Odyssee

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Armageddon, die Suche nach Eden

Band 9

Odyssee

© 2013 Begedia Verlag

© 2013 Ben B. Black

ISBN: 978-3-95777-021-9 (epub)

Idee und Exposé: D. J. Franzen

Umschlagbild: Lothar Bauer

Layout und Satz: Begedia Verlag

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http://verlag.begedia.de

Die Situation in der Zentrale der »Suite 12/26« verschlechtert sich immer mehr. Die Moral der letzten Pilger ist am Boden, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie sich nicht mehr der Untoten unter dem Kommando von Professor van Hellsmann erwehren können.

Sandra fasst schließlich einen waghalsigen Entschluss, um die Situation zugunsten der Pilger zu ändern, doch der Preis, den die Pilger letztendlich für ihre Sicherheit zu zahlen haben, ist hoch. Sie müssen den Schutz und die Sicherheit des Bunkers verlassen, wenn sie überleben wollen. Und so müssen sie ihre Reise durch das Land der Toten auf der Suche nach Eden erneut aufnehmen. Es ist der Beginn einer ...

... Odyssee

Kapitel I

Strukturen

In ihrer Nähe bewegte sich etwas. Unwillkürlich wandte sie den Kopf in die Richtung, aus der die kaum wahrnehmbaren Geräusche kamen. In der Dunkelheit konnte sie nichts erkennen, aber eine Art sechster Sinn sagte ihr, dass das Geräusch wichtig für sie war.

Sie machte einen unbeholfenen Schritt nach vorne. Wo befand sie sich hier überhaupt?

Das leise Schaben und Rascheln setzte aus, und sie blieb stehen. Wie war sie hierher gekommen?

Etwas Kleines, Schnelles bewegte sich auf dem Boden, direkt auf sie zu. Wie lange hatte sie hier reglos gestanden?

Das Geräusch trippelnder Füßchen auf nacktem Beton erreichte sie, blieb direkt vor ihr stehen. Etwas Spitzes bohrte sich in ihren nackten Fuß, zerrte daran und riss schließlich ein winziges Stück Fleisch heraus.

Sollte das nicht eigentlich wehtun?

Dann wusste sie, was sie zu tun hatte. Flink bückte sie sich nach der Ratte, die sich eben einen zweiten Happen genehmigen wollte, schnappte das Tier und biss ihm im nächsten Moment den Kopf ab.

Warmes Rotes! Wie sie das genoss!

Gierig stopfte sie sich den Rest des Tieres in den Rachen, kaute, mampfte und schluckte die warmen, blutigen Brocken. Dabei nahm sie zufrieden zur Kenntnis, dass sie sich langsam wieder wacher und kräftiger fühlte.

Tabea.

Ja, das war einst ihr Name gewesen. Sie versuchte ihn auszusprechen, aber es kam nur ein Schmatzen und Krächzen aus ihrem Mund.

Egal. Der Name war nicht wichtig, sondern nur, dass sie lebte – und dass sie mehr von dem Warmen Roten bekam!

Erfreut stellte sie fest, dass ihr das Gehen leichter fiel als noch vor der kleinen Zwischenmahlzeit. Würde sie noch mehr an Kraft, Schnelligkeit und Geschick gewinnen, wenn sie mehr Warmes Rotes bekäme? Ja, so würde es sein. Sie wusste zwar nicht, woher sie diese Sicherheit nahm, aber es gab für sie keinen Zweifel daran.

Mit einem klatschenden Geräusch stieß sie gegen etwas Hartes. Wand, zuckte ein Wort durch ihren Geist, gefolgt von Zimmer.

Sie blieb stehen, lauschte in die Dunkelheit. Dann formte sich ein weiterer Gedanke in ihr: Tür

Ja, das war es! Sie musste die Tür finden, durch die man dieses Zimmer-Ding verlassen konnte. Wenn es hier kein Warmes Rotes mehr gab, dann vielleicht auf der anderen Seite des Tür-Dings.

Ein schleifendes Geräusch verursachend tastete sie sich an der Wand entlang. Dann wieder das Klatschen, und sie musste stehenbleiben, weil es nicht mehr weiterging.

Zimmerecke.

Kurz lauschte sie dem Sinn des Wortes nach, dann wandte sie sich nach rechts und tastete sich weiter an der Wand entlang.

Schließlich änderte das schleifende Geräusch seinen Klang. Sie hielt inne und tastete den Bereich vor sich ab. Ihre Hände patschten gegen den Widerstand in ihrer Reichweite, berührten schließlich eine Art Haken und drückten ihn nach unten.

Das Tür-Ding ging auf. Helligkeit schlug ihr entgegen.

Sie machte zwei Schritte, dann stand sie in dem, was ihrem Geist ein Gang entlockte.

Wieder hörte sie ein Geräusch. Es kam von links, unterschied sich aber von dem des kleinen Warmen Roten von eben. Sie drehte sich in die entsprechende Richtung.

Dort stand etwas, das sie nicht einordnen konnte. Irgendetwas stimmte damit nicht. Ja, natürlich! Das Etwas dort bewegte sich, aber es handelte sich trotzdem nicht um ein Warmes Rotes. Aber was war es dann?

Beinahe übergangslos und mit atemberaubender Geschwindigkeit kam das Etwas auf sie zu. Sie fühlte sich gepackt, dann wurde ihr der Kopf mit einem hässlichen Knacken so weit auf die Seite gedreht, dass sie die Kontrolle über ihren Körper verlor.

Mit einer merkwürdigen Distanz zum Geschehen wurde Tabea klar, dass sie soeben selbst zu einer Zwischenmahlzeit geworden war.

***

»Verdammt, Steins!« Sandra funkelte den Totlebenden wütend an. »Worauf warten Sie noch? Sie sollen mich endlich losmachen, habe ich gesagt!«

»Und dann wollen Sie was genau machen, Frau Sandra?« Der Doktor legte den Kopf schief und sah die junge Frau an, als sei sie ein interessantes Studienobjekt.

»Wenn Sie mich noch lange warten lassen, beiße ich Ihnen den Kopf ab, sobald ich frei bin! Das werde ich machen!«

Steins blickte Martin an. »Was meinst du? Sollen wir es wagen?«

»Ich fasse es nicht!«, schrie Sandra. »Musst du erst deinen Caesar um Erlaubnis fragen? Denjenigen, dem wir einen Teil der ganzen Scheiße hier zu verdanken haben? Mach! Mich! Los! Und vor allem hör mit diesem dämlichen ›Frau Sandra‹ auf!«

Martin atmete tief ein und aus, dann wandte er sich direkt an Sandra: »Ich kann ja verstehen, dass du sauer bist, aber ...«

»... es war der einzige Weg!«, fuhr ihm Sandra ins Wort. »Blah, blah, blah! Vielleicht hast du – habt ihr alle – ja recht damit, aber gefallen muss es mir trotzdem nicht, oder?«

»Natürlich nicht, Fr..., äh, Sandra.« Steins schüttelte den Kopf. »Trotzdem machen wir uns Sorgen.«

»Um mein Wohlbefinden etwa?« Sandra lachte auf. »Wenn ich es richtig verstanden habe, bin ich jetzt so etwas Ähnliches wie unsterblich, sofern mein Gehirn nicht irreparabel beschädigt wird. Was mich direkt zu der Frage bringt, wie man ein Gehirn überhaupt reparieren kann.«

»Nun, es gab schon früher Forschungen in dieser Richtung«, begann Steins.

»Klappe, Doc! Ich will davon nichts hören, verstanden? Mir reicht für den Moment das Forschungsergebnis, zu dem ich geworden bin.«

»Aber Sandra ...«, setze Martin lahm an.

»Und du hältst auch die Klappe, o mein Caesar! Als Jörg noch die Führung innehatte, lief der Laden einigermaßen rund, aber dir hat es ja nicht genügt, einen Kopf platzen zu lassen, nein, es musste gleich ein ganzer Mann sein!«

»Was hätte ich denn tun sollen? Er ist mit einem Messer auf mich losgegangen und wollte mich abstechen. Der Typ war total durchgeknallt. Hätte ich mir von ihm die Kehle durchschneiden lassen sollen?«

»Ein interessanter Gedanke.« Sandra grinste böse. »In dem Fall würdest du nämlich vielleicht hier auf dieser dämlichen Liege hocken und darum betteln müssen, dass man dich endlich losmacht!«

Martin schluckte und wurde blass. »Ist das dein Ernst?«, flüsterte er. »Hasst du mich so sehr?«

»›Hassen‹ ist das falsche Wort«, stellte Sandra klar. »Aber ein paar ordentliche Arschtritte hast du dir für die Scheiße verdient, die du angerichtet hast. Und mit jeder Minute, die ich länger hier sitzen muss, werden es mehr.«

»Ich störe ja nur ungern«, meldete sich da Roland zu Wort, der das ganze Gespräch bislang schweigend und mit großen Augen verfolgt hatte. »Ihr denkt bei all dem noch daran, dass uns van Hellsmann soeben ein Ultimatum gestellt hat, ja? Vielleicht wäre es angebracht, zeitnah darauf zu reagieren. Oder wollen wir lieber warten, bis er seine Horden auf uns loslässt und uns erst dann einen Plan überlegen, wenn wir bereits mit dem Rücken an der Wand stehen?«

»Da gibt es nicht viel zu überlegen«, fauchte Sandra. »Ich habe doch bereits gesagt, dass es mir ein Spaß sein wird, mit dem Herrn Professor zu verhandeln. Also macht mich endlich los und verpasst mir diesen scheiß Gürtel, damit wenigstens einer hier das erledigen kann, was getan werden muss!«

»Und wenn wir wieder einen Lockdown auslösen, um die unteren Ebenen abzuriegeln?«, überlegte Roland laut. »Ich finde sicher einen Weg, die Steuerung der Anlage so zu schalten, dass wir wieder die Möglichkeit dazu haben. Dann wären wir vor van Hellsmann und seine Kreaturen sicher und könnten hier oben auf das Frühjahr warten. Und wer weiß, vielleicht fällt uns auch eine Möglichkeit ein, wie wir erneut die Kontrolle über den ganzen Bunker erlangen können.«

»Ich weiß, auf was du hinaus willst.« Steins wiegte bedächtig seinen Kopf. »Es wird jedoch nicht funktionieren. Pieter kennt die gesamte Anlage besser als wir alle zusammen. Er hat faktisch sein halbes Leben hier verbracht, und er weiß sicher eine ganze Reihe von Dingen, an die wir noch nicht einmal im Traum denken. Ich habe keine Zweifel, dass es dir gelingen wird, den Lockdown auszulösen, aber genauso wenig zweifle ich daran, dass Pieter einen Weg kennt, die Sperren wieder aufzuheben oder sie zu umgehen.«

»Könnte stimmen, Doc«, knurrte Roland. »Alle von Menschen geschaffenen Mechanismen haben Fehler, selbst wenn dieser lediglich darin besteht, dass es einen autorisierten Weg gibt, eine Sperre wieder aufzuheben. Wir müssten alle Aufzugschächte, die Lüftung und jede kleinste Ritze regelrecht zubetonieren, und auch dann bin ich mir nicht sicher, ob sich van Hellsmanns Zombies nicht einfach durch den Beton hindurchfräßen.«

 

»Wenn doch nur Jörg hier wäre«, murmelte Martin.

»Du meinst wegen seiner militärischen Ausbildung?«, mutmaßte Roland. »Die habe ich auch. Ich war lange genug bei dem Haufen, zwar nicht als Offizier, aber auch als StUffz lernt man so einiges über Taktik. Ich teile Franks Einschätzung: Wir können van Hellsmann da unten nicht einsperren, geschweige denn wird es uns gelingen, wieder die gesamte Suite 12/26 unter unsere Kontrolle zu bringen.«

»Davon rede ich doch die ganze Zeit!«, fauchte Sandra. »Anscheinend funktioniert mein Gehirn inzwischen besser als eure. Wir müssen evakuieren, und ich werde diesen Möchtegern-Herrscher lange genug hinhalten, damit es auch klappt.«

»Und wieso denkst du, dass das klappen wird?« Martin sah sie skeptisch an. »van Hellsmann ist nicht blöd, er wird es schnell durchschauen, wenn du auf Zeit spielst.«

»Na und? Was kann mir schon groß passieren? Schau mich doch mal an! Was will er mir denn antun, was mir nicht bereits angetan wurde? Mich töten?« Sandra lachte schrill. »Wenn ich es mir recht überlege, täte er mir sogar einen Gefallen damit.«

»Ich entnehmen deinen Worten, dass du einen Plan hast«, stellte Steins fest. »Dürfen wir erfahren, wie dieser genau aussieht?«

»Ja, ich habe einen Plan, wenn auch erst einmal nur in groben Zügen. Aber er wird funktionieren, denn ich habe in Köln geschworen, die Kinder zu beschützen. Bislang ist mir das gut gelungen, finde ich, auch wenn ich dabei immer wieder gegen Querschläger zu kämpfen hatte.«

Bei den letzten Worten bedachte sie Martin mit einem scheelen Blick, woraufhin dieser den Kopf senkte und betreten zu Boden starrte.

»Also gehe ich jetzt da runter und rede mit dem durchgeknallten Professor«, sprach Sandra weiter. »Außer mir und dem Doc kann sich eh keiner auf Ebene 2 wagen, ohne Gefahr zu laufen, ein Leckerli für einen verirrten Zombie zu werden.«

Martin hob den Kopf und sah Sandra direkt an. »Ich könnte ...«

»Nein danke, du hast schon genug Schaden angerichtet. Ich gehe, und damit basta!«

»Sandra hat recht«, stellte sich Steins auf ihre Seite. »Sie ist die geeignete Unterhändlerin, und sie wird uns die Zeit verschaffen, die wir benötigen, um den Bunker zu evakuieren. Außerdem wird jeder von uns für etwas anderes gebraucht: Roland und Gregor kümmern sich um die Fahrzeuge, Martin nimmt sich der Kinder an, Erich und ich kennen den Weg, der uns hier herausbringt.«

»So ist es entschieden.« Martin nickte, wandte sich ab und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.

Steins machte Sandra los und begann dann, unterstützt durch Levi, ihr den Gürtel anzulegen, der sie mit Nährstoffen und Beruhigungsmitteln versorgen würde.

***

Pieter van Hellsmann saß in der Messe auf Ebene 2 und betrachtete die Einrichtung des Raums mit großem wissenschaftlichen Interesse, so als ob er sie nie zuvor gesehen hätte. Sein Blick glitt über die Tische, sezierte förmlich deren Form und Beschaffenheit, während ein weiterer Teil seines Bewusstseins unterschwellig registrierte, dass um die meisten von ihnen je zwölf Stühle standen.

Ein Dutzend also. Auf van Hellsmanns Gesicht entstand ein Lächeln, das vielleicht hintergründig gewirkt hätte, wäre da nicht ein abfälliger Zug um die Mundwinkel gewesen. Obwohl vor Anbruch der neuen Weltordnung offiziell überall das metrische und somit auch das Dezimal-System eingeführt wurde, haben sich die Menschen nie wirklich von überkommenen Dingen gelöst. Auch heute noch messen sie die Zeit in Vielfachen eines Dutzend, statten ihren Hausrat mit je zwölf Gläsern einer Sorte, zwölf Sätzen Besteck und Tellern aus oder messen Dinge in Zoll. Aber ja, offiziell ist jetzt alles dezimal. Dabei frage ich mich ohnehin, warum das eigentlich viel praktischere Zwölfer-System zugunsten des doch recht sperrigen Zehner-Systems aufgegeben wurde. Vermutlich liegt es daran, dass Menschen in der Regel über nur zehn Finger verfügen und das Zehner-System für sie somit im wahrsten Sinne des Wortes begreifbarer ist. Arme Kreaturen! Wie beschränkt ihre Gehirne doch sind.

Ein leise trommelndes Geräusch holte den Professor aus seinen Überlegungen. Für einen Moment wirkte er ein wenig verwirrt, dann machte er seine Finger als Ursache der Störung aus.

Sofort befahl er dem Teil seines Körpers, der sich verselbstständigt zu haben schien, damit aufzuhören. Für einen großen Staatsmann, der er ja künftig sein würde, geziemte es sich nicht, Ungeduld derart offen zu zeigen. Seit Übermittlung seines Ultimatums an die Menschen auf Ebene 1 war noch nicht einmal eine halbe Stunde vergangen. Er wusste genau, dass Jörg und seiner Truppe gar nichts anderes übrigblieb, als mit ihm zu verhandeln, und diesen Teil des Spiels wollte er unter gar keinen Umständen auslassen. Wenn die Menschen schließlich bemerkten, wie seine wirklichen Ziele aussahen, war es für sie ohnehin zu spät. Bislang hatte er am Ende immer das bekommen, was er wollte, und das würde auch diesmal nicht anders sein.

Schnell brachte van Hellsmann seine Mimik wieder unter Kontrolle, denn sein Grinsen schien mittlerweile von einem Ohr zum anderen zu reichen. Er war schon gespannt darauf, ob Jörg selbst kommen oder lieber jemand anderen vorschicken würde, und der Professor wollte dem Unterhändler auf jeden Fall würdig entgegentreten.

***

»Und, wie fühlst du dich?«, erkundigte sich Steins bei Sandra, nachdem er und Levi Kleinmann ihre Arbeit vollendet und die junge Frau von ihren Fesseln befreit hatten.

»Eigentlich auch nicht viel anders als vorher.« Sandra schloss die Augen und lauschte einen Moment lang nach innen. »Okay, der Hunger ist schwächer, aber ich muss immer noch pissen.«

Sie grinste breit, während Levi das Gesicht verzog.

»Der Harndrang ist immer noch da?«, wunderte sich Steins. »Merkwürdig. Aber ich fürchte, wir haben jetzt keine Zeit, dem weiter nachzuspüren.«

»Ja, Herr Kollege, so sehe ich das auch.« Kleinmann nickte zur Bekräftigung seiner Worte.

»Herr Kollege?« Steins sah den anderen mit leicht schiefgelegtem Kopf an. »Ich dachte, wir hätten die Förmlichkeiten abgelegt?«

»Klingt logisch«, nuschelte Kleinmann, dabei hörte man seiner Stimme an, dass er nicht so recht wusste, was er davon halten sollte. Laut sagte er: »Stimmt, da war was, Frank.«

»Freut mich, Levi.« Steins lächelte. »Es ist schön, dass uns das trotz der widrigen Umstände ein gewisses Maß an Normalität zurückgibt. Schließlich werden wir voraussichtlich noch eine lange Zeit zusammenarbeiten, da würde ich es äußerst unpassend finden, künstlich auf Distanz zu bleiben.«

»Ich gehe dann mal nach den anderen sehen«, verabschiedete sich Kleinmann, nickte Sandra noch einmal zu und verließ eilig den Raum.

Frank Steins blickte ihm noch einen Augenblick nach, dann wandte er sich an Sandra: »Jetzt wo wir alleine sind, möchte ich noch eine andere Sache ansprechen.«

»Willst du mich in ein paar Geheimnisse der Totlebenden einweihen, Doc? Sozusagen der Kodex derer mit dem allzeit vornehm blassen Teint?«

»Klingt nach einer interessanten Idee.« Steins kicherte, wurde jedoch schnell wieder ernst. »Ich fürchte, das müssen wir ebenfalls auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, denn ich bin mir nicht sicher, wie lange Pieter sich noch in Geduld üben wird, wenn nicht bald jemand von uns bei ihm auftaucht.«

»Also, was hast du auf dem Herzen? Spuck’s aus, ich bin ganz Ohr!«

»Es geht um unsere Flucht, oder besser gesagt darum, was mit denjenigen geschieht, die wir hier zurücklassen.«

»Ehrlich gesagt ist es mir scheißegal, was mit van Hellsmann und seiner Brut passiert.« Sandras Miene verfinsterte sich. »Meinetwegen können sie alle verrecken, oder sich so lange an ihren Pimmeln ziehen, bis sie sich das letzte Bisschen Verstand aus der Rübe gewichst haben. Am liebsten würde ich dem durchgeknallten Professor für das, was er hier angerichtet hat, die Eier einzeln abreißen und ihm in seine dämliche Hackfresse rammen. Das Einzige, was mich davon abhält, ist die Tatsache, dass er es vermutlich eh nicht spürt, also kann ich mir den Aufwand auch schenken.«

»Ich kann deine Gefühle gut verstehen, aber ich denke auch noch an etwas anderes. Nehmen wir einmal an, die Evakuierung klappt, ohne dass Pieter Wind davon bekommt. Wie, denkst du, geht es danach weiter?«

»Öh, keine Ahnung.« Sandra zuckte mit den Schultern. »Ihr macht euch auf den Weg nach jenem Eden, und ich sehe zu, dass ich bei passender Gelegenheit ebenfalls hier verschwinden kann?«

»Einmal davon abgesehen, dass ich irgendwie nicht den Eindruck habe, dass du tatsächlich vorhast, uns zu folgen ...«

»Was willst du damit sagen?« Sandra funkelte Steins an. »Soll das heißen, ich lüge?«

»Das habe ich weder gesagt noch gemeint, außerdem geht es mir um etwas völlig anderes.«

Sandra schluckte sichtlich ihren Ärger hinunter, dann nickte sie. »Also gut, Doc, auf was willst du hinaus?«

»Ich kenne Pieter. Er wird sich nicht damit zufriedengeben, den Bunker unter Kontrolle zu haben. Außerdem will er sicherlich weiteres Material für seine Experimente. Erinnerst du dich noch an die Situation, als ihr auf Ebene 2 auf der Suche nach ihm wart und er unbedingt seinen Zombies beim Fressen zusehen wollte?«

»Und ob ich mich daran erinnere! Scheiße, war das knapp! Aber es erklärt immer noch nicht, auf was du rauswillst. Mensch, Doc, lass dir dich nicht jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen!«

»Ich sagte es doch bereits: Er wird sich nicht mit dem Bunker zufriedengeben, und er wird weitere Opfer für seine Versuche haben wollen, die es hier unten aber nicht mehr gibt. Was denkst du denn, warum er will, dass wir kapitulieren, anstatt einfach in den Ebenen, die er faktisch jetzt schon unter Kontrolle hat, eine Parallelgesellschaft zu etablieren?«

»Okay, verstanden.« Auf Sandras Stirn bildete sich eine Unmutsfalte. »Du denkst also, er wird die Pilger verfolgen, wenn er merkt, dass sie ausgebüxt sind?«

»Davon ist auszugehen.« Steins nickte.

»Dann halte ich ihn einfach so lange hin, bis euer Vorsprung groß genug ist, damit er euch nicht mehr einholen kann.«

»Pieter ist kein Idiot, er würde das über kurz oder lang bemerken.«

»Prima. Am besten geben wir also gleich auf und werfen uns ihm und seiner Mannschaft zum Fraß vor, oder wie?«

»Es gäbe da noch eine andere Option, aber die ist nicht ganz ungefährlich.«

»Dann rück endlich raus damit! Wenn ich dem Wichser in den Arsch treten kann, dann ist mir das jedes Risiko wert.«

»Das dachte ich mir bereits. Also, es ist so: In der Redundanzzentrale auf Ebene 2 gibt es eine Möglichkeit, die Selbstzerstörung des Bunkers auszulösen.«

»Klingt doch gut. Wo ist das Problem?«

»Nach Aktivierung hättest du nur fünf Minuten Zeit, den Bunker zu verlassen, bevor du ebenfalls gegrillt wirst. Das ist verdammt knapp, vor allem wenn man bedenkt, dass Pieter keinen Verdacht schöpfen darf, denn ich bin mir nicht sicher, ob er nicht vielleicht einen Weg kennt, die Selbstzerstörung wieder abzuschalten.«

»Das schaffe ich schon.« Sandras Stimme klang entschlossen. »Wenn ich dem Professor die Eier schon nicht abreiße, kann ich sie ihm ja vielleicht ein wenig kraulen. Irgendwann frisst er mir aus der Hand, und dann trete ich ihm in den Arsch, wenn er es am wenigsten erwartet. Also, was genau muss ich tun, um das große Silvesterfeuerwerk in Gang zu setzen?«

Der Doktor erklärte ihr mit wenigen Worten, wo sie den Auslöser für die Selbstzerstörung fand und wie dieser zu bedienen war. Sandra hörte aufmerksam zu, dann nickte sie zur Bestätigung, dass sie alles verstanden hatte.

»Bestens«, sagte sie schließlich. »Damit steht der Plan. Ich verschaffe euch und den Kindern so viel Zeit wie möglich, dann sorge ich dafür, dass van Hellsmann und seine Brut dorthin kommen, wo sie hingehören: In den tiefsten Schlund der Hölle.«

***

Bedächtig öffnete Sandra die Tür, die vom Nottreppenhaus in einen Seitengang der Ebene 2 führte. Auf der anderen Seite war niemand zu sehen, trotzdem sorgte sie dafür, dass der Türschließer die Metalltür nicht mit einem lauten Rums ins Schloss schlagen konnte.

Da hast du dich ja wieder in eine schöne Scheiße hineinlaviert, ging es hier durch den Kopf. Aber so war es schon mein ganzes Leben lang: Egal was ich anpacke, es zerbröselt mir immer genau in dem Moment unter den Fingern, wo es verspricht, gut zu werden. Okay, ich konnte die Kinder retten – zumindest bisher. Aber ansonsten ist doch alles im Arsch, und dabei ist mehr schiefgegangen, als selbst auf die Haut von hundert Kühen passt. Ich brauche mir rein gar nichts vorzumachen, ich bin ein Freak, und Jörg ist tot. Basta. Aus die Maus. Ende Gelände.

 

Sandra hieb mit der Faust gegen die nahe Wand, bereute es jedoch sofort wieder, als das dabei entstehende klatschende Geräusch die Stille durchbrach. Für einen Moment lauschte sie, ob jemand – oder besser etwas – auf sie aufmerksam geworden war.

Noch nicht mal leise sein kann ich, selbst wenn ich es mir noch so fest vornehme. Sandra verzog verächtlich das Gesicht. Eigentlich ist es ja auch völlig schnuppe, ob mich eines von van Hellsmanns Viechern annagt oder ich mitsamt dem Scheißkerl zur Hölle fahre. Wichtig ist nur, dass der Junkie, Erich, der Doc und die anderen genug Zeit haben, die Kinder in Sicherheit zu bringen. Das was ich hier mache, ist meine letzte und vielleicht sogar einzige gute Tat in meinem Leben, also kann ich dabei auch mit Pauken und Trompeten draufgehen. Scheiß auf das Schicksal, scheiß auf das Leben – und erst recht auf das Totleben!

***

Zwei Gänge weiter traf Sandra auf die ersten Bewohner dieser Ebene. Diese blickten kurz auf, als sie um die Ecke kam, stuften sie dann aber anscheinend als nicht weiter beachtenswert ein und starrten wieder leer vor sich hin.

Sandra fragte sich, wie van Hellsmann sich das bei seiner Forderung eigentlich gedacht haben mochte. Der Professor musste ja davon ausgehen, dass ihre Gruppe aus lauter lebenden Menschen bestand, wie hätte es einer davon in die Messe auf Ebene 2 schaffen sollen, ohne gebissen zu werden oder sich den Weg frei zu schießen? Oder legte van Hellsmann es etwa genau darauf an? Wollte er die »Anführer«, wie er es bezeichnet hatte, auf diese Weise einen nach dem anderen auf seine Seite bringen? Das konnte man wohl auch als eine Art »Überzeugungsarbeit« bezeichnen ...

Als Sandra um die nächste Ecke bog, blieb sie überrascht stehen. Sie blickte direkt auf den Rücken eines Zombies, der zu Lebzeiten offenbar wohlgenährt gewesen war, und dieser Untote kam ihr äußerst bekannt vor. Dann wurde Sandra klar, wen sie da vor sich hatte. »Die Hengsten!«, entfuhr es ihr.

Durch das Geräusch der Stimme aufmerksam geworden drehte sich das Annegret-Ding herum und glotzte Sandra blöde an.

»Du warst auch schon zu Lebzeiten nicht die Hellste.« Sandra konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Immerhin passen deine altbackenen Klamotten nun zu deinem neuen Teint. Keine Probleme mehr mit dem allmorgendlichen Schminken, was?«

Das Annegret-Ding grunzte, dann wandte es Sandra wieder den Rücken zu.

»Und deine Manieren sind auch nicht besser geworden.« Sandra kicherte. »Wenn deine Amtszeit als zweite Bürgermeisterin der ›wahren Menschen‹ ein wenig länger als ein paar Stunden gedauert hätte, müsste ich davon ausgehen, dass dich die Macht korrumpiert hat, so wie es bei den meisten ist, die sich Politiker nennen. Aber du warst schon immer ein selbstsüchtiger Trampel, es grenzt also an ein Wunder, dass du nicht bereits vor der Apokalypse Karriere in der Lokalpolitik gemacht hast.«

Mit wem rede ich hier eigentlich?, durchzuckte es Sandra, als ihr auffiel, dass sie soeben einen längeren Monolog gehalten hatte, den das Annegret-Ding nicht einmal mehr mit einem Grunzen quittierte.

In diesem Moment waren vom anderen Ende des Ganges her Geräusche zu vernehmen. Prompt setzte sich Annegret in Bewegung und schlurfte langsam in die entsprechende Richtung.

Sandra überlegte, ob sie zur Messe weitergehen sollte, da tauchte an der nächsten Gangbiegung eine Gestalt auf, deren Kleidung Sandra entnahm, dass es sich einst um einen Militärgeistlichen gehandelt haben musste. Unwillkürlich fiel ihr Pfarrer Patrick Stark ein, mit dem zusammen sie aus Köln geflohen waren. Gefühlt lag das inzwischen Jahre zurück und Sandra fragte sich, ob der Geistliche seine letzte Ruhe gefunden haben mochte. Laut Stephan war Stark in Bonn von den anstürmenden Zombies überrannt worden, aber der Tod besaß heutzutage nicht mehr zwingend einen endgültigen Charakter.

Als der Seelsorge-Zombie das Annegret-Ding erblickte, legte er mit einem Mal eine Geschwindigkeit an den Tag, bei der Sandra glaubte, ihren Augen nicht trauen zu können. Annegret selbst hatte bei seinem Anblick offenbar das Interesse an dem Geräusch, das der andere verursachte, wieder verloren und blieb einfach dort stehen, wo sie sich im Moment befand. Im nächsten Augenblick erreichte der schnelle Zombie sie und riss ihr mit einem Ruck den Kopf von den Schultern. Achtlos ließ er ihn fallen, und während Annegrets Augen empört in ihren Höhlen rollten, bildete ihr Körper eine Art Festmahl für den flinkeren Kollegen.

Mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination betrachtete Sandra die Szenerie. Dabei lauschte sie in sich hinein und versuchte, ihre eigenen Empfindungen weiter zu erkunden. Würde sie auch irgendwann so sein, und gierig über andere Zombies herfallen? Sicher, in der Not fraß der Teufel bekanntlich Fliegen, aber auch so etwas wie Annegret-Zombies?

Sandra vermeinte zu spüren, wie sich Speichel in ihrem Mund sammelte. Unwillig schüttelte sie den Kopf. »Bäh!«

Der Seelsorge-Zombie unterbrach seine Mahlzeit und sah sie neugierig an.

»Du bist neu hier, oder?«, fragte er. »Zumindest habe ich dich bislang nicht gesehen.«

Das Ding konnte sprechen?!? Nun, warum nicht, schließlich konnte Sandra das auch. Aber der andere trug keinen Gürtel, der ihn bei Verstand hielt. Welche Teufelei hatte van Hellsmann hier unten wirklichen ausgeheckt?

Bei näherer Betrachtung stellte Sandra fest, dass an dem anderen irgendetwas nicht zu stimmen schien. Er wirkte ein wenig aufgedunsen, obwohl er zu Lebzeiten mit Sicherheit eher der asketische Typ gewesen war.

»Also bist du nun neu hier oder nicht?«, rissen die Worte des Seelsorge-Zombies sie aus ihren Überlegungen. »Oder gehörst du gar zu den Langsamen? Dann bleib schön da stehen, meine Süße, mit der hier bin ich nämlich gleich fertig.«

»Ich bin nicht deine Süße!« Sandra schnaufte empört. »Wage es, bloß deine stinkende Hand nach mir auszustrecken, und ich lasse dich dein eigenes fauliges Fleisch kosten!«

»Oho, du scheinst ja eine ganz Wilde zu sein. Aber meine Frage hast du nicht beantwortet. Bist du neu hier?«

»Das geht dich einen Scheiß an! Und jetzt geh mir aus dem Weg, der Professor erwartet mich!«

»Du sollst zum Obersten Lenker?« Die Augen des Untoten wurden groß. »Das ändert natürlich alles. Magst du einen Happen zur Stärkung abhaben? Normalerweise teile ich nicht, musst du wissen.«

»Danke, ich habe schon gespeist. Und jetzt geh mir aus dem Weg und lass mich vorbei, bevor ich dich melde.«

»Ist ja schon gut.« Der ehemalige Pfarrer machte zwei Schritte in Richtung der Korridorwand, achtete dabei aber darauf, seine Mahlzeit nicht aus dem Griff zu verlieren. »Vielleicht sehen wir uns ja irgendwann wieder und du weißt mein Angebot bis dahin zu schätzen. Schönen Tag noch, Süße!« Damit schlug er seine Zähne wieder in Annegrets Körper.

Sandra setzte ihren Weg fort, begleitet vom lauten Schmatzen eines ihrer neuen Artgenossen.

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