17

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

„Mensch, du blöder Idiot, wegen dir hat mich der Alte gerade zur Sau gemacht! Steh auf, du verdammter Idiot!“ Immer noch nicht die geringste Reaktion. Ich tippe Heinz mit dem Stiefel in die Seite. Nur leicht, aber energisch. Da springt er auf, wie vom Blitz getroffen und ballt seine Faust, die mich mit voller Wucht am Kinn trifft. Bums! Ich gehe zu Boden wie ein nasser Sack. Heinz hat mich kalt erwischt. Mit einem Gesichtsausdruck, der sich mit dem eines Wahnsinnigen vergleichen lässt, droht Heinz über mir, fuchtelt mit seinen Armen und lässt verbale Hasstiraden auf mich herabregnen.

„Was zum Geier ist denn hier los?“ schreit der Feldwebel, der wie ein wild gewordener Eber um die Ecke schießt. „Reißen Sie sich zusammen, Friedrich! Los rauf mit Ihnen!“, staucht Gruber meinen Freund zusammen. Heinz aber bleibt wie versteinert stehen. Sein Blick haftet auf den verwirrten Gesichtszügen Werners.

Der hat das alles schweigend verfolgt. Am Boden kauernd hält er sich seinen lädierten Arm. Das Blut war wieder bedrohlich stark durch den Mullverband gesuppt.

Als hätte man an Heinz ein Ventil geöffnet, sackt er jetzt zusammen. Beginnt los zu flennen und vergräbt beschämt das Gesicht in seinen Händen. Anstatt weiter zu brüllen, lässt Gruber von ihm ab, geht langsam in die Hocke und legt seine Hand auf Heinz’ Schulter.

Dieser Anblick ist rührend, doch ich kann, auch wenn ich es bestimmt will, dabei nicht das Geringste empfinden.

Gruber versucht, was beinahe unmöglich scheint, Heinz wieder auf die Beine zu bekommen, denn für Rührseligkeiten war hier keine Zeit und ganz sicher auch kein Platz. „Jetzt reiß dich zusammen, Junge! Du willst doch, dass deine Mutter stolz auf dich ist! Komm jetzt hoch, wir müssen hier weg!“

Gruber hasst jedes Einzelne der Worte, die er soeben ausgesprochen hatte ... verachtet sich dabei selbst, da er es abscheulich fand, wie sehr er schon verweichlicht war.

Heinz rührt sich zitternd. Er sieht mich an, will etwas sagen, doch sein Mund bleibt geschlossen. Seine Augen haben sich in wässrig trübe Murmeln verwandelt, die leblos in seinem Gesicht hängen.

Die Panzerbesatzungen helfen uns, einige der Verwundeten, die transportfähig sind, auf ihren Maschinen zu platzieren. Wir stapeln sie regelrecht übereinander, sie brüllen vor Schmerzen, doch es hilft ja nichts, denn wir sollen schleunigst zusehen, dass wir die Fliege machen.

Im Schutz der Jagdpanzer laufen wir so schnell, wie unsere Beine uns noch zu tragen vermögen, zurück nach Jänkendorf. Sich sammeln und neu justieren, nennt man das.

Ein Kübel rast mit Karacho heran. Meinele steuert diesen gezielt an. Man kann beobachten, wie er Männchen macht und sich scheinbar mit seinem ganzen Körper den beiden Schirmmützchen im Kübel mitteilt.

„Der scheißt den Alten an“, sage ich zu Werner. Zu unser aller Verblüffung aber gibt der Fahrer des Kübels Gummi und sie rasen nur blöde herausgaffend an uns vorbei. „Keine Zeit zum Plausch was?“, feixe ich still.

Heinz sagt die ganze Zeit mal wieder nicht ein einziges Wort, latscht nur neben mir her, ausdruckslos und stumm wie ein Fisch. Ganz zu schweigen von Werner, der mich wohl hassen muss, da sich seine Art mir gegenüber leicht ins Aggressive gewandelt hat. So sehr, dass es mir schon Angst macht. Aber vielleicht liegt es am Umstand seiner bösen Verletzung.

All meine Freunde, mit denen ich die Sommer über ständig irgendwelchen Blödsinn verzapft habe, mit denen ich die Schulbank gedrückt habe, sie alle haben sich radikal gewandelt. Ich hätte es wissen müssen, damals schon, als Werner und Heinz von nichts anderem sprachen, als für den Führer in den Krieg zu ziehen, und wir uns die wildesten Gefechte lieferten, in unserer Naivität.

Damals schon, als ich die Wochenschau sah, im Kino sitzend, mit großen Augen, wenn die heroische Stimme des Sprechers die Taten der Wehrmacht glorifizierte, als wäre alles nur ein Abenteuer in Schwarz und Weiß. Damals habe ich es schon gewusst, dass sich das Ganze zu einem Albtraum verwandeln würde, denn ich hatte ja die Reise mit meinem Vater im Sommer 1940 nicht vergessen. Verdrängt, ja, vergessen, nein! Niemals!

Meinen Freunden erzählte ich kein Sterbenswörtchen darüber, bis jetzt habe ich meine Erlebnisse von damals für mich behalten. Aber hätte, hätte ich doch! Was für ein sinnloser Gedanke, etwas zu verändern, was bereits geschehen ist.

Der Weg nach Jänkendorf zieht sich, obgleich es geographisch gesehen ein Hüpfer ist. Als wir dort einlaufen, staunen wir nicht schlecht. Das Dorf hat sich in ein Aufmarschgelände verwandelt. Gut, etwas übertrieben! Aber da wurde, in Anbetracht der Umstände, noch einmal groß in die Waffenkammer hineingelangt. Panzerabwehrkanonen, leichte Panzerhaubitzen 10,5cm und schwerere vom Kaliber 18,5cm, die in Stellung gebracht werden. Selbst Flugabwehrgeschütze hat man in die Vorgärten gestellt, umfunktioniert zu Kanonen, die sich durch die Bäume recken. Welche Kompanie oder Gruppen sich da in Stellung bringen, unbekannt, aber es sind ganz offensichtlich Waffen-SS Verbände. Die haben auch einige Volkssturmmänner dabei. Alte hagere Fratzen die man, in grauen Filz gewandet, zig Gräben ausheben lässt.

Als sich die Jagdpanzer ins Dorf schieben, herrscht mit einmal ein übertrieben aufgescheuchtes Durcheinander, das mit Gemecker und Flüchen einherging, so, als ob wir der Feind wären und nicht der Bolschewik. Ein SS-Mann rennt auf uns zu, fuchtelt mit seinen Armen herum, schreit irgendwas und jagt den Panzerfahrern Schimpfworte entgegen, dass sie am liebsten über ihn drüber rollen würden. Der Alte springt dem entgegen und verlangt von dem SS-Mann, ihn darüber aufzuklären, was dessen affektiertes Verhalten eigentlich soll. Der SS-Mann entpuppt sich als ein Hauptsturmführer, was dem Feldwebel sofort eine stramme Haltung abverlangt.

„Was machen die denn hier im Ort? Die müssen weiter vor!“, höre ich den Hauptsturmführer brüllen. Die Panzerführer drehen den Dieselmotoren den Saft ab. Eine Wohltat für unsere Ohren. Dieser SS-Offizier hüpft regelrecht vor dem Feldwebel auf und ab, so aufgebracht scheint der zu sein. Eine klassische Nazi-Hupfdohle! Das Gesicht plustert sich wie bei einem Hahn, der sein Revier verteidigen möchte. Bald würde ihm der Dampf aus den Ohren kommen und ich verstehe diese ganze Aufregung nicht.

Der Alte kommt auf uns zu und befiehlt uns, die Verletzten von den Tanks herunter zu hieven und in einen der Vorgärten zu verbringen. Wir zerren die Kameraden herunter, legen sie auf Decken, bringen sie wie aufgetragen unter kahle Apfelbäume und warten ab, was wohl als Nächstes kommen würde. Der Alte verschwindet mit dem SS-Offizier in dem Postamt, das wir vor Tagen bereits inspiziert hatten.

Für eine geschlagene Stunde bleiben sie darin verschollen. Dann kommt er zurück. Er offeriert uns, dass man einen Transport für die Verwundeten geordert hat. ‘Gott sei Dank’, denke ich still, ‘dann kommt Werner wenigstens aus dieser Hölle raus’.

Die Panzerleute sitzen indes auf ihrem schweren Stahlgefährten, rauchen und warten darauf, dass der Feldwebel sich die Bestätigung ihrer dargebotenen Geschichte einholt. Der lange Panzerunterfeldwebel steht kerzengerade, als man sich ihm zuwendet. Nach kurzem Nicken und salutierender Grüße steigen sie in ihre Wannen zurück und bringen die Dieselmotoren auf Touren. In Formation walzen sie sich zum Ortsausgang. Auf Nimmerwiedersehen.

Ich sehe ihnen nach, danke im Stillen, und hoffe, dass sie es überstehen werden. Weiß Gott, wir könnten ihre Unterstützung wirklich brauchen!

Werner wimmert, sein Arm muss baldigst versorgt werden, die provisorische Bandage und Schienung würde nicht verhindern können, dass sich der Bruch entzündet. Blut hatte er schon zur Genüge verloren. Schmerzmittel sind auch nicht verfügbar. Das wenige Verbandsmaterial, das wir bei uns haben, würde allenthalben für Schürfwunden, Schnitte und Platzwunden genügen. Jedoch nicht für solch schwerwiegende Verletzungen, wie sie die Kameraden davongetragen haben. Vom Sani fehlt bereits jede Spur!

Ich kann nur hoffen, dass der Transport, den der Alte angekündigt hat, schnellstens hier eintrifft. Hauptsache, er kommt!

Ich gebe Werner etwas Wasser aus meiner Feldflasche, es ist nicht mehr frisch, aber es löscht den Durst. Heinz sitzt mir gegenüber, starrt unverändert wie abwesend zu mir rüber. Will er etwas zu mir sagen? Ein Wort oder einen Satz?

Die Kameraden auf ihren Decken wälzen sich, biegen und krümmen sich vor Schmerzen, faseln und fantasieren vor sich hin, sind zwischen Wachen und Dahindämmern. Vielleicht erbarmt man sich ihrer und lässt sie noch einmal von ihren Lieben daheim träumen, bevor sie sich in die Kolonnen derer einreihen, die bald hinüber gehen müssen.

Der Feldwebel steht mitten auf der Straße, die sich durch den Ort schlängelt wie eine Ringelnatter im Dorfweiher. Auf dieser erspähe ich den Unterscharführer Meinele wieder, wie er auf den Alten zugeht. Ich habe diesen recht undurchsichtigen Menschen völlig aus den Augen verloren, nun taucht er wieder auf. Meinele, den begreife ich irgendwie nicht.

Ich sehe den Alten dann wieder in dessen Uniformbluse kramen, er klopft sie nach etwas ab, wühlt, und als er gefunden hat, wonach er nervös plierte, kam ihm ein Seufzer über die Lippen. Wieder sieht er sich um, wie er es immer tut, wenn er in dem kleinen Buch blättert. Als wäre es ihm unangenehm, dass ihn jemand darauf anreden könnte, was denn der Inhalt dieses handgeschriebenen Werkes sei. Diesmal nimmt er eine Fotografie heraus und besieht sie sich andächtig.

Ich kann es spüren, wie er in dieses Bild hineintauchen will, sich danach sehnt, der Person auf dem Foto wieder so nah sein zu können, wie es sich sein geschundenes Herz seit langem wünscht. Doch die bittere Realität hält nichts von Gefühlsduselei und stellt sich erbarmungslos vor seine Hoffnung.

 

„Herr Feldwebel, Sie werden am Fernsprecher verlangt“, informiert ihn eine aufgeregte Stimme, die einem Funker gehört, welcher sich flinken Fußes wieder entfernt. Der Alte muss sich schnellstens wieder richten, zurückfinden, an die Kandare nehmen, in diesem verkorksten Wahnsinn.

„Gefreiter Hebrank!“, schellt es in meinen Ohren. Ich habe es kommen sehen, springe sogleich auf und renne auf ihn zu.

„Jawohl, Herr Feldwebel?“, melde ich bewusst zackig.

„Passen Sie auf unseren Haufen auf, lassen Sie sich von keinem anderen außer mir zu irgendwelchen Aufgaben verpflichten, verstanden?“, beordert mich der Alte.

„Jawohl, Herr Feldwebel“, versichere ich. Er macht scharf auf dem Absatz kehrt und läuft flugs retour wieder auf dieses ominöse Postgebäude zu. Ich tue, wie mir befohlen, und lasse meine Kameraden keine Sekunde aus den Augen. Was man wohl von ihm will? Sicher sagt man ihm jetzt, dass der Transport nicht kommen kann. Oder ein neuer Einsatz? Ein beschissener Einsatz? Wir gehen alle vor die Hunde! Ganz bestimmt!

Die Gedanken verselbstständigen sich hinter meiner Stirn. Heinz beginnt auf einmal herzhaft an zu lachen. Das macht mich völlig perplex, verstört mich derart, dass ich ihn wie belämmert anschnauze: „Was lachst du so blöd?“

„Mensch, Harry, mach dir nicht so einen Schädel, wir können ja sowieso nichts dagegen ausrichten“, gibt der völlig aus dem Zusammenhang gerissen von sich.

„Was ist los mit dir, Heinz?“, will ich von ihm wissen, um sein idiotisches Gehabe zu verstehen.

„Was mit mir los ist?“, bricht es, halb lachend, halb verzweifelt, aus ihm heraus, „Ja, hast du denn keine Augen im Kopf, Harry?“

Ich glotze ihn fragend an, werde nicht schlau aus ihm. „Du bist verrückt geworden! Du spinnst ja“, schiebe ich das Gebrabbel beiseite. Doch dann komme ich doch etwas in Fahrt. „Ich habe sehr wohl erkannt, wie sehr du dich verändert hast, alle haben wir uns verändert! Glaubst du, ich habe keine Angst? Du wolltest doch unbedingt hierher, Werner und Du!“

Heinz verschluckt sich regelrecht, bringt außer einem Gurgeln nichts mehr heraus. Sprachverlust! Habe ich bei Heinz noch nie erlebt! Das ist ein ein unverrückbares Indiz für dessen Veränderung. „Warum sagst nix? Hm? Mensch, wo ist der Heinz, den ich mal kannte, der fröhliche, starke und unerschütterliche Heinz, der mein Freund war? Wo ist er denn jetzt? Das gleiche gilt für Werner“, füge ich noch besonders betonend hinzu. Der eine dreht langsam durch, der andere wird vermutlich an Blutverlust oder Wundbrand sterben! Nach Heulen ist mir zumute, ich kann aber immer noch nicht. Bringe keine nennenswerte Träne heraus! Als hätte man all meine Tränenkanäle wasserdicht zugeschweißt.

„Jetzt hört endlich damit auf“, wirft sich Werner dazwischen. Der hat sich etwas aufgerichtet, sieht mich an, dann Heinz und schüttelt seinen blassen Schädel. Er ist sichtlich geschwächt. Er hat Mühe zu sprechen, presst die Worte mit letzter Kraft uns entgegen. „Ihr seid zwei Holzköpfe, wisst ihr das? Wir haben uns doch einmal geschworen, egal was passiert, immer fest zusammenzuhalten! Der Schwur, habt ihr den vergessen?“, kann Werner noch sagen, bevor ihm die Stimme wieder versagt.

Natürlich! Der Schwur, die Blutsbande, zelebriert im letzten Sommer, der sich heiß über das Thüringer Land legte.

Mit einer rostigen Klinge wandelten wir auf Winnetous und Old Shatterhands Spuren und ritzten uns die Unterarme auf. Beknackte Buben! Das war ein Schmerz! Blutsbrüder wollten wir sein, bis ans Ende unserer Tage. Was waren für doch für Träumer.

Nun spielt sich dieser Film wieder vor mir ab. Heinz lässt den Kopf hängen, schämt sich, das nehme ich jedenfalls an. Werner hat ja recht, uns mit ‘Holzköpfe’ zu titulieren. Ich gebe Werner was zu trinken, betrachte dabei Heinz, der sich ebenfalls sehr um Werner sorgt.

„Heinz, vergeben und vergessen?“, spreche ich ihn an und strecke ihm meine rechte Pfote entgegen, die auf einen Handschlag hofft. Heinz sieht zu mir her, setzt ein gequältes Lächeln auf, das sich über sein fahles Gesicht zerrt. Handschlag drauf! Werner beugt sich etwas zu uns herüber, legt seine gesunde Hand obenauf.

„Egal, was passiert, wir bleiben Brüder bis ans Ende unserer Tage!“ Es zerreißt mir beinahe die Pumpe! Aber etwas Hoffnung kehrt dadurch zurück. Sie wird begleitet von einem warmen Gefühl der Erleichterung, da man sich ein wenig vom inneren Schmutz befreien konnte. Was in Zukunft mit uns geschehen würde, ob wir sterben würden oder nicht, so soll doch nichts zwischen uns stehen, was der Einzelne am Ende sein Lebtag lang bereuen müsste.

„Manchmal bewundere ich dein Gemüt, Harry“, sagt Werner zu mir. Ich pliere ihn verdutzt an.

„Welches Gemüt? Was meinst du damit?“ Will er mich auf die Rolle nehmen?

„Na, ich meine, du scheinst das alles nicht so nah an dich heranzulassen?“, erklärt sich Werner schwerfällig.

„Das ist falsch, Werner! Völlig falsch“, gebe ich forsch zurück, offen durch solch eine Deklaration meines Wesens getroffen!

„Das war doch nicht böse gemeint, Harry, überhaupt nicht böse gemeint“, steuert Heinz jetzt gegen, „Werner hat recht! Dein Wesen ist, so unerklärlich das auch für mich ist, stärker als unseres“, lobhuldigt Heinz beinahe.

„So einen Quatsch habe ich ja schon lange nicht mehr gehört! Ich habe mir oft genug in die Hosen gemacht, während ihr beide mit keiner Wimper gezuckt habt“, rekapituliere ich die Tatsachen.

„Darum geht es doch überhaupt nicht, Harry! Tapfer oder nicht, was zählt das schon, wenn man nicht damit umgehen kann. Ich kann es offenbar nicht! Sei froh drum, Harry“, schlingert Heinz gerade nochmal die Kurve und wischt sich verlegen den Dreck aus seinem Gesicht.

„Wenn ihr wüsstet“, sage ich trotzig. „Wenn ihr nur wüsstet! Warum soll ausgerechnet ich besser mit all dem Unbegreiflichen um uns herum umgehen können?"

„Wenn wir was wüssten?“, kommt es jetzt im Duett. Die Erklärungsnot nimmt mich gefangen.

„Na gut! Ich habe es euch noch nie erzählt und ich weiß nicht, ob ich es überhaupt zur Sprache bringen soll.“ Beide mustern mich neugierig und durchdringend. Sie sind auf einmal ganz schweigsam, scheinen fast zum Zerreißen gespannt darauf zu erfahren, was jetzt denn wohl kommen könnte. Selbst Werner hat den lädierten Arm und die Schmerzen vergessen.

Ich habe mich verquatscht, sitze in der Falle und bin nun in Zugzwang. Warum soll ich es Ihnen erzählen? Sie würden meine Ideologie in Frage stellen, mich einen Verräter nennen, wenn ich mein Erlebtes preisgeben würde. Doch wir sind doch Blutsbrüder? Ich finde insgeheim keine passende Ausrede mehr.

„Ich glaube, dass der Alte bald wiederkommt, der hat sicher was zu tun für uns“, starte ich dennoch einen letzten Versuch, mich herauszuwinden.

„Jetzt lenk nicht ab, Harry! Sag schon, was sollten wir wissen?“ Ich könnte jetzt nur noch damit punkten, dass ich mich zornig gebe und darüber entrüstet meiner Wege ginge.

„Ach, das geht euch doch gar nichts an“, jaule ich verzweifelt, versuche es so glaubwürdig wie möglich ihnen vorzuspielen und entferne mich. „Pustekuchen!“

Fragende Gesichter sehen mir nach, ich kann ihre Blicke in meinem Rücken spüren. Verflucht noch eins! Ich kam nicht weit! Da hatten wir uns endlich ausgesprochen, uns als Freunde wieder und was mache ich? Also kehre ich wieder um. Sie schweigen, sehen mich fragend an. Verwirrte Blicke, die mich nervös machen.

„Na schön, ich werde es euch erzählen, aber ihr müsst mir schwören, dass es unter uns bleibt!“ Nickende Köpfe, gekreuzte Finger. „Ich habe euch doch von meinem Arbeitspraktikum erzählt, das ich während der Sommerferien 1940 bei meinem Vater machte? Das war kein Praktikum, sondern eine Strafaktion meines Vaters. Dessen Firma hatte dort einen großen Auftrag erteilt bekommen. Ich habe euch erzählt, dass er in München Dächer mehrerer Häuser reparieren sollte.“ Werner und Heinz erinnern sich. Sie nicken zwar, glotzen sich dennoch fragend an, weil sie nicht recht einen Reim drauf wissen, worauf ich denn nur hinaus will?

„Er war nicht in München. Sondern weiter außerhalb. In einem sogenannten Straflager bei Dachau. Und es waren auch keine Wohnhäuser, dessen Dächer repariert werden mussten, sondern es waren Barackendächer, welche er bauen sollte. Mein Betteln und Bitten hatte nichts genützt. Ich musste mit, da ich zuvor Riesenmist gebaut hatte. Ihr könnt es euch nicht vorstellen, was ich dort gesehen habe.“

„Wo warst du? Was war denn das für ein Straflager?“, wollen sie wissen. Ich sehe mich nach allen Seiten um, beuge mich etwas dichter zu beiden herüber und flüstere: „Na solche, für jüdische Menschen“, so als würde ich ihnen den Namen einer totbringenden Krankheit verraten. Heinz will das Wort laut aus seinem Mund poltern lassen, aber er schluckt es im letzten Moment noch einmal herunter.

„Man hat sie dort wie Vieh eingepfercht, wie das Stallvieh mussten sie in den Baracken hausen. Der Gestank war widerlich“, ergänze ich zitternd. Verstohlenes, ahnungsloses Gaffen! Der spinnt!

„Das glaub’ ich dir nicht, Harry“, wirft mir Heinz als erster entgegen.

„Mensch, genau deswegen wollte ich euch nichts davon erzählen. Wenn ihr nicht dort wart, könnt ihr es auch nicht glauben. Man hat den Männern die Köpfe rasiert und auch die der Frauen und Kinder. Ich werde ihre verzweifelten Blicke nicht mehr los! Wie sie in die Gebäude getrieben wurden, aus denen sie nicht wieder rauskamen! Sie verfolgen mich seither ständig! Das macht mich noch ganz irre!“

Ich pausiere, muss durchschnaufen. „Das war auch nicht nur ein Straflager, wie ich anfangs dachte. Dort wurde gemordet“, flüstere ich nun so leise, dass selbst ich es kaum noch hören kann.

„Was erzählst du uns da?“, echauffieren sich Werner und Heinz sichtlich aufgebracht.

„Aber es stimmt“, bestärke ich meine Aussage.

„Das ist nicht wahr, Harry, erzähle uns keine Märchen“, kapituliert Heinz endgültig und steht sichtlich irritiert auf. Ich erhebe mich ebenfalls, zerre Heinz an der Schulter, zwinge ihn, mich anzusehen.

„Du glaubst doch nicht wirklich noch immer diesen heroischen Käse! Sieh dich doch mal um“, fauche ich ihn an. Heinz schnauft aufgeregt, sein Herz schlägt ihm bis zum Hals, man kann seine Halsschlagader wild pochen sehen. „Straflager, sie nennen diese Lager auch Konzentrationslager! Wir selbst haben doch mit angesehen, wie jüdische Schüler von unserer Schule abgehen mussten! Stimmt es denn nicht, Heinz?“ Heinz atmet aufgeregt. Läuft einige Meter auf und ab.

Das kann, will er nicht glauben, was ich ihnen gerade erzählt habe. Im Grunde will das niemand glauben. Und doch wissen so viele davon. Tatsache!

„Es ist jedes Wort wahr, das kannst du mir glauben, Heinz, jedes Wort ist wahr! Und weißt du, was dort noch passiert ist?“ Heinz reißt sich los und dampft davon. Werner winkt mich wieder zu sich. „Erzähl mir noch mehr davon, Harry, ich will alles ganz genau wissen. Egal, was es ist!“

Ich setze mich also wieder, blicke ihm dabei tief in die Augen und sage: „Willst du das wirklich?“

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?