Clash

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Sari: The Left Turn #1
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CLASH

Left Turn 1

Belle Aurora


© 2021 Sieben Verlag, 64823 Groß-Umstadt

© Übersetzung Corinna Bürkner

© Covergestaltung Andrea Gunschera

© Originalausgabe Belle Aurora 2020

ISBN-Taschenbuch: 9783967820003

ISBN-eBook-mobi: 9783967820010

ISBN-eBook-epub: 9783967820027

www.sieben-verlag.de

Inhalt

Prolog: A Total Eclipse Of The Heart

Kapitel 1 Taking Care Of Business

Kapitel 2 Suspicious Minds

Kapitel 3 Dry Your Eyes

Kapitel 4 Born To Run

Kapitel 5 Getting To Know You

Kapitel 6 Me And My Friends

Kapitel 7 Rock You Like A Hurricane

Kapitel 8 Cum On Feel The Noize

Kapitel 9 Leap Of Faith

Kapitel 10 Stiletto

Kapitel 11 Every Rose Has Its Thorn

Kapitel 12 Stay Free

Kapitel 13 Waiting On A Friend

Kapitel 14 Everlong

Kapitel 15 Wherever I May Roam

Kapitel 16 Somebody To Love

Kapitel 17 Killer Queen

Kapitel 18 I Love Rock ’n Roll

Kapitel 19 The Gambler

Kapitel 20 Jealousy

Kapitel 21 Virgin Tears

Kapitel 22 I Want To Break Free

Kapitel 23 Changes

Kapitel 24 A Star Is Born

Kapitel 25 Cherry Bomb

Kapitel 26 Junkhead

Kapitel 27 Back To Black

Kapitel 28 Rehab

Kapitel 29 I Don’t Fuck With You

Kapitel 30 You’re The Inspiration

Kapitel 31 Wild Horses

Kapitel 32 With Or Without You

Kapitel 33 Open Arms

Kapitel 34 Crazy Little Thing Called Love

Kapitel 35 You’re My Best Friend

Kapitel 36 Perfect World

Kapitel 37 Family Affair

Kapitel 38 True Colors

Kapitel 39 Better Days

Kapitel 40 Here Comes The Sun

Kapitel 41 Put Your Head On My Shoulder

Kapitel 42 We Are The Champions

Epilog: Your Song

Anmerkungen der Autorin

Übersetzung von VIRGIN TEARS

Prolog
A Total Eclipse Of The Heart

Emily

2015

Mein Lächeln wurde sanft, als ich mit Paul Anka mitsummend und dem Wischmopp in den Händen durch die Küche tanzte. Die Musik kam von einem Schallplattenspieler und das leichte Kratzen unter der Musik versetzte mich in eine andere Zeit.

Put Your Head on my Shoulder war einer meiner Lieblingssongs. Wir besaßen kein Radio. Meine Nanna sagte, dass sie von den Liedern der jetzigen Generation Kopfschmerzen bekam und dafür hatte ich Verständnis. Wenn ich im Einkaufszentrum gelegentlich etwas Neues hörte, verwirrte mich das. Meistens waren mir die Songs zu grell, zu aufdringlich und wollten einem weismachen, dass es romantisch sei, wenn man Frauen als Bitches bezeichnete. Also lief bei uns Paul Anka und das war für mich total in Ordnung. Die Lieder aus dieser Ära waren furchtbar romantisch und ich war ein großer Fan von Romantik, in jeglicher Form.

Der Wischmopp glitt über die Fliesen und ich schloss die Augen. Stellte mir vor, dass mir ein gut aussehender Mann hinterhereilte, nur um mir eine Blume zu überreichen und zu sagen, dass er mich hübsch fände. Ich fragte mich, wie es sich wohl anfühlte, wenn man sich wirklich verliebte.

Das Telefon läutete schrill und ich machte einen Satz, als es mich aus meiner Tagträumerei riss. Ich sah auf die Uhr am Herd und schob mir die Brille auf der Nase wieder nach oben. Als ich sah, wie viel Uhr es war, verzog ich die Lippen. Es wurde langsam spät und Nanna hätte längst zurück sein müssen. Das Telefon klingelte immer noch und ich stellte den Mopp beiseite, wischte mir die Hände an der Jeans ab und unterdrückte das ungute Gefühl.

„Hallo?“

„Hallo, hier spricht Officer Susan Kelly vom Pasadena Police Department.“

Mein Herz setzte kurz aus. Im Hintergrund spielte immer noch Paul Anka. Ich hörte mir an, was sie zu sagen hatte, es aber war schwierig sie zu verstehen, da es in meinem Kopf anfing zu dröhnen.

„Sind Sie noch da?“

Ich räusperte mich und krächzte ein Ja.

Sie klang mitfühlend. „Sie müssten zu uns auf das Revier kommen.“

Paul Ankas Gesang verklang fast im Hintergrund. Ich konnte nur noch flüstern.

„Okay.“

„Hier ist es“, sagte ich. Das Auto hielt an und ich beeilte mich auszusteigen. „Danke, Jim. Es dauert nicht lange.“

Mein Herz raste von dem Augenblick an, in dem ich das Revier betrat. Ich sah mich um und wurde panisch, als ich meine Nanna nicht sofort sah. Mein Gesicht fühlte sich vor Sorge ganz heiß an und ich lief schneller, rannte fast zum Empfangsbereich. Nach einem heftigen Schlucken fragte ich verzweifelt: „Guten Tag, ich bin hier wegen Mrs. Aldrich, meiner Nanna.“

Die Dame hinter der Scheibe sah mich an. „Emily?“

„Ja, das bin ich.“

„Ich brauche einen Ausweis.“

„Selbstverständlich.“ Ich nahm den Rucksack ab und wühlte mit zittrigen Händen darin herum. Endlich fand ich meinen Studentenausweis und schob ihn durch die Öffnung in der Scheibe. Die Frau sah ihn sich an und öffnete die Seitentür, bevor sie ihn mir wieder zurückschob.

„Ich bin Officer Kelly. Wir haben miteinander telefoniert. Kommen Sie doch durch.“

Ich folgte ihrer Geste. „Wo ist sie? Geht es ihr gut?“ Meine Stimme klang unsicher.

„Sie ist hinten und abgesehen von einer kleinen Beule an der Schläfe geht es ihr gut.“ Bei meinem erschrockenen Gesichtsausdruck lächelte sie nett. „Ich habe sie untersuchen lassen. Es geht ihr wirklich gut. Sie ist einfach nur gestürzt.“

„Ich verstehe es immer noch nicht ganz. Wo sagten Sie, haben Sie sie aufgefunden?“

„Nördlich des Freeways.“

Wie bitte? Das ergab überhaupt keinen Sinn. Das war keine gute Gegend. Außerdem war es weit entfernt von dem Ort, an dem sie hätte sein sollen.

Officer Kelly öffnete eine Tür und als ich meine Nanna endlich sah, durchfuhr mich Erleichterung. Ich eilte in den Raum, ließ den Rucksack fallen und kniete mich vor die kleine, zerbrechlich aussehende Frau.

„Wie geht es dir?“

Nanna verengte die Augen kurz bevor sie mich sanft anlächelte und abwinkte. „Mir geht’s gut.“ Sie blickte zu dem stämmigen Officer, der mit ihr am Tisch saß. „Officer Grant, das ist meine kleine June.“ Dann sah sie mich wieder an. „Sag schön guten Tag zu dem Officer, er war so freundlich, mir Gesellschaft zu leisten.“

 

„Nanna …“ June war der Name meiner Mutter. Meiner verstorbenen Mutter.

Okay. Was passierte hier? Ich ahnte Schlimmes und sah über die Schulter zu Officer Kelly. Sie sah so verwirrt aus, wie ich mich fühlte. Ich brauchte einen Moment, aber ich schaffte es, die Panik aus meinem Gesichtsausdruck zu verbannen, bevor ich aufstand und mich wieder an meine Großmutter wandte. Ich setzte ein Lächeln auf, das sicher nicht ganz ehrlich aussah, eher verzerrt. Es fühlte sich schwach und künstlich an.

„Nanna, ich spreche kurz mit Officer Kelly, ja?“

Die charmante Frau, die mich großgezogen hatte, sah mich mit einem sanften Lächeln an. „Alles klar, Liebes.“

Sie saß dort ganz still mit der Handtasche auf dem Schoß. Ich verließ den Raum. Officer Kelly folgte mir und schloss die Tür hinter sich. Ich lief kurz auf und ab und Officer Kelly gab mir einen Moment Zeit, spürte offensichtlich meinen inneren Aufruhr. Ich atmete schwer. Je mehr ich hin und her lief, desto unsteter wurden meine Bewegungen. Als die Alarmglocken in meinem Kopf immer lauter wurden, entwich mir ein kleiner Laut. Ich legte mir die Hand auf den Mund und lief weiter auf und ab. Doch dann fand ich die Kraft, stehenzubleiben und wisperte: „Da stimmt etwas nicht.“ In dem Moment, in dem mir die Worte über die Lippen kamen, spürte ich die Tränen in meinen Augen. „Da stimmt etwas ganz und gar nicht.“

Mir versagte die Stimme. Officer Kelly legte mir tröstend die Hand auf die Schulter, während ich die Hände vors Gesicht schlug und weinte. Hier war etwas ganz und gar nicht in Ordnung.

Nach einem langen Gespräch mit Officer Kelly, übergab man mir meine Nanna. Ich bot ihr meinen Arm an und führte sie zum Auto, in dem Jim, unser Nachbar, geduldig auf uns wartete. Ich fühlte mich schrecklich.

„Es tut mir so leid, Jim. Ich hatte ja keine Ahnung, dass es so lange dauern würde.“

Jim lächelte. „Kein Problem, Em. Ich hatte heute nicht viel vor. Das war ein kleines Abenteuer für mich.“ Dann wendete er sich an Nanna. „Faye, meine Liebe. Wie ich sehe, hast du dich in Schwierigkeiten gebracht?“

Nanna sah Jim verwirrt an. „Ist das Bert?“ Dann strahlte sie. „Meine Güte, dich habe ich ja schon ewig nicht mehr gesehen.“

Jims Lächeln versiegte. Er betrachtete sie einen Moment, bevor wir einen Blick wechselten. Einen besorgten Blick. Jim war schon seit Ewigkeiten unser Nachbar. Er verstand sich mit Nanna sehr gut. Sie waren ungefähr im gleichen Alter. Beide liebten es, im Frühling die Gärten hübsch zu machen und neben der Freundschaft, die sie verband, vermutete ich, dass Jim heimlich in Nanna verliebt war. Ich hatte keine Ahnung, wer Bert war. Ganz ehrlich, ich vermutete, dass auch Nanna keine Ahnung hatte, wer Bert war.

Die Fahrt verlief zunächst in kompletter Stille. Plötzlich fragte meine Nanna leise: „Wo fahren wir denn hin, Emily?“

Ich drehte mich um und sah mit Erleichterung, dass sie wieder im Hier und Jetzt war. Als mir die totale Verwirrung auf ihrem Gesicht auffiel, brach es mir das Herz.

„Wir fahren nach Hause.“

„Oh“, murmelte sie und runzelte die Stirn. „Natürlich.“

Jim und ich tauschten noch mal den gleichen besorgten Blick aus.

Ja. Irgendwas war absolut nicht in Ordnung.

2017

Ich wachte auf, weil es nach Rauch stank und der Feueralarm laut piepte. Starr vor Schreck stand ich so schnell ich konnte auf und rannte aus dem Zimmer.

„Nanna!“

Keine Reaktion. Meine Angst steigerte sich zu einem neuen Level. Mit zittrigen Händen rief ich noch einmal lauter nach ihr.

„Nanna!“

Auf meinen Socken rutschte ich über die Bodenfliesen und als ich in die Küche kam, bot sich mir ein erschreckendes Bild. Qualm stieg vom Herd auf, auf dem irgendwas vor sich hin schmolz. Dicke Rauchschwaden stiegen bis hoch zur Decke. Ich legte mir ein Küchenhandtuch vor Mund und Nase und hustete. Vorsichtig schaltete ich den Herd aus, nahm mir einen Ofenhandschuh und hob … Himmel, das durfte doch nicht wahr sein. Der elektrische Wasserkocher war zu einem rot glühenden Etwas zusammengeschmolzen. Na super. Mit einem frustrierten Seufzen versuchte ich mich in Schadensbegrenzung. Nachdem es mir gelungen war, das Ding von der Platte zu lösen, warf ich es in die Spüle und stellte das kalte Wasser an. Ich ließ es laufen, während ich mich aufmachte, das Haus zu durchsuchen. Dabei öffnete ich alle Fenster. Draußen zeigten die rosa werdenden Wolken an, dass es dämmerte, und je länger ich suchte, desto angespannter wurde ich. Gott, wo war sie nur? Noch einmal rief ich nach ihr.

Ein hartes Klopfen an der Haustür. Der Klang traf mich direkt auf der Brust. Mit den Nerven am Ende hielt ich einen Augenblick inne. Ich blinzelte ins Nichts und fuhr mir mit der Hand über die Stirn, bevor ich die Tür öffnete. Dort stand Nanna im Nachthemd. Jim stand in einem braunen Bademantel hinter ihr und lächelte mich schief aber traurig an.

„Na, suchst du jemanden?“

Meine Augen weiteten sich zunächst, dann schloss ich sie und atmete aus.

„Nanna.“ Vorsichtig führte ich sie ins Haus. Jim folgte uns. „Wo bist du gewesen? Ich habe mir Sorgen gemacht.“

In diesem Moment fühlte sie sich zerbrechlicher denn je an. Sie war ganz kalt und ihre Hände zitterten.

„Ich wollte Bert besuchen.“

Ich nahm ihre Hände zwischen meine und rieb sie etwas, damit sie wieder warm wurden. Währenddessen hatte ich nur einen Gedanken. Die Sache geriet außer Kontrolle. Eindeutig. Aber was sollte ich dagegen tun?

Jim betrat die Küche und sah sich den Schaden an. Als er die Hände auf die Hüften stemmte und schwer ausatmete, wusste ich, dass es schlimm war. Und was noch schlimmer war, ich wusste nicht, ob ich mir die Reparaturen leisten konnte. Nanna und ich lebten sparsam. Ich konnte nicht arbeiten, denn auf Nanna aufzupassen war eine Vollzeitbeschäftigung. Ich erhielt Pflegegeld und zusammen mit Nannas magerer Rente, hatten wir gerade so viel, wie wir brauchten. Aber wir hatten keine Möglichkeit etwas für schlechte Zeiten anzusparen und so wie es aussah, mehrten sich die schlechten Zeiten. Ich fühlte mich hilflos und nutzlos. Während Jim anfing in der Küche aufzuräumen, setzte ich Nanna vor den Fernseher und deckte sie mit einer Decke zu. Als ich zurück in die Küche kam, unterbrach Jim die Aufräumarbeiten und sah mich an. Er sprach liebevoll, aber bestimmt.

„Wie lange geht das schon so, Liebes?“

Ich wusste, dass Jim nur unser Bestes im Sinn hatte, also war mir nicht ganz klar, warum es mich so aufregte. Ich war einfach so verdammt müde.

„Du kennst unsere Situation.“ Was gab es da noch mehr zu sagen? Ich beließ es dabei.

„Richtig“, sagte er sanft und versuchte, das geschmolzene Plastik von der Herdoberfläche zu bekommen. „Ich kenne deine Nanna auch und sehe, dass sie nicht mehr dieselbe ist.“ Er hielt inne, bevor er ein großes Stück Plastik abriss und in die Spüle warf. Es landete dort mit einem Klimpern. „Sie hat beinahe das ganze Haus abgefackelt. Mit dir drin.“ Er betrachtete den Herd mit einem Stirnrunzeln. „Sie hat einen Plastikwasserkocher draufgestellt und ist abmarschiert. Sie ist nicht mehr Herr über ihre Sinne.“ Er stellte sich aufrecht hin und sah mich an. „Sag mir jetzt nicht, dass das nicht wieder vorkommen wird. Wir beide wissen es besser.“ Sein Blick wurde sanfter, als er wisperte: „Es wird immer schlimmer, Em.“

Das stimmte. Schlimmer als ich zugeben wollte. Jim war für mich der Großvater, den ich nie hatte. Seine Hingabe für unsere kleine Familie war mehr, als ich verdiente. Er war ein guter Mensch. Ein großartiger Mensch. Mit einem Mal war ich so überwältigt, dass meine Unterlippe zu zittern anfing.

„Was soll ich nur tun?“ Ich zog einen Stuhl unter dem kleinen Küchentisch hervor und setzte mich. Dann stützte ich die Hände auf den Oberschenkeln auf und sagte leise: „Ich kann mir nicht leisten, sie in ein Heim zu tun.“ Als Jim den Mund öffnete, berichtigte ich mich. „In ein gutes Heim. Kein staatlich geführtes. Himmel, hast du die schon mal gesehen?“ Das kam überhaupt nicht infrage. Die waren fürchterlich. Das würde ich meiner Nanna nie antun. Nicht nach dem, was sie alles für mich getan hatte.

Jim betrachtete mich aufmerksam und spürte meinen Kummer. Er kam zu mir, zog einen Stuhl herbei und setzte sich neben mich.

„Liebes, ich liebe Faye, aber sie ist dement.“ Er lehnte sich vor und suchte mit seinem Blick in meinem. „Es wird nicht besser. Es kann nur noch schlimmer werden. Und …“ Er schien das, was er jetzt sagen würde zu bedauern. „Die meiste Zeit weiß sie sowieso nicht mehr, wer du bist.“

Meine Brust schnürte sich zusammen. Das wusste ich. Nur zu gut. Es brach einem derartig das Herz. Ich war müde und diese Unterhaltung machte es nicht besser, also sagte ich das Einzige, was ich sagen konnte, um das Gespräch zu beenden. „Ich werde darüber nachdenken.“

2018

„Danke nochmal, Jim“, sagte ich und lächelte strahlend mit der Glühbirne in der Hand. Normalerweise war es keine große Sache, keine Ersatzbirnen parat zu haben, aber wenn man mit einer Demenzkranken zusammenlebte und Tag und Nacht das Licht brennen musste, schon. Wie immer rettete Jim den Tag.

„Kein Problem, Em.“

Er sah mir zu, wie ich wieder auf unser Grundstück zurückging, so wie er es immer tat. Ich winkte ihm von der Haustür noch einmal zu und ging hinein. Nanna fegte den Flur und ich lächelte. Sie mochte das Haus gern sauber.

„Das hätte ich doch machen können.“

Nanna wirbelte herum und stieß einen erschrockenen Laut aus. Bevor ich mich versah, zog sie mir fest mit dem Besenstiel eins über den Kopf. Der Schlag kam so unerwartet, dass ich mir auf die Zunge biss und Blut schmeckte. Mit weit aufgerissenen Augen und Furcht im Gesicht stand sie vor mir, hob erneut den Besen an, doch dieses Mal hob ich die Hände und trat zurück.

„Ich bin’s“, rief ich eindringlich. „Ich bin es!“

Schockiert kamen mir die Tränen. Jim musste mich gehört haben, denn er kam angerannt. Er hatte das Handy schon am Ohr und tippte den Notruf, während er mir mit dem anderen Arm half.

„Ja, einen Krankenwagen bitte zu 8634 Cedar.“

Meine Seele fühlte sich taub an, als ich durch den Flur sah. Ich hörte Paul Anka im Hintergrund singen. Meine Großmutter stand wie erstarrt da und sah mich an, als wäre ich ein Ungeheuer. Und mit diesem Blick änderte sich meine komplette Welt.

Mir war gar nicht klar gewesen, dass ich nicht genäht werden musste, bis die Sanitäter einen Blick auf mich warfen. Es sah wirklich schlimmer aus, als es war. Nur eine winzig kleine Platzwunde direkt auf dem Scheitel. Unglücklicherweise, so erklärte es mir die Sanitäterin, bluteten Kopfwunden sehr, besonders wenn jemand panisch war und das Herz schnell schlug.

„Wir bringen Ihre Großmutter ins Glendale Memorial“, erklärte die Sanitäterin. „Die Geriatrie dort ist exzellent.“

War das so? Schön. Ich blieb sitzen. „Danke.“ Meine Stimme klang heiser.

Jim legte einen Arm um meine Schultern und ich lehnte mich an ihn, brauchte seinen Trost. Die Frau ging vor mir in die Knie und sah zu mir hoch.

„Bis jetzt haben Sie sich wirklich vorbildlich um sie gekümmert.“ Ihr Blick war sanft. „Aber sie braucht mehr, als Sie ihr geben können.“

Ja. Langsam sah ich es ein.

Der andere Sanitäter stellte sich in den Türrahmen und wie in Zeitlupe sah ich zu ihm, als er sagte: „Sie ist im Wagen. Sie können ihr jetzt auf Wiedersehen sagen gehen.“

Nein, das konnte ich nicht. Immer wieder sah ich den Blick auf ihrem Gesicht vor mir, als sie sich angstvoll von mir zurückzog. Immer und immer wieder. Er verfolgte mich regelrecht. So schnell wollte ich ihm nicht mehr begegnen. Es verging ein Moment und die Sanitäter tauschten einen Blick aus.

„Oder Sie können sie später noch besuchen. Besuchszeiten sind zwischen zehn und drei Uhr“, sagte die Frau.

Ich nickte langsam mit nicht fokussiertem Blick und wartete darauf, dass sie gingen. Als sie endlich aufbrachen, legte sich Ruhe über das kleine Haus, das ich so sehr liebte. Paul Anka sang Put Your Head On My Shoulder. Und genau das tat ich, ich legte meinen Kopf an Jims Schulter und er ließ mich weinen. Solange ich musste.

 

Kapitel 1
Taking Care Of Business

Emily

Es war schon das dritte Mal, dass ich innerhalb weniger Tage in der Arbeitsagentur auftauchte. Als Leah, die Sachbearbeiterin, mich sah, machte sie ein langes Gesicht und mein Stolz bekam einen Dämpfer. Bevor sie etwas sagen konnte, lächelte ich strahlend.

„Ich weiß, ich weiß. Sie haben gesagt, Sie rufen mich an, aber …“ Ich hasste es, mir die Wahrheit einzugestehen. „Ich bin verzweifelt.“ So verzweifelt. Unheimlich verzweifelt. Sie sollte mir einfach nur einen verdammten Job geben. Irgendeinen. Ich hätte Toiletten geputzt. Fische ausgenommen. Ställe ausgemistet. Ich hätte wirklich alles getan. Leah sah mich einen langen Moment an und ich konnte erkennen, dass sie genervt war.

„Sie kommen fast jeden Tag und ich kann Ihnen immer nur dasselbe sagen.“ Sie blinzelte langsam. „Sparen Sie sich das Benzin, Kleines. Ich habe im Moment nichts für Sie.“

Verdammt.

Ich machte mir nicht die Mühe darauf hinzuweisen, dass ich gar kein Auto hatte. Denn das könnte meine Chancen auf einen Job schmälern. Die Wahrheit war, dass ich mir kein Auto leisten konnte, oder eine Versicherung, also nahm ich den Bus, denn das war besser, als stundenlang in die Stadt zu laufen. Mein Seufzen war nur innerlich. Ich wollte mit den Fäusten auf den Tisch schlagen, mit den Füßen aufstampfen und meinen Frust herausschreien. Ich verstand es nicht. Man hatte mir immer gesagt, dass sich eine Tür öffnete, wenn sich eine verschloss. Aber aus irgendeinem unbekannten Grund machte das Leben es mir schwer. Für mich gab es keine offenen Türen. Sogar die Fenster waren zu und die Jalousien heruntergelassen.

Mein Lächeln versiegte und es wurde eng in meiner Brust. Sie verstand es nicht. Ich wollte nicht aufdringlich sein, aber …

„Ich mache wirklich alles“, flehte ich. „Alles.“

„Verstehen Sie doch.“ Für einen Augenblick sah sie wirklich aus, als hätte sie Mitleid, und es fühlte sich an wie ein Stein in der Magengrube. „Es tut mir sehr leid, meine Liebe, aber im Moment haben Sie leider kein Glück.“

Ich seufzte den weltgrößten innerlichen Seufzer. „Okay.“ Ich atmete aus und lächelte knapp, entschlossen, positiv zu bleiben, auch wenn es regelrecht schmerzte. „Trotzdem vielen Dank.“ Ich zog mir den Rucksack enger über die Schultern. „Bis morgen dann.“ Als sie daraufhin mit den Augen rollte, lachte ich leise und ging rückwärts. Ich hob die Hände. „War nur ein Scherz.“

War es nicht. Ich würde morgen wieder hier stehen.

Draußen auf dem Gehweg atmete ich tief ein und betete im Stillen um einen Silberstreif am Horizont, von dem ich wusste, dass er nicht auftauchen würde. Nein. Das Glück war noch nie auf meiner Seite gewesen. Schade. Ich hätte es wirklich gerade gebrauchen können.

Seit zehn Tagen war Nanna im Glendale Memorial und Gott sei Dank wollten sie sie dort behalten, bis ich einen Platz in einem Pflegeheim für sie gefunden hatte. Es gab einige, die ich mir angesehen hatte, die lediglich in Ordnung waren, aber ich wollte sie in einem ganz bestimmten Haus haben. Dem St. Judes. Dort war es wunderschön. Es war geräumig, hell und behaglich. Es roch nach zarten weißen Blüten und die Mitarbeiter waren lieb und führten ihren Beruf mit Hingabe aus. Es war genau der Ort, an dem ich Nanna haben wollte. Ein Zuhause, fern von Daheim. Allerdings war ich nicht in der Lage, ihr das zu ermöglichen, ohne einen vernünftigen Job zu haben. Daher meine täglichen Besuche in der Arbeitsagentur. Mir war einfach klar, dass ich Leah so lange auf die Nerven gehen würde, bis sie mir irgendetwas gab. Das sagte schon viel aus, denn normalerweise war ich kein Mensch, der andere zu etwas drängte.

Ich hielt mich an meinen Rucksackgurten fest und machte mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Auf halber Strecke rumorte es in meinem Magen und ich holte mir einen Müsliriegel aus dem Rucksack. Ich biss ab und lief dabei etwas langsamer, da ich den Busplan in der anderen Hand studierte. So wie es aussah, hatte ich noch etwas Zeit und es war nicht mehr weit. Außerdem kamen die Busse in dieser Stadt nie zu früh. Als ich an der Bushaltestelle ankam, stellte ich allerdings mit Erstaunen fest, dass gerade ein Bus wegfuhr. War das meiner? Nein, das konnte nicht sein. Ich sah auf die Busnummer. Mit dem Müsliriegel vergessen in meiner Hand, fiel mir die Kinnlade herunter. Innerlich musste ich lachen. Klar, natürlich. Großartig. Warum auch nicht? Einfach großartig.

Ich beobachtete, wie mein Bus in der Ferne verschwand und schloss frustriert die Augen. So wie es aussah, war das Pech wirklich auf meiner Seite. Schnaubend setzte ich mich auf die Bank der Bushaltestelle, fasste in mein langes dunkles Haar und band es zu einem hoch sitzenden Pferdeschwanz zusammen. Dann schob ich mir die Brille wieder hoch und blinzelte im hellen Sonnenlicht. Die Morgensonne fühlte sich wie Balsam auf meiner Seele an und ich schloss die Augen. Ich holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus.

Was könnte jetzt noch alles schiefgehen?

Ich hatte eine Stunde Zeit, bis der nächste Bus kam, und ließ meine kurzen Beine von der Bank baumeln. Stirnrunzelnd stellte ich fest, dass die Sache mit der Jobsuche schwieriger war, als gedacht. Nicht falsch verstehen, ich hatte ja keine Wunder erwartet, aber irgendetwas schon. Und bis jetzt hatte ich einfach nur nichts.

Mein Blick fiel auf das Gebäude auf der anderen Straßenseite und ich konnte irgendwie nicht glauben, was dort geschrieben stand.

MAX Talent- und Personalbeschaffung.

Na, Hallo aber auch.

Einen irren Moment lang spielte ich mit dem Gedanken, dort hinzugehen. Aber war es schlimm, sich bei einer Personalbeschaffungsagentur einzutragen, während man auf eine Stelle von einer anderen Arbeitsagentur wartete? Vielleicht machte man so etwas nicht, aber ich hatte keine bessere Idee. Ich meine, ernsthaft, was könnte es schaden? Und sollte Leah mich anrufen, würde ich sofort bei ihr aufschlagen. Sie müsste es ja nie erfahren.

Bevor ich es mir anders überlegen konnte, stand ich auf, überquerte im Laufschritt die Straße, sodass mein Jeansrucksack mir bei jedem Schritt auf den Rücken klatschte. Mir wurde etwas warm und ich spürte das Blut in meinen Wangen, also hielt ich einen Moment inne. Dann leckte ich mir über die Lippen und legte die Hand an die Glastür, um sie aufzuschieben. Ich trat ein und die hübsche Frau hinter dem Schreibtisch sah mich von oben bis unten an.

„Sind Sie wegen des Bewerbungsgesprächs hier?“

Ich horchte auf. Ein helles, blendendes Licht leuchtete um die Frau, als wäre sie ein himmlisches Wesen und Engelschöre sangen im Hintergrund. Sollte ich es wagen? Es war ein Wunder. Eine höhere Macht gab mir ein Zeichen, eine Chance. Ich spürte es bis ins Mark. Außerdem war es unehrlich. Aber ich wäre eine Idiotin, wenn ich die Gelegenheit nicht beim Schopf packen würde, obwohl ich nicht einmal wusste, um was für einen Job es sich überhaupt handelte. Aber wen interessierte das schon? Es war ein Job. Und Nanna sagte immer, dass man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen sollte.

Mit offenem Mund nickte ich und sie murmelte etwas, das gelangweilt klang wie: „Name?“

Ich schluckte hart und sagte quietschend: „Emily Aldrich.“

Die Frau betrachtete sich eine Liste und sah mich unfreundlich an. „Haben Sie Bewerbungsunterlagen? Welche Agentur hat Sie geschickt.“

Oh nein. Erwischt. Lügnerin.

Ja. Ich war ein fürchterlicher Mensch. Aber ich dachte darüber nach und fragte mich, was es mir bisher gebracht hatte, ein guter Mensch zu sein. Die Antwort kam schnell. Nichts. Einen riesigen, qualmenden Haufen Nichts. Das hatte es mir gebracht. Fürchterlicher Mensch oder nicht, ich entschied mich, es zu wagen. Mein Herz begann zu pochen, aber irgendwie schaffte ich es, zu reden. „Leah von der Arbeitsagentur The Edge unten an der Straße schickt mich.“ Ich holte meine verknitterten Bewerbungsunterlagen aus dem Rucksack. „Bitteschön.“

Obwohl die Frau den Zustand meiner Papiere mit einem Stirnrunzeln betrachtete, glättete sie sie und warf mir einen weiteren seltsamen Blick zu. „Gehen Sie die Treppe hoch. Sie sind Nummer zwölf.“

Oh mein Gott, sie hatte es mir abgekauft. Ich frohlockte innerlich und lief die Treppe hoch, so schnell ich konnte. Das Pech machte eine Pause. Dafür würde ich sorgen. Das musste ich einfach.

Die Tür öffnete sich und als eine hübsche junge Frau heraustrat, lächelte ich sie an. Sie zögerte, betrachtete mich von oben bis unten und setzte ebenfalls ein Lächeln auf, das ihre Augen aber nicht erreichte. Plötzlich befangen, blickte ich nach unten auf die gefalteten Hände auf dem Schoß. Das war immer so bei schönen Menschen. In meiner Brust spürte ich einen Stich. Mein Kopf redete mir ein, dass ich hier nicht hingehörte und ich brauchte einen Augenblick, um mich zu sammeln.

Aber wen scherte es schon, wenn ich nicht hier hineinpasste? Ich war hier, um ein Bewerbungsgespräch zu führen und nicht um Freundschaften zu knüpfen. Das war nicht das Ziel. Ich meine, Freunde wären schon nett, waren aber nicht unbedingt notwendig. Ich hatte bis heute ohne Freunde gelebt.

„Emily Aldrich“, rief eine männliche Stimme.

Ich sah hoch, schnappte mir den Rucksack, warf ihn über meine Schulter und stand auf. Ich ging zu der offenen Tür und der Mann in mittleren Jahren dort schien etwas zu erbleichen, als er mich sah.

Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Hallo. Ich bin Emily.“

„Äh …“ Er sah mich noch mal von oben bis unten an. „Micah. Schön, Sie kennenzulernen.“

Wir schüttelten uns kurz die Hände und als ich weiter in den Raum hineinging, hielt ich inne. Ein anderer Mann saß auf einem Drehstuhl, aber das war nicht der Grund, warum ich stockte. Der Mann war groß, muskulös und hatte Tattoos.

Himmel.

Ich schluckte hart. Er war unheimlich attraktiv. Ich versuchte, noch einmal zu schlucken, aber mein Mund war trocken und meine Zunge klebte fest.

Du lieber Gott, warum? Er war einer von diesen schönen Menschen.

Als er mich sah, stand er auf und wartete auf etwas. Mit Micah hinter mir, der sich räusperte, schoss ich nach vorn.

„Oh, tut mir sehr leid.“ Ich streckte dem gut aussehenden Mann die Hand entgegen und versuchte mich an meinem strahlendsten Lächeln. „Hallo, ich bin Emily.“ Die riesige Hand des Mannes umschloss meine und ich konnte nur starren. Und weil mein Gehirn-zu-Mund-Filter noch nie richtig funktioniert hat, blubberte ich heraus: „Wow, große Hände.“

Mir wurde klar, was ich gesagt hatte, und ich verzog das Gesicht. Ich sackte zusammen und stöhnte leise. Ich klang wie eine Idiotin. Meine Zeit auf dem College hatte sich ja echt gelohnt.

Der Mann lachte leise und ich wurde knallrot. „Entschuldigung“, sagte ich kaum hörbar. Ich wrang mir die Hände. „Ich bin etwas aufgeregt.“