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Das Mormonenmädchen Erster Band

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»Trinke, mein süßes Kind,« sagte sie dann, den Knaben aufrichtend und die Tasse an seinen Mund haltend, »trinke nach Herzenslust, auch ich will ein Schlückchen nehmen, damit ich nicht entkräftet werde.«

Der Knabe trank mit vollen Zügen; die junge Frau dagegen betrachtete unterdessen mit einem Seitenblick den noch vollen Schlauch. Sie hatte ihn erst in der Frühe an einer Gebirgsquelle gefüllt, und mochte darüber nachsinnen, wo und wann sie die nächste Gelegenheit finden würde, sich mit einem neuen Wasservorrath zu versehen.

»Wenn der Inhalt nicht ausreichte,« flüsterte sie unbewußt, und ein leises Beben ergriff sie; »aber er muß ausreichen, wenn ich enthaltsam bin und mir nur den Gaumen netze. Das Wild wird mir schon rechtzeitig eine andere Quelle zeigen. Drei Tagereisen von hier soll ein Bach am Rande der Wüste dahinrieseln; gebrauchte ich auch vier, fünf Tage, so würde mein Knabe noch keine Noth leiden —«

In diesem Augenblick gab das Kind zu verstehen, daß es sich zur Genüge gelabt habe. Es waren noch einige Tropfen in der Tasse zurückgeblieben. Die Mutter netzte mit denselben, wie sie eben gesagt hatte, ihren Gaumen, und dann ihre geringen, aber unschätzbaren Habseligkeiten wieder vorsichtig zusammenpackend, traf sie Anstalt, ihre Wanderung fortzusetzen. Als sie aber ihren Knaben von der Erde aufheben wollte, da weigerte sich dieser, ihr Folge zu leisten. Ein leiser Wind war von Südwesten her aufgesprungen und trieb spielend lange Streifen leichter loser Sandtheilchen über den trügerischen Erdboden dahin. Die beweglichen Sandtheilchen aber hatten des Kindes Aufmerksamkeit erregt, und wie jüngst die Locken der Mutter, so suchte es jetzt diese sich anzueignen.

»Komm, mein Kind,« sagte die Mutter zärtlich, und ihr gramerfülltes Antlitz erhellte sich zu einem flüchtigen Lächeln, »komm, die Frühstunden eignen sich am besten zur mühevollen Wanderung; nachher, wenn wir erst eine größere Strecke zurückgelegt haben, dann wollen wir rasten und mit dem Sande spielen.«

»Spielen, spielen!« rief das Kind, sich eigenwillig auf die Seite werfend.

Die Mutter lächelte wieder, hob den Kleinen trotz seines heftigen Sträubens empor, befestigte ihn so vor sich in die Decke, daß er um sich zu schauen vermochte, und nachdem sie sodann ihren breitrandigen Strohhut etwas seitwärts gezogen, um dem Kinde Schutz gegen die hellen Strahlen der Sonne zu gewähren, ergriff sie ihren langen Wanderstab, und ohne Seufzer oder Klage, aber stets noch plaudernd mit dem Kinde, schritt sie gerade in die Wüste hinein. —

Die Sonne war um diese Zeit vollständig hinter der östlichen nackten Bergreihe hervorgetreten, und indem sie ein blendendes falbes Licht über die Ebene und die dünenartigen Sandanhäufungen nahe der Felsenkette verbreitete, erwärmte sie schnell die nahe dem Erdboden lagernden Luftschichten, daß diese, sich langsam mit den oberen kühleren vermischend, sichtbar in wellenförmiger Bewegung flimmerten und bebten. Der Wind strich leise dahin, und immer weiter dehnten sich die tanzenden Flugsandstreifen aus, auch in größerer Entfernung leicht erkennbar an der helleren Farbe.

Außer der wandernden Mutter mit ihrem Kinde war im weitesten Umkreise kein lebendes Wesen zu entdecken. Kein Laut, kein Ton, ob nun drohend oder jammernd, deutete darauf hin, daß die Natur auch in diesem traurigen Erdenwinkel vereinzelte ihrer Geschöpfe untergebracht habe. Es war, als habe ein Fluch auf der ganzen Landschaft geruht, ein Fluch, der jedes organische Leben schon im Keime erstickte, und nur das kümmerliche Gedeihen der den Menschen und Thieren feindlichen Dornengewächse gestattete.

Doch blind für alles dieses verfolgte die Wanderin ihren Weg. Sie hatte den nebelähnlichen Gipfel eines am nordwestlichen Horizont auftauchenden Berges zu ihrem Ziel gewählt, und unbekümmert um die tödtliche Einsamkeit, lenkte sie ihre Schritte auf denselben hin. Die zunehmende Wärme und die schwere Last trieben den Schweiß in Perlen von ihrer Stirn, allein sie achtete nicht darauf. Sie fühlte sich noch stark, so stark, als ob ihre Kräfte nie zu erschöpfen gewesen wären. Ihr Kind war eingeschlafen; vorsichtig vermied sie jede Bewegung, die dasselbe hätte wecken können, und mit innerer Zufriedenheit bemerkte sie, daß der Sand immer lustiger und höher vor dem wachsenden Winde dahinstäubte. Sie hoffte, ihren erwachenden Kleinen mit dem sonderbaren Schauspiele zu erfreuen; gewährte es ihr doch selbst einige Unterhaltung, zu beobachten, wie die weißen Streifen sich bald verlängerten, bald verkürzten, oder sich auch zu großen regsamen Flächen vereinigten und dann wieder schnell in kleine Felder auseinanderrissen.

Plötzlich fuhr sie, indem sie zur Seite schaute, erschreckt zusammen. Ihre Blicke waren auf einen klaren See gefallen, der seine zitternden Fluthen mit reißender Schnelligkeit bis auf etwa hundert Schritte an sie heranwälzte und sich dann zu beiden Seiten von ihr ausdehnte. Sie faßte sich indessen schnell wieder, und die Hand auf ihre Brust legend, wie um das heftige Pochen des Herzens zu beruhigen, blickte sie, ohne die Eile ihrer Schritte zu mäßigen, eine Zeit lang mit besorgnißvoller Theilnahme auf den trügerischen Wasserspiegel.

»O, wenn es doch Wasser wäre,« sagte sie mit einem tiefen Seufzer, »süßes, klares Wasser; ich brauchte dann nicht zu sparen. Aber es ist Täuschung, für den Durstigen bittere, martervolle Täuschung,« fuhr sie fort, als sie bemerkte, daß der See mit seiner leicht gekräuselten Oberfläche gleichen Schritt mit ihr hielt und, wenn sie sich ihm zu nähern trachtete, neckisch vor ihr zurückwich.

»Und dort die Inseln mit den schattigen Baumgruppen,« nahm sie nach einer längeren Pause ihr Selbstgespräch wieder aus, »wie würde mein Knabe sanft schlummern unter dem schattigen Laubdach, oder spielen am Rande des seichten Gewässers! Aber es ist Täuschung; dort verschwindet eine Insel, die Bäume schrumpfen zu Artemisia-Büschen zusammen, hier steigt eine andere Insel aus den Fluthen empor – aber ich will nicht mehr daraus hinblicken, es stimmt mich trübe.«

So sprechend, senkte sie die Augen vor sich auf die Erde, in welche ihre Füße stellenweise bis an die Knöchel einsanken.

Der Wind hatte sich erst wenig verstärkt, doch fiel es ihr auf, daß die Schicht des treibenden Flugsandes bedeutend höher geworden war, und die weißen Streifen nicht mehr, wie kurz vorher, auseinanderrissen, sondern, so weit die Luftspiegelung nicht den Erdboden mit einem bläulichen Schleier verhüllte, eine einzige bewegliche Decke bildeten.

Da fuhr ein heftigerer Windstoß über die Ebene, und indem die junge Frau ihre heiße Stirn demselben darbot, gewahrte sie, daß eine dichte Staubwolke den Spiegel des Sees trübte und zerriß.

»Ich werde meinem Knaben das schöne Schauspiel nicht mehr zeigen können, wenn der Wind noch zunimmt,« sagte sie, mit einer Anwandlung von Bedauern den zerstörten See betrachtend.

»Trinken!« rief das Kind mit noch geschlossenen Augen, im nächsten Augenblick hob es aber den Kopf empor, und mit dringenderem Ausdruck wiederholte es seinen Wunsch nach Wasser.

Die Mutter stand still und warf einen Blick rückwärts. Ueber der zurückgelegten Bahn lagerte ein dichter Schleier des treibenden Sandes; das Gebirge und der Paß waren aber noch sichtbar, und leicht berechnete sie, daß sie schon gegen sechs englische Meilen gewandert sei.

»Es ist freilich noch früh, aber trinken sollst Du, mein Kind,« sagte sie zärtlich, indem sie sich ihrer Bürde entledigte. »Ja, trinken und auch etwas essen, damit mein Engel keine Noth leidet.«

Mit diesen Worten öffnete sie das Säckchen mit dem Pinole, und nachdem sie von dem feinen, versüßten Mehl in die Tasse gethan, fügte sie so viel Wasser hinzu, bis dadurch eine Art von Suppe entstand.

Bei dieser Arbeit wurde sie daran gemahnt, daß ein Sturm in der Wüste doch wohl weniger harmlos sei, wie sie bis dahin geglaubt hatte, denn nur mit der größten Mühe vermochte sie den zudringlichen Sand, der geschickt jede kleine Oeffnung zu finden wußte, von dem Pinole und dem Wasser fern zu halten. Ernste Befürchtungen stiegen aber immer noch nicht in ihr auf, selbst auch dann noch nicht, als sie nach Befriedigung der Wünsche des Kindes die Wanderung wieder antrat und der wirbelnde Sand ihr schon bis über die Kniee reichte.

Der trügerische See war um diese Zeit wieder vollständig verschwunden; die junge Frau konnte daher die Aufmerksamkeit ihres Kindes nicht mehr auf den scheinbar Wellen schlagenden Wasserspiegel hinlenken, dafür aber gewährte der treibende Sand, der immer höher und höher stieg, ihm eine doppelte Unterhaltung, und mehrfach mußte die Mutter sich niederbeugen, um ihn nach den flüchtigen Sandtheilchen haschen zu lassen, die unhörbar und hastig der ihnen vom Winde angedeuteten Bahn nacheilten.

»Wenn die Masse nur nicht zu hoch steigt,« dachte die jetzt schon ermüdende Wanderin mit einem tiefen Seufzer, der in seltsamem Widerspruch stand zu dem Kreischen und Jubeln des entzückten Knaben. —

Doch der Sand und der zum Sturm anwachsende Wind nahmen keine Rücksicht auf das brechende Mutterherz oder auf das Engelsantlitz des kleinen Knaben. Heftiger wühlten die kreisenden Luftströmungen in dem losen Erdreich, höher und dichter jagten sich die falben Staubwollen. Schien es anfangs, als wate die Mutter mit dem Kinde in einem gelben See, so hätte man sie jetzt, aus der Ferne gesehen, für einen kühnen Schwimmer halten mögen, der, Kopf und Schultern über den Fluthen, mit aller Kraft gegen eine verderbliche Strömung ankämpfe. —

Die Besorgnisse der jungen Frau hatten sich schon längst in die ernstesten Befürchtungen verwandelt. Als sie aber die den Gaumen ausdörrenden Staub- und Sandtheilchen nicht mehr von dem Kinde fernzuhalten vermochte, und dieses einmal über das andere Mal winselnd und jammernd nach Wasser rief, da bemächtigte sich ihrer das furchtbarste Entsetzen. Sie wollte zurückeilen in den Schutz der Gebirgsschluchten und dort in der Nähe der Quelle eine Aenderung des Wetters abwarten; doch zu weit befand sie sich schon von dem Paß entfernt, und der Rest des Tages und ein Theil der Nacht wären darüber hingegangen, ehʼ sie, bei der nunmehr schon eingetretenen Erschöpfung, den ersehnten Schutz erreicht hätte. Sie fühlte, sie hatte sich zu viel zugetraut; auch sie besaß nur die Kräfte einer Sterblichen, und von einem Sandsturm, wie er jetzt ihr und ihres Kindes Leben bedrohte, hatte sie ja nie eine Ahnung gehabt.

 

Verzweifelnd blickte sie zu den fernen Gebirgszügen hinüber. Nur die höchsten Gipfel unterschied sie noch von ihrem niedrigen Standpunkte aus. Alles Uebrige war eine pfeilschnell dahinstreichende, erstickende Masse und blendender, unveränderlicher Sonnenschein, und immer lauter und schärfer pfiff der Wind.

Das Kind, nachdem es noch eine Weile gejammert und vergeblich gesucht hatte, durch Reiben mit den Händen den ätzenden Staub aus den Augen zu entfernen, hatte diese zuletzt gar nicht mehr zu öffnen gewagt, und war vor Schmerz und Erschöpfung wieder eingeschlummert. Die Mutter dagegen bot dem Unwetter noch immer Trotz, als die Sandschicht schon weit über ihren Kopf hinausragte. Der Berggipfel, nach welchem sie die Richtung ihrer Reise bestimmte, war ihr längst nicht mehr sichtbar; eben so waren die übrigen Gebirgszüge ihrem Gesichtskreise entschwunden. Nur der Wind und die Sonne blieben ihre Wegweiser, der Wind, der ihr mit schwereren und schärferen Steinchen die Haut peitschte, und die Sonne mit blutrother, durch den Sandnebel verfinsterter Scheibe.

Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den andern, und matt hingen die Lider über die brennenden Augen. Ein grimmer Schmerz durchwühlte ihre Brust, ein Schmerz, zu herbe, zu tief, als daß er sich in Thränen seinen Weg hätte bahnen können. Was die junge Frau schon erduldet und gelitten, das kam jetzt nicht mehr in Betracht; sie hegte nur noch einen einzigen Gedanken, und der betraf ihr Kind und die mögliche Rettung desselben. Nur flüchtig gedachte sie der Heimath, die sie erst vor wenigen Tagen heimlich verlassen; sie gedachte derselben ohne Reue über ihr Thun, aber ein Schauder ergriff sie, als das Bild ihres Gatten ihr vor die Seele trat, das Bild Desjenigen, der sie so schändlich hintergangen hatte.

»Fortgetrieben hast Du mich in den Tod,« sagte sie verzweiflungsvoll vor sich hin, und trotz des wehenden Sandes suchte sie die Augen weit genug zu öffnen, um zwischen den Falten der Decke hindurch einen Blick auf ihr fieberhaft schlummerndes Kind zu erhaschen. »Fort in den Tod, mich und Dein Kind, wenn ein guter Gott sich nicht unserer erbarmt!« – sie wollte weiter sprechen, aber ein heftiger Windstoß erstickte ihre Stimme, und kaum noch fähig, sich aufrecht zu erhalten, schloß sie die Augen. —

»Ich kann nicht weiter,« flüsterte sie nach einigen Minuten, und indem sie zu der dunkelbraun-rothen Scheibe der Sonne emporschaute, entdeckte sie, daß sie von ihrer alten Richtung abgewichen war. »Nein, ich kann nicht mehr! O, hätte ich nur einige Stunden länger bei der Quelle verweilt, ich würde die drohende Gefahr kennen gelernt und sie vermieden haben. Armes, armes Kind, Deine eigene Mutter hat Dich in den Tod getragen, wenn nicht —«

Hier stockte ihre Stimme wieder, und mit einem unbestimmten Gefühl von Furcht und Hoffnung sank sie auf die Kniee. Sie glaubte den Ton menschlicher Stimmen vernommen zu haben, und aufmerksam lauschte sie in die Ferne.

Längere Zeit hindurch traf nur das Brausen und Pfeifen des Windes ihr Ohr; dann aber unterschied sie ganz deutlich, und zwar in nicht allzu großer Entfernung, das dumpfe Getöse, mit welchem eine Anzahl Pferde den Boden mit ihren Hufen stampften, und das Schnauben, mit welchem sie Staub und Sand aus ihren Nüstern zu entfernen trachteten.

»O wenn es Rettung wäre!« stöhnte die gequälte Mutter leise, und weiter neigte sie sich über ihren Knaben hin, um ihm Schutz gegen den Andrang des Wetters zu gewähren.

»Bei Gott! ich sage Euch, es ist vergebliche Mühe, wir mögen eben so gut umkehren und Zuflucht im Gebirge suchen,« übertönte eine rauhe Stimme das Schnauben und Pferdegetrappel.

Die junge Frau hätte aufjauchzen mögen, als sie die Nähe weißer Menschen erkannte, aber Entsetzen lähmte ihr im nächsten Augenblick wieder die Zunge, sobald sie die Stimme ihres Gatten vernahm, die Stimme desjenigen, den sie auf der ganzen Welt am meisten fürchtete.

»Sie kann nicht weit sein!« rief derselbe mit vor Ingrimm bebender Stimme aus; »sie hat an der Quelle übernachtet, und Ihr Alle habt ihre Spuren noch im Ausgange des Passes gesehen. Wären wir nur eine halbe Stunde früher inʼs Freie gelangt, so hätten wir wenigstens noch ihren Kopf aus der Ferne entdecken müssen; denn noch ist es keine zwei Stunden her, seit der Sand Manneshöhe erreichte.«

Die junge Frau, mehr einem Instinct, als einer ruhigen Ueberlegung folgend, schmiegte sich noch fester an den Boden. Sie berechnete aus dem Geräusch, daß die Reiter an ihr vorüberziehen würden, und hoffte daher unentdeckt zu bleiben.

»Eine Frau, welche dem Gatten entflieht, sollte man ruhig laufen lassen, anstatt ihr in einem solchen verfluchten Wetter nachzujagen!« sagte die erste Stimme jetzt wieder mit noch ausgeprägterem Mißmuth.

Die junge Frau schauderte; die Reiter befanden sich ihr gerade gegenüber, kaum fünfzehn Schritte weit von ihr entfernt, und der Wind trug ihr jede einzelne Silbe ihres Gespräches zu.

»Mögen die Gebeine der Abtrünnigen im Sande bleichen, wenn es mir nur gelingt, des Knaben wieder habhaft zu werden,« entgegnete derjenige, den die junge Frau als ihren Gatten erkannt hatte; »ja, ich muß ihn wiederhaben, denn einestheils ist es mein Kind, und anderntheils knüpfen sich zu große Rechte an seine Person. Alles, Alles wäre verloren, geriethe er in unrechte Hände. Wir müssen ihn finden, und wir finden ihn auch, und sollten wir ihn halbtodt unter dem Sande —«

Weiter vernahm die Mutter nichts mehr, die Reiter galoppirten schon wieder außerhalb der Hörweite dahin, und immer schwächer drang zeitweise nur noch das Schnauben und Stampfen der Pferde zu ihr herüber.

»Wer wohl heiligere Rechte an Dich besäße?« sagte sie, in Thränen ausbrechend, indem sie dem erwachenden Kinde mit Küssen den Mund schloß, denn noch immer befürchtete sie, daß ein Ruf oder ein Aufschrei des Knaben die Reiter zurückrufen würde. »O wer besäße wohl heiligere Rechte an ein Kind, als die Mutter desselben?

Aber still, mein Engel, sie sollen Dich nicht haben, um Dich ihren schändlichen Zwecken dienen zu machen. Ich rette Dich, und sollten wirklich meine Gebeine im Sande bleichen. Du mußt, Du wirst gerettet werden, oder es giebt keine Gerechtigkeit mehr im Himmel. Auch trinken sollst Du, so viel Du nur willst, und wenn der Sturm sich gelegt hat, dann kehren wir zur Quelle zurück, um dort beständigeres Wetter abzuwarten; sei darum ruhig, mein Herzenskind, Deine Mutter ist bei Dir.«

Während die von Angst und Sorge erfüllte Mutter in dieser Weise dem jammernden Knaben beruhigend zusprach, suchte sie ihm, da der dicht wirbelnde Sand den Gebrauch der Tasse nicht gestattete, das Wasser gleich aus dem Schlauch einzuflößen. Es gelang ihr dies nur mit vieler Mühe. Nachdem sie endlich seinen Durst gestillt und auch selbst einen bescheidenen Trunk zu sich genommen, legte sie sich so neben ihn hin, daß er nicht von dem Sturm getroffen werden konnte. Mittelst der Decke stellte sie sodann, dieselbe unter ihren Schultern befestigend, eine Art Zeltdach für sie Beide her, und da sie sich überzeugte, daß in dem geschützten Winkelchen der Staub nicht mehr mit erstickender Gewalt in die Luftröhren eindrang, so drückte sie ihr Kind fest an sich, um in dieser Lage das Niedergehen des Windes abzuwarten. Das Kind entschlief bald wieder; auch die Mutter vermochte nicht lange dem Schlaf Widerstand zu leisten; sie war zu erschöpft von der beschwerlichen Wanderung, zu gebrochen durch die andauernde Seelenqual.

Der Sturm, dagegen schien unermüdlich zu sein. Mit wachsender Gewalt wühlte er den lockern Boden auf, um die für seine Kräfte nicht zu schweren Steinchen und Sandtheile zu einem dichten Nebel emporzuwirbeln. Auch über die Mutter und ihr Kind strich er hin; er fand dort eine geeignete Stelle, einen Theil seiner Last abzusetzen, und schleunigst baute er vor und hinter ihnen, wie um sie allmälig zu begraben, kleine Wälle auf.

Hui! wie der Sand über den entstehenden Hügelchen kreiste und kreiste, ehe er sich niederließ, und wie die sinkende Sonne so braunroth und trübe, so ganz ohne Strahlen durch die verdichtete Atmosphäre auf das Werk des Sturmes niederschaute! Aber um die Sandhügelchen herum, unter welchen zwei lebende Wesen immer schwächer athmeten, schlich näher und näher, die gierigen Krallen nach seinen Opfern ausstreckend, der grimme, unbarmherzige Tod. —

2
Die Matrosenschänke

Die Vereinigte Staaten-Regierung hatte den Mormonen den Krieg erklärt, und am Missouri wurden an allen den Zwecken entsprechenden Punkten mächtige Wagentrains befrachtet und ausgerüstet, theils um die nach dem Salzsee bestimmten Truppen durch die endlosen Steppen und Wüsten zu begleiten, theils um den schon in der Nähe des Salzseethales lagernden Commandos Lebensmittel und Kriegsmaterial zuzuführen. Doch Kriege wurden zu damaliger Zeit von den Bürgern der Vereinigten Staaten noch außerordentlich leicht genommen, namentlich aber ein Feldzug gegen die Mormonen, zu welchem man nicht einmal Freiwillige aufzubieten brauchte. Man hielt nämlich eine reguläre Armee von sechs- bis achttausend Mann für hinreichend, eine doppelt so starke Macht der entschlossensten und zugleich fanatisirten Männer nach allen vier Himmelsgegenden auseinander zu jagen, und gab sich nicht einmal die Mühe, den Mormonen die Wege, auf welchen sie ihre Hülfsmittel erhielten, abzuschneiden. Ja, man ging sogar so weit, den aus allen Richtungen, gehorsam den Befehlen ihres Propheten, herbeieilenden »Heiligen« und Proselyten, gegen gute Bezahlung Alles einzuhändigen, was sie wünschten, und wären es auch die für das warme Herzblut und die gesunden Glieder der Vereinigte Staaten-Truppen bestimmten Kugeln gewesen.

Die Aussicht auf einen bevorstehenden Krieg erweckte daher mehr freudiges Interesse, als Bedauern, und wenn sich das Interesse wirklich hin und wieder zum Enthusiasmus steigerte, so war damit sicher in den meisten Fällen die Hoffnung auf gewinnbringende Lieferungen für die Armee verknüpft, oder die feste Erwartung, endlich einmal wieder die höchst langweiligen Zeitungen mit den Berichten der Wunder der Tapferkeit, vorzugsweise ausgeführt von den früheren Zöglingen der vortrefflichen Officierschule zu Westpoint, angefüllt zu sehen.

Ja, auch dort lebte man noch in dem kindlichen Glauben, daß eine hübsche Haltung, Glanzstiefel, wohlgebürstete Uniformen und Lorgnetten die Hauptbedingungen seien, eine Armee furchtbar zu machen.

Die letzten Jahre der nordamerikanischen Geschichte haben indessen hinlänglich das Gegentheil bewiesen, und selbst die eiteln Franzosen und die dünkelhaften Engländer würden es nicht mehr wagen, in üblicher geringschätziger Weise über eine kriegsgewohnte Nation ein ganzes Volk in Waffen, zu urtheilen, trotzdem dasselbe an äußerem Glanz mit keinem von Beiden zu wetteifern vermöchte.

Der Krieg gegen die Mormonen war also erklärt, ohne daß dadurch New-York von der Stelle gerückt worden wäre. Es herrschte daselbst noch immer dasselbe Leben und Treiben. Schiffe gingen, Schiffe kamen, Menschen und Waaren wurden hierhin und dorthin gestoßen und versendet, und unter denjenigen, die dort nach langer Seefahrt den Fuß wieder zum ersten Mal aufʼs Festland setzten, befand sich gewiß keine geringe Zahl solcher Leute, deren Endziel die heilige Stadt der Mormonen am großen Salzsee. —

Doch wer hätte sich wohl die Mühe geben mögen, unter allen Denen, die dort landeten, die Mormonen herauszusuchen, um so mehr, da dieselben kein äußeres Erkennungszeichen an sich trugen? Sie sahen eben aus, wie alle übrigen Menschen und schienen nicht minder Eile zu haben, wie die Hunderte und Tausende verschiedener Gestalten, die alle ihren verschiedenen Beschäftigungen nachgingen, ohne sich Einer um den Andern zu kümmern.

Wer nun in den letzten Nachmittagsstunden eines freundlichen Herbsttages, von der Landungsbrücke der zur Philadelphia-Eisenbahnlinie gehörenden Dampfboote aus, seine Blicke über den von der Fluth gestauten Hudson nach seiner Mündung zu hätte schweifen lassen, dem würde unter den zahllosen Fahrzeugen gewiß ein Schiff besonders aufgefallen sein, welches in der Mitte des Stromes regungslos vor Anker liegend, sich durch seine schlanken Spieren, straffe Takelage und durch die achtunggebietenden Reihen halb geöffneter Kanonenluken als ein Kriegsschiff bekundete. Von der Gaffel flatterten im Abendwinde die lustigen Sterne und Streifen der großen Republik, während der kurze gedrungene Schornstein noch immer die Rauchwolken der ersterbenden Maschinenfeuer in die mit Steinkohlendunst angefüllte Atmosphäre hinaufsandte und dem stattlichen Fahrzeug den äußern Charakter eines nach wildem Wettlauf dampfenden und rastenden Renners verlieh.

 

Wanderten die Blicke dann von den größeren Fahrzeugen zu den kleineren und allerkleinsten hinüber, so begegneten sie auch hier einem Boot, welches die Aufmerksamkeit länger fesselte, und zwar, weil es, wie die bewaffnete Schraubencorvette, den ernsten Zwecken des Krieges zu dienen schien. Es trug dieselben Farben, wie die Corvette, und auch in denselben Verhältnissen angebracht, wie bei jener, so daß man es auf den ersten Blick für einen Angehörigen derselben erkannte, auch ohne das U. S. M. auf den Hüten und blauen Hemden der vierrudernden Matrosen und des das kleine Steuer führenden Bootsmanns beobachtet zu haben.

Es waren übrigens vier dralle, kräftige Burschen die auf den Ruderbänken saßen. Ihre Physiognomien, soweit die vollen Backen- und Kehlbärte sie nicht beschatteten, waren braun wie Mahagoni, ihre knochigen Fäuste nicht minder; wo aber die Hemdenkragen vorn auf der Brust auseinanderschlugen, da erblickte man, wie auch auf den entblößten Unterarmen, ein solches Gewirr von blau tätowirten Ankern, Herzen, Anfangsbuchstaben des eigenen Namens und der Namen von Mädchen, denen einst ewige Treue geschworen worden war, daß ein vollblütiger Minetareh-Indianer auf die unauslöschlichen verschlungenen Linien hätte neidisch werden können.

Doch die tätowirten Zeichen waren ja nicht aus der Ferne zu unterscheiden; um so besser erkannte man aber dafür den prächtigen Rudertact, in welchem sie das Boot über die Fluthen dahintrieben. Handhabten sie doch die wuchtigen Riemen, als wenn es ebenso viele Pfeifenstiele gewesen waren, oder als ob sie sich, anstatt auf den Ruderbänken, an einem schönen Sonntag Mittag beim Wegstauen eines gut gerathenen Puddings befunden hätten.

Genug, jeder einzelne dieser Burschen zeigte das untadelhafte Bild einer richtig auskalfaterten Theerjacke Nr. 1. A., doch bei allem Dem waren sie nichts, im Vergleich mit dem Hochbootsmann, der hinten im Stern des Bootes saß und das leichte Fahrzeug mittelst zweier an dem kleinen Steuer angebrachten Schnürchen in seinem schnellen Lauf lenkte.

In der Bekleidung unterschied sich derselbe von seinen Gefährten nur dadurch, daß er ein silbernes Pfeifchen an einer silbernen Kette um den Hals trug, dagegen lag in seiner nachlässigen Haltung eine solche Würde, ein solches Selbstbewußtsein, wie nur eben ein Mensch empfinden kann, der nach langen Jahren schweren Dienstes endlich die erste Stufe zur höchsten Macht erstieg.

Sein Körper war groß, hager und von herkulischem Bau, die Bewegungen aber, trotz der fünfzig bis sechszig Jahre, die er schon flott gewesen, noch immer leicht und sicher, wie bei Jemandem, der das Bewußtsein hegt, nie eine falsche oder vorschnelle Bewegung auszuführen. Seine Fäuste glichen einem Paar eiserner Schraubstöcke; seine Arme festen Handspeichen; sein dunkelbraunes Gesicht aber, welches dünnes, schwarzes, mit etwas Grau untermischtes Haupthaar von oben, und ein dichter blauschwarzer Bart, der wie eine Binde von dem einen Ohr nach dem andern unter dem Kinn durchlief, von unten einrahmte, erinnerte nicht wenig an ein altes zerfetztes Logbuch, in welchem schon seit einem halben Jahrhundert die Stürme und Windstillen aller Breiten und Längen eingetragen worden.

Die ursprünglichen Gesichtsformen bei ihm herauszufinden, würde gewiß schwer gehalten haben, denn außerdem, daß die Haut durch die stets wechselnden atmosphärischen Einflüsse, wie bei einem Blatterkranken, verharrscht war, lief noch zum Ueberfluß von dem rechten Ohr quer über die Nase nach dem linken Auge eine furchtbare Narbe hinüber, die er offenbar dem Schlage mit einem Messer oder dem Hiebe mit einem kurzen schweren Cutlaß oder Enterschwert verdankte.

Sein gewiß nicht schönes Gesicht erhielt durch die verunstaltende Narbe einen merkwürdigen Ausdruck grimmiger Wildheit. Derselbe wurde indessen bedeutend gemildert durch die kleinen, etwas zusammengekniffenen Augen, die, verschlagen unter dichten buschigen Brauen hervorlugend, bei allem Ernst doch einen hohen Grad von Gutmüthigkeit verriethen.

Die unzähligen Ruder- und Segelboote, die, bald geführt von kundigen Händen, bald bemannt mit unbeholfenen Landratten und lustfahrenden Müßiggängern, nach allen Richtungen hin das Fahrwasser der eben beschriebenen Jolle kreuzten, derselben begegneten oder von ihr eingeholt wurden, schien der alte Bootsmann gar nicht zu bemerken. Er überließ es gleichsam dem Instinct seiner Hände, den Weg zwischen den vielen Hindernissen, ohne anzustoßen, hindurch zu steuern; denn seine Blicke waren beständig nach oben auf die Takelagen der doppelten und dreifachen Reihe von Kauffahrern gerichtet, die ihm die Aussicht auf die Stadt selbst verbargen.

Er sprach kein Wort, allein der Capitän eines jeden Fahrzeugs, an welchem er vorüberschoß, hätte aus seinem Mienenspiel das Urtheil über das herauszulesen vermocht, was er eben einer flüchtigen Prüfung unterworfen hatte, und zwar ein Urtheil, so richtig und treffend, daß es eine ganze Marinecommission nicht richtiger und treffender hätte fällen können.

Er mußte indessen mehr zu tadeln als zu loben finden, denn sein Mund kam aus dem verächtlichen Zucken kaum heraus, welches bald einem von Schmutz liebenden französischen Dreimaster, bald der schnatternden Bemannung eines Spaniers, oder auch der schief gestauten Ladung irgend eines andern Schiffes galt. Wenn er aber an einem Engländer vorüberfuhr, dann zuckte seine mit Tabak ausgestopfte Wange kampfhaft, und gleichzeitig sendete er einen braunen Strahl zwischen seine Zähne hindurch nach demselben hin, als ob es des armen Schiffes Schuld gewesen, daß es einer, den Amerikanern, vielleicht auch vielen anderen Völkern, verhaßten Nation angehört habe.

Gewahrte er dagegen irgendwo den lustigen Bratrost, so zwinkerten seine Augen vergnügt, und der Eindruck, den der Anblick des geliebten Sternenbanners auf ihn ausübte, mußte ein ziemlich nachhaltiger sein, denn er war dann in der nächsten Minute nicht abgeneigt, irgend einen ihm zugerufenen Gruß durch ein leises Kopfnicken zu beantworten, vorausgesetzt, der Gruß ging von richtigen Theers aus, und nicht von paddelnden behandschuhten Landratten, die kaum einen Ostindienfahrer von einem Heuschober zu unterscheiden vermochten, oder gar die Breitseite eines Kriegsschiffes für ein neumodisches Musikinstrument ansahen.

Während also der Bootsmann hierher und dorthin schaute, schielte er auch zuweilen nach zwei Männern hin, die auf der vordersten Bank seiner Jolle saßen und sich in eine eifrige Unterhaltung vertieft hatten. Was dieselben erörterten, blieb ihm allerdings fremd, denn sie tauschten ihre Ansichten in einer Sprache aus, von welcher er kein Sterbenswort verstand, doch hielt ihn das nicht ab, mit der größten Aufmerksamkeit ihren Stimmen zu lauschen, obgleich es den Anschein hatte, als seien gerade sie die Letzten auf der ganzen Welt, um die er sich hätte kümmern mögen.

Die beiden Männer, nur wenig jünger als der Bootsmann, waren einfach, jedoch vornehm gekleidet, und verriethen den Ausländer in ihrer äußern Erscheinung nicht weniger, als durch ihre Sprache. Ihre länglichen Gesichter, mit den scharf ausgeprägten Zügen und den hellen graublauen Augen, trugen eine gewisse Aehnlichkeit mit einander, doch lag dieselbe mehr in den hervortretenden Eigentümlichkeiten der Nationalität, welcher sie angehörten, als daß sie aus einem verwandtschaftlichen Verhältniß entsprungen wäre.