Verlorene Hoffnung

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Verlorene Hoffnung
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Armageddon, die Suche nach Eden

Band 3

Verlorene Hoffnung

© 2012 Begedia Verlag

© 2012 Ben B. Black

ISBN: 978-3-943795-15-8 (ePub)

Idee und Exposé: D. J. Franzen

Umschlagbild: Lothar Bauer

Layout und Satz: Begedia Verlag

Die Gruppe der Überlebenden um Sandra, Martin und Pfarrer Stark kommt im verwüsteten Deutschland nur langsam voran. Der Militär-LKW, mit dem Sandra und Stark einen Teil der Kinder aus Köln retten konnten, ist mit den Mitteln und Kenntnissen der Gruppe nicht zu reparieren. Sie beschließen sich zu Fuß nach Nörvenich durchzuschlagen, wo Sandra noch aktive Einsatzkräfte vermutet. Unterwegs treffen sie Stephan, einen Eigenbrödler mit merkwürdigen Neigungen. Trotz ihrer Bedenken gibt Sandra nach, als er sich den Flüchtlingen anschließen will.

Auf ihrem Weg werden die Überlebenden von einer ständig größer werdenden Meute schneller Zombies verfolgt, die von Frank angeführt werden. Gabriel peitscht den immer größer werdenden Hass auf alles Lebende in Frank an.

Doch als die Überlebenden endlich ihr Ziel erreichen, erweist sich der Stützpunkt als ...

... verlorene Hoffnung

Inhalt

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Band 4 Vorschau

Kapitel I

Das Häuschen im Grünen

Die aufgehende Sonne suchte sich einen Weg durch die Schlitze des Rollladens, kleine Staubpartikel tanzten in ihren Strahlen und reflektierten das Licht. Stephan drehte sich grunzend auf die andere Seite, ließ donnernd einen Darmwind entweichen und versuchte, mit einem »nur noch fünf Minuten« auf den Lippen wieder einzuschlafen.

Dann bemerkte er den beißenden Geruch, der definitiv nicht von ihm verursacht worden war, denn kein lebendes Wesen war in der Lage, so einen Gestank zu verbreiten. Vorsichtig öffnete er sein rechtes Auge ein winziges Stück weit und linste in Richtung der Sauerei am anderen Ende seines Schlafzimmers.

»Schade«, seufzte Stephan, »dabei hatte ich gehofft, dass alles nur ein Traum gewesen ist. Du meine Fresse, muss ich strack gewesen sein, als der Freak hier aufgetaucht ist.«

Kopfschüttelnd setzte er sich auf und bereute die schnelle Bewegung sofort. Ein stechender Schmerz suchte sich gleißend einen Weg durch sein Großhirn, nur um sogleich Kurs auf die Sehorgane zu nehmen, die Stephan umgehend schloss, um sich wieder unter Kontrolle zu bekommen.

»Erstmal eine Aspirin einwerfen«, murmelte er, als er sich mit geschlossenen Augen langsam aus seinem Bett erhob und sich noch kurz an dessen Rand festhielt, um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen.

Als er einen einigermaßen stabilen Stand gefunden hatte, fühlte er sich auch wieder stark genug für das, was es hier zu sehen gab. Entschlossen hob Stephan seine Lider und schaute sich die versaute Zimmerecke an.

In einer Lache geronnenen Blutes lag eine Gestalt mit merkwürdig verrenkten Gliedern, bei denen das teilweise fehlende Fleisch die Knochen hervorblitzen ließ. Dort wo der Kopf hätte sein sollen, befand sich nur noch eine breiige Masse, von der offenbar auch der größte Teil des widerlichen Gestanks ausging, der das Zimmer erfüllte.

Stephans Magen rebellierte mit Macht und brachte sein Herrchen dazu, den wieder aufflammenden stechenden Kopfschmerz zu ignorieren und sich schnellstmöglich in Richtung der Kloschüssel in Bewegung zu setzen, um die Schweinerei im Schlafzimmer nicht noch weiter zu vergrößern.

***

Stephan saß am Küchentisch und sah der großen weißen Tablette dabei zu, wie sie sprudelnd in einem Glas Wasser tanzte. Mit zitternden Fingern rieb er sich einen Rest Erbrochenes aus dem Mundwinkel. Er schwankte noch ein bisschen auf dem Stuhl, auf den er sich hatte fallen lassen.

Schließlich hatte sich das Schmerzmittel vollends aufgelöst, und Stephan stürzte gierig die schäumende Flüssigkeit hinunter. Es gluckerte kurz in seinem völlig entleerten Magen, dann brach sich ein ausgewachsener Rülpser Bahn, den Stephan hemmungslos in die Freiheit entließ.

»Besser!«, stellte er zufrieden fest.

In etwa einer Viertelstunde würde das leichte Medikament seine Wirkung entfalten und ihn endlich von den Kopfschmerzen befreien, die sich mittlerweile so anfühlten, als ob eine Horde Zwerge ein Bergwerk in seinem Kopf eröffnet hätte und dort begierig nach Bodenschätzen schürfte. Bis die ungebetenen Gäste vollends vertrieben waren, würde er sich ein leichtes Frühstück genehmigen, um anschließend genug Kraft zu haben, sich des Zustands seines Schlafgemachs anzunehmen.

Stephan erhob sich von seinem Stuhl und schlurfte zum Fenster, um den Rollladen hochzuziehen. Zufrieden stellte er fest, das vor dem Haus alles so aussah wie immer. Der tote Freak in seinem Schlafzimmer musste sich offenbar verlaufen haben, denn von seinen Kumpels war weit und breit keiner zu sehen.

»Tja, dein Pech, dass du meine Ruhe gestört hast.« Stephan grinste gehässig. »Mein Alu-Baseballschläger leistet eben immer noch hervorragende Dienste. Das ist Qualitätsarbeit Made in the USA, rockergangerprobt und unverwüstlich.«

Dann entdeckte er den umgestoßenen Gartenzwerg und fluchte: »Scheiße, du Arsch! Wenn ich das gleich gesehen hätte, wären Deine Eier vor Deiner Matschbirne fällig gewesen!«

Nun doch ein wenig verstimmt, wandte Stephan sich dem Küchenschrank zu und kramte eine Büchse Corned Beef und eine Packung Pumpernickel hervor. Beides so unverwüstlich wie der Baseballschläger aus Aluminium, solange es in der Dose war, doch wesentlich wohlschmeckender und nahrhafter. Zum Glück hatte er jede Menge von diesem und ähnlichem Zeugs gebunkert, bevor draußen alles zusammen-gebrochen war.

***

Gut eine Stunde später war Stephan wieder soweit bei Kräften, sich der Herausforderung des Saubermachens stellen zu können. Zuvor hatte er aber noch etwas anderes zu erledigen, das jetzt keinen Aufschub mehr duldete.

Mit entschlossener Mine betrat er den Vorgarten des Hauses, wo er die Fäuste in die Hüften stemmte. Missbilligend schüttelte er den Kopf und betrachtete einen Moment lang das Bild, das sich ihm hier bot.

Ein schmucker gepflegter Jägerzaun grenzte den Vorgarten gegen eine nahe Wiese ab, die sich in nicht allzu großer Entfernung an einen Wald anschloss. Innerhalb der Umzäunung lag ein kleiner aber feiner Ziergarten, der bis in die letzte Ecke liebevoll gestaltet war. Das Zentrum dieser Pracht bildete ein Gartenteich, in dem normalerweise ein kleiner Springbrunnen plätscherte, aber dessen »innere Werte« sich standhaft weigerten, ohne elektrischen Strom zu funktionieren.

Überhaupt lag das Häuschen mit seinem kleinen Grundstück idyllisch im Grünen, fast zwei Kilometer von Königsdorf entfernt am Rande des Forstes, dem die Ortschaft seinen Namen gegeben hatte. Stephans Eltern hatten das kleine Anwesen vor etwas mehr als fünfundzwanzig Jahren erworben und waren zusammen mit ihrem einzigen Kind hierher gezogen.

Anfangs hatte Stephan das Leben hier draußen gehasst, aber mit zunehmendem Alter fand er es immer angenehmer, sich vom Trubel der Menschen hierher zurückziehen zu können. Als seine Eltern dann vor fünfzehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, hatte er sich hier sein eigenes kleines Paradies geschaffen.

Wie es aussah, war die Ruhe hier draußen nicht nur Balsam für die Nerven, sondern offenbar auch der Grund dafür, dass Stephan von den Freaks, wie er sie nannte, die als Folge der Pandemie entstanden waren, bislang nicht behelligt worden war. Bis gestern Abend jedenfalls.

Stephan kratze sich am Bauch und versuchte, sich die Geschehnisse des Abends noch einmal ins Gedächtnis zurückzurufen, was ihm nicht ganz leicht fiel, denn aufgrund der Biermenge, die er getankt gehabt hatte, war er kurz vor einem Filmriss gestanden, als sich der ungebetene Besucher bemerkbar gemacht hatte.

***

Ein paar Stunden zuvor

Köln brannte. Obwohl das Wetter alles andere als gut war, konnte man den schwarzen Rauch, der von der ehemaligen Rhein-Metropole aufstieg, deutlich erkennen.

Stephan hatte die Stadt nie gemocht, trotzdem berührte ihn der Anblick irgendwie auf eine merkwürdige Weise. Fast schon automatisch ging er ins Haus zurück und griff nach einem Bier, nur um den Inhalt der Flasche in einem Zug hinunterzustürzen.

Ein paar Bier später tauchte Julia vor seinem inneren Auge auf. Stephan sah die langen blonden Haare, die ihr liebliches Gesicht umrahmten, vor sich, und er vermeinte, ihr glockenhelles Lachen hören zu können. Ach, Julia …

Nach einem weiteren Bier war Stephan gerade dabei, seinen Hosenladen aufzufummeln, um die Gedanken an Julia würdig zu zelebrieren, als ein leises Scharren zu hören war, das er zunächst einem der Wildtiere aus dem nahen Wald zuschrieb, von denen sich immer wieder eines vor seine Haustür verirrte.

Aus dem Scharren wurde eine Art Klopfen. Schließlich gab Stephan den Kampf mit seiner Unterhose auf und sah leise fluchend nach, was der Lärm zu bedeuten hatte. Wutentbrannt öffnete er die Tür, um das blöde Vieh zu verscheuchen, das ihn in seiner Andacht gestört hatte. Doch stattdessen stand einer dieser widerlichen Freaks vor ihm und ging auf ihn los.

 

»Scheiße!«, fluchte Stephan, denn das Ding auf seiner Türschwelle bewegte sich viel schneller als er es jemals für möglich gehalten hatte.

Der kurze Moment des Schreckens, der Stephan hatte erstarren lassen, genügte dem Angreifer. Zwei Arme schnellten nach oben und die Hände daran packten unerbittlich zu. Stephan fühlte sich nach vorne gezerrt und riss in einem Reflex seinen rechten Ellenbogen hoch, so dass dieser krachend in dem einschlug, was einmal der Mund des Dings gewesen war. Obwohl die Abwehrbewegung die restlichen Schneidezähne aus der fauligen Öffnung geschlagen hatten, biss das zugehörige Etwas unerbittlich zu.

»Scheiße!«, schrie Stephan erneut, allerdings mehr vor Schreck als vor Schmerz, denn die nun zahnlosen Kiefer taten sich schwer damit, die Haut seines Arms zu durchdringen. Aber er wollte es erst gar nicht so weit kommen lassen, dass ihm ebenfalls ein Stück Fleisch aus dem Arm fehlte, so wie es bei seinem Angreifer an mehreren Stellen der Fall war. Deshalb zerrte Stephan mit aller Macht an seinem Arm, um ihn wieder freizubekommen.

Zunächst stellte sich jedoch ein Art Pattsituation ein. Der Schmerz an Stephans Arm nahm zwar immer weiter zu, trotzdem wollte dem Angreifer der Biss einfach nicht gelingen. Als das Ding jedoch anfing, den Kopf ruckartig hin und her zu bewegen, bekam Stephan Panik, denn nun würde es nicht mehr lange gutgehen, bis ihm dennoch ein Stück seines Armes herausgerissen würde. Er zappelte und wand sich in dem Griff, doch obwohl das Genick des anderen ein paarmal gefährlich knirschte, ließ dieser nicht locker.

Schließlich wurde Stephans Gezappel so wild, dass beide der Länge nach hinfielen. Der Schädel des Freaks krachte dabei hart auf die Waschbetonsteine, und der bis eben eiserne Griff lockert sich soweit, dass Stephan sich losmachen konnte. Schnell sprang er auf, hastete nach drinnen und versuchte, die Eingangstüre hinter sich ins Schloss zu schlagen, allerdings hatte sich der Angreifer ebenfalls schon wieder aufgerappelt und einen seiner Arme zwischen Tür und Rahmen gebracht.

»Dich mach ich fertig, Du Freak!«, schrie Stephan außer sich. Er holte mit dem schweren Türblatt aus und schmetterte es immer und immer wieder gegen den Arm des Dings. Das ließ sich davon jedoch in keiner Weise beeindrucken, auch wenn immer mehr vom Knochen des Arms zum Vorschein kam. Dafür begann sich ein modriger Geruch im Hausflur auszubreiten.

Stephan blieb nichts anderes übrig, als seine Taktik zu ändern. Er ließ von der Haustür ab und rannte ins Schlafzimmer, denn dort wusste er ein Werkzeug, das ihm in diesem Fall behilflich sein konnte. Mehr im Unterbewusstsein nahm er wahr, dass das Ding ihm folgte und dabei die Haustüre krachend ins Schloss fiel, nachdem es sie passiert hatte.

Aha, der Freak hat wenigstens ein bisschen Anstand übrig behalten und macht die Tür hinter sich zu, stellte Stephan in Gedanken fest. Vielleicht geht sein Anstand ja sogar so weit, dass er sich die Schuhe abputzt, um mir ein wenig Zeit zu verschaffen.

Tatsächlich gelang es Stephan, den Raum mit genügend Vorsprung zu erreichen, um den Freak dort gebührend empfangen zu können. Als der seinen stinkenden Körper durch die Schlafzimmertür schob, krachte ihm Stephans Alu-Baseballer genau in die Fresse. Das Ding taumelte ein wenig nach links, und Stephan drosch erbarmungslos erneut auf dessen hässlichen Schädel ein. Wieder und wieder sauste das Sportgerät auf den Angreifer nieder, bis sich der Kopf am Ende in eine breiige Masse verwandelt hatte. Die lief zäh am Körper seines Besitzers herunter und erinnerte dabei an fauliges Müsli, in dem noch andere kleine Brocken schwammen, von denen Stephan gar nicht so genau wissen wollte, wo sie herkamen.

Als sich das Etwas, das offenbar einmal ein Mensch gewesen war und nun in der Ecke des Zimmers lag, nicht mehr regte, ließ Stephan den Baseballschläger keuchend fallen und ging ein paar Schritte zurück. Das Adrenalin, das bis eben mit Macht durch seinen Körper gepumpt worden war, befand sich nun auf dem Rückzug, was sich nicht nur darin bemerkbar machte, dass Stephans Hände anfingen zu zittern, sondern auch daran, dass der durch den Alkohol verursachte Nebel in seinem Kopf langsam zurückkehrte.

Stephan ließ sich auf das Bett fallen, wo er einem Moment lang einfach so dasaß, dann kippte er zur Seite und schlief ein. Kurz darauf war der Raum vom Schnarchen der Gerechten erfüllt.

***

»Ja, so in der Art muss das wohl gewesen sein«, überlegte Stephan laut, als er wieder aus seiner mehr bruchstückhaften Erinnerung in das Hier und Jetzt zurückkehrte.

Plötzlich riss er wie elektrisiert die Augen auf, krempelte seinen rechten Ärmel hoch und betrachtete den Arm, der darunter zum Vorschein kam. In der Nähe des Ellenbogens war ein großer blauer Fleck zu sehen, und das Gewebe wirkte ein wenig geschwollen. Als Stephan genauer hinsah, entdeckte er feine Schorfspuren, die durch die dunkle Färbung der Haut schwer zu sehen waren.

»Du Mistsau!«, entfuhr es ihm, denn auch er hatte schon Zombiefilme gesehen, und wusste daher, dass man selbst zu einem der Freaks wurde, wenn sie einen bissen. Zumindest, was man so als »wissen« bezeichnen konnte, denn die Filme hatte sich jemand ausgedacht, aber das hier war die Realität.

Stephan hatte sich aus der ganzen Sache bislang heraushalten können. Als es »dort draußen« ernst geworden war, hatte er sich krankgemeldet, obwohl ihm seine Arbeit bei der Post eigentlich viel Spaß machte. Aber es gab einfach Dinge, die waren wichtiger. Er hatte die Zeit, die ihm der »gelbe Urlaubsschein« verschafft hatte, dazu genutzt, seine Vorräte aufzustocken, so gut es eben ging, und sich dann hierher zurückgezogen. Aber wie es aussah, hatte ihn die Sache nun doch eingeholt. Was sollte er also tun?

Eine Weile kratzte sich Stephan nachdenklich am Kopf, dann zuckte er mit den Schultern und tat das, weswegen er überhaupt in den Vorgarten gekommen war. Um alles andere konnte er sich später noch kümmern, und falls er wirklich ebenfalls ein Freak werden würde, dann wollte er hier wenigstens alles ordentlich zurücklassen.

»Na, Anton, alles klar bei Dir?«

Beinahe zärtlich hob Stephan den Gartenzwerg, den der Zombie gestern Abend umgestoßen haben musste, auf und betrachtete ihn sorgfältig von allen Seiten. In einer Falte der grünen Schürze des kleinen Kerls hing ein wenig Erde, die Stephan vorsichtig entfernte, bevor er Anton wieder liebevoll an dessen angestammten Platz zurückstellte.

Ansonsten schien hier draußen alles so zu sein, wie es sich gehörte, also war nun das Schlafzimmer an der Reihe. Der ungebetene Besucher zahlte keine Miete, was ihm jetzt den verdienten Rausschmiss einbrachte. Die Kündigung hatte Stephan ja bereits gestern Abend in Form einer Reihe kräftiger Hiebe persönlich überbracht, das sollte eigentlich unmissverständlich gewesen sein, und den Rechtsweg gab es ja nun offenbar nicht mehr.

Stephan holte einen großen Eimer und eine Schaufel aus der Garage, zog sich ein Paar Gummihandschuhe über und betrat entschlossen sein Schlafzimmer.

»Boar, Alter, Du stinkst vielleicht!«, erklärte er dem Ding in der Zimmerecke. »Da brauchst du dich aber auch nicht zu wundern, wenn dich keiner bei sich haben will.«

Langsam begann er, die Überreste des Schädels zusammen mit allem anderen, was einen mehr flüssigen als festen Eindruck machte, in den Eimer zu schaufeln. Als dabei der obere Teil des Torsos zum Vorschein kam, in dem Luft- und Speiseröhre sowie das eine Ende der Wirbelsäule deutlich zu erkennen waren, begann Stephans Magen erneut zu rebellieren.

Schnell ging er ans Fenster, das er bereits beim Hereinkommen geöffnet hatte, um den Gestank nach draußen zu lassen, und nahm ein paar tiefe Atemzüge. Er ließ den Blick eine Weile über den Waldrand schweifen und lauschte dabei dem Zwitschern der Vögel. Ja, da draußen würden die Reste des Freaks gut aufgehoben sein, dort konnte er sich wenigstens noch als Dünger nützlich machen.

***

Gegen Mittag hatte Stephan alles soweit erledigt. Die Überreste des Zombies erfreuten die Würmer im Wald, das Schlafzimmer war wieder blitzblank geputzt, die eingesaute Stelle der Raufasertapete frisch gestrichen. Stephan war mit sich und der Welt zufrieden, bis sich sein Magen erneut meldete und ihn nachhaltig daran erinnerte, dass es Zeit fürs Mittagessen war.

Stephan fand, dass er sich zur Belohnung ein wenig Abwechslung auf dem Speiseplan verdient hatte, daher wollte er eine kleine Einkaufstour unternehmen. In einem der Läden und Restaurants entlang der Aachener Straße sollte sich doch irgendwo noch die eine oder andere Leckerei auftreiben lassen.

Da zu befürchten stand, in Königsdorf auf weitere Zombies zu treffen, packte Stephan zur Sicherheit seinen Baseballer, der ihm diesbezüglich ja bereits gute Dienste geleistet hatte, in den Rucksack, den er sich mit einer schwungvollen Bewegung umhängte, nachdem er sein Fahrrad aus des Garage geholt hatte.

Der Regen vom Vorabend hatte sich verzogen, und die Sonne ließ sich immer öfter zwischen den Wolken blicken. Vom schöner werdenden Wetter sowie der Aussicht auf ein besonderes Mittagessen beflügelt, pedalte Stephan munter seinen Ziel entgegen, wobei er die Melodie von »Joh, mir san mi’m Radl doh!« pfiff. Er liebte Volksmusik und bedauerte zutiefst, dass er wohl so schnell keine entsprechende Veranstaltung mehr würde besuchen können.

Was wohl aus dem Flori und seinen Kollegen geworden ist?, schoss es ihm unwillkürlich durch den Kopf. Na, ihre CD-Verkäufe dürften auf jeden Fall ganz schön eingebrochen sein.

Stephan hatte sich als Junge am Erlernen eines Musikinstruments versucht, um im örtlichen Musikverein mitspielen zu können, dabei aber feststellen müssen, dass er völlig taktlos war. Daran hatte auch ein später von der Schule organisierter Tanzkurs, der ihn hätte auf den Abschlussball vorbereiten sollen, nichts ändern können.

Wie es seine Art war, hatte ihn das jedoch nicht wirklich lange beschäftigt. Die Mädchen seines Jahrgangs, die er mit der Tanzerei vielleicht hätte beeindrucken können, interessierten ihn nicht wirklich, und Musik konnte man auch beim Hören genießen, wozu man schließlich mehr Zeit hatte, wenn man diese nicht mit Üben verbringen musste.

Stephan war schon immer ein wenig anders als die anderen Jungs seines Alters gewesen. Weder in der Schule noch später als Erwachsener hatte er viele Freunde gehabt. Seine Kollegen hatten ihn durchaus geschätzt, immerhin war er jederzeit bereit gewesen, ihre Bezirke zu übernehmen, wenn sie einen Tag frei haben wollten, aber echte Freundschaften hatte er nie geschlossen, an keinem Betriebsfest oder Ausflug teilgenommen. Er machte sich nicht viel aus menschlicher Gesellschaft, ging lieber alleine im Wald spazieren oder hörte Musik.

Als die Welt da draußen allmählich in sich zusammenfiel, die Menschen wie die Fliegen starben, um als Zombies wieder aufzuerstehen, hatte ihn das nicht sonderlich berührt. Die Welt verfiel mit lautem Getöse in die letzte Stille, und das war okay so. Stephan liebte die Stille.

Er hatte sich auch nie einsam gefühlt. Er war allein, weil er das so mochte. Angst war für ihn auch etwas, dass nur gedämpft zu ihm durchdrang. Während er mit dem Rad durch die leere Welt fuhr, beschlich ihn noch nicht einmal ein leichtes Gefühl der Beklemmung, denn die Ruhe war angenehm. Ob Julia jetzt wohl auch ruhig war?

Mit einem misstönenden Pfiff endete seine Interpretation des alten Gassenhauers. Hier und jetzt wollte er nicht an sie denken, denn auch wenn er keine Angst verspürte, dufte er nicht unvorsichtig werden! Und der Gedanke an Julia brachte ihn immer dazu, ein wenig … abgelenkt zu sein.

Schließlich bog Stephan in der Nähe des Ortseingangs auf die Aachener Straße ein und hielt an. Er spähte die Fahrbahn entlang und hielt dabei nach verdächtigen Bewegungen Ausschau. Gleichzeitig strengte er seine Ohren an, ob vielleicht irgendetwas zu hören war, das nach Gefahr klang.

»Besser, ich gehe ab hier zu Fuß weiter«, murmelte er und lehnte seinen Drahtesel an einen Laternenpfahl. Kurz dachte er darüber nach, ob er sein Fahrrad abschließen sollte, dann winkte er ab. Die Freaks fuhren nicht Rad, wer also sollte es stehlen wollen?

***

Der Supermarkt, den Stephan als erstes angesteuert hatte, erwies sich als Reinfall. Die Regale waren größtenteils geplündert, was sich noch darin befand, nicht mehr zu gebrauchen. Er war gerade im Begriff, sich in dem Bereich, der eigentlich den Angestellten des Marktes vorbehalten war, umzusehen, als er hinter der betreffenden Tür ein Rumpeln vernahm. Mit einem »Schade, schon besetzt« wandte er sich zum Gehen und sah zu, dass er aus dem Markt kam, ohne dass ihn das Ding dort drinnen bemerkte, denn im Moment war ihm nicht nach weiterer sportlicher Betätigung.

 

Als nächstes nahm er sich ein Restaurant vor, das früher für seine hervorragende Küche bekannt gewesen war, wobei dieses »früher« eigentlich gar nicht lange zurücklag, obwohl es sich so anhörte, als würde man von einer längst vergangenen Epoche sprechen. Aber Zeit war etwas Flüchtiges, egal wie sehr man auch versuchte, darin einen Ruhepunkt zu finden und sich kleine Anker in Form von Erinnerungen zu schaffen. Wenn es dem Universum beliebte, fegte es einfach alles mit einer lässigen Handbewegung beiseite, gerade so, wie ein Mensch ein lästiges Insekt verscheuchen würde.

Doch jetzt war nicht der Augenblick für tiefe philosophische Gedanken, denn überall konnte Gefahr lauern. Mit Wehmut dachte Stephan an früher zurück – da war es schon wieder, dieses komische Wort – als er sich gerne in einen Park zurückgezogen hatte, um dort vor sich hin zu träumen. Oft suchte er dazu die Nähe eines Spielplatzes, denn das Lachen und Lärmen der Kinder hatte ihm dabei geholfen, seine Gedanken wie auf einer Wolke davonschweben zu lassen.

»Scheiß auf früher!«, knurrte Stephan ärgerlich über sich selbst. »Die alten Zeiten sind nicht mehr, die Karten wurden neu gemischt. Eine Spezies, die sich nicht anpassen kann, ist dem Untergang geweiht, und das trifft auch für einzelne Individuen zu.«

Entschlossen ging er vollends um das Haus herum und suchte dabei nach dem Kellereingang. Vielleicht würden sich hier ja wenigstens ein paar Flaschen eines guten Weines finden lassen, mit deren Hilfe er sich genussvoll wegbeamen konnte. Wenn man einmal von dem Intermezzo mit dem ungebetenen Besucher absah, hatte Stephan den gestrigen Abend eigentlich als recht angenehm empfunden, und auch die Erinnerung an Julia war dabei in ein Licht gerückt worden, das ihm seit längerem wieder einmal Freude bereitet hatte. Ach, Julia …

Die Kellertüre war zwar abgeschlossen, aber nicht sehr stabil. Stephan warf sich zweimal dagegen, dann sprang sie mit einem Krachen auf, als das Schloss aus dem hölzernen Rahmen splitterte. Kurz wunderte er sich darüber, dass der Vorratskeller des ehemaligen Nobelrestaurants so schlecht gesichert war, dann entdeckte er die Drähte der Alarmanlage, die inzwischen aus dem selben Grund nicht mehr funktionierte wie der Springbrunnen in seinem Gartenteich.

Für einen kurzen Moment fand er es sehr interessant, wie sehr sich die Zivilisation von der Elektrizität abhängig und auch genau durch diesen Umstand äußerst verwundbar gemacht hatte, wenn jene nicht mehr zur Verfügung stand.

Vielleicht haben wir ja kurz vor einer Art Zeitenwende gestanden, dachte Stephan, als er seine Dynamotaschenlampe hervorholte und noch ein paarmal an deren Kurbel drehte, um den Akku vollends aufzuladen. Wenn man uns mehr Zeit gelassen hätte, dann wäre aus der Menschheit vielleicht noch etwas Anständiges geworden. Oder mag das Universum vielleicht keine Anständigen und hat uns deshalb so in den Arsch getreten?

Er stellte fest, dass er schon wieder dabei war, sich im Philosophieren zu verlieren, deshalb knipste er kurzerhand seine Lampe an und begann, sich in dem alten Gewölbekeller umzusehen.

Tatsächlich waren die Regale überwiegend mit den verschiedensten Weinen bestückt, und es grenzte schon an ein Wunder, dass noch niemand anders versucht hatte, sich dieser Schätze zu bemächtigen. Täuschte er sich, oder lagerten weiter hinten sogar Lebensmittel? Das Klima dieser alten Keller war für einige Dinge ideal, mit ein wenig Glück war Stephan soeben auf einen kleinen Schatz gestoßen.

Kurz war er versucht, sich den Inhalt einer Weinflasche in den Hals zu kippen, um die gestern rüde unterbrochene Andacht für Julia angemessen nachholen zu können, dann entschied er sich jedoch anders. Zuhause würde es bestimmt mehr Spaß machen als in diesem Gewölbe, außerdem war die Gegend nicht wirklich sicher, wie er im Supermarkt mitbekommen hatte.

Stephan wollte sich gerade daranmachen, die hier gelagerten Lebensmittel näher in Augenschein zu nehmen, um sich für seine erste Tour ein paar besonders leckere Dinge auszusuchen, als von der Treppe her Geräusche zu hören waren, die verdammt an den Freak vom Vorabend erinnerten …

Kapitel II

Schießübungen

Schweigend folgte die Gruppe ihrer Anführerin. Sandra ging an der Ortsgrenze von Königsdorf entlang Richtung Süden. Dabei bedeutete sie ihnen ab und zu stehenzubleiben. Sandra huschte dann flink in eines der Häuser, nur um kurz darauf wieder mit grimmiger Miene und einem Kopfschütteln aufzutauchen.

Diese Vorgehensweise ließ sie nur relativ langsam vorankommen. Die Sonne kletterte nach und nach höher am Himmel. Das Versprechen, es würde ein schöner Tag werden, schien sich zu erfüllen – zumindest was das Wetter anging.

Sie hat wieder nichts gefunden, erklangen Toms Gedanken in Martins Kopf. Ich kann ganz deutlich spüren, dass sie hofft, in einem der Häuser noch etwas Essbares aufzutreiben.

Schicksalsergeben verdrehte Martin die Augen. Er konnte sich immer noch nicht an diese stille Art der Verständigung gewöhnen. Für die Kinder schien es jedoch so selbstverständlich zu sein, dass sie schon gar nicht mehr darüber nachdachten. Er hatte sie zwar gebeten, es zu lassen, aber eigentlich war es egal, solange nur Patrick und vor allem Sandra nichts davon mitbekamen.

Martin war sich immer noch nicht sicher, wie sie darauf reagieren würde. Auf der einen Seite sorgte sie sich zwar um das Wohl der Kinder, auf der anderen schien sie aber auch nicht sehr zögerlich zu sein sein, wenn es darum ging, sich Dingen zu entledigen, die ihr hinderlich erschienen.

Ich frage mich sowieso, warum sie hier sucht. Martin hatte sich einen Ruck gegeben und antwortete auf dem gleichen Weg. Ich fände es sinnvoller, in einem der Restaurants oder Geschäfte in Königsdorf nachzusehen, ob es dort noch etwas brauchbares gibt. Stattdessen gehen wir langsam aber sicher in Richtung Autobahn.

Ich frage sie.

Noch bevor Martin reagieren konnte, hatte sich Tom aus der Gruppe gelöst und mit ein paar schnellen Schritten zu Sandra aufgeschlossen.

»Was willst du?« Sandras Stimme klang nicht sehr erfreut darüber, dass der Junge den bescheidenen Schutz, den ihm die Gruppe bot, verlassen hatte. »Du siehst doch, dass ich noch nichts gefunden habe.«

»Ja, sehe ich.« Tom nickte bedächtig, was so gar nicht zu dem passen wollte, wie sich ein Dreizehnjähriger normalerweise in einer solchen Situation verhielt. »Ich denke, dass du einen Grund dafür hast, nicht in Königsdorf selbst nach Vorräten zu suchen, sondern in Richtung der A4 zu gehen. Und sag mir nicht, es sei wegen der Zombies.«

»Du bist ein kluges Kerlchen. Also streng deinen Kopf noch ein bisschen mehr an und sag mir, was wir mindestens so dringend brauchen wie Essen, um die ganze Scheiße hier einigermaßen heil zu überstehen.«

Tom musste nicht nachdenken, denn er wusste die Antwort ebenso gut wie jeder andere in der Gruppe. »Waffen und Munition natürlich. Patricks Morgenstern mag zwar beeindruckend aussehen, aber wirklich effektiv ist er nicht. Ein paar zusätzliche Schusswaffen wären daher sicher kein Fehler.«

»Siehst du, du bist in der Tat ein kluges Kerlchen«. Sandra grinste, wurde aber sofort wieder ernst. »Weißt du denn auch, was südlich von Königsdorf in der Nähe der Autobahn ist?«

»Nein, ich war hier noch nie.«

Mir einem Mal wallten die Erinnerungen wieder in Sandra hoch. Im Gegensatz zu Tom war sie schon einige Male hier gewesen, zusammen mit ihrem Vater. Damals hatte er sie noch nicht so oft verprügelt, dafür später umso mehr. Manchmal vermeinte sie auch heute noch, die Schläge förmlich zu spüren. Und sie war jedes Mal froh gewesen, noch am Leben zu sein, wenn es vorüber gewesen war.

»Dann lernst du heute also etwas dazu«, sagte sie schärfer als beabsichtigt. »Und jetzt geh zu den anderen zurück und stör mich nicht länger!«

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