ja nicht nach Andalusien reisen, die gibt es auch in vielen deutschen Gaststätten: wirklich gut ausgehärtete Schweinelende.)

Später meldete sich bei mir aber Herr K., der am Sprachenzentrum der Universität Augsburg arbeitet. Er hatte bei einer Lesung gehört, wie ich vom Skelett Großmutter erzählte, und wollte das Rezept wissen, aus rein sprachwissenschaftlichem Interesse, versteht sich. Ich sah nach, entdeckte Skillett Großmutter und konnte die Sache klären.

Ich schrieb Herrn K.: »Schaut man aber nach, wie das Gericht auf Spanisch heißt, entdeckt man: Sartén de la abuela. Sartén ist, das wissen Sie besser als ich, die Pfanne, und korrekterweise heißt das Gericht auf der Karte in Englisch dann auch wirklich Grandmother’s pan. Im Englischen gibt es aber eine zweite Bedeutung für Sartén oder eben die Pfanne, das ist: skillet. Und seltsamerweise ist dieses Wort bei der Übertragung ins Deutsche einfach stehen geblieben. Man muss dazu wissen, dass Übersetzungsmaschinen, soweit ich weiß, nicht direkt vom Spanischen ins Deutsche übersetzen, sondern auf dem Umweg über das Englische. Und so ist Skillet vermutlich ins Deutsche gekommen.«

Soweit also das Erklärbare.

Wir kommen an die erwähnte Grenze, die zum Unerklärlichen.

Wir betreten Sprachland.

Denn auf der Karte gibt es auch etwas zu bestellen und dann zu essen, das heißt: Herzeleid Meer in rosa Sauce. Im Spanischen sind das Boquitas de mar in salsa rosa – und nie habe ich eine Erklärung gefunden, wie man von diesem Gericht, es handelt sich um einen Salat mit Krebsfleisch, zu Herzeleid Meer in rosa Sauce kommt.

Es war mir auch irgendwann egal.

Ich habe mich einfach gefreut, dass man, passend vielleicht zu einem großen Liebeskummer oder sonstigem emotionalen Leiden, etwas zu essen bestellen kann. Ich stellte mir vor, wie Menschen sich schluchzend in den Armen liegen und nebenbei Herzeleid löffeln, wie sie den Wirt rufen und noch eine Schüssel Herzeleid verlangen.

Und wie der Wirt es weinend serviert.

Nun sind wir im Unerklärlichen. Und es geht weiter, noch sehr viel weiter, Speisekarte um Speisekarte um Speisekarte …

Ich habe keine Erklärung, wie man fünf knusprige Topf Aufkleber mit einem traditionellen Boden-Schweine-Gemisch mit einer servieren kann. Es ist mir ein Rätsel, was unter Wir werfen gehackte Lacinato Grünkohl mit asiatische Birne Streichhölzer, zerkleinert zu verstehen ist. Ich verstehe nicht, wie man Garnelen und Shrimps mit einer Lötlampe brät. Ich könnte mir noch vorstellen, eine Caprihose zu braten – aber wie esse ich sie? Und was ist unter einer Rundbohnentaschenlampe zu verstehen, als Lebensmittel, meine ich? Und wie kaue ich Kleiderbügel gefüllt mit gegrilltem Käse und Schinken, die in Kroatien im Angebot waren?

All diese Dinge finden sich exakt und genau so auf Speisekarten aus aller Welt, die mir vorliegen.

In Sprachland sind das Selbstverständlichkeiten: wird gekocht, kommt auf den Tisch, man isst es. Ja, auf der Karte eines japanischen Lokals fand sich Gesokara, das sind normalerweise frittierte Tintenfischtentakel, fried octopus hieß das im Englischen.

Aber dann, aber dann: frittierte Oktopuste, ist das nicht ungeheuer?

Dass man den Atem eines Meerestieres einfängt, in sprudelndem Fett zubereitet und isst? Es raubt mir selbst meine Menschenpuste: So etwas ist möglich. Und dass – ja, es wird noch großartiger! – in einem Restaurant auf Madeira, das zu Portugal gehört, Bolo do Caco angeboten wurde. Bolo heißt eigentlich Kuchen, aber es handelt sich eher um ein kreisrundes Brot aus einer Mischung aus Süßkartoffeln und Weizen, auf einer kreisförmigen Platte, dem caco, in einem Holzofen gebacken. Dieses Brot kann man mit allem Möglichen füllen. In unserem Restaurant tat man Salat hinein, auch Thunfisch oder ein Omelett, am Schluss der Karte aber auch Freuden des Meeres und, nun kommt’s, Sprache Kuh.

Das ist noch einmal eine Steigerung zur Oktopuste, nicht wahr? Man erinnert sich an Doktor Dolittle, der die Sprache der Tiere verstand und sprach, aber dass man die Sprache der Kuh nicht bloß hören und interpretieren, sondern auch in ein Brot füllen und essen kann, das gibt es natürlich nur in Sprachland, nirgendwo sonst.

Und nur hier finden wir auf der Empfehlungsliste eines Steaklokals 250 Gramm Top Blade – geschälter Stock saftiges und zartes geschältes Plexiglas. Muss man nur lange genug braten. Oder kochen. Dann geht’s schon.

Notfalls gibt es einen Hammer dazu, siehe oben, die Maltagliati mit Hammer, Sie erinnern sich?

Aber wie isst man Gummifrikadellen, die in Worms angeboten werden. Direkt unter dem Schild einer Möbelreklame hing da ein kleineres mit folgender Aufschrift:

Inegöl Köftecisi sirinler Gummifrikadellen.

Eine Kollegin, deren Vorfahren in der Türkei lebten, schrieb mir dazu: »Köfteci ist der ›Köftemacher‹. Köfte sind quasi türkische Fleischpflanzerl, Frikadellen etc. Inegöl ist eine Stadt. In der Türkei gibt es ganz viele Köfte-Varianten und der macht wohl die Variante aus Inegöl. Also der ›Inegöl-Köftemacher‹. Die zeichnet sich dadurch aus, dass sie kaum gewürzt ist, nur mit Zwiebeln. Das Fleisch ist sehr fein gewolft, es kommt Backpulver rein, Semmelbrösel oder aufgeweichtes Brot kommt meistens nicht in diese Köfte, deshalb ist die Konsistenz dann ein bisschen gummiartig. Und şirinler, also das, was vor ›Gummifrikadellen‹ steht, bedeutet ›die Niedlichen‹. Şirinler werden in der Türkei auch die Schlümpfe genannt.«

Das hätten wir also.

Und wenn wir gerade bei Frikadellen sind: Frau B. entdeckte in der Türkei einmal ein Gericht namens Mädchen und Knödel, in der Landesprache hieß es Anali Kizli Köfte, was Mütter und Töchter Fleischbällchen heißt, ein schöner Name, aber die Türken haben für viele ihrer Gerichte tolle Namen, ich erinnere nur an Der Imam fiel in Ohnmacht oder Dem Sultan gefällt’s. Die großen Bällchen stehen hier für die Mutter (Ana), die darin enthaltenen kleinen Bulgurkugeln für das Mädchen bzw. die Tochter (Kız). Beim Übersetzen sind dann die Mütter einfach verschwunden. Und auf einem Hotelbuffet in Side an der türkischen Riviera fand sich einmal die Schmerzen Frikadelle, das waren im Türkischen Tekila Aromali Acili Köfte, was mir ein liebenswürdiger Türkisch sprechender Kollege als Scharfe Köfte mit Tequila-Aroma übersetzte, wozu er aber gleichzeitig anmerkte, acili heiße nicht nur scharf, sondern auch in Trauer, daher kämen wohl die Schmerzen.

 

Vielleicht aber auch von der Schärfe.

Oder vom Hammer.

Lyrik ohne Absicht

Mittags im Schnellimbiss

Bestellung seine Exzellenz machenIn der Kasse(Kasten)Dann dient man zu Ihnen,Hat GerechnetDanke

Aushang an einem Schnellimbiss

in Carcassonne 2015

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