Energiepolitik und Elektrizitätswirtschaft in Österreich und Europa

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Grünbuch der Kommission vom 14. Juni 2006



Ein sehr wichtiges Dokument für die gesamte Energiepolitik der Europäischen Union bis zum heutigen Tag war das Grünbuch der Kommission vom 14. Juni 2006 „Eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie“

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, in dem erstmals ganz klar die drei primären Ziele der Energiepolitik explizit genannt wurden:



• Nachhaltigkeit



• Wettbewerbsfähigkeit



• Versorgungssicherheit



Darüber hinaus definierte das Grünbuch sechs vorrangige Bereiche für die europäische Energiepolitik der Zukunft:



• Energie für Wachstum und Beschäftigung in Europa: Vollendung der europäischen Binnenmärkte für Strom und Gas



• Ein Energiebinnenmarkt, der die Versorgungssicherheit gewährleistet: Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten



• Sichere und wettbewerbsfähige Energieversorgung: hin zu einem stärker nachhaltig ausgerichteten, effizienteren und vielfältigeren Energieträgermix



• Ein integrierter Ansatz für den Klimaschutz



• Innovation fördern: ein strategischer Plan für europäische Energietechnologien



• Auf dem Weg zu einer kohärenten Energieaußenpolitik






Der Vertrag von Lissabon 2007



Mit den Verträgen von Amsterdam 1999 und Nizza 2001 wurde die Europäische Union im Wesentlichen auf die Beitritte vieler Staaten des ehemaligen Ostblocks vorbereitet. Mit dem Beitritt von Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern im Jahr 2004 und Bulgarien und Rumänien im Jahr 2007 umfasste die Europäische Union nunmehr 27 Mitgliedstaaten.



Eine ganz wesentliche Weichenstellung hinsichtlich der energiepolitischen Zuständigkeiten und eine klare Festlegung der energiepolitischen Kompetenz der Europäischen Union erfolgte mit dem Vertrag von Lissabon 2007

29

. Er reformierte in erheblichem Umfang den Vertrag über die Europäische Union (EU-Vertrag) und den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag). Letzterer sollte fortan Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU-Vertrag)

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 heißen.



Erstmalig wurde dem Thema Energie ein eigenes Kapitel gewidmet und festgestellt, dass Energiepolitik grundsätzlich in die Kompetenz der EU fallen sollte. Die entscheidende Rechtsgrundlage für die weitere Energiepolitik der Europäischen Union ist der Artikel 194 des AEU-Vertrages

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, der aufgrund seiner Bedeutung nachfolgend im Wortlaut angeführt wird.








Titel XXI – Energie Artikel 194







(1) Die Energiepolitik der Union verfolgt im Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten im Rahmen der Verwirklichung oder des Funktionierens des Binnenmarkts und unter Berücksichtigung der Notwendigkeit der Erhaltung und Verbesserung der Umwelt folgende Ziele:







a) Sicherstellung des Funktionierens des Energiemarkts;







b) Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit in der Union;







c) Förderung der Energieeffizienz und von Energieeinsparungen sowie Entwicklung neuer und erneuerbarer Energiequellen und





d) Förderung der Interkonnektion der Energienetze

.



(2) Unbeschadet der Anwendung anderer Bestimmungen der Verträge erlassen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die Maßnahmen, die erforderlich sind, um die Ziele nach Absatz 1 zu verwirklichen. Der Erlass dieser Maßnahmen erfolgt nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen

.



Diese Maßnahmen berühren unbeschadet des Artikels 192 Absatz 2 Buchstabe c nicht das Recht eines Mitgliedstaats, die Bedingungen für die Nutzung seiner Energieressourcen, seine Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung zu bestimmen

.



(3) Abweichend von Absatz 2 erlässt der Rat die darin genannten Maßnahmen gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments, wenn sie überwiegend steuerlicher Art sind

.



Damit ist die Kompetenz der Europäischen Union in Energiefragen eindeutig festgelegt. In nationalstaatlicher Kompetenz bleiben gemäß Absatz 2 lediglich das Recht, „die Bedingungen für die Nutzung seiner Energieressourcen, seine Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung zu bestimmen“, wobei dieses auch gemäß Artikel 192 an die Europäische Union derogiert werden kann, allerdings nur nach Einhaltung eines besonderen Verfahrens

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, das einen einstimmigen Beschluss des Rates nach Anhörung des Europäischen Parlaments, des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen voraussetzt. In diesem Fall können das Europäische Parlament und der Rat auch Maßnahmen beschließen,

„welche die Wahl eines Mitgliedstaats zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung erheblich berühren.“

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Eine weitere sehr wichtige Änderung brachte der Vertrag von Lissabon 2007. Der gesamte Gesetzgebungsprozess der EU wurde novelliert und hat bis heute in dieser Form Gültigkeit, deswegen erfolgt eine kurze Erläuterung im nachfolgenden Kapitel.






Der Gesetzgebungsprozess in der EU nach Lissabon 2007



Der Gesetzgebungsprozess der Europäische Union unterscheidet sich grundlegend von den üblichen Verfahren der Gesetzgebung in den Mitgliedstaaten. Es gibt derzeit zwei Arten von Rechtsakten: Richtlinien und Verordnungen. Im Entwurf zum EU-Verfassungsvertrag, der durch Referenden in Frankreich und den Niederlanden 2005 abgelehnt wurde, war eine Änderung der Bezeichnung dieser Rechtsakte vorgesehen. Richtlinien sollten demnach „Europäische Rahmengesetze“ heißen, Verordnungen „Europäische Gesetze“. Bezeichnungen, die den Charakter dieser Rechtsnormen sicher besser wiedergeben, aber an politischen Widerständen gescheitert sind und deshalb im Vertrag von Lissabon 2007 nicht übernommen wurden. Die Rechtsakte des sekundären Unionsrechts heißen somit weiterhin Richtlinien und Verordnungen.



Eine

Richtlinie

 ist ein Rechtsakt des sekundären Unionsrechts, in dem von allen EU-Ländern zu erreichende Ziele festgelegt werden.

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 Richtlinien gelten nicht unmittelbar, sondern müssen erst von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgewandelt werden. Es bleibt den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen, wie sie die Richtlinien umsetzen. Sie haben also bei der Umsetzung der Richtlinie einen gewissen Spielraum. Wenn die Richtlinie allerdings die Einführung konkreter Berechtigungen oder Verpflichtungen verlangt, muss das nationalstaatliche Recht, das ihrer Umsetzung dient, entsprechend konkrete Berechtigungen oder Verpflichtungen begründen.

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Eine

Verordnung

 ist ein Rechtsakt des sekundären Unionsrechts mit allgemeiner Gültigkeit und unmittelbarer Wirksamkeit in den Mitgliedstaaten.



Beschlüsse

 (meist des Rats oder der Kommission) sind für diejenigen verbindlich und unmittelbar anwendbar, an die sie gerichtet sind. Ein Beschluss kann beispielsweise an ein EU-Land oder ein einzelnes Unternehmen gerichtet sein.



Empfehlungen

 sind nicht verbindlich und haben keine unmittelbaren rechtlichen Konsequenzen. In einer Empfehlung können die Institutionen der Europäischen Union ihre Ansichten äußern und Maßnahmen vorschlagen, ohne dass dies für diejenigen, an die sich die Empfehlung richtet, rechtlich bindend wäre.



In einer

Stellungnahme

 können sich die Institutionen in unverbindlicher Form zu einem Sachverhalt äußern.

Stellungnahmen

 können von der Kommission, dem Rat, dem Europäischen Parlament sowie dem Ausschuss der Regionen und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss abgegeben werden.



Gesetzgebung in der EU ist Aufgabe des

institutionellen Dreiecks“, bestehend aus Europäischer Kommission, Europäischem Parlament und Rat der Europäischen Union

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.



Bei der Annahme der Rechtsakte wird zwischen dem „ordentlichen Gesetzgebungsverfahren“ (früher Mitentscheidungsverfahren), bei dem das Parlament mit dem Rat gleichberechtigt ist, und den „besonderen Legislativverfahren“ unterschieden, die nur für besondere Fälle gelten, bei denen dem Parlament nach wie vor nur eine konsultative Rolle zukommt.



Das Mitentscheidungsverfahren wurde 1992 mit dem Vertrag von Maastricht eingeführt, 1999 wurde seine Anwendung mit dem Vertrag von Amsterdam ausgeweitet. Mit dem Vertrag von Lissabon 2007 wurde das Mitentscheidungsverfahren in „ordentliches Gesetzgebungsverfahren“ umbenannt. Seitdem wird es als Beschlussfassungsverfahren für die Annahme der meisten Rechtsvorschriften der EU angewandt. Es gilt für rund 85 Politikbereiche. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren läuft grundsätzlich in folgenden Schritten ab

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:



1. Die Kommission unterbreitet dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Vorschlag.



2. Der Rat und das Parlament nehmen einen Gesetzgebungsvorschlag entweder in erster oder in zweiter Lesung an.



3. Erzielen beide Organe in zweiter Lesung keine Einigung, wird ein Vermittlungsausschuss einberufen.



4. Ist die vom Vermittlungsausschuss vereinbarte Fassung in dritter Lesung für beide Organe annehmbar, wird der Rechtsakt erlassen.



Wird ein Gesetzgebungsvorschlag zu einem beliebigen Zeitpunkt des Verfahrens abgelehnt, oder können das Parlament und der Rat keinen Kompromiss erzielen, so wird der Vorschlag nicht als Rechtsakt erlassen und das Verfahren endet. Das Recht, einen Gesetzesvorschlag zu machen, das legislative Initiativrecht, kommt der Kommission

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 zu. Das Europäische Parlament und der Rat haben dieses Recht nicht.

 



Neben dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gibt es noch das Zustimmungsverfahren: Auf Vorschlag der Kommission einigt sich der Rat auf ein Gesetz, das er dem Europäischen Parlament zuleitet. Das Parlament hat zwar keine Möglichkeit, Änderungsvorschläge zu machen, muss aber dem Gesetz seine Zustimmung erteilen. Dieses Verfahren, das dem Parlament gleichsam ein Vetorecht zuweist, greift unter anderem bei völkerrechtlichen Verträgen der EU mit Drittstaaten, die erhebliche finanzielle Folgen für die Gemeinschaft haben, bei Verträgen zum Beitritt oder zur Assoziierung weiterer Staaten. Auch bei der Erweiterung der Befugnisse der Europäischen Zentralbank und der Festlegung eines einheitlichen Verfahrens für die Europawahl muss das Parlament seine Zustimmung geben. Weitere mögliche Verfahren von untergeordneter Bedeutung sind das Anhörungs- oder Konsultationsverfahren und das Verfahren der Zusammenarbeit.








Quelle

: Eigene Darstellung; Daten aus:

https://eur-lex.europa.eu/statistics/legal-acts/2018/legislative-acts-statistics-by-type-of-act.html



Obenstehende Graphik gibt einen Überblick über die Anzahl, Art und erlassende Institution aller Rechtsakte der Europäischen Union in den Jahren 2015–2018.



Demokratiepolitisch interessant sind die Abstimmungsregeln und Quoren im Rat. Alle Beratungen und Abstimmungen des Rates sind öffentlich. Für die Annahme von Beschlüssen ist in der Regel eine qualifizierte Mehrheit ausreichend. Diese ist erreicht, wenn mindestens 55 % aller Länder (das sind derzeit 16 von 28, bei einem Austritt des Vereinigten Königreichs würden dann schon 15 von 27 reichen), die außerdem mindestens 65 % der EU-Gesamtbevölkerung stellen, zustimmen. Zur Verhinderung eines Beschlusses sind mindestens 4 Länder erforderlich, die mindestens 35 % der EU-Gesamtbevölkerung stellen. In ausgewählten Bereichen (etwa Außenpolitik oder Steuern) ist Einstimmigkeit im Rat erforderlich.






Das 3. Energiebinnenmarktpaket 2009



Ein großer Fortschritt zur Verwirklichung des Energiebinnenmarktes wurde am 13. Juli 2009 in der Schaffung eines EU-weiten institutionellen und regulatorischen Rahmenwerks mit der Verabschiedung des „3.Energiebinnenmarktpakets“ 2009 durch das Europäische Parlament und den Rat erreicht.



Neben der „3. Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie“

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 und der „3. Gasbinnenmarktrichtlinie“

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 regelte das Paket durch 3 Verordnungen die Netzzugangsbestimmungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel

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, die Bedingungen für den Zugang zu Erdgasfernleitungsnetzen

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 und die Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER)

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. Das 3. Energiebinnenmarktpaket 2009 brachte folgende Verbesserungen und Neuerungen:



• Die weitere Umsetzung der Trennung von Erzeugung, Netzbetrieb, Verteilung und Stromhandel, nunmehr auch auf der Ebene des Eigentums

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.



• Eine Stärkung der Überparteilichkeit, Transparenz und Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden.



• Eine Erhöhung der Kundenrechte in Bezug auf Informationen und leichteren Wechsel des Anbieters.



• Die Gründung eines Europäischen Verbands der Übertragungsnetzbetreiber für Strom, dem „European Network of Transmission System Operators for Electricity,

ENTSO-E

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.



• Die Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, der „Agency for the Cooperation of Energy Regulators“ (

ACER

)

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.



Inhaltlich ist auch die am 21. Oktober 2011 beschlossene REMIT-Verordnung

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, mit der unter anderem die Aufgabenbereiche von ACER um das Monitoring über die Großhandelsmärkte erweitert wurden, noch dem 3. Energiebinnenmarktpaket zuzurechnen.



In Österreich wurden die Änderungen im Strombereich durch eine Novelle zum El-WOG 2010 und durch das Energie-Control-Gesetz 2010

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 in nationalstaatliches Recht umgesetzt. Mit einer weiteren Novelle zum ElWOG am 7. August 2013

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 wurden die Struktur und Kompetenzen der E-Control, Konsumentenschutzrechte und Rechtsschutznormen den Bestimmungen des 3. Binnenmarktpakets angepasst.



Die Verwirklichung des Energiebinnenmarktes für Strom und Gas war seit dem Vertrag von Maastricht 1992 bis zum 3. Energiebinnenmarktpaket 2009 das dominierende strategische Ziel der Europäischen Union. Dieses Ziel war nun weitestgehend erreicht.



Demnach kann in weiterer Folge das Augenmerk auf die weiteren drei primären Ziele der Energiepolitik der Europäischen Union und deren Entwicklung von der Jahrtausendwende bis zum Jahr 2016 gelegt werden:



• Nachhaltigkeit



• Wettbewerbsfähigkeit



• Versorgungssicherheit



Das Ziel der Wettbewerbsfähigkeit ist zentrales Element der Verwirklichung des Energiebinnenmarktes für Strom und Gas. In ihm ist das Ziel der Wirtschaftlichkeit implizit enthalten, da nach Ansicht der EU der Energiebinnenmarkt eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Marktes bringt und damit der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft helfen wird, die Preise so niedrig wie möglich zu halten und die Angebotsstandards für die Kunden zu erhöhen.



Daher wird in den nächsten beiden Kapiteln die Entwicklung der Energiepolitik der Europäischen Union hinsichtlich der Ziele Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit in der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft bis zum Jahr 2016 dargestellt, wobei festgestellt werden kann, dass die Verwirklichung des Energiebinnenmarktes auch erhebliche positive Effekte auf das Ziel der Versorgungssicherheit hat, da viele Vorschriften der Binnenmarktpakete auch gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen zur Vermeidung einer Unterbrechung der Energieversorgung vorsehen.






DIE UMSETZUNG DER VERSORGUNGSSICHERHEITSZIELE BIS 2016



Das Ziel der Sicherstellung der energiepolitischen Versorgungssicherheit war seit Anbeginn des europäischen Integrationsprozesses im Jahr 1951 ein zentrales europäisches Thema. Über lange Jahrzehnte war es jedoch auf die beiden wichtigsten Primärenergieträger Kohle und Erdöl beschränkt. Erst mit dem Vertrag von Maastricht 1992 und den ab dann entwickelten energiepolitischen Zielen der Europäischen Union rückte die Elektrizitäts- und Gaswirtschaft in den Fokus. Nachfolgend werden die für diese beiden Bereiche der Energiewirtschaft relevanten Entwicklungen dargestellt.



Im Grünbuch der Kommission vom 29. November 2000

Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit“

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 wird zunächst vor allem die Gefahr der Importabhängigkeit Europas von fossilen Energieimporten aus Russland und dem Nahen Osten angesprochen. Interessant ist, dass bereits in diesem Dokument Maßnahmen zur Eindämmung des Energieverbrauchs und Investitionen in erneuerbare Energien unter dem Gesichtspunkt der Erhöhung der Versorgungssicherheit diskutiert werden.



Ein bedeutender Rechtsakt der Europäischen Union ist die Richtlinie vom 18. Jänner 2006 über Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Elektrizitätsversorgung und von Infrastrukturinvestitionen.

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 In dieser werden Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Elektrizitätsversorgung festgelegt. Insbesondere geht es um Fragen ausreichender Erzeugungskapazitäten, der Stabilität des Netzes und der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten untereinander.



Dazu stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Übertragungsnetzbetreiber Mindestbetriebsregeln und -verpflichtungen für die Netzsicherheit festlegen, sie gewährleisten außerdem, dass zusammengeschaltete Übertragungsnetzbetreiber rechtzeitig und effizient Informationen über den Betrieb der Netze austauschen, und verpflichten sie, die Verfügbarkeit angemessener Erzeugungskapazitätsreserven für Ausgleichszwecke zu gewährleisten.



Die Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht erfolgte in Österreich am 23. Mai 2006 mit dem Energie-Versorgungssicherheitsgesetz 2006

52

.



Neben der Sicherheit der Elektrizitätsversorgung im täglichen Betrieb sind aus Gesichtspunkten der Versorgungssicherheit selbstverständlich auch der Schutz und die Sicherung der Erzeugungsanlagen, Umspannwerke und Stromnetze selbst von großer Bedeutung, und zwar insbesondere dann, wenn sie der so genannten „kritischen Infrastruktur“ zuzurechnen sind.



Am 12. Dezember 2006 legte die Kommission

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 ihre Grundsätze und Instrumente dar, die zur Umsetzung des Europäischen Programms für den Schutz kritischer europäischer und nationaler Infrastrukturen (EPSKI) erforderlich sind. Das Programm ist unter seinem englischen Namen, European Programme for Critical Infrastructure Protection (EPCIP), besser bekannt. Das Programm sollte unter anderem folgende Komponenten haben:



• Ein Verfahren zur Ermittlung und Ausweisung kritischer europäischer Infrastrukturen und ein gemeinsames Konzept für die Bewertung der Notwendigkeit, den Schutz derartiger Infrastrukturen zu verbessern.



• Maßnahmen zur Erleichterung der Durchführung des Programms einschließlich eines Aktionsplans, eines Warn- und Informationsnetzes für kritische Infrastrukturen, der Einsetzung von EU-Sachverständigengruppen zu Fragen des Schutzes kritischer Infrastrukturen, des Austauschs von Informationen sowie der Ermittlung und Analyse von Abhängigkeiten.



• Unterstützung der Mitgliedstaaten im Bedarfsfall im Hinblick auf die Sicherheit kritischer nationaler Infrastrukturen.



Der erste Punkt wurde mit der Richtlinie des Rates vom 8. Dezember 2008

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 über die Ermittlung und Ausweisung europäischer kritischer Infrastrukturen und die Bewertung der Notwendigkeit, ihren Schutz zu verbessern, umgesetzt. Die Richtlinie gibt Parameter für die Bestimmung europäisch kritischer Infrastrukturen vor, fordert die Erstellung von Sicherheitsplänen und die Bestimmung von Sicherheitsbeauftragten und normiert ein entsprechendes Berichtswesen. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Definitionen des Rates, was unter einer kritischen Infrastruktur von nationaler und europäischer Bedeutung zu verstehen ist:



„Kritische Infrastruktur“

: die in einem Mitgliedstaat gelegene Anlage, ein System oder ein Teil davon, die von wesentlicher Bedeutung für die Aufrechterhaltung wichtiger gesellschaftlicher Funktionen, der Gesundheit, der Sicherheit und des wirtschaftlichen oder sozialen Wohlergehens der Bevölkerung sind und deren Störung oder Zerstörung erhebliche Auswirkungen auf einen Mitgliedstaat hätte, da diese Funktionen nicht aufrechterhalten werden könnten.



„Europäische kritische Infrastruktur“ oder „EKI“

: eine in einem Mitgliedstaat gelegene kritische Infrastruktur, deren Störung oder Zerstörung erhebliche Auswirkungen in mindestens zwei Mitgliedstaaten hätte. Die Tragweite dieser Auswirkungen wird anhand sektorübergreifender Kriterien bewertet. Dies schließt die Auswirkungen sektorübergreifender Abhängigkeiten auf andere Arten von Infrastrukturen ein.



Das österreichische Hochspannungs-Übertragungsnetz der

APG

 und die Erdgasstation Baumgarten sind nach diesen Kriterien jedenfalls „europäische kritische Infrastruktur“ im Sinne der Richtlinie.



Österreich hat in weiterer Folge bereits im Jahr 2008 mit Beschluss der Bundesregierung vom 2. April 2008 das erste österreichische Programm zum Schutz kritischer Infrastrukturen (Masterplan APCIP 2008) und im Jahr 2014 mit Beschluss des Ministerrats vom 4. November 2014 den neuen Masterplan APCIP 2014 angenommen

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, der auch die Bundesländer auffordert, Programme zum Schutz regionaler Infrastrukturen zu erstellen.



Die Bedeutung der Übertragungsnetze als „europäische kritische Infrastruktur wurde von der Kommission im Jahr 2013 nochmals explizit bestätigt, als sie die bisherigen Umsetzungsergebnisse des EPCIP analysierte und in einem so genannten „Staff Working Docoment“ die weitere Vorgehensweise skizzierte:

“The Electricity Transmission Grid and the European Gas Transmission Network are networks without national boundaries, which mean that a failure of one portion of the network could propagate to other areas, potentially involving several countries.”

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Ein weiterer wichtiger Schritt, dessen Ziel es war, die Versorgungssicherheit im Elektrizitätssektor und Gassektor deutlich zu erhöhen, wurde mit der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. April 2013 zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur

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 gesetzt. Mit dieser Verordnung sollte der Bau von Strom- und Erdgasleitungen in gemeinsamem europäischem Interesse („Projects of Common Interest“, PCI) er